Cover

Für Dennis, 2-FaCe Reloaded, Samu, J.S.
oder auch Sam fuckin’ Jason.
Du weißt wieso.

Sometimes, you have to step outside of the person you’ve been and remember the person you were meant to be. The person you want to be. The person you are.

H. G. Wells

Prolog – Wasteland

Sie sagen, das Ödland ist weit. Sie sagen, dass es so gigantisch ist, dass du mancherorts nur den Horizont sehen kannst, egal in welche Richtung du dich drehst. Sie sagen, dass im Westen für tausende Kilometer absolut gar nichts ist, bis du schließlich auf den Ozean triffst. Sie sagen, es gibt Berge im Osten und im Norden. Sie sagen, unsere Welt ist so kaputt, dass du erfrierst, wenn du auch nur ein Stück zu weit nach Süden gehst. Zumindest ist es das, was ich gehört habe. Ich kann nicht beurteilen, ob es eine Art Mythos oder Märchen ist, das Leute erzählen, um dich davon abzuhalten, den Ort, an dem du geboren wurdest, zu verlassen – aber eines weiß ich ganz genau: Ich habe den Horizont seit über acht Jahren nicht gesehen.

Meine Mutter starb im Juni. Ich kann das so sicher rekapitulieren, weil ich mich genau an die Kälte an diesem Tag erinnere. Diese wenigen Wochen einmal im Jahr, in denen die Temperatur so weit absinkt, dass man den eigenen Atem dabei beobachten kann, wie er in den klaren, stumpfblauen Himmel aufsteigt. Wir haben die Stadt im Morgengrauen verlassen und ich habe zugesehen, wie diese feinen Wolken meinem Mund entkommen sind – ein leuchtendes Orange im Licht der Morgendämmerung, die einzige Zeit des Tages, zu der man tatsächlich einen Blick auf die echten Farben der Welt erhaschen konnte, die sich sonst lediglich auf Grau-, Braun- und Gelbtöne beschränkten. Ich erinnere mich, dass die Haare meiner Mutter im Sonnenlicht einen leichten Rotstich bekamen und wie mein Vater nervös den Blick über unsere Umgebung schweifen ließ, während Sorge in sein noch junges Gesicht gekerbt war.

Die Wochen zuvor hatte es in dem Tal, in dessen Richtung wir unterwegs waren, Attacken gegeben – auch wenn Tal vielleicht nicht das richtige Wort ist. Es ist mehr ein schmaler Graben, der circa zwei Kilometer nördlich von unserer Siedlung beginnt und der vielleicht oder vielleicht auch nicht einmal ein Fluss gewesen sein könnte. Wichtig war, dass es dort auch noch nach Jahren des Plünderns genügend Ressourcen gibt: Schrott im Grunde genommen. Aber Dinge, die wir brauchen, um mit den Reisenden zu handeln, die unserer Stadt regelmäßig einen Besuch abstatten. Schon damals war mir klar, dass diese Händler so viel tapferer waren, als ich es jemals sein könnte.

Aufgrund der jüngsten Attacken verließen wir das Tor als eine Gruppe von acht Leuten, von denen allerdings nur sechs jemals den Weg nach Hause fanden. Meine Mutter gehörte nicht dazu.

Es war ein Hinterhalt – noch bevor wir überhaupt an unserem Ziel ankamen –, was rückblickend ziemlich seltsam ist, wenn man bedenkt, dass die Monster, die uns dort angegriffen haben, landläufig als nicht sonderlich intelligent gelten. Die meisten nennen sie »Zombies«, doch mein Vater bevorzugt den Ausdruck »Infizierte«, als gäbe es ein Heilmittel für das, was den unschuldigen Menschen passiert ist, die sie einmal gewesen waren. Niemand weiß, woher sie gekommen sind, warum sie existieren oder wie das ganze überhaupt angefangen hat, aber jedes Kind ist sich der immensen Bedrohung bewusst, die diese Wesen darstellen.

Es wird vermutet, dass die Infektion auf ein Virus zurückgeht, das das Gehirn angreift und in diesem Prozess jegliche Gefühle abgesehen von Hunger auslöscht. Wirst du gebissen und musst nicht komplett als Snack herhalten, wirst du selbst zu einem. Der Kreislauf des Lebens 2.0.

Normalerweise sind sie in kleinen, schlecht koordinierten Gruppen unterwegs, aber wenn du dich von ihnen überraschen lässt, bist du verdammt. Mein neunjähriges Ich hat das auf die harte Tour gelernt: Nachdem ich meiner eigenen Mutter beim Sterben zusehen musste, habe ich nie wieder die schützenden Mauern der Stadt verlassen. Ich wurde keine Schrottsammlerin, wie sie eine war, sondern ließ mir von meinem Vater zeigen, wie man Dinge repariert. Auf diese Art kann ich innerhalb der Siedlungsmauern bleiben, wo die größte Gefahr wütende Kunden sind, die mit meiner Art zu feilschen nicht zurechtkommen.

Mein Vater hat es akzeptiert. Meine Hände sind schmaler, geschickter und um ehrlich zu sein, bin ich inzwischen eine bessere Mechanikerin als er – was aber nicht bedeutet, dass er je eine Gelegenheit auslässt, um mich daran zu erinnern, dass eventuell der Tag kommt, an dem ich eine Waffe benutzen muss, um jemanden – oder vielmehr etwas – zu töten. Zu einem gewissen Grad ist mir das bewusst, doch ich bin auch ein Feigling. Ich werde nicht einmal versuchen das zu leugnen, denn immerhin habe ich es so geschafft, weitere acht Jahre zu überleben.

So nennen wir das hier: Ich habe keine siebzehn Jahre gelebt, ich habe überlebt.

I – Home

Gedankenverloren fahre ich beinahe zusammen, als er die massige Kiste auf meine Werkbank fallen lässt. Sie ist gefüllt mit Schrott und einigen Elektronikbauteilen und – der Lautstärke des Aufpralls nach zu urteilen – verdammt schwer. Mein Dad lässt ein unzufriedenes Knurren vernehmen, als ich aufschaue und den schmerzverzerrten Ausdruck auf seinem Gesicht entdecke.

»Ich hab dir doch gesagt, dass du es nicht übertreiben sollst.« Fast automatisch wird meine Stimme lauter und ich nicke vielsagend in Richtung seines rechten Beins, wo eine erbärmliche Metallkonstruktion das ersetzt, was einmal ein Fuß gewesen war.

»Diese Sachen tragen sich eben nicht von alleine. Außerdem hab ich einen super Deal rausgeschlagen.« Stolz und Zufriedenheit löschen für eine Sekunde den Schmerz aus seinem Gesicht und lassen ihn die Lippen zu einem schiefen Lächeln verziehen, das ihn immer wie einen kleinen Jungen aussehen lässt. Er weiß genau, wie er mich manipulieren kann, weshalb ich Schwierigkeiten habe, die strenge Miene aufrechtzuerhalten, während ich seinen neusten Fang inspiziere.

»Du hättest auch einfach zweimal laufen können, weißt du?«, murmle ich zwischen den Zähnen.

»Ach komm schon, Lys. Du kennst deinen alten Herren. Ich riskiere lieber alles fallen zu lassen, als noch mal zu gehen.«

»… fauler, alter Sack.«

»Hey. Kann mich nicht erinnern, dir jemals solche Wörter beigebracht zu haben.«

Ich starre weiterhin nach unten und versuche vehement das sich anbahnende Grinsen hinter dem Vorhang meiner langen Haare zu verbergen.

»Natürlich nicht, Dad.« Nicht die Augen verdrehen. »Also. Du sagst, du hast nen guten Deal rausgeholt?« Skeptisch ziehe ich eine alte Stahlfeder aus dem Schrott – vermutlich ein alter Stoßdämpfer von einem Autowrack. Verdammt schwer, aber komplett verrostet und dadurch nutzlos. »Ich kann diesen Scheiß nicht mal verkaufen.«

»Na ja. Du kannst damit andere Leute bewerfen und ihnen auf den Wecker gehen. Auf die Art vielleicht ganz nützlich.«

»Sehr witzig.« Meine Stimme ertrinkt in Sarkasmus, trotzdem kann ich nicht aufhören zu grinsen.

»Ich hab nicht viel gezahlt«, erklärt er schließlich, »deshalb hab ich nicht zu genau hingesehen. Schau einfach, ob du dadrin nicht was zum Basteln findest. Ich dachte, meine Tochter sei kreativ?«

Endlich schaffe ich es aufzusehen und seinem neckischen Blick zu begegnen.

»Sicher doch. Diese Feder da macht sich sicher verdammt gut als Prothese.«

»Vielleicht ist dadrin noch eine zweite? Ich schneid mir das andere Bein auch ab und dann kann ich lustig in der Gegend rumhüpfen.« Ich rolle genervt die Augen und schüttle den Kopf.

»Treib’s nicht zu weit.«

Innerhalb einer Sekunde verlässt ihn das Lächeln und tiefe Falten graben sich in seine Stirn. Er sieht plötzlich so viel älter aus und zum ersten Mal nehme ich die grauen Strähnen in seinem dunklen Haar wahr.

»Ich weiß, es ist … scheiße. Aber wir müssen das Beste draus machen.«

Ich nicke und unwillkürlich wandert mein Blick auf das kleine Fenster im Raum, das nicht viel mehr ist als eine Öffnung in der Metallwand. Die Aussicht ist nicht gerade grandios: ein großer, rötlich brauner und nahezu undurchdringlicher Wall, hinter dem sich der Rest der Welt verbirgt. Der gefährliche Rest der Welt.

»Wann wolltest du raus?«

Mein Dad und ich sprechen nicht gerne über das Thema – ich noch weniger als er –, doch seit er sein Bein verloren hat, wissen wir, dass sich etwas ändern muss. Davor war die Rollenverteilung in unserem Haushalt klar: Wir beide übernehmen den Laden, ich kümmere mich um die »Bastelarbeit«, wie er es nennt, und gehe zum Markt, während er regelmäßig lange Ausflüge außerhalb der Stadt unternimmt, um Schrott zu sammeln. Inzwischen bereitet ihm allerdings allein das Stehen große Schwierigkeiten, das sehe ich an den feinen Schweißperlen auf seiner Stirn – eine größere Tour durch das Ödland bleibt daher ausgeschlossen. Teile von anderen Schrotthändlern zuzukaufen ist auf Dauer nicht rentabel und oft fehlt einem die Auswahl an Dingen, die wirklich notwendig sind.

Überleben ist in dieser Welt das Einzige, was zählt. Und zum Überleben benötigt man Geld. Der Handel mit Schrott ist lukrativ, aber noch lukrativer ist es, eine Werkstatt anzubieten, in der vor allem Reisende ihre Waffen, Fahrzeuge und andere Gegenstände reparieren und aufrüsten lassen können. Aber auch dazu werden Teile gebraucht. Und wenn man nun all diese Dinge in Betracht zieht, dann bleibt mir, der Tochter des besten Mechanikers der Stadt, nur eine Möglichkeit:

»Ich wollte vor Morgengrauen los«, sage ich entschlossen und fast kaufe ich es mir selbst ab. »Ich gehe nur für einen Tag raus und versuche es Richtung Westen. Bis zum Abend bin ich wieder zurück.«

Mein Vater nickt. Eine Mischung aus Anerkennung, Stolz, aber auch Sorge steht ihm ins Gesicht geschrieben.

»Willst du nicht lieber in einer Gruppe gehen?«

»Und mich mit den anderen um die guten Teile prügeln?« Ich lache auf und es klingt falsch. Eine Lüge. Ich will nur deshalb niemanden bei mir haben, weil ich nicht will, dass jemand meine wirkliche Angst sieht. Wenn ich einem Infizierten begegne, würde die Gruppe erwarten, dass ich schieße – alleine kann ich dagegen wegrennen und jeder Art von Konfrontation aus dem Weg gehen.

Für den Bruchteil einer Sekunde werden die Furchen in der Stirn meines Dads tiefer, dann entspannt sich seine Miene und er beginnt wieder leicht zu lächeln.

»Das ist mein Mädchen.«

Ich erwidere es und fühle mich elend. Seit Tagen plane ich schon meinen Ausflug, aber jetzt, wo er so unmittelbar bevorsteht, ist die Angst so präsent, dass ich Mühe habe zu atmen.

»Lys?« Ich merke erst, dass ich schon wieder aus dem Fenster gestarrt habe, als er meinen Namen sagt. Mein Blick geht zurück zu meinem Dad, dessen Miene nun ins Gequälte wechselt.

»Wäre es … wäre es okay, wenn ich mich nur einen Moment hinlege?«

»Klar. Soll ich den Laden übernehmen? Oder soll ich schließen und mich um das hier kümmern?«

»Nach allem, was ich gesehen habe, ist heute einiges los. Du solltest also …«

Seine Rede wird vom Klirren einiger Dosen weiter vorne im Haus unterbrochen. Die alternative Version zu einer Ladenklingel – Dads Erfindung.

»Ich geh schon«, sage ich lächelnd und reibe mir die Hände an der Hose ab, die von einem einzigen Griff in die Teile bereits völlig ölig sind. »Ruh dich aus, solange du willst. Ich zieh denen schon das Geld aus der Tasche.« Er lacht kurz auf und ich zwinkere ihm zu, dann verschwinde ich auch schon nach vorne.

Das Haus, das mein Vater und ich bewohnen, ist überschaubar. Außer der Werkstatt hinten gibt es im Untergeschoss nur noch den Laden und ein kleines Badezimmer, das wir mit Wasser aus dem Brunnen betreiben, den mein Dad vor Jahren hinter dem Haus angelegt hat. Ein kleines Stück Luxus, das nur wenigen in unserer Siedlung vergönnt ist. Eine Leiter führt zu zwei kleinen Kammern im Obergeschoss, in denen wir schlafen. Der Platz reicht kaum für die Betten, aber vor meinem habe ich einen kleinen Balkon, von dem aus ich auf unseren Hof hinter dem Haus schauen kann, wo wir die größeren Teile lagern.

Ein Vorhang aus Plastikperlen an einer Kette trennt den Rest des Hauses vom Laden und raschelt leise, als ich eintrete. Es ist der größte Raum – und der mit Abstand ordentlichste. Der Boden ist gefliest und an den Wänden hängen sorgfältig sortiert ein paar recycelte Waffen und Rüstungsteile – nicht viele allerdings. Den Hauptteil unserer Ware haben wir in unzähligen Kisten und Regalen untergebracht: alte Elektrobauteile, Schläuche, Metallplatten, ganze Lampen von Autos, Keilriemen. Kurz gesagt: Schrott, der in den ein oder anderen Händen irgendwann doch noch einen Zweck erfüllt.

»Hallo?«, rufe ich im Hineingehen – eine alte Angewohnheit, um mich bemerkbar zu machen und gleichzeitig herauszufinden, wo sich der Kunde zwischen den vielen Regalen herumtreibt. Eine Angewohnheit, die dieses Mal absolut überflüssig ist.

Er steht bereits vorm Tresen und könnte hier im Laden unmöglich verloren gehen. Seine Statur – er ist fast einen Kopf größer als ich – ist das Erste, was mir auffällt. Das Zweite ist das AWM Scharfschützengewehr auf seinem Rücken.

Durch die Jahre im Laden habe ich gelernt, die Details auszumachen, die einem etwas über den Menschen verraten, der vor einem steht.

Lange, braune Kleidung aus Stoff, ein großer Schal, den er auch als Kopfbedeckung verwenden könnte, eine Fliegerbrille um den Hals: Jemand, der viel zu Fuß im Ödland unterwegs ist.

AWM auf dem Rücken, eine Pistole P12 mit Schalldämpfer am Gürtel, ein sichtbares Messer, Springerstiefel: Jemand, der entweder aufs Töten angewiesen ist oder auf den selbst ein Kopfgeld aussteht.

Jäger oder Gejagter?

Ich blicke in sein Gesicht und versuche die Antworten dort zu finden.

Dunkelbraunes, zerzaustes Haar, in dem ich noch immer einige Sandkörner erkennen kann. Ein schmaler Kiefer und leichte Bartstoppeln. Er dürfte kaum über zwanzig sein, schließe ich, dann bleibt mein Blick an seinen Augen hängen. Ihre Farbe kann ich kaum beschreiben, dunkelblau wie der Himmel, kurz bevor die Sonne aufgeht, und hellgrau um die Iris – anders als alles, was ich bisher gesehen habe. Der Ausdruck darin hat etwas Eindringliches, Analytisches, das mich sofort die Schultern anspannen lässt. Nicht der Blick von jemandem, der auf der Hut ist, sondern von jemandem, der jedes Detail in sich aufsaugt, um sein nächstes Ziel nicht zu verfehlen.

Ein Kopfgeldjäger.

Von allen Gestalten, die mir in meinem Beruf schon untergekommen sind, sind Kopfgeldjäger nach wie vor die, die mir wirklich Angst einjagen, und so kann ich nur schwer verhindern, dass mein Herz schneller zu pochen beginnt, als ich mir nervös eine Haarsträhne hinters Ohr schiebe und mir ein unverbindliches Lächeln abringe.

»Wie kann ich dir helfen?«, frage ich mutig, mich innerlich lobend, weil ich das Zittern in meiner Stimme gerade so unterdrücken kann.

»Jemand auf dem Markt hat gesagt, ich soll hierherkommen, wenn es um Reparaturarbeiten geht.«

Eine knappe und auf das Nötigste beschränkte Antwort – niemals zu viel verraten. Lächeln, erinnere ich mich.

»Das ist richtig. Worum geht’s denn?«

Ich sehe mich der Ungnade seines Blickes ausgeliefert und muss nicht lange darüber philosophieren, was er wohl über mich denken mag. Er sieht zuerst die langen sandfarbenen Haare, das junge Gesicht mit den großen grünen Augen und der Stupsnase, die schmalen Hände und meinen schlanken Körperbau. Dann die ölbefleckte Latzhose, die schwarzen Striemen auf meinen nackten Armen und den Gürtel mit Werkzeug und er weiß nicht so recht, wo er mich einordnen soll. Kleines Mädchen – Werkzeug. Die meisten Kunden fragen an dieser Stelle, ob mein Dad zu Hause ist. Der Kopfgeldjäger dagegen hebt nur für den Bruchteil einer Sekunde die Augenbrauen. Sein Mundwinkel zuckt, als er wortlos eine Pistole auf den Tisch knallt.

Es ist nicht die, die er am Gürtel trägt, sondern eine weitere, die er in einer Innentasche seiner Jacke versteckt hatte. Der Gedanke daran, wie viele Waffen er insgesamt bei sich tragen könnte, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.

»Die hier«, sagt er barsch, »funktioniert nicht.«

Ich runzle die Stirn – trotz seiner einschüchternden Art gefällt mir sein Ton überhaupt nicht. Er will schließlich etwas von mir.

Skeptisch nehme ich die Pistole zwischen meine Hände und kann spüren, wie die Furchen in meiner Stirn noch tiefer werden. Eine Teslapistole?

»Wo hast du denn die her?«, frage ich überrascht und schaue wieder zu ihm auf. Wen hast du dafür umgebracht, will ich eigentlich fragen.

»Gefunden«, erklärt er mit einem überlegenen Grinsen, das mir noch mehr Angst machen soll – und seine Wirkung leider nicht ganz verfehlt. Ruhig bleiben, Lys.

»Energiewaffen sind unglaublich selten, ist dir das klar?«

Zur Probe richte ich sie auf ein Stück Wand, an das eine kleine Matratze gelehnt ist, die in der Regel als Schießbude herhalten muss. Als ich den Abzug betätige, gibt die Waffe nur ein mitleidiges Fiepen von sich, ohne dass sich ein Schuss löst.

Eine leere Batterie, mehr nicht, diagnostiziere ich schnell.

»Was du nicht sagst, Kleine. Kannst du sie reparieren?«

Missmutig blicke ich zu ihm auf. Kopfgeldjäger hin oder her, aber mein Laden, meine Regeln und niemand gibt mir irgendwelche dämlichen Spitznamen.

»Kommt drauf an«, entgegne ich spitz. »Das kostet.«

»Hast du überhaupt eine Ahnung, was daran kaputt ist?«

»Klar.«

»Woher weiß ich, dass du mich nicht über den Tisch ziehst?«

Ich grinse – über den Tisch ziehen werde ich ihn nicht. So sind wir hier im Laden nicht. Aber wir wissen, wie wichtig Geld ist.

»Lass es mich so ausdrücken. In dieser Stadt gibt es außer mir noch vier andere Mechaniker, aber irgendjemand war schlau genug dich zu mir zu schicken. Und wieso? Weil ich dir garantieren kann, dass keiner von denen je eine Energiewaffe in der Hand hatte.«

Ein Bluff. Es stimmt zwar, dass Energiewaffen selten sind, doch ihr Aufbau an sich ist relativ einfach, die Materialen – mit Ausnahme der Kristalle – leicht zu beschaffen. Noch dazu habe ich in diesem Sinne bisher keine in der Hand gehabt, die Einzige, die ich je zu Gesicht bekommen habe, hat damals mein Dad repariert.

»Du aber schon? Wie alt bist du?«

»Siebzehn.«

»Aha. Und außer einem kleinen Mädchen kann das hier niemand?«

Ich lächle ihn zuckersüß an.

»Korrekt. Du kannst gerne deine kostbare Zeit darauf verwenden, den anderen einen Besuch abzustatten.« Langsam steigt in mir ein wenig Panik hoch. Beim Feilschen habe ich noch nie Grenzen gekannt, aber jetzt gerade treibe ich es bei einem echten Kopfgeldjäger auf die Spitze. »Wenn einer davon tatsächlich fähig ist dir bei deinem Problem zu helfen, hast du etwas Zeit verschwendet, kannst aber glücklich behaupten, dass du dir nicht von einem kleinen Mädchen helfen lassen musstest.

Ist deine Mission allerdings erfolglos, kannst du entweder den weiten Weg in die nächste Stadt auf dich nehmen oder zu mir zurückkehren und hoffen, dass mein Angebot sich bis dahin nicht verdoppelt hat.«

Ich zwinkere ihm überlegen zu, worauf sich sein Kiefer anspannt. Ein Schauer läuft mir über den Nacken und innerlich verpasse ich mir eine Ohrfeige für meinen Leichtsinn. Tapferkeit gehört nicht zu meinen Stärken, ja, aber zu wissen, wo Schluss ist, erst recht nicht. Plötzlich entspannen sich jedoch seine Gesichtszüge und ein halbes Lächeln erscheint auf seinen Zügen.

»Mutig, Kleine. Sehr mutig.«

»Nenn mich nicht so. Also, kommen wir ins Geschäft oder nicht?«

»Preis? Und wie lange?«

»Vierzig Mäuse und fünf Minuten.«

Das halte ich für sehr gnädig. Ich hätte auch zweihundert draus machen und ihm sagen können, dass ich mindestens zwei Tage brauche. Aber das wäre Zeit gewesen, in der mein Bluff hätte auffliegen können. In meinem Kopf kalkuliere ich also: Fünf Mäuse für die Batterien, Arbeitszeit vernachlässigbar, macht satte fünfunddreißig Mäuse Gewinn. Ich bin gut.

»Was?!« Die bisher so kontrollierten Gesichtszüge des Kopfgeldjägers entgleisen.

»Die Arbeit ist nicht komplex, wenn man weiß, was man tun muss. Das Ersatzteil ist aber teuer«, erkläre ich ruhig und schiebe unverbindlich die Hände in die Hosentaschen.

Mit den Fingern seiner rechten Hand reibt er nachdenklich seinen Nasenrücken und für einen Augenblick kann ich an seinem nun frei liegenden Handgelenk ein kleines Tattoo aufblitzen sehen. »XIV« – was auch immer das zu bedeuten hat.

»Und es gibt niemanden sonst …?«

»Nö.«

»Ein Rabatt vielleicht, weil ich dich nicht umgebracht habe?« Bei seiner bisherigen Wortkargheit überrascht mich dieser offensichtlich sarkastische Einschub.

»Ich kann auch fünfzig draus machen«, biete ich geschäftig an. Ich bin mir nach wie vor der Gefahr bewusst, die der Kerl ausstrahlt, weiß aber aus weniger unschönen Deals, dass er, wenn ihn meine Art zu handeln ernsthaft angepisst hätte, schon längst seine Waffe gezogen und auf mich gerichtet hätte. Ich würde nicht sagen, dass der Kopfgeldjäger ein netter Typ ist, aber es ist offensichtlich, dass er Ärger so weit wie möglich vermeiden will.

Er seufzt entnervt.

»Du treibst einen in den Wahnsinn, Kleine.«

»Danke, danke. Ich bin die ganze Woche hier.«

»Also, vierzig Mäuse?«

Ich könnte ihn jetzt informieren, dass er mich durchaus auf dreißig, vielleicht sogar fünfundzwanzig hätte runterhandeln können, aber ich halte mich zurück. Er scheint ohnehin nicht gerne zu reden.

»Deal.«

Ich schlage mit ihm ein und für eine Sekunde begegnen sich unsere Blicke. Seine Augen sind nach wie vor analytisch, als wisse er immer noch nicht so recht, in welche Schublade er mich stecken sollte, während ich nicht umhinkomme, festzustellen, dass mir ihre Farbe, dunkelblau mit der hellen Iris, gefällt. Ich lächle ihn an, bevor ich meine Hand zurückziehe und um den Tresen herumgehe.

Hübsche Augen hin oder her: Was mich mehr beflügelt, ist die Tatsache, einen Deal gemacht zu haben, der uns für eine Woche ein nettes Essen auf den Tisch bringt.

Zielstrebig gehe ich auf ein Regal auf der linken Seite zu und fische aus einer der Kisten mit der Aufschrift »Akkus« die richtige Batterie heraus, bevor ich wieder zurück an den Tresen gehe und mich an die Arbeit mache. Mit meinem Feinwerkzeug löse ich gezielt vier Schrauben – alles unter dem neugierigen Blick des Kopfgeldjägers.

»Ich wechsle die Batterie«, erkläre ich ihm, bevor er nachfragen kann, als ich die alte gerade herauslöse. Sie klemmt ein bisschen und ich muss den Schraubenzieher als Hebel verwenden. Prompt bekomme ich einen kleinen Schlag von der Restladung des Kondensators daneben. »Autsch.«

»Batterie?«

»Was denkst du denn, wie das sonst funktionieren soll? Die ersten handlichen Laserwaffen kamen vor ein paar hundert Jahren auf den Markt. Und weil man nicht ständig einen kleinen Reaktor mit sich rumschleppen kann und Solar- oder Brennstoffzellen ziemlich unpraktisch wären, hat man ihnen Hochleistungsakkus verpasst.«

»Aha.«

Ich bin mir fast sicher, dass das ein subtiler Hinweis ist, die Klappe zu halten. Also behalte ich meine weiteren Ausführungen für mich.

»Und wie lade ich das wieder auf?«

»Na ja … das wird bis dahin so circa zehn Jahre dauern. Danach darfst du gerne wieder herkommen und ich geb dir einen schönen Treuerabatt.«

Er lässt ein unwilliges Geräusch vernehmen, doch im Augenwinkel kann ich seine Lippen wieder zucken sehen.

»Großzügig«, kommentiert er in dem Moment, als ich den neuen Akku hineinschiebe und mich daranmache, die Pistole wieder zusammenzusetzen.

»Hier«, sage ich schließlich und reiche ihm seine Waffe. »Du kannst sie da drüben testen.«

Ich deute auf die halb verendete Matratze, doch da hat er bereits einen Schuss gelöst, der mitten dort hinein trifft, wo mein Dad vor Jahren mal eine provisorische Zielscheibe draufgemalt hat. Außer einem sehr leisen Pfeifen macht die Waffe keinerlei Geräusche, hinterlässt dabei aber einen Schaden, bei dessen Anblick sich mir die Nackenhaare aufstellen. Der Laser hat ein dampfendes Loch mit circa zehn Zentimetern Durchmesser in die Matratze gebrannt, dessen Rand noch immer rötlich glimmt.

»Hm«, macht der Kopfgeldjäger und nickt anerkennend.

Immer noch gebannt von dem Anblick ziehe ich die Augenbrauen nach oben und kann nicht verhindern, dass meine Gedanken zu der »Arbeit« wandern, die er damit verrichtet. Eine Kugel kann ein lebenswichtiges Organ verfehlen, was wiederum verarztet werden kann – das hier hingegen …

»Hoffentlich richtet nie jemand so ein Ding auf mich«, äußere ich verunsichert, bevor ich endlich den Blick lösen kann. Der Kopfgeldjäger hat sich bereits dem Tresen zugewandt und ist gerade dabei, das Geld sauber auf dem Tisch zu verteilen. Vierzig Mäuse.

Was nicht heißt, dass wir mit toten Nagetieren zahlen. Tatsächlich besteht unsere Währung aus Münzen, die einen realen Gegenwert besitzen und aus irgendeiner Tradition heraus diesen seltsamen Namen tragen. Vier Münzen aus Kupfer. Vierzig Mäuse.

Ich werfe sie kurz auf die Waage, um sicher zu gehen, dass nicht er derjenige ist, der mich über den Tisch zieht, aber das Gewicht stimmt. Ein erfolgreicher Deal. Riskant, aber einfach.

Heute Abend kann ich meinem Dad und mir tatsächlich etwas zu essen aus der Imbissbude die Straße runter besorgen. Ein seltener Luxus, vor allem bei zwei Menschen, die kulinarisch so unbegabt sind, dass sie es sogar schaffen, Wasser anbrennen zu lassen.

»Du solltest aufpassen, dass du niemandem zu sehr auf die Nerven gehst, wenn du das vermeiden willst«, merkt der Kopfgeldjäger konstruktiv an.

»Ist notiert.«

Ein paar Augenblicke stehen wir unschlüssig im Laden, als sich seine Miene plötzlich ändert. Seine Gesichtszüge werden ernst und die Andeutung eines Lächelns, die auf seinen Lippen gestanden hat, verschwindet komplett. Schweigend packt er die Pistole wieder weg und bemisst mich mit seinem Blick, dann nickt er.

Ich bin versucht etwas zu sagen, das ihn wieder auflockern könnte, doch da ich nicht die geringste Ahnung habe, wer er ist oder was ihm die Laune verdorben hat, lächle ich nur so diplomatisch wie möglich.

»Danke für die Reparatur«, sagt er kurz angebunden.

»Danke für das Geld«, entgegne ich zwanghaft. »Beehren Sie uns bald wieder oder so.«

Darauf folgt keine Antwort, nur ein weiteres kurzes Nicken. Dann macht er auf dem Fuß kehrt und verlässt den Laden – das große Gewehr auf seinem Rücken ist das Letzte, was ich von ihm zu Gesicht bekomme.

Am Abend sitze ich auf dem Dach und starre nachdenklich in die Luft. Die letzten Sonnenstrahlen färben den fast permanent wolkenverhangenen Himmel violett, während die Mauern bereits lange Schatten auf die gesamte Stadt werfen. Von der Straße auf der anderen Seite des Hauses kann ich Stimmen hören – die Menschen, die spätabends noch unterwegs sind, treffen sich meistens in irgendwelchen Kneipen, um über ein paar Bier die Sorgen des Alltags für einige Stunden zu vergessen. Mein Dad ist heute ebenfalls unterwegs und ich kann nur hoffen, dass seine Kumpels ihn heil wieder nach Hause bringen.

Ich hätte mich den diversen Nachtschwärmern gerne angeschlossen, aber hier in der Siedlung gibt es niemanden, den ich wirklich als Freund bezeichnen würde. Mit den wenigen Leuten in meinem Alter bin ich vier Jahre zur Schule gegangen, um Lesen, Rechnen und ein paar grundlegende Dinge über den Umgang mit Waffen zu lernen, doch danach habe ich die meiste Zeit mit meinem Dad im Laden verbracht. Alles, was ich weiß, hat mir mein Dad beigebracht oder ich kenne es aus den unzähligen digitalen Büchern über Maschinenbau und Elektrotechnik, von denen er auf seinem provisorisch zusammengebastelten Tablet-Computer so viele besitzt, dass ein ganzes Leben nicht reichen würde, um sie fertig zu lesen.

Das Tablet habe ich auch jetzt bei mir. Es liegt rechts neben der halb aufgegessenen Schale Nudelsuppe, die ich mir am Imbissstand geholt habe, und zeigt mir den Titel meiner aktuellen Lektüre. »Überleben in der Wildnis – Ein Guide für alle Hobby-Survivor da draußen«. Ich frage mich, ob der Mensch, der das damals, irgendwann vor ein paar hundert Jahren, geschrieben hat, geahnt hat, dass Überleben in der Wildnis irgendwann nicht mehr nur ein Hobby sein würde.

Das Buch enthält einige nützliche Tipps, beispielsweise über das Beschaffen von Wasser oder über Orientierung mithilfe der Himmelskörper, aber auch sehr veraltetes Wissen über Pflanzen und Tierarten, die vor Jahrzehnten ausgestorben sind. Jetzt gerade kann ich mich nicht dazu bringen, auch nur einen Satz zu lesen.

Ich bin so unruhig, dass ich es kaum schaffe, meine Gedanken beisammenzuhalten. Sie alle kreisen um meinen bevorstehenden Trip morgen, dessen grobe Eckdaten ich zum tausendsten Mal durchgehe. Ich kenne die Strecke, habe genügend Zeit eingeplant, weiß, wonach ich besonders Ausschau halten soll, und weiß, was ich zu tun habe, wenn ich einen Infizierten treffe: wegrennen und hoffen, dass meinem Dad und mir eine andere Lösung einfällt, als mich rauszuschicken.

Doch was, wenn es mich erwischt, wie es damals meine Mum erwischt hat? Was wird dann aus meinem Dad? Wenn ich jeglichen Willen verliere und nur noch ziellos auf der Erde umherwandle und mich auf alles stürze, das sich bewegt?

Was passiert dann?

Der Gedanke lässt mich erschaudern und setzt sich in meinem Kopf fest wie ein lästiger Parasit.

Was passiert dann?

II – Infinite Horizon

Mein Dad begleitet mich zum Stadttor und ich bin mir unsicher, ob ich das will oder nicht. Einerseits ist eine herzliche Umarmung zum Abschied vielleicht ganz hilfreich, um meinem kaum vorhandenen Optimismus auf die Sprünge zu helfen. Andererseits hätte ich mich gerne vor Sonnenaufgang aus dem Haus geschlichen, um mir den Abschied zu ersparen – geschlafen habe ich sowieso nicht.

»Und du hast alles?«, fragt er in bester väterlicher Manier und nun zum fünften Mal. Hauptsächlich deshalb, weil wir uns seit gefühlt zwei Stunden am offenen Stadttor gegenüberstehen und keiner so recht weiß, was er noch sagen soll.

»Ja, Dad.«

»Genügend Wasser?«

»Aye.«

»Pistole?«

»Yep.«

»Ersatzpistole?«

»Mhm.«

»Munition?«

»Dreißig Schuss, Neun Millimeter.«

»Sicher, dass du nicht doch den Flitzer nehmen willst?«

Ich seufze und denke kurz nach. Der Flitzer, eine Art Motorrad, das mithilfe von Ionendüsen bis zu einem Meter über dem Boden schweben kann, wäre definitiv die schnellere und einfachere Art der Fortbewegung – zudem ich so wesentlich mehr tragen und mehrere Orte abgrasen könnte. Zwangsläufig bedeutet die längere Strecke aber auch, dass ich erheblich weiter von zu Hause weg bin – weit weg von allem, was mir Sicherheit bietet. Und im Zweifel bin ich dann doch lieber an einem Ort, der nur einen halben Tagesmarsch entfernt ist, als irgendwo am gefühlt anderen Ende des Ödlands. Wenn irgendetwas mit dem Flitzer sein sollte, wäre ich verloren.

»Wir hatten das doch schon, Dad«, erkläre ich geduldig, aber mit Nachdruck. »Wir brauchen Elektrobauteile. Die bekomme ich am ehesten aus dem verschütteten Flugzeugwrack, das Tryde letzte Woche entdeckt hat. Das ist nicht weit weg und ich laufe nicht Gefahr, mich zu verirren.«

Die letzte Aussage ist keine Ausrede, sondern eine ernsthafte Befürchtung. Ich bin seit Jahren nicht mehr vor der Mauer gewesen und das bisschen Erinnerung, das ich an das Ödland habe, ist nichts weiter als eine dunkle Ahnung. Ich weiß, dass es im Westen einen Krater gibt, der einmal ein See gewesen ist, ich weiß, dass es dort vor kurzem erst einen Erdrutsch gegeben hat, der einige verborgene Schätze zum Vorschein gebracht hat, und ich weiß, dass der Krater das übersichtlichste und am einfachsten zu erreichende Ziel ist für jemanden, der es normalerweise nicht wagen würde, einen Fuß vor die Stadttore zu setzen. Man sollte mir hoch anrechnen, dass ich mich überhaupt so weit weg traue …

»Das ist natürlich wahr«, erwidert mein Dad nachdenklich und fährt sich mit den Fingern durch die Bartstoppeln am Kinn.

»Also«, sage ich entschieden, bevor er dazu kommt, das »Aber« auszusprechen, das ich förmlich auf seiner Zungenspitze sehen kann. »Ich gehe zum Wrack, sehe, ob ich was Nützliches finden kann, und wenn nicht, kann ich morgen den Flitzer nehmen und etwas weiter wegfahren.«

»Hm …«

Mein Dad klingt nicht sonderlich glücklich und ich ringe mir ein Lächeln ab, während ich ihm kurz den Oberarm tätschle.

»Ich bring dir auch was Hübsches mit, ja?«

Endlich wird seine Miene weicher und er nickt. »Ich hab dir was zu essen eingepackt.«

»Du bist der Beste.«

Mühsam verkneife ich mir das Bedürfnis, ihm um den Hals zu fallen. Es ist ein Tagestrip, der mir bevorsteht, und doch fühlt es sich an, als würde ich meinen Dad zurücklassen. Wie gerne wäre ich geblieben und hätte mir etwas anderes überlegt, um Geld reinzubringen, doch ein Blick auf seine Prothese und ich weiß, dass es keine Alternative gibt. Die Jahre, in denen ich mich hinter den Mauern versteckt habe, sind nun vorbei. Zeit, erwachsen zu werden, Lys.

Ich nehme einen tiefen Atemzug und nicke entschlossen, erfasst von einem kleinen Funken Motivation, der die bevorstehende Reise nicht ganz so unmöglich erscheinen lässt. Mein Dad scheint das zu bemerken und lächelt stolz.

»Pass auf dich auf«, sagt er noch, dann drehe ich mich auf dem Absatz um und beginne zu marschieren.

Unsere Stadt liegt in einem Kessel und ich zähle genau 2067 Schritte, bis ich den Gipfel eines der umliegenden Hügel erreicht habe und es endlich wage zurückzublicken.

Von hier oben wirkt die Siedlung weniger eng und heruntergekommen, als sie eigentlich ist. Die flachen weißen Steinbauten, die unsere Häuser darstellen und die teilweise wahllos aufeinandergestapelt wurden, scheinen im Licht der aufgehenden Sonne zu leuchten, sodass nichts von dem Schmutz auf den Fassaden zu erahnen ist. Jetzt, wo ich nicht mehr darin eingesperrt bin, wirkt die Mauer plötzlich weniger düster. Über zehn Meter ragt sie rundherum in die Höhe, gefertigt aus Beton und nach außen mit alten, rostigen Metallplatten verstärkt. Beide Tore, das große Haupttor, durch das ich die Stadt verlassen habe, sowie ein kleineres auf der anderen Seite des Orts, bestehen aus Stahl. Eine Festung mitten im Ödland.

Ein Schauer überkommt mich, als ich hinabblicke und realisiere, dass ich den kleinen Anflug von Motivation auf der Strecke hier herauf bereits zurückgelassen habe. Ich seufze und zwinge mich den Blick abzuwenden. Vor mir liegt nichts als verbrannte Erde. Der Staub, der den Boden bedeckt, ist hellgrau, Risse im Boden zeugen von den wenigen Regentropfen, die wir über das Jahr verteilt abbekommen. Außer ein paar halb verdorrte Büsche gibt es hier draußen nichts als die Überreste einer anderen Welt. Ausgeschlachtete und längst verrottete Autowracks, Flicken aus Asphalt und die Ruinen einzelner Gebäude säumen meinen Weg, der sich irgendwo im Horizont verliert. Der Himmel ist mit grauen Wolken bedeckt, die schon bald die Sonne verschlucken werden, und mir fällt es schwer zu sagen, wo er aufhört und die Erde beginnt.

Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus, als mir bewusst wird, dass es hier keine Mauern gibt. Die schiere Größe unserer Welt scheint mich beinahe zu erdrücken und ihr Anblick legt sich wie Blei auf meine Brust.

Erst als eine plötzliche Böe meinen Rücken erfasst und mir die Haare ins Gesicht peitscht, schaffe ich es, mich aus meiner Starre zu lösen. Ich habe vergessen, wie kalt die offene Ebene sein kann, und schlinge fröstelnd meine Leinenjacke enger um mich. Im Kopf gehe ich noch einmal alles durch. Rucksack auf dem Rücken. Leere Stofftasche über der Schulter. Wasser. Essen. Und das Gewicht der beiden Pistolen an meinem Gürtel. 2067 Schritte von hier bis zum Tor. Unzählige bis zu meinem Ziel.

»Es ist Zeit«, sage ich mir und endlich schaffe ich es, meine Beine zu bewegen.

Obwohl ich ausreichend Bewegung nie vernachlässigt habe und immer darum bemüht gewesen bin, am Abend mindestens eine Stunde durch die Stadt zu joggen, kann ich nicht leugnen, dass mich die Realität der Welt hier draußen sehr schnell einholt. Das Brennen beginnt in meinen Fußsohlen, die den trockenen, unebenen Untergrund nicht gewohnt sind, und zieht sich nach einer Weile durch meine Beinmuskulatur bis zu meinem Oberkörper hinauf. Nichts hilft gegen Seitenstechen, außer weiterzumachen, daher zwinge ich mich das Gefühl zu ignorieren.

Nach einer Stunde Laufweg, als die Schmerzen noch erträglich sind, höre ich auf, meine Schritte zu zählen.

Nach einer weiteren lege ich eine kurze Pause ein, um etwas zu trinken.

Drei Stunden. Mein Magen fängt trotz Frühstück an zu knurren, aber ich halte mich dazu an, mir mein Lunchpaket aufzuheben, bis ich an meinem Ziel angekommen bin.

Knappe vier Stunden und ich stehe endlich am Rand des Kraters. Meine Beine sind inzwischen taub geworden, wohingegen meine Füße nur noch aus Schmerz zu bestehen scheinen. Unter mir erstreckt sich kilometerweit das ehemalige Becken des Sees, das sich seit meinem letzten Besuch hier vor fast neun Jahren durch Wind und Wetter so sehr verändert hat, dass ich es kaum wiedererkenne. Die Erosion hat die Ränder des Kraters an manchen Stellen abbrechen lassen, sodass sich gewaltige Klippen gebildet haben. Wo ich stehe, führt eine lange Rampe aus Geröll auf den Grund, auf dem die Natur den Kadaver eines kleinen Passagierflugzeugs freigelegt hat.

Als ich mich auf den Weg dorthin mache und die letzten Meter meines Marschs hinter mich bringe, analysiere ich den Zustand des Wracks.

Ein Flügel fehlt, während vom anderen nur noch das Gerippe übrig ist. Schwarze Rußflecken über dem Triebwerk geben mir einen Hinweis auf die Absturzursache, der vermutlich in einer Zeit stattgefunden hat, als der See bereits ausgetrocknet war. Auf der weißen Außenhaut ist kaum Rost zu sehen, dafür aber die Überreste roter Farbe. Ein »Q« ist das Einzige, das ich von der Aufschrift noch erkennen kann. Verschüttet konnte das Flugzeug lange Zeit dem schleichenden Verfall entkommen und ist daher eine Goldgrube für mich und andere Schrottsammler – ich kann nur hoffen, dass ich nicht zu spät bin.

Ich nehme mir einige Minuten Zeit, um um das Wrack herumzugehen, mich zu vergewissern, dass ich alleine bin, und zu sichten, wo ich am ehesten die Teile herbekomme, die ich brauche. Dann beschließe ich jedoch, dass meine müden Beine und mein knurrender Magen zuerst eine Pause verdient haben.

Ich klettere über den an der Oberseite montierten Flügel auf den Rumpf, von dem aus ich einen guten Blick auf meine Umgebung habe. Das ständige Laufen hat meine Angst vor ungewollter Gesellschaft ein wenig in den Hintergrund rücken lassen, doch jetzt, da ich gezwungen bin eine Weile am selben Ort zu bleiben, wird die Gefahr wieder greifbar. Im Schneidersitz mache ich es mir bequem, lege eine Pistole in unmittelbarer Nähe neben mich, schließe kurz die Augen und lausche.

Der Wind, der auch hier im Krater immer präsent ist, lässt ein schauriges Heulen durch die Überreste des Flugzeugs hallen und beschert mir Gänsehaut auf den Armen – doch abgesehen davon herrscht in meiner Umgebung Totenstille. Das Tal ist seit Ewigkeiten verwaist, ausgeschlachtet von zahlreichen Schrottsammlern und inzwischen so verlassen, dass sich vermutlich nicht einmal ein Zombie auf Nahrungssuche hierher verirrt. Ein erleichternder Gedanke für mich, der mich allerdings doch nicht ganz zur Ruhe kommen lässt.

In meinem Rucksack greife ich nach meiner ersten Wasserflasche, die ich in wenigen Zügen austrinke, anschließend widme ich mich der Metallbox, die mein Vater mir eingepackt hat. In der Box haben wir früher Aufsätze für Schraubenzieher gesammelt – irgendwann habe ich sie jedoch geleert, gesäubert, neu lackiert und schließlich als Brotdose für die Ausflüge meines Vaters zweckentfremdet. Darin warten auf mich zwei Sandwiches mit Beef Jerky und eine Handvoll getrocknetes Obst.

Momentan meint es der Handel gut mit unserer Stadt, sodass uns eine halbwegs vernünftige Vielfalt an Lebensmitteln aus anderen Regionen erreicht, in denen Ackerbau und Viehzucht noch möglich sind. In schlechteren Zeiten ernähren wir uns wochenlang von einer undefinierbaren Lebensmittelpaste, die zwar alle wichtigen Nahrungsstoffe enthält, aber in etwa so gut schmeckt, als hätte man eine Ledertasche püriert und gesalzen. Beim herzhaften Geruch des Fleisches läuft mir das Wasser im Mund zusammen.

Ein letztes Mal wandert mein Blick über meine Umgebung, die nach wie vor vollkommen verlassen daliegt, dann wage ich es endlich, mich ein wenig zu entspannen, und widme mich meinem Lunch.

Eigentlich sollte mich Erleichterung durchströmen, als ich die letzten Hügel zur Stadt überquere, aber stattdessen fühle ich nichts als blanke Erschöpfung. Keine Zombies weit und breit, weder beim Flugzeugwrack noch auf dem Rückweg. Meine Jagd nach Elektronikbauteilen war erfolgreich, allerdings so erfolgreich, dass ich das Gefühl habe, mir bricht der Rücken durch. Das Gewicht der Tasche lastet schwer auf meinen Schultern und ich kann mir vorstellen, dass ich darunter einige Zentimeter geschrumpft bin. Schmerz zieht sich von meinem Nacken bis zu meinen Fußsohlen hinab, sodass selbst das Wissen, dass ich gut fünfhundert bis tausend Mäuse in Ersatzteilen mit mir herumschleppe, nicht wirklich hilft meine Laune zu heben. Elektronikbauteile sind selten und daher Gold wert.

Meine Schritte sind inzwischen so schwer geworden, dass sich jeder einzelne wie eine kleine Erschütterung durch meinen Körper zieht, und mir graut es, als ich die Hügel vor mir erblicke. Weil ich täglich meine Runden laufe, habe ich mich eigentlich für sehr fit gehalten, doch jetzt mit der Realität hier draußen und echten Bedingungen konfrontiert zu werden, ist nicht nur ernüchternd, sondern absolut demotivierend. Ich möchte nur noch ins Bett.

Mein Gang verlangsamt sich und ich bleibe stehen, als ich mich endlich bei meinen eigenen Gedanken erwische, und ich will mich innerlich ohrfeigen.

»Reiß dich zusammen, Lys«, erinnere ich mich laut, weil mich hier draußen sowieso niemand hören kann. Dad hat dich nicht zum Jammern erzogen. Ich gönne mir einen tiefen Atemzug, der in einem lauten Seufzer ausartet, dann durchbrechen plötzlich Schüsse die Stille.

Mein Herz setzt aus und ich spüre, wie sämtliches Blut aus meinem Kopf weicht. Eine Sekunde, bis mein Puls wieder einsetzt und Adrenalin durch meinen Körper gepumpt wird. Eine weitere und mein Kopf wird blank.

»Scheiße.«

Jemand Vernünftiges hätte die Tasche mit den Ersatzteilen zumindest in einem Busch versteckt und sich vorsichtig in Richtung der Schüsse bewegt – aber für Vernunft ist in meinem Kopf kein Platz mehr, da ist nur noch die Angst.

Ich höre kaum, wie die Stofftasche neben mir lautstark auf dem Boden landet, als ich meine Beine auch schon sämtlichen Schmerz vergessend zu einem Sprint antreibe. Müdigkeit, Erschöpfung, alles vergessen außer der Furcht. Die Schüsse kommen von hinter den Hügeln und nun mischen sich auch Schreie darunter, denen ich kopflos entgegenrenne.

Meine Umgebung zieht verschwommen an mir vorbei und ich bin so auf mein Ziel konzentriert, dass mir nicht einmal in den Sinn kommt, dass ich mich selbst in Gefahr befinden könnte. Meine Gedanken drehen sich um die Schreie, die Schüsse, meine Stadt, meinen Dad. Mein Dad.

Ich treibe meine Beine zu Höchstleistungen an, während der Lärm immer ohrenbetäubender wird. Schreie, Schüsse, dann ein Kreischen, so hoch und schrill, dass es kaum von einem Menschen sein kann. Zombies.

Atemlos erreiche ich die Kuppe des Hügels und erstarre, als ich sehe, was sich dahinter verbirgt: Die Stadt, in der ich aufgewachsen bin, wird angegriffen – nein, überrannt.

Es sind viele. So viele, dass ich sie nur als wabernde, schwarze Masse wahrnehme, die sich langsam durch das Tor, das eingedrückt in seinen Angeln hing, schiebt, als wäre es aus Plastik. Tausende müssen es sein, deren Grunzen und Schlurfen ich selbst aus der Entfernung noch so deutlich hören kann, dass es mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Die Schreie kommen aus der Stadt, wo vereinzelt Rauch aufsteigt. Fieberhaft versuchen sich die Menschen zu wehren, immer wieder durchbrechen Kugelsalven die Luft, doch sie sind so hoffnungslos in der Unterzahl, dass es mehr einem Akt der Verzweiflung gleichkommt als einem echten Widerstand.

Einige versuchen durch das andere, kleinere Tor auf der Rückseite zu fliehen, doch die Horde an Zombies legt sich wie eine Schlinge um die gesamte Mauer, sodass dieser Fluchtweg nur Augenblicke später abgeschnitten ist. Die wenigen Menschen, die es herausgeschafft haben, rennen um ihr Leben. Ein Teil von ihnen, die, die mehr Glück haben, nutzen ihre Fahrzeuge und lassen alles zurück, ohne sich noch einmal umzudrehen. Hoffnungslosigkeit liegt wie giftiger Dunst über der Stadt und ich stehe nur hier, tatenlos, gelähmt vor Angst und völlig verstört, während die Gedanken durch meinen Kopf rasen, dass ich keinen einzigen davon zu fassen kriege.

Ein Teil von mir, ein dummer, naiver, kindischer, aber auch ungeahnt mutiger Teil, will den Hügel hinunterrennen, die Waffe zücken und sich bis zu meinem Dad vorkämpfen, wo auch immer er gerade sein mag.

Ein anderer Teil, der vernünftige, ängstliche und feige Teil, will rennen, einfach nur rennen. Die Stadt, mein altes Leben und alles hinter sich lassen. Weinen. Vergessen und niemals hierher zurückkehren.

Doch obwohl beides eine Option wäre, stehe ich nur wie festgeschweißt auf dem Hügel und wünsche mir, das alles wäre nur ein furchtbarer, furchtbarer Albtraum.

Minuten verstreichen, während ich nur hilflos dabei zusehe, wie alles, was ich bisher gekannt habe, in Schutt und Asche zerlegt wird. Die Schüsse verebben zuerst, als die Zombies wie eine stinkende Welle weiter in die Stadt branden. Mein Unterbewusstsein meldet sich kurz zu Wort, informiert mich, dass ich hier oben völlig auf dem Präsentierteller sitze, doch als eine Explosion die Luft zerreißt, verstummt die warnende Stimme in meinem Kopf völlig.

Ich weiß nicht, ob es sich bei der Sprengung um ein Versehen handelt, einen Blindgänger im Eifer des Gefechts oder um einen letzten verzweifelten Versuch, so viele Zombies wie möglich mit in den Tod zu reißen. Klar ist nur, dass durch den lauten Knall in der Nähe des Zentrums eine Kettenreaktion ausgelöst wird, die einen Großteil der Stadt dem Erdboden gleichmacht. Eine riesige Säule aus Feuer, Staub und Asche steigt in die Luft, während Trümmerteile und menschliche Überreste als düsterer Regen im ganzen Tal niedergehen.

Erst jetzt spüre ich, wie Tränen in meinen Augen brennen.

»Dad«, höre ich meine eigene Stimme erstickt und vollkommen fremd. Ich sacke kraftlos auf die Knie, mein Gesicht vor Entsetzen in meinen Händen vergraben, als mir langsam, aber sicher bewusst wird, dass das, was hier passiert, kein Albtraum ist. Es ist die Realität und kein Albtraum wird je an diesen Schrecken heranreichen.

Zwischen meinen Fingern hindurch sehe ich die Welt nur noch verschwommen. Im Licht der Abenddämmerung färbt sich die Rauchsäule blutrot. Sie ist alles, was ich noch wahrnehme. Die letzten Schreie verhallen im Nichts und plötzlich ist die Welt still.

Dann schiebt sich ein Schatten in mein Sichtfeld.

Jemand packt mich grob am Oberarm und zieht mich auf die Füße. Meine Beine schlottern unter meinem eigenen Körpergewicht, doch selbst, wenn ich ein Wort des Protestes herausbringen könnte, würde es vermutlich nichts bringen. Der Griff um meinen Arm ist ungnädig und schmerzhaft und gibt mir doch genügend Halt, dass ich nicht sofort wieder auf meine Knie sacke. Ich nehme wahr, wie jemand auf mich einredet, doch die genauen Worte entgehen mir völlig.

Abwesend starre ich vor mich hin, sehe die Welt nach wie vor verschwommen. Rot. Orange. Schwarz.

Die Stimme wird lauter. Eindringlicher.

»… verschwinden«, höre ich heraus und nicke müde. Nicht weil ich dem zustimme, sondern weil es die einzige körperliche Reaktion ist, zu der ich überhaupt fähig bin. Ein Ruck geht durch meinen Körper und ich realisiere, dass ich und wer auch immer meinen Arm festhält, uns in Bewegung gesetzt haben. Weg von den Flammen. Weg von der Zerstörung. Weg von allem, was ich je gekannt habe.

Ich weiß nicht, wohin er mich bringt oder wie weit wir inzwischen von der Stadt entfernt sind, doch als wir zum Stehen kommen und die Welt um mich herum allmählich wieder in mein Bewusstsein vordringt, hat sich der Himmel bereits dunkelrot verfärbt. Die Ruine einer Tankstelle wirft im Licht der untergehenden Sonne einen schier endlosen Schatten auf die Ebene, die wenigen Wolken am Himmel leuchten orange, die Luft ist völlig still. Ich blinzle, als wäre ich aus einem Traum erwacht.

»Wenn man eine Waffe hat, sollte man fähig sein, sie zu benutzen. Du hast gleich zwei davon – was sagt uns das?«

Obwohl ich weiß, dass ich nicht alleine bin, lässt mich die plötzliche Klarheit der Stimme völlig zusammenfahren. Die Feststellung, dass jemand anderes neben mir steht und mich genau beobachtet, kommt spät. Ich drehe meinen Kopf in seine Richtung und mir stockt der Atem, als ich ihn wiedererkenne. Er trägt dieselbe Kleidung wie noch am Vortag, das Scharfschützengewehr auf seinem Rücken funkelt bedrohlich – eine seiner Pistolen hält er kampfbereit in der Hand.

»Alles okay?«

Mit schiefgelegtem Kopf steht der Kopfgeldjäger da und betrachtet mich mit einer Mischung aus Mitleid und Missfallen. Erst jetzt realisiere ich, dass er mir eine Frage gestellt hat.

»Ich