Vorwort

Die Idee zu diesem Buch entstand im März 2018, zeitgleich mit der Taufe des sogenannten »Heimatministeriums«. So lautete neuerdings die Kurzbezeichnung des einstigen Innenministeriums, das im Zuge der neuen Regierungsbildung in »Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat« umbenannt worden war. Dass an die Spitze dieser neuen Institution ein Politiker berufen wurde, der sich zuallererst für mehr Abschiebungen, eine restriktivere Migrationspolitik und gegen »den Islam« als Teil der deutschen Gesellschaft aussprach, ließ die politischen Beweggründe hinter dieser Umbenennung erkennen.

»Heimat« hat in Deutschland nie einen realen Ort, sondern schon immer die Sehnsucht nach einem bestimmten Ideal beschrieben: einer homogenen, christlichen weißen Gesellschaft, in der Männer das Sagen haben, Frauen sich vor allem ums Kinderkriegen kümmern und andere Lebensrealitäten schlicht nicht vorkommen. In den vergangenen Jahrzehnten diente das Wort Rechtspopulist_innen und -extremist_innen als Kampfbegriff, um all jenen Menschen, die diesem Ideal nicht entsprachen, ihre Existenzberechtigung abzusprechen. So bezeichnet sich die rechtsextreme NPD als »soziale Heimatpartei«. Und alle drei Mitglieder des NSU-Kerntrios gehörten einer militanten Neonazi-Organisation an, die sich »Thüringer Heimatschutz« nannte, bevor sie durchs Land zogen, um (mindestens) neun Migranten und eine Polizistin zu ermorden. »Heimat« ist auch ein integraler Teil der faschistischen NS-Ideologie und somit kaum ohne Zusammenhang zur Shoah denkbar. Und nun wird ein Ministerium danach benannt. Das Wort wird somit normalisiert. Ohne Diskussion. Ohne jegliche Begründung. Einfach so.

Nicht umsonst ist diese »Heimat« ein Albtraum vor allem für marginalisierte Gruppen, aber nicht nur. Deshalb sind zwei Worte im Buchtitel »Eure Heimat ist unser Albtraum« im selben Lila gefärbt wie der Hintergrund: Denn nicht die Herausgeber_innen und Autor_innen dieses Buchs entscheiden, wo das »Wir« endet und das »Ihr« beginnt. Sondern jede_r Leser_in bestimmt für sich selbst: Will ich in einer Gesellschaft leben, die sich an völkischen Idealen sowie rassistischen, antisemitischen, sexistischen, heteronormativen und transfeindlichen Strukturen orientiert? Oder möchte ich Teil einer Gesellschaft sein, in der jedes Individuum, ob Schwarz und / oder jüdisch und / oder muslimisch und / oder Frau und / oder queer und / oder nicht-binär und / oder arm und / oder mit Behinderung gleichberechtigt ist?

Keine Angst, dieses Buch wird sich nicht mit einem von alten weißen Männern geleiteten Ministerium beschäftigen. Stattdessen haben wir 12 herausragende deutschsprachige Autor_innen gebeten, mit uns gemeinsam über oft übersehene, aber sehr existenzielle Aspekte marginalisierter Lebensrealitäten in Deutschland zu schreiben. Herausgekommen sind dabei mal witzige, mal bedrückende, vor allem aber kluge und sehr ehrliche Texte, die hilfreich sein können bei der Frage: Wie halte ich es mit dieser »Heimat«?

Einige Anmerkungen zur Sprache im Buch sind uns wichtig:

Wir verzichten auf das generische Maskulinum (die Leser) und gendern mit dem sogenannten Gap, einer mit Unterstrich gefüllten Lücke (die Leser_innen). Diese Schreibweise bezieht nicht-binäre Personen ein und entzieht sich damit dem hegemonialen Zweigeschlechtersystem.

Außerdem schreiben wir Schwarz als politische Selbstbezeichnung Schwarzer Menschen groß, die soziale Positionierung weiß hingegen klein. Mit Bezug auf Noah Sow, Autorin von Deutschland Schwarz Weiß1, weisen wir darauf hin, dass es sich bei diesen beiden Begriffen weder um Farben noch um »Biologisches« handelt, sondern um politische Realitäten, und dass es leider nicht möglich ist, Rassismus zu überwinden, ohne seine Konstrukte »Schwarze« und »Weiße« zu benennen.

Die aus den USA stammende Formulierung People of Color – im Singular Person of Color, oder kurz: PoC – markiert den gemeinsamen Erfahrungshorizont von Menschen, die nicht weiß sind, in einer weißen Mehrheitsgesellschaft. Es handelt sich hierbei um eine politische Selbstbezeichnung. Beim »Color« geht es weder (ausschließlich) um Hautfarbe, noch kann der kolonialrassistische Begriff »farbig« als Synonym verwendet werden.

Schließlich wollen wir all jenen danken, ohne deren Engagement, Wissen und Inspiration dieses Buch nicht hätte entstehen können. Allen Autor_innen, deren Namen in diesem Buch an verschiedenen Stellen auftauchen, aber auch den unzähligen nicht namentlich genannten Akademiker_innen, Aktivist_innen, Care-Arbeiter_innen, Denker_innen, Künstler_innen, die seit Generationen für eine gleichberechtigte Gesellschaft kämpfen und denen wir es zu verdanken haben, dass wir 2019 diesen Essayband veröffentlichen können.

Fatma Aydemir & Hengameh Yaghoobifarah,

Berlin im Januar 2019

Anmerkung zum Kapitel

1. Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß, BoD 2018.