© eBook: 2021 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München
© Printausgabe: 2021 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München
GU ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.
Projektleitung: Franziska Daub
Lektorat: Rita Steininger
Bildredaktion: Nele Schneidewind
Covergestaltung: independent Medien-Design, Horst Moser; ki36 Editorial Design, Bettina Stickel
eBook-Herstellung: Isabell Rid
ISBN 978-3-8338-7849-7
1. Auflage 2021
Bildnachweis
Coverabbildung: The Noun Project
Illustrationen: Anna Karetnikova/kombinatrotweiss
Infografiken: Annabelle Betsch
Fotos: UKE/Eva Hecht; Privat
Syndication: www.seasons.agency
GuU 8-7849 03_2021_01
Unser E-Book enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Im Laufe der Zeit können die Adressen vereinzelt ungültig werden und/oder deren Inhalte sich ändern.
Die GU-Homepage finden Sie im Internet unter www.gu.de
www.facebook.com/gu.verlag
LIEBE LESERINNEN UND LESER,
wir wollen Ihnen mit diesem E-Book Informationen und Anregungen geben, um Ihnen das Leben zu erleichtern oder Sie zu inspirieren, Neues auszuprobieren. Wir achten bei der Erstellung unserer E-Books auf Aktualität und stellen höchste Ansprüche an Inhalt und Gestaltung. Alle Anleitungen und Rezepte werden von unseren Autoren, jeweils Experten auf ihren Gebieten, gewissenhaft erstellt und von unseren Redakteuren/innen mit größter Sorgfalt ausgewählt und geprüft.
Haben wir Ihre Erwartungen erfüllt? Sind Sie mit diesem E-Book und seinen Inhalten zufrieden? Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung. Und wir freuen uns, wenn Sie diesen Titel weiterempfehlen, in ihrem Freundeskreis oder bei Ihrem online-Kauf.
KONTAKT ZUM LESERSERVICE
GRÄFE UND UNZER VERLAG
Grillparzerstraße 12
81675 München
www.gu.de
Unsere eBooks werden auf kindle paperwhite, iBooks (iPad) und tolino vision 3 HD optimiert. Auf anderen Lesegeräten bzw. in anderen Lese-Softwares und -Apps kann es zu Verschiebungen in der Darstellung von Textelementen und Tabellen kommen, die leider nicht zu vermeiden sind. Wir bitten um Ihr Verständnis.
schön, dass Sie sich für dieses Buch entschieden haben. Es wird Ihnen ein wichtiges Thema auf anschauliche Art näherbringen. Denn ich nehme an, Sie wollen für sich und Ihre Liebsten die beste Entscheidung treffen. Die Autoren sind echte Profis auf ihrem Gebiet. Ich kenne Cornelia Betsch, Nicola Kuhrt und Jan Oude-Aost schon sehr lange und habe sie sogar ein bisschen miteinander für dieses Projekt »verkuppelt«. Vor vielen Jahren habe ich im Bereich der Kinderheilkunde gearbeitet und wollte Kinderpsychiater werden, so wie Jan. Ich wurde stattdessen Journalist, wie Nicola. Sie schreibt immer wieder auch für meine Zeitschrift »Hirschhausens Gesund Leben« und engagiert sich mit der Plattform »MedWatch« für eine wissensbasierte Medizin und den Schutz von Patienten vor gefährlichem Unsinn und Geschäftemachern. Cornelia ist Professorin für Gesundheitspsychologie, setzt sich für die »Scientists for Future« ein und hat mit ihren Studierenden mein Bühnenprogramm wissenschaftlich auf seine Wirksamkeit untersucht. Gemeinsam haben wir auch für das »Deutsche Ärzteblatt« Artikel geschrieben und Podiumsdiskussionen zum Thema Impfen bestritten. Von diesen drei Autoren können Sie für sich neue Sichtweisen gewinnen.
Während ich dies schreibe, bereitet sich Deutschland auf die Impfungen gegen den Pandemie-Erreger COVID-19 vor. Die Geschwindigkeit, mit der innerhalb von einem Jahr gleich mehrere Wirkstoffe entwickelt wurden, ist eine historische Leistung und eine medizinische Sensation. Gleichzeitig sind über die Auseinandersetzungen rund um Corona eine Menge Ängste und Falschinformationen aufgetaucht, die sich schneller im Netz verbreiten, als die zuständigen Fachleute sie widerlegen können. Umso wichtiger, dass man sich einmal in Ruhe mit den Grundlagen des Impfens beschäftigen kann. Das ganze Jahr 2020 haben wir einen Impfstoff herbeigesehnt, der die schmerzhaften Einschränkungen des Miteinanders und des öffentlichen Lebens überflüssig machen soll. Und ich dachte immer daran, dass blöder, als fieberhaft einen Impfstoff zu suchen und keinen zu finden, nur eins ist: einen zu haben, der dann nicht eingesetzt wird. Schmerz gehört zum Leben dazu. Aber vermeidbares Leiden tut doppelt weh.
Meine Zeit als Arzt in der Kinderneurologie ist lange her, aber ich habe noch die Kinder vor Augen, die an komplizierten Hirnhautentzündungen erkrankt waren. Nicht immer konnten wir helfen. Wenn heute immer noch Kinder an unheilbarem Hirnschwund, ausgelöst durch Masernviren, sterben, frage ich mich, was in der Kommunikation der letzten Jahrzehnte schiefgelaufen ist. Die ältere Generation von Hebammen, Ärzten und Schwestern weiß, was für ein Segen es ist, dass wir alle vor Polio, Pocken, Mumps und Röteln keine Angst mehr haben müssen.
Das wichtigste Argument für mich ist und bleibt: Impfen ist solidarisch! Wir schützen die Schwachen, die nicht geimpft werden können, und werden von anderen geschützt. Wir sehen heute, wie gut der Gemeinschaftsschutz funktioniert. Seit die Enkel gegen den Keim Haemophilus influenzae geimpft werden, sterben auch weniger Senioren an dieser Lungenentzündung. Gesundheit ist eben »ansteckend«, wir geben sie weiter. Impfen ist ein kleiner Pieks mit großer Wirkung.
Viel Freude mit einem Sachbuch, mit dem Sie hoffentlich sich und andere überzeugen können, wie froh wir sein dürfen, in Deutschland im 21. Jahrhundert zu leben. Ich bin es jedenfalls!
Ihr
Eckart von Hirschhausen
Arzt, Wissenschaftsjournalist und Gründer der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen
Impfen: Viele tun es einfach, weil der Arzt es empfiehlt oder sie selbst es für selbstverständlich und wichtig halten. Andere zweifeln, suchen Rat und Informationen, wieder andere haben ein mulmiges Gefühl oder lehnen Impfen ganz ab. Und wo stehen Sie? Dieses Buch will und wird unterschiedliche Meinungen nicht werten. Dennoch denken wir, dass je nach bisheriger Erfahrung und Sichtweise bestimmte Informationen besonders nützlich für Sie sein könnten. Daher schlagen wir Ihnen vorab Kapitel vor, die Sie gezielt ansteuern können.
Sie sind bereit: »Ich lasse mich und mein Kind gegen alles, was empfohlen ist, impfen.«
Lesen Sie das Kapitel »Was Sie und Ihr Kind beim Impfen erwartet« (siehe > ff.).
Sie zögern: »Ich weiß nicht recht. Ich habe einiges über das Impfen gelesen, das mich verunsichert. Vielleicht werden wir die eine oder andere Impfung verschieben oder auslassen.«
Lesen Sie die Kapitel »Ist Impfen sicher?« (> ff.) und »So entstehen Zweifel« (siehe > ff.).
Sie lehnen Impfungen ab: »Ich vertraue Impfungen nicht und bin strikt dagegen.«
Lesen Sie das Kapitel »Impfmythen entzaubert« (siehe > ff.).
Sie haben noch keine Meinung: »Impfen? Darüber hab ich noch nie nachgedacht!« Oder: »In der Pandemie habe ich viel Seltsames darüber gelesen und weiß jetzt gar nicht mehr, was ich denken soll.«
Lesen Sie die Kapitel »Drei gute Gründe« (siehe > ff.) und »Was – wann – für wen?« (siehe > ff.).
Impfungen nutzen gezielt die Fähigkeit des Immunsystems, sich gegen sehr unterschiedliche Mikroorganismen zu wehren. Da das Immunsystem in sehr unterschiedlichen Regionen der Erde funktionieren und auf eine Vielzahl von äußeren Einflüssen reagieren muss, ist es sehr anpassungsfähig und vielseitig. Mithilfe einer aktiven Impfung wird dem Immunsystem ein Erreger oder ein Teil eines Erregers präsentiert, sodass Antikörper dagegen gebildet werden können. Diese Antikörper (und weitere Zellen des Immunsystems) sind dann bei einer Infektion auf den Erreger vorbereitet und verhindern im Idealfall eine Erkrankung oder mildern ihren Verlauf.
Nachdem früher oft ganze Erreger, abgetötet oder abgeschwächt, per Spritze verabreicht wurden, werden heute zunehmend nur einzelne Proteine in Impfstoffen genutzt, an denen der Erreger zu erkennen ist (Antigen). Der nächste Schritt sind die »genbasierten« Impfstoffe, die einige weitere Vorteile bieten könnten.
Die Entwicklung von Impfstoffen ist eine komplexe, teure und finanziell riskante Angelegenheit. Das liegt unter anderem daran, dass nicht nur das richtige Antigen gefunden werden muss, sondern auch Hilfsstoffe benötigt werden, damit der Impfstoff wirksam und sicher ist.
Vereinzelt können beim Impfen Nebenwirkungen auftreten. Doch Menschen, die selbst erlebt haben, wie eine »Kinderkrankheit« aussieht, bewerten Nebenwirkungen anders; sie sind eher bereit, in der Regel milde gesundheitliche Einschränkungen anstelle von schweren Erkrankungen in Kauf zu nehmen. Wie sicher muss Impfen sein, damit Sie bereit sind, Ihr Kind und sich selbst impfen zu lassen?
Seit es Impfungen gibt, sind viele Fehlinformationen über sie im Umlauf. Als in Europa und den USA zum Beispiel erstmals gegen die Pocken geimpft wurde, hatten einige Menschen Angst, dass sie Krankheiten von Kühen bekommen könnten, weil der Impfstoff aus Kuhpocken gewonnen wurde. Diese Angst gibt es nicht mehr, an ihre Stelle sind andere Missverständnisse getreten.
Bevor Sie weiterlesen, entscheiden Sie, ob die folgenden Aussagen Ihrer Einschätzung nach zutreffen, nicht zutreffen oder ob Sie es nicht wissen. Die richtigen Antworten finden Sie auf der nächsten Seite.
Eine der Fähigkeiten, die unserer Spezies das Überleben möglich gemacht hat, ist das Erkennen von Mustern und eine schnelle Reaktion darauf. Diese Fähigkeit ist bei Menschen so stark ausgeprägt, dass wir sogar im Chaos Muster erkennen: Wir sehen Tiere und Gesichter in Wolken, Heilige auf Toastbrot und wittern Verschwörungen in zufälligen Ereignissen. In diesem Kapitel zeigen wir, wie Wissenschaftsleugner das ausnutzen, um Zweifel zu säen, und wie soziale und andere Medien dazu beitragen, dass Dinge plausibel erscheinen und Verschwörungstheoretiker eine Bühne bekommen.
Die Techniken, mit denen wissenschaftliche Befunde geleugnet werden, sind in verschiedenen Wissenschaftsbereichen fast immer dieselben – ob es um Impfen, um den Klimawandel oder um das neue Thema Corona geht. Daher reden wir hier auch nicht nur von »Impfgegnern«, sondern allgemein von »Wissenschaftsleugnern«.
Dazu haben wir das Beispiel eines ausgedachten Fernsehabends gewählt: Im TV läuft eine Debatte zum Thema »Wie sicher ist Impfen?«. Ohne zu sehr orakeln zu wollen: Solche Debatten sind in Vielzahl zu erwarten, sobald der Corona-Impfstoff Wirklichkeit wird. Höchste Zeit also, sich zu wappnen! Auf den folgenden Seiten präsentieren wir Ihnen einzelne Ausschnitte aus der fiktiven Sendung – plakativ, drastisch und manchmal bewusst übertrieben! Damit wollen wir den Scheinwerfer auf ganz bestimmte Zusammenhänge und Situationen richten, die immer wieder so oder anders vorkommen und die uns viel verraten über den Teufelskreis von falschen Experten, Fake News, unserer Psyche und unseren Entscheidungen. Bleiben Sie also dran!
Adjuvanzien: Begleitstoffe, die dafür sorgen, dass das Immunsystem angemessen auf ein Antigen reagiert
Antigen: Substanz oder Struktur (wie Oberflächenmolekül eines Virus), die vom Immunsystem als fremd erkannt wird
Antikörper (auch Immunglobuline): Erzeugen beim Kontakt mit dem Antigen eine Immunantwort
Evidenzbasiert: Auf Beweisen beruhend; entspricht dem aktuellen Stand der Forschung
Gemeinschaftsschutz (auch Herdenimmunität): Eine Impfung verhindert die Übertragung von Krankheiten von Mensch zu Mensch und schützt so auch Ungeimpfte
Immunantwort: Reaktion des Immunsystems auf als fremd erkannte Organismen oder Substanzen, um sie zu beseitigen oder unschädlich zu machen
Impfeffektivität: Bestimmung der relativen Risikoreduktion, die durch die Impfung erreicht wird: Wie viele der Geimpften sind geschützt?
Impfgegner: Kritisiert mit wissenschaftlich nicht haltbaren Argumenten den gängigen medizinische Standard; lässt sich nicht durch wissenschaftliche Belege umstimmen
Impfmüdigkeit: Impfungen werden nicht wahrgenommen, obwohl sie verfügbar sind
Impfnebenwirkung: Symptom infolge einer Impfung, das über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgeht
Impfpflicht: In Deutschland nur gegen Masern
Impfreaktion: Körperliche Symptome, die durch die Reaktion des Immunsystems auf die Impfung hervorgerufen werden
Impfschaden: Schwerer Schaden einer Impfkomplikation
Kausalität: Ursächlicher Zusammenhang
Kinderkrankheit: Sehr ansteckend; wer nicht immun ist, bekommt sie daher früh als Kind; nicht: »harmlos«
Kombinationsimpfstoff: Wirkt gleichzeitig gegen mehrere Erreger
Konservierungsstoff: Verhindert Verunreinigung der Impfstoffe bei Herstellung, Lagerung, Transport oder Impfung
Korrelation: Zusammenhang zwischen zwei Ereignissen, wobei man nicht sagen kann, was Ursache und was Wirkung ist
STIKO: Ständige Impfkommission; für Impfempfehlungen zuständiges unabhängiges Expertengremium
Verblindung: Gruppenzuordnung wird bei einer Studie vor Studienteilnehmern und Forschern geheim gehalten
Die meisten Menschen in Deutschland sind gut geimpft. Dennoch führen Impflücken zu Ausbrüchen schon verschwunden geglaubter Krankheiten. Deshalb nennen wir Ihnen zunächst drei gute Gründe für das Impfen.
Viele Infektionskrankheiten waren noch vor einigen Jahrzehnten sehr weit verbreitet und vor allem für Kinder eine ernste Bedrohung. Impfen hat eine wahre Erfolgsgeschichte geschrieben und zählt gleich nach sauberem Wasser und Toiletten zu den effektivsten Maßnahmen, um die Gesundheit eines Menschen zu erhalten.
Impfungen reduzieren das Risiko, an schweren, teils lebensbedrohlichen Krankheiten zu erkranken, gegen die die Medizin kaum eine oder gar keine Therapie hat. Die Impfung kann den Menschen schützen – vom Kleinkind bis zum Erwachsenen. Seit den Neunzigerjahren sind weltweit deutlich weniger Kinder an Krankheiten gestorben, die durch Impfen verhindert werden können, zum Beispiel an Masern und Tetanus. Dies ist der Erfolg von effektiven Impfungen.
Durch eine Impfung bereiten sich die körpereigenen Abwehrzellen auf bestimmte Krankheitserreger vor. Bei einem späteren Kontakt erkennt das körpereigene Immunsystem den Krankheitserreger umgehend und kann sich rasch und wirksam gegen diesen wehren.
Durch den Einsatz von Impfungen sind in den Industrienationen viele Krankheiten ganz oder nahezu verschwunden, zum Beispiel Masern.
Quelle: https://ourworldindata.org/vaccination#global-decline-of-measles
Die meisten Impfungen können verhindern, dass sich hochansteckende Krankheiten ausbreiten: Wenn ich geimpft bin, kann ich Sie nicht anstecken. Durch diesen Gemeinschaftsschutz wird man also nicht nur nicht krank, man gibt die Krankheit auch nicht weiter. Menschen, die sich nicht impfen lassen können, sind darauf angewiesen, dass die anderen um sie herum eine Art Firewall aufbauen. Säuglinge und Kleinkinder sind für manche Impfungen beispielsweise noch zu jung und es gibt Menschen, die zum Beispiel aufgrund einer Schwangerschaft oder Krebstherapie keine Impfung erhalten können. Diese Menschen brauchen uns. Sie sind darauf angewiesen, dass die Menschen in ihrem Umfeld geimpft sind und ihnen Schutz vor der Ausbreitung und Ansteckung mit der Krankheit bieten. Einer für alle, alle für einen: Je mehr mitmachen, desto besser funktioniert es.
Ein Beispiel: Wenn über 95 Prozent der Bevölkerung einen Immunschutz gegen die Masern hätten, ließen sich die Masern ausrotten. Um ausreichend Immunität gegen Maserviren aufzubauen, sind zwei Impfungen nötig – hier sind wir in Deutschland aktuell weit von 95 Prozent entfernt: Die zweite Masern-Impfung hatten 2020 nur 70 Prozent der Zweijährigen. Bis zum Schulalter haben aber insgesamt 93 Prozent der Kinder beide Impfungen.
Je ansteckender eine Krankheit ist, desto mehr Menschen müssen dagegen immun sein. Ein Mensch, der an Masern erkrankt ist, kann im Schnitt 15 ungeimpfte Menschen anstecken – damit sind die Masern eine der ansteckendsten Infektionskrankheiten und die Impfquote muss hier am höchsten sein, um die Übertragung effektiv zu stoppen. Zum Vergleich: Bei Pocken sind es bis zu sechs Personen, die durch eine erkrankte Person infiziert werden, bei Polio bis zu sieben. Die Pocken wurden durch Impfprogramme bereits ausgerottet, bei Polio steht der Erfolg hoffentlich kurz bevor.
Impfen ist also auch so etwas wie ein sozialer Vertrag, den wir alle miteinander schließen: Ich lasse mich impfen und du dich. Ich schütze dich, du schützt mich. Und gemeinsam schützen wir die, die sich nicht impfen lassen können. Das funktioniert, wenn viele mitmachen. In der Tat sagen weltweit 92 Prozent der Menschen, dass Impfungen für Kinder wichtig sind, in Asien sind es sogar 98 Prozent, während West- und Osteuropa mit 83 und 80 Prozent das Schlusslicht bilden.
Ein bedeutender Aspekt des Impfens ist der Gemeinschaftsschutz: Wer geimpft ist, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch andere Menschen..
Info
DIE UNSICHTBARE WIRKUNG
Mit der effektiven Verhütung von Krankheiten ist es so eine Sache. Anders als bei der Verhütung von Schwangerschaften – etwa mit einem Kondom – wissen Sie nicht, wann eine Impfung Sie geschützt hat. Heute in der Straßenbahn, als Sie sich am Griff festhielten – hat Ihre Impfung da eine Grippeinfektion verhindert? Oder Sie im Wartezimmer gegen die Masernviren geschützt, die ein Kranker zuvor hinterlassen hat? Wir wissen es meistens nicht. So gesehen sind Impfungen Opfer ihres eigenen Erfolges. Gerade weil sie so effektiv sind und die meisten Menschen geimpft sind, sehen wir die Krankheiten nicht mehr und unterschätzen sie. Das kann zu Impfmüdigkeit führen (siehe > ff.).
Info
HERDENIMMUNITÄT IST GEMEINSCHAFTSSCHUTZ
Gemeinschaftsschutz bezeichnet man häufig auch als Herdenimmunität – ein Begriff aus der Tiermedizin, der beschreibt, wie sich etwa in einer Schafsherde die Tiere gegenseitig schützen, wenn sie gegen eine Krankheit immun sind. Aber wer ist schon gerne ein Schaf? Gemeinschaftsschutz drückt aus, was es ist: ein Schutz für die Gemeinschaft, in der jeder für den anderen Verantwortung übernimmt und sich selbst und den anderen schützt.
Kinder haben ein Recht darauf, dass ihnen die bestmögliche Gesundheitsversorgung zugutekommt. Dies wurde 2002 sogar in Artikel 24 der UN-Kinderrechtskonvention in New York festgelegt: Jedes Kind soll ein Recht auf (routinemäßige) Impfungen zur Gewährleistung der Gesundheit haben. Mit diesem Entschluss wird anerkannt, dass Routine-Impfungen notwendig sind, um das Recht des Kindes auf Gesundheit umzusetzen. Doch was wiegt höher? Das Elternrecht oder das Recht des Kindes auf Gesundheit? Dürfen Eltern ihrem Kind Impfungen auch dann vorenthalten, wenn daraus absehbar im Leben des Kindes Krankheit und in einzelnen Fällen gesundheitliche Schäden bis hin zum Tod resultieren?
In Deutschland ist Impfen – mit Ausnahme der Masern-Impfung – freiwillig. Das wirft in einigen Bereichen auch moralische Fragen auf: Sollte es wirklich die freie Entscheidung einer Ärztin oder eines Pflegers sein, sich impfen zu lassen oder nicht, wenn sie Krebspatienten mit einem schwer eingeschränkten Immunsystem behandeln oder auf einer Neugeborenen-Intensivstation oder in einem Pflegeheim arbeiten? Haben Patienten in einem Krankenhaus oder in einer Arztpraxis nicht das Recht, dass die Menschen dort alles in ihrer Macht Stehende tun, damit sie keine potenziell tödliche Infektion bekommen?
Der Gesetzgeber hat zumindest für Masern entschieden: Wer in diesen medizinischen Bereichen arbeitet, muss gegen Masern geschützt sein, hier gilt die Impfpflicht. Das Masernschutzgesetz sorgte 2019 für viel Diskussion, denn seither ist die Masern-Impfung nicht nur für medizinisches Personal und Personal in Bildungseinrichtungen Pflicht, sondern auch für Kinder. Wir widmen der Impfpflicht in diesem Buch ein ganzes Kapitel (siehe > ff.).
Seit 2020 bestimmt das neuartige Coronavirus unser Leben – und als dieses Buch fertig war, war noch nicht klar, wie lange dies so bleiben würde. Das Virus sorgte für Homeoffice, Masken und Abstand. Wir haben unsere Kinder zu Hause unterrichtet, Oma und Opa nur telefonisch kontaktiert. Kleinere Geschäfte sahen sich durch Kundenmangel in ihrer Existenz bedroht oder mussten gar schließen. Und auch nach dem Ende des ersten Lockdowns blieb vieles anders. Das Virus nötigte viele Menschen und Institutionen zu einem Crashkurs in (digitalen) Innovationen und zu anderen Lebensveränderungen, die nur kurze Zeit zuvor noch undenkbar waren. Heute weiß jeder, welchen Effekt ein Virus, eigentlich mikroskopisch klein und unsichtbar, auf das Funktionieren einer Gesellschaft, unser Arbeitsleben, Freundschaft und Familie haben kann – und auch, welche Einschränkungen für die persönliche Freiheit es mit sich bringen kann.
Und alle haben wir dazugelernt. Zuerst, dass wir die Zahl der Neuinfektionen niedrig halten müssen, damit unsere Krankenhäuser nicht überlastet werden. Und dass die Reproduktionsrate dabei die entscheidende Zahl ist: Wie viele steckt jeder Infizierte an? Im Frühsommer 2020 lag sie bei 1, sie sollte aber am besten deutlich darunter liegen. Wenn weltweit jeder Infizierte weniger als einen Menschen ansteckt, dann stirbt das Virus irgendwann aus.
Kaum verstanden wir, was die Reproduktionszahl ist, lernten wir die Bedeutung von Superspreadern und den zugehörigen K-Faktor kennen. Letzterer beschreibt, ob bei einem Infektionsgeschehen wenige Superspreader viele andere Menschen anstecken oder ob Ansteckungen auf viele Infizierte zurückgehen, es also keine oder wenige Superspreader gibt. Seit Corona kennt fast jeder das Konzept der Herdenimmunität (siehe > ). Gemeinschaftsschutz ist im Infektionsschutz ein wichtiges Ziel, egal ob er durch Krankheit oder durch Impfung entsteht. Mitten in der Pandemie hoffen die meisten Menschen auf ein wirksames Gegenmittel gegen den unsichtbaren Gegner. Das Wettrennen verschiedener Pharmahersteller, auch aus Deutschland, einen wirksamen Impfstoff gegen Corona zu entwickeln, dominierte oft die Nachrichten. Welcher Hersteller entwickelt den ersten Corona-Impfstoff? Wie effektiv wird der Schutz gegen das Virus sein? Wir lernen, dass es Tot- und Lebendimpfstoffe gibt und dass der erste Impfstoff gegen Corona ein Impfstoff ist, der durch Gentechnik wirkt (siehe > ). Wir alle erleben mit jedem Fortschritt, mit jeder Entwicklung ein Stück Forschung in Echtzeit.