Andreas Schröfl
Schlachtsaison
Der »Sanktus« muss ermitteln
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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1. Auflage 2017
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © WoGi / fotolia.com
ISBN 978-3-8392-5342-7
Für meine Schwiegereltern.
Peter, du wärst bestimmt auch ein guter Freund vom Sanktus gewesen!
»Die Kriminalitätsrate in Bayern ist im Vergleich zu den restlichen Bundesländern in Deutschland am niedrigsten. München gilt als eine der sichersten Städte Deutschlands.«
Nikolaus Zirngibl, Bayerischer Justizminister,
Januar 2013
Er schleicht sich an im Schutz der dunklen Nacht
Er zückt sein Messer und er sticht im Nu
Und nach dem Madl was er mit dir macht
Schließt du die Aug’n für immer zu
Ja hier in München liebte man die Freiheit
Die Straßen heut sind still und stumm
Zefix Gendarm so sei doch nicht so feige
Der Ripper Jack geht wieder um.
Unbekannter Musikant auf die Melodie des Wildschütz Jennerwein im Münchner Hofbräuhaus. Februar 2013
Das Londoner East End war vollkommen mit Menschen überfüllt. Grund hierfür war ein explosionsartiger Bevölkerungsanstieg in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts, der durch den Zuzug von Osteuropäern und Russen, die vor den Judenpogromen in ihrem Land auf der Flucht waren, ausgelöst wurde. Bestialischer Gestank begleitete die Bewohner auf all ihren Wegen, die Straßen waren voll von Schmutz, und überall herrschten üble Krankheiten. Im Stadtteil Whitechapel hausten Tagelöhner, Arbeitslose und Diebe. Das Leben spielte sich draußen auf der Straße ab, und viele der ansässigen Frauen verdienten sich ihren Unterhalt als Prostituierte.
Im Herbst des Jahres 1888 nahm eine verhängnisvolle Mordserie ihren Lauf, die als »Whitechapelmorde« in aller Munde war. Elf Frauen wurden in dieser Zeit getötet. Die Opfer hießen Mary Ann Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride, Catharine Eddowes und Mary Jane Kelly. Eine Reihe besonders brutaler Morde wurde als »die kanonischen Fünf« bezeichnet. Fünf Prostituierte, deren Tötung einem einzigen Mörder zugeschrieben wird. Dem bekanntesten Serienkiller aller Zeiten – Jack the Ripper!
Der Mann, der Jack the Ripper war, wurde nie gefunden, obwohl es viele Verdächtige gab. Einer davon war ein englischer Kunstmaler, Walter Sickert, der in München geboren wurde!
Benommen erwachte sie aus ihrem Tiefschlaf. Was war geschehen? Sie konnte es nicht genau sagen. Sie war zu ihm gefahren, um ihn zur Rede zu stellen. An mehr konnte sie sich nicht erinnern. Sie lag auf einer Art Pritsche. Hände und Füße waren an den Rahmen gefesselt, und ihr war ein Knebel in den Mund geschoben worden. Wo war sie? Wer hatte sie hierher gebracht? Reines Entsetzen stieg in ihr auf. Ihr Herz pochte wie verrückt, und ihr war vor Kopfschmerzen speiübel. Der Raum um sie herum war in rotes Licht getaucht. Sie konnte Ziegelmauern wahrnehmen, und ein unangenehmer Geruch nach Feuer lag in der Luft, aber sie war nicht im Freien. Der Raum erweckte eher den Anschein, als würde er sich in einem fensterlosen Keller befinden. Sie konnte ein Kind nach seiner Mutter rufen hören. Die Mutter antwortete und wies das Kind an, es solle zurück in die Wohnung kommen.
Es waren Schritte zu hören. Laute, feste Schritte. Die Schritte näherten sich langsam. Pochend. Sie pochten in ihrem Kopf. Plötzlich schrie eine fremde Frau: »Was soll das? Lassen Sie das!« Es folgte ein entsetzlicher Schrei. Dann war wieder Ruhe. Musik ertönte. Opernmusik? Eher ein Donnergrollen.
Eine Tür öffnete sich knarzend, und das Blut gefror ihr in den Adern. Die Gestalt, gehüllt in einen schwarzen Mantel, auf dem Kopf einen Zylinder und eine schwarze Maske vor den Augen, betrat den Raum. Sie konnte das Aufblitzen eines Skalpells erkennen. Der Schatten kam Schritt für Schritt, das Messer vor sich herführend, auf sie zu. Langsam beugte sich der Maskierte zu ihr herunter und setzte das Skalpell an ihrer Kehle an. Sie spürte, wie sich ihre Blase warm entleerte.
Mary Ann Nichols wurde am 31. August tot in der Buck’s Row aufgefunden. Ihr Mörder hatte ihr die Kehle durchschnitten und den Unterleib geöffnet, um die Organe freizulegen. Es wurde jedoch kein Organ entnommen. Die Ermittler ordneten alle Verletzungen der gleichen Waffe zu. Es war offensichtlich, dass das Opfer direkt am Fundort ermordet wurde.
Ich habe es getan. Wirklich getan! Ich habe meinen ersten Mord begangen. Schuld? Weshalb? Sie hat es doch so gewollt. Sie hat es definitiv provoziert. Nicht mit mir! Es war ein wunderbares Gefühl. So plötzlich war es da. Ich war stark, überlegen. Ich bin mächtig. Macht über Leben und Tod. Nun weiß ich es sicher. Ich werde erlöst werden!
Münchner Morgenpost vom 29.01.2013
Grausamer Mord in Geiselgasteig –
Jennifer Gold ist tot.
Am Montagabend wurde die Schauspielerin Jennifer Gold am Set der Daily Soap »München bleibt München« ermordet aufgefunden. Vom Täter fehlt jede Spur.
Ein Bericht von Rudolf Ligsalz
»Ich muss kurz noch einmal zurück. Ich hab meine Handtasche vergessen«, waren die letzten Worte des neu entdeckten Starletts Jennifer Gold, die sie ihrem Verlobten Markus F. (Name geändert) nachrief, als sie am Montagabend kurz vor sieben Uhr zurück zum Set der Serie »München bleibt München« eilte. Nachdem Markus F. und einige Bekannte fast eine Stunde vergeblich im naheliegenden Café »Filmstadt« gewartet hatten, machten sie sich auf die Suche nach der jungen Schauspielerin. Am Drehort angekommen, bot sich ihnen ein grausamer Anblick. Sie fanden Jennifer Gold leblos an einem Flaschenzug mit dem Kopf nach unten hängend. Ihre Kehle war durchtrennt worden und ihr Unterleib durch Schnitte geöffnet und förmlich ausgeweidet. Die Gedärme hinterließ der Täter am Tatort.
Annie Chapmans Leiche wurde am 8. September in einem abgelegenen Hinterhof der Hanbury Street entdeckt. Auch ihre Kehle wurde durchgeschnitten und ihr Unterleib geöffnet. Der Mörder hatte die Eingeweide über ihren ganzen Körper drapiert. Die Untersuchungen ergaben, dass ihre Gebärmutter entfernt wurde. Die Verstümmelungen deuteten auf anatomisches Wissen hin. Wieder wurde nur eine einzige Waffe verwendet.
Ich habe es wieder getan. Es musste sein, und es war ganz einfach. Viel einfacher als beim ersten Mal.
Die Filmschnalle hatte mich inspiriert. Ich habe dieses egoistische, anmaßende Luder für immer zum Schweigen gebracht. Sie spielt keine Rolle mehr. Nie wieder! Weder beim Film noch für die Kritiker und die Nachwelt. Selbst schuld ist sie. Sie ist auf mich losgegangen. Wie eine Furie. Wie eine Irre. Auf mich! Sie würde mir zeigen, wo der Barthel den Most holt, diese elende Bauernschlampe. Sie! Mir! Wenn der Bauer aufs Ross kommt, kann ihn der Teufel nicht mehr reiten! Diese blutige Anfängerin. Ich habe sie gepackt, herumgedreht, ihr den Mund zugehalten und von hinten einen Schnitt versetzt. Der Rest war Routine. Wie früher.
Heute hab ich die Adresse dieser Hure herausbekommen. Nobles Viertel, muss man schon zugeben. Wer weiß, woher sie das Geld hat? Ich kann es mir schon denken. Das mit der Aussprache hat sie am Telefon gleich geschluckt. Sie lässt mich auch sofort hinein. Ich kann so unschuldig wirken. Wir plaudern und trinken Tee. Earl Grey. Eigentlich ist sie ganz sympathisch. Wenn ich nicht wüsste, wer sie wirklich ist, würde ich auf sie hereinfallen. Mädchen, das ist heute dein letzter Tee! Mit einem Vorwand locke ich sie ins Schlafzimmer. Das Messer ist griffbereit, und ich kann meine Arbeit beginnen. Schön liegt sie am Ende da. Das rote Blut auf dem Laken und sie mitten drin. So ruhig und unschuldig. In ihrem Nachtkästchen finde ich Handschellen. Ich drapiere die Leiche. So schön! Ich ziehe ihr das Höschen aus, denn ich muss ihr die Schamlippen entfernen und damit ein Zeichen setzen.
Na bravo! Es ist wieder jemand ermordet worden, und das genau jetzt, wo der Sanktus alles andere zu tun gehabt hat, als irgendeiner Leiche nachzurennen. Da wirst du sagen, der zieht das ja förmlich an, oder? Hast du recht, aber der Sanktus hat dieses Mal wirklich nichts dafür können. Aus und vorbei ist es mit dem Kriminalisieren, hat er sich nach den Altherren-Morden geschworen, weil Gefahr nicht zu beschreiben. Und der Kathi hat er es auch hoch und heilig versprechen müssen, weil angehende Mutterfreuden.
Ja, hast du richtig verstanden: Der Sanktus wird Vater. Kannst du dir das vorstellen? Eben! Hin- und hergerissen war er zwischen Stolz, Angst, Glück und Unwohlsein. Er, der ewige Stenz und Aushilfs-Monaco-Franze, ein Familienvater? Schwierig. Und diese Vorbereitungen! Babyläden hier, Babyläden dort, Kinderwagen, Stubenwagen, Wickelkommode, Babygewand, Trinkflaschen, Schnuller, Windeln und jetzt halt dich fest – Geburtsvorbereitungskurs! Wahnsinn kein Ausdruck. Erschwerend dazugekommen ist, dass der Sanktus seit seinen Ermittlungseskapaden eigentlich arbeitslos gewesen ist, weil mörderische Suchen durch München mit geregelter Arbeitszeit einfach unvereinbar. War auch die Meinung des Wirts vom Sternbräu-Biergarten, und das war dann letztes Jahr sein Aus als Schankkellner. War jetzt nicht wild, weil die Kathi gut verdient hat, aber wenn die Kathi in den Mutterschutz geht, dann hätte der Sanktus schon den Anspruch an sich gehabt, der Versorger zu sein. Also ein neuer Job hat her müssen und das pronto. Die Sterne für das Sanktus-Ego sind also eh nicht gut gestanden, und dann kommt seine Schwester, die Anna, auch noch wie eine Vergiftete in die Küche der Altbauwohnung am Haidhausener Johannisplatz hereingerauscht und hat geplärrt:
»Die Susi ham s’ umbracht. Irgend so eine perverse Sau. Ich kann nimmer!«
Dann hat sich die Anna in einen Stuhl plumpsen lassen, hat ihre Hände vors Gesicht geschlagen und ist in Tränen ausgebrochen.
Der Sanktus hat die Susi natürlich gekannt, weil es gibt ja bekanntlich selten jemanden, den der Sanktus nicht kennt. Außerdem war sie die beste Freundin von der Anna, also omnipräsent. Bisher zumindest.
Er hat seine Schwester natürlich nur schwer weinen sehen können, hat ihr über den Kopf gestreichelt und gesagt, sie soll ihm erst einmal alles in Ruhe erklären. Die Kathi, die der Anna die Wohnungstür geöffnet hat, hat sich auch dazugesetzt, und die Martina ist ins Bett geschickt worden, weil es schon recht spät war. Die Martina ist Kathis neunjährige Tochter, die sie in die Beziehung mitgebracht hat. Sie ist inzwischen wie ein eigenes Kind für den Sanktus, und die geben ein wunderbares Duo ab. Die Martina hat natürlich gegen die Entsendung in ihr Schlafgemach aufbegehrt, hat aber nach einem ernsten Blick seitens Sanktus den Widerstand aufgegeben.
Die Anna hat jetzt zu erzählen angefangen, und die Kathi und der Sanktus, die ja schon mehrere Leichen gesehen haben, sind bei den Ausführungen der Schwester trotzdem relativ blass geworden. Sie und die Susi wollten zusammen ins Kino gehen und hatten sich für heute am späten Nachmittag verabredet gehabt. Irgend so ein Romanzenschinken, von dem der Sanktus nicht einmal im Entferntesten gehört hat. Mit so einer Art Brad Pitt, also so ein Feind des normalen Mannes. Auf jeden Fall hat die Anna bei der Susi geklingelt, aber keine Antwort, weil Antwort, wenn du tot bist, ist ja bekanntlich eher schwierig. Die Anna hat dann aufgesperrt. Den Schlüssel hat sie noch vom letzten Urlaubsblumengießen gehabt. Sie ist also rein zur Tür und hat erst mal nach der Susi gerufen, weil Vorsicht wegen unter Umständen Männerbesuch, und es geht gerade so hoch her, dass man die Klingel nicht hören kann. Die Susi hat nämlich eine neue Flamme gehabt, hatte sie der Anna zuvor eröffnet. Näheres nach dem Kino in der Lissabon Bar. Die Anna hat sich also noch zwei-, dreimal bemerkbar gemacht, aber immer noch keine Antwort. Durch die Schlafzimmertür hat sie einen Lichtschein ausmachen können, weil es ja Winter und zu dieser Zeit schon dunkel war. Sie hat sich also langsam vorgetastet und die Susi noch einmal gerufen, aber immer noch nichts. Jetzt hat sie die Tür zum Schlafzimmer langsam aufgemacht, in Richtung Bett geschaut und ist bei dem Anblick gleich zum Kotzen ins Bad gehastet.
Die Susi ist nackt auf dem Bett gelegen. Ihre Handgelenke waren an das Kopfende gefesselt, ihre Kehle war durchgeschnitten, und zwischen ihren Beinen hat sich das Blut aus ihrer verstümmelten Vagina gesammelt. Das weiße Laken mit dem roten Fleck, ein Anblick wie die japanische Flagge, halt mit der toten Susi drauf.
»Und jetzt musst du den Mörder finden. Die Susi war doch auch deine Freundin«, hat die Anna unter Schluchzen hervorgebracht. Auftrag praktisch erteilt. Der Blick von der Kathi jetzt Wandlung von Mitleid auf Angriff, aber der Sanktus ist ihm gleich ausgewichen, dem Blick, weil Frau ist Frau, Schwester ist Schwester, aber Zwickmühle dazwischen ist Wahnsinn.
»Ja aber wer war denn von der Polizei da?«, hat der Sanktus wissen wollen.
»Der Bichä und sein komischer Franke«, hat die Anna geantwortet.
»Der Demuth? Na bravo!«, hat der Sanktus gesagt. »Aber der Bichä regelt das schon. Da braucht’s mich doch ned unbedingt, oder?«, hat er gestammelt und in Richtung Kathi geblinzelt. Dort jedoch alle Geschütze in Angriffsstellung.
»Fredi, bitte. Das ist doch die Susi!«, hat die Anna geschluchzt und ihn mit ihren großen, treuen verweinten Knopfaugen flehend angesehen.
»Ja schon. Freilich, die Susi.«
Dem Sanktus nun mehr als unwohl. Kurzer Blick zur Kathi.
»Sanktus!«, ist’s der Kathi entfahren, und sie hat ihn und die Anna mehr als giftig beäugt.
»Herrschaftszeiten!«, ist der Sanktus jetzt hochgefahren. »Ihr machts mich ja ganz deppert. Machts es doch untereinander aus, was ich darf, soll oder muss! Oder was nicht. Weiber, zefix!«
Wie du bestimmt weißt, war der Sanktus ja nicht im diplomatischen Corps daheim, und die Reaktion der beiden Damen war natürlich suboptimal für ihn. Die Anna ist wie eine Furie zur Küchen- und schließlich zur Wohnungstür hinaus, und die Kathi hat nach der Anna die selbigen Türen zugeknallt. Wo sie hingegangen ist, hat der Sanktus dann logischerweise nicht mehr sehen können. Er hat sich kopfschüttelnd ein Stern-Weißbier aufgemacht und sich trotz der Eiseskälte auf den Balkon, der zum Hinterhof geht, hinausgestellt und sein Bier getrunken. Jetzt endlich Ruhe.