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© 1. Auflage: Juli 2019

© Coverbild: Sina Blackwood: Festung Königstein

© Illustrationen: Kay Elzner

© Fotos: Sina Blackwood

Umschlaggestaltung: Sina Blackwood

Layout: Sina Blackwood

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit heute lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783749492411

Inhaltsverzeichnis

Verwunschene Orte

Statt in die Berge, wie Maja erwartet hatte, führte die nächste Reise aufs flache Land und weit, weit weg von Alpen, Dolomiten oder den Ligurischen Alpen, auch italienische Seealpen genannt.

Sechs Uhr morgens traf sie sich mit einer guten Freundin an der Tankstelle gleich bei der Autobahnauffahrt. Koffer verladen, ab ins Auto und los! Die Bäume trugen schon ihr Herbstlaub, aber es war ein trockener, sonniger Tag und sie kamen gut voran.

Von der A4 wechselten sie auf die A72 Richtung Leipzig. Und wie nicht anders zu erwarten, verfuhr sich Maja an der Gabelung B176/B95. Das tat der guten Laune aber keinen Abbruch, denn mit einem winzigen Umweg kam man auch auf die B95.

Die Gedankenschmetterlinge verhielten sich still, wie meist, wenn Maja nicht allein unterwegs war. Nur als genau vor ihnen von rechts nach links ein wirklich großer, fetter Waschbär ganz gemütlich die Fahrbahn überquerte, fingen sie an zu lachen. Es war wohl wieder einer jener Tage, an denen irgendwas Denkwürdiges passieren werde. Die Rabenkrähe, die den behäbigen Waschbären ebenfalls beobachtete, deutete für Maja ganz darauf hin. Aber auch, dass Nico rasch erfahren werde, wohin sie sich auf Reisen befand.

Kaum waren sie bei Leipzig auf die A38 aufgefahren, ging der Spaß auch wirklich los. Der Bordcomputer verkündete mitten in der Baustelle: Druckabfall. Alle vier Räder kontrollieren.

Maja schnaufte: „War ja fast klar! Das ist nun schon zum zweiten Mal, dass ich in der Werkstatt zum Radwechsel war und der Computer ein paar Tage später mault.“

An der erstbesten Raststätte fuhren sie runter, genehmigten den Reifen Luft und sich selber eine Pinkel- und Cappuccinopause.

„Uns hetzt doch keiner“, schmunzelten sie.

Und auch die anderen schien keiner wirklich zu jagen, denn es gab nur zwei kurze Staus auf der ganzen Strecke bis Wilhelmshaven, dem ersten Etappenziel des Tages. Das Navi führte sie auf den Parkplatz Jadestraße, Nähe Südstrand, den sie besuchen wollten.

Sie fanden sogar eine freie Parktasche, für deren Größe wohl ein Trabant Modell gestanden haben musste. Es war nicht eng. Es war saueng und beide quetschten sich mühsam aus den nur spaltbreit geöffneten Türen. Der Ticketautomat ohne Geldrückgabe war die nächste Hürde, bei der Maja die Augen verdrehte. Die eifrige gemeinsame Suche in sämtlichen Geldbörsen förderte schließlich den benötigten Betrag zutage.

Es war gerade um die Mittagszeit und sie beschlossen, irgendwo auf der Südstrandpromenade einen Kaffee zu trinken und Eis zu essen. Der strahlende Sonnenschein lud genau dazu ein. Also zogen sie los in Richtung Deich, stiegen die Stufen hinauf und genossen den Blick über die ganz leicht gekräuselte Oberfläche des Jadebusens. Jener Bucht, die Unterweser und Ostfriesische Halbinsel voneinander trennt.

Die rund 190 Quadratkilometer große Wasserfläche vermittelte einen kleinen Eindruck von Meer, auch wenn in der klaren Luft das andere Ufer zu erkennen war.

Natürlich fand Maja, die zum ersten Mal an der Nordsee war, wieder an allen Ecken und Enden etwas, zu bestaunen, fotografieren oder notieren – ob die Kaiser-Wilhelm-Brücke, das Deutsche Marine Museum oder das Aquarium. Genau da gegenüber entdeckte sie einen ihrer geliebten Kurbelautomaten und prägte sich ein Stockschild mit der Brücke.

„Die Jäger und Sammler haben zugeschlagen“, lachte sie. Wobei sie auch die weiß-braun gepunkteten Vogelfedern mit einschloss, die sie gemeinsam am Deich aufgelesen hatten.

Das Marine Museum interessiert sie aus vielerlei Gründen. Am 17. Juni 1869 war in Wilhelmshaven der erste deutsche Kriegshafen an der Jade eingeweiht worden. Die Stadt wurde im Lauf der Zeit zum größten Standort der Marine. Hier gibt es auch den Tiefwasserhafen mit der größten Tiefe in Deutschland. Über 70 Prozent des Rohölumschlags laufen hier ab.

Im Augenblick interessierte die beiden Frauen aber der Umschlag der Nahrungsmittel in den Strandcafés mehr. Um vor den lästigen Möwen Ruhe zu haben, die einem glatt das Essen aus der Hand rissen, wenn man nicht aufpasste, setzten sie sich unter einen großen tief hängenden Sonnenschirm. Dahin mussten die Viecher erst mal unbemerkt kommen!

Sie blieben auch wirklich unbehelligt, aßen, tranken, lachten und freuten sich auf das Endziel der Reise – die Burg Kniphausen. Vorher wollten sie noch auf die Suche nach einer Tankstelle gehen, denn seit sie die Autobahn verlassen hatten, war ihnen keine mehr begegnet und das Navi hatte seltsamerweise auch keine angezeigt.

Überall am Südstrand liefen Aufbauarbeiten für das „LichterMeer“, das, wegen eines Unwetters am eigentlichen Termin, auf diesen Tag verschoben worden war. Eine Bühne wurde aufgebaut, Fackeln installiert und Getränkestände nahmen Gestalt an. Verschiedene LED-Objekte standen bereits. Sie und mehrere Meter hohe Lichterfiguren würden am Abend die ganze Promenade in eine stimmungsvolle Atmosphäre tauchen, natürlich mit musikalischer Begleitung.

Den Rückweg zum Parkplatz nahmen sie auf der anderen Straßenseite, am Nordufer des Banter Sees, kurz vor dem Grodendamm, wo sie auf einem Hügel eine kleine Ruine erspäht hatten, die sie jetzt genauer anschauen wollten – die Banter Kirchwarf. Eine von rund 300 Wurten im Stadtgebiet von Wilhelmshaven. Ein kleiner Hügel, auf denen früher die Menschen ihr Hab und Gut vor den Fluten in Sicherheit brachten, bevor es durchgehende Deiche gab.

Normalerweise reagierte Maja sofort auf alles, was irgendwie nach Mittelalter oder grauer Vorzeit anmutete. Hier bekam sie gar keine Rückkopplung, wie sie es ausdrückte, und wunderte sich nicht, nachdem sie die Hinweistafel gelesen hatte. Die „Ruine“ war erst im Jahr 1889 als Erinnerung auf alten Kirchenfundamenten aufgebaut worden.

Im 14. Jahrhundert hatte hier aber tatsächlich eine Kirche gestanden, die man zur Wehrkirche ausbaute. Es waren auch Steinsärge aus dem 11. Jahrhundert und viel, viel ältere Besiedlungs- und Kultspuren gefunden worden, als man von hier Material für den Deichbau holen wollte. So auch Aschekrüge im Fundament, was die Vermutung nahelegte, es könne sich einst um einen heidnischen Begräbnisplatz gehandelt haben.

Im Jahr 1511 war das Kirchspiel Warf bei der Antoniflut untergegangen. Bereits in den beiden Jahren zuvor hatte es schwere Sturmfluten gegeben und die neue Flut mit ungewöhnlich starkem Eisgang gab dem Deich den Rest. 1529 war das Gebiet schließlich ausgedeicht worden, wodurch die Kirche dem Verfall preisgegeben war. 1910, also einige Jahre nach dem Bau der Erinnerungsstätte, deichte man das Gebiet erneut ein.

In Tettens soll noch heute eine Glocke des alten Banter Kirchspiels erklingen. Die dortige wundervolle Kirche St. Martin war im 12. Jahrhundert aus Granitquadern errichtet worden.

Aber sie anzuschauen, reichte die Zeit nicht. So verließen sie die künstliche Ruine und Maja murmelte: „Wie das Leben so spielt. Die Magie dieses Ortes hier hat es wohl vorgezogen, mit der letzten großen Flut zu verschwinden.“

Oder sie steckt in der letzten noch existierenden Glocke, wisperten die Gedankenfalter, was auch Maja nicht für ganz unmöglich hielt.

Verschwunden blieben jedenfalls die Tankstellen im Navi. Da man aber in unmittelbarer Nähe zur Stadtinformation parkte, fragten die Frauen dort nach dem Weg und bekamen einen Stadtplan, auf dem der freundliche Herr am Tresen die beiden naheliegenden Tankstellen ankreuzte.

Die Autos neben Majas flottem Flitzer waren noch die Gleichen, sodass sie relativ sicher sein konnte, keine Dellen und Kratzer im Lack zu haben, denn das Problem, zu den Türen hinein zu kommen, war ja auch noch das Gleiche, wie heraus zu steigen.

„Meine Güte! Wer hat bloß diesen Parkplatz entworfen?!“ Maja schüttelte noch immer den Kopf, als sie schon auf die Brücke in die Stadt zufuhren. Und wie durch Zauberhand zeigte das Navi plötzlich sämtliche Tankstellen in weitem Umkreis an. „Muss man nicht verstehen“, lachte Maja und ihre Freundin fügte hinzu: „Auf diese Weise haben wir aber eine Karte und das ist doch auch was wert.“

Maja nahm die erste, aber für sie auch beste Tankstelle. Da bekam sie außer Sonderkonditionen auch noch Paybackpunkte. Mit vollem Tank und einer Sorge weniger, rollten sie mit dem Nachmittagsverkehr aus der Stadt. Der Bordcomputer zeigte zwar an, dass der Wagen noch fast 100 Kilometer mit dem Restbenzin geschafft hätte, aber Maja hasste es, in fremder Umgebung auf der letzten Rille zu fahren.

Es dauerte auch nicht lange, da erspähten sie die Zufahrt zur Burg. Weil sie zu zeitig da waren, stellten sie das Auto gleich hinter der Einfahrt ab und machten einen ausgedehnten Rundgang durch das Burggelände. Die Augen beider Frauen wurden immer größer, denn die wundervollen alten Bäume der Wandelalleen um den Burggraben luden zum Träumen ein.

Selbst die Gedankenschmetterlinge staunten und schwiegen. Der Himmel war noch immer postkartenblau, die Luft mild und das bunte Herbstlaub leuchtete in unzähligen Farben.

„Unglaublich schön“, flüsterte Maja. „Ein wirklich magischer Ort.“ Hier konnte sie auch wirklich die Energien einer alten Zeit spüren.

Vor der Reise hatte sie sich ein wenig über Kniphausen belesen und herausgefunden, dass hier einst der Sitz einer mittelalterlichen Häuptlingsherrschaft gewesen war. Später hatte es ein Schloss gegeben, das im Jahr 1708 einem Feuer zum Opfer fiel. In dessen Folge war der Marstall zur Wohnung des Grafen und für die Verwaltung umgebaut worden. Im 19. Jahrhundert kaufte der Fürst Edzard zu In- und Kniphausen die Burg. 1977 wurde ein Teil der Anlage an einen Verein zur Erhaltung der Burg übergeben und 1990 renoviert. Es gibt einen Ahnensaal für festliche Veranstaltungen, ein Burgrestaurant, Wohnungen, das Torhaus, den Treppenturm – und natürlich die wundervolle Parkanlage, von der Maja kaum die Augen lassen konnte.

Als besonders gutes Omen wertete es Maja, als sie den Parkplatz 13 zugeteilt bekam. Das war seit jeher ihre Glückszahl gewesen. Und auch die wirklich hübsche Ferienwohnung, die nun für zwei Nächte ihr Domizil war, ließ die Herzen höher schlagen. Es passte einfach alles.

Nun fehlt nur noch Nico, flüsterte der Schwalbenschwanz.

Maja atmete tief durch. Ja, Nico fehlte ihr. Immer und immer wieder und mit jedem Tag mehr. Nur hatte sie hier weder Krähen noch Raben gesehen. Nico würde ganz sicher keinen Kontakt aufnehmen.

Aber das ist doch ein Vogelschutzgebiet, wisperten die Schmetterlingsgedanken.

Das heißt aber nicht, dass hier Rabenvögel die Erste Geige spielen, gab Maja zu bedenken. Hier gibt es Eisvögel und andere Seltenheiten. Wir gehen dann noch eine Runde und lassen uns ganz einfach überraschen.

Kaum hatten sie einen Fuß vor die Tür gesetzt, nahm die Magie des Ortes Maja wieder voll gefangen. Das stille Wasser des breiten Burggrabens, auf dem unzählige Enten und Blässhühner schwammen, lenkte die Gedanken auf Märchen und Sagen. Überall wuchsen Pilze und Maja hörte irgendwann auf, die vielen Arten zu zählen. Die kleine Pocketkamera kam kaum zur Ruhe, weil es hinter jedem Baumstamm etwas zu entdecken gab.

Das Rascheln des trockenen Herbstlaubs bei jedem Schritt auf den beidseits von dicken Linden gesäumten Wegen hatte etwas Mystisches. Die farbenfrohen Blätter schienen erzählen zu wollen, was die alten Bäume in ihrem langen Leben schon alles gesehen hatten.

Der Einladung zum Abendessen, bei der kunstfertigen und fantastisch handarbeitskreativen Inhaberin der Ferienwohnung folgten sie gern und unterhielten sich wirklich glänzend. Hier bekamen sie auch den heißen Tipp, den Strand von Hooksiel aufzusuchen.

Das nahmen sie sich auch für den nächsten Morgen vor, aber erst, nachdem sie noch einen langen Spaziergang durch die Lindenalleen unternommen hatten. Maja fotografierte die unzähligen Pilze, die unglaublich schönen Spiegelungen der Bäume im Wasser und zwei kreisrunde Plätze, die ebenfalls von Linden eingefasst waren und über die sie gern mehr erfahren wollte. Eine volle Runde durch das ganze Gelände drehten sie, ehe sie Richtung Hooksiel starteten.

Das flache Land lag in der Morgensonne und die Straßen waren noch fast leer. Die 13 Kilometer kurvenreiche Strecke, waren schnell überwunden. Jetzt, im Herbst, gab es auch kein Problem einen Parkplatz in Strandnähe zu finden. Kaum angekommen, erklommen sie voller Tatendrang die erstbeste Treppe über den Deich.

„War ja klar“, lachte Maja, beim Anblick des Watts. „Ich bin das erste Mal wirklich an der Nordsee und das Wasser ist weg!“

Es hatte aber so einiges zurückgelassen, was sie zum Basteln und als Erinnerung brauchen konnte. So trabten sie in der wärmenden Sonne über den Schlick, suchten Muschelschalen und Schneckenhäuser, fanden tote Krabben und Krebse und schauten belustigt zu, wie einige versuchten, Wattwürmer auszugraben.

Sie beobachteten die großen Schiffe, die vom Hafen kommend, die Passage in schiffbare Gewässer nahmen und erreichten irgendwann das letzte Strandhaus. In der Annahme, es werde schon irgendwo Kaffee geben, stiegen sie hinauf und mussten erstaunt feststellen, dass das nach der Badesaison problematisch werden konnte.

Auch am nächsten und übernächsten Strandhaus standen sie vor verschlossenen Türen. Kaffee gab es erst da, wo sie herkamen, am ersten Strandhaus gleich am FKK-Strand. Den belebenden Trank hatten sie sich nun aber auch redlich verdient.

Und wie sie da so saßen, schwoll ihnen buchstäblich der Kamm. Nein, nicht wegen der vielen Nackten, die gehörten ja hierher! Es behandelte jemand seinen Hund wie den letzten Dreck! Ein riesiges wundervolles schwarzes Tier mit plüschig aussehendem Fell.

„Armer Wauzi“, murmelte Maja und auch ihre Freundin musste stark an sich halten.

Selbst die Gedankenfalter steckten die Köpfe aus Majas Tasche, um sie voller Missfallen zu schütteln. So behandelt man doch keinen Hund, selbst wenn es ein ganz junger sein sollte!

Da sprecht ihr goldene Worte!

Die Frauen zogen es vor, sich einen anderen Platz zum längeren Ausruhen zu suchen, sonst hätte es womöglich noch handfesten Ärger wegen des Tieres gegeben.

Es war eine Bank in unmittelbarer Nähe einer Dusche, wo etliche Wattgänger versuchten, sich selber oder ihre Hunde wieder sauber zu bekommen. Sehenswerte Schauspiele die den beiden Beobachterinnen ein vergnügtes Grinsen ins Gesicht zauberten.

Am Nachmittag wanderten sie zum Auto, um zur Burg zurückzufahren. Diesmal machte ihnen die kurvige Strecke noch mehr Spaß, denn sie waren in einen Korso wundervoller Oldtimer geraten, von denen man in den Kurven auch jene zu sehen bekam, die weit, weit vor ihnen fuhren oder noch nach ihnen kamen. Das gemächliche Tempo machte es auch Maja möglich, mehr als nur ein Auge auf die vierrädrigen Schönheiten zu werfen.

Als sie gerade wieder in die Zufahrt zur Burg abbogen, erspähte Maja etwas im Rückspiegel, das man unbedingt ein Mal im Leben von Nahem gesehen haben musste – eine Tin Lizzie, also einen Ford T Runabout. Sie blieb also gleich in der Einfahrt stehen, was ihre Freundin mit großen fragenden Augen beantwortete.

„Einen ganz kleinen Moment“, strahlte Maja, „gleich kommt das Glanzlicht des Korsos.“

Da war das Gefährt auch schon heran, zog majestätisch an ihnen vorüber und verursachte helle Begeisterung. Sie waren zur rechten Zeit am goldrichtigen Ort gewesen. Nun durfte auch Majas flotter Flitzer weiterrollen.

Auf dem Parkplatz angekommen, stellten sie fest, dass sie ja eigentlich noch viel Zeit hatten, und spazierten noch einmal auf fast allen Wegen durch den Park der Burg, um die Nase in fast jeden Winkel zu stecken. Am nächsten Morgen, in aller Herrgottsfrühe wollten sie ja schon wieder nach Hause düsen. Da musste man einfach noch einmal alle Sinne auf die Magie dieses Ortes richten.

„Das schreit alles ganz, ganz laut nach Wiederholung“, waren sie sich einig.

Und wieder standen sie bei den ringförmigen Baumpflanzungen und rätselten, was hier wohl alles geschehen sein mochte.

„Oh, ich glaube, wir müssen los“, stellte Maja plötzlich fest.

Sie waren ja hier, um eine Lesung mit deftigen Kurzgeschichten zu gestalten, und mussten noch einige Sachen vorbereiten. Maja freute sich sehr, dass die Zuhörerinnen, für welche die Veranstaltung lief, hin und wieder ihre Handarbeiten sinken ließen, um zu einigen Passagen besonders zu lauschen.

Sie selber mochte die Verbindung Lesung und Kunst in jedweder Form sehr. Egal, ob es Handarbeitszirkel, Vernissagen von bildenden Künstlern oder musikalische Umrahmungen von Lesungen waren. Das hatte fast immer etwas anheimelnd Familiäres, wo meist auch die richtige Stimmung aufkam. Darunter zählten auch mittelalterliche Ritterabende, die sie mit Vorliebe ausgestaltete.

Auch hier wurde es ein lustiger Abend, denn wo passen verrückt-frivole Mittalaltergeschichten mehr hin, als auf eine Burg? Die wunderbare Gastgeberin hatte mit der Bewirtung und allem drumherum genau die richtige Atmosphäre geschaffen.

Der nächste Morgen sah Maja und ihre Freundin schon vor sechs Uhr zum Auto wandern und Koffer verladen. Es sollte bis Mittag weitestgehend trocken bleiben, und die Zeit wollten sie nutzen, um Meter zu machen. Erstaunt merkten sie, je weiter sie Richtung Süden kamen, umso kälter wurde es.

Auf der Rast stellte Maja schnell fest, sie hätte auf dem Weg zum Haus lieber eine Jacke überwerfen sollen, die sie im Norden gar nicht gebraucht hatte. Da genügte ein Pullover und selbst der war in der wirklich fantastischen Sonne zu warm gewesen, sodass sie die Ärmel hochkrempeln musste.

Gegen Mittag erreichten sie schließlich wieder ihre heimatliche Tankstelle und Maja sicherte, kaum zu Hause, ihre Bilder und Notizen. Natürlich wollte sie gleich noch ein bisschen recherchieren, aber die Website des Heimatvereins der Burg war im Wartungsmodus und sollte das auch noch mehrere Monate bleiben. Es war wie verhext. Verhext? Das Wort Hexenplätze war auch im Zusammenhang mit den kreisrunden Baumpflanzungen gefallen ... Maja machte das natürlich nur noch neugieriger.

In lapide regis – Auf dem Stein des Königs

Es geht auf Weihnachten zu, stellten die Schmetterlingsgedanken fest, weil Maja bald wieder Reisekataloge wälzte.

„Auch. Ich habe wahnsinnige Sehnsucht nach Nico.“ Maja zog die Nase hoch, weil er sich wirklich sehr rar machte. „Ich möchte in seinen Armen liegen, seine warme Haut spüren und all die wundervollen Zärtlichkeiten genießen. Er fehlt mir so sehr.“

Oha, da hat aber jemand den großen Katzenjammer, seufzte der Distelfalter.

Die anderen Schmetterlinge schauten Maja betroffen an, die tief betrübt den Kopf hängen ließ. Sie begannen, gemeinsam die Seiten umzublättern, weil sie wussten, welche Reisen Maja antreten konnte, um auf die Suche nach einer Tür in die Zeit zu gehen oder im Hier und Jetzt Nico zu treffen. Sieben oder gar acht der bunten Gesellen krallen sich an das Papier und legten eine Seite nach der anderen um.

Stopp! Der Schwalbenschwanz hatte etwas erspäht, das Maja zwar kannte, aber unter einem völlig anderen Gesichtspunkt erlebt hatte, als es in diesem Reiseangebot möglich war.

Eine Burg? Der Distelfalter schwebte empor, um das Bild im Ganzen zu erfassen. Oh eine Tagesfahrt am Wochenende!

Maja hob neugierig den Kopf. „Wohin soll es gehen und vor allem wann?“

Im Dezember zur Festung Königstein, zu einer Tageszeit, wo man auch fotografieren kann, gab der Schwalbenschwanz bekannt.

„Wirklich? Zeig her!“ Maja raffte sich den Katalog heran, dass die Falter als bunte Wolke aufflatterten.

Sekunden später drückte sie im Internet den Buchen-Button.

Ich dachte schon, sie würde zum gefühlten hundertsten Mal auf die Wartburg oder die Harzer Weihnachtsmärkte fahren, kicherte ein Zitronenfalter.

Maja gab aus Jux das Suchwort Wartburg ein. „Ich glaube ich spinne! Die haben sie tatsächlich im Programm!“

Wirklich? Zeig her, rief diesmal der Schwalbenschwanz und gleich darauf: Das hast du jetzt nicht ernstlich gemacht?!

„Doch, ich habe!“, grinste Maja, die im Bruchteil eines Wimpernschlags gebucht hatte.

Dann haben wir wenigstens Ruhe vor dem Harz feixte der Bläuling.

„Denkst du!“, rief Maja. „Auch diese Reise gibt es in diesem Jahr und ich brauche nur einen Tag Urlaub!“

Lass das! Nein! Das tust du nicht! Du wirst doch nicht etwa ...??? Die Falter flatterten wie aufgescheuchte Hühner durcheinander.

Sie hat es getan! Sie hat es wirklich getan, jammerte der Trauermantel, als Maja mit breitestem Grinsen auch diese Reise buchte.

„Darauf kannst du einen lassen“, verkündete Maja völlig undamenhaft. „Wenn alle anderen Stränge reißen, dann nutze ich das Portal im Ritterbad. Ich will zu Nico, sonst drehe ich durch! Da ist es mir auch völlg egal, ob Meister Fabian wieder spannt. Was Körperchen braucht, muss Körperchen haben.“

Ohhhhhh haaaaaaa! Schwalbenschwanz und Distelfalter hoben hilflos die Vorderbeine.

Je oller umso toller, schmunzelte der Zitronenfalter.

Maja zuckte mit den Schultern, während sie eine genüssliche Grimasse zog. Für ein paar heiße Stunden mit Nico würde sie Kopfstände machen, um zu dem, in dem Gobelin versteckten, Zeitenportal der Wartburg zu kommen, sollte das der einzige Weg in sein Jahrhundert sein. Vor allem jetzt, wo sie wusste, dass es in beide Richtungen funktionierte.

Bist du nicht schon mehrmals auf der Festung Königstein gewesen, stellte der Schwalbenschwanz mit fragendem Unterton fest.

„Das ist laaaaaaange her!“ Maja dehnte das Wort glatt in Unendliche.

Laaaaaaange her, staunte der Distelfalter.

Maja begann zu lachen. „Krümelkacker. Vor einem Jahr war ich zu einem Dinner mit viel musikalischer Umrahmung eingeladen, es war dunkel und...“

Schon gut, kicherten die Falter, du würdest 1000 Gründe finden, warum du fahren musst. Dass es diesmal hell sein wird, ist nur einer davon.

„Richtig, meine Lieben!“ Maja notierte sich zufrieden ihre Reisetermine, die zwei aufeinanderfolgende Wochenenden komplett füllen sollten.