Christoph Bartneck
Tony Belpaeme
Friederike Eyssel
Takayuki Kanda
Merel Keijsers
Selma Šabanović
Mensch-Roboter-Interaktion
Eine Einführung
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Copyright der Originalausgabe © Christoph Bartneck, Tony Belpaeme, Friederike Eyssel, Takayuki Kanda, Merel Keijsers, and Selma Šabanović 2020
This translation of Human-Robot Interaction is published by arrangement with Cambridge University Press.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2020 Carl Hanser Verlag München
Internet: www.hanser-fachbuch.de
Lektorat: Dipl.-Ing. Natalia Silakova-Herzberg
Herstellung: Anne Kurth
Covergestaltung: Max Kostopoulos
Coverkonzept: Marc Müller-Bremer, www.rebranding.de, München
Titelbild: © shutterstock.com/Zenzen
Print-ISBN 978-3-446-46412-4
E-Book-ISBN 978-3-446-46413-1
Epub-ISBN 978-3-446-46473-5
Vorwort |
Die Rolle von Robotern in der Gesellschaft erweitert und verändert sich ständig und bringt eine Reihe von Fragen zu der Beziehung zwischen Roboter und Mensch mit sich. Diese Einführung in die Mensch-Roboter-Interaktion (Human-Robot Interaction, HRI), die von führenden Forschern auf diesem sich entwickelnden Gebiet verfasst wurde, ist die erste, die einen breiten Überblick über die multidisziplinären Themen bietet, die für die moderne HRI-Forschung von zentraler Bedeutung sind. Studenten und Forscher aus den Bereichen Robotik, Künstliche Intelligenz, Psychologie, Soziologie und Design finden darin einen prägnanten und zugänglichen Leitfaden zum aktuellen Stand des Fachgebiets.
Das vorliegende Buch wurde für Studierende mit unterschiedlichem Vorwissen geschrieben. Es stellt relevante Hintergrundkonzepte vor, beschreibt, wie Roboter funktionieren, wie sie entworfen werden und wie ihre Leistung bewertet werden kann. In eigenständigen Kapiteln wird ein breites Spektrum von Themen diskutiert, darunter die verschiedenen Kommunikationsmodalitäten wie Sprache und Sprechen, nonverbale Kommunikation und die Verarbeitung von Emotionen sowie ethische Fragen rund um den Einsatz von Robotern heute und im Kontext unserer zukünftigen Gesellschaft.
Christoph Bartneck
Tony Belpaeme
Friederike Eyssel
Takayuki Kanda
Merel Keijsers
Selma Šabanović
Titelei
Impressum
Inhalt
Vorwort
1 Einleitung
1.1 Über dieses Buch
1.2 Der Schwerpunkt dieses Buches
1.3 Die Autoren
1.3.1 Christoph Bartneck
1.3.2 Tony Belpaeme
1.3.3 Friederike Eyssel
1.3.4 Takayuki Kanda
1.3.5 Merel Keijsers
1.3.6 Selma Šabanović
2 Was ist Mensch-Roboter-Interaktion?
2.1 HRI als interdisziplinäres Unterfangen
2.2 Die Entwicklung von HRI
3 Wie ein Roboter funktioniert
3.1 Die Herstellung eines Roboters
3.2 Roboter-Hardware
3.3 Sensoren
3.3.1 Sehfähigkeit
3.3.2 Audio
3.3.3 Berührungsensoren
3.3.4 Andere Sensoren
3.4 Aktuatoren
3.4.1 Motoren
3.4.2 Pneumatische Aktuatoren
3.4.3 Lautsprecher
3.5 Software
3.5.1 Software-Architektur
3.5.2 Plattform für Software-Implementierung
3.5.3 Maschinelles Lernen
3.5.4 Computer-Sehfähigkeit
3.6 Beschränkungen der Robotik für HRI
3.7 Schlussfolgerung
4 Design
4.1 Design in HRI
4.1.1 Morphologie und Form des Roboters
4.1.2 Aktionspotenziale
4.1.3 Entwurfsmuster
4.1.4 Gestaltungsprinzipien in der HRI
4.2 Anthropomorphisierung im HRI-Design
4.2.1 Anthropomorphisierung und Roboter
4.2.2 Theorie des Anthropomorphismus
4.2.3 Design und Anthropomorphismus
4.2.4 Messung der Anthropomorphisierung
4.3 Design-Methoden
4.3.1 Technischer Design-Prozess
4.3.2 Nutzerzentrierter Entwurfsprozess
4.3.3 Partizipatives Design
4.4 Werkzeuge für den Prototypenbau
4.5 Kultur und HRI-Design
4.6 Von Maschinen zu Menschen und das Dazwischen
4.7 Schlussfolgerung
5 Räumliche Interaktion
5.1 Nutzung des Raums in der menschlichen Interaktion
5.1.1 Proxemik
5.1.2 Dynamik der räumlichen Gruppeninteraktion
5.2 Räumliche Interaktion für Roboter
5.2.1 Lokalisierung und Navigation
5.2.2 Sozial angemessene Positionierung
5.2.3 Räumliche Dynamik der initiierenden HRI
5.2.4 Informieren der Nutzer über die Absicht des Roboters
5.3 Schlussfolgerung
6 Nonverbale Interaktion
6.1 Funktionen von nonverbalen Hinweisen in der Interaktion
6.2 Arten der nonverbalen Interaktion
6.2.1 Blick und Augenbewegung
6.2.2 Geste
6.2.3 Mimikry und Imitation
6.2.4 Berührung
6.2.5 Körperhaltung und Bewegung
6.2.6 Interaktionsrhythmus und Zeitplanung
6.3 Nonverbale Interaktion bei Robotern
6.3.1 Roboter-Wahrnehmung von nonverbalen Hinweisen
6.3.2 Generieren von nonverbalen Hinweisen in Robotern
6.4 Schlussfolgerung
7 Verbale Interaktion
7.1 Verbale Interaktion von Mensch zu Mensch
7.1.1 Komponenten der Sprache
7.1.2 Geschriebener Text versus gesprochene Sprache
7.2 Spracherkennung
7.2.1 Grundlegende Prinzipien der Spracherkennung
7.2.2 Einschränkungen
7.2.3 Praxis der Spracherkennung in der HRI
7.2.4 Erkennung von Sprechaktivität
7.2.5 Sprachverständnis in HRI
7.3 Management des Dialogs
7.3.1 Grundlegendes Prinzip
7.3.2 Praxis des Dialogmanagements in der HRI
7.4 Sprachproduktion
7.5 Schlussfolgerung
8 Emotionen
8.1 Was sind Emotionen, Stimmung und Affekt?
8.2 Menschliche Emotionen verstehen
8.3 Wenn Emotionen schief gehen
8.4 Emotionen für Roboter
8.4.1 Interaktionsstrategien für Emotionen
8.4.2 Künstliche Wahrnehmung von Emotionen
8.4.3 Emotionen mit Robotern ausdrücken
8.4.4 Emotionsmodelle
8.5 Herausforderungen bei affektiver HRI
9 Forschungsmethoden
9.1 Definieren einer Forschungsfrage und eines Forschungsansatzes
9.1.1 Ist Ihre Forschung explorativ oder bestätigend?
9.1.2 Stellen Sie eine Korrelation oder einen Kausalzusammenhang her?
9.2 Auswahl zwischen qualitativen, quantitativen und gemischten Methoden
9.2.1 Anwenderstudien
9.2.2 Systemstudien
9.2.3 Beobachtungsstudien
9.2.4 Ethnographische Studien
9.2.5 Konversationsanalyse
9.2.6 Crowdsourced-Studien
9.2.7 Single-Subject-Studien
9.3 Auswahl von Forschungsteilnehmern und Studiendesigns
9.4 Definition des Interaktionskontextes
9.4.1 Studienort
9.4.2 Zeitlicher Kontext von HRI
9.4.3 Soziale Einheiten der Interaktion in HRI
9.5 Auswahl eines Roboters für Ihre Studie
9.6 Einrichten des Interaktionsmodus
9.6.1 Der Zauberer von Oz
9.6.2 Reale versus simulierte Interaktion
9.7 Auswahl geeigneter HRI-Maßnahmen
9.8 Forschungsstandards
9.8.1 Wechselnde Standards der statistischen Analyse
9.8.2 Trennschärfe
9.8.3 Verallgemeinerbarkeit und Wiederholbarkeit
9.8.4 Ethische Überlegungen in HRI-Studien
9.9 Schlussfolgerung
10 Anwendungen
10.1 Serviceroboter
10.1.1 Reinigungsroboter
10.1.2 Zustellroboter
10.1.3 Sicherheitsroboter
10.1.4 Roboter als Ausstellungsführer
10.1.5 Roboter als Rezeptionisten
10.1.6 Roboter für die Verkaufsförderung
10.2 Roboter zum Lernen
10.3 Roboter zur Unterhaltung
10.3.1 Haustier- und Spielzeugroboter
10.3.2 Roboter für Ausstellungen
10.3.3 Roboter in der darstellenden Kunst
10.3.4 Sex-Roboter
10.4 Roboter im Gesundheitswesen und in der Therapie
10.4.1 Roboter für Senioren
10.4.2 Roboter für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung
10.4.3 Roboter für die Rehabilitation
10.5 Roboter als persönliche Assistenten
10.6 Kollaborative Roboter
10.7 Selbstfahrende Autos
10.8 Ferngesteuerte Roboter
10.9 Zukünftige Anwendungen
10.10 Probleme der Roboteranwendung
10.10.1 Nutzererwartungen
10.10.2 Abhängigkeit
10.10.3 Aufmerksamkeitsdiebstahl
10.10.4 Verlust des Interesses durch den Nutzer
10.10.5 Robotermissbrauch
10.11 Schlussfolgerung
11 Roboter in der Gesellschaft
11.1 Roboter in populären Medien
11.1.1 Roboter wollen Menschen sein
11.1.2 Roboter als Bedrohung für die Menschheit
11.1.3 Überlegene Roboter sind gut
11.1.4 Ähnlichkeit zwischen Menschen und Roboter
11.1.5 Erzählungen der Roboterwissenschaft
11.2 Ethik in der HRI
11.2.1 Roboter in der Forschung
11.2.2 Roboter zur Erfüllung emotionaler Bedürfnisse
11.2.3 Roboter am Arbeitsplatz
11.3 Schlussfolgerung
12 Die Zukunft
12.1 Die Natur der Mensch-Roboter-Beziehungen
12.2 Die Technologie der HRI
12.3 Kristallkugel-Probleme
Literaturverzeichnis
1 | Einleitung |
1.1 | Über dieses Buch |
Heutzutage wird viel über Roboter gesprochen. Sie sind in den Nachrichten, auf der Kinoleinwand und sogar in unserem täglichen Leben zu sehen. Haben Sie jemals mit einem Roboter interagiert, etwa mit einem Staubsauger-Roboter? Oder einem Roboterspielzeug, einem Roboter-Haustier oder einem Roboter-Gefährten? Wenn nicht, werden Sie es wahrscheinlich demnächst tun. Technologieunternehmen haben das Potenzial von persönlichen Robotern bereits im Blick, und sowohl Start-ups als auch große multinationale Unternehmen bereiten sich darauf vor, unsere Welt durch Roboter zu revolutionieren.
Doch wohin steuert der Bereich der Robotik? Wie wird und sollte unsere Zukunft mit Robotern aussehen? Wie werden Roboter einen Platz in unserem Leben finden? Es gibt noch viele offene Fragen. Eine Reihe unbekannter, aber spannender Zukunftsszenarien erwartet uns, in denen Roboter uns unterstützen, mit uns zusammenarbeiten, uns transportieren oder uns unterhalten. Wenn Sie dieses Buch öffnen, sollten Sie ein Interesse daran haben, wie eine solche Zukunft aussehen könnte. Vielleicht wollen Sie sogar die Roboter-Revolution mitgestalten.
Dabei geht es zunächst einmal nur um Sie: Welche Art von Ausbildung haben Sie? Sind Sie durch Ihr Interesse an Technik, Psychologie, Kunst oder Design von Robotern fasziniert worden? Oder haben Sie dieses Buch in die Hand genommen, weil es die Faszination der Kindheit für Roboter wiederaufleben lässt? Die Mensch-Roboter-Interaktion (Human-Robot Interaction, HRI) ist ein Gebiet, das Ideen aus einer Vielzahl von Disziplinen zusammenführt. Technik, Informatik, Robotik, Psychologie, Soziologie und Design haben alle etwas dazu beizutragen, wie wir mit Robotern interagieren. HRI liegt in der Schnittmenge dieser Disziplinen. Als Informatiker zahlt es sich aus, über Sozialpsychologie Bescheid zu wissen; als Designer ist es sinnvoll, in die Soziologie einzutauchen.
Wenn Sie einen ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund haben, glauben Sie, dass Sie einen Roboter bauen können, der mit Menschen interagiert, indem sie nur mit anderen Ingenieuren zusammenarbeiten? Leider, so sagen wir voraus, werden Sie dazu nicht in der Lage sein. Für den Entwurf von Robotern, mit denen Menschen interagieren wollen, braucht man ein gutes Verständnis der menschlichen sozialen Interaktion. Dafür braucht man auch den Blick von Sozial- und Geisteswissenschaftlern.
Sind Sie Designer? Glauben Sie, dass Sie einen sozial interaktiven Roboter entwerfen können, ohne mit Ingenieuren und Psychologen zu arbeiten? Die Erwartungen der Menschen an einen Roboter und seine Rolle im Alltag sind nicht nur hoch, sondern auch von Mensch zu Mensch sehr verschieden. Manche Menschen erzählen Ihnen vielleicht, dass sie sich Roboter wünschen, die für sie kochen; andere wünschen sich, dass ein Roboter ihre Hausaufgaben macht und anschließend eine intellektuelle Unterhaltung über den neuen Star Wars-Film mit ihnen führt. Die Fähigkeiten von Robotern als Assistenten sind jedoch noch recht begrenzt. Moravecs Paradoxon gilt auch Jahrzehnte nach seiner ersten Äußerung noch immer: Alles, was den Menschen schwer erscheint, ist für Maschinen relativ einfach, und alles, was ein kleines Kind tun kann, ist für eine Maschine fast unmöglich. Als Designer braucht man daher für den Entwurf eines lebensfähigen und realistischen Designs sowohl ein gutes Verständnis der technischen Möglichkeiten als auch der menschlichen Psychologie und Soziologie.
Und nicht zuletzt, diejenigen von Ihnen, die eine Ausbildung in Psychologie und Soziologie haben, wollen Sie einfach darauf warten, dass solche Roboter in unserer Gesellschaft erscheinen? Wäre es nicht zu spät, erst dann mit dem Studium dieser Technologien zu beginnen? Wollen Sie nicht Einfluss darauf nehmen, wie sie aussehen und wie sie interagieren? Sie können doch schon heute mit befreundeten Ingenieuren und Informatikern sprechen oder mit einem Designer zu Mittag essen. Diese werden Ihren sozialwissenschaftlichen Ideen eine gewisse Grundlage dafür geben, was technisch möglich ist, und Ihnen helfen, die Bereiche zu finden, in denen Ihr Wissen die größte Wirkung haben kann.
Genau wie wir sechs, die dieses Buch geschrieben haben, werden Sie alle zusammenarbeiten müssen. Um dies auf effektive Weise zu tun, müssen Sie die Perspektiven von HRI-Praktikern aus verschiedenen Disziplinen verstehen und sich der verschiedenen Arten von Fachwissen bewusst sein, die für die Entwicklung erfolgreicher HRI-Projekte erforderlich sind. In diesem Buch möchten wir Ihnen einen breiten Überblick über die zentralen HRI-Themen geben und Sie zum Nachdenken über Ihren möglichen Beitrag anregen. Wir möchten, dass Sie mit uns die Grenzen des Bekannten und Möglichen erweitern. Bereits heute kann man mit mit geringem Aufwand einen eigenen Roboter bauen und programmieren. Roboter werden Teil unserer Zukunft sein, also nutzen Sie Ihre Chance, sie zu gestalten. Starten Sie, lesen Sie (dieses Buch!), erschaffen, testen und lernen Sie!
Wir haben ein Team führender Experten aus dem breiten Spektrum derjenigen Disziplinen zusammengestellt, die zur HRI beitragen. Unser aller Herz schlägt für die Verbesserung der Interaktion von Mensch und Roboter.
1.2 | Der Schwerpunkt dieses Buches |
HRI ist ein großes, multidisziplinäres Gebiet, und dieses Buch bietet eine Einführung in die damit verbundenen Probleme, Prozesse und Lösungen. Es ermöglicht einen Überblick über das Gebiet, ohne mit der Komplexität aller Herausforderungen überfordert zu werden. Zur Vertiefung geben wir Hinweise auf relevante Literatur, die der Interessierte in eigenem Tempo lesen kann. Die Autoren bieten die dringend benötigte Einführung für Studenten, Wissenschaftler, Praktiker und politische Entscheidungsträger. Durch die Lektüre können sie sich damit vertraut machen, wie der Mensch in der Zukunft mit Technologie interagieren wird.
Dieses Buch ist eine Einführung, und als solche erfordert es keine umfangreichen Kenntnisse in einem der verwandten Gebiete. Es erfordert lediglich die Neugier des Lesers, wie Roboter und Menschen miteinander interagieren können und sollen.
Nach einer Einführung in das Gebiet der HRI und der prinzipiellen Funktionsweise eines Roboters konzentrieren wir uns auf die Konstruktion der Roboter. Als Nächstes befassen wir uns mit den verschiedenen Modalitäten, über die Menschen mit Robotern interagieren können, z. B. durch Sprache oder Gesten. Die Verarbeitung und Kommunikation von Emotionen sind die Themen der nächsten Herausforderung, die wir vorstellen, bevor wir über die Rolle von Robotern in den Medien reflektieren. Das Kapitel über Forschungsmethoden führt in die einzigartigen Probleme ein, mit denen Forscher konfrontiert sind, wenn sie empirische Studien über die Interaktion von Menschen mit Robotern durchführen. Als nächstes decken wir die Anwendungsbereiche von sozialen Robotern und ihre spezifischen Herausforderungen ab, bevor wir ethische Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz von sozialen Robotern erörtern. Das Buch schließt mit einem Blick in die Zukunft der HRI.
1.3 | Die Autoren |
1.3.1 | Christoph Bartneck |
Christoph Bartneck ist außerordentlicher Professor und Direktor des Postgraduiertenstudiums am Human Interface Technology Lab New Zealand (HIT Lab NZ) der Universität Canterbury, Neuseeland. Er hat einen wissenschaftlichen Hintergrund in Industriedesign und der Mensch-Computer-Interaktion. Seine Projekte und Studien werden in führenden Zeitschriften, Zeitungen und Konferenzen veröffentlicht. Seine Interessen liegen in den Bereichen Mensch-Computer-Interaktion, Wissenschaft und Technik sowie visuelles Design. Im Besonderen konzentriert er sich auf die Auswirkungen des Anthropomorphismus auf die HAI, die Human-Agent Interaction. Sein sekundäres Forschungsinteresse gilt bibliometrischen Analysen, agentenbasierten sozialen Simulationen und der kritischen Überprüfung von wissenschaftlichen Prozessen und Politiken. Im Bereich Design untersucht Christoph die Geschichte des Produktdesigns, der Tesselierung sowie der Fotografie. Die Presse berichtet regelmäßig über seine Arbeit, darunter New Scientist, Scientific American, Popular Science, Wired, die New York Times, The Times, die British Broadcasting Corporation (BBC), HuffPost, die Washington Post, The Guardian und The Economist.
Bild 1.1
1.3.2 | Tony Belpaeme |
Tony Belpaeme ist Professor an der Universität Gent, Belgien, und Professor für Robotik und kognitive Systeme an der Universität Plymouth, Großbritannien. Er hat an der Vrije Universiteit Brussel (VUB) in Informatik promoviert. Ausgehend von der Prämisse, dass Intelligenz in der sozialen Interaktion verwurzelt ist, versuchen Tony und sein Forschungsteam, die künstliche Intelligenz von sozialen Robotern zu fördern. Dieser Ansatz führt zu einer ganzen Reihe von Ergebnissen, von theoretischen Einsichten bis hin zu praktischen Anwendungen. Er ist an Großprojekten beteiligt, die untersuchen, wie Roboter zur Unterstützung von Kindern in der Ausbildung eingesetzt werden können. Er untersucht, wie aus kurzen Interaktionen mit Robotern langfristige werden können und wie Roboter in der Therapie eingesetzt werden können.
1.3.3 | Friederike Eyssel |
Friederike Eyssel ist Professorin für angewandte Sozialpsychologie und Geschlechterforschung am Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie der Universität Bielefeld. Friederike Eyssel interessiert sich für verschiedene Forschungsthemen, die von sozialer Robotik, sozialen Agenten und Ambient Intelligence bis hin zu Einstellungsänderungen, Vorurteilsabbau und der sexuellen Objektivierung von Frauen reichen. Über die Disziplingrenzen hinweg hat Friederike in großem Umfang im Bereich der Sozialpsychologie, der HAI und der sozialen Robotik publiziert und ist als Gutachterin für mehr als 20 Zeitschriften tätig. Aktuelle drittmittelfinanzierte Forschungsprojekte (DFG, BMBF, FP7) befassen sich mit User Experience und Smart-Home-Technologien sowie mit den ethischen Aspekten, die mit assistierenden Technologien und sozialen Robotern im Allgemeinen verbunden sind.
1.3.4 | Takayuki Kanda |
Takayuki Kanda ist Professor für Informatik an der Universität Kyoto, Japan. Außerdem ist er Visiting Group Leader am Institute for Advanced Telecommunications Research (ATR), Intelligent Robotics and Communication Laboratories, Kyoto, Japan. Er erhielt seinen BA und seinen Master in Ingenieurwesen und seinen Doktortitel in Informatik von der Universität Kyoto, Japan, in den Jahren 1998, 2000 und 2003. Er ist eines der Gründungsmitglieder des Projekts Kommunikationsroboter am Institute for Advanced Telecommunications Research (ATR) in Kyoto. Er hat den Kommunikationsroboter Robovie entwickelt und ihn in alltäglichen Situationen, wie z. B. bei der Nachhilfe in einer Grundschule und als Ausstellungsführer in einem Museum, eingesetzt. Zu seinen Forschungsinteressen gehören HAI, interaktive menschenähnliche, d. h. humanoide, Roboter und Feldversuche.
1.3.5 | Merel Keijsers |
Merel Keijsers ist Doktorandin am HIT Lab NZ, Universität Canterbury, Neuseeland. Sie hat einen Research-Master in Statistik und in Sozial- und Gesundheitspsychologie der Universität Utrecht, Niederlande. In ihrer Doktorarbeit untersucht sie, welche bewussten und unbewussten psychologischen Prozesse Menschen dazu bringen, Roboter zu missbrauchen und zu schikanieren. Mit ihrem sozialpsychologischen Hintergrund interessiert sie sich vor allem für die Ähnlichkeiten und Unterschiede im Umgang mit Robotern im Vergleich zu anderen Menschen.
1.3.6 | Selma Šabanović |
Selma Šabanović ist außerordentliche Professorin für Informatik und kognitive Wissenschaft an der Indiana University, Bloomington, USA, wo sie das R-House Human-Robot Interaction Lab gegründet hat und leitet. Ihre Forschung kombiniert Studien zu Design, Nutzung und Konsequenzen von sozial interaktiven und assistierenden Robotern in verschiedenen sozialen und kulturellen Kontexten, einschließlich Gesundheitseinrichtungen, Heimen und anderen bezogen auf verschiedene Länder. Sie beschäftigt sich auch mit der kritischen Untersuchung der gesellschaftlichen Bedeutung und den potenziellen Auswirkungen der Entwicklung und Implementierung von Robotern auf Alltagskontexte. Sie promovierte 2007 am Rensselaer Polytechnic Institute in Wissenschaft und Technik mit einer Dissertation über die interkulturelle Untersuchung der sozialen Robotik in Japan und den Vereinigten Staaten. Derzeit ist sie Chefredakteurin der Zeitschrift ACM Transactions on Human-Robot Interaction.
2 | Was ist Mensch-Roboter-Interaktion? |
Was in diesem Kapitel behandelt wird
Akademische Disziplinen, die auf dem Gebiet der Mensch-Roboter-Interaktion (Human-Robot Interaction, HRI) zusammenkommen.
Barrieren, die durch die unterschiedlichen Paradigmen der Disziplinen entstehen, und wie man diese umgehen kann.
Geschichte und Entwicklung von HRI als Wissenschaft.
Meilensteine der HRI-Geschichte.
Die Mensch-Roboter-Interaktion oder HRI (Human-Robot Interaction) wird allgemein als neues und wachsendes Forschungsgebiet bezeichnet, wobei es die Idee der menschlichen Interaktion mit Robotern schon so lange gibt wie die Idee der Roboter selbst. Isaac Asimov, der den Begriff der „Robotik“ in den 1940er-Jahren prägte, schrieb seine Geschichten um Fragen, die die Beziehung zwischen Mensch und Roboter als Haupteinheit der Analyse betrachten: „Wie sehr werden Menschen Robotern vertrauen?“; „Welche Art von Beziehung kann ein Mensch zu einem Roboter haben?“; „Wie verändern sich unsere Vorstellungen von dem, was menschlich ist, wenn wir Maschinen haben, die menschenähnliche Dinge in unserer Mitte tun?“ (siehe Seite 226 für mehr über Asimov). Vor Jahrzehnten war das noch Science-Fiction, aber heutzutage sind viele dieser Themen in den gegenwärtigen Gesellschaften Realität und zu zentralen Forschungsfragen im Bereich der HRI geworden.
Unterscheidung von körperlicher und sozialer Interaktion:
Eine Möglichkeit, einige wichtige Unterschiede zwischen den Bereichen HRI und Robotik zu verstehen, besteht darin festzuhalten, dass sich Robotik mit der Schaffung von physischen Robotern und der Art und Weise, wie diese Roboter die physische Welt manipulieren, befasst, während sich HRI mit der Art und Weise befasst, wie Roboter mit Menschen in der sozialen Welt interagieren.
Wenn beispielsweise der humanoide Roboter ASIMO (siehe Bild 2.1) in einem Haus die Treppe hinaufgeht oder in einem Büro einen Wagen schiebt, dann spürt und handelt er allein in der physischen Welt. Er beschäftigt sich mit der Physik seines eigenen Körpers und seiner Umgebung. Wenn ASIMO eine Gruppe von Büroangestellten mit Kaffee versorgt oder mit Kindern in einem Hof Fangen spielt, geht es um die für diese Handlungen erforderlichen physischen Bewegungen, aber auch um die sozialen Aspekte der Umgebung: Wo befinden sich die Kinder oder die Büroangestellten, wie sich ihnen sicher und in einer als angemessen erachteten Art und Weise nähern, wie soziale Regeln der Interaktion einhalten? Solche sozialen Regeln könnten für Menschen offensichtlich sein, wie z. B. die Anerkennung der anderen Akteure, das Wissen, wer „es“ in einem Fangenspiel ist, und zu sagen „gern geschehen“, wenn jemand „Danke“ sagt. Aber für einen Roboter sind all diese sozialen Regeln und Normen unbekannt und erfordern die Aufmerksamkeit des Roboterkonstrukteurs. Solche Bedenken unterscheiden HRI-Fragen von solchen, wie sie in der Robotik im engeren Sinne verfolgt werden.
Als Disziplin ist HRI mit der Mensch-Computer-Interaktion (Human-Computer Interaction, HCI), der Robotik, der künstlichen Intelligenz, der Technologiephilosophie und dem Design verbunden. In diesen Disziplinen ausgebildete Wissenschaftler haben gemeinsam an der Entwicklung von HRI gearbeitet, wobei sie Methoden und Rahmenbedingungen aus ihren Heimatdisziplinen einbezogen, aber auch neue Konzepte, Forschungsfragen und HRI-spezifische Methoden zum Studium und Aufbau der Welt entwickelt haben.
Bild 2.1
Was macht HRI einzigartig? Die Interaktion von Menschen mit sozialen Robotern steht eindeutig im Mittelpunkt dieses Forschungsgebiets. Zu diesen Interaktionen gehören in der Regel physisch menschenkörperähnliche Roboter; ihre menschenähnliche Verkörperung unterscheidet sie inhärent von anderen Computertechnologien. Darüber hinaus werden soziale Roboter als soziale Akteure wahrgenommen, die kulturelle Bedeutung und einen starken Einfluss auf heutige und zukünftige Gesellschaften haben. Die Aussage, dass ein Roboter menschenähnlich verkörpert ist, bedeutet nicht, dass er einfach ein Computer auf Beinen oder Rädern ist. Stattdessen müssen wir verstehen, wie man diese humanoide Verkörperung entwirft, sowohl in Bezug auf Software und Hardware – wie es in der Robotik üblich ist –, als auch in Bezug auf ihre Auswirkungen auf Menschen und die Art der Interaktionen, die diese mit einem menschenähnlichen Roboter haben können.
Die menschenähnliche Verkörperung eines Roboters setzt physische Grenzen für die Art und Weise, wie er in der Welt fühlen und handeln kann, aber sie bietet auch ganz eigene Möglichkeiten für die Interaktion mit Menschen. Die körperliche Verfassung des Roboters veranlasst Menschen, auf eine Weise zu reagieren, die der Interaktion mit anderen Menschen ähnlich ist. Die Ähnlichkeit der Roboter mit Menschen ermöglicht es diesen, ihre bestehenden Erfahrungen mit der Mensch-Mensch-Interaktion in der Mensch-Roboter-Interaktion zu nutzen. Diese Erfahrungen können sehr nützlich für die Gestaltung einer Interaktion sein, aber sie können auch zu Frustration führen, wenn der Roboter den Erwartungen der Nutzer nicht gerecht werden kann.
HRI konzentriert sich auf die Entwicklung von Robotern, die mit Menschen in verschiedenen Alltagsumgebungen interagieren können. Dies eröffnet einerseits technische Herausforderungen, die sich aus der Dynamik und Komplexität des Menschen und der sozialen Umgebung ergeben. Andererseits ergeben sich aber auch Anforderungen an das Design, nämlich in Bezug auf das Aussehen, das Verhalten und die Sensorfähigkeiten von Robotern, um die Interaktion anzuregen und zu lenken. Aus psychologischer Sicht bietet HRI die einzigartige Möglichkeit, menschliche Affekte, Kognition und Verhalten zu untersuchen, wenn Menschen mit anderen sozialen Agenten als anderen Menschen konfrontiert werden. Soziale Roboter können in diesem Zusammenhang als Forschungsinstrumente zur Untersuchung psychologischer Mechanismen und Theorien dienen.
Wenn Roboter nicht nur Werkzeug sind, sondern vielmehr Mitarbeiter, Begleiter, Führer oder Tutor, sprich wenn sie irgendeine Art von sozialem Interaktionspartner sind, betrachtet die HRI-Forschung damit jeweils viele verschiedene Beziehungen zur Entwicklung der Gesellschaft, sowohl in der Gegenwart als auch in der Zukunft. Die HRI-Forschung umfasst Fragen im Zusammenhang mit der sozialen und physischen Gestaltung von Technologien sowie der gesellschaftlichen und organisatorischen Umsetzung und der kulturellen Sinnfindung, und zwar in einer Weise, die sich von verwandten Disziplinen unterscheidet.
2.1 | HRI als interdisziplinäres Unterfangen |
HRI ist von Natur und aus Notwendigkeit heraus ein multidisziplinäres und problembasiertes Gebiet. HRI bringt Wissenschaftler und Praktiker aus verschiedenen Bereichen zusammen: Ingenieure, Psychologen, Designer, Anthropologen, Soziologen und Philosophen sowie Wissenschaftler aus anderen Anwendungs- und Forschungsbereichen. Die Schaffung einer erfolgreichen Mensch-Roboter-Interaktion erfordert die Zusammenarbeit verschiedener Bereiche, um die Roboter-Hard- und -Software zu entwickeln, das Verhalten von Menschen bei der Interaktion mit Robotern in verschiedenen sozialen Kontexten zu analysieren und die Ästhetik der menschenähnlichen Verkörperung und des menschenähnlichen Verhaltens von Robotern zu beschreiben sowie das erforderliche Spezialwissen für bestimmte Anwendungsdomänen zu schaffen. Diese Zusammenarbeit kann aufgrund der unterschiedlichen disziplinären Fachsprachen und Praktiken schwierig sein. Das gemeinsame Interesse an HRI bei dieser großen Vielfalt von Teilnehmern ist jedoch eine starke Motivation, sich mit den verschiedenen Arten des Wissenserwerbs vertraut zu machen und sie zu respektieren.
HRI ist in diesem multidisziplinären Sinne ähnlich wie das Gebiet der Mensch-Computer-Interaktion (HCI), obwohl der Umgang mit menschenähnlich verkörperten sozialen Agenten HRI von HCI trennt.
Die verschiedenen Disziplinen unterscheiden sich in ihren gemeinsamen Überzeugungen, Werten, Modellen und Vorbildern (Bartneck und Rauterberg, 2007). Diese Aspekte bilden ein „Paradigma“, das Theoretiker und Praktiker als Gemeinschaft leitet (Kuhn, 1970). Forscher innerhalb eines Paradigmas teilen Überzeugungen, Werte und Vorbilder. Die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Projekt finden ihre Grundlage in drei Barrieren (siehe Bild 2.2) zwischen Designern [D], Ingenieuren [I] und Wissenschaftlern (insbesondere Sozialwissenschaftlern) [W]:
1. Wissensrepräsentation (explizit [W, I] versus implizit [D])
2. Sicht auf die Realität (Verstehen [W] versus transformierende Realität [D, I])
3. Schwerpunkt (Technik [I] versus Mensch [D, W]).
Bild 2.2
Barriere 1: Ingenieure [I] und Wissenschaftler [W] machen ihre Ergebnisse durch Veröffentlichungen in Zeitschriften, Büchern und Konferenzberichten oder durch den Erwerb von Patenten explizit. Ihr Wissen wird externalisiert und anderen Ingenieuren oder Wissenschaftlern gegenüber beschrieben. Diese beiden Gemeinschaften überarbeiten ihre veröffentlichten Ergebnisse durch Diskussionen und Kontrolltests unter Gleichgesinnten. Andererseits werden die Ergebnisse der Designer [D] hauptsächlich durch ihre konkreten Entwürfe repräsentiert. Das zur Erstellung dieser Entwürfe erforderliche Designwissen liegt beim einzelnen Designer, hauptsächlich als implizites Wissen, das oft als Intuition bezeichnet wird.
Barriere 2: Ingenieure [I] und Designer [D] verwandeln die Welt in bevorzugte Zustände (Simon, 1996; Vincenti, 1990). Sie identifizieren zunächst einen bevorzugten Zustand, wie etwa die Verbindung zwischen zwei Ufern eines Flusses, und führen dann die Transformation durch, die in unserem Beispiel eine Brücke wäre. Wissenschaftler [W] versuchen hauptsächlich, die Welt durch das Streben nach Wissen über allgemeine Wahrheiten oder die Funktionsweise allgemeiner Gesetze zu verstehen.
Barriere 3: Wissenschaftler [W] und Designer [D] interessieren sich überwiegend für den Menschen in seiner Rolle als möglicher Anwender. Designer sind an menschlichen Werten interessiert, die sie in Anforderungen und schließlich in Lösungen umsetzen. Wissenschaftler in der HCI-Gemeinschaft werden typischerweise mit den Sozial- oder Kognitionswissenschaften in Verbindung gebracht. Sie interessieren sich für Fähigkeiten und Verhaltensweisen von Anwendern wie Wahrnehmung, Kognition und Handlung sowie für die Art und Weise, wie diese Faktoren durch die verschiedenen Kontexte, in denen sie auftreten, beeinflusst werden. Ingenieure [I] interessieren sich hauptsächlich für Technologie, wozu auch Software für interaktive Systeme gehört. Sie untersuchen die Struktur und die Funktionsprinzipien dieser technischen Systeme für die Lösung bestimmter Probleme.
Nicht jedes HRI-Projekt kann es sich leisten, engagierte Spezialisten aus all diesen Disziplinen zu haben. HRI-Forscher müssen oft mehrere Hüte tragen und versuchen, Fachwissen in einer Vielzahl von Themen und Bereichen zu erlangen. Dieser Ansatz mag zwar die Probleme beim Finden von Gemeinsamkeiten verringern, ist aber recht begrenzt. Wir wissen oft nicht, was wir nicht wissen. Deshalb ist es wichtig, entweder mit allen oder vielen der beteiligten Disziplinen direkt in Kontakt zu treten oder zumindest mit Experten auf den jeweiligen Gebieten zu kommunizieren. Mit dem Wachstum und der Reife des HRI-Bereichs hat sich dieser auch auf immer mehr verschiedene Disziplinen, Rahmenbedingungen und Methoden (z. B. Historiker, Philosophen) ausgedehnt, was eine noch umfangreichere Reihe von Wissensanforderungen mit sich bringen kann. In diesem Fall empfehlen wir auch, sich an eine breit angelegte Lektüre zu gewöhnen, nicht nur in der eigenen Disziplin oder in einer Unterdomäne der HRI, sondern auch in verwandten Bereichen, um zu verstehen, wie die eigene Arbeit in das Gesamtbild passt. Bei der Entwicklung spezifischer HRI-Anwendungen ist es auch von entscheidender Bedeutung, mit Fachgebietsexperten zusammenzuarbeiten, die potenzielle Nutzer und Interessenvertreter in die Konzeption einbeziehen. Möglichst von Beginn des Projekts an, um sicherzustellen, dass relevante Fragen gestellt, geeignete Methoden verwendet werden und dass man sich der potenziellen weitergehenden Konsequenzen der Forschung für das Anwendungsgebiet bewusst ist.
2.2 | Die Entwicklung von HRI |
Der Begriff „Roboter“ hat eine lange und reichhaltige Geschichte in der kulturellen Vorstellungskraft vieler verschiedener Gesellschaften, die Tausende von Jahren zurückreicht bis hin zu Erzählungen von menschenähnlichen Maschinen, der zwischenzeitlichen Entwicklung von Automaten, die bestimmte menschliche Fähigkeiten reproduzieren, und jüngeren Science-Fiction-Erzählungen über Roboter in der Gesellschaft. Obwohl diese kulturellen Vorstellungen von Robotern nicht immer technisch realistisch waren und sind, spiegeln sie die Erwartungen der Menschen an die Roboter und die Reaktionen auf Roboter wider.
Die erste Erwähnung des „sozialen Roboters“ in der Literatur war 1935, als dieser als abwertende Bezeichnung für eine Person mit einer kalten und distanzierten Persönlichkeit verwendet wurde.
„Kriechend und buckelnd gegenüber seinen autokratischen Vorgesetzten wird er zur Beförderung geführt. Er ist für das Geschäft ein Erfolg. Aber er hat darüber alles aufgegeben, was individuell war. Er ist ein sozialer Roboter geworden, ein Rädchen im Getriebe.“ (Sargent, 2013)
1978 wurde der „soziale Roboter“ zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Robotik erwähnt. In einem Artikel in der Zeitschrift Interface Age wurde beschrieben, dass ein Serviceroboter für die Arbeit in einem häuslichen Umfeld zusätzlich zu Fähigkeiten wie dem Vermeiden von Hindernissen, dem Balancieren und dem Gehen auch soziale Fähigkeiten benötige. Der Artikel bezeichnete diesen Roboter als „sozialen Roboter“.
Seitdem der Begriff „Roboter“ zunächst in der Fiktion und später für reale Maschinen auftauchte, haben wir über die Beziehung zwischen Robotern und Menschen und darüber nachgedacht, wie sie miteinander interagieren könnten. Jede neue technologische oder konzeptionelle Entwicklung in der Robotik hat uns gezwungen, unsere Beziehung zu und die Wahrnehmung von Robotern zu überdenken.
Als 1961 der erste Industrieroboter, der Unimate, in der Inland-Fisher-Guide-Fabrik von General Motors im Ewing Township, New Jersey, installiert wurde, überlegten die Leute zwar, wie sie mit dem Roboter interagieren würden, aber sie waren eher besorgt über den Platz, den der Roboter unter den menschlichen Arbeitern einnehmen würde. Menschen, die zum ersten Mal verhaltensbasierte Roboter sahen, bewunderten in der Regel die lebensechte Natur des Roboters. Einfache reaktive Verhaltensweisen (Braitenberg, 1986), die auf kleinen mobilen Robotern implementiert wurden, brachten Maschinen hervor, denen Leben eingehaucht zu sein schien. Diese Roboter wirbelten in den Forschungslabors der 1990er-Jahre umher und schienen menschenähnliche Charakterzüge und Grundmerkmale zu haben. Sie veränderten jedenfalls unsere Vorstellung davon, wie Intelligenz oder zumindest der Anschein von Intelligenz geschaffen werden könnte (Brooks, 1991; Steels, 1993). Dies führte zur Schaffung von Robotern, die schnelles, reaktives Verhalten benutzten, um ein Gefühl sozialer Präsenz zu erzeugen.
Ein frühes Beispiel für einen sozialen Roboter ist Kismet (siehe Bild 2.3). Kismet wurde 1997 am Massachusetts Institute of Technology entwickelt und war ein Roboter bestehend aus einer Kopf-Hals-Kombination, die auf einem Kasten montiert war. Kismet konnte seine Augen, Augenbrauen, Lippen und seinen Hals animieren, sodass er seinen Kopf schwenken und neigen sowie seinen Hals strecken konnte. Durch visuellen und akustischen Input reagierte er auf Objekte und Personen, die in seinem Gesichtsfeld erschienen. Kismet extrahierte Informationen über visuelle Bewegungen, visuelle Erscheinungen, Tonamplituden und Emotionen aus der Sprachprosodie und reagierte darauf mit Bewegungen seines Gesichtes, seiner Ohren und seines Halses sowie mit Plappern in einer nichtmenschlichen Sprache (Breazeal, 2003). Kismet konnte überraschend effektiv eine soziale Präsenz darstellen, obwohl die Steuerungssoftware nur eine kleine Auswahl sozialer Antriebe enthielt. Das tat er nicht nur mit seinen Hardware- und Software-Architekturen, sondern auch durch die Nutzung der menschlichen Psychologie, einschließlich des sogenannten „Kindchenschemas“, eine Veranlagung, Dinge mit großen Augen und übertriebenen Merkmalen sozial zu behandeln, obwohl diese selbst keine voll funktionsfähigen sozialen Fähigkeiten besitzen.
Bild 2.3
Wie viele Roboter in den frühen Tagen der sozialen Robotik und der HRI war Kismet ein maßgeschneiderter Roboter, der den Forschern nur in einem Labor zur Verfügung stand und von Studenten, Postdocs und anderen Forschern ständige Anstrengungen erforderte, um die Fähigkeiten des Roboters aufrechtzuerhalten und aufzubauen. Das schränkte verständlicherweise die Anzahl der Menschen und die Bandbreite der Disziplinen ein, die in den frühen Tagen des Fachgebiets an HRI teilnehmen konnten. In jüngerer Zeit wurde die HRI-Forschung durch die Verfügbarkeit kostengünstiger kommerzieller Plattformen begünstigt, die von den Laboratorien leicht erworben werden konnten. Diese haben sowohl die Reproduzierbarkeit und Vergleichbarkeit der HRI-Forschung in den Labors als auch die Bandbreite der Personen, die sich in diesem Bereich engagieren können, erweitert.
Einige Roboter haben einen besonders bedeutenden Einfluss auf das Feld der sozialen Robotik und der HRI gehabt. Der Nao-Roboter, der von Aldebaran Robotics (jetzt Softbank Robotics Europe) entwickelt wurde, ist vielleicht der einflussreichste Roboter in der Erforschung der sozialen Robotik (siehe Bild 2.4). Der kleine humanoide Roboter, seit 2006 am Markt, wurde aufgrund seiner Erschwinglichkeit, Robustheit und einfachen Programmierung zu einer weit verbreiteten Roboterplattform für das Studium der HRI. Der Roboter ist aufgrund seiner Größe gut tragbar, sodass Studien auch außerhalb des Labors durchgeführt werden können.
Bild 2.4
Der von Hideki Kozima entwickelte Keepon-Roboter ist ein Minimalroboter, der aus zwei weichen, gelben Kugeln besteht, denen eine Nase und zwei Augen hinzugefügt wurden. Der Roboter kann schwenken, sich biegen und hüpfen, wobei in die Basis des Roboters eingearbeitete Motoren verwendet werden (Kozima et al., 2009; siehe Bild 2.5). Keepon wurde in jüngerer Zeit als erschwingliches Spielzeug kommerzialisiert. Durch überschaubares Umprogrammieren kann er als Forschungswerkzeug für HRI verwendet werden. Studien mit dem Keepon-Roboter zeigen überzeugend, dass ein sozialer Roboter nicht menschenähnlich erscheinen muss; die einfache Form des Roboters reicht aus, um Interaktionsergebnisse zu erzielen, bei denen man eigentlich die Notwendigkeit für komplexere und menschenähnlichere Roboter vermutet hätte.
Bild 2.5
Der Begleiter- und Therapieroboter Paro (siehe Bild 2.6), geformt wie eine Babyrobbe, ist besonders beliebt bei der Untersuchung von sozial unterstützenden Robotern in der Altenpflege und ähnlichem. Paro ist seit 2006 in Japan und seit 2009 in den Vereinigten Staaten und Europa kommerziell erhältlich und stellt eine robuste Plattform dar, die fast keine technischen Kompetenzen erfordert. Paro wurde daher von verschiedenen Psychologen, Anthropologen und Gesundheitsforschern eingesetzt, um sowohl die potenziellen psychologischen und physiologischen Auswirkungen auf Menschen zu untersuchen als auch um Wege zu finden, wie Roboter in Organisationen des Gesundheitswesens eingesetzt werden könnten. Die einfache Bedienung des Roboters und seine Robustheit ermöglichen seinen Einsatz in vielen verschiedenen Kontexten, auch in Langzeit- und naturalistischen Studien. Gleichzeitig stellt die Tatsache, dass es sich um eine geschlossene Plattform handelt, die es nicht erlaubt, Roboterprotokolle oder Sensordaten aus dem Roboter zu extrahieren oder das Verhalten des Roboters zu verändern, eine deutliche Einschränkungen für die HRI-Forschung dar.
Der Baxter-Roboter, der von Rethink Robotics bis 2018 verkauft wurde, war sowohl ein Industrieroboter als auch eine Plattform für die HRI. Die beiden Arme des Roboters sind aktiv nachgebend: Im Gegensatz zu den starren Armen typischer Industrieroboter bewegen sich die Arme von Baxter als Reaktion auf eine von außen aufgebrachte Kraft. Unter Berücksichtigung anderer Sicherheitsmerkmale ist das Arbeiten in der Nähe des Baxter-Roboters sicher, was ihn für kollaborative Aufgaben geeignet macht. Darüber hinaus verfügt Baxter über einen in Kopfhöhe montierten Bildschirm, auf dem die Steuerungssoftware Gesichtsanimationen anzeigen kann. Das Gesicht des Baxter kann dazu verwendet werden, seinen inneren Zustand zu kommunizieren. Seine Augen und ihre Blickrichtung vermitteln einem menschlichen Mitarbeiter ein Gefühl der Aufmerksamkeit. Weitergetragen wird das Konzept mit dem kollaborativen Sawyer-Roboter (Bild 2.7), den Rethink Robotics immer noch anbietet.
Bild 2.6
Bild 2.7
Neben der Verfügbarkeit von erschwinglichen kommerziellen Robotern mit offenen Anwendungsschnittstellen (Open Source), was zu einer Verbreitung von HRI-Studien geführt hat, hat eine zweite Linie zu selbstgebauten sozialen Robotern geführt. Neue Entwicklungen im mechatronischen Prototyping bedeuten, dass Roboter modifiziert, reprogrammiert oder von Grund auf neu gebaut werden können. 3D-Drucken, Laserschneiden und die Verfügbarkeit von kostengünstigen Einplatinencomputern haben es Forschern ermöglicht, Roboter in kurzer Zeit und zu minimalen Kosten zu bauen und zu modifizieren, z. B. InMoov (siehe Bild 2.8) oder Ono.
Bild 2.8
Wie man sieht, eröffnet die Vielfalt der Roboter-Hardware endlose Forschungsfragen, die von einer multidisziplinären Perspektive aus angegangen werden können. Im Gegensatz zu anderen Disziplinen legt HRI besonderen Wert auf die Untersuchung der Art der sozialen Interaktionen von Menschen und Robotern, nicht nur in Zweierbeziehungen, sondern auch in Gruppen und in Institutionen und früher oder später auch in unseren Gesellschaften. Wie in diesem Buch deutlich wird, sind technologische Fortschritte das Ergebnis gemeinsamer interdisziplinärer Anstrengungen, die wichtige gesellschaftliche und ethische Auswirkungen haben. Diese im Auge zu behalten, indem man menschenzentrierte Forschung betreibt, wird hoffentlich zur Entwicklung von Robotern führen, die weithin akzeptiert werden und die dem Menschen zum Wohle der Allgemeinheit dienen. Ein schönes Beispiel dafür ist der in Bild 2.9 gezeigte Kaspar, der in der Autismus-Therapie genutzt wird.
Bild 2.9
Diskussionsfragen
Der HRI-Bereich bezieht Erkenntnisse aus vielen anderen Bereichen, aber welche anderen Bereiche könnten von der Forschung im Bereich HRI profitieren?
Sind Sie ein Designer, Ingenieur oder Sozialwissenschaftler? Stellen Sie sich eine Situation vor, in der Sie mit anderen zusammenarbeiten, um einen Roboter zu konstruieren (z. B. wenn Sie ein Ingenieur sind, arbeiten Sie jetzt mit einem Designer und einem Sozialwissenschaftler an diesem Vorhaben). Inwiefern unterscheidet sich Ihre Arbeitsweise von den Ansätzen, die die anderen Teamkollegen verwenden könnten?
Was ist der Hauptunterschied zwischen den Disziplinen HRI und HCI, und was macht HRI als neues Gebiet einzigartig?
3 | Wie ein Roboter funktioniert |