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Inhaltsverzeichnis

Ferien

Schloss Falkenlust

Die Truhe

Auf frischer Tat ertappt

Erste Funde

Als ob das eine Strafe wäre

Ermittlungen

Der Überfall

Tonis Geschichte

Der Brief

Neue Rätsel

Geocaching

Schatzsuche

Wir machen einen historischen Stadtrundgang

Gebäude erzählen Geschichte

Der Cache

Des Rätsels Lösung

Ende gut, alles gut

Ferien

„Schau mal, ist das nicht hübsch?“

Nicole reichte ihrer Cousine die kleine Holzstatue einer Frau, die sie gerade auf dem Tisch des Trödlers entdeckt hatte. Die Oberfläche war glänzend poliert und in das kleine Gesicht waren die Züge so fein geschnitzt, dass es richtig echt aussah.

An diesem Tag gab es einen großen Trödelmarkt in der Brühler Innenstadt und Nicoles Eltern wollten diese Chance für einen Familientag nutzen. Sie hatten Werbeschilder aus den 70er Jahren, alte Kleider und allerhand Ramsch gesehen, doch bis jetzt war noch nichts Interessantes dabei gewesen.

„Ja, ist ganz nett“, erwiderte Anna und stellte die Statue achtlos zurück auf den Tisch zu Gläsern aus Kristall und alten Schallplatten. Sie beugte sich hinab und begann in einem Karton zu wühlen. Es klirrte unheilvoll und dann zog sie ein schmales Glas heraus.

„Brühl hat ein eigenes Bier? Und ich dachte, so etwas gibt es nicht in diesem kleinen Kaff.“

Nicole verdrehte die Augen. Jedes Mal, wenn ihre Cousine in den Ferien zu Besuch kam, ging sie der Familie mit ihrem großstädtischen Getue auf die Nerven.

Anna wohnte im nur wenige Kilometer entfernten Köln, doch wenn man ihren Ausführungen Glauben schenkte, so war dies eine ganz andere Welt. Die Supermärkte waren größer, die Straßenbahnen fuhren öfter und das gesamte Freizeitangebot war ohnehin besser.

Leider fühlte sich Nicoles Vater jedes Mal aufs Neue herausgefordert. Er glaubte Anna beweisen zu müssen, dass es Brühl durchaus mit einer Millionenstadt wie Köln aufnehmen konnte. Auch jetzt machte er keine Ausnahme.

„Natürlich haben die Brühler ihr eigenes Bier“, sagte er und nahm Anna das längliche Glas mit der Aufschrift Brühler aus der Hand. „Es handelt sich dabei um Giesler Kölsch. Bis zum Jahr 2000 wurde es hier in Brühl gebraut. Dann wurde die Brauerei leider von der DOM Brauerei aufgekauft.“

„Brühler Bier ist Giesler Kölsch? Also gehört es ja doch zu Köln“, bemerkte Anna triumphierend. „Wir haben allerdings noch viel mehr Sorten. Reissdorf Kölsch, Früh Kölsch, Sion Kölsch...“

Nicole wandte sich ab. Gespräche über Bier waren nicht ihr Fall. Ihr Vater würde wieder ewig mit Anna diskutieren und keiner der beiden würde auch nur einen Millimeter von seinem Standpunkt abweichen.

Langsam schlenderte sie zum nächsten Stand. Hier wurden hauptsächlich altmodisch aussehende Möbel verkauft. Verschnörkelte Stühle, kleine Beistelltische und alte Truhen standen dicht nebeneinander vor einem kleinen Campingtisch mit einer riesigen Schließkassette darauf. Der Händler, ein Mann mit einem beachtlichen Bauchumfang in einem schreiend bunten Hawaiihemd, diskutierte gerade mit einer Frau in einem grauen Kostüm. Sein Gesicht glänzte rötlich und die schulterlangen, dunklen Haare waren im Nacken zu einem dünnen Zopf zusammengebunden. Um den Bauch hatte er ein neongrüne Gürteltasche geschnallt, die jedes Mal, wenn er sich vorbeugte, heftig wippte. Keiner der beiden beachtete Nicole.

„Und hast du schon etwas gefunden?“

Unbemerkt war ihre Cousine neben sie getreten und betrachtete neugierig die Auslage.

„Die Truhe ist ja toll“, sagte sie und deutete auf eine Truhe aus dunkelbraunem Holz. Sie war etwa so groß wie ein Schuhkarton und sah ziemlich schwer aus. Die Oberfläche war mit vielen Schnitzereien aufwendig verziert und auf dem Deckel war ein großes Wappen mit einer Krone abgebildet. „Wie viel soll der alte Kasten hier kosten?“, fragte sie den Händler, ohne auf die Frau im Kostüm zu achten. Diese warf ihr einen finsteren Blick zu, doch Anna ignorierte sie einfach. Nicole musste sich beherrschen nicht laut zu lachen.

„Diese antike Holztruhe aus dem neunzehnten Jahrhundert kostet neunundsechzig Euro“, sagte der Händler und musterte Anna abschätzend. „Betrachte nur diese kunstvolle Arbeit. Etwas in dieser Art wird heute nicht mehr hergestellt.“

Anna zog die Augenbrauen hoch und hob die Truhe über ihren Kopf.

„Das sieht für mich nicht antik sondern eher wurmstichig aus“, sagte sie und betrachtete den Boden. „Auf dem Kölner Antik Markt würden die sich hüten, etwas in dieser Art anzubieten.“

Sie stellte die Truhe wieder auf den Boden und keuchte leise. Scheinbar war sie doch schwerer als gedacht. „Also mehr als einen Zehner bezahle ich dafür nicht.“

„Zehn Euro?“ Der Händler rückte die Truhe wieder zurecht. „Das gute Stück ist mindestens Fünfzig wert.“

Mit offenem Mund beobachtete Nicole, wie Anna und der Händler knallhart verhandelten und sich schließlich auf zwanzig Euro einigten. Auch ihre Eltern hatten sich im Hintergrund gehalten und traten nun neben das Mädchen. Triumphierend strich sich Anna ihre langen blonden Haare zurück und zückte ihr Portemonnaie.

„Da hast du wirklich viel Verhandlungsgeschick bewiesen“, sagte Nicoles Mutter und legte ihrer Nichte den Arm um die Schulter. „Was haltet ihr davon, wenn wir uns jetzt ein Eis holen gehen?“

Nicole nickte begeistert.

„Und danach wollten Mami und ich noch Schloss Falkenlust besichtigen“, warf ihr Vater ein. „Wollt ihr nicht mitkommen? Es ist wirklich ein wunderschönes, kleines Jagdschloss.“

Nicole bemerkte, dass ihre Cousine sie anschaute und schnell schüttelte sie den Kopf. Mit ihren Eltern Schloss Falkenlust besichtigen würde sicher ziemlich langweilig werden.

„Wirklich gerne“, sagte Anna.

Nicole seufzte. Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als ebenfalls mitzugehen.

„Aber was mache ich mit meiner neuen Truhe?“

„Die kannst du solange hier lassen“, sagte der Händler eilig. „Ich bin noch bis neunzehn Uhr hier.“

Nicoles Vater schaute kurz auf seine Armbanduhr. „Das sollten wir eigentlich schaffen, so groß ist das Schloss ja nicht.“

„Aber nicht einfach weiterverkaufen“, bemerkte Anna und drohte ihm scherzhaft mit dem Finger.

„Natürlich nicht. Das verbietet unser Ehrenkodex“, sagte der Händler und griff in seine Gürteltasche. Schnell zog er eine kleine Karte daraus hervor. „Und solltest du bis neunzehn Uhr nicht wiederkommen, dann kannst du deine Truhe unter dieser Adresse abholen. Die Öffnungszeiten stehen auf der Rückseite.“

„Gut, dann wäre ja alles geklärt“, rief Nicoles Vater. „Also auf zur Eisdiele.“

Schloss Falkenlust

Der Weg durch den Schlosspark vorbei an dem barocken Schloss Augustusburg kam Nicole schier endlos vor. Immer wieder blieb ihr Vater an kunstvoll bepflanzten Blumenbeeten stehen und erzählte etwas über den Kurfürst Clemens August, der hier vor fast drei Jahrhunderten einige Wochen im Jahr residiert hatte. Sein Eis vergaß er dabei völlig, bis es ihm geschmolzen aus der Waffel über die Hand lief.

Zum Glück wurde zur Zeit die baufällige Terrasse des Schlosses renoviert, sonst hätte er vermutlich noch stundenlange Vorträge über die schönen Verzierungen am Treppengeländer gehalten.

Schließlich erreichten sie die Schlossallee, eine auf beiden Seiten von hohen Bäumen gesäumte Straße, die genau auf das Jagdschloss Falkenlust zuführte. Mit seinen hohen abgerundeten Fenstern, den vielen Verzierungen und hohen Säulen neben dem schmiedeeisernen Tor beeindruckte es Nicole immer wieder aufs Neue. Im Gegensatz zu Schloss Augustusburg, das durch seinen großzügig angelegten Bau sehr protzig wirkte, erinnerte sie Falkenlust eher an ein kleines Märchenschloss in einem verwunschenen, dichten Wald. An beiden Seiten des Haupthauses befanden sich zwei kleine Nebengebäude und in der ehemaligen Falknerei war inzwischen ein italienisches Restaurant untergebracht.

„Das ist Schloss Falkenlust“, sagte Nicoles Vater und deutete auf das weiß getünchte Gebäude, das am Ende der Straße zwischen den Bäumen lag.

„Es ist aber ziemlich klein“, bemerkte Anna. „Unter einem Schloss habe ich mir etwas Größeres vorgestellt. So wie Schloss Augustusburg. Das hier ist ja eher ein großes Herrenhaus.“

Nicoles Vater lachte gekünstelt. „Falkenlust ist ein Jagd- und Lustschloss. Kurfürst Clemens August liebte die Falkenjagd und empfing seine Jagdgäste hier. Auf dem Dach gibt es sogar eine Aussichtsplattform, von der aus man die Falkenjagd beobachten konnte. Auch wenn es von außen wie ein Herrenhaus aussieht, von innen ist es sehr beeindruckend. Es wird dir sicher gefallen.“

Nicole seufzte. Natürlich hatte ihr Vater Recht, das Schloss war beeindruckend. Doch wenn man bei jedem Verwandtenbesuch zu einer Besichtigung geschleppt wurde, hielt sich die Begeisterung irgendwann in Grenzen. Das Tollste waren dann bei einem Besuch nur noch die großen Filzpantoffeln, die man über seine eigenen Schuhe ziehen musste und mit denen man wunderbar über den glatten Boden rutschen konnte.

Missmutig kickte Nicole einen Kieselstein weg und folgte ihrem Vater, der zielstrebig auf ein Nebengebäude zusteuerte. Hier wurden die Eintrittskarten verkauft. Durch den Innenhof gelangte man dann ins Haupthaus. Doch schon kurz nachdem er das Gebäude betreten hatte, kam er wieder heraus, zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.

„Was ist denn los?“, fragte Nicole.

„Der letzte Einlass war um siebzehn Uhr“, erwiderte ihr Vater und schaute auf seine Armbanduhr. „Jetzt ist es genau fünf nach und der Mann an der Kasse will mir keine Karten mehr verkaufen.“

Nicole atmete erleichtert auf. „Da kann man wohl nichts machen. Der Mann will ja schließlich auch irgendwann Feierabend machen und wir sind einfach zu spät.“

„Ja, aber nur fünf Minuten. Da kann man doch wirklich eine Ausnahme machen“, sagte ihre Mutter.

„Ja, aber dann muss man das für jeden machen“, warf Nicole ein.

„Wir sind doch nun wirklich nicht jeder“, beschwerte sich ihr Vater. „Außerdem sind wir anspruchslose Besucher. Wir brauchen keine Führung und erklären muss man uns auch nichts. Das mache alles ich.“

„Also in Köln sind die Öffnungszeiten wesentlich länger“, bemerkte Anna. „Ich war letztens zum Beispiel noch um acht Uhr abends...“

„Aber wir sind jetzt nicht in Köln.“

Anna schloss den Mund und schwieg.

„Wir könnten die Muschelkapelle besichtigen, wenn wir schon einmal hier sind“, schlug Nicoles Mutter vor. „Die Kapelle kann man zwar nicht betreten, aber sie ist wunderschön dekoriert.“

Nicole nickte schnell, bevor ihr Vater noch auf die Idee kam, den Mann an der Kasse weiter zu nerven. „Das ist ein toller Vorschlag, Mami.“

Sie hakte sich bei ihrer Mutter unter und zog sie mit sich. Die Muschelkapelle befand sich nur wenige Meter weiter am Rand einer großen Wiese. Die Kapelle war ein kleines, achteckiges Gebäude mit einem dunklen Dach und hohen Fenstern. Die Fassade selbst war im Stil des Jagdschlosses gehalten.

„Durch das Fenster hier können wir ins Innere schauen. Komm Anna, es ist wirklich spannend.“

Anna verzog das Gesicht und folgte Nicoles Mutter nur widerstrebend. Nicole sah deutlich, dass ihr wieder ein Kommentar über die Kapellen in Köln auf der Zunge lag, doch dieses Mal hielt sich ihre Cousine zurück und schwieg.

Zusammen mit Nicoles Eltern presste sie ihr Gesicht vor die Scheibe und schaute ins Innere.

Langsam hellte sich ihr Gesicht wieder auf.

„Das ist ja fantastisch. Der ganze Raum ist mit Muscheln bedeckt.“

„Wie überraschend, wo diese Kapelle ja Muschelkapelle heißt“, murmelte Nicole leise. „Da hätte ich eher damit gerechnet, dass sie mit rot-blau-gestreiften Ziegeln bedeckt ist.“

Anna warf ihr einen giftigen Blick zu und drehte sich wieder zum Fenster. „Wie viele Muscheln das wohl sind?“

„Ich habe keine Ahnung“, gab Nicoles Vater zu. „Aber ich kann dir sagen, dass sie bereits um 1740 im Stil einer Eremitengrotte errichtet wurde. Im Inneren ist sogar eine kleine Sakristei.“

Anna zog die Stirn kraus. „Was ist denn eine Eremitengrotte? Davon habe ich ja noch nie etwas gehört.“

„Also, das ist...ärm...“

Nicole kniff die Lippen zusammen und drehte sich schnell um, damit ihre Eltern ihr breites Lächeln nicht sahen. Ihr Vater liebte es, vor Verwandten und Arbeitskollegen lange Vorträge über kulturelle Gegenstände zu halten, doch nun hatte Anna ihn erwischt. Offensichtlich hatte er keine Ahnung, wovon er gerade sprach.

Langsam schlenderte Nicole um die Kapelle herum an die Rückseite des Gebäudes. Eine dunkle Steinplatte ragte hier aus dem Boden. Nicole war sie vorher noch nie aufgefallen und neugierig trat sie näher. Der Stein war schon stark verwittert, aber sie konnte dennoch deutlich sehen, dass eine Aufschrift in die Oberfläche gehauen war.

„Du stehst auf einem Grab.“

Sofort sprang Nicole einen Schritt zurück und schaute zu Boden. Tatsächlich, mit kleinen Quadern war vor der Platte ein Bereich unterteilt und kennzeichnete so eindeutig eine Grabstelle. Sie war komplett mit Gras bedeckt und die Steine schauten nur an einigen Stellen unter den Halmen hervor.

„Keine Angst, das war nur Spaß. Ich habe genau gesehen, dass deine Schuhspitzen das Grab nicht berührt haben“, sagte Anna und trat neben sie. „Wer liegt denn hier?“

Ohne eine Antwort abzuwarten beugte sie sich herab, kniff die Augen zusammen und versuchte die altdeutsche Aufschrift zu entziffern.

„Friedrich Rudolf Sester, nein Siester heißt es wohl.“

„Um es genau zu sagen, heißt es Friedrich Rudolf Giesler.“ Unbemerkt war Nicoles Vater neben die Mädchen getreten. „Dies muss der Sohn des bekannten Unternehmers gewesen sein, der bereits im Jahr 1832 dieses Schloss kaufte. Bis 1860 war es im Besitz seiner Familie. Die Giesler Brauerei, von der wir eben gesprochen haben, wurde ebenfalls von ihm gekauft.“

„Das ist ja spannend“, bemerkte Anna und studierte weiter den Grabstein. „Aber wenn das Schloss nur bis 1860 im Besitz der Familie war, warum wurde Friedrich Giesler dann hier beerdigt? Er ist ja erst 1918 gestorben.“

Nicoles Vater zuckte mit den Schultern. „Vielleicht wurde er damit von der Stadt geehrt. Schließlich waren die Gieslers eine sehr bekannte Familie.“

„Guckt mal, dahinten sind noch mehr Grabsteine“, rief Anna und lief einige Meter weiter. „Mal sehen, wer hier noch begraben ist.“

Langsam schlenderte Nicole ihr hinterher. Die Grabsteine waren ihr früher nie aufgefallen und sie fand es ebenfalls interessant zu sehen, wer hier noch beerdigt war. Doch so begeistert wie Anna war sie nicht. Es waren doch nur alte Steinplatten mit eingravierten Namen.

„Hier liegen noch mehr Gieslers“, verkündete Anna lautstark. „Da ist ja auch Friedrich Gieslers Vater. Geboren 1793, gestorben 1870 – der ist aber ganz schön alt geworden für die damalige Zeit. Aber wenn er sich dieses Schloss leisten konnte, muss er ziemlich reich gewesen sein.“

„Um es genau zu sagen, war er sogar einer der reichsten Bürger von Brühl“, hob Nicoles Vater an. „Und obwohl er so reich war, hat er trotzdem Geld für die Armen gespendet.“

Anna nickte und schaute sehnsüchtig auf das große Gebäude.

„Es muss toll sein in einem Schloss aufzuwachsen. Ob es dort auch Geheimgänge gibt? Vielleicht hatte die Dame des Hauses einen Kleiderschrank mit einer falschen Rückwand, die zu einem Tunnel führte. Und durch den Tunnel konnte man heimlich in den Park gehen.“

Nicoles Vater lachte. „Du hast einfach zuviel Fantasie. Wahrscheinlich war das Leben auf dem Schloss einfach sterbend langweilig. Damals hatte man noch keinen Strom und Abends kein Licht und hier draußen war ja weit und breit nichts.“

„Aber dafür hatten die Menschen diesen märchenhaften Park“, schwärmte Anna. „Und wer weiß, vielleicht hat einer der früheren Bewohner hier einen Schatz versteckt. Früher war es doch ganz normal, sein Geld zuhause zu verstecken. Und hier gibt es mehr als genug Plätze.“

„Wir könnten ja auf Schatzsuche gehen, aber ich vermute, die Stadt mag es nicht sehr gerne, wenn wir in ihrem kulturellen Erbe buddeln“, bemerkte Nicoles Vater und warf einen Blick auf seine Uhr. „Und langsam sollten wir zurück zum Markt gehen, sonst überlegt es sich der Händler noch anders und verkauft deine Truhe.“

„Das soll er sich nur wagen“, rief Anna erbost und schüttelte die Fäuste. „Dann zeige ich ihm, was ich im Judounterricht gelernt habe.“

Diesmal konnte sich Nicole ein Lächeln nicht verkneifen. Judounterricht bedeutete bei Anna vermutlich, dass sie die meiste Zeit in der Ecke saß und mit ihren Freundinnen die neuste Mode diskutierte.

„Aber nicht, dass du noch Ärger mit der Polizei bekommst, wenn du einen erwachsenen Mann verhaust“, sagte Nicoles Mutter und lachte.

„Beim Judo verletzt man andere nicht, man wirft sie nur zu Boden.“ Anna warf ihre langen blonden Haare wie einen Umhang über ihre Schultern und stolzierte zur Allee. In gehörigem Abstand folgte Nicole Anna und ihren Eltern zurück in die Innenstadt.

Die Truhe

Als sie wieder in der Innenstadt ankamen, waren die meisten Händler dabei ihre Sachen zu verpacken.

„Also in Köln halten sich die Händler sehr genau an die Marktzeiten“, bemerkte Anna mit einem Seitenblick auf ihre Cousine. „Jetzt ist es gerade mal achtzehn Uhr dreißig und die meisten haben schon alles weggeräumt.“

Nicole zuckte mit den Schultern. „Bei uns auf dem Land ist so spät halt nichts mehr los.“

Anna nickte. „Ja, das wird es wohl sein. Ich hoffe nur, der Mann hat sich nicht mit meiner Truhe aus dem Staub gemacht. Die Kleinkriminalität in kleinen Städten darf man nicht unterschätzen.“

Nicole verdrehte die Augen. Doch ihre Cousine hatte sich umsonst Sorgen gemacht. Der Verkäufer in seinem Hawaiihemd stand immer noch an derselben Stelle und verhandelte mit einem dürren, blassen Mann in einem langen dunklen Mantel.

„Ich hätte hier eine große Auswahl an kostbaren Stühlen“, sagte der Verkäufer gerade, als sie näher kamen. „Oder wenn Sie etwas Extravaganteres suchen, dann kann ich Ihnen dieses Möbelstück hier empfehlen.“ Er deutete auf ein niedriges Sofa mit dunkelgrünen Polstern.

„Nein, ich interessiere mich, wie gesagt, nur für diese Truhe.“ Die Stimme des Mannes klang belegt, fast schon heiser. Nicole lief ein Schauer den Rücken hinunter. Sie wusste nicht warum, doch dieser Mann war ihr sofort unsympathisch und sie fürchtete sich ein bisschen.

„Aber die Truhe ist schon verkauft“, rief der Händler und stemmte die Arme in die Seiten. Sein Bauch erzitterte deutlich. „Das habe ich Ihnen schon drei Mal gesagt.“