Für meine Mädchen - fürchtet Euch nicht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2018 Frank Hartmann

Cover: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7481-5574-4

Inhalt

»Kurz nachdem wir ankamen, begann schon der Luftangriff. Obwohl es deutlich war, dass es sich vornehmlich um Zivilisten handelte, bekamen wir Befehl auf alles zu schießen, was sich bewegt. Auf alles, sogar auf das Vieh.«

(Rekrut Yuri T. in: Anna Heinämaa u.a. (Hg.): The Soldier’s Story. Soviet Veterans Remember The Afghan War)

1. Kapitel

April 1988, Kabul, Afghanistan

Für einen Jungen von neun Jahren, fand Basim, war er außergewöhnlich groß. Er lag mit halb geöffneten Augen am Fußende des Bettes seiner Eltern und räkelte sich im Halbdunkel. Als er sich über die abstehenden Haare strich und auf seine nackten Füße sah, die unter dem verfilzten Schaffell hervorguckten, glaubte er, dass seine Beine über Nacht wieder gewachsen waren.

Geräuschlos rollte er sich zu den Zwillingen herum. Sie schliefen noch, Rücken an Rücken. Bestimmt war er jetzt einen ganzen Kopf größer als seine Schwestern.

Auf ihrer Seite des Bettes stand einer der beiden Schränke, die seine Eltern mitgenommen hatten. So, wie die Holztüren des Schrankes verziert waren, stellte er sich die Flügel eines Adlers vor. Die ausgebreiteten Schwingen des Raubvogels bewachten alle Kleidungsstücke, die sie noch besaßen, nachdem sie aus dem sonnenbeschienenen, grünen Darulaman-Viertel hierher gezogen waren.

Die Häuser in der Gasse, in der sie seitdem wohnten, standen so eng, dass kein Lichtstrahl in das Schlafzimmer fiel. Wenigstens konnte nie einer der Panzer mit dem hellroten Stern am Geschützturm an ihrem Fenster vorbeikommen. Der stählerne Koloss würde schon am Anfang der Gasse zwischen den gemauerten Hauswänden stecken bleiben. Ganz bestimmt.

Um die Zwillinge nicht aufzuwecken, krabbelte Basim vorsichtig unter dem Schaffell hervor, schlüpfte in seine Stoffpantoffeln und schlufte schlaftrunken über den rauen Betonboden nach nebenan.

Die Küche roch nach warmer Milch. Auf dem gusseisernen Backofen stand ein Emaille-Topf. Seine Mutter hockte in ihrem hellgrauen Arbeitskleid vor der Feuerklappe und legte einen Holzscheit nach.

»Maadar, guck mal«, sagte Basim und gähnte. Er legte die Hände eng an sein Nachthemd und machte sich steif, so wie er es bei den fremden Soldaten gesehen hatte. »Ich bin wieder gewachsen!«

Sorgfältig schloss Sahida Atwa die Ofenklappe und erhob sich. Dann drehte sie sich zu ihrem einzigen Sohn um und betrachtete ihn lächelnd. »Das haben wir gleich.«

Sie ging zum einzigen Möbelstück in der Küche, einem alten Nussbaum-Buffet, und nahm aus der oberen Schublade einen Kamm aus Kamelknochen. Zwischen den Sitzkissen auf der dunkelgrünen Essdecke, die neben der Tür zum Garten ausgebreitet war, stand eine wassergefüllte Aluminiumschale. Vorsichtig tauchte seine Mutter die Zähne des Kammes ein.

»Wo ist denn der Silberkamm?«

»Den habe ich verkauft«, antwortete seine Mutter leise und kam langsam auf ihn zu.

»Wieso?«

»Wir brauchen Geld, Basim. Seit wir unser altes Haus verlassen mussten, kaufen die Leute keinen Schmuck und keine Edelsteine mehr.«

»Warum denn nicht?«

»Die Zeiten sind schwierig. Niemand hat Geld dafür.«

Basim drückte die abstehenden Haare nach unten, bis seine rechte Hand flach auf dem Kopf lag. Als seine Mutter sich dicht vor ihn hinstellte, bewegte er die Handkante mit zusammengepressten Lippen langsam nach vorn, bis sie gegen etwas Weiches stieß. Ohne seine Hand wegzunehmen, ging er einen halben Schritt zurück. Diese Wölbungen unter dem faltigen Arbeitskleid seiner Mutter erinnerten ihn an irgend etwas.

»Nimm die Hand weg und halte still.«

Während seine Mutter ihm einen nassen, kühlen Scheitel zog, flötete er und sah sich die Halbkugeln noch mal genau an – ja, jetzt fiel es ihm wieder ein. Ihre Form ähnelte den zwei Turmkuppeln des königlichen Palastes im Darulaman-Viertel.

Wie gerne würde er sein altes Zimmer wiedersehen.

Als sie noch über dem Juweliergeschäft seines Vaters gewohnt hatten, schliefen er und die Zwillinge in einem eigenen Raum. Vom Fenster ihres Zimmers, das nach hinten zum Garten hinaus lag, konnte er zwischen den Zweigen der Bäume hindurch den Königspalast sehen.

Damals, als die Blätter sich färbten und er mit seinen Eltern die letzten Walnüsse und Pistazien vom Rasen gesammelt hatte, waren die unheimlichen Geräusche zum ersten Mal zu hören gewesen. Sein Vater hatte sie in das Hinterzimmer des Geschäftes getrieben, wo sie sich unter den Eichentisch knieten. An dem trug sein Vater sonst lange Reihen von Zahlen in längliche Bücher ein.

Später, als die Stille wiederkehrte, setzte zaghaft das Trällern der hübsch gefiederten Pärchen Merbok und Shama wieder ein. Sein Vater hatte sie vor langer Zeit in Holzkäfigen vom Markt mitgebracht und am Ast des Walnussbaums in ihrem Garten aufgehängt. Dann hatte sein Vater ihnen mit ungewohnt strenger Stimme eingeschärft: »Wenn die Stalin-Orgeln pfeifen, müsst ihr immer sofort ins Haus laufen. So schnell ihr könnt.«

Was für Orgeln mochten das sein, die ein so komisches Zischen von sich gaben, dem stets ein tiefes Donnergrollen folgte? Sehen konnte er nie eine.

Aber er hörte sie. Immer öfter. Immer lauter.

Eines Tages hatte sein Vater sie alle in der Küche zusammengerufen und verkündet: »Ich habe ein neues Haus für uns gefunden. Dort, so hoffe ich, sind wir sicherer.«

Alles, was sie in das neue Haus mitnehmen konnten, hatte hinten auf einen Pferdewagen gepasst.

Nachdem Basim einen Becher warmer Milch getrunken hatte, knurrte sein Magen immer noch. Aber er fühlte sich trotzdem stark genug. Im Hof war alles ruhig. Leise holte er seine Kleider aus dem Schlafzimmer, zog sich an und sprang durch die offene Küchentür nach draußen. Heute würde er über die hellbraunen Lehmmauern, die den Hof hinter ihrem Haus begrenzten, einen Blick werfen können. Ganz sicher.

Er tänzelte zur Mauer auf der linken Hofseite, lehnte sich mit dem Rücken an und holte einige Mal tief Luft. Staubwölkchen wirbelten auf, als er mit neun abgezählten Schritten zur gegenüberliegenden Seite hüpfte, hochsprang und den Hals reckte.

»Was machst du da?«

Die Zwillinge standen in ihren hellgrünen Nachthemden verschlafen in der Küchentür.

»Gar nichts, glotzt nicht so,« sagte er trotzig. »Kommt raus und fangt mich, wenn ihr könnt.«

Wenn sie Fangen spielten zwischen den Lehmmauern, konnte er den Hunger für eine Weile vergessen. Weil er älter war und schneller laufen konnte als seine Schwestern, durfte er nur auf einem Bein hüpfen, um ihnen zu entkommen. So hatten sie es abgemacht.

Die flinken Schritte ihrer Füße hinterließen verwischte Abdrücke auf dem harten Boden, den eine dünne Sandschicht bedeckte. Die Mädchen kicherten und jagten hinter seinem beigebraunen Hemd her. Es reichte ihm bis zu den Waden. Mit hastigen Sprüngen versuchte er, den Spaltklotz neben dem Häufchen mit Holzscheiten zu erreichen, als wieder das unheimliche Pfeifen zu hören war.

Schlagartig hörten seine Schwestern auf zu kichern und fingen an zu kreischen. Als sie losrannten, setzte er ihnen hinterher. Sie schafften es bis zur Küchentür, bevor auf das Zischen und Pfeifen ein erstes dumpfes Grollen folgte.

»Schnell, schnell ins Schlafzimmer«, rief ihre Mutter ihnen in der Küche zu und bewegte ihre Arme, als wollte sie drei Hühner vorwärts scheuchen.

Basim und seine Schwestern krabbelten unter die verrutschten Holzlatten, auf denen die Matratze lag. Die Kleinen kuschelten sich eng an ihn, während es draußen rumste und der Boden unter ihnen vibrierte. Wieder und wieder.

Er liebte dieses Spiel. Seine Schwestern waren von Fremden geraubte Prinzessinnen, und er führte eine Gruppe von mutigen Glaubenskämpfern an, die sie aus dem Verlies der Ungläubigen befreite.

Warum mussten die Kleinen nur immer anfangen zu weinen? Wenn seine Schwestern schluchzten, konnte auch er die Tränen nicht zurückhalten. Ein Mudschaheddin im heiligen Krieg heulte doch nicht! Schon gar nicht vor den Augen von Prinzessinnen, die man gerade aus der Hand von Schurken gerettet hatte.

Sie krochen erst wieder unter dem Bett hervor, als ihre Mutter sie in die Küche rief. Maadar hatte ihnen drei Schalen auf die Essdecke gestellt. Basim hockte sich als erster auf den grünen Stoff mit der Blumenwiese. Hoffentlich gab es nicht schon wieder Nüsse oder diese Suppe, in der er die Reiskörner fast zählen konnte.

»Heute habe ich Lubiya mit Piyaaz für euch«, sagte seine Mutter und füllte ihnen einen vollen Holzlöffel Bohnenbrei mit geriebenen Zwiebeln in die Schalen. Dazu stelle sie drei Becher mit Wasser auf die Blumendecke und legte für jeden von ihnen ein dreieckiges Stück Nan daneben. Er mochte die Weizenfladen am liebsten, wenn sie frisch aus dem Backofen kamen, warm und knusprig.

Das Fladenbrot war kalt und pappig. Er nahm die letzte Ecke, schob sie mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand in den gelben Brei, stopfte sie sich in den Mund und kaute lustlos darauf herum. Wenigstens knurrte sein Magen nach den ersten Bissen nicht mehr ganz so laut.

Um die letzten Krümel herunterzuspülen, trank er einen Schluck Wasser und setzte den Aluminiumbecher ab.

»Maadar, wann darf ich endlich in die Schule gehen?«

»Trink, mein Sohn, trink«, seufzte sie und half den Kleinen, einen Streifen Brot abzureißen. »Dein Vater hofft, dass der Krieg bald vorüber ist und die fremden Soldaten unser Land verlassen. Dann schicken wir dich sofort in die Schule.«

»Und in welche?«

»In eine gute, gar nicht weit von hier. Es ist wichtig, zu lernen. Nur wenn du fleißig lernst, kannst du später einen ehrbaren Beruf ergreifen. So wie dein Vater.«

Als junger Mann hatte Basims Vater sich mit jahrelanger schwerer körperlicher Arbeit die Kniegelenke ruiniert und konnte nur noch mit Hilfe eines Holzstocks gehen. Als er am Nachmittag in der Küche erschien, lief Basim ihm entgegen.

»Padar!«

Noch bevor Hasan Atwa das dunkelgraue Sakko ablegen konnte, das er über einer weiten, hellen Hose und einem knielangen Hemd trug, umklammerte Basim die Hüfte seines Vaters.

»Wann erzählst du mir von den Minen?«

»Lass deinen Vater erst mal essen«, wandte seine Mutter ein.

»Ist schon gut, ich esse hinterher«, gab Hasan Atwa dem Drängen seines Sohnes nach.

Ausgelassen hüpfte Basim voran, sein Padar humpelte ihm in den Hof hinterher.

Gestützt auf den Gehstock, ließ Hasan Atwa sich auf dem Klotz neben den Holzscheiten nieder. Basim setzte sich im Schneidersitz erwartungsvoll vor seinem Vater auf die Erde. Er hatte die Geschichte bestimmt schon hundert Mal gehört und wusste, was jetzt kam. Da er viele Details in- und auswendig kannte und wiedergab, lobte sein Vater ihn oft. Davon konnte er nie genug bekommen.

»Mit Afghanistan, dem Land der Afghanen, waren anfangs speziell die Stämme der Paschtunen gemeint. Die Kolonialherren Russlands und Britanniens verstanden darunter eine Pufferzone zwischen Persien und ihren eigenen Kolonialterritorien.« Während Hasan Atwa erzählte, zeichnete er mit dem Stock schwungvoll die Lage der längsten Berge und Flüsse Afghanistans in den staubigen Boden. Basim sah ihm aufmerksam zu.

»Beide Imperien strebten die Vorherrschaft in Afghanistan an und sprachen vom Great Game. Besonders die Briten bemühten sich ständig, einen Herrscher in Kabul zu installieren, den sie kontrollieren konnten. Sie ignorierten die Machtverteilung zwischen den afghanischen Emiren und versuchten, ihren Einfluss mit zwei Kriegen zu vergrößern. Beide endeten in einem Desaster. Zur Ruhe kam das Land dennoch nicht. Immer wieder flammte bewaffneter Widerstand gegen die Briten auf, folgten blutige Aufstände und Bürgerkriege, bis sich 1978 die kommunistische Volkspartei Afghanistans an die Macht putschte. In den Weihnachtstagen 1979 besetzte schließlich die Sowjetunion unser Land.«

Hasan Atwa markierte für seinen Sohn den fast siebentauendfünfhundert Meter hohen Nowshak im Nordosten an der Grenze zu Pakistan. Es folgten die Berge, die Kabul umgeben. »Der Helmand«, erklärte er Basim, »entspringt westlich der Stadt und windet sich dann mehr als eintausendeinhundert Kilometer durch das Land«.

»Neun Jahre blieb Afghanistan das wichtigste Schlachtfeld des kalten Krieges. Dann hatte auch Moskau verstanden, dass dieses Land von außen nicht zu kontrollieren war, und begann, seine Truppen abzuziehen.«

Zum Schluss skizzierte Hasan Atwa die Viertel der Hauptstadt: »Wir wohnen hier, wo der Chamchamast sich mit dem Kabul River vereint. Unser altes Haus und das Geschäft waren dort, in der Nähe des Königspalastes. Dein Padar-Kalaan hat den Juwelierladen 1957 gegründet. Er wollte, dass ich als ältester Sohn das Geschäft nach seinem Tod übernehme. Mein Sohn, sagte er, als ich zwanzig Jahre alt geworden war, ich möchte, dass du alles über Edelsteine und Halbedelsteine lernst. Gehe in die Provinz Badakshan. Mit Gottes Segen wirst du Arbeit finden. Zuerst in den Minen, später im Basar von Faizabad. Lerne von den Älteren, was immer sie dir über den Abbau, die Verarbeitung und den Handel mit den kostbarsten Steinen unserer Heimat beibringen können. So Gott will, wirst du gesund zurück kehren und kannst dann mein Geschäft weiterführen.«

Hasan Atwa nahm nochmals den Stock und zeichnete die Wegstrecke.

Basim hatte das Bild, das allmählich im Sand entstand, genau vor Augen und kommentierte jede neue Einzelheit: »Das ist Kabul, und da oben rechts, das ist die Provinz Badakshan.«

»Ganz richtig, mein Junge«, bestätigte sein Vater. »Um mit dem Pferd nach Faizabad zu kommen, war ich viele Tage unterwegs. Die meiste Zeit bin ich durch die einsamen Bergschluchten von Badakshan geritten. In denen regnet es so selten, dass dort besonders viel Mohn wächst. Der größte Schatz aber sind die Halbedelsteine. Vor allem Laadjaward ...«

»... den sie in Europa Lapislazuli nennen«, beeilte Basim sich, den Satz zu vervollständigen.

Sein Vater strich ihm anerkennend über die schwarzen Haare, und Basim fuhr fort: »Schon vor zweitausend Jahren brachten Händler den Laadjaward in alle Welt, als sie mit ihren Karawanen auf der Seidenstraße zwischen China und Europa umherzogen. Im Mittelalter und während der – wie hieß das noch mal?«

»Renaissance«, antwortete sein Vater, jede Silbe betonend.

»Also, im Mittelalter und während der Re...nais...sance malten Künstler gerne mit Ultramarin. Ein Handwerker brauchte fast ein halbes Jahr, um ein Pfund reines Pulver aus Lapislazuli herzustellen. Es war teurer als Gold.«

»Sehr gut, Basim.«

Sein Vater hob die linke Hand und betrachtete den Silberring mit dem geschliffenen, erbsengroßen Lapislazuli an seinem Ringfinger. »Schau, wie herrlich, mein Stein des Himmels.«

Doch Basims Neugier war nicht zu zügeln. »Wussten die Leute, die bei Padar-Kalaan kauften, eigentlich woher der Laadjaward stammt?«

Hasan Atwa schüttelte kurz den Kopf. »Die Herrschaften, die den fertigen Schmuck bei deinem Großvater erwarben, wussten natürlich nicht, wie wir schufteten, um der Erde ihre kostbaren Schätze zu entreißen. Die Mine, in der wir arbeiteten, befand sich im Panjir-Tal, zwei Tagesritte von Faizabad entfernt. Ohne Helm und Schutzkleidung stiegen wir auf wackligen Holzleitern in die Schächte und Klüfte hinab. Bewaffnete Aufseher trieben uns an. Unten gab es weder Strom noch Frischluft. Wenn die Sprengstoff-Lunte gezündet wurde, blieben uns nur wenige Sekunden, um uns in einem der Seitenstollen in Sicherheit zu bringen.«

Vorsichtig legte Basim seinem Vater den rechten Unterarm auf die Knie. »Sind viele Männer gestorben?«

Sein Vater zögerte mit der Antwort, und für einen Moment schien sein Blick ins Leere zu gehen. Dann seufzte er. »Einige von uns sind beim Klettern in die Tiefe von der Leiter gestürzt, andere wurden von schlecht gesicherten Schächten unter Tonnen von Gestein begraben. Doch es kamen immer wieder neue Arbeiter. An guten Tagen brachen wir mit Spitzhacke, Hammer und Keil eine viertel Tonne Laadjaward aus dem Stollen.«

Er musste wohl ratlos geguckt haben, denn sein Vater erklärte ihm lächelnd: »Das ist mehr, als du, deine Schwestern, deine Mutter und ich zusammen wiegen. Und nun ins Haus mit dir. Es wird ja schon dunkel.«

Das Zischen und Pfeifen hatten sie schon einige Tage nicht mehr gehört. Eines Morgens überraschte Basim seine Eltern in der Küche dabei, wie sie sich stumm in den Armen lagen. So eng beisammen hatte er sie zuvor noch nie gesehen. Er starrte in das Gesicht seines Vaters, der den Kopf auf die Schulter seiner Maadar gelegt und die Augen geschlossen hatte. Die Schulterblätter seiner Mutter zuckten. Weinte sie etwa? Er wollte gerade ins Schlafzimmer zurück schleichen, als sein Vater die Augen aufschlug und ihn entdeckte. Täuschte er sich, oder schimmerten Padars Augen feucht?

Als sein Vater ihn entdeckte, löste er sich hastig aus der Umarmung. »Basim, wo sind die Zwillinge? Sind sie auch schon wach?«

Mit schnellen Schritten kam Padar auf ihn zu. Während seine Mutter ihm weiterhin den Rücken zuwandte, ergriff sein Vater ihn, hob ihn hoch und drückte ihn fest an seine Brust. »Es ist vorbei, der Krieg ist endlich vorbei! Weißt du, was das bedeutet, Basim? In drei Monaten soll auch der letzte Russe abgezogen sein. Dann herrscht in unserem Land wieder Frieden, dann sind wir wieder frei – nach zehn Jahren!«

Er verstand nicht genau, was sein Vater meinte, aber die Gelegenheit schien günstig. »Darf ich dich jetzt endlich einmal begleiten?«

Seine Mutter wirbelte herum. »Hasan, bitte erkläre ihm, dass es noch zu gefährlich ist«, mischte sie sich ein. »Er ist noch zu jung. Es kann immer noch alles Mögliche passieren auf der Straße.«

»Ach Maadar, das sagst du immer. Wie lange wollt ihr mich denn noch hier im Haus behalten?«

Sein Vater griff zu seinem Gehstock, der an der Wand lehnte. »Deine Mutter hat recht, Junge. Lass uns noch damit warten. Nur ein paar Tage, bis die Situation sich beruhigt hat.«

»Padar, ich habe dich schon so oft gefragt, wann ich endlich einmal mitkommen darf. Du hast immer Nein gesagt. Bitte Padar, bitte, nur ein Mal!«

Basim sank auf die Knie und legte seine Handflächen vor der Brust zusammen.

Seine Eltern sahen sich an. Als Maadar schwieg und den Kopf zur Seite drehte, wusste er, dass der große Tag gekommen war.

Basim warf die Arme hoch und machte einen Luftsprung. Heute würde er zum ersten Mal seinen Padar begleiten!

Mit gekämmten Haaren, frischem Hemd, Wollweste und gewienerten braunen Halbschuhen stand er an der Haustür, als seine Mutter kam und ihre Arme auf seine Schultern legte. »Versprich mir, dass du deinem Vater nicht von der Seite weichst.«

Schnell wand er sich aus ihrer Umarmung und riss die Tür auf. »Ich verspreche es, Maadar.«

Er hörte noch, wie sein Vater scherzte. »Mach dir keine Sorgen. Unser Sohn wird auf seinen lahmenden Vater aufpassen.«

Der Takt des Gehstockes bestimmte ihr Tempo. Fröstelnd zog sein Vater das Jackett am Hals zusammen. Entlang der Nachbarhäuser strebten sie dem Ende der schattigen Gasse entgegen, an dem Blätter und Staub vorbeiwehten. Basim konnte sich nicht daran erinnern, dass er jemals weiter als bis hier gekommen war.

Als sie die letzte Hausmauer erreichten und um die Ecke bogen, blies der Wind ihnen eine ockergelbe Wolke aus Sand ins Gesicht. Basim kniff die Augen zusammen und tastete nach der Hand seines Vaters.

»Du kannst die Augen zulassen. Ich führe dich«, sagte sein Vater und zog ihn langsam mit.

Wenige Meter weiter blieb Basim ruckartig stehen. Was war das für ein Lärm? Er blinzelte und versuchte etwas zu erkennen. Vor ihnen schälten sich die Umrisse eines riesigen, eckigen Etwas aus der Sandwolke. Das dunkle Ding schob ein langes Rohr vor sich her und bewegte sich auf zwei Ketten vorwärts, die so grässlich quietschten, dass seine Ohren weh taten.

»Ein Panzer, ein Panzer!«, schrie Basim und drängte sich dicht an die Seite seines Vaters, der ihn mit einer Hand hinter seinen Rücken schob. Der Boden unter ihren Füßen zitterte. »... kein Sowjet, ... einer ... unseren ...!«, hörte Basim nur.

Als der Panzer an ihnen vorbei war, schüttelte Basim sein langes Hemd aus und trat mit einem Schuh gegen den anderen.

»Von denen werden uns wohl noch mehrere entgegenkommen«, mutmaßte sein Vater. »Die Mudschaheddin fahren wahrscheinlich zum Königspalast. Die Russen hatten dort ein großes Feldlager.«

Basim überlegte. Er hatte den Königspalast noch nie aus der Nähe gesehen. »Können wir nicht zuerst da vorbeigehen und anschließend in die Stadt?«

»Der Palast liegt in der anderen Richtung. Das ist ein Umweg von mindestens einer Stunde. Lass ihn uns an einem anderen Tag ansehen«, schlug sein Vater vor und ging los.

Basim rührte sich nicht. »Bitte Padar, du hast mir so viel von unseren Königen erzählt.«

Sein Vater humpelte weiter und hielt kurz den Stock hoch. »Nicht heute, komm jetzt.«

»Der Wind würde uns dann auch nicht mehr ins Gesicht wehen.«

»Komm endlich!«

Mit wenigen Sprüngen war er direkt neben seinem Vater und hielt sich die Hände wie einen Schirm über die Augen. »Dein Geschäft ist doch auch in der Nähe des Palastes. Du könntest nachsehen, ob alles in Ordnung ist.«

Sein Vater blieb stehen und runzelte die Stirn. Er war tatsächlich länger nicht mehr dort gewesen. Nach kurzem Zögern sagte er schließlich: »Also gut, gehen wir hin und sehen nach dem Rechten.«

Sie kehrten um.

Mit dem Wind von hinten, konnten sie die Augen wieder öffnen. Je weiter sie die Straße entlanggingen, umso öfter passierten sie gesplitterte Fensterscheiben, durchlöcherte Fassaden, eingestürzte Dächer. An manchen Stellen war kaum noch etwas übrig geblieben, das an ein Haus erinnerte.

»Hier siehst du, was Panzer und Raketen anrichten können«, sagte sein Vater und zeigte mit dem Stock auf mehrere zerschossene Innenwände. Doch Basim hatte nur Blicke für die zwei Männer, die sich mit vor Anstrengung verzerrten Gesichtern auf Krücken an ihnen vorbei schleppten.

Als nächstes kamen sie an einem Steinhaufen vorbei, auf dem eine Frau saß und döste. Getrocknetes Blut hatte ihren Mullverband am Arm rostbraun gefleckt. Auf ihrem Schoß schlief, bis zum Hals in eine Wolldecke eingewickelt, ein Baby. Das schwarze Ding auf dem Gesicht des Säuglings erinnerte ihn an einen Tausendfüßler. Vorsichtig ging er näher und sah, dass es eine Narbe war, die sich von der Stirn über die Nase bis zur linken Wange zog. Als das kleine Bündel im Schlaf zuckte, lief er schnell zurück zu seinem Vater.

Zweimal bogen sie hinter umgekippten Autos ab und näherten sich der breiten Sarak Kartavi Seh. Auf der anderen Straßenseite standen hintereinander drei Panzer. Die Einstiegsluken waren hochgeklappt, die Ketten und die roten Sterne an den Seiten der Türme rußgeschwärzt. Sein Vater zeigte mit dem Stock nach vorn. »Von der Kreuzung aus können wir schon den Königspalast sehen.«

So lange hielt er es nicht aus. Er spurtete auf die Panzerwracks zu und war fast ganz um die Straßenecke gebogen, als er ein Stechen im linken Schienbein spürte und vor Schmerz aufschrie. Das Kind in dem Rollstuhl, mit dem er zusammengeprallt war, zuckte hoch, gab aber keinen Laut von sich.

Stöhnend rieb er sich das pochende Schienbein und maulte: »Kannst du nicht aufpassen?«

Um den Kopf des Kindes war ein schwarzes Tuch gewickelt, das nur einen Schlitz für die Augen frei ließ. Weil es immer noch nicht antwortete, sah er sich den Rollstuhl genauer an. Auf einer der Beinstützen stand ein Mädchenschuh, die andere war leer.

Er verstand.

»Ist schon gut. Was ist denn mit deinem Fuß passiert?«

Das Mädchen sprach immer noch nicht und zeigte mit den Fingern auf das schwarze Tuch. Basim zuckte mit den Schultern.

Wieder zeigte das Mädchen auf sein Gesicht.

»Was hast du denn? Nimm doch das Tuch mal ab,« forderte Basim ungeduldig.

Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf.

Er wollte es gerade drängen, endlich den Mund aufzumachen, als eine Männerstimme hinter ihm sagte: »Salam Alaikum, Adelah.«

Sein Vater hatte ihn eingeholt.

Das Mädchen legte die rechte Hand auf die Brust und grüßte wortlos zurück.

»Geht es euch gut?«

Das Mädchen nickte.

»Wir müssen jetzt weiter, Adelah. Allah schütze dich und deine Eltern.«

Mit sanftem Druck schob sein Vater ihn vorwärts und raunte: »Geh weiter und dreh dich nicht um.«

Als Basim glaubte, dass sie außer Hörweite waren, fragte er seinen Padar: »Woher kennst du die?«

»Ich kenne ihre Eltern. Sie waren beide Lehrer. Wenn die Schulen wieder öffnen, wird ihr Vater dich unterrichten.«

»Was ist mit ihrem Fuß, und wieso spricht sie nicht?«

»Sie wurde von Granatsplittern schwer verletzt und hat einen Unterschenkel verloren.«

»Aber warum verdeckt sie ihr Gesicht?«

»Das erzähle ich dir, wenn du älter bist.«

Basim hob die Arme und ließ sie seitlich gegen seine Oberschenkel klatschen. »Padar bitte, so lange kann ich nicht warten.«

»Basim!« Sein Vater blieb stehen und packte ihn am Arm. »Adelah ist genau so alt wie du. Letztes Jahr ist vor dem Haus ihrer Eltern eine Granate explodiert. Sie hat drinnen gespielt. Eisensplitter haben die Tür und die Fenster durchschlagen und sie getroffen. Am Bein und im Gesicht. Im Gesicht! Verstehst du?«

Zögernd nickte er.

Sie hatten die letzten Häuser hinter sich gelassen. Zu beiden Seiten der einstigen Prachtstraße Sarak-e-Darul Aman erstreckte sich eine Ebene, öde und trostlos.

Basims Vater reckte das Kinn. »Früher standen hier vier Reihen mit Pappeln. Es war eine wunderschöne Allee. Dahinter befand sich ein grüner Streifen mit Wiesen, und dahinter hatten die Bauern große Weizenfelder angelegt.«

»Und warum sieht man davon nichts mehr?«

»Der Krieg«, sagte sein Vater und stieß den Stock ein weniger fester auf den ausgetrockneten Boden, »der lange Krieg hat alles zerstört«.

In einiger Entfernung reflektierten die beiden matt silbernen Kuppeln des Königspalastes die Sonne und weckten Basims Vorfreude erneut. Er tänzelte mit federnden Schritten in immer größeren Kreisen um seinen Vater herum und sang vor sich hin: »Bald sind wir da...a, und se...hen den Pa...la...ast ... .«

»Basim.«

»... das wird ein großer Spa...aß, ...«

»Basim.«

»... auf den ich mich so freu...e, ...«

Der frische Morgenwind, der ungehindert über die Ebene fegte, rötete Basims Wangen. Dort, wo der Boden besonders locker war, wirbelten kleine Windhosen den Staub auf und begleiteten Vater und Sohn in sicherem Abstand.

»Nicht so weit, Basim.«

Er fühlte sich herausgefordert. Zu Hause hatte er seine Schwestern schon oft vor den Ungläubigen gerettet. Aber hier draußen? Eine wilde Schar, die sich mit gefährlichen Sandstürmen verbündet hatte, war natürlich etwas ganz anderes. Endlich eine richtige Mutprobe für einen echten Mudschaheddin!

»Kommt doch, kommt doch«, lockte er die Feinde. Während er leichtfüßig den ersten Angreifern auswich, versuchten andere, ihn einzukreisen und wechselten dabei ständig die Richtung.

Hasan Atwa, der jeden Schritt seines übermütig hin und her tänzelnden Sohnes aufmerksam verfolgte, sah etwas auf dem Boden schimmern. Mit zusammengekniffenen Augen und zögerlichen Schritten näherte er sich.

Als er wenige Schritte weiter erkannte, was dort seit Monaten, vielleicht Jahren im Boden lauerte, riss er entsetzt Mund und Nase auf und humpelte so schnell er konnte vorwärts. Genau auf das freigelegte Stück Metall zu. »Basim, zurück, ZURÜCK!«

Basim, der in seinem Padar den Anführer der wilden Horde erkannte, stürmte furchtlos heran.

Sie erreichten die Stelle fast gleichzeitig.

Basim war etwas schneller.

Nur einen einzigen Schritt.

Als Basim wieder zu sich kam, lag er auf dem Rücken. Mühsam hob er den Kopf und sah an sich herunter. Sein linkes Bein war völlig verdreht. So, als würde es gar nicht zu ihm gehören. Sein anderes Bein stand senkrecht nach oben. Bis zur Hälfte des Oberschenkels. Der Rest des Beines lag neben ihm auf dem Boden.

Zuerst hörte er seinen Vater röcheln, dann schwach rufen: »Basim, Basim, wo bist du? Basim, was ist mit dir?«

Mühsam drehte er den Kopf und wollte antworten. Seine Zunge fühlte sich dick und schwer an. Zu dick, zu schwer. Er brachte keinen Ton heraus.

Sein Padar versuchte keuchend aufzustehen, stützte sich mit größter Kraftanstrengung auf die zitternden Hände und Knie.

Als Hasan Atwa sich hochdrücken wollte, verließ ihn die Kraft, und er kippte zur Seite.

Es war das letzte Mal, dass Basim seinen Vater sah.

Im Darul-Aman-Krankenhaus nahmen die Ärzte wenig später einem neunjährigen Jungen, der in der Nähe des Königspalastes auf eine Mine getreten war, beide Beine ab.

»Was hier passiert, jagt mir Todesangst ein. Die Angriffe auf uns gehen weiter, und die Mudschaheddin verfügen über Granatwerfer. Die Lage ist nicht die beste, doch die Zeitungen schreiben vom Aufbau des Sozialismus in Afghanistan.«

(Tagebuch des Rekruten Yuri Pakhomov, in: Afghanistan Weighs Heavy on my Heart. The Diaries Of Soviet Soldiers Who Fought In Afghanistan)

2. Kapitel

Oktober 1996, Kabul, Afghanistan

Wie immer wachte er mit knurrendem Magen auf und freute sich auf einen Becher warmer Milch. Basim rieb sich den Schlaf aus den Augen, rollte sich zur Bettkante, ließ sich mit vorgestreckten Armen fallen und federte den Aufprall mit den Händen ab. Dann brachte er seine Beinstümpfe auf dem Ledertuch in Position, das ihm dabei half, leichter über den Boden zu gleiten.

Etwas in der Küche war anders an diesem Morgen. Im gusseisernen Backofen brannte kein Feuer, und auch der Emaille-Topf fehlte. Basim schnüffelte und vermisste den vertrauten Milchgeruch, den er so liebte. Missmutig rutschte er über den rissigen Betonboden zu seiner Mutter auf die dunkelgrüne Essdecke mit der Blumenwiese.

Maadar hockte vor den Schalen und Bechern, die sie wie jeden Morgen für ihn und die Zwillinge auf der Decke ausgebreitet hatte, und hielt sich die Hände vor die Augen.

»Hallo, Maadar.«

Seine Mutter antwortete nicht.

»Maadar?«

Langsam ließ seine Mutter ihre Hände heruntergleiten. Ihre Augen schimmerten feucht, und ihre Stimme war brüchig, als sie sagte: »Die Taliban, die seit zwei Jahren Provinz für Provinz erobern, haben in der vergangenen Nacht nun auch Kabul unter ihre Kontrolle gebracht. Du weißt, Basim, dass meine Brüder sich der Opposition, der vereinigten Allianz, angeschlossen und gegen die Taliban gekämpft haben.«

»Was ist mit ihnen, sind sie verletzt?«

Tränen liefen über Maadars Gesicht. »Sie sind tot.«

Seine Mutter beugte sich zu ihm hinüber und ergriff seine Hand. Ihre Stimme war tränenerstickt, als sie ihn ansah. »Basim, jetzt bist du der einzige Mann in unserer Familie.«

In seinem Hals bildete sich ein Kloß. Er schluckte trocken.

Unmöglich! Wie sollte er, gerade siebzehn Jahre alt und auf einen Rollstuhl angewiesen, die Aufgaben des Familienoberhauptes übernehmen?

Maadar musste seine Verzweiflung an seinem Gesichtsausdruck abgelesen haben, denn sie tätschelte ihm die Hand. »Du schaffst das schon, mein Großer.«

Seine Mutter stand auf und brachte ihm Fladenbrot und Wasser. »Ich muss jetzt los, Basim. Pass auf deine Schwestern auf, bis ich zurück bin. Sie strich ihm aufmunternd über den Kopf. »Bis später, mein Sohn.«

Seit dem Tod ihres Mannes putzte Sahida Atwa in einem Hospital der afghanischen Armee. Als sie dort ankam, warteten die Kolleginnen vor dem Eingang bereits auf sie.

»Hast Du schon gehört, Sahida, die Taliban sind in der Stadt«, sprach eine der Frauen sie an und tat so, als würde sie sich über einen langen Vollbart streichen. Alle lachten, nur Sahida Atwa nicht. Mühsam hielt sie die Tränen zurück, die schon wieder ihren Blick trübten, wischte sich mit dem Ärmel über die tropfende Nase und betrat mit den anderen das Militärkrankenhaus.

Die Frauen hatten gerade ihre Eimer, Besen, Schrubber und Wischlappen aus dem Abstellraum am Ende des Flures im Erdgeschoss geholt, als die Eingangstür aufgerissen wurde und eine Gruppe von Männern eintrat. Sie trugen leichte Baumwollhosen mit langen Hemden darüber, die ihnen bis über die Knie reichten. Dazu weiße, braune und dunkelblaue Westen und lange Tücher in den gleichen Farben, die sie wie Turbane um ihre Köpfe gewickelt hatten. So unterschiedlich gekleidet die Männer auch waren, zwei Dinge waren ihnen gemeinsam – alle hatten dichte, lange Vollbärte, und alle waren mit Schnellfeuergewehren bewaffnet.

»Allah steh‘ uns bei, das sind keine Krieger der Allianz, das sind Taliban«, flüsterte eine Kollegin.

Sahida Atwa, die ganz vorne stand, zählte sieben Männer, die mit grimmigen Blicken zielstrebig auf sie zukamen.

Es hatte sich herumgesprochen, dass die streng gläubigen Taliban sich unter dem Einfluss von Al-Kaida weiter radikalisiert hatten, um einen radikal-islamischen Gottesstaat durchzusetzen. Angsterfüllt beobachteten die Frauen, wie die Männer schnellen Schrittes näherkamen, und rührten sich nicht von der Stelle. Die Langbärtigen blieben eine Schrittlänge vor ihnen stehen. Der Älteste trat vor und schrie sie an: »Wisst Ihr nicht, wo Euer Platz ist?«

Sahida Atwa und die anderen Frauen sahen betreten zu Boden und wagten nicht, zu antworten.

»Frauen, die außerhalb des Hauses arbeiten, verstoßen gegen die Gesetze der heiligen Scharia.« Er drehte sich zu den anderen Männern um. »Seht sie euch genau an, diese unverschleierten Huren und merkt euch ihre Gesichter. Wenn ihr sie noch einmal ohne Burka in der Öffentlichkeit antrefft oder bei einer Arbeit abseits ihrer Häuser, bleut ihr ihnen den Respekt vor Gottes Gesetzen ein und werft sie ins Gefängnis.« Erneut wandte sich der älteste der Taliban an die Frauen und brüllte: »Ihr seid eine Schande für unseren Glauben und auf ewig verdammt. Verschwindet aus unseren Augen!«

Als Sahida Atwa sich zur Seite drehte, um ihren Besen und das Kehrblech in den Abstellraum zurückzubringen, stieß der Anführer der Talibangruppe ihr den Kolben seines Gewehrs in den Rücken. Sie ließ den Besen und das Blech fallen und rannte so schnell sie konnte an den Männern vorbei dem Ausgang entgegen. Das letzte, was sie wahrnahm, war das höhnische Gelächter der Taliban und die spitzen Schreie der Frauen.

Noch am gleichen Abend floh Sahida Atwa mit Basim und den Zwillingen aus der Stadt. Sie folgten dem Strom aus zwei Millionen Afghanen nach Osten, der sich in Wellen über die Grenze ins islamische Bruderland Pakistan ergoss.

»Die US-Regierung wird die Amerikaner, und die westliche Welt insgesamt, in eine unerträgliche Hölle führen.«

(Osama Bin Laden in dem einzigen Fernseh-Interview, das er nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gegeben hat, ausgestrahlt vom US-Nachrichtensender CNN)

3. Kapitel

Dezember 2001, afghanisch-pakistanisches Grenzgebiet

Von den Schultern bis zu den Fußknöcheln eingehüllt in ihre dicken Wollumhänge, standen Khan und die anderen engsten Vertrauten schweigend in der Höhle. Die Flammen zuckten unruhig wie die Vordertatzen eines gereizten Schneeleoparden. Die Glaubensbrüder hatten einen Halbkreis gebildet. Der Feuerschein warf ihre flackernden Schatten an die feuchten Felswände und formte immer neue bizarre Geschöpfe der Nacht.

Wann würde ER kommen und ihren Kreis schließen?

Khan machte zwei lange Schritte auf die Feuerstelle zu und rieb die breiten Handflächen an der Hitze, bis die Haut sich rötete.

Wie gierig die Flammen nach den Enden seines Umhangs leckten.

Er wich keinen Zentimeter zurück.

Den Gehstock hatte Khan gar nicht gehört. Hastig drückte er die rechte Hand flach auf den Brustkorb und verbeugte sich tief mit den anderen.

»Salam alaikum, großer Lenker unserer Schlachten.«

Ihr Führer ließ einen Moment verstreichen, bevor seine Stimme sie umhüllte – sanft wie ein schwarzer, mit glutroten Rubinen gefüllter Samtbeutel. »Alaikum salam, Auserwählte.«

Mit raschen Handgriffen legte der Niedrigste unter ihnen zwei Pferdedecken übereinander. Der Erleuchtete lächelte, ließ sich gemächlich auf den braunen Decken nieder und legte behutsam seinen Holzstab hinter sich. Dann schob er die Ärmel seiner Jacke bis zu den Ellenbogen hoch und wies mit geöffneten Händen auf den Boden. Nun durften auch sie sich setzen.

Khan fiel auf, wie eingefallen die Wangen des größten aller Kämpfer waren, die Lippen totenblass, der einst tiefschwarze Vollbart von silbrig-grauen Haaren durchwirkt. Aber seine Augen, noch immer klar wie ein Bergbach. Wie er so da saß, mit gekreuzten Beinen, die Unterarme auf den Knien ruhend, die Handflächen nach oben gedreht – als hätte Allah seinen Propheten Mohammed gesandt, um ihnen eine heilige Botschaft zu verkünden.

Nach kurzem Schweigen wandte der Prophetengleiche sich den Glaubensbrüdern zu. Sah sie einfach an. Minutenlang. Einen nach dem anderen. Sein Blick, so weich, so gütig. Er drang direkt in ihre Seelen.

Endlich war die Reihe an ihm. Khan fühlte sein Herz schlagen, freudig und stark. Was immer der Wille ihres großen Führers war, es würde geschehen.

Als der Schlachtenlenker zu ihnen sprach, perlten die Worte über seine Zunge wie Regentropfen über das Blatt einer Mohnblume in voller Blüte. »Auserwählte Gottes, ich habe euch zusammengerufen, in diesen Tagen des Krieges gegen unsere Brüder im Irak und in Palästina, gegen unsere Frauen und Kinder in Afghanistan, in dieser Zeit des Kampfes der Kreuzritter gegen unseren Glauben. Im Namen Allahs, des Unfehlbaren, haben wir ihnen geantwortet und die heilige Schlacht nach Amerika hineingetragen. Nun wollen wir daran arbeiten, den Dschihad gegen die Ungläubigen fortzusetzen, bis zum Sieg, oder bis wir vor unserem Schöpfer stehen. So Gott will.«

Die Getreuen antworteten »Inshallah«, das die Höhlenwände als vielstimmiges Echo zurückwarfen.

»Nun, Brüder, hört meinen Plan ...«

Als ER geendet hatte, züngelten die Flammen nur noch schwach über den Boden.

Khan unterbrach die Stille als Erster. »Wen hast Du für diese heilige Aufgabe auserwählt?«

»Es muss jemand sein, den sie noch nicht kennen. Jung an Jahren, stark im Glauben, hingebungsvoll bis zur Selbstaufgabe – aber auch kontrollierbar. Ihn zu finden, zu unterweisen und bis zu unserem großen Ziel zu führen, diese Aufgabe habe ich dir zugedacht, Bruder.«

Khan streckte seinen Oberkörper. »Ich danke dir für diese übergroße Ehre, mutigster aller Kämpfer.«

»Und wo befindet sich der Schläfer?«, fragte ein anderer Getreuer aus ihrer Mitte.

»In dem Land, in dem auch unsere heldenhaften Brüder gelebt haben, bevor sie die zwei Türme der Macht und des Geldes vernichteten und als Märtyrer glorreich in das Paradies einzogen.«

Der Bruder kratzte sich die Wange. »Aber wenn die Hunde des Westens das herausfinden?«

»Sei unbesorgt, seine Tarnung ist vollkommen. Er ist dort sicher. So sicher, wie wir die Kreuzritter ein weiteres Mal schlagen werden.«

»Wie lange wird es dauern, bis wir die Amerikaner und ihre Stiefel leckenden Knechte endlich in die Hölle jagen?«, fragte Khan und spannte die Muskeln.

Als ihr Führer antwortete, blieb seine Stimme ruhig, doch seine Augen sprühten Feuer. »So Gott will, ist der Tag ihrer Strafe nicht mehr fern.«

Khan spürte das Blut in einer heißen Welle durch seinen Körper strömen. »Dieser Tag, Brüder«, brach es aus ihm heraus, »soll sie das Fürchten lehren. So sehr, dass er sie den 11. September vergessen lassen wird.«

Erwartungsvoll sah er zu ihrem Anführer. Als der bedächtig nickte, umspielte Khans Lippen ein grausames Lächeln.

Columbia, Maryland, USA

Kaliméra, Frau Doktor«, begrüßte Vangélis Tsakátos seine Frau, als sie in der Küche erschien. Sie trug ihren seidenen, schwarzen Morgenmantel. Was für ein aufregender Kontrast zu ihren hellblonden Haaren, dachte er und setzte die griechische Mokkatasse ab. »Wie war deine Nacht?«

»Und deine?«

Sharon legte ihm von hinten die Hände auf die Schultern und küsste ihn weich auf den Hals. »Ich habe gar nicht gehört, wann du gekommen bist. Hast du überhaupt geschlafen?«

Er schnalzte mit der Zunge, umfasste ihre Handgelenke und zog ihre Arme langsam vor seiner Brust herunter, bis ihre Wangen sich berührten. »Wie könnte ich, wenn die schönste Frau der Welt neben mir liegt, ihre Schlafanzugjacke bis über den Bauchnabel hochgerutscht ist und sie verführerisch nach Dolce und Gabbana duftet?«

Sharon zog ihren linken Arm zurück und fuhr ihm mit gespreizten Fingern durch die Nackenhaare. »Und weiter?«

»Ich habe dich einfach nicht wach gekriegt« sagte er, sah zu ihr hoch und berührte sanft ihre beiden Wangennarben. »Komm, dein Kaffee ist durchgelaufen.«

Als Sharon sich ihm gegenübersetzte, stand Vangélis auf, zog die Glaskanne aus der Maschine und schenkte Kaffee in ihren bordeauxroten Lieblingsbecher. Er stellte ihn jeden Morgen zusammen mit seiner Mokkatasse auf den Klapptisch in ihrer Stehküche.

Sharon strich sich eine Strähne ihrer glatten, schulterlangen Haare hinter die Ohren. »Im Doku-Kanal haben sie gestern Abend einen Film über den Kosovo-Krieg gezeigt. Wusstest du, dass die NATO in Jugoslawien Munition eingesetzt hat, die mit Uran angereichert war?« Sie sah ihn herausfordernd an.

»Dienstgeheimnis.«

»Schon gut.« Sharon winkte ab. »Jedenfalls haben die Bilder Erinnerungen an unseren Einsatz damals geweckt. Danach kam ich nicht zur Ruhe und habe eine Schlaftablette genommen.«

Er runzelte die Stirn. »Du weißt, ich schätze die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen, aber ich bin wirklich froh, dass du bei denen aufhörst. Du wirst die Stelle am Berliner Tropeninstitut ganz sicher bekommen. Und wenn wir den Umzug nach Deutschland hinter uns haben, werde ich dich intensiv pflegen.« Er ergriff ihre Hand. »Besonders nachts.«

Sharon zog die Hand zurück und starrte in ihren Becher.

Hatte er etwas Falsches gesagt?

Sie hob den Kopf und blickte ihn mit ernster Miene an. »Liebster, ich muss mit dir reden.«

»Worum geht´s?«

»Ich erwarte nicht, dass du es verstehst.«

»Nun sag´ schon. Die Berliner haben sich doch nicht anders entschieden?«

Sie schüttelte den Kopf. »Die haben sich noch nicht gemeldet. Etwas ganz anderes.« Sharon drehte den Becher am Henkel hin und her. »Unser New Yorker Büro hat gestern Abend angerufen. Die Zentrale sucht dringend Personal für ...«

»Du hast Ihnen doch abgesagt?«, unterbrach Vangélis sie.

Sie reagierte nicht.

»Sharon?«

»Ich musste mich sofort entscheiden, Vangéli. Ich kann nicht mitkommen nach Deutschland, jedenfalls jetzt noch nicht.«

»Stó Diávolo!«

»Fluch nicht, das ändert auch nichts.«

»Zum Teufel, wir hatten alles besprochen.« Er riss seine Augen auf. »Als du zu Ärzte ohne Grenzen gingst, waren wir uns einig. Wenn ich nach Deutschland versetzt werde, kommst du mit und suchst dir eine neue Aufgabe. Über meine Versetzung wird heute entschieden. Ich bin sicher, dass die Chefs zustimmen werden.«

»Du hast recht, wir hatten das so vereinbart, aber ....«

»Mein Gott, Sharon, du bist erst vor einer Woche aus Bangladesh zurückgekommen!«

Er kippte den letzten Schluck Mokka in sich hinein und schluckte dabei versehentlich auch einen Teil des Bodensatzes, was seine Laune zusätzlich verschlechterte. Angewidert verzog er das Gesicht.

Sharon ließ nicht locker. »Hör´ zu, Vangéli. Nach dem 11. September mussten alle internationalen Teams aus Sicherheitsgründen aus Afghanistan evakuiert werden. Aber jetzt, nachdem deine Freunde das Dauerbombardement endlich eingestellt haben, ...«

»Die Militärs sind nicht meine Freunde«, sagte er gereizt.

Sharon ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Seitdem können die Ärzte-Teams jedenfalls wieder zurück. Kabul gilt als verhältnismäßig sicher. Wir wollen dort neue Gesundheits- und Ernährungszentren einrichten.«

»Und du musst natürlich dabei sein«, schnaubte er.

»Du solltest außer deinen Dienstakten auch mal den UN-Jahresbericht lesen. Jeder sechste afghanische Säugling überlebt den Tag seiner Geburt nicht, Vangéli. Jedes vierte Kind wird nicht älter als fünf Jahre.«

»Dieser Job wird dich noch ruinieren. Narben, Migräneanfälle, Herzrhythmusstörungen, reicht dir das nicht?«

Vangélis starrte sie an. Es war zwecklos. Wenn sie sich schon so tief eingearbeitet hatte, konnte nichts und niemand ihren Entschluss rückgängig machen.

Blitzschnell stand er auf, nahm das Handsieb aus Metall vom Haken neben dem Herd und hielt es sich dicht vor das Gesicht. »Hast du dir schon eine Burka besorgt?«

»Sei nicht albern. Komm her.«

Sie stand ebenfalls auf, zog mit beiden Händen seinen Kopf herunter, drückte das Sieb zur Seite und küsste ihn. »Ich verspreche dir, nach Kabul ist wirklich Schluss. Wenn die Berliner mich unbedingt wollen, werden sie eben ein wenig warten müssen.«

Er nahm ihre Hände von seinem Hals und hängte das Sieb wieder an seinen Platz. »Wie lange bleibst du diesmal?«

»Der Vertrag gilt für sechs Monate.«

»Und wann fliegst du?«

»Heiligabend, mit Emirates von New York nach Dubai und mit der afghanischen Ariana weiter nach Kabul.«

»Schon in drei Tagen? Na dann, kalá Christoújenna.«

»Kalá was?«

»Fröhliche Weihnachten.«

Er zeigte zur Decke. »Ich werde dafür sorgen, dass unsere Beobachtungssatelliten dich da unten im Auge behalten werden, mein Friedensengel.«

Sie wich zurück und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Stirn. »Sollte ich herausfinden, dass du mir hinterherspionierst, mache ich sofort Schluss.«

Vangélis wusste, dass sie es ernst meinte. Sie durfte nie erfahren, dass er einen Überwachungstechniker aus dem Operation Center seines Dienstes schon vor längerer Zeit um einen Gefallen gebeten hatte. Er hatte es aus Liebe zu Sharon getan, denn ihre Arbeit bei Ärzte ohne Grenzen war gefährlich. Immer wieder wurden Mitarbeiter von Hilfsorganisationen entführt. Trotzdem war er sich vorgekommen wie ein Verräter, der ihr Vertrauen missbrauchte.

Mit einem schnellen Schritt war er bei ihr, nahm sie in den Arm und drückte sie fest an sich.

Die Fahrt in seinem schwarzen Citroën mit dem überstehenden Dach dauerte vierzig Minuten. Dann stand Vangélis mit laufendem Motor vor einer Doppelreihe Stacheldraht am Fuße eines Elektrozauns. Hinter dem Zaun war ein Erdwall aufgeschüttet, um die geheimnisvollste Kleinstadt der Vereinigten Staaten vor unbefugten Blicken abzuschirmen. Heute Morgen verhüllte zusätzlich dichter Nebel die Gegend.

Als die Überwachungskameras auf dem Betonpfeiler sich surrend in seine Richtung drehten, winkte er in ihre Richtung und murmelte: »Guten Morgen, Leute.«

Wenigstens in seinem Wagen konnte er noch in Ruhe rauchen und musste sich bei dieser Kälte nicht in einen zugigen Winkel auf dem Gelände verkriechen. Er kurbelte das Fenster auf der Beifahrerseite halb herunter und zündete sich eine Assos an. Von denen brachte er sich jedes Mal ein paar Stangen aus New York mit, wenn Sharon und er seine Mutter an der Upper Eastside besuchten.

Gedankenverloren lauschte er dem Morgengesang der Vögel und sah dem Zigarettenrauch nach, der aus dem Autofenster waberte und sich mit den Nebelschwaden vereinte.

Die Kleinstadt vor ihm, deren Stromverbrauch dem der Fünf-Millionen-Metropole Annapolis entsprach, war auf keiner Landkarte eingezeichnet. Der Direktor verwaltete einen Jahresetat von zehn Milliarden Dollar. Obwohl es sich um Steuergelder handelte, tauchte dieser Etat aus Gründen der nationalen Sicherheit in keiner offiziellen Buchhaltung auf. In der City of Secrets, wie Sharon sie ironisch nannte, arbeiteten dreißigtausend zivile und militärische Mitarbeiter, die jeden Monat einige Tonnen Verpackungsmüll verursachten, weil sie Unmengen von Tacos, Pizzen, Schokoriegeln, Cola und Kopfschmerztabletten in sich hineinstopften. Aber Rauchen am Arbeitsplatz war verboten!

Er inhalierte den Rauch des letzten Zuges bis in die Lungenspitzen und legte eine CD seiner griechischen Lieblingsband Pyx Lax ein. Dann fuhr er langsam auf das Haupttor zu. Es war mit Betonbarrieren, Kameras, deutschen Schäferhunden und ihren belgischen Verwandten gesichert, braun-schwarzen Malinois.

Vor dem Tor patrouillierten sechs Männer in paramilitärischen Uniformen. Die schwarz gekleideten Wachleute waren bewaffnet mit Schnellfeuergewehren, Pistolen, Schlagstöcken und Reizgas.

Betont langsam öffnete Vangélis das Fenster an seiner Seite. »Hallo, Kollegen. Was führt das mobile Sonderkommando denn schon so früh zu unserem zweiten Zuhause?«

»Guten Morgen, Sir«, antwortete ein Posten und stellte sich neben ihm auf. »Wir erwarten eine Gruppe von Universitätsabsolventen aus Washington. Bitte Ihren Dienstausweis.«

Während ein zweiter Beamter den Citroën musterte, das Nummernschild kontrollierte und alle Daten in ein taschenbuchgroßes Notepad eingab, fingerte Vangélis in der Brusttasche seines Jacketts herum. »Verdammt, ich werde ihn doch nicht verloren haben.«