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Die mechanischen Katzen

Miriam Rieger

Buch 10 der Katzenreihe


Für Marion und Tom
In Erinnerung an Ben


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©Miriam Rieger 2020

Machandel Verlag Haselünne

Charlotte Erpenbeck

Cover-Bild: und Illustration:bluedarkart / shutterstock.com

1. Auflage 2020

ISBN 978-3-95959-260-4


Über die Autorin



Miriam Rieger, *1985 geboren und im Landkreis Berchtesgaden aufgewachsen, studierte in Passau. Sie verbrachte längere Zeit im Ausland, darunter drei Jahre in Ägypten, wo sie neben ihrer Arbeit von ihrem Wohnzimmerfenster aus den Blick auf die Pyramiden genoss und Ideen für neue Geschichten sammelte. Mittlerweile lebt und arbeitet sie mit ihrem Lebensgefährten wieder in Oberbayern. Sie schreibt hauptsächlich im Bereich der Fantasy. Im Rahmen der Katzenreihe wurde auch die historische Kurzgeschichte „Der Schicksalskater“ veröffentlicht.


Über die Katzenbuchreihe



Die besten Ideen sind immer die, die man nie geplant hat.


Auf diese Art und Weise ist auch die Katzen-Reihe zustande gekommen. Ich hatte ein Bildabo bei der Internet-Agentur Shutter-stock, und gegen Ende des Abos waren noch etliche Downloads unbesetzt. So lud ich mir einige Bilder einfach deshalb herunter, weil ich sie gerne leiden mochte. Als überzeugte, jahrelange Katzenhalterin waren natürlich auch Katzenbilder darunter.

Ich besah mir meine Ausbeute, fand die Bilder zu schade, um sie nicht zu nutzen, und stellte eine Auswahl ins Tintenzirkel-Autorenforum, mit der Aufforderung an meine Mit-Autoren: Wer zu einem Bild eine Geschichte schreiben kann, bekommt die zugehörige Katze als Buchcover und das Buch bei mir verlegt. Egal, wie kurz oder lang die Geschichte ist. Das konnte ich guten Gewissens zusagen, weil ich ja auch Minibücher im Verlag habe, die sich hervorragend für Kurzgeschichten eignen.

Die Autoren waren Feuer und Flamme. Ihre Themen, von den Autoren frei gewählt, ergaben eine bunte Mischung aus normalen Tiergeschichten, Fantasy-Geschichten, Science-Fiction, Kinderbüchern, einem Sachbuch, Hauskatzen, wilden Katzen, Großkatzen und Katzengöttern. Als besonderes Highlight werden alle Buchrücken, in einer bestimmten Reihenfolge aufgestellt, ein gemeinsames Bild aus Katzensilhouetten zeigen.

So finden die Katzen ihren verdienten Platz in jedem Bücherbord.


Charlotte Erpenbeck

Verlegerin





1. Kapitel



Ein Schnauben ertönte, gefolgt von einem Pfeifton, einem ohrenbetäubenden Zischen und einem Stampfen. Das Glas auf dem wackeligen Tisch fing zu zittern an.

Mortimer Bender schaute überrascht von seinen Unterlagen auf. Er kannte das Geräusch, doch war dies der letzte Ort, an dem er es vermutet hätte. Es dauerte nicht lange, und es gesellten sich weitere Laute hinzu. Trampelnde Schritte, aufgeregte Rufe, zuschlagende Türen, Gejohle. Was sich draußen abspielte, war offenbar für alle in der Nachbarschaft eine Sensation. Nun erhob sich Bender und trat ans Fenster. Wie erwartet drängten sich etliche Menschen auf den Hof, hin und her gerissen zwischen Faszination und Furcht. Verständlich, wie oft verirrte sich schon solch ein Gefährt in diese Gegend? Bender vermutete, dass dies eine Premiere war. Schwarz funkelnd mit faustdicken silbernen Nieten erhob sich das Fahrzeug vor den Schaulustigen, ein wahres Ungetüm, das unter weiterem Schnauben graue Wölkchen gen Himmel jagte. Ein Kuhfänger prangte direkt davor und musste bei jedem die Frage aufkommen lassen, ob damit andere, als zu langsam empfundene Fahrzeuge von der Straße gedrängt werden sollten. Gewundert hätte es Mortimer Bender nicht. Dies war kein normales Dampfmobil. Das Fahrzeug sah aus, als wäre bei der Konstruktion ein folgenschwerer Fehler passiert, der dafür gesorgt hatte, dass die geplante Lokomotive nicht auf den Schienen fahren durfte und stattdessen Reifen erhalten hatte.

Was mochte jemand, der sich ein solches Gefährt leisten konnte, in dieser Gegend suchen? Bender musste sich nicht umblicken, um des Kontrastes gewahr zu werden. Das Prunkfahrzeug stand inmitten einer Gegend, deren Wohnungen nicht immer über Strom verfügten und in denen es oftmals nur bei schlechtem Wetter fließendes Wasser gab, wenn der Regen über die undichten Dächer oder Fenster in die Wohnungen tröpfelte und an den Wänden herabfloss.

In dem Moment kletterte der Fahrer aus der Möchtegernlokomotive und bahnte sich seinen Weg durch die Menge, ohne diese eines Blickes zu würdigen. Der hochgewachsene Mann trug einen teuer aussehenden Mantel und hatte sich die schwarzen Haare streng nach hinten gekämmt. Dennoch ließ sich Bender vom ersten Eindruck nicht täuschen. Dieser Mann wirkte wohlhabend, war aber vermutlich nur der Chauffeur des tatsächlichen Fahrzeugbesitzers. Lange musste Bender darüber nicht sinnieren, denn kaum eine Minute später ertönte ein Klopfen an der Haustür. Ein energisches Klopfen, das sofortigen Einlass forderte.

Mit einer gewissen Neugierde öffnete er die Tür und sah sich ebenjenem Herrn gegenüber, der mit seinem Auftritt für die Sensation des Tages gesorgt hatte. Bender sah sich in seiner Vermutung bestätigt: Die Schuhe waren leicht verschlissen, auch der Mantel zeigte bei genauerem Hinsehen Gebrauchsspuren.

„Sie sind Mortimer Bender?“ Es war Frage und Antwort in einem, in militärischem Ton vorgebracht, dessen Effekt allerdings durch den nur mühsam kaschierten Dialekt verpuffte. Bender kannte diese Mundart. Hier wurde sie gesprochen, in diesen Vierteln. Er war sich so gut wie sicher, dass der Kerl sie von früher kannte – als er noch ohne Straßenlokomotive unterwegs gewesen sein musste.

„Womit kann ich behilflich sein?“

„Kommen Sie mit. Es wird zu Ihrem Schaden nicht sein.“

„Wohin und warum?“

Der Kerl warf Bender einen verächtlichen Blick zu. „Ihre Mama hat Ihnen wohl beigebracht, nicht zu fremden Männern ins Dampfmobil zu steigen?“

„Meine Mutter brachte mir vor allem bei, mich von Dampfplauderern, pardon, Fahrern nicht unnötig beeindrucken zu lassen.“

Ein finsterer Blick war die erwartete Folge, doch die Faust, die der Kerl bedrohlich hatte schwingen wollen, ließ er wieder sinken. „Sie sollten Ihre Zunge zügeln.“

„Sie sollten dasselbe mit Ihrer Faust machen und auch Ihr Arbeitgeber könnte die Art seiner Kontaktaufnahme überdenken. Zudem ist Ihnen wohl entgangen, dass es sich zum guten Ton gehört, sich vor einem Gespräch dieser Art vorzustellen?“

Der Fahrer ließ einen abschätzigen Blick durch den Raum gleiten. Bender musste ihm nicht folgen, er wusste, worauf sein Gegenüber hinaus wollte. Er war sich dessen bewusst, dass seine kleine Wohnung nur spärlich eingerichtet war. Es war klar gewesen, dass das Thema Geld eher früher als später zur Sprache kommen würde, um ihn zu überzeugen. Dennoch ließ er die Litanei über sich ergehen, dass der Besuch für ihn finanziell sicher von Vorteil sei, habe der Besitzer der Straßenlokomotive doch einen fulminanten Auftrag für ihn.

Es war eine Lüge zu behaupten, dass Bender kein pekuniär orientiertes Interesse hatte, aber tatsächlich war die Neugierde in diesem speziellen Fall der größere Reiz. Wem gehörte dieses Monstrum und vor allem: Was wollte derjenige von ihm, Bender? Was mochte ein so dringendes Anliegen sein, dass jemand, der sicher ein von hohen Mauern umzingeltes Anwesen sein Eigen nannte und womöglich über einen Horizont verfügte, der ebenso begrenzt war, ihn aus seiner Wohnung abholen ließ?


Bender stieg so nonchalant ein, als wäre eine Fahrt mit diesem Monstrum für ihn eine Selbstverständlichkeit. Stimmen folgten ihm wie erwartet. Aufgeregte Rufe, ausgestreckte Arme, die auf ihn zeigten. Köpfe, die zusammengesteckt wurden und bestimmt mutmaßten, was Bender in dem Gefährt sollte. Das Getuschel und die Gerüchte würden den Schaulustigen noch viele Stunden Unterhaltung geben.

Mit einer Neugierde, die Bender kaum verhehlen konnte, blickte er sich um. Von innen wirkte das Monstrum überraschend klein. Eine edle Sitzbank bot zwei Fahrgästen Platz. Ausstrecken konnte man die Beine nur, wenn man den Meter Körpergröße nicht überschritt. Dafür war eine komplizierte Apparatur vorhanden, die Bender erst auf den vierten Blick als Getränkespender erkannte. Er nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. Was auch immer es war, es handelte sich um eine hochprozentige Angelegenheit, die so schmeckte, als wäre sie ursprünglich dazu gedacht gewesen, Fahrzeuge anzutreiben.

Mit Schnauben und Stampfen erwachte das Ungetüm zum Leben. Die Sitzbank begann zu vibrieren, Lärm füllte das Innere des Wagens, und dann setzte sich das Ungetüm in Bewegung. Ein heftiger Ruck drückte Bender in den Sitz. Zuerst langsam, dann immer schneller fuhr es die Straßen entlang. Die Schlaglöcher, von denen Bender sehr genau wusste, dass es sie gab und die in Fiakern und Dampfmobilen jedermanns Hintern schmerzhaft zu spüren bekam, waren wie inexistent. Bender wünschte sich, einen Blick nach draußen erhaschen zu können, doch befand sich im Fahrgastbereich kein Fenster. So versuchte er nur, anhand der Richtungswechsel den Weg zu erahnen. Vor seinem geistigen Auge breitete er einen Stadtplan aus. Nach kurzer Zeit erklomm das Dampfmobil unter lautem Schnauben spürbar einen Hügel. Bender folgerte, dass sie die Untere Stadt verließen und Richtung Marktplatz fuhren, wo sie bestimmt alle Blicke auf sich zogen. Doch wohin ging es weiter? Gen Saline? Richtung Bahnhof? Bender rechnete eher mit dem Zweiten, aber lag er mit seiner Vermutung richtig? Tatsache war, dass er für alles gewappnet sein musste.



2. Kapitel



„Wir sind angekommen“, ertönte eine dumpfe Stimme, kurz nachdem das Schnauben und Stampfen des Ungetüms verstummt war. Nach dem Lärm, der Bender die letzten zwanzig Minuten umhüllt hatte, war die plötzlich eintretende Stille wohltuend für seine Ohren. Längst hatte Bender sich eingestehen müssen, die Orientierung verloren zu haben. Zu wenige Anhaltspunkte hatte es gegeben, um sich ein Bild machen zu können. Die Tür wurde aufgerissen, und Bender sprang ins Freie. Wenig überrascht erblickte er eine Backsteinmauer von der Art, die für gewöhnlich ein Anwesen umgab. Ein Blick reichte um zu erkennen, dass er sich innerhalb dieser Abgrenzung befand. Das imposante Tor hinter dem Gefährt schloss sich wie von Geisterhand. Bender hatte bereits von solchen Apparaturen gehört: Ein komplizierter Mechanismus aus ineinander verflochtenen Zahnrädern sorgte dafür, dass Muskelkraft nicht mehr vonnöten war, um die Tür zu bewegen. Es war jedoch das erste Mal, dass Bender derartiges mit eigenen Augen sah, und er fragte sich, wieso man so viel Geld und Aufwand in eine Tür stecken mochte. Die Antwort gab er sich im nächsten Augenblick selbst: Für den Eigentümer würde Geld in dieser Größenordnung kaum eine Rolle spielen.

Bender wandte sich um. Ein Park umgab ein zweistöckiges Haus, das im Inneren vermutlich Platz für zwanzig Zimmer, Ballsaal inklusive, bot. Sämtliche Bäume und Sträucher, die den Weg säumten, waren akkurat gestutzt, kein Blatt und kein Stiel waren dem Lauf der Natur überlassen worden. Die Blumen auf den Beeten waren so angeordnet, dass sie ein komplexes Muster aus Zahnrädern ergaben. Wer auch immer hier residierte, musste eine Schwäche für Technik haben und ein Pedant sein. Beides wäre kein Problem gewesen, wenn nicht der sichtliche Wunsch des Eigentümers, mit seinem Geld zu protzen, Bender abgeschreckt hätte.

„Folgen Sie mir. Sie werden bereits erwartet.“
Ohne sich umzublicken, schritt der Fahrer auf das Haus zu. Bender folgte ihm über eine mit Statuen gesäumte Marmortreppe in das Innere des Hauses. Die Empfangshalle bestätigte den nach außen getragenen Reichtum des Gastgebers. Benders Abscheu focht einen Kampf mit seiner Neugier, der mit einem Remis sein vorläufiges Ende fand, als der Gastgeber auftauchte.

Mortimer Bender hatte in seinem Leben, das um einiges länger war, als es sein Äußeres vermuten ließ, schon viel erlebt, so dass es schwierig war, ihn zu überraschen. Dieser Tag jedoch schien alles daran zu setzen, genau dies zu schaffen. Das Auftauchen des Ungetüms war bereits ein guter erster Schritt gewesen. Der Gastgeber toppte dies.
„Herr Hellthal“, entfuhr es Bender, doch sogleich hatte er sich wieder in der Gewalt und glättete seine Züge. Dennoch umspielte ein schmallippiges Lächeln das Gesicht Hellthals. Dass sein Gastgeber ein an Geld und Macht reicher Mann und es gewohnt war, dass die Menschen nach seiner Pfeife tanzten, war Bender schon seit dem Auftauchen der Straßenlokomotive bewusst gewesen. Doch Hellthal – das war noch eine Nummer größer als erwartet. Was die Frage, warum er ausgerechnet Bender hatte kommen lassen, noch interessanter erschienen ließ.

„Ich sehe, Sie kennen mich. Damit rechnete ich.“ Es war eine Feststellung. In der gesamten Region gab es vermutlich niemanden, der noch nichts von Edgar Hellthal gehört hatte. Dabei war er vom Aussehen her eine eher unscheinbare Persönlichkeit. Von der Natur mit einer kleinen, schmalen Statur gesegnet, trug Hellthal Schuhe mit höheren Absätzen, vermutlich um die geringe Körpergröße wettzumachen. Dennoch war er immer noch kleiner als Bender, der sich selbst als nur durchschnittlich groß bezeichnete. Graumelierte, perfekt gekämmte Haare schmiegten sich um Hellthals Kopf und offenbarten Geheimratsecken. Er hatte strenge, ebenmäßige Gesichtszüge und einen Blick, der verriet, dass er, wenn schon nicht körperlich, so doch hierarchisch auf andere hinabzusehen pflegte.

„Was wissen Sie über mein Unternehmen?“ Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen taxierte Hellthal Bender.

Was andere ebenfalls wissen, war Benders erster Gedanke, den er nicht aussprach. Eine präzisere Antwort wäre wünschenswert, hätte er sicher zu Recht zu hören bekommen.

„Sie führen eines der wichtigsten Unternehmen in Traunstein und Umgebung“, begann Bender. Es klang, als schmierte er seinem Gegenüber Honig um den Mund, doch entsprach es lediglich der Wahrheit. Es gab nur ein weiteres Unternehmen, das ähnlich erfolgreich war: das Luftschiffimperium des Freiherrn von Hohenheim, das seinen Sitz in Berchtesgaden im benachbarten Landkreis hatte. Doch hielt es Bender für klüger, den Namen des Mannes, der in Sachen Macht und Einfluss Hellthals Konkurrent war, nicht in diesem Anwesen zu nennen, wenn es nicht sein musste.

„Sie entwickeln und verkaufen alles, was sich mit Zahnrädern machen lässt.“

„Ihre Beschreibung könnte konkreter ausfallen, aber da sie im Kern der Wahrheit entspricht, werde ich sie stehen lassen.“

Wie in Gedanken versunken schritt Hellthal durch den Empfangsraum, ließ dabei seine Absätze auf dem Marmorboden klappern und blieb vor einem offenen Kamin stehen, der so blitzte, dass er bestimmt noch nie ein Feuer gesehen hatte. Die Rauchentwicklung im Empfangsraum wäre vermutlich auch katastrophal geworden, da der Kamin dreiseitig offen ein gutes Stück in den Raum hineinragte.

„Ich entwickle gerade eine exklusive Produktreihe“, erzählte Hellthal wie beiläufig, doch Bender fiel auf, dass der Millionär aus dem Augenwinkel genau seine Reaktion beobachtete. Was auch immer er erwartete: bestimmt nicht den scheinbar desinteressierten Gesichtsausdruck, hinter dem Bender seine Neugierde versteckte. Dass die Produktreihe exklusiv war, fand er dabei weniger spannend als die Tatsache, dass Hellthal sich die Zeit nahm, ihm davon zu erzählen.

„Es ist eine Katze.“

Einen Augenblick hatte Bender eine echte Katze vor Augen, die Hellthal eine tote Maus vor die auf Hochglanz polierten Lederschuhe legte und ein Lob erwartete. Doch dann fiel sein Blick auf den Kaminsims, und da wusste Bender, warum sein Gastgeber sich ausgerechnet diesen Ort zum vorgeblichen Sinnieren ausgesucht hatte.

Dort saß eine bronzefarbene Katze, deren Innenleben aus Zahnrädern, Schrauben und Uhren bestand. Eine Uhr saß direkt auf der Stirn, knapp oberhalb der Augen. Die Katze hatte seitlich angedeutete Schnurrbarthaare, doch hatte der Produktentwickler Nase und Maul für überflüssig empfunden. Ein Metallrohr, das aussah, als könnte es nach Belieben verkürzt oder verlängert werden, verband Kopf und den restlichen Körper. Weitere drei Uhren zierten diesen. Eine tickte auf der Brust und eine weitere kleine prangte auf der hinteren Pfote. Bei jedem anderen hätte Bender humoristische Hintergründe dafür vermutet, dass die dritte Uhr ausgerechnet seitlich am Hintern ihren Platz gefunden hatte, doch es war davon auszugehen, dass Hellthals Sinn für Humor so ausgeprägt war wie die Bescheidenheit des Anwesens. Der Katzenschwanz bestand aus etwa zehn einzelnen Stücken, die durch Bolzen zusammengehalten wurden, und sich nach oben hin zusammenkrümmten. Von einem Zahnrad, das am Hals befestigt war, hing eine Schnur herab. Scharfe Krallen an den Pfoten rundeten das Bild ab.

Bei dieser Katze gingen Eleganz und perfekt funktionierende Technik Pfote in Pfote, doch was wollte Hellthal mit ihr? Dieser Mann hatte noch nie etwas ohne guten Grund entwickelt.

Der Gastgeber ließ Bender das mechanische Tier begutachten, ehe er weitersprach: „Sie haben die Ehre, den Prototypen meiner neuesten Kreation zu bewundern.“

Mochte es als undankbar gelten, doch Bender empfand es kaum als Ehre. Vielmehr beschäftigte ihn die Frage, welche Erwartungen Hellthal an ihn hatte. Er verschränkte die Arme. „Herr Hellthal, Sie haben gewiss nicht nach mir schicken lassen, weil ich bei einem Gewinnspiel, von dem nur Sie etwas wissen, einen Rundgang mit persönlicher Führung gewonnen habe. Meine Zeit ist im Vergleich zu Ihrer sicher nicht so knapp bemessen, aber ich möchte Sie dennoch bitten, zum Punkt zu kommen.“

Hellthal warf ihm einen Blick zu, bei dem die meisten Menschen den ihren gesenkt hätten. Nicht so Bender. Ohne zu blinzeln hielt er stand, bis Hellthal sich dem Kaminsims zuwandte und die mechanische Katze herunterhob.

„Die Produktreihe umfasst momentan drei Katzen. Doch kam es zu einem unvorhergesehenen Zwischenfall.“ Hellthal legte eine Pause ein, doch Bender tat ihm nicht den Gefallen, nachzuhaken.

„Eine der Katzen befindet sich in meinem Besitz. Es handelt sich um diese. Die beiden anderen wurden gestohlen.“

Es fehlte lediglich ein mit seinen Initialen besticktes Spitzentaschentuch zur Benetzung der Stirn und ein theatralischer Ohnmachtsanfall, um die Dramatik der Szenerie zu untermauern.

„Brachten Sie den Diebstahl bereits bei der Polizei zur Anzeige?“, fragte Bender nur.

Hellthal lächelte dünn. „Ja, doch gibt es bis heute keine Resultate. Protokolle und Fotografien liegen vermutlich en masse in Ordnern, fein säuberlich beschriftet und archiviert. Aber was hilft mir das? Deswegen kommen Sie ins Spiel. Sie werden mir meine Katzen wiederbeschaffen. Für jede gefundene Katze werden Sie selbstverständlich ein Honorar erhalten. Eines, das vermutlich wesentlich höher ausfällt als das übliche Kleingeld, mit dem Sie Ihr Überleben sichern.“

Arroganter Schnösel, war Benders erster Gedanke. „Meines Wissens beschäftigen Sie Sicherheitspersonal, darunter auch einen eigenen Detektiv. Warum vertrauen Sie nicht ihm die Aufgabe an?“

Hellthal beantwortete die Frage nicht gleich. Sein Blick glitt über die Katze, dann über Bender. Vermutlich überlegte er, wie viel er tatsächlich preisgeben durfte.

„Sehen Sie, Herr Bender“, sagte er schließlich. „Auch wenn ich Ihnen keine Details verraten werde, kann ich Ihnen dennoch sagen, dass ich für mein Privatanwesen wie für meinen Firmensitz ein umfangreiches Sicherheitssystem ausgeklügelt habe. Für den Diebstahl der Katzen wurde dieses auf raffinierte Art umgangen. Wer auch immer der Täter oder die Täterin ist, kennt sich genau aus.“

Nun wurde Bender einiges klarer. „Sie schließen nicht aus, dass jemand, den Sie damit beauftragten, für die Sicherheit in Ihrer Firma zu sorgen, dieses Wissen ausnutzte. Da Sie nicht wissen, wer es war, misstrauen Sie pauschal allen Angestellten und übergeben einem Externen den Auftrag.“

„Sie sind ein Mann, der das sagt, was er denkt.“
Wenn ich meine Gedanken zu dir und deinem Auftrag ungefiltert zum Besten gäbe, könnte ich froh sein, wenn ich nur des Anwesens verwiesen würde. „Haben Sie einen Verdacht? Wofür sind die Katzen gebaut worden und für wen sind sie von Interesse?“

„Sie sind zur Zierde gedacht.“

Im ersten Augenblick wusste Bender nicht, was er antworten sollte. Der Gedanke, dass Hellthal einen Detektiv anheuern und fürstlich bezahlen wollte, weil ihm zwei Dekorationsartikel abhanden gekommen waren, schien so abstrus, dass Bender in einer anderen Situation an einen schlecht inszenierten Scherz gedacht hätte.

„Man stellt die Katze auf ein Regal und lässt sie verstauben?“, hakte er zur Sicherheit nach.

„Nein, Herr Bender.“ Hellthal warf Bender einen verächtlichen Blick zu. „Es ist ein hochwertiges Produkt. Wir leben in einer Zeit, in der Menschen das Bedürfnis haben, die Welt kennen zu lernen, weiße Flecken auf Landkarten zu erschließen und Pionierleistungen zu erbringen!“

Manche Menschen haben das Bedürfnis, die Miete bezahlen und ihre Kinder ernähren zu können. Bender verzichtete jedoch darauf, den Gedanken auszusprechen, da mit dem Verständnis Hellthals nicht zu rechnen war und zynische Kommentare zu Benders Wohngegend niemandem etwas bringen würden.

„Die Uhren zeigen nicht nur an, wie spät es jetzt bei uns ist. Man erkennt gleichzeitig, wie spät es in Amerika, Indien oder Afrika ist. Für welche Länder oder Städte man sich entscheidet, bleibt jedem Katzenbesitzer selbst überlassen. Es erinnert an ferne Kontinente und ist das Richtige für den Mann von Welt!“

„Welch Glück, eine Uhr sein Eigen nennen zu dürfen, die einem die tägliche Mühe des Stundenzählens abnimmt, was die wohl größte Sorge eines jeden Menschen sein dürfte!“

Hellthal verzog das Gesicht zu etwas, das wohl ein Lächeln werden sollte. „Sie mögen es verstehen oder nicht – nehmen Sie den Auftrag an? Wie ich bereits sagte, ist er für Sie lukrativ.“

Wie nebenbei nannte Hellthal eine Summe, die Bender für einen Augenblick die Sprache verschlug, war sie doch um ein Mehrfaches höher als sein übliches Honorar. Aber auch wenn der in Aussicht gestellte Lohn reizvoll war, kein weiterer Auftrag in Sicht war und Bender das Geld gut gebrauchen konnte, um für Miete und Lebensunterhalt aufzukommen, stand der finanzielle Anreiz nur an zweiter Stelle. An die erste hatte sich von Beginn an seine Neugierde platziert. Hellthal spielte nicht mit offenen Karten, und Bender spürte ihn – den Drang, die Wahrheit herausfinden zu wollen.

„Ja, ich nehme ihn an. Haben Sie einen Verdacht, wer die Katzen gestohlen haben könnte? Ich rechne nicht damit, dass es einem Tagelöhner oder Taschendieb gelungen wäre, bei Ihnen einzubrechen oder Ihren Detektiv zu bestechen. Es muss jemand sein, der sowohl über die Katzen als auch Ihre Sicherheitsvorkehrungen informiert ist.“

„Sehr wohl. Ein Mann zeigte bereits Interesse an der Katze. Dennoch war er nicht bereit, für diese zu bezahlen. Zu teuer, erklärte er großspurig. Ihm traue ich einen Diebstahl zu. Es handelt sich um Frederick Martin.“

Frederick Martin, ein ebenfalls einflussreicher Mann, bekannt für seine Brauerei und zahlreichen Wirtshäuser? Es gab so gut wie niemanden, der nicht sein Bier trank, und selbst Kinder kamen kaum an ihm vorbei, da er wie nebenbei auch diverse Säfte auf den Markt brachte. Selbst wenn er die Katze gestohlen hatte: Wie sollte es Bender gelingen, sie ausfindig zu machen?

„Ich beauftragte doch nicht etwa den falschen Mann?“, fragte Hellthal wie beiläufig.

„Nein, Sie haben den richtigen“, erwiderte Bender. Finden würde er die Katzen. Über den Weg dorthin musste er sich allerdings noch Gedanken machen.



3. Kapitel



„Ich hoffe, Sie bringen mich nicht in Teufels Küche!“, brummelte Cornelius Hartmann. Kaum waren die Worte gesagt, lief er rötlich an. „Das ... war nur so dahingeredet“, stammelte er, als befürchtete er, dem Teufel vorstellig zu werden, der nur darauf wartete, ihn mit Pfeffer zu würzen und in die Pfanne zu legen.

„Beruhigen Sie sich, Hartmann“, entgegnete Bender. „Ich bin ein gefallener Engel, aber nicht der Leibhaftige persönlich. Ich habe nicht vor, Sie in Bedrängnis zu bringen.“ Schmunzelnd beobachtete er den Kommissar. Vor einigen Jahren hatte Bender den damals fünfundzwanzigjährigen Hartmann als einen braven Polizisten kennengelernt, der während der Ausbildung seine Paragraphen gepaukt und heruntergebetet hatte, aber bei der Konfrontation mit der Realität den Kürzeren gezogen hatte. Umso erfreulicher war es, dass Hartmann im Laufe der Zeit ein kriminalistisches Gespür entwickelt hatte. Zudem war er als einziger Polizist bereit, Bender zu helfen und mit Informationen zu versorgen. Im Gegenzug dazu hatte Bender seinerseits Hartmann bei Fällen unter die Arme greifen können, bei der die Polizei ratlos gewesen war.

„Verstehe ich das richtig?“, fasste Hartmann zusammen, nachdem Bender ihm alles erzählt hatte. Fast hätte Bender schmunzeln müssen. So ungläubig und ratlos hatte der Kommissar ihn das letzte Mal angesehen, als er erfahren hatte, dass Bender ein Engel und kein gewöhnlicher Mensch war.

„Frederick Martin verfügt angeblich nicht über das nötige Kleingeld, um eine mechanische Katze aus der Fabrik Hellthals zu kaufen, leistet sich aber die Dienste eines Langfingers, der in die Fabrik einbricht und das Ding stiehlt?“

„Den Preis für eine Katze nannte Hellthal mir nicht, doch denke ich nicht, dass man sich an der Kasse mit Kleingeld zufrieden gibt. Dennoch wird Martin das Geld haben, allerdings, glaubt man den Worten Hellthals, nicht den Willen, es für die Katze auszugeben. Entweder sind die Dienste besagten Langfingers preiswerter oder derjenige schuldet Martin einen Gefallen. Jedenfalls war Hellthal bei der Polizei, und laut seiner Aussage fanden bereits Ermittlungen statt. Auch wenn diese nicht von Erfolg gekrönt waren, liegen sicher erste Ergebnisse vor. Ich bin für jede Information dankbar.“

Hartmann druckste ein wenig herum, nahm seine Taschenuhr in die Hand, ohne die Uhrzeit zu lesen, und legte sie wieder zurück.

„Ich besorge Ihnen die Informationen. Im Gegenzug halten Sie meinen Namen aus der Sache. Ich möchte weder mit Hellthal noch mit Martin Ärger.“

Erleichterung durchrieselte Bender. „Wann zog ich Sie jemals in etwas hinein? Sie können sich auf mich verlassen.“


Zwei Tage später saß Bender an seinem Tisch und brütete über seinen Unterlagen. Was er in Erfahrung gebracht hatte, war zu wenig und zu allgemein, als dass es ihm geholfen hätte. Auch von Hartmann gab es noch keine Neuigkeiten.

Frederick Martin hatte eine Brauerei, die in der Region das Monopol hatte. Seinen Erfolg bekamen dabei auch andere zu spüren. Vage erinnerte sich Bender an eine Brauerei, die vor einigen Jahren die Pforten und Sudpfannen hatte schließen müssen. Das Gebäude mit seinem angeschlossenen Biergarten war verwildert und der Natur zum Opfer gefallen. Wo einst Menschen gearbeitet hatten, krochen nur mehr Spinnen und am Wochenende betrunkene Jugendliche über den staubigen Boden.

Und Martin? Der hatte inzwischen drei Gaststätten eröffnet, belieferte verschiedene Hotels und füllte die Regale der Lebensmittelläden. Er selbst wohnte in einer Villa, die von außen nicht einzusehen war, den Erzählungen nach aber der von Hellthal in nichts nachstand. Bender seufzte. Wenn die Katzen überhaupt in Martins Besitz waren, mussten sie in der Villa sein. In seinen Büroräumen waren sie bestimmt nicht, denn wer würde auf die Idee kommen, Diebesgut, noch dazu so auffälliges, an seiner Arbeitsstelle in Szene zu setzen? Andererseits, welchen Sinn hatte es, einen solchen Aufwand zu betreiben, um einen Dekorationsartikel zu stehlen, wenn er nachher in einem Tresor sein Dasein fristete? Trotzdem, am wahrscheinlichsten befand sich die Katze im Privatdomizil Martins, das vielfach gesichert und für Bender unerreichbar war.

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Grübeleien. Sein Kopf schoss nach oben, er eilte zur Tür und riss sie auf.

„Gut, dass Sie da sind, Hartmann“, sprudelte es aus ihm heraus, doch sein Wortstrom riss abrupt ab, als er gewahr wurde, wer vor seiner Tür stand.
Es war nicht Cornelius Hartmann, sondern eine Dame, deren Gesicht er unter dem Hut kaum erkennen konnte. Anders als der Fahrer, der versucht hatte, sich besser zu kleiden, als es sein Auskommen erlaubte, war es offensichtlich das Anliegen der Dame, sich einfacher zu kleiden, als es ihrem Stand gebührte. Ihr Kleid war mausgrau und unauffällig, jedoch war der Stoff zu teuer und die Schuhe aus echtem Leder, was sich hier in den Vierteln niemand leisten konnte. Bender tat, als fielen ihm diese Details nicht auf, und verbarg mühsam seine Enttäuschung, nicht den erwarteten Gast zu sehen.

„Was kann ich für Sie tun?“ fragte er kurz angebunden.
Die Dame hob den Kopf, sodass ein schmales Gesicht zum Vorschein trat, in dem die Augen beinahe übernatürlich groß wirkten. Sie sah hübsch aus, wirkte aber vor allem verzweifelt. „Ich hörte, Sie seien Detektiv, und ich benötige Ihre Dienste.“

„Was Sie nicht sagen. Ich dachte schon, Sie wollten meine Dienste als Friseur in Anspruch nehmen.“

Sie errötete. „Das auch.“ Sie klang schüchtern, doch der Augenaufschlag strafte dem Lügen. „Während wir über meinen Fall sprechen, können Sie mir die Spitzen schneiden und Lockenwickler in die Haare drehen.“

Die Antwort kam so unerwartet, dass Bender lachen musste und seine Meinung änderte. Er hatte vorgehabt, sie mit Verweis auf seinen Zeitmangel auf einen späteren Termin zu vertrösten, doch nun lenkte er ein und bat sie in seine Wohnung. Dass sie keine Verwunderung ob der kargen Möblierung zeigte, rechnete er ihr ebenso hoch an wie die Tatsache, dass sie sogleich zum Thema kam.

„Mein Name ist Constanze.“ Sie versuchte sich an einem Lächeln, doch das Kneten der Finger und das nervöse Zucken der Augen verrieten ihre Nervosität. „Sie sollen ... jemanden für mich finden.“

„Ist Ihnen Ihr Schoßhündchen davongelaufen?“

„Er frisst mir die Speisekammer leer und markiert überall, aber nein, mein Hund ist mir stets treu.“

„Im Gegensatz zu Ihrem Gatten“, schloss Bender. „Ich soll diesem nachspionieren und Ihnen mitteilen, wo er sich aufhält und vor allem, mit wem?“

Constanze strich Falten aus ihrem Kleid glatt, wobei Bender den Eindruck hatte, dass es ihr weniger um das Kleidungsstück selbst ging als vielmehr darum, den Augenkontakt zu vermeiden.

„Ja“, sagte sie schließlich. Ruckartig hob sie den Kopf und schaute Bender fast trotzig an. „Ich kann mir vorstellen, was Sie jetzt über mich denken. Untreue Gatten auszuspionieren ist vermutlich eine der langweiligsten Aufgaben, die Sie als Detektiv erledigen. Sie werden mich für ein Klischee auf zwei Beinen halten. Ich fühle mich selbst so“, fügte sie zögerlich hinzu. „Aber mein Mann versteckt etwas vor mir, ich weiß es.“

„Ihr Gemahl behauptet, länger arbeiten zu müssen. Er ist sehr verschlossen, führt heimlich Telefonate, und wenn Sie hinzukommen, legt er plötzlich auf, ebenso, wie Gespräche verstummen, die vor Ihrem Eintreffen noch lebhaft geführt wurden.“

Als sie nickte, musste Bender ein Seufzen unterdrücken. Er hätte ihr gern widersprochen, allein: Ihre Nöte waren tatsächlich nicht frei vom Klischee der gehörnten Gattin. Dennoch tat sie ihm Leid, denn auch wenn der Fall aus detektivischer Sicht uninteressant war, war ihm klar, dass sie unter der Situation litt.

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Da ich all meine Zeit und Ressourcen in jeden einzelnen meiner Fälle investiere, nehme ich stets nur einen an. Momentan hält mich einer sehr in Beschlag. Doch sobald dieser abgeschlossen ist, werde ich mich Ihnen widmen.“

Constanze verstand den Wink und reichte ihm die Hand.


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4. Kapitel



Er begleitete sie zur Tür, als es erneut klopfte.

„Ich bin es“, ertönte dieses Mal die Stimme Hartmanns. Die aufkeimende Hoffnung Benders wurde jäh zerstört, als er sah, dass Hartmann mit buchstäblich leeren Händen kam. Dieser musste Benders Enttäuschung bemerkt haben, denn er hob entschuldigend die Arme, bevor sein Blick auf Constanze fiel.

„Sie haben Besuch“, stellte er überflüssigerweise fest. „Wenn mein Erscheinen ungelegen kommt, werde ich Sie später aufsuchen.“

Constanze setzte ein Lächeln auf und hielt ihm die Hand so hin, dass er einen angedeuteten Kuss hinhauchen konnte. „Das wird nicht nötig sein, Herr...“

„Cornelius Hartmann“, erwiderte dieser automatisch.

„Herr Bender, Herr Hartmann, ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag.“ Sie deutete eine Neigung ihres Kopfes an und trat ins Treppenhaus.

Bender blickte ihr nach. Ob sie wiederkommen würde, vermochte er nicht zu sagen. Bestimmt hatte sie sich mehr erhofft – und ihr war sicher nicht entgangen, dass er nicht nach dem Namen des Gatten gefragt hatte.


„Ich habe alles versucht“, sagte Hartmann, nachdem er mit einem Kaffee Platz genommen hatte. Bevor Bender etwas erwidern konnte, fuhr er fort: „Aber die Unterlagen, von denen Sie gesprochen haben, existieren nicht.“

Um ein Haar hätte Bender seine Kaffeetasse fallen lassen. „Das ist unmöglich“, hauchte er. „Das ist mit Schlampigkeit allein nicht zu erklären. Es hieße, dass der Fall sabotiert wird.“

Hartmann schüttelte vehement den Kopf. „Nein, kein Sabotageakt. Es ist viel einfacher. Aus unseren Archiven konnte nichts entwendet oder versteckt werden, weil nie etwas zu diesem Fall aufbewahrt worden ist.“

Das warf ein neues Licht auf seinen Fall. Nachdenklich betrachtete Bender seinen Gast. „Hellthal meldete seine Katzen gar nicht als gestohlen ...“

„Es sieht ganz danach aus“, bestätigte Hartmann. „Was mich zu der Frage führt, warum er das Ihnen gegenüber behauptete. Bender, ich weiß nichts über Ihren Fall, aber er gefällt mir nicht.“