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imagesBildnachweis

(Quellen, soweit nicht im Haupttext bereits angegeben)

Lisa-Christine Brüll: Abbildungen 3.19; 3.20; 3.22; 4.14; 4.16; 4.20

Martin Fischer: Abbildung 3.36

Ewa Hadel: Abbildung 5.1

Nicola Hagemann: Abbildung 4.7

Anja Ihme: Abbildung 1.2

Anne Kahlisch Markgraf: Abbildungen 1.1; 2.1–2.3; 3.1–3.5; 3.10–3.12; 3.14–3.17; 3.23–3.26; 3.28–3.32; 4.1–4.6; 4.8–4.13; 4.15; 4.17–4.19; 4.21; 4.23

Eva Kullmann: Abbildungen 3.8; 3.9; 3.13

Norbert Lorenz: Abbildung 3.34

Klaudia Tiemeshen: Abbildungen 3.18; 3.21

Petra Vollmers-Frevel: Abbildungen 1.3; 3.33; 3.37; 3.38

Reinhard Walter: Abbildungen 3.6; 3.7; 4.22

Onlinematerialien:

Anja Ihme: Fotos „Hund 1“; „Hund 3“ bis „Hund 8“

imagesVorwort

„Ein gut versorgter Demenzkranker ist ein glücklicher Mensch. Er lebt im Hier und Jetzt, er hat keine Angst vor Vergangenheit und Zukunft.“

(Prof. Dr. med. Hans Georg Nehen, 2019)

Dieses Zitat bringt es auf den Punkt, warum dieses Buch entstanden ist. Tiere sind von immer mehr Einrichtungen, welche an Demenz erkrankte Personen versorgen, akzeptiert und gewünscht. Für mich persönlich ist ein wirklich gut versorgter Bewohner, bei welchem Tiere in der Biografie eine wichtige Rolle spielen, erst richtig gut versorgt, wenn er auch in einer Vollzeitpflege noch Zugang zum Tier bekommt.

Das erfordert jedoch einige Planung, Grundlagenwissen und immer auch einen kritischen Blick auf das Wohl aller Beteiligten. Ganz anders, als es bei meinem Einstieg in die tiergestützte Intervention vor gut 20 Jahren noch war. Als Studentin erfüllte ich mir den Traum vom eigenen Hund. Timmi, ein etwa acht Jahre alter Cocker-Mischling, zog bei mir ein. Schnell merkte ich, dass er alte, rauchende Männer besonders anziehend fand. Ich nehme stark an, dass das mit seinem Leben vor der Zeit bei mir zu tun hatte. Und um nun als Ersthundehalter seinen Hund artgerecht zu halten, mussten alte Männer her. Aber woher nur, so als junge Studentin? Genau, ab in die Freiwilligenzentrale, das „Problem“ geschildert und eine Adresse von einem Seniorenheim direkt um die Ecke bekommen. Dort waren sie gleich begeistert von uns, wollten aber rein gar nichts sehen. In den Impfausweis wurde pro Forma hineingeschaut, wenn ich ihn doch schon einmal dabei hatte. Von den Krankheiten der Bewohner hatte ich keine Ahnung – wie auch, als Jurastudentin direkt nach dem Abitur. So kam es, dass ich oft überfordert war. Wenn ich als Tochter fehlinterpretiert wurde oder ich manchmal gemocht wurde, dann aber wieder auf Ablehnung stieß. Denn ich musste aus Gründen des Personalmangels meine Besuche relativ schnell alleine durchführen.

Meinem Timmi machte alles nichts, er hatte seine Senioren, die er über alles liebte und mir damit eine Menge für mein Leben mitgab. Natürlich sollte man es heute nicht mehr so machen! So zeigt mein Beispiel jedoch auch die oft nur gut gemeinte Naivität der Beteiligten, welche man auch heute noch in der Praxis antrifft. Bei mir folgte relativ schnell eine Professionalisierung im Bereich der tiergestützten Interventionen bis dahin, dass ich heute dabei bin, diese Zeilen für Sie zu schreiben.

Dieses Buch ist für alle gedacht, welche Tiere im Bereich der Alltagsgestaltung von an Demenz erkrankten Personen etablieren wollen. Aber auch für alle, welche es schon tun und ihre Arbeit reflektieren oder ausbauen möchten.

Zuerst bekommen Sie Theorie zum Thema Demenz. Ich werde Ihnen die für mich wichtigsten Konzepte mit Bezug zur tiergestützten Arbeit vorstellen. Dann folgt Theorie zum tiergestützten Bereich. Auf einzelne Tierarten und insbesondere die Anforderungen an deren Haltung sowie leicht umsetzbare Ideen für Ihren tiergestützten Alltag wird danach eingegangen. Bei den Ideen war es mir wichtig, dass die Tiere eher „Beiwerk“ sind und nicht instrumentalisiert werden. Vieles kennen Sie möglicherweise schon aus Ihrer täglichen Arbeit, haben es aber vielleicht noch gar nicht unter dem Gesichtspunkt der biografiebezogenen Arbeit mit Hinblick aufs Tier gesehen.

Ich möchte mit diesem Buch aus der Praxis eine kleine Einführung in diesen großen Bereich geben. Mehr ist nicht möglich. Es soll neugierig machen! Neugierig auf vertiefende (wissenschaftliche) Literatur, neugierig auf Weiterbildungen, neugierig darauf, auszuprobieren und zu schauen, welche tollen Momente Sie mit Ihren Tieren und Ihren Bewohnern erleben können. Zum Neugierigsein regen zudem kleine Praxisberichte mit Kontaktdaten von Trägern an, welche tiergestützt im Demenzbereich arbeiten. Alle freuen sich über Interesse an ihrer Arbeit – wenn also jemand bei Ihnen in der Nähe ist: Rufen Sie an und vereinbaren Sie ein Treffen!

Vielleicht werten Sie auch das ein oder andere Arbeitsmaterial aus diesem Buch aus. Im Verlauf meiner langjährigen Arbeit im Bereich der tiergestützten Interventionen sind viele Dokumente entstanden, welche Sie mit diesem Buch auch nutzen dürfen. Diese sind allgemein gehalten, passen Sie diese bitte immer unbedingt auf Ihre individuelle Situation und Ihre Tiere an. Es gibt in diesem Bereich mit dem Erscheinungsdatum des Buches noch keine allgemeingültigen Dokumente, nur Erfahrungen. Die bereitgestellten Dokumente sind als kleine Arbeitshilfe und Orientierung für Sie gedacht, das allerdings ohne Gewähr auf Vollständigkeit und Korrektheit. Haben Sie bitte auch immer kritisch neue Entwicklungen im Blick, diese können eine Buchveröffentlichung schnell einmal einholen.

Kurz noch einige Worte zu mir. Ich habe seit 2002 mit vielen Tieren Erfahrungen im Bereich der tiergestützten Interventionen sammeln dürfen. Mit meinen Hühnern oder den Meerschweinchen. Eines der ersten Meerschweinchen, „Alfi“, ein Notfall einer Kollegin, war etwas ganz Besonderes, das perfekte Therapiebegleitmeerschweinchen, absolut menschenbezogen. Mittlerweile lebt der vierte Hund bei mir. Über einen Therapiebegleithof durfte ich auch mehrere Jahre aktiv die Arbeit mit Pferden, Ponys, Kaninchen, Zwergschweinen und Katzen begleiten. Nach meinem Studium der Sozialpädagogik / Sozialarbeit (Jura war doch nicht so meins) war ich mit einer Unterbrechung von 2007–2019 im Bereich der Altenhilfe und Demenzberatung tätig, bevor ich mich 2019 beruflich auf den pädagogischen Bereich spezialisierte. Eine Weiterbildung zur tiergestützten Arbeit schloss ich 2007 ab. Seit 2009 bildete ich Besuchshundeteams, seit 2013 auch Therapiebegleithundeteams aus.

Kontaktdaten:

therapiehunde-brandenburg@gmx.de

therapiehunde-brandenburg.de

Facebook-Gruppe: Therapiebegleit-/Schul-/Besuchshund-Ideengruppe

Facebook-Seite: Therapiebegleithund BB&B

Zuletzt noch zwei Hinweise: Alle im Buch genannten Internetquellen wurden, soweit nicht anders angegeben, am 25.08.2019 letztmalig vor Veröffentlichung aufgerufen. Zur besseren Lesbarkeit wird daher im Folgenden bei Homepages auf ein Datum des Aufrufes verzichtet.

DANKESCHÖN

Dieses Buch wäre ohne die Unterstützung vieler fleißiger Helfer nicht möglich gewesen. Danke, dass Ihr kritisch über das Geschriebene geschaut habt und Euer Fachwissen zu den Tieren oder Fotos beigesteuert habt.

Liebe Lisa-Christine Brüll, Prof. Dr. Lehr, Ursula Lenz, Susann Junge, Ewa Hadel, Geschwister Tiemeshen, Eva Kullmann, Olga Weinert, Gabriele Binder, Anja Ihme und Svenja Becker,

lieber Matthias Rottler, Norbert Lorenz, Peter Bodenbach und Andreas Landgraf und alle Träger vom Kapitel 3, vielen Dank für Eure Unterstützung, ohne Euch wäre das Buch nicht so geworden, wie es ist!

Besonderer Dank gilt meiner Familie, die mich immer in meinen Projekten unterstützt hat, sowie meinen wunderbaren Tieren, die ich bisher begleiten durfte.

März 2020 Anne Kahlisch Markgraf

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imagesTheoretischer Input Demenz

Demenz als Begriff hat in den letzten Jahrzehnten durch das Engagement der Alzheimer-Gesellschaften, engagierter Angehöriger, Beratungsstellen und auch dank prominenter Betroffener, welche offen damit umgingen, sowie dank mehrerer Kinofilme begonnen, sich zu enttabuisieren. Dennoch ist die Unwissenheit in Sachen Demenz groß. Das fängt schon mit dem Krankheitsbild an. Demenz steht als Oberbegriff für degenerative Abbauprozesse im Gehirn. Das heißt, dass kognitive Leistungen schwächer werden und darüber hinaus, dass es zu Änderungen der Persönlichkeit, im Sozialverhalten und der Stimmung kommen kann. Alles zusammen führt dann im Verlauf der Krankheit zu Einschränkungen in der Alltagskompetenz. Normale tägliche Anforderungen wie etwa Einkaufen, Kochen, Planung des Tages, Autofahren, aber auch Anziehen, Essen, Körperpflege etc. fallen erst schwer und dauern länger, werden dann fehlerhaft ausgeführt und irgendwann gar nicht mehr selbständig bewältigt.

Wichtig ist es, zu wissen, dass es sich bei „Demenz“ um einen Oberbegriff für rund 50 verschiedene Krankheitsbilder handelt. Alle oben genannten Einschränkungen in der Alltagskompetenz können je nach Krankheitsbild im Verlauf anders ausgeprägt sein.

In Abb. 1.1 ist zu erkennen, dass die Alzheimer-Erkrankung inklusive der Mischformen mit weit über 70 % den größten Teil der Demenzformen darstellt. Daher bezieht sich dieses Buch in den folgenden Ausführungen ausschließlich auf die Alzheimer-Erkrankung.

Im Verlauf der Alzheimer-Erkrankung werden die Leistungen des Kurzzeitgedächtnisses des Erkrankten schleichend immer schlechter. Seine Alltagskompetenzen, Lern- sowie Reaktionsfähigkeiten werden immer geringer, dafür können Informationen des Langzeitgedächtnisses aber noch sehr lange und in einer teilweise sehr detailverliebten Präzision wiedergegeben werden. Die Erkrankung verläuft in drei Stadien – der leichtgradigen, mittelschweren und schweren Demenz. Eine Dauer dieser Phasen kann nicht angegeben werden, sie zieht sich über mehrere Jahre, oft Jahrzehnte. Bei jüngeren Betroffenen (vor dem Rentenalter) hat die Krankheit oft einen schnelleren Verlauf als bei Spätbetroffenen, wo der Verlauf meistens sehr schleichend und langsam erfolgt.

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Abb. 1.1: Häufigkeiten einzelner Demenzformen (Kurz et al. 2018)

In Kapitel 3 und Kapitel 4 werden Ihnen später leicht umsetzbare Einsatzideen für Tiergestützte Interventionen, untergliedert in die drei Demenzstadien, vorgestellt. Das Krankheitsbild der Alzheimer-Demenz kann im Rahmen dieses Buches lediglich angeschnitten werden, zur weiteren Vertiefung empfiehlt sich Fachliteratur sowie Fortbildungen.

images Literaturtipp

Kurz, A.; Freter, H.-J.; Saxl S.; Nickel, E. (2018): Demenz. Das Wichtigste. Kostenlos zu beziehen über: shop.deutsche-alzheimer.de/broschueren/

Bundesministerium für Gesundheit (2016): Ratgeber Demenz. Kostenlos zu beziehen über: bundesgesundheitsministerium.de/service/publikationen/pflege.html

Proske, M. (2018): Der Demenz Knigge.

Tab. 1.1: Die drei Stadien der Demenz.

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1.1 Betreuungskonzepte

Es gibt keinen roten Faden, keinen Ablaufplan für den Kontakt mit an Demenz erkrankten Personen. Jeder Verlauf ist anders, jeder Tag ist anders, wir müssen die Fähigkeit haben, flexibel auf die Tagesverfassung unserer Klienten zu reagieren.

Dennoch gibt es speziell für den Kontakt mit an Demenz erkrankten Personen viele professionelle Konzepte, welche sich in der täglichen Arbeit bewährt haben. Drei davon möchte ich nachfolgend kurz vorstellen, da diese insbesondere im Bezug zur tiergestützten Arbeit einen hohen praktischen Wert haben. Diese Aufzählung ist natürlich nicht abschließend, es gibt viele tolle erfolgreiche Ansätze zur Betreuung von an Demenz erkrankten Personen. Hier muss wie immer jeder seinen eigenen individuellen Weg finden, mit welchem Ansatz man arbeiten möchte. Die nachfolgenden Konzepte folgen dem personenzentrierten Ansatz. Denn dieser fordert Fachkräfte dazu auf, an Demenz erkrankte Menschen in ihrer eigenen Welt verstehen zu wollen. Damit wird von der Fachkraft ein Selbstverständnis hin zur Individualität und weg vom rein medizinischen Krankheitsbild gefordert(Offensive Gesund Pflegen 2015,16).

1.1.1 Biografieorientierte Arbeit

Dies ist die wichtigste Grundlage für die Arbeit mit an Demenz erkrankten Personen überhaupt! Das „Hier“ und „Jetzt“ geht langsam verloren, aber das „Damals“ wird damit zeitgleich immer präsenter.

DEFINITION

Biografieorientierte Arbeit ist eine strukturierte Aufarbeitung zentraler Lebensereignisse und Lebensthemen, Vorlieben und Abneigungen einer Person. Von der Kindheit an bis zum aktuellen Moment. Es geht um die individuelle Lebensgeschichte des Klienten. Mit Hilfe einer guten biografieorientierten Arbeit kann im Idealfall auch Verhalten, bei dem eine Linderung sinnvoll ist, erklärt und individuell darauf eingegangen werden, zu welchem man sonst keinen Zugang findet (z. B. Wandern, Aggressionen, Angst, Agitation, etc.). Da bei dem Krankheitsbild der Demenz oft Erlebnisse, Vorlieben etc. aus der Vergangenheit in der Gegenwart wieder aktuell werden, ist es sinnvoll, dass eine gute biografieorientierte Arbeit, welche auch regelmäßig erweitert wird, einen hohen Stellenwert in der Arbeit von Fachkräften erhält.

Etwas über die Biografie der Klienten zu wissen, ist die Ressource in der Arbeit mit an Demenz erkrankten Personen. So finden Sie leicht einen Zugang zu Ihrem Klienten, kommen schnell ins Gespräch und können in Ihrer Methodik direkt daran anknüpfen.

Auch wenn das Tier, mit dem Sie arbeiten, vielleicht gar nichts mit dem Tier zu tun hat, das bei Ihrem Klienten eine wichtige Rolle gespielt hatte, so verbindet die gemeinsame Tierliebe und ebnet eine Brücke für den weiteren Verlauf Ihrer Besuche.

EXKURS

Im Rahmen meiner Arbeit in der tiergestützten Intervention (nachfolgend TGI genannt) gab es viele tolle Momente, welche immer in Erinnerung bleiben: Die nette alte Dame, die meinen Hund Timmi immer sehr liebevoll und schnell gedankenverloren streichelte. Ich wusste, was dann folgte – sie erzählte voller Wärme aus ihrer Kindheit und Jugend. Ihre Eltern waren Bestatter gewesen, und dazu benötigte man damals noch Kutsche und Pferd. Ihre Familie hatte zwei stolze schwarze Pferde, welche liebevoll umhegt wurden. Dann kamen meistens Tränen der Erinnerung und Freude. Pferde waren generell oft ein Thema, auch an der Front, auch hier standen immer die Verbundenheit zum Tier und die Kraft, die es gegeben hatte, im Vordergrund. Hunde und ihre Haltung sind auch häufig ein Thema. Damals war es oft deutlich anders: Hunde waren an der Kette auf dem Hof, aber genauso hört man von den im Haus lebenden Hunden, welche teilweise sogar mit ins Bett durften. Einmal wurde mein mittelgroßer Border-Collie-Mischling, als er auf einem Stuhl neben einem sehr dementen alten Herrn saß, mit einem großen Kaninchen verwechselt und für schlachtreif befunden. Ja auch das passiert und es ist absolut nicht schlimm. Ich wusste damit, dass er zu dem Thema Kaninchen einen Bezug hatte und so schauten wir uns von da an regelmäßig Fotos von Kaninchen an. Ich betreute eine Dame, deren Hund aus der Kindheit Moritz hieß, ihr Vater hieß Max, hier kann man jedes Mal schön an Wilhelm Busch anknüpfen. Aber kurz noch einmal zurück zu der Dame vom Anfang: Natürlich ist es für sie jedes Mal einfach nur schön gewesen, über Timmi die Brücke zu den Pferden zu bekommen, aber am glücklichsten war sie , als ich eines Tages etwas Schweif mitbrachte.

Das ist biografieorientierte Arbeit!

Leider konnte ich damals im Rahmen des Besuchsdienstes keinen Kontakt zu einem Pferd herstellen, das wäre natürlich perfekt gewesen.

Biografieorientierte Arbeit setzt an das an, was im Gedächtnis ganz tief abgelegt ist. Sie ist mit Wertschätzung, Wärme und vor allem mit dem Ansatz: „Ich akzeptiere dich so wie du bist“ verbunden. Ein Zugang zum Klienten fällt hierüber leicht. Daher ist es wichtig, sich aktiv wichtige Punkte aus der Biografie zugänglich zu machen. Gerade hier ist ein Informationsdefizit oft ein hoher Belastungsfaktor für die Fachkräfte.

Ein wichtiger Punkt im Rahmen Biografiearbeit für die TGI stellt auch das Erfragen nach erlebter oder ausgeübter Tierquälerei dar. Kein schöner Punkt, aber im Sinne Ihrer Tiere sehr wichtig!

„Bei Klienten mit erlebter oder ausgeübter Tierquälerei sollte der Experte abwägen, ob wirklich eine TGI die bestmögliche Intervention für diesen Klienten darstellt und ob er diese sicher für seine eingesetzten Tiere gestalten kann.“ (Beetz et al. 2018, 102)

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TIPP

Unter Download 1 finden Sie einen Beispiel-Biografiebogen für die tiergestützte Arbeit. Dieser kann vor dem ersten Kontakt von einer Person, welche Ihren Klienten gut kennt, ausgefüllt werden. Einen richtig schön ausführlichen und preiswerten Biografiebogen, das „Album des Lebens“, hat Beate Böser entwickelt, er ist im Eigenvertrieb unter https://www.boeserclan.de/die-infos/ erhältlich.

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Abb. 1.2: Die im Download 14 bereitgestellten Bilder, wie hier vom altdeutschen Schäferhund Bary, eignen sich sehr gut für die biografieorientierte Arbeit. Die Abbildungen sind sowohl farbig sowie, früher eher üblich, auch in Schwarz-Weiß hinterlegt.

1.1.2 Validation

DEFINITION

Bei der Validation geht es um eine wertschätzende, akzeptierende und bestärkende Grundhaltung dem an Demenz erkrankten Menschen gegenüber. Über spezielle Kommunikation wird dem Gegenüber mitgeteilt, dass man dessen aktuelle Bedürfnisse erkannt hat und sich darauf einlässt.

Insbesondere in belastenden Situationen kann man durch das Spiegeln der Gefühle Druck abbauen, Selbstwert aufbauen und der betroffenen Person aus der schwierigen emotionalen Lage zu einer positiven Grundstimmung verhelfen. Die Welt des Erkrankten wird dabei nicht mit unserer Realität konfrontiert, es wird aber auch nicht gelogen, da man rein auf der emotionalen Ebene arbeitet.

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BEISPIEL

Zum besseren Verständnis ein stark gekürztes Beispiel: Ich war gerade zufällig mit meiner Hündin draußen in unserer Einrichtung unterwegs, als ich eine Ehrenamtliche mit einer Bewohnerin wahrnahm. Die Ehrenamtliche schien ziemlich verzweifelt, da die Bewohnerin unbedingt zum Tor wollte und sich nicht davon abbringen ließ. Ich begrüßte die beiden, fragte, ob ich sie ein Stück begleiten dürfte, nahm die Bewohnerin in den Arm und lief erst einmal weiter mit ihr in Richtung Tor. Ich bekam heraus, dass sie nach Hause wollte und sprach sie darauf an, dass sie bestimmt immer für den Haushalt und alles was so anfällt zuständig ist (das war auch nicht gelogen, da sie einen klassischen Haushalt auch bei uns in der Wohngemeinschaft vorfindet). Damit hatte ich einen Zugang zur emotionalen Ebene geschaffen und sagte ihr, dass sie bestimmt immer sehr zuverlässig, zielstrebig mit viel Sorgfalt alles erledigt, was anfällt. Das bejahte sie lächelnd. Jetzt versuchte ich, in der Kommunikation die Wende herbeizuführen, indem ich auf meinen Hund kam. Ich bin ja gerade draußen, weil er Bewegung benötigt und ich als guter Hundehalter diese natürlich bieten muss (Zuverlässigkeit, das aktuelle Thema der Dame). Ich fragte sie nett, ob sie vielleicht Lust und etwas Zeit hätte, mich ein Stück zu begleiten, sie bejahte es. Damit waren nun der Hund und meine gute Betreuung im Fokus des Gesprächs und wir konnten vor dem Tor abbiegen, um in einem großen Bogen wieder zurück in die Wohngruppe der Dame zu gehen. Reine Tatsachen hätten hier nicht geholfen und auch ein Am-Arm-nehmen und der Versuch, sie offensiv zurückzuleiten, hätten hier im schlimmsten Fall Aggressionen ausgelöst. Denn die Dame musste ja aus ihrer Sicht nach Hause. Über die Validation, den emotionalen Antrieb (Zuverlässigkeit), kam die Dame aber doch wieder in der Wohngruppe an, ohne jeglichen Druck, aber mit dem guten Gefühl, mir geholfen zu haben.

Validation wirkt, da sie nicht rational abläuft. Im Verlauf der Demenz kann das erkrankte Gehirn sich nur noch auf eine Sache konzentrieren. Indem wir also den Fokus weg von der druckauslösenden emotionalen Verfassung hin zu einer angenehmen Emotion leiten, hat das Gehirn die vorherige Emotion schon wieder vergessen. Wie lange, das ist ein anderer Punkt. Aber wir können im Moment der Anspannung aktiv Linderung verschaffen. Das geht umso effektiver, je besser das biografische Hintergrundwissen ist, über Schulungen, ein kleines Repertoire an Floskeln sowie Sicherheit für die Anwendung. Validation benötigt Übung und Mut, sich zu trauen – dann ist es eine wundervolle Methodik, um Zugang zu den Klienten finden. Es haben sich zwei Richtungen der Validation entwickelt: Die ursprünglich aus Amerika stammende Methodik der Validation nach Naomi Feil sowie die in Deutschland abgewandelte Variante der integrativen Validation nach Nicole Richard. Welche man nun nutzen möchte, ist eine individuelle Entscheidung, beide sind sehr gut!

1.1.3 Basale Stimulation

Basale Stimulation ist ein typisches Konzept für die Pflege, jedoch mit vielen Elementen, welche auch für die TGI sinnvoll sind.

In der Basalen Stimulation geht es um die „Kontaktaufnahme und Förderung für Menschen mit Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Kommunikationsstörungen. “[…] Die Basale Stimulation beinhaltet die gezielte Anregung aller Sinne: Spüren, Riechen, Schmecken, Sehen, Hören, Gleichgewichtssinn, usw.“ (Offensive Gesund Pflegen 2015, S. 27).

Allein durch das anwesende Tier entstehen Geräusche (Hören). Durch Fell, Futter oder Köperausscheidungen in Gehegen sind Gerüche vorhanden. Natürlich spürt man das Tier beim Anfassen und man sieht es. Gibt es Obst oder Gemüse als Futter, kann auch mal vom Menschen gekostet werden, und der Gleichgewichtssinn wird quasi auch immer mit geschult – egal ob jemand sitzend oder stehend in Interaktion mit dem Tier tritt. Basale Stimulation bekommen wir in der TGI also eigentlich immer mit dazu. Natürlich ist es schön, hier im Rahmen des Settings noch einmal gezielt einen Fokus darauf zu legen.

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BEISPIEL

Um Ihnen diesen Fokus etwas näher zu bringen, ein Beispiel von der Ponywiese (es kann aber auch jedes andere weidende oder nagende Tier sein): Wir sitzen am Rand der Weide und schauen einfach den entspannt grasenden Ponys zu. Zusätzliche Aufgaben an den Klienten könnten sein: „Schließen Sie die Augen, können Sie das Kauen der Ponys hören?“ Je nachdem, wie der Wind steht: „Riechen Sie die Pferde(äpfel)?“ Wenn die Ponys rennen: „Merken Sie, wie der Boden vibriert?“

Der Klient bekommt etwas Heu in die Hand und kann es erfühlen, riechen, horchen, wie es raschelt. Ein Wiehern kann kommentiert werden – klang es glücklich oder ängstlich? Ein Ausschnauben, wurde es gehört? Vielleicht auch ein Pupsen. Wie fühlt sich das abgenommene Halfter des Ponys an, ist es weich und angenehm? Welche Farbe hat es und aus welchem Material ist es gefertigt? Wie sehen die Ponys überhaupt aus? Welche Unterschiede können gefunden werden? Sie sehen, neben dem Füttern und Streicheln ist so vieles mehr möglich – und alles mit Bezug zur basalen Stimulation, ohne viel Aufwand! Können Sie auf keine Weide zurückgreifen, bringen Sie das Material zu den Klienten (s. Kapitel 4.5).

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Abb. 1.3: Eine Pferdewiese lädt zum Beobachten ein.

1.2 Kommunikation

Der richtige Umgang und die Art der Kommunikation sind bei an Demenz erkrankten Menschen der Schlüssel zum Zugang in deren individuelle Welten. In Kapitel 1.1 wurden dazu bereits einige Methoden kurz angeschnitten. Für das Krankheitsbild der Alzheimer-Demenz gibt es nicht „den einen Weg“, der immer funktioniert, dennoch gibt es einige Hilfestellungen, welche es erleichtern, in Kontakt zu treten und zu bleiben. Auch im Rahmen der tiergestützten Interventionen sollten die nachfolgenden Empfehlungen berücksichtigt werden.

images Unter shop.deutsche-alzheimer.de/broschueren/ kann man sich das Plakat „11 Tipps zur besseren Verständigung mit Menschen mit Demenz“ downloaden oder als Printversion kostenlos bestellen. Es fasst die Grundregeln zur Kommunikation bei Menschen mit Demenz sehr anschaulich zusammen.

1.2.1 Kontaktaufnahme erfolgt immer von vorne