Eine mysteriöse Mordserie sorgt in London für Aufruhr. Sowohl Oscar Wilde, als auch Inspektor Frobisher von Scotland Yard werden auf den Fall angesetzt. Am Tatort hinterlassene Beweisstücke sorgen für einen ungeheuerlichen Verdacht: Ist etwa ein Mitglied der königlichen Familie in die Morde verstrickt? Mycroft Holmes und Oscar Wilde müssen alles auf eine Karte setzen, um die wahren Hintermänner zu entlarven. Doch der Zirkel der Sieben ist wachsam und hat einen gefährlichen Auftragsmörder auf die beiden angesetzt …
London, 1895: Ein mysteriöser Geheimbund bedroht die Sicherheit des britischen Königreichs. Mycroft Holmes, der Bruder des berühmten Meisterdetektivs, sieht dafür nur eine Lösung: Oscar Wilde! Der Schriftsteller, der bisher eher für sein ausschweifendes Leben und seine verbale Schlagkräftigkeit bekannt war, wird zum Sonderermittler der Krone.
Als eBook bei beTHRILLED verfügbar:
01. Zeitenwechsel
02. Der Nebel des Unheils
03. Der Todesrichter
04. Der Fall Homunculus
05. Hetzjagd in London
06. Sieben Gesichter des Todes
Marc Freund wurde 1972 in Flensburg geboren und wuchs in Osterholz an der Ostsee auf. Neben dem Schreiben von Kriminalromanen arbeitet er hauptsächlich als Hörspielautor.
Hetzjagd in London
OSCAR WILDE & MYCROFT HOLMES
Sonderermittler der Krone
Folge 05
beTHRILLED
Digitale Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Die eBook Reihe basiert auf der gleichnamigen Hörspielserie, Copyright © Maritim Verlag, www.maritim-hoerspiele.de
»Maritim« ist eine eingetragene Wort-/Bild-Marke und Eigentum der Skyscore Media GmbH, Biberwier/Tirol, www.skyscore.media
Textredaktion: Lars Schiele
Projektmanagement: Kathrin Kummer
Covergestaltung: Mark Freier (www.freierstein.de)
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-4480-6
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
»Du willst jetzt baden? Es ist kurz vor Mitternacht.«
Die schrille Stimme seiner Frau verfolgte Lord Hamish Urquard selbst bis in den Westflügel ihrer großzügigen Stadtvilla hinüber. Dabei hatte er es beinahe unbemerkt die Treppe hinauf geschafft. Beinahe.
Er blieb kurz über dem Absatz stehen, die rechte Hand auf dem Geländer, die Augen abwartend geschlossen.
»Ich weiß, wie spät es ist, Darling«, antwortete er und legte das Höchstmaß Geduld in seine Stimme, dessen er fähig war.
»Was für eine überaus verrückte Idee«, kam die weibliche Stimme durch den langen Korridor gewogt. Kurz darauf folgte Lady Ava Urquard. Sie war in einen dunkelroten Morgenmantel gehüllt, der ihren ausufernden Körper und ihren üppigen Busen nur partiell bedeckte. »Muss ich mir etwa Sorgen um deinen Geisteszustand machen, Hamish?«
Lord Urquard schüttelte den Kopf, noch immer ohne hinzusehen. Er wusste genau, wie es aussah, wenn sie am Fuß der Treppe Posten bezog, zu ihm heraufblickte und die Augen zu Schlitzen verengte, sodass sie denen von Schweinen nicht unähnlich wurden.
»Mit meinem Geist ist alles in Ordnung«, gab der Lord zurück. »Mit allem anderen auch. Ich hätte nur eben gerne gebadet. Weißt du, wie viele schwitzige Hände ich heute geschüttelt habe?«
»Aber das ist doch normal, wenn man einen Empfang gibt«, antwortete sie.
»Nur weil es normal ist, bedeutet es doch nicht, dass ich mich danach nicht säubern darf.«
Sekunden verstrichen. Dann hörte er sie tief Luft holen.
»Säubern ja, aber baden?«
Er hielt noch immer die Augen geschlossen, doch die Finger seiner rechten Hand trommelten jetzt in immer schnellerer Folge auf dem Mahagonigeländer. Gerade als er zu einer donnernden Antwort ansetzen wollte, gab sie ihren schnippischen Laut zum Besten, den sie stets in diesen oder ähnlichen Situationen abzugeben pflegte, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand durch den Korridor.
Lord Urquard wartete zwei Sekunden ab. Dann blinzelte er.
Die Luft war rein. Er setzte sich wieder in Bewegung und schob sich die Treppe hinauf. Im ersten Stock befand sich das feudal eingerichtete Badezimmer mit den vergoldeten Armaturen und den Marmorwaschbecken, zwei an der Zahl.
Den Mittelpunkt bildete die große Badewanne. Sie war ein Unikat, ein eigens für den Lord durch einen Schmiedemeister angefertigtes Einzelstück aus Metall, das durch eine goldglänzende Beschichtung optisch aufgewertet worden war.
Dank eines Kohleofens stand bereits ausreichend heißes Wasser in einem Tank bereit. Lord Urquard öffnete einen der beiden Hähne und betrachtete zufrieden, wie sich die Wanne rasch füllte. Innerhalb weniger Sekunden war das Badezimmer von Wasserdampf erfüllt, der die beiden großen Wandspiegel und das Dachfenster über der Wanne beschlagen ließ.
Der Lord, der die sechzig Jahre bereits ein gutes Stück überschritten hatte, entnahm einem kleinen Schränkchen eine braune Flasche, aus der er ein weißes Pulver in das Wasser rieseln ließ. Die beiden Stoffe vermischten sich miteinander und erzeugten kurz darauf einen in alle Richtungen aufquellenden Schaum. Das Pulver hatte er von einem Mitglied seines Klubs erhalten, der es angeblich aus Kairo mitgebracht hatte. Man sagte der Substanz eine aphrodisierende Wirkung nach. Darauf kam es dem Lord nicht unbedingt an, aber er liebte es, sich mit exotischen Dingen zu umgeben.
Er legte seine Kleidung ab und stieg vorsichtig über den Rand der Wanne. Langsam ließ er sich nieder und setzte sich auf seinen Platz, lehnte sich zurück, sodass sich sein Rücken gegen das erwärmte Metall schmiegte. Erst jetzt stellte er das Wasser ab, das ihm bis über den schmalen Bauchansatz reichte.
Der Tag war anstrengend gewesen. Voller wichtiger Begegnungen, voller Gespräche und Informationen. Es galt, zu repräsentieren. Selbst Mitglieder der königlichen Familie waren heute Abend anwesend gewesen.
Lord Urquard legte seine Arme auf dem Wannenrand ab, schloss die Augen und genoss die wohlige Wärme des Wassers. Seine Gedanken, vorhin noch emsig und rege, wurden allmählich langsamer und träge, verirrten und vermischten sich mit seltsamen Traumgebilden. Dann tauchte er gänzlich hinab in einen Schlummer, der seine Muskeln erschlaffen und ihm das Kinn auf die Brust sinken ließ.
Wie lange er so dagesessen hatte, wusste er nicht. Er hätte es wissen können, wenn er einen Blick für die Kerze gehabt hätte, die neben ihm auf einem Hocker brannte und bereits ein kleines Stück ihrer ursprünglichen Länge eingebüßt hatte. Doch der Lord schenkte dem Licht keine Beachtung, als er seine Augen wieder öffnete.
Ihn fröstelte. Das lag allerdings nicht an dem Wasser, das noch immer eine wohlige Temperatur hatte.
Ein kalter Windhauch umfing seinen Oberkörper und jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Sein Blick hastete umher, bis er suchend auch nach oben jagte und sich an dem Dachfenster über ihm verfing. Als Lord Urquard in die Wanne gestiegen war, war es fest verschlossen gewesen. Jetzt stand es einen Spalt breit offen.
Der Lord runzelte die Stirn. Noch immer war das Fenster leicht beschlagen, doch er konnte dahinter den Schnee erkennen, der frisch gefallen war und sich darauf angesammelt hatte.
Aber da war noch mehr. Durch den schmalen Spalt des schrägen Fensters erblickte er nicht nur die rabenschwarze Nacht, sondern auch einen Schatten, der mit ihr zu verschmelzen schien.
Lord Urquard blinzelte.
War da etwa jemand auf dem Dach? Aber nein, warum sollte jemand so etwas Verrücktes tun? Und doch … der alte Mann riss die Augen auf, als das Fenster plötzlich von außen weiter aufgeschoben wurde.
Ein Behälter wurde sichtbar. So etwas Ähnliches wie ein Flaschenhals ragte ein Stück weit herunter.
Daraus rieselte etwas, das etwas grobkörniger war als Pulver. In etwa so wie … Salz.
Lord Urquard gab einen überraschten Laut von sich, als die ersten Körner in sein Badewasser fielen und die Oberfläche zum Schäumen brachten. Blasen bildeten sich und schillerten in bunten Farben, bis sie platzten. Im selben Augenblick setzten sie einen beißenden Geruch frei. Es fühlte sich an, als würden dem Lord die Schleimhäute seiner Nase verätzt.
Er wollte sich erheben, als der Behälter über ihm gänzlich ausgeleert wurde und das weiße Salz in großen Mengen in das Badewasser klatschte.
Der Adlige öffnete den Mund zu einem Schrei, als er spürte, wie das vom Wasser aufgelöste Salz zu einer Säure wurde, die sich von einer Sekunde auf die andere in sein Fleisch fraß und es bis auf die Knochen wegätzte.
Urquard verlor den Halt, er taumelte und fiel rückwärts. Hart schlug er sich den Schädel am Wannenrand an, doch das Schicksal war nicht so gnädig, ihm die Besinnung zu rauben.
Der alte Lord stieß einen gellenden Schrei aus und reckte in einer hilflosen Geste der Verzweiflung seine Arme zur Decke.
Dann sank er mit aufgerissenen Augen zurück. Seine Schreie wurden durch das in seinen Mund eindringende Badewasser erstickt.
***
»So eine gottverdammte Schweinerei habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.«
Inspektor James Frobisher strich sich sein schmales Oberlippenbärtchen glatt, während er im Badezimmer der Urquard-Villa stand und auf das blickte, was von dem alten Lord übrig war.
In der Wanne schwamm ein schwarzroter Brei, aus dem hier und da ein paar Knochen ragten, während der Kopf des Lords nahezu intakt geblieben war. Seine Augen waren weit aufgerissen, genau wie der Mund, der bis zum Moment seines Todes noch schrille, schmerzerfüllte Schreie abgegeben haben mochte.
Das Dachfenster war so weit es ging geöffnet worden, da der bestialische Gestank die Luft verpestete und keinen Raum mehr zum Atmen ließ.
»Der Doktor sagt, das Zeug ist von oben gekommen, Sir«, beeilte sich der junge Mann in der Uniform eines Konstablers zu versichern.
Frobisher schenkte ihm einen schrägen Blick von der Seite. »Was Sie nicht sagen, Bannister. Von allein wäre ich vermutlich nie darauf gekommen.«
Frobisher löste seinen Blick von den sterblichen Überresten in der Badewanne. »Wie geht es Lady Urquard inzwischen? Ist sie vernehmungsfähig?«
Der junge Konstabler deutete ein Schulterzucken an. »Doktor King ist gerade bei ihr. Ich glaube, er hat ihr etwas zur Beruhigung gegeben, Sir.«
»Dann sollten wir zu ihr gehen, bevor sie uns einschläft. Man weiß ja nie.«
Frobisher, ein Mann von fünfundvierzig Jahren und stämmiger Statur, zog fröstelnd die Schultern hoch und schenkte dem geöffneten Dachfenster einen letzten Blick, bevor sie nacheinander das Badezimmer verließen.
Sie fanden Lady Ava Urquard in einem der angrenzenden Schlafzimmer, eingesunken in einem Meer aus Kissen und halb unter einer hellblauen seidenen Decke versteckt. Die Frau war blass, wirkte abwesend und wimmerte leise vor sich hin.
»Guten Morgen, Doktor«, grüßte Frobisher und nickte dem Mann im grauen Anzug zu, der sich in diesem Augenblick von der Bettkante erhob.
Frobisher deutete auf die Frau im Bett. »War sie die Erste, die ihren Mann gefunden hat?«
Doktor King nickte.
»Das erklärt einiges«, antwortete der Inspektor.
»Sie hat einen Schock erlitten, aber sie ist ansprechbar«, erklärte der Arzt, ein Mann mit grauen Schläfen und eng zusammenstehenden Augenbrauen, die seinem Gesicht stets einen etwas grimmigen Ausdruck verliehen.
Frobisher nickte King zu, der sich daranmachte, seine Sachen zusammenzupacken und mit seiner braunen Ledertasche den Raum zu verlassen.
Der Inspektor hockte sich auf die Bettkante, legte behutsam seine Hand auf den fleischigen Unterarm von Mylady und redete ihr in überraschend sanftem Tonfall gut zu.
»Lady Urquard, es tut mir ausgesprochen leid, was vergangene Nacht passiert ist.«
»Mhhh«, kam es schläfrig zurück.
Frobisher tauschte einen kurzen Blick mit seinem Assistenten Bannister, der mit sorgenvoller Miene den Kopf schüttelte.
Frobisher tätschelte die Hand der Dame, die daraufhin tatsächlich halb die Augen öffnete und offenbar kaum begriff, dass Frobisher auf der Bettkante an die Stelle des Arztes getreten war.
»Ich muss Ihnen leider einige Fragen stellen«, fuhr Frobisher fort. »Können Sie sprechen?«
»Mhhh.«
»Es geht mir um den Verlauf des gestrigen Abends. Können Sie mir sagen, ob sich da bereits etwas Ungewöhnliches abgezeichnet hat? Gab es vielleicht Streit mit jemandem?«
»Keinen Streit«, kam es kraftlos unterhalb der blauen Decke hervor. »Wir gaben einen Empfang, mein Gatte und ich. Es waren … viele Gäste da. Freunde und … ja, und natürlich Bertie und sein jüngerer Bruder Leopold.«
Frobisher runzelte die Stirn, ging in sich, ob ihm die Namen etwas sagen sollten. »Wer zum T… – ich meine, wer sind diese Gentlemen?«
Lady Urquard öffnete die Augen und schaffte es, für einen kurzen Augenblick ihren gelockten Kopf anzuheben. »Na hören Sie, ich spreche von Albert Eduard, dem Prince of Wales, und seinem Bruder, dem Duke of Albany.«
»Ach, die«, gab Frobisher zurück und schickte einen strafenden Blick in Richtung seines Konstablers, der sich grinsend zur Seite gedreht hatte. »Besuch aus dem Königshaus also.«
Die blaue Decke hob und senkte sich, als ein tiefer Seufzer darunter hervordrang. »Mein Mann und ich haben immer einen guten Umgang gepflegt.«
Frobisher überlegte, was genau er sich darunter vorzustellen hatte, kam zu keinem befriedigenden Ergebnis und tätschelte erneut die Hand der Dame, um sie am Einschlafen zu hindern.
»Können Sie sich vorstellen, wer Ihrem Gatten so etwas Entsetzliches antun konnte? Hatte er Feinde? Jemand, der ihm gedroht hat, vielleicht?«
Die silbernen und goldenen Locken auf dem Kopfkissen zitterten leicht, als Lady Urquard ihren Kopf sacht bewegte. »Mein Mann war die Güte in Person, genau wie ich selbst es bin. Leute wie wir haben keine Feinde, höchstens Neider, die uns unser Glück nicht gönnen.«
»Ist irgendjemand darunter, dem Sie so eine Tat zutrauen würden?«
»Nein. Ich kenne überhaupt niemanden, der so etwas tun würde. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen? Ich bin so entsetzlich müde.«
Frobisher nickte grimmig und erhob sich. »Natürlich, Mylady. Ruhen Sie sich aus. Ich werde mich derweil auf die Suche nach dem Mörder begeben.«
Genau in dieser Sekunde ertönte von irgendwoher aus dem großen Haus ein markerschütternder Schrei.
Oscar Wilde stand noch immer mit geöffnetem Mund und erhobenen Händen da. Hände, die ihre Bewegung nicht mehr ausführen konnten, weil die dazugehörigen Arme wie aus einer Lähmung heraus seitlich vom Kopf erstarrt waren. Er stand da und starrte. Starrte in die Wanne, war zu keiner Bewegung mehr in der Lage.
In dieser Position fanden ihn die beiden Polizisten, die durch das Haus ins Badezimmer gestürmt kamen.
»Wer ist dieser Mann?«, rief Frobisher und ließ seinen strafenden Blick kreisen.
»Ich habe ihn eingelassen«, sagte plötzlich eine sonore Stimme hinter ihnen. Butler Herbert Innings, tadellos in schwarz-weiß gestreifter Livree gekleidet, deutete eine Verbeugung in Richtung des Inspektors an.
Der Beamte von Scotland Yard lief rot an. »Wie können Sie einfach irgendwelche dahergelaufenen Leute hier hereinlassen? Das hier ist ein Tatort, verflucht noch mal.«
»Ich bin nicht dahergelaufen«, kam es leise aus Wildes Mund.
Frobisher drehte den Kopf. »Was?«
»Ich habe eine Empfehlung«, flüsterte der Schriftsteller, der von der britischen Regierung als Sonderermittler der Krone eingesetzt worden war. »Sie steckt in der linken Brusttasche meines Jacketts.«
Wilde machte noch immer keine Anstalten, seine Arme herunterzunehmen. Er ließ es geschehen, dass der Inspektor mit spitzen Fingern in seine Tasche griff und einen leicht zerknitterten, versiegelten Umschlag herausholte.
»Was soll das sein?«, fragte Frobisher und wehrte mit dem rechten Ellenbogen beiläufig Sergeant Bannister ab, der ihm einen neugierigen Blick über die Schulter warf.
»Öffnen Sie«, hauchte Wilde, der in ständigem Blickkontakt mit dem Toten in der Wanne stand.
Über Frobishers Gesicht zog ein Unwetter, dennoch machte er sich daran, das rote Wachssiegel aufzubrechen und den Umschlag zu öffnen. Er zog einen cremefarbenen Briefbogen heraus und begann zu lesen. Je weiter er las, desto fragender wurde sein Gesichtsausdruck. Immer, wenn sich seine Miene gerade wieder glätten wollte, sorgte eine neue Zeile dafür, dass sich die Stirn des Inspektors wieder in Falten legte. Als er geendet hatte, ließ er das Schreiben wortlos sinken. Seine Arme baumelten scheinbar nutzlos an seinem Körper herab.
Dann nickte Frobisher, mehr zu sich selbst als zu irgendwem im Raum. Die peinliche Stille endete damit, dass er das Wort erhob.
»In diesem Schreiben«, sagte er, räusperte sich und setzte neu an: »In diesem Schreiben wird mir von Mister Mycroft Holmes das Eintreffen eines Sonderermittlers der Krone angekündigt. Ich nehme an, das sind Sie?«
»Ja.«
»Der Träger dieses Dokuments ist berechtigt, sich in die laufenden Ermittlungen im Mordfall Urquard einzuschalten und sie im weiteren Verlauf zu … zu begleiten.«
Wilde ließ langsam seine Arme sinken und drehte sich zu dem Beamten um. »So ist es.«
»Warum zum Teufel haben Sie vorhin so geschrien?«, wollte Frobisher wissen.
Wilde wendete den Blick von der Leiche ab und zuckte mit den Schultern. »Es hallt hier drinnen so schön. Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen? Nein?«
»Was sind Sie denn für ein Witzbold? Haben Sie noch nie eine Leiche gesehen?«
Wilde verzog das Gesicht. »Ich habe in meinem Leben schon mehr gesehen, als mir lieb ist, das kann ich Ihnen sagen.«
Frobisher musterte den Schriftsteller argwöhnisch. »Kann es sein, dass ich Sie schon mal irgendwo gesehen habe? Sie kommen mir bekannt vor.«
»Ich bin viel gereist«, lautete Wildes lakonische Antwort.
Frobisher faltete den Brief wieder zusammen und überreichte ihn seinem Gegenüber. »Und was haben Sie sich jetzt so vorgestellt? Wollen Sie die Ermittlungen übernehmen, oder wie?«
Wilde hob beschwichtigend die Hände. »Oh, Gott behüte, nein. Ich denke, dieser Fall ist bei Ihnen wunderbar aufgehoben. Ich bin lediglich hier, um Augen und Ohren offen zu halten und Mister Holmes später Bericht zu erstatten.«
»So«, machte Frobisher verächtlich. »So einer sind Sie. Schnüffelt überall ein bisschen herum, aber ist sich zu fein, sich die Hände schmutzig zu machen, eh?«