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Heinrich Mann

Die kleine Stadt

Roman

Heinrich Mann

Die kleine Stadt

Roman

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021
EV: Insel-Verlag, Leipzig, 1909
1. Auflage, ISBN 978-3-962818-51-7

null-papier.de/714

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

An­mer­kun­gen zur Be­ar­bei­tung

I.

II.

III.

IV.

V.

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

Anmerkungen zur Bearbeitung

Schreib­wei­se und In­ter­punk­ti­on des Ori­gi­nal­tex­tes wur­den über­nom­men; of­fen­sicht­li­che Druck­feh­ler wur­den kor­ri­giert.

Die Or­tho­gra­fie wur­de der heu­ti­gen Schreib­wei­se be­hut­sam an­ge­gli­chen.

Grund­la­ge die­ser Ver­öf­fent­li­chung sind fol­gen­de Aus­ga­ben:

I.

Der Ad­vo­kat Be­lot­ti trat schwän­zelnd an den Tisch vor dem Café »Zum Fort­schritt«, wisch­te mit dem Ta­schen­tuch um sei­nen kur­z­en Hals und sag­te er­stickt:

»Die Post hat wie­der Ver­spä­tung.«

»Ja­wohl«, mach­ten Apo­the­ker und Ge­mein­dese­kre­tär; und da nichts Tat­säch­li­ches mehr zu sa­gen blieb, schwie­gen sie.

Der Rei­sen­de warf hin:

»Ihr wird doch nichts zu­ge­sto­ßen sein?«

Die an­de­ren stie­ßen un­wil­lig den Atem aus. Der Leut­nant der Ca­ra­bi­nie­ri leg­te mit Nach­sicht, weil es sich um einen Frem­den han­del­te, die große Si­cher­heit der Stra­ßen dar. Zwei sei­ner Leu­te be­glei­te­ten stets zu Pfer­de die Post, und nur ein­mal hat­ten sie ein­zu­grei­fen ge­habt. Da­mals woll­te ein Bau­er sei­nen Platz nicht be­zah­len und zog ge­gen den Kut­scher das Mes­ser.

»Sol­che Leu­te ha­ben we­nig Er­zie­hung«, er­klär­te der Leut­nant.

»Ein lang­wei­li­ges Hand­werk, das eure«, rief der Apo­the­ker Ac­qui­sta­pace mit sei­ner bra­ven Stim­me.

»Be­trun­ke­ne aus dem Gra­ben zie­hen und eine ent­lau­fe­ne Kuh zu­rück­scheu­chen. Als wir da­bei wa­ren, ging’s an­ders zu. Wie, Ge­vat­ter Achil­le?«

Der Wirt rief von drin­nen: »Zu­ge­gen.«

Er stampf­te her­aus, stütz­te die Last sei­nes Bau­ches auf eine Stuhl­leh­ne und war­te­te mit of­fe­nem Mun­de, worin die Zun­ge um­her­roll­te.

»Wie, mein Al­ter?« und der Apo­the­ker klopf­te ihn auf den Bauch, »vor un­se­ren Fü­ßen ist man­che Gra­na­te ge­platzt. In Bez­zec­ca war’s, als gleich bei uns bei­den der Ge­ne­ral Ga­ri­bal­di sel­ber stand. Die Gra­na­te platzt, wir sprin­gen zu­rück, ver­steht sich; der Ge­ne­ral aber rührt sich nicht; er sieht in den Dampf, als ob er sinnt. ›Kei­ne Furcht, Freun­de‹, sagt er zu uns, und, Achil­le, wir hat­ten kei­ne mehr.«

»Das ist die rei­ne Wahr­heit«, sag­te der Wirt; und mit Wucht: »Der Ge­ne­ral war ein Löwe.«

»Er war ein Löwe«, wie­der­hol­te der an­de­re Alte, fuhr mit der Hand durch sei­nen rie­sen­haf­ten Schnauz­bart und sah alle von oben an. Plötz­lich mach­te er sich klein und tat eine Ge­bär­de, als strei­chel­te er ein Kind.

»Aber auch ein En­gel war er: ja, un­wis­send in man­chem, wie ein En­gel. Man­ches ge­sch­ah, wie, Ge­vat­ter? was er nie er­fah­ren hat. Alle wuss­ten, dass je­ner Nino ein Weib war, nur der Ge­ne­ral nicht.«

Der Ad­vo­kat Be­lot­ti frag­te: »War er ei­gent­lich ein schö­nes Weib, je­ner Nino?«

Der Apo­the­ker zisch­te lei­se. »Sol­che Frau­en gibt es nicht mehr! Und als ihr Ge­lieb­ter ge­fal­len war, da kam’s her­aus, dass sie eine war. Aber sie ver­ließ uns dar­um nicht. Hat­te sie nun ihn nicht mehr, um des­sent­wil­len sie mit­ge­zo­gen war, hat­te sie doch uns alle. Und uns alle hat sie ge­liebt!«

Sei­ne brau­nen Hun­deau­gen ju­bel­ten in der Erin­ne­rung. Der Wirt lach­te laut­los, dass sein Bauch den Stuhl um­her­warf. Sein Sohn, der schö­ne Alfò, war her­zu­ge­tre­ten, der jun­ge Sa­vez­zo mit frisch ge­brann­ten Lo­cken vom Bar­bier her über den Platz ge­kom­men; – und alle, alle hat­ten, wie der Alte en­de­te, ein nei­di­sches Ge­sicht.

Gleich dar­auf er­in­ner­ten sie sich, dass die Ge­schich­te sehr alt war und dass sie alle, so­gar der Rei­sen­de, sie kann­ten, wie sie die Hüh­ner­lu­cia kann­ten. Ihre Stun­de war da: schon klap­per­ten ihre Holz­schu­he in der Gas­se ne­ben dem Café. Mit ih­rem Ge­ga­cker, das lau­ter war als das der Hen­nen, mit ih­rer Nase, die schär­fer war als die Hüh­ner­schnä­bel, flü­gel­schla­gend mit ih­ren lan­gen Ar­men, scheuch­te sie das Fe­der­vieh zum Brun­nen und ließ es aus der Pfüt­ze trin­ken. Die Kin­der kreisch­ten um sie her, stie­ßen sie, zupf­ten an ihr und spran­gen vor Lust, wenn die Alte in ih­ren bun­ten Lap­pen wie ein großes ma­ge­res Huhn kopf­los kreuz und quer flat­ter­te. Rings­um gin­gen Fens­ter­lä­den auf; an der Ecke schräg vor dem Café dräng­ten über den Ar­ka­den des Rat­hau­ses drei Be­am­te sich in eins der al­ten Pfei­ler­fens­ter; die di­cke Mama Pa­ra­di­si sah aus ih­rem Hau­se her­ab; da­hin­ten im Cor­so so­gar streck­te Rina, die klei­ne Magd des Ta­bak­händ­lers, den Kopf her­aus, und dem Ad­vo­ka­ten Be­lot­ti schi­en es, dass sie ein neu­es Hals­tuch tra­ge. Er über­leg­te nicht ohne Un­ru­he, wer ihr nun das wie­der ge­schenkt ha­ben kön­ne. In­zwi­schen schloss die Klei­ne ihr Fens­ter, Mama Pa­ra­di­si das ihre; die Hüh­ner­lu­cia und all ihr Lärm wa­ren bis mor­gen da­hin in die Gas­se; und der Platz schlief wei­ter in sei­ner wei­ßen Son­ne, wink­lig be­leckt von den Schat­ten. Der des Palaz­zo Tor­ro­ni, am Ein­gang des Cor­so, lief spitz hin­über zum Dom, und vor der buck­li­gen Kir­chen­front mal­ten die bei­den säu­len­tra­gen­den Lö­wen ihr schwar­zes Ab­bild aufs Pflas­ter. Wild­ge­zackt sprang der Schat­ten des Glock­en­tur­mes bis an den Brun­nen vor. Ne­ben dem Turm aber wich das Dun­kel zu­rück, tief in den Win­kel, worin man das Haus des Kauf­man­nes Man­ca­fe­de wuss­te. Kaum dass die Um­ris­se sei­ner Fens­ter zu er­ken­nen wa­ren; – hin­ter ei­nem stand aber si­cher auch jetzt, wie sie im­mer dort stand, die Un­sicht­ba­re, das Rät­sel der Stadt: Evan­ge­li­na Man­ca­fe­de, die nie­mals aus­ging und den­noch al­les wuss­te, was ge­sch­ah, es frü­her als alle wuss­te. In der Stadt tat je­der, was er tat, un­ter den Au­gen der Un­sicht­ba­ren. Durch alle Häu­ser am Plat­ze schi­en sie, aus ih­rem Schat­ten­win­kel her­vor, hin­durch­se­hen zu kön­nen: nur eins ver­deck­te ihr der Turm, den Palaz­zo Tor­ro­ni. Auch hieß es, dass sie von dort nichts wis­sen woll­te, dass ihr Va­ter und ihre Magd – denn sonst er­blick­te nie­mand sie – den Na­men des Barons vor ihr nicht nen­nen durf­ten, seit er, den sie ge­liebt hat­te, die an­de­re ge­hei­ra­tet hat­te. Seit­dem ging sie nicht mehr aus! Sie war da­mals vier­und­zwan­zig ge­we­sen und war jetzt drei­und­drei­ßig.

»Eine schö­ne Frau«, wis­per­te der Ad­vo­kat dem Rei­sen­den ins Ohr. »Vom Still­sit­zen soll sie ju­no­ni­sche For­men be­kom­men ha­ben.«

Sei­ne Hän­de, die die­se For­men nach­bil­den woll­ten, ließ er rasch wie­der sin­ken, denn zwei­fel­los sah sie ihn. Der Rei­sen­de frag­te:

»Ist sie, seit ich zu­letzt hier war, noch im­mer nicht aus­ge­gan­gen?«

»Was den­ken Sie!«

Alle be­ka­men ge­kränk­te Mie­nen.

»Sie ver­spricht es, so­oft der Alte es will, dann lässt er ihr schö­ne Klei­der kom­men, so­gar von Rom her, denn schließ­lich ist sie das reichs­te Mäd­chen hier und hät­te hun­dert­tau­send Lire mit­be­kom­men; lädt ihre ehe­ma­li­gen Freun­din­nen ein, be­stellt den Wa­gen zur Aus­fahrt … Die Stun­de ist da, der Wa­gen mit den Freun­din­nen steht vor dem Hau­se, Evan­ge­li­na in ih­ren schö­nen Klei­dern steigt die Trep­pe hin­ab. In der Mit­te aber hält sie an, sagt ›Nicht heu­te, ein an­de­res Mal‹ und geht zu­rück in ihr Zim­mer.«

Meh­re­re lug­ten aus den Au­gen­win­keln hin­über nach dem ge­heim­nis­vol­len Hau­se. Un­ten, wie in schwar­zer Höh­le, glomm ein Licht, und vor sei­nem La­den ging der Kauf­mann hin und her: lang­sam im­mer hin und her. Die Gäs­te des Cafés »Zum Fort­schritt« konn­ten ihm zu­se­hen und bei sei­ner Be­we­gung füh­len, dass die Zeit ver­ge­he.

Der Apo­the­ker er­hob sich, denn ein Kun­de war bei ihm ein­ge­tre­ten: der Jun­ge des Gast­wir­tes Ma­land­ri­ni. Was konn­te bei Ma­land­ri­ni vor­ge­fal­len sein? Ge­wiss han­del­te es sich um die Frau, die der Ta­bak­händ­ler erst ges­tern mit dem Baron Tor­ro­ni in ziem­lich ver­däch­ti­ger Un­ter­hal­tung ge­se­hen hat­te. Wer weiß, was sie jetzt aus der Apo­the­ke brauch­te.

»Nun –?« und alle Bli­cke so­gen an dem al­ten Ac­qui­sta­pace, der, sein höl­zer­nes Bein schwin­gend, zu­rück­kam.

»Die Schwie­ger­mut­ter hat Sod­bren­nen.«

Alle Köp­fe senk­ten sich.

»We­nig Be­we­gung ist hier am Ort«, sag­te der Leut­nant der Ca­ra­bi­nie­ri zu dem Rei­sen­den und nick­te hin­über, wo sich der Kauf­mann Man­ca­fe­de hin und her be­weg­te. Der Rei­sen­de woll­te höf­lich den Ort ent­schul­di­gen, aber der Ad­vo­kat Be­lot­ti sag­te er­stickt:

»Was kann man tun, wenn die­se ver­damm­te Post eine Stun­de Ver­spä­tung hat! Sonst sähe hier viel­leicht al­les an­ders aus. Denn schließ­lich – sa­gen wir nur die Wahr­heit! – kön­nen doch je­den Tag die größ­ten Din­ge ge­sche­hen. Die Stadt steht vor Er­eig­nis­sen, die …«

»– nicht ein­tre­ten«, schloss der Ge­mein­dese­kre­tär und lehn­te sich zu­rück, um sei­ne Tail­le zu zei­gen.

»Wer sagt Ih­nen das?« Der Ad­vo­kat fuch­tel­te, be­vor er spre­chen konn­te. »Bin nicht etwa ich der Vor­sit­zen­de des Ko­mi­tees und muss ich nicht als ers­ter wis­sen, ob et­was ge­schieht, ob et­was, sage ich, ge­sche­hen kann?«

»Be­vor die Post da ist?«

»Die Post! Die Post, mein Herr, war schon öf­ter da. Die Post hat zum Bei­spiel mir: ver­ste­hen Sie wohl, mein Herr, mir, dem Vor­sit­zen­den des Ko­mi­tees, einen Brief Ih­rer Ex­zel­lenz der Frau Fürs­tin Ci­pol­la ge­bracht, mit der gü­ti­gen Er­laub­nis der Frau Fürs­tin, das Schloss­thea­ter zu be­nut­zen für die Vor­stel­lun­gen der Trup­pe, die wir, das Ko­mi­tee, hier­her zu ver­schrei­ben ge­däch­ten. Und das war be­reits kein ge­rin­ger Er­folg, wenn Sie be­den­ken …«

Der Ad­vo­kat wen­de­te sich zum Rei­sen­den; einen sei­ner mür­ben Fin­ger, die ihn äl­ter mach­ten als sein Ge­sicht, reck­te er hin­ter sich, wo die Trep­pen­gas­se zum Kas­tell hin­auf­bog.

»– dass das Thea­ter seit fünf­zig; sei­en wir ge­nau, seit achtund­vier­zig und drei­vier­tel Jah­ren un­be­nutzt steht, näm­lich seit der Ver­mäh­lung des ar­men Fürs­ten …«

»War die Vor­stel­lung gut, Ad­vo­kat?« frag­te bei­ßend der Ge­mein­dese­kre­tär. »Sie ha­ben doch schon da­mals den Im­presa­rio ge­macht? Denn wann wa­ren Sie un­tä­tig? Ge­wiss nicht ein­mal in den Win­deln.«

Und der Ad­vo­kat, mit ver­ächt­li­chem Ach­sel­zu­cken:

»– des ar­men Fürs­ten, um den Ihre Ex­zel­lenz noch trau­ert. Da­rum darf ich auch die Be­wil­li­gung un­se­res Ge­suchs mir ganz per­sön­lich zu­schrei­ben und dem Um­stan­de, dass ich der Sach­wal­ter der Frau Fürs­tin bin.«

»Aber der Ka­pell­meis­ter?« frag­te sein Geg­ner. »Soll­te nicht auch er ei­ni­ges Ver­dienst ha­ben? Alfò, sage un­se­rem Freun­de, ob du und die an­de­ren alle in der ›Ar­men To­ni­et­ta‹ eure In­stru­men­te spie­len könn­tet, wenn nicht un­ser Mae­stro Dor­leng­hi wäre!«

»Wer leug­net sei­ne Tüch­tig­keit? Üb­ri­gens zahlt die Ge­mein­de ihm hun­dert Lire mo­nat­lich und die Kir­che fünf­zig. Aber scheint es den Her­ren nicht, dass wir auf die Künst­ler, die er uns ver­schaf­fen woll­te, recht lan­ge war­ten müs­sen?«

»Ich wet­te, dass sie heu­te in der Post sit­zen wer­den!« rief der Apo­the­ker. Der Ad­vo­kat be­zwei­fel­te es.

»Vi­el­leicht wer­de ich als Vor­sit­zen­der des Ko­mi­tees mich noch selbst nach ih­nen um­se­hen müs­sen. Wer weiß, wo­hin ich fah­ren wer­de: bis nach Rom viel­leicht.«

»Aber, Ad­vo­kat«, sag­te der Ge­mein­dese­kre­tär, »was ver­ste­hen Sie vom Thea­ter?«

»Ich? Sie ver­ges­sen, Herr Ca­muz­zi, dass ich in ei­ner Stadt wie Pe­ru­gia stu­diert habe. Dort hat­ten wir oft ge­nug eine Trup­pe von Ko­mö­di­an­ten, und wir Stu­den­ten ver­kehr­ten mit ih­nen, kann ich den Her­ren sa­gen, nicht an­ders, als ich mit Ih­nen ver­keh­re. Die Cho­ris­tin­nen: ah! ich sage nur dies Wort, die Cho­ris­tin­nen … Na­tür­lich hat­te auch die Pri­ma­don­na den ih­ren, aber man muss­te reich sein, sehr reich; ich er­in­ne­re mich, ein Herr aus der Stadt gab ihr drei­hun­dert Lire im Mo­nat. Be­grei­fen Sie das? Drei­hun­dert Lire für eine Frau!«

Da der Ad­vo­kat in lau­ter ach­tungs­vol­le Ge­sich­ter sah, blüh­te er auf. Er öff­ne­te sei­nen schwar­zen Rock, ob­wohl kei­ne Wes­te dar­un­ter war. Die Arme in der Luft ge­run­det, mit rau­en gel­ben Man­schet­ten, die bis über die Koral­len­knöp­fe her­aus­fie­len, und mit ei­ner Flüs­ter­stim­me, aus der manch­mal ein hei­se­res Bel­len brach:

»Aber so ist die große Welt: man muss sie ken­nen. Die Her­ren Künst­ler sind die Groß­ar­tigs­ten von al­len. Man hat kei­nen Be­griff von dem Le­ben, das die­se Schau­spie­ler und Li­te­ra­ten füh­ren. Jede Nacht Cham­pa­gner, schö­ne Wei­ber, so viel sie mö­gen, und nie vor zwölf aus dem Bett.«

»Als ich in For­lì1 stand«, sag­te der Leut­nant der Ca­ra­bi­nie­ri, »zeig­te man mir einen Ma­ler, der zwei Fia­schi trin­ken konn­te. Frei­lich war er ein Deut­scher.«

»Wozu auch«, schloss der Ad­vo­kat, »da sie spie­lend mehr Geld ver­die­nen, als sie brau­chen, und kei­ne Sor­gen ha­ben. Für uns Bür­ger ists an­ders ein­ge­rich­tet auf der Welt. Aber es ist nicht übel, dass es auch Men­schen gibt, die ein so leich­tes Le­ben ha­ben, nach Her­zens­lust über die Strän­ge schla­gen dür­fen und im­mer gu­ter Lau­ne sind. Ha­ben wir erst ei­ni­ge der Art hier bei uns, wird es lus­tig wer­den.«

»Das kann nicht scha­den!« rief der Apo­the­ker. Gleich dar­auf hielt er sich den Mund zu und schiel­te nach sei­nem Hau­se hin­auf. Man lä­chel­te. Er ent­schul­dig­te sich.

»Im­mer sind Leu­te in der Nähe, die es mit den Pries­tern hal­ten.«

Der Ad­vo­kat be­haup­te­te: »Wenn wir uns die Ko­mö­di­an­ten nicht zu un­se­rem Ver­gnü­gen kom­men lie­ßen, soll­ten wir es tun, um die Pries­ter zu är­gern.«

Der Ge­mein­dese­kre­tär hob die Schul­tern, der Wirt aber sag­te dröh­nend:

»Sind wir denn noch im­mer un­ter dem Papst?«

Man schrie: »Bra­vo, Achil­le!« – und da­hin­ten sah man aus der Ka­the­dra­le über den Cor­so und in den Palaz­zo Tor­ro­ni eine schwar­ze Ge­stalt hu­schen. Der Apo­the­ker seufz­te.

»Ar­mer Baron! Auch ihn hal­ten sie mit­tels der Frau. Da kann man sich dann nicht rüh­ren, ohne dass es weh tut. Glaubt mir, ihr Jun­gen, nehmt nie eine Frau, die es mit den Pries­tern hat!«

Der Ad­vo­kat stell­te die Hand an den Mund.

»Und den­noch ist Don Tad­deo be­tro­gen, und der Baron hat mir heim­lich, Sie ver­ste­hen: un­ter ei­nem Deck­na­men sei­nen Bei­trag ge­schickt für das Thea­ter.«

Fun­kelnd be­trach­te­te er sei­ne Wir­kung, leg­te sich den Fin­ger auf die Lip­pen und mach­te eine Pau­se. Dann:

»Der Bei­trag ist so­gar be­deu­tend ge­nug, dass wir den des al­ten Nar­di­ni ver­schmer­zen kön­nen.«

»Eine schö­ne Fa­mi­lie, die Nar­di­ni« – und der Apo­the­ker stieß den Stock aufs Pflas­ter.

»Ihre Mit­bür­ger hal­ten sie ih­res Ver­kehrs nicht wür­dig, nie woll­ten sie dem Klub bei­tre­ten, und die En­ke­lin ste­cken sie ins Klos­ter!«

»Noch ist sie nicht dar­in«, sag­te der jun­ge Sa­vez­zo, mit plum­per Ele­ganz an das Haus ge­lehnt. »Und als ich im Klub mei­nen Vor­trag über die Freund­schaft hielt, hat sie ihre Magd hin­ge­schickt und sich dar­über be­rich­ten las­sen.«

»Ah, Totò möch­te sie drau­ßen be­hal­ten.«

Un­ter den spöt­ti­schen Bli­cken be­gann das lin­ke Auge des jun­gen Men­schen auf sei­ne po­cken­nar­bi­ge Nase zu schie­len.

Der schö­ne Alfò, des Wir­tes Sohn, sag­te:

»Ist sie schön, die Alba!«

Dann sah er un­be­irrt und ei­tel um­her.

»Ihr bei­de wer­det kei­nen Er­folg ha­ben« – und der Ge­mein­dese­kre­tär lach­te auf. »Hat doch nicht ein­mal der Se­ve­ri­no Sal­va­to­ri sie be­kom­men, ob­wohl er mit ei­nem Korb­wa­gen um­her­fährt. Vi­el­leicht, wenn ihr kei­ne Mit­gift ver­langt. Denn der Alte will sie bil­lig los sein. Er ist noch gei­zi­ger als fromm.«

»Auch fromm ist er«, ver­si­cher­te Sa­vez­zo. »Und wohl­tä­tig. Der alte Brabrà lebt ganz vom Nar­di­ni, seit drei­ßig Jah­ren bald. Je­den Sonn­tag nach der Mes­se wird dort un­ten in Vil­las­cu­ra den Ar­men das Mehl aus­ge­teilt. Alba selbst tut es.«

»Alba selbst«, wie­der­hol­te Alfò.

»Aber als ich ihm die Lis­te brach­te«, sag­te der Ad­vo­kat mit stei­lem Fin­ger, »wis­sen Sie wohl, was der Nar­di­ni mir geant­wor­tet hat?«

Alle wuss­ten es, lie­ßen sich aber gern zum zehn­ten Mal da­durch auf­brin­gen.

»Er hat mir geant­wor­tet: wenn er da­für zah­len sol­le, dass die Ko­mö­di­an­ten fort­blei­ben, dann wol­le er zah­len.«

Der Apo­the­ker schlug auf den Tisch; das Schwei­gen der an­de­ren war stür­misch. Da sag­te der schö­ne Alfò, und das ein­fäl­tigs­te Lä­cheln leg­te sei­ne wei­ßen Zäh­ne frei:

»Den­noch will ich Alba hei­ra­ten.«

Nie­mand wür­dig­te ihn ei­ner Ent­geg­nung.

»Auch sei­nen Was­ser­fall«, er­in­ner­te sich der Ge­vat­ter Achil­le, »hat er der Stadt ein we­nig teu­er ver­pach­tet.«

»Un­se­re Schuld« – und der Ge­mein­dese­kre­tär hob die Schul­tern; »ich war ge­gen die Elek­tri­zi­täts­an­la­ge und bin es noch. Aber man hört nicht auf mich«, sag­te er mit ei­nem Blick auf den Ad­vo­ka­ten, der die Arme in die Luft warf.

»Wol­len wir, ja oder nein, den Fort­schritt?« schrie der keu­chend.

»Und wem ver­dan­ken wir ihn«, ant­wor­te­te der jun­ge Sa­vez­zo, »als ein­zig dem Ad­vo­ka­ten?«

»Ist es ei­ner Stadt wie der uns­ri­gen wür­dig«, frag­te der Ad­vo­kat wei­ter, »die öf­fent­li­chen Plät­ze mit Pe­tro­le­um zu er­leuch­ten? Und wie sol­len wir vor den Frem­den da­ste­hen, die uns be­su­chen wer­den, wenn un­se­re Thea­ter­sai­son be­gon­nen hat?«

»Ver­steht sich«, mach­ten die an­de­ren; nur der Se­kre­tär schüt­tel­te die zu­sam­men­ge­leg­ten Hän­de.

»Da ha­ben wirs. Weil wir eine Thea­ter­sai­son ha­ben, müs­sen wir elek­tri­sches Licht an­le­gen, und weil wir wie Ve­ne­dig oder Tu­rin das Ver­fas­sungs­fest fei­ern, muss­ten wir in ei­nem Feu­er­werk fünf­tau­send Lire ab­bren­nen. So zieht eine Tat des Grö­ßen­wahns die an­de­re nach sich, und das Ende, das ich vor­aus­se­he, ist der Bank­rott. Ah, Ihr Her­ren, un­sern Bür­ger­meis­ter, den wür­di­gen Herrn Au­gus­to Sal­va­to­ri, der das Haus nicht mehr ver­lässt, trifft kei­ne Schuld: sie trifft nur einen!«

Und er stieß mit dem Fin­ger nach dem Ad­vo­ka­ten, der sich auf dem Stuhl um­her­warf.

»Wol­len wir, ja oder nein, den Fort­schritt?«

Da run­de­te der Leut­nant die Hand am Ohr:

»Mir scheint, ich höre sie knar­ren.«

So­gleich be­ka­men alle lau­schen­de Mie­nen. Sa­vez­zo und Alfò stürz­ten an die Hau­se­cke und späh­ten die Gas­se hin­ab. Plötz­lich schri­en sie durch die ge­run­de­ten Hän­de:

»He! Ma­set­ti! Lang­sa­mer!«

Und un­ter wü­ten­dem Peit­schen­knal­len hör­te man die Post drun­ten auf der Land­stra­ße vor­bei­ras­seln. In­des sie den Bo­gen zum Tor mach­te, wur­den Ma­set­tis fan­tas­ti­sche Ver­spä­tun­gen auf­ge­zählt; er habe kei­ne Eile, zu sei­ner Frau zu kom­men; – und nun er auf den Platz bog, be­gan­nen alle zu pfei­fen. Die bei­den Ca­ra­bi­nie­ri lie­ßen sich von ih­ren Pfer­den her­ab und ho­ben die Drei­mas­ter, um sich die Köp­fe zu trock­nen. Die Di­li­gen­za fuhr mit Kra­chen beim Post­amt vor: da zeig­te sich, dass sie ganz ge­füllt war. Drin­nen sa­ßen acht Per­so­nen, und eine klet­ter­te so­eben vom Bock: ein ge­drun­ge­ner Mann mit ei­nem Cäsa­ren­pro­fil, den der Hand­lungs­rei­sen­de fast für einen Be­rufs­ge­nos­sen ge­hal­ten hät­te. Nur hat­te er blau­ra­sier­te Wan­gen und Be­we­gun­gen von un­be­kann­ter Spann­kraft und Form.

Kaum dass die Pfer­de still­stan­den, stürz­ten über die Füße der an­de­ren hin­weg zwei Non­nen aus dem Wa­gen und eil­ten, so­dass die Kreu­ze der Ro­sen­krän­ze von ih­ren Hüf­ten auf­flo­gen, nach dem Trep­pen­weg zum Klos­ter. Dann stieg ein schö­ner blei­cher jun­ger Mensch her­aus, der un­be­tei­ligt um­her­sah.

»Nel­lo!« rief eine Frau­en­stim­me. »Hilf mir her­aus!«

»Lass lie­ber mich«, sag­te ein ha­ge­rer Al­ter, weiß an­ge­zo­gen und ra­scher als ein Jüng­ling; – und er streck­te eine fal­ti­ge Hand aus, wor­auf ein großer Bril­lant blitz­te.

Der Ad­vo­kat be­merk­te:

»Aber das sind sie! Das sind die Ko­mö­di­an­ten. Ich als Vor­sit­zen­der des Ko­mi­tees muss sie be­grü­ßen.«

Er er­hob sich und schwän­zel­te über den Platz. Die an­de­ren folg­ten im Ab­stand.

Aus der Post ward eine schwar­ze la­chen­de Per­son ge­ho­ben, aber wer sie von hin­ten un­ter den Ar­men hielt – der Ad­vo­kat muss­te auf hal­b­em Wege ste­hen­blei­ben – das war, mit dem blon­den Schnurr­bart über dem ro­ten Ge­sicht, der Baron Tor­ro­ni! Er wand­te sich um; aus sei­ner Jagd­ta­sche sa­hen die Vo­gel­schnä­bel; und er setz­te noch eine Frau aufs Pflas­ter: ein klei­nes un­an­sehn­li­ches We­sen in ei­nem schmutz­far­be­nen Man­tel, wie ein Sack, und die Haa­re voll Staub. Hin­ter­her, mit ei­nem aus­ge­las­se­nen und den­noch be­stürz­ten Ge­sicht, kam der Ta­bak­händ­ler Pol­li.

»He! Pol­li! Was ist denn mit dir ge­sche­hen?« rief der Apo­the­ker.

Der Ta­bak­händ­ler ge­sell­te sich ih­nen zu.

»Ach ja, das fragt nur! Die eine hät­te mir fast einen Kuss ge­ge­ben: jene große Schwar­ze.«

»Ein pracht­vol­les Weib. Die wird eine Stim­me ha­ben!« mein­te der Ad­vo­kat.

»Ich sage euch, sie kann schrei­en! Ge­schich­ten sind heu­te in dem al­ten Kar­ren er­zählt wor­den! Ich möch­te wis­sen, ob die bei­den Non­nen sie schon kann­ten. Im­mer lau­ter ha­ben sie ge­be­tet, – und seht nur, wie sie lau­fen!«

»Wozu müs­sen die­se hei­li­gen Un­ter­rö­cke im­mer un­ter­wegs sein?« frag­te der Ad­vo­kat. »Auf al­len Stra­ßen sieht man nur sie.«

Pol­li raun­te:

»Und seht euch den Al­ten an: er ist ge­schminkt!«

Die Grup­pe der Bür­ger schiel­te zu den Ko­mö­di­an­ten hin­über. Der Ad­vo­kat fand es schwe­rer als in sei­nen Stu­den­te­nerin­ne­run­gen, mit ih­nen an­zu­knüp­fen. Der un­ter­setz­te Mann vom Bock, der ihm noch am meis­ten Ver­trau­en ein­gab, ließ den Kut­scher das Ge­päck her­ab­he­ben. Den üb­ri­gen schüt­tel­te der Baron Tor­ro­ni die Hän­de. Er ver­sprach, ih­nen sei­ne Vö­gel ins Gast­haus zu schi­cken, mach­te sei­ne ecki­gen Ka­val­le­ris­ten­ver­beu­gun­gen und brach sich einen Weg durch die Kin­der und Mäg­de, die her­um­stan­den. Wie er in sei­nen Le­der­ga­ma­schen auf sein Haus zu­ging, schlüpf­te eine schwar­ze Ge­stalt her­aus und in die Kir­che.

Meh­re­re Ge­schäfts­leu­te stell­ten sich ein, um nach ih­ren Pa­ke­ten zu se­hen. Der Kauf­mann Man­ca­fe­de be­müh­te sich längst um die sei­nen. Trotz al­ler Spät­som­mer­hit­ze war er in sei­ner di­cken brau­nen Ja­cke. Das ge­wölb­te Auge in sei­nem al­ten Ha­sen­pro­fil such­te ängst­lich und zäh un­ter den Kör­ben dort oben.

»Und das Pe­tro­le­um?« frag­te er ge­las­sen und rich­te­te sei­nen tro­ckenen Fin­ger auf den Kut­scher Ma­set­ti. Der tat dro­ben einen er­bos­ten Sprung. Er schrie hin­ab, für so viel Mühe sei er nicht be­zahlt; die­se Frem­den hät­ten Ge­päck für einen gan­zen Ei­sen­bahn­zug; noch ein Wa­gen kom­me mit Leu­ten und Kof­fern: dar­auf wer­de, wenn Gott es wol­le, auch das Pe­tro­le­um sein. Und durch den ab­fäl­li­gen Empfang, der ihm be­rei­tet wor­den war, noch tiefer ge­färbt als sonst, schwenk­te er die aus­ge­brei­te­ten Arme to­bend über der Men­ge, vor dem blau­en Him­mel.

Der Kauf­mann prüf­te ihn blin­zelnd und wand­te sich an den Ta­bak­händ­ler.

»Pol­li, dei­ne Magd ist die letz­te Nacht nicht zu Hau­se ge­we­sen.«

Der Ta­bak­händ­ler rö­te­te sich.

»Sagt die Evan­ge­li­na es?«

»Ja«, er­klär­te Man­ca­fe­de mit Ruhe und Si­cher­heit.

»Und dann sagt mei­ne Toch­ter auch, die Ko­mö­di­an­ten wer­den kom­men … Das sind sie wohl?« – und zum ers­ten Mal schi­en er sich um­zu­se­hen.

»Mei­ne Lina weiß, dass der be­rühm­te Te­nor Gior­da­no da­bei ist.«

Plötz­lich dreh­te der weiß an­ge­zo­ge­ne Alte sich um. Leicht und doch groß sag­te er: »Das bin ich: der Ca­va­lie­re Gior­da­no.«

Ein Au­gen­blick, und der Ad­vo­kat war über die Hand des al­ten Sän­gers her­ge­fal­len.

»Sie, Ca­va­lie­re! Welch Wie­der­se­hen! Sie er­in­nern sich doch un­se­rer Be­kannt­schaft in Pe­ru­gia? Be­lot­ti, Ad­vo­kat Be­lot­ti. Wir ver­kehr­ten bei­de im Café ›Zur al­ten Treu­e‹. Wir spiel­ten Do­mi­no, und ich be­sieg­te Sie im­mer, Sie zahl­ten all mei­nen Punsch … Wie, Sie wis­sens nicht mehr? Ach ja, das sind wohl drei­ßig Jah­re her, und was ha­ben Sie seit­dem er­lebt! Der Ruhm, die Frau­en, die großen Rei­sen! Das nen­ne ich Le­ben. Hier in der klei­nen Stadt: – nun, Sie wer­den uns ken­nen­ler­nen; auch wir kön­nen lus­tig sein, auch wir wis­sen die Kunst zu schät­zen. Mei­ne Freun­de wer­den glück­lich sein, Sie ken­nen­zu­ler­nen.«

Er wink­te sie her­bei.

»Herr Ac­qui­sta­pace, un­ser Apo­the­ker; Herr Pol­li, mit dem Sie die Rei­se ge­macht ha­ben; Herr Can­ti­nel­li, der bra­ve An­füh­rer un­se­rer be­waff­ne­ten Macht …«

Und um nicht sei­nen Geg­ner, den Ge­mein­dese­kre­tär, vor­stel­len zu müs­sen, griff er aus den Um­ste­hen­den einen an­de­ren her­aus.

»Herr Chia­ra­lun­zi, höchst ge­schick­ter Schnei­der, der im Or­che­s­ter das Te­nor­horn bla­sen wird.«

»Und wie!« me­cker­te das hä­mi­sche Stimm­chen des Bar­biers No­nog­gi.

Aber der lan­ge stark­kno­chi­ge Schnei­der trat vor, sah sich lang­sam und ehr­lich die Frem­den an, – und dann ver­beug­te er sich mit Wucht, dass die Spit­zen sei­nes hän­gen­den, rostro­ten Schnurr­bar­tes schau­kel­ten vor dem klei­nen un­an­sehn­li­chen We­sen im schmutz­far­be­nen Man­tel. Sie stand, in­des ihre Ka­me­ra­den zu­sam­men flüs­ter­ten und lach­ten, ganz al­lein; durch die Ta­schen­wän­de sah man, dass sie Fäus­te mach­te; und ihre weit von­ein­an­der ent­fern­ten Au­gen gin­gen kalt über die wach­sen­de Men­ge, als prüf­te eine Macht die an­de­re. Beim An­blick des vor ihr ge­krümm­ten Schnei­ders be­kam sie un­ver­mu­tet ein Kin­der­lä­cheln und gab ihm eine klei­ne graue Hand.

Da­rauf schüt­tel­te er die Rech­te des al­ten Te­nors, der über die an­de­ren Sän­ger eine Ge­bär­de be­schrieb, ohne dass er da­bei hin­sah: wie ein Fürst, der sein Ge­fol­ge vor­stellt.

»Herr Vir­gi­nio Gad­di, Ba­ri­ton.«

Der un­ter­setz­te Mann mit dem Cäsa­ren­pro­fil misch­te sich, eine Hand in der Ho­sen­ta­sche, un­ter die Bür­ger.

»Fräu­lein Ita­lia Mo­le­sin, So­pran.«

Die der­be Schwarz­haa­ri­ge lach­te mit großen Zäh­nen al­len zu und stieß da­bei ko­kett mit den Schul­tern, um den Schal zu­rück­zu­wer­fen; denn sie trug einen Schal, wie die Mas­se der Mäd­chen, und kei­nen Hut.

»Herr Nel­lo Gen­na­ri, ly­ri­scher Te­nor.«

Da sa­hen die Frau­en das matt­blei­che Ge­sicht des jüngs­ten Man­nes sich ih­nen zu­wen­den. Weil es ein­fach und stark ge­mei­ßelt war, er­kann­ten die am wei­tes­ten Ent­fern­ten es, reck­ten sich und sag­ten laut:

»Oh! Ist er schön!«

Sei­ne Au­gen dank­ten ih­nen al­len, ohne Über­ra­schung und ohne Ei­fer, mit ein we­nig schwer­mü­ti­gem Spott.

Nun aber wen­de­te der Ca­va­lie­re Gior­da­no sich nach dem Mäd­chen um, das für sich stand, beug­te leicht vor ihr den Rumpf und sag­te mit ent­zück­ter Stim­me:

»Und dies ist un­se­re Pri­ma­don­na as­so­luta, das Fräu­lein Flo­ra Gar­lin­da, eine Künst­le­rin von un­er­mess­li­cher Zu­kunft, die Hoff­nung der ly­ri­schen Büh­ne Ita­li­ens.«

Dann sah er er­war­tungs­voll die Bür­ger an. Der Ad­vo­kat, der ihr am nächs­ten stand, fuhr ein we­nig zu­rück; und dann hul­dig­te er der Pri­ma­don­na umso ehr­furchts­vol­ler, je we­ni­ger er sie vor­her be­ach­tet hat­te. Er frag­te sie, ob sie schon in der Sca­la ge­sun­gen habe. Sie zuck­te die Ach­seln und krümm­te den Mund, als ver­ach­te­te sie die Sca­la. Da­rauf mach­te er einen großen Kratz­fuß.

»Ein Fräu­lein wie Sie muss wohl Lieb­ha­ber ha­ben, so vie­le es nur will.«

Sie lach­te auf und ließ ihn ste­hen. Er schiel­te nach rechts und nach links, ob man es ge­se­hen habe; – aber in die­sem Au­gen­blick schwank­te die Men­ge: je­mand teil­te sie, mit den Ar­men stür­misch über ih­ren Schul­tern ru­dernd.

»Der Mae­stro!«

Er war an­ge­langt; er keuch­te. Sei­ne hel­le Ge­sichts­haut war un­ter sei­nem leich­ten blon­den Bart ganz ro­sig be­wölkt, sein ver­le­gen ehr­gei­zi­ges Lä­cheln zer­ging manch­mal, und dann sah man, dass er zor­nig war. Er setz­te an:

»Das ist aber … Ich den­ke doch, ich bin hier der Ka­pell­meis­ter … Die von mir en­ga­gier­ten Künst­ler sind da, und nie­mand ruft mich? Herr Ad­vo­kat, ich muss Sie …«

Der Ad­vo­kat klopf­te ihm auf den Rücken.

»Mein lie­ber Dor­leng­hi, al­les geht gut, ich habe mich als Vor­sit­zen­der des Ko­mi­tees mit die­sen Her­ren be­reits ins Ein­ver­neh­men ge­setzt.«

»Aber ich be­grei­fe nicht, wie man ohne mich … Dann füh­ren doch Sie den Ka­pell­meis­ter­stab!«

»Sei­en Sie gut, Dor­leng­hi!« sag­te der Apo­the­ker, und Pol­li, der Ta­bak­händ­ler, mein­te:

»Das al­les ist doch nicht der Mühe wert.«

Der Mu­si­ker warf die Arme noch hö­her.

»Nicht der Mühe wert! Ah! Ca­va­lie­re: denn ich irre mich nicht, Sie sind der Ca­va­lie­re Gior­da­no, und ich hei­ße En­ri­co Dor­leng­hi und bin Di­ri­gent ei­ner Dorf­ka­pel­le, nichts wei­ter. Ich habe in mei­nem Zim­mer ge­ses­sen, da hin­ten in ei­nem Win­kel der Stadt, wo man nichts hört noch sieht, und habe an ei­ner Mes­se ge­schrie­ben, die ich noch die­sen Herbst in der Kir­che auf­füh­ren soll. In­zwi­schen ern­ten die­se Her­ren die Frucht mei­ner Be­mü­hun­gen; denn ich bin stolz, Sie, Ca­va­lie­re, un­se­rer Büh­ne ge­won­nen zu ha­ben, Sie und Ihre Kol­le­gen. Nicht der Mühe wert! Wenn Sie ahn­ten, welch ein Er­eig­nis für einen Ver­bann­ten, Ge­op­fer­ten …«

Er ging mit dem al­ten Sän­ger um den Post­wa­gen her­um; sei­ne keu­chen­de Stim­me ver­sank manch­mal, denn das Volk schrie ihm zu. Vie­le schri­en auf ein­mal: »Bra­vo, Mae­stro!« an­de­re: »Seht, er ist ver­rückt ge­wor­den!« Und die meis­ten wuss­ten nicht, wer ge­meint war, und rie­fen: »He, Ma­set­ti!« nach dem Kut­scher, der, stimm­los vom Schel­ten, an den Pfer­den zerr­te. Er saß mit ih­nen fest; Jun­gen kro­chen zwi­schen den Bei­nen der Men­ge her­vor und knif­fen ihn. Er schlug aus … In­zwi­schen ward der Ka­pell­meis­ter wie­der sicht­bar, noch im­mer fuch­telnd. Plötz­lich stand er vor der Pri­ma­don­na. Wie der Ca­va­lie­re sie nann­te, sa­hen sie sich an. Der Mu­si­ker war auf ein­mal ver­stummt, die jun­ge Sän­ge­rin sah aus, als göl­te es: und die Hän­de, die sie sich hät­ten rei­chen sol­len, noch in der Schwe­be, tra­ten bei­de ein we­nig zu­rück. Dann be­grüß­ten sie sich: er ro­sig von ver­le­ge­nem Ehr­geiz, sie mit dem ent­schlos­se­nen Blick von Macht zu Macht, den sie auch auf das Volk ge­rich­tet hat­te. Der Ka­pell­meis­ter sag­te:

»Ich wür­de mich an die ›Ar­me To­ni­et­ta‹ nicht her­an­wa­gen, hät­te ich für die Haup­trol­le nicht Sie ge­won­nen, Fräu­lein Flo­ra Gar­lin­da.«

Sie lä­chel­te gnä­dig.

»Auch Ihr Name, Mae­stro, fängt an, sehr be­kannt zu wer­den. Noch neu­lich in So­g­lia­co sag­te der Di­rek­tor Cre­mo­ne­si …«

Er hat­te ein Ge­sicht wie ein Hun­gern­der. Aber ihre Wor­te gin­gen aus, wie er kaum an­fing, sie zu ver­schlin­gen. Der Gast­wirt Ma­land­ri­ni bot ihr eins sei­ner bei­den Zim­mer an. Der große be­leib­te Mann war laut­los, man wuss­te nicht wie, durch das Ge­drän­ge ge­langt, lä­chel­te breit und glatt und kann­te schon je­den beim Na­men.

»Ih­nen, Ca­va­lie­re, mei­nen Ehren­sa­lon! Gera­de muss ich den Hand­lungs­rei­sen­den ha­ben, der im­mer her­kommt; und zu­dem ist ein Frem­der da, der nichts tut: sonst wür­de ich alle die­se Da­men und Her­ren zu mir ein­la­den. Sie aber, Fräu­lein Flo­ra Gar­lin­da …«

Die Pri­ma­don­na lehn­te ab; sie sei zu arm, um ins Gast­haus zu ge­hen.

»Der Di­rek­tor Cre­mo­ne­si«, sag­te angst­voll der Mae­stro, »gilt für ge­schickt.«

Der Perücken­ma­cher No­nog­gi kam da­zwi­schen, die­ner­te auf ei­nem Bein und emp­fahl sich den Künst­lern. Er hielt einen Hau­ben­stock und rief zärt­lich:

»Oh! welch schö­ne Perücke. Wie soll­te einen Mis­ser­folg ha­ben, wer sol­che Perücke trägt!«

»Was höre ich?« sag­te der Wirt, »der Herr Ca­va­lie­re hat schon bei dem Herrn Ge­mein­dese­kre­tär ge­mie­tet? Aber das Fräu­lein Ita­lia Mo­le­sin? Ver­stän­di­gen wir uns, Fräu­lein! Sie sind die Schöns­te von al­len …«

»Sein Ur­teil zählt«, sag­te der Ka­pell­meis­ter; »ich glau­be, dass er als Büh­nen­lei­ter heu­te …«

»Und die Her­ren«, kreisch­te der klei­ne Bar­bier, »bit­te ich, mir nur ein­mal über die Wan­ge zu strei­chen und dann zu sa­gen, ob man ver­mu­ten wür­de, dass dort je ein Bart ge­wach­sen ist. So ra­sie­re ich!«

»Ah! so ists recht: auch Sie, Herr Nel­lo Gen­na­ri. Das Fräu­lein Ita­lia und der Herr Nel­lo«, rief der Wirt, »das sind die ge­ehr­ten Gäs­te der Her­ber­ge ›Zum Mon­d‹. Ma­set­ti, das Ge­päck der Herr­schaf­ten! Ihr Leu­te, den Weg frei!«

Die der­be Schwar­ze hieb ei­nem halb Be­trun­ke­nen, der sie be­tas­te­te, den Fä­cher um den Kopf. Dazu lach­te sie mit ih­rer di­cken Kehl­stim­me.

»Ei, seht, die Lus­ti­ge!« schrie es. »Ist sie sym­pa­thisch!«

»Aber seht das böse Ge­sicht der an­de­ren! Kann man so böse sein! Sie wird die He­xen spie­len«; – und die Frau­en tra­ten ganz dicht an die Pri­ma­don­na hin­an und starr­ten ihr tie­risch feind­se­lig in die Au­gen.

»Ich wer­de dich nicht hei­ra­ten«, er­klär­te Alfò, der Sohn des Café­wirts, mit sei­nem tö­rich­ten Lä­cheln. Sie be­trach­te­te ihn ohne Spott, die Hän­de in den Man­tel­ta­schen.

»Und ich dich nicht, du Schö­ner!«

»Er ist nicht mehr schön«, sag­te eine Frau und schlug sich auf die Brust. »Der Schö­ne ist jetzt euer Te­nor.«

»Man wür­de sa­gen, ein jun­ger Hei­li­ger!«

»Wäre er mein Sohn! Mein Sohn ist häss­lich und schlägt mich.«

»Zeig uns dein Ge­sicht! Ich will dich küs­sen.«

»O du Scham­lo­se!«

Und tief aus der Men­ge schall­te eine Ohr­fei­ge.

»Bra­vo!« sag­ten Män­ner­stim­men. »Sie sind ver­rückt, die Wei­ber.«

»Aber auch ich wür­de mich ver­lie­ben!« rief der bie­de­re Bass des Apo­the­kers Ac­qui­sta­pace; und vie­le hel­le Stim­men, auf al­len Sei­ten und weit­hin, ver­stört, se­lig, im Ton des Träu­mens:

»Ah! sei­ne Au­gen. Er sieht mich an!«

*

Er stand al­lein; sei­ne Ka­me­ra­den wa­ren von ihm weg­ge­tre­ten wie auf der Büh­ne, wenn der Bei­fall nur ihm galt; und die Arme ver­schränkt, die Schul­tern hin­auf­ge­zo­gen, führ­te er sein leich­tes und den­noch be­schat­te­tes Lä­cheln über die Ge­sich­ter der Men­ge. Sie ant­wor­te­te:

»Es lebe der Gen­na­ri!«

Die Jun­gen kreisch­ten:

»Er lebe!« – und ein Hän­de­klat­schen, ir­gend­wo aus­ge­bro­chen, griff um sich, sprang über den Platz.

Es ward zer­ris­sen von ei­nem schwe­ren Glo­cken­schlag; und wie vom Turm nun das Ave stieg, wen­de­ten alle sich ab. Die Men­ge ent­fal­te­te, aus­ein­an­der­rau­schend, zwei wei­te Flü­gel; zwi­schen ih­nen, am Ende ei­ner stum­men Gas­se von Men­schen, lag vor dem jun­gen Sän­ger die kah­le Kir­chen­mau­er. Nur auf ihr noch war ein Streif Son­ne. Die ein­sa­men Klän­ge der Höhe; un­ten das Stau­nen der Stil­le: und da ging dort hin­ten im Son­nen­streif, al­lein und rasch, eine Frau in Schwarz ent­lang. Sie war klein und schlank, ging vor Eile ein we­nig ge­neigt; und in dem schwar­zen Schlei­er, den die letz­te Son­ne durch­leuch­te­te, sah Nel­lo Gen­na­ri ein wei­ßes, wei­ßes Pro­fil, des­sen Lid ge­senkt war und sich nicht hob. Sie lang­te beim Por­tal an, stieg zwi­schen den Lö­wen hin­auf, und schon schwamm vor dem Dun­kel, das sie auf­nahm, nur noch, kup­fer­rot und be­sonnt, ihr großer Haar­kno­ten, – da wen­de­te sie sich um, ganz um und sah von oben die Men­schen­gas­se hin­ab. Er dort am Ende hielt die Arme nicht mehr ver­schränkt, und sein wan­ken­des Lä­cheln such­te in den Schlei­er ein­zu­drin­gen, zu je­nem ver­schwim­men­den Oval aus fer­nem Ala­bas­ter …

Ein Au­gen­blick, dann en­de­te das Läu­ten, die Men­ge schloss sich wie ein Tor, und auf­schre­ckend sah der Te­nor all die Ge­sich­ter zu­rück­ge­kehrt, die er ver­ges­sen hat­te.

Sein Ka­me­rad, der Ba­ri­ton, stand vor ihm und sag­te:

»Ich war im Ort um­her, nach Woh­nun­gen für uns. Wer sich be­gnügt, zahlt we­nig.«

»Gad­di, wer war jene Frau?«

»Schon eine Frau? Im­mer Frau­en! Ah, die­ser Nel­lo. Er ver­liert sei­ne Zeit nicht.«

»Wer war sie?«

»Ich habe nichts ge­se­hen, mein ar­mer Nel­lo. Was willst du: ich bin ein Fa­mi­li­en­va­ter vol­ler Sor­gen. Gleich wer­den die Mei­nen hier sein, vier Köp­fe, und es heißt ih­nen Ob­dach schaf­fen. Ich su­che einen ge­wis­sen Sa­vez­zo, der Zim­mer ha­ben soll.«

»Nichts ge­se­hen! Und du musst – nein, blei­be! Dies ist wich­tig: ganz nahe musst du an ihr vor­bei­ge­kom­men sein.«

»An wie vie­len Frau­en bin ich vor­bei­ge­kom­men! Auch du, Nel­lo, wirst glück­lich an die­ser vor­bei­kom­men, wie noch an je­der. Ge­hab dich wohl.«

Und der Mann mit dem Cäsa­ren­pro­fil nahm ge­setz­ten Schrit­tes sei­nen Weg wie­der auf. Der Te­nor drang plan­los in die Men­ge ein. »An ihr vor­bei­kom­men«, dach­te er. »Nie­mals wer­de ich an ihr vor­bei­ge­lan­gen. Wenn ich sie wie­der­fin­de, wer­de ich sie lie­ben: im­mer, im­mer.« Da schlug ein rie­si­ger Fe­der­fä­cher ihm eine par­fü­mier­te Luft ins Ge­sicht. Mama Pa­ra­di­si, flan­kiert von ih­ren bei­den Töch­tern, ver­sperr­te dem jun­gen Man­ne den Weg.

»Das ist er!« flüs­ter­ten sie laut, alle drei; sa­hen ihn starr lo­ckend an aus ih­ren brei­ten, wei­chen, ge­pu­der­ten Ge­sich­tern, lie­ßen die Fä­cher ru­hen und die durch­sich­ti­gen Blu­sen sich he­ben und quel­len. Der jun­ge Mann hat­te, be­vor er’s wuss­te, ent­ge­gen­kom­mend ge­lä­chelt. Mit Stim­men wie Fe­der­kis­sen ver­si­cher­ten sie ihm, dass sie um sei­net­wil­len ins Thea­ter zu ge­hen ge­däch­ten.

»Wir lie­ben so sehr die Kunst. Wer­den Sie, wenn wir recht laut klat­schen, uns zu Ge­fal­len eine Arie wie­der­ho­len?«

Er ver­sprach es, hin­ge­ris­sen, die Hand auf dem Her­zen, mit tie­fen Bli­cken in alle drei Au­gen­paa­re.

Ein schreck­haf­ter Ruck in der Men­ge trenn­te ihn von den Da­men. Da­hin­ten, wo ein Paar wachs­blas­ser Hän­de durch die Luft schwan­gen, brach ein ho­hes, zor­ni­ges Jam­mern an.

»Ihr wer­dets be­reu­en! Geht nach Hau­se, geht! Ah! ihr Ge­sin­del, den Ko­mö­di­an­ten lauft ihr nach, als hiel­tet ihr euch am Schwan­ze Sa­t­ans fest, um de­sto si­che­rer zur Höl­le zu fah­ren.«

»Don Tad­deo ist heu­te nicht gut auf­ge­legt«, sag­te je­mand, und der Te­nor sah in ein Ge­sicht voll künst­lich ver­wirr­ter Lo­cken, mit ei­ner po­cken­nar­bi­gen Nase und ei­nem lin­ken Auge, das nicht still­hielt.

»Ich bin der Sa­vez­zo; Ihr Kol­le­ge Gad­di wird bei uns woh­nen. Üb­ri­gens bin auch ich ein Künst­ler, wir wer­den uns schon ver­ste­hen.«

Nel­lo Gen­na­ri gab ihm zer­streut die Hand. »Was woll­ten sie von mir, die­se Wei­ber? Ach, im­mer das­sel­be. Und im­mer gehe ich ih­nen auf den Leim. Es fängt an, mich zu ekeln … Aber sie? Wer war sie?«

»Hö­ren Sie, Herr Sa­vez­zo, ich sah vor­hin …«

Aber die schwa­che wü­ten­de Stim­me, die Stim­me je­ner in der Luft ste­hen­den, rück­wärts ge­krampf­ten Hän­de fuhr da­zwi­schen; sie klang, als renn­te sie in ei­nem hek­ti­schen An­sturm al­les nie­der.

»Fort mit ih­nen, ehe es zu spät ist! Sonst frisst die Sün­de um sich, ihr ver­brennt dar­in! Wehe de­nen, die die­se Leu­te ge­ru­fen ha­ben! Und ver­dammt sei, wer sie bei sich auf­nimmt!«

Meh­re­re Frau­en­stim­men ant­wor­te­ten:

»Recht hat er, wir wol­len nicht ver­dammt wer­den.«

Der jun­ge Sa­vez­zo hob die Schul­tern.

»Was will denn der? Wa­rum soll­te ein Bie­der­mann wie der Herr Gad­di …«

»Herr Sa­vez­zo, ich sah vor­hin eine Frau in den Dom tre­ten, wer war sie?«

»In den Dom? Es tre­ten so vie­le in den Dom …«

»Ein schwar­zer Schlei­er, ein kup­fer­ro­ter Haar­kno­ten.«

»Wir ha­ben hier kei­nen kup­fer­ro­ten Haar­kno­ten. Wie die­ser Pries­ter schreit! und im­mer das­sel­be, man ver­steht ein­an­der nicht.«

»Sehr schlank, von sehr wei­ßer Haut«, sag­te fle­hend der Te­nor. Die Mie­ne des an­de­ren blieb ver­schlos­sen. Plötz­lich wen­de­te er sich ab und mach­te zwi­schen den Zäh­nen »oho!«

»Was steht ihr und reibt euch am Las­ter! Packt euch! Oh! möch­te doch der Him­mel euch ein Zei­chen ge­ben der Ge­fahr, ihr Blin­den!«

Und die Hän­de dort über den Köp­fen schie­nen mit dem Him­mel zu rin­gen in letz­ter Not, wie hei­li­ge Jung­frau­en beim Ster­ben.

»Solch ein Fa­na­tis­mus wirkt ab­sto­ßend«, sag­te der Ad­vo­kat Be­lot­ti er­stickt. »Die Da­men zwei­feln doch nicht, dass uns trotz die­sem trau­ri­gen Herrn aus der Sa­kris­tei sehr wohl be­kannt ist, was wir der Kunst schul­den. Ich für mei­nen Teil wer­de mir jetzt erst recht die Frei­heit neh­men, Ih­nen, Fräu­lein Flo­ra Gar­lin­da, mein Haus zur Ver­fü­gung zu stel­len.«

Die Pri­ma­don­na er­wi­der­te:

»Ich dan­ke Ih­nen. Aber es wür­de sich für mich nicht zie­men.«

Da wag­te der Apo­the­ker Ac­qui­sta­pace sich vor.

»Wenn das Fräu­lein denn zu ei­nem Jung­ge­sel­len nicht ge­hen will: ich bin ver­hei­ra­tet, wir sind eine sehr ehr­ba­re Fa­mi­lie, und wir wis­sen wohl, dass die Kunst und das Las­ter zwei­er­lei ist …«

»Ro­mo­lo!« rief es sehr scharf hin­ter ihm.

»Mei­ne Lie­be?« – und die Stim­me des al­ten Krie­gers ver­such­te tap­fer zu blei­ben.

Plötz­lich kreisch­te al­les auf; die Men­ge schwank­te und be­kam Ris­se; ei­ni­ge Jun­gen lie­fen heu­lend da­von.

»Der Pries­ter hat sie ins Ge­säß ge­tre­ten«, sag­te der Ad­vo­kat. »Er geht zu Ge­walt­ta­ten über. Soll man sei­ne Kin­der von die­sem Elen­den miss­han­deln las­sen?«

Da­bei zog er selbst sich ganz lei­se ge­gen den La­den des Bar­biers No­nog­gi zu­rück. Der Apo­the­ker war fort, und vie­le der nächs­ten hat­ten sich un­auf­fäl­lig in das ge­lich­te­te Volk ge­mischt. Vor den Sän­gern lag ein frei­er Halb­kreis. Der Schnei­der Chia­ra­lun­zi durch­maß ihn al­lein. Er trat vor die Pri­ma­don­na hin; aber ohne den letz­ten Schritt zu be­en­den, halb schwe­bend, als woll­te er ihr sei­ne Ge­gen­wart leicht ma­chen, be­gann er zu spre­chen. Er rieb sei­ne großen wei­ßen Hän­de mit den Bal­len an­ein­an­der, und sein Lands­knecht­schnurr­bart schau­kel­te.

»Weil näm­lich doch das Fräu­lein, wie es heißt, die ein­zi­ge un­ter den Herr­schaf­ten ist, die noch nicht ge­mie­tet hat, und ob­wohl ich na­tür­lich nicht wür­dig bin, aber was mei­ne Frau kocht, lässt sich es­sen, denn sie kocht auf Ge­nue­ser Art, denn sie hat­te eine Tan­te in Ge­nua …«

»Und ich soll bei Ih­nen woh­nen?«

»Ja, Fräu­lein, ja, das woll­te ich sa­gen.«

»Das tue ich gern. So ge­hen wir! Hier ist al­les, was ich bei mir habe.«

Der Schnei­der hob den leich­ten Kof­fer auf sei­ne Schul­tern, wie auf einen Turm, und ging vor der klei­nen zer­zaus­ten und schnel­len Per­son her über den Platz, von dem das Volk ab­lief.

»Frei­lich bla­se ich das Te­nor­horn«, sag­te er. »Doch wer­de ich, um dem Fräu­lein nicht läs­tig zu fal­len, da­mit auf die Akro­po­lis stei­gen.«

»Ihr spielt hier wohl je­der ein In­stru­ment! Und der Mae­stro übt euch?«

»Oh! mich braucht er nicht zu üben. Denn ich selbst bin Chef ei­ner klei­nen Ban­de und spie­le des Sonn­tags in den Dör­fern. Man lebt, wie man kann. Wäre nur nicht die schlech­te Kon­kur­renz! Denn das Fräu­lein hat wohl ge­hört, was der Bar­bier No­nog­gi über mich sag­te. Denn er ist mein Feind. Denn auch er hat solch eine klei­ne Ban­de …«

»Aber der Mae­stro, wie ists mit ihm?«

»Der Mae­stro, das ist et­was an­de­res. Er hat auf dem Kon­ser­va­to­ri­um stu­diert.«

»Ah, er hat stu­diert.«

»Er ist ein sehr großer Mu­si­ker und ein gu­ter Mann.«

»Vi­el­leicht ist er ein sehr großer Mu­si­ker, – aber ein gu­ter Mann? Er hat mir nicht ge­fal­len. Er sieht aus wie ei­ner, der kei­nem an­de­ren et­was gönnt. Ich wür­de ihm nicht zu sehr trau­en.«

Über­rascht wand­te sich der Schnei­der um und späh­te von sei­ner Höhe nach dem Ge­sicht, das sol­che un­ge­ahn­te Din­ge sprach. Sie nick­te ihm so fest und streng in die Au­gen, dass ihm ein Schau­er über den Na­cken lief.

»Wenn das Fräu­lein meint«, sag­te er ge­hor­sam. »Man kennt die Men­schen nie­mals ganz. Einst, beim Mi­li­tär, hat­te ich einen Freund …«

*

Sie be­tra­ten die Gas­se der Hüh­ner­lu­cia. Der Platz blieb fast leer zu­rück. Eine letz­te schwat­zen­de Grup­pe wur­de von Frau­en zer­teilt: »Kommt es­sen!« und rings­um in die Dun­kel­heit ge­trie­ben. Ein Al­ter trip­pel­te nach dem Rat­haus, zün­de­te zwei Öl­lam­pen an und mach­te sich quer über den Platz an die drit­te beim Palaz­zo Tor­ro­ni. Zur vier­ten am Dom ge­lang­te er nicht: der Te­nor Nel­lo Gen­na­ri war plötz­lich da und er­schreck­te den Al­ten.

»Hört! kennt Ihr nicht alle Leu­te hier? Ihr müsst mir sa­gen, wer jene schwarz ge­klei­de­te Frau war. Sie ging, wie es Ave läu­te­te, in den Dom.«

Da der Alte nur grins­te:

»Wollt Ihr Geld? Ach, es ist um­sonst. Mir ge­schieht et­was Un­be­greif­li­ches. Sie ging hin­ein, sie al­lein, vor al­lem Volk, und nie­mand hat sie ge­se­hen. Gute Nacht, Al­ter, die gan­ze Welt ist stumm.«

Mit ei­ner wei­ten Ges­te enteil­te er, hob die Ma­trat­ze von der Dom­tür, glitt hin­ein.

»Wenn sie noch da wäre? Vi­el­leicht er­war­tet sie mich! Vi­el­leicht aber war sie ein Ge­sicht und nur ich hat­te es?«

Die schat­ti­gen Räu­me mit dem Blick durch­ir­rend:

»O Alba! Sü­ßes Mor­gen­licht, gehe mir auf! Ich lie­be dich. Wenn ich dich fin­de, will ich in dir ver­bren­nen. Soll ich nie­mals lie­ben? Ich has­se die Wei­ber, die ich ge­habt habe. Ich bin zwan­zig Jah­re, und ich will dich lie­ben, o Alba, im­mer, im­mer.«

Er schwank­te, im Rausch sei­nes Her­zens. Als er dann hin­austrat, ging beim Glock­en­turm, wo es am dun­kels­ten war, ir­gen­det­was hin und her, lang­sam im­mer hin und her. Der Te­nor mach­te sich rasch her­zu.

»Heda, gu­ter Mann, sagt doch …«

»Wie?« frag­te der Kauf­mann Man­ca­fe­de und blieb ste­hen.

»Ver­zei­hen Sie, Herr …«

Der jun­ge Mann er­wach­te ver­wirrt. Seit ei­ner Stun­de leb­te er in ei­ner Welt von Aben­teu­ern, de­nen al­les Volk bei­wohn­te und die doch nur ihm gal­ten. Die­se Stadt und das Wun­der in ihr hat­ten ihn er­war­tet. Er flog von ei­nem zum an­de­ren als ein­zi­ger Füh­len­der zwi­schen ver­zau­ber­ten Stei­nen und frag­te nach der wun­der­ba­ren Frau.

»… ich woll­te nur …«, stam­mel­te er. »Mein Herr, ich bin fremd hier.«

»Man weiß«, sag­te der Kauf­mann. »Der Herr ist ei­ner der Ko­mö­di­an­ten.«

»Sie wer­den auch be­grei­fen, mein Herr, dass man in mei­nem Al­ter nicht im­mer … dass man … Oh, mein Herr, sie ging in den Dom.«

»Ah! in den Dom ging sie.«

»Sie ken­nen sie?«

»Das sage ich nicht. Aber um Ih­nen ge­fäl­lig zu sein, will ich mich bei mei­ner Toch­ter er­kun­di­gen.«

»Sie wol­len … Oh!«

Der Kauf­mann ging ins Haus. Der jun­ge Mann frag­te nicht, wer die­se Toch­ter sei, die das Er­leb­nis sei­nes Her­zens kann­te. Er ließ ge­sche­hen, dass die Schlei­er der Ver­zau­be­rung wie­der her­auf­stie­gen. Mit bei­den Hän­den um­fass­te er sei­ne Schlä­fen, tat zwei stür­zen­de Schrit­te und schüt­tel­te sich ganz.

»O Alba! Sü­ßes Mor­gen­licht!«

Der Kauf­mann kehr­te zu­rück.

»Mei­ne Toch­ter weiß wohl, wen Sie mei­nen; aber sie sagt es Ih­nen nicht.«

»Wa­rum nicht?«

»Mei­ne Toch­ter wird auch das wis­sen.«

»Aber die Frau hat mich an­ge­se­hen! Sie wand­te sich um, noch in der Dom­tür, und sah mich an, mich al­lein.«

»Sie hat Sie also an­ge­se­hen.«

Der jun­ge Mann stampf­te auf.

»Wen geht das al­les an, als nur mich! Was will Ihre Toch­ter! Aber sie weiß gar nichts, Ihre Toch­ter!«

»Oho!«

Der Kauf­mann ver­lor sei­ne Tro­cken­heit.

»Wenn mei­ne Toch­ter nichts weiß, dann ha­ben Sie ge­träumt, jun­ger Mann, und es ist nichts ge­sche­hen. Was ge­sche­hen ist, das weiß sie auch.«

»Wa­rum sagt sies also nicht?«

»Soll sie je­ner Un­glück­li­chen einen Men­schen schi­cken, der sie ver­führt? Mei­ne Toch­ter ist nicht sehr ein­ge­nom­men für der­glei­chen. Aber wis­sen: oh, sie weiß al­les.«

»Mein Herr« – und Nel­los Stim­me schmei­chel­te. »Hier habe ich einen schö­nen Ring. Sie sind Kauf­mann. Sie wer­den den Wert die­ses Ru­bins zu be­stim­men ver­ste­hen. Wis­sen Sie, zu wel­chem Prei­se ich ihn Ih­nen gebe? Für den Na­men, mein Herr, für den Na­men!«

»Las­sen Sie doch se­hen!«

Man­ca­fe­de zog den jun­gen Mann am Ring­fin­ger bis un­ter die Lam­pe vor dem Dom. Plötz­lich sah er auf, mit schwar­zen Run­zeln über die Horn­rän­der sei­nes Klem­mers hin­weg.

»Von wem ha­ben denn Sie einen sol­chen Ring, jun­ger Mann?«

Nel­lo er­rö­te­te tief, zog den Fin­ger zu­rück und mach­te sich mit ei­nem Ge­mur­mel da­von.

»Ich bin ih­rer un­wür­dig! Noch tra­ge ich den Ring von der Frau des Ju­we­liers!«

Und er such­te Dun­kel auf.

Aber es blieb nicht dun­kel. Aus dem Cor­so, über den Platz und zum Tor stürm­te ein Hau­fen Jun­gen mit Ker­zen in Pa­pier­tü­ten. Alle schri­en:

»Sie kom­men! Es kom­men noch mehr!«

So­gleich klapp­ten rings­um Fens­ter­lä­den an die Mau­ern, und Licht fiel her­ab. Die Häu­ser be­gan­nen sich wie­der zu lee­ren von Neu­gie­ri­gen, die noch die Mün­der wisch­ten. Alle sam­mel­ten sich am Aus­gan­ge des Plat­zes, reck­ten die Arme nach dem Tor und lärm­ten mit. Denn im­mer lau­ter ward dort hin­ten das Ge­wirr von La­chen und Ge­kreisch, das Trom­meln auf Holz, das Sin­gen … Und mit Ras­seln, Knal­len und Ge­bell und um­tollt von den Wind­lich­tern der Jun­gen, brach, voll weib­li­cher Schrei­stim­men, ein ganz bun­ter Wa­gen her­ein – nie­mand be­griff et­was vor Bunt­heit – fuhr mit­ten auf den Platz und war da. Schon stan­den, rück­wärts ge­bo­gen, jun­ge Leu­te dar­um her und brei­te­ten Arme aus, lau­ter Arme, die sich wieg­ten; – und auf al­len Sei­ten des ho­hen Stell­wa­gens bläh­ten bun­te Rö­cke und Blu­sen sich auf, wie die Mäd­chen hin­ab in die Arme spran­gen, mit ge­schlos­se­nen Au­gen dar­auf los, als sei rings­um Was­ser. Dann klet­ter­ten die Män­ner her­ab.

»Die Cho­ris­ten sind ge­kom­men!« rief man den Häu­sern hin­an; und die noch dro­ben wa­ren, stie­gen auf den Platz. Im Café ward es ganz hell. Der Kon­di­tor Sera­fi­ni im Cor­so muss­te sei­nen La­den wie­der auf­ge­macht ha­ben, denn der Kar­ren mit dem Ge­fro­re­nen klin­gel­te durchs Ge­drän­ge. Der Ad­vo­kat Be­lot­ti wand sich hin­durch, er keuch­te.

»Wir ha­ben Woh­nun­gen, mei­ne Da­men, wir sind das Ko­mi­tee.«

»Wir sind das Ko­mi­tee«, heul­ten die Jun­gen ihm nach.

Der Ad­vo­kat schwenk­te im­mer krampf­haf­ter sei­ne Lis­te über den Köp­fen. Der Schnei­der Chia­ra­lun­zi und der jun­ge Sa­vez­zo rie­fen ih­ren Freun­den zu, die Mu­sik­in­stru­men­te zu ho­len.

»Gott! Hilf noch dies eine Mal!« schrie eine Alte, die er­drückt ward; und die Frau des Kir­chen­die­ners Pi­pistrel­li:

»Die Welt geht un­ter: er hat recht, Don Tad­deo. Oh, wir Sün­der!«

Im Café »Zum Fort­schritt« stand man Fuß an Fuß.

»Ge­vat­ter Achil­le! Ei­nen schwar­zen Punsch!« rie­fen die Vor­ders­ten; aber der Wirt war hin­ter sei­nem Schenk­tisch ein­ge­sperrt und durf­te nicht ein­mal sei­nen Bauch dar­über weg­stre­cken. Die ge­füll­ten Glä­ser, die er hin­hielt, reich­te ei­ner dem an­de­ren. Er kam ins Feu­er und ver­kün­de­te dröh­nend:

»Für drei Kon­su­ma­tio­nen eine um­sonst!«

Drau­ßen ließ sein Sohn, der schö­ne Alfò, sich vom Ge­wühl um­her­wer­fen und konn­te nicht mehr zu­rück. Er lä­chel­te tö­richt, so­oft ihm eine Frau be­geg­ne­te; aber wie er der klei­nen Rina, der Magd des Ta­bak­händ­lers Pol­li, einen Kuss zu­warf, ward er von hin­ten grob an­ge­las­sen. Er hat­te je­mand ge­tre­ten, den Te­nor Nel­lo Gen­na­ri, der an der Mau­er lehn­te, schon im Gäss­chen der Hüh­ner­lu­cia, und im Dun­keln auf sei­ne Lip­pe biss. Der schö­ne Alfò ent­schul­dig­te sich freund­lich.

»Das kommt von all den Mäd­chen, die hier sind, mein Herr. Man hat so viel zu tun, wenn man schön ist.«

Der Te­nor sah ihn an.

»Es muss ein gu­tes Le­ben sein«, sag­te er auf­la­chend, »wenn man schön ist.«

»Nicht im­mer, mein Herr. Denn alle wol­len einen hei­ra­ten, und ich wer­de doch nur die Schöns­te hei­ra­ten: Alba Nar­di­ni, die schö­ne Alba.«

»Wie heißt sie, die Schöns­te?«

Da brach die Mu­sik los, als börs­ten alle Hör­ner.

»Sie heißt Alba? Re­den Sie doch!«

Der schö­ne Alfò nick­te nur noch. Eine Volks­wel­le trug ihn wei­ter. Al­les stürz­te vor. Um die Mu­sik her be­gann ein Dre­hen: die Stadt tanz­te. Sie lärm­te in der Nacht, war bunt und tanz­te. Nel­lo Gen­na­ri ging, den Kopf im Na­cken, mit von sich ge­streck­ten und ge­run­ge­nen Hän­den, ganz lang­sam in die Gas­se der Hüh­ner­lu­cia hin­ein.

»Sie heißt Alba!«

Plötz­lich fiel er mit Brust und Ge­sicht ge­gen die feuch­te schwar­ze Mau­er und wein­te über das Wun­der.


  1. Stadt in Ita­li­en  <<<

II.

Um fünf, be­vor es heiß ward, mach­te der Ad­vo­kat Be­lot­ti, schon im schwar­zen Rock, der hin­ten spitz ab­stand, sei­nen Mor­gen­spa­zier­gang. Wie ge­wöhn­lich woll­te er, um auf die Stra­ße zu ge­lan­gen, durch den Gar­ten des Palaz­zo Tor­ro­ni hin­ab­stei­gen; hin­ter ei­ner Säu­le im Flur kam aber Sa­ve­rio her­vor, der Haus­meis­ter, Kam­mer­die­ner und Gärt­ner, und stell­te die Hand an den Mund.

»Herr Ad­vo­kat!«

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