Dieser Band enthält:
Mein Inselpony Luna
Eine Freundin für Elisa
Mein Inselpony Luna
Gefahr in den Dünen
Mein Inselpony Luna
Ein Herz für Heuler
eISBN 978-3-649-63640-3
© 2020 Coppenrath Verlag GmbH & Co.
KG, Hafenweg 30, 48155 Münster
Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise
Text: Sarah Bosse
Coverillustration: Eleni Livanios
Innenillustrationen: Tina Schulte
Redaktion: Friederike Krüger
Satz: Helene Hillebrand
www.coppenrath.de
Das Buch erscheint unter der ISBN 978-3-649-63597-0.
Eine Freundin für Elisa
Ferien ohne Ende
Unbekanntes Land
Luna heißt Mond
Ich nenne dich Luna
Bis Weihnachten auf Probe
Papas Tränen. Elisas Tränen.
Noch ein Abschied
Wir gehören zusammen!
Nachts auf der Bank im Garten
Gefahr in den Dünen
Ein neues Leben
Auf nach Osten!
Der Sahnedieb
Das Luna-Geheimnis
Das Leben ist eine Berg- und Talfahrt
Kein Netz!
Der Nebel färbt sich blau
Ein Herz für Heuler
Elisa ist ein Glückspilz
Gleitende Schatten
Bruno in der Kiste
Brausepulver im Gesicht
Heuler heulen
Flatterndes Band
Alles richtig gemacht
Der Wind wehte vom Meer den Geruch von Salzwasser herüber. Elisa stand an der Mole und starrte hinaus auf das Wasser. Erst war die Fähre nur als kleiner Punkt zu sehen gewesen. Doch jetzt konnte man sogar die Menschen an Bord des Schiffes erkennen.
Elisa fühlte sich, als hätte sie zu viel Blubber-Brause getrunken. Endlich kam Papa, um sie abzuholen!
Seit vier Wochen war sie nun schon hier auf der Insel bei ihrer Tante Wibke und ihrem Onkel Hans-Dieter. Den nannten alle nur Hadi. Und bei ihrem Cousin Lars.
Hadi und Wibke hatten ein kleines Hotel am Rande der Dünen. Seit Elisa denken konnte, verbrachte sie ihre Ferien bei den beiden, früher immer mit Mama und Papa. Da lebte Mama noch. In diesem Jahr war Elisa zum ersten Mal allein dort gewesen.
Papa hatte nur eine Woche Urlaub nehmen können. Und Mama war ja nicht mehr da.
„Da ist er!“, rief Elisa. Sie sah ihren Vater vorn an der Reling stehen und aufgeregt winken.
Mindestens ebenso aufgeregt winkte Elisa zurück. Sie wollten jetzt noch eine Woche zusammen auf der Insel Urlaub machen und dann ging es nach Hause.
Wibke legte Elisa die Hände auf die Schultern. Auch Lars war mit zum Fährhafen gekommen. Dorthin musste man mit einer Bimmelbahn über einen Damm fahren. Auf der Insel waren nämlich Autos nicht erlaubt.
„Papa! Papa!“ Elisa warf sich ihrem Vater in die Arme, kaum dass er den Landungssteg verlassen hatte.
Ihr Vater hob sie hoch und wirbelte sie herum. „Elisa! Elisa!“, rief er. Und dann drückte er sie extra fest an sich.
Elisa ließ Papas Hand nicht los, als er auch Wibke mit einer Umarmung begrüßte und Lars mit einem Klaps auf die Schulter.
Elisas Cousin kriegte die Hände mal wieder nicht aus den Taschen. Er war einen Kopf größer als Elisa und tat immer so cool, was manchmal ziemlich unbeholfen wirkte. Hadi sagte immer zu Elisa, sie dürfte Lars nicht so ernst nehmen. Er sei in der Pubertät.
Lars war eigentlich ganz okay, fand Elisa.
„Huckepack!“, rief Elisa und lachte. Dann trug Papa sie auf dem Rücken zu der kleinen Bahn hinüber und lachte ebenfalls.
Während der Fahrt plapperten sie wild durcheinander, weil sie sich viel zu erzählen hatten. Und das, obwohl sie fast jeden Tag miteinander telefoniert hatten.
„Und gestern war ich bei so einem Ferien-Kurs. Da haben wir Muschelketten gebastelt und auch Windlichter aus Muscheln. Und einmal war ich ja auch beim Ponyreiten, aber das war nicht so toll, weil die Reitlehrerin so komisch war …“, erzählte Elisa, ohne Luft zu holen.
Ihr Vater legte ihr den Arm um die Schultern und sagte: „Ich bin richtig froh, dass es dir bei Wibke und Hadi so gut gefällt.“
Der kleine Insel-Bahnhof lag am Ortsrand. Als sie ausstiegen, holte Lars den Bollerwagen vom Fahrradständer. Damit würden sie Papas Gepäck transportieren.
Weiter hinten waren Bahnhofsmitarbeiter damit beschäftigt, Container mit Waren auf Anhänger zu verladen. Die wurden dann mit Elektrofahrzeugen in den Ort gebracht.
Hadi hatte in dem kleinen Hotel die Stellung gehalten. Heute war Samstag. Das bedeutete, es war An- und Abreisetag. Viel Rummel also im Hotel!
Papa sprang leichtfüßig die zwei Stufen zum Eingang hinauf. Mit der flachen Hand schlug er auf die Glocke, die neben der Tür auf dem Tresen stand.
Hadi kam aus dem Büro. „Pitt!“, rief er freudig und nahm seinen jüngeren Bruder in den Arm.
„Schön, dass du da bist.“
Hadi machte ein Armbewegung Richtung Frühstücksraum. „Ich habe Frau Tietjen gebeten, den Kaffeetisch zu decken.“
„Puh!“, machte Elisas Papa und rieb sich den Bauch. „Schon wieder sitzen? Wollen wir nicht lieber erst zum Strand?“
Aber Hadi schüttelte den Kopf. „Nichts da. Erst Kaffee und Kuchen. In einer Stunde kann ich dann auch hier weg.“
Das fand Elisa spannend an Hadis Familie: Meist aßen sie dort, wo auch die Gäste frühstückten. Ein eigenes Esszimmer hatten sie nicht. Dafür gab es dann auch immer ein prima Frühstück mit allem, was man sich denken konnte. Sogar mit drei verschiedenen Sorten Müsli!
Elisa rückte ihren Stuhl nah an den von Papa heran. Sie war so froh, dass er da war.
Papa rieb sich die Hände, als Wibke ihm Kaffee eingoss. „Ich freu mich auf den Strand. Endlich wieder Seeluft! Wollen wir Drachen steigen lassen?“
„Zu wenig Wind“, murmelte Lars.
Aber zu einem fröhlichen Spaziergang zum Strand sollte es dann gar nicht kommen. Kaum saßen sie nämlich am Kaffeetisch, trat jemand in den Empfangsraum und rief „Moin!“.
Elisa wollte sich gerade ein Stück Käse-Sahne-Torte in den Mund schieben.
Alle horchten auf.
„Ich bring den Container für deinen Bruder, Hadi!“, sagte ein Mann mit norddeutschem Akzent.
Elisa schluckte. „Ein Container für dich, Papa?
Was ist denn da drin?“
Fast gleichzeitig legten Wibke und Papa ihre Kuchengabeln auf den Teller.
Wie auf Kommando erhob sich Lars. „Ich geh dann mal rüber zu Sören.“
Was war hier los?
Elisa spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss.
Papa sah Elisa ernst an und griff nach ihren Händen. „Elisa, Schätzchen, in dem Container sind deine Sachen.“
Elisa spürte einen Kloß im Hals.
„Meine Sachen? Aber warum denn meine Sachen?“
Ihr Vater tauschte kurz einen Blick mit Wibke. Dann erst sprach er weiter. „Elisa, es gefällt dir doch gut hier, oder? Ich meine, es ist immer jemand für dich da.
Anders als zu Hause. Ich muss dich so oft allein lassen. Es ist nämlich so, dass Hadi, Wibke und ich beschlossen haben, dass es besser für dich ist, wenn du von jetzt an hier auf der Insel …“ Aber den Rest konnte Elisa gar nicht mehr hören.
Sie zog ihre Hände aus Papas Händen und stürzte durch die Verandatür aus dem Frühstücksraum.
Ohne zu überlegen, rannte sie über den Rasen, sprang über die kleine Mauer und überquerte die Straße. Beinahe wäre sie über Hummel gestolpert. Die zierliche bunte Katze machte maunzend einen Satz zur Seite.
Verzweifelt rannte Elisa weiter.
„He, Elisa!“, rief da plötzlich jemand.
Elisa blieb stehen. Da stand Lars in Sörens Garten und winkte.
„Haben sie es dir endlich gesagt?“, fragte Lars.
„Hast du das etwa gewusst?“, blaffte Elisa.
Lars sah verlegen zur Seite.
„Ja, aber es ist doch schön, dass du bei uns bleiben sollst“, sagte er.
Elisa hätte platzen können.
„Du Verräter!“, brüllte sie und rannte weiter.
Elisa lief und lief und lief. Sie rannte über einen gepflasterten Weg. Nach einer Weile war Sand unter ihren Füßen. Das Laufen wurde anstrengender. Schilfgräser huschten an ihr vorbei. Irgendwann tat das Atmen weh und sie musste stehen bleiben.
Ihr Herz pochte wie wild.
In ihrem Kopf fuhren die Gedanken Karussell. Papa, Hadi und Wibke wollen also, dass ich hierbleibe, dachte sie. Lars wusste es die ganze Zeit. Meine Sachen sind schon hier. In Hadis und Wibkes Hotel. Papa wird wieder abreisen. Ich bleibe hier. Er nimmt mich nicht mit.
Warum ist er überhaupt gekommen? Er hätte doch nur den Container zu schicken brauchen. Wenn ich ihm doch so egal bin, dass er das einfach so entscheidet. Wahrscheinlich bin ich ihm jetzt lästig. Hat er mich denn so wenig lieb, dass er nicht möchte, dass ich zu Hause bin?
Und am Telefon hat er kein Wort darüber verloren. So feige! Papa ist ein Verräter. Genau wie Lars. Und Wibke. Und Hadi. Sie haben es alle gewusst!
Elisa weinte. Sie war so außer Atem, fast hätte sie sich verschluckt. Für einen Moment schloss sie die Augen. Sie vermisste ihre Mama so sehr. Es war jetzt schon bald ein Jahr her, dass diese grausame Krankheit ihr die Mama gestohlen hatte. Es verging kein Tag, an dem Elisa nicht an sie denken musste. Elisa hockte sich hin und schlang ihre Arme um die Knie. Wäre doch Mama jetzt hier und würde mich in den Arm nehmen, wünschte sich Elisa.
Sie kniff die Augen zu und dachte angestrengt nach. Aber Papa und sie, sie hatten sich doch gut zusammengerauft. Es machte Elisa gar nichts aus, wenn sie allein zu Hause war.
Und da war ja auch noch ihre Nachbarin, Frau Köhler, zu der sie immer gehen konnte …
In diesem Moment kreischte eine Möwe dicht über ihrem Kopf. Elisa schreckte aus ihren Gedanken auf. Sie sprang auf die Füße und sah sich um. Wo bin ich hier überhaupt?, fragte sie sich. Rings um sie herum waren nur Schilf und Gras und Himmel zu sehen. Sie stand in einer Art Kuhle.
Elisa versuchte, sich zu erinnern, aus welcher Richtung sie gekommen war. Sie war schon viel auf der Insel unterwegs gewesen. Aber hier war sie noch nie gewesen. Da war sie sich ganz sicher.
Was hätte Lars in solch einer Situation gesagt? „Cool bleiben, Lütte.“
Lars. Eigentlich mochte Elisa Lars sehr gern. Er hatte sie sogar ein paar Mal mit zum Strand genommen, wenn er mit Sören die tollen Lenkdrachen steigen ließ. Und das, obwohl die beiden viel älter waren als Elisa. Lars ging sogar schon aufs Gymnasium. Elisa schluckte. In einer Woche fing die Schule wieder an.
Das bedeutete, dass Lars während der Woche im Internat auf dem Festland war. Nur am Wochenende kam er dann nach Hause auf die Insel.
Aber jetzt war Lars sowieso ein Verräter. Auf Verräter konnte Elisa pfeifen!
„Und außerdem bleibe ich eh nicht hier, dass das schon mal klar ist!“, schimpfte sie die Möwe an.
Ein Stück weiter gab es eine Anhöhe. Vielleicht kann ich von da oben sehen, wo ich bin, dachte Elisa.
Keuchend erklomm sie den kleinen Hügel.
Hier oben wehte der Wind kräftiger und spielte mit ihren dunkelblonden Haaren.
Aha, jetzt konnte sie an zwei Seiten das Meer sehen.
Sie wusste, dass sich da, wo der Sandstrand ist, die Meerseite befindet. Da, wo die Salzwiesen und das Wattenmeer sich zeigen, ist die Landseite.
Elisa stellte sich die Karte der Insel vor und drehte sich mit dem Gesicht zur Meerseite. Dann breitete sie die Arme aus und murmelte vor sich hin: „So ist links der Ort. Von da bin ich gekommen. Und rechts …“ Sie stutzte. Rechts musste das ganz andere Ende der Insel sein. War das Osten? Wohnte da überhaupt noch jemand?
Jedenfalls bin ich da noch nie gewesen, dachte Elisa. So weit habe ich mich noch nie in diese Richtung getraut. Wie lange man wohl laufen musste, bis man ganz am anderen Ende der Insel war?
Wenigstens sah Elisa jetzt den gepflasterten Weg wieder. Aber gerade als sie dorthin gehen wollte, entdeckte sie noch etwas ganz anderes.
Da war eine Weide! Und darauf stand ein Pony! Vorsichtig lief Elisa den Hügel wieder hinunter.
Der Sand unter ihren Füßen gab nach und die Schilfgräser juckten an den Beinen.
Die Weide konnte man vom Weg aus kaum sehen. Sie grenzte am anderen Ende bis an das Schutzgebiet, wo die Seevögel brüteten. Das Pony stand nah am Zaun bei einer alten weißen Badewanne. Die diente als Wassertrog.
Langsam näherte sich Elisa der Weide. Sie kannte sich mit Ponys überhaupt nicht aus und wollte das Tier auf keinen Fall erschrecken.
Als Elisa das Gatter erreicht hatte, hob das Pony den Kopf und schaute neugierig unter seinen dünnen Schopfhaaren hervor.
Elisa bewegte sich nicht.
Das Pony hatte glänzende, dunkle Augen, aber es war nicht besonders schön.
Sein dunkelbraunes Fell war stumpf und es hatte definitiv einige Kilo zu viel auf den Rippen. „Na du?“, flüsterte Elisa und traute sich, die Hand auszustrecken. „Bist du denn ganz allein hier auf der Weide?“
Das Pony reckte den Kopf nach Elisas Hand. Sein Maul sah aus, als hätte das Pony es in eine Tüte Mehl getaucht.
Jetzt schnaubte es und schüttelte die schüttere schwarze Mähne. Es kam auf das Gatter zu! Elisa war aufgeregt. Sie war noch nie mit einem Pony allein gewesen! Wie gut, dass der Zaun zwischen ihnen war.
Aber sie waren gar nicht allein. Ganz hinten am anderen Ende der Weide erkannte Elisa mehrere Schafe. Die mümmelten unbeirrt das kurze Gras. Das Pony blies warme Luft durch seine Nüstern auf Elisas Hand. Die Brise, die vom Meer herüberwehte, ließ Elisa frösteln.
Sie war ohne Jacke losgerannt.
„Wie heißt du denn?“, fragte Elisa das Pony, als könnte es ihr darauf eine Antwort geben.
Elisa lehnte sich über das Gatter. Ihre Fingerspitzen berührten das weiche graue Maul. Das Pony hielt ganz still. Nur der Schweif schlug nach lästigen Insekten.
„Ich habe leider nichts zu fressen für dich“, plapperte Elisa weiter. „Aber ich kann morgen wiederkommen und dann bringe ich dir einen Apfel oder eine Möhre mit.“
Morgen wiederkommen? Plötzlich erinnerte sich Elisa, warum sie überhaupt hier war.
Erneut drückte ein Kloß ihr die Kehle zu.
Wiederkommen bedeutete, dass sie erst mal nach Hause gehen musste.
Nach Hause? Tränen quollen aus Elisas Augen. Zurück zu Hadi und Wibke. Aber das war doch nicht ihr Zuhause! Oder doch?
Nein! Sie würde einfach hierbleiben. Hinter den Dünen in den Salzwiesen. Bei dem Pony. Sollten die sich doch alle Sorgen machen!
Elisa kletterte auf das Gatter und zog die nackten Arme in das T-Shirt. Warum nur hatte sie keine Jacke dabei? Oder wenigstens einen Pulli. Wenn es doch einen Stall auf der Weide gäbe! Aber da war nichts. Nicht mal ein kleiner Verschlag. Für einen Moment stellte Elisa sich vor, sie würde sich in das dichte Fell der Schafe kuscheln.
Die Sonne sank immer tiefer. Sie nahm die letzten wärmenden Strahlen mit sich.
Es wurde immer dunkler. Und es wurde immer kälter.
Das Pony blieb vor Elisa stehen. Es schnaubte leise und drückte seine Nüstern an Elisas Knie. Behutsam schob Elisa die Arme wieder durch die Ärmel und streckte beide Hände nach seinem Kopf aus. Das tat so gut.
„Wollen wir Freunde sein?“, flüsterte Elisa.
Irgendwann bekam Elisa Angst. Ihr war so kalt, und sie fürchtete, in der Dämmerung den Weg nicht mehr zu finden.
Schließlich streichelte sie dem Pony ein letztes Mal über das weiche Maul. Dann machte sie sich auf den Rückweg. Ob Papa, Hadi und Wibke schon nach ihr suchten?
Sicher machten sie sich große Sorgen. Das geschah ihnen nur recht! Frierend schob sie die Hände in die Hosentaschen.
Weit vor ihr erkannte sie schließlich die Lichter des Ortes. Jetzt konnte nichts mehr passieren. Sie musste nur gut auf den Weg achten.
Elisa hatte fest damit gerechnet, dass sie draußen nach ihr suchen und rufen würden.
Aber als sie das kleine Schild mit der Aufschrift „Hotelpension Nordwind“ erreichte, war alles still. Im Garten kam aus den dunklen Büschen Hummel an ihr vorbeigeschossen.
Aber Elisa war nicht in Spiellaune. Die kleine Katze schlüpfte mit ihr zur Hintertür hinein.
Aus dem Wohnzimmer hörte Elisa die Stimmen der Erwachsenen. Leise schlich sie an der Tür vorbei und ins Treppenhaus. Ohne das Licht anzumachen, huschte sie in ihr Zimmer und lehnte sich an das Türblatt. Dann erst knipste sie die Lampe an.
Elisa stockte der Atem.
Kein Wunder, dass sie nicht nach ihr gesucht hatten! Die waren mit etwas ganz anderem beschäftigt gewesen!
Sie hatten bereits all ihre Sachen aus dem Container geholt und ihr Zimmer damit eingerichtet.
Alles war da: ihre Spiele, ihre Bücher, ihre Kleidung, ihr Spiegel mit dem Schnörkel-Rahmen, das Klassenfoto.
Sogar ihre Musikanlage mit den CDs und ihr Schmuckkästchen. Auf dem Bett, das jetzt mit ihrer Lieblings-Bettwäsche bezogen war, lagen all ihre Kuscheltiere. Und auf der Kommode saßen ihre drei Barbiepuppen. Auf ihren Beinen lag ein kleines bemaltes Pappschild. „Willkommen, liebe Elisa!“, stand darauf.
Zornig fegte Elisa mit der Hand das Schild samt Barbies von der Kommode. Die drei Puppen lagen mit verdrehten Armen und Beinen auf dem Teppich. Sie sahen aus, als hätten sie einen schlimmen Unfall gehabt. Und so war es ja auch.
Plötzlich klopfte jemand leise an die Tür.
„Elisa? Darf ich reinkommen?“ Das war Wibkes Stimme.
Ich bin wohl doch nicht leise genug gewesen, dachte Elisa. Sie haben mich gehört.
Elisa presste die Lippen zusammen.
Nein, Wibke durfte nicht reinkommen. Und Hadi auch nicht. Und Papa erst recht nicht. Trotzig ließ Elisa sich auf der Bettkante nieder und flüsterte: „Und jetzt packe ich alle Sachen wieder zusammen.“
Aber wo sollte sie das alles hineinpacken? Sie sah sich im Zimmer um. Keinen Koffer, keine Tasche, keinen Karton hatten sie hier stehen gelassen.
Elisa hörte Schritte. Wibke war wieder gegangen und Elisa öffnete die Tür einen Spaltbreit.
Auf dem Boden stand ein Tablett mit einem Becher Tee und einem Teller.
Darauf lagen zwei Scheiben Brot mit Elisas Lieblingsmarmelade.
Neben dem Teller entdeckte Elisa einen Blaubeer-Muffin. Sie liebte Blaubeer-Muffins! Und dann sah Elisa auch noch ihr Körnerkissen auf dem Tablett. Sie streckte die Hand aus. Es war warm.
Erst wollte sie durch den Flur brüllen: „Ihr denkt wohl, dass ihr mich bestechen könnt!“ Und dann hätte sie dem Tablett einen Tritt versetzt.
Aber Elisa hatte auch Hunger. Ihr Magen knurrte bereits. Außerdem war ihr immer noch kalt.
Also stellte sie das Tablett auf ihr Bett. Sie schlang sich die Kuscheldecke um die Schultern und presste sich das Körnerkissen auf den Bauch. Sie machte das große Licht aus und die Nachttischlampe an. Gemütliches Licht erfüllte den Raum.
Dann trank Elisa den heißen Tee. Das tat gut und sie kam ein wenig zur Ruhe.
Elisa aß eines der Brote und den Muffin.
Draußen vor dem Fenster wurde es allmählich richtig dunkel. Elisa hielt den Teebecher mit beiden Händen und lehnte sich zurück.
Plötzlich musste sie wieder an das Pony auf der Salzwiese denken.
Ob es vielleicht auch im Dunkeln Angst hatte? Ob es fror? Genau wie Elisa? Aber das war ja Quatsch. So ein Pony fror ganz sicher nicht. Jedenfalls nicht im Sommer. Und im Winter würde es ein warmes, puscheliges Fell bekommen.
„Im Winter bin ich gar nicht mehr hier“, sagte Elisa zu ihrem Teddy, der neben ihr auf dem Bett saß. „Gleich fange ich an, meine Sachen wieder einzupacken.“
Da fiel Elisa ein, dass sie nicht einmal wusste, ob das Pony ein Mädchen oder ein Junge war. Und wie es wohl hieß?
Elisas Blick wanderte zum Fenster. Der schmale Mond leuchtete am Himmel. Ein Sichelmond. Mama hatte ihr einmal erzählt, dass der Name Luna vom Mond kam. Er war ein anderes Wort für Mond.
Da entschied Elisa: Wenn das Pony eine Stute ist, dann nenne ich es Luna. Ich muss also morgen unbedingt noch einmal da hin.
Und dann nehme ich auch einen Apfel mit oder eine Möhre.
Oder besser beides.
Elisa stellte den Becher zur Seite. Sie war so müde.
Am nächsten Morgen wurde Elisa vom Kreischen der Möwen geweckt. Sofort war ihr klar, dass jemand ihr die Schuhe ausgezogen und sie richtig zugedeckt hatte. Auch das Tablett war verschwunden.
Es war noch sehr früh. Der Morgenhimmel schien rosa und orange durch das Fenster. Eine große Traurigkeit machte sich in Elisa breit, als sie den Blick durch das fertig eingerichtete Zimmer wandern ließ. Alles erschien ihr so endgültig und unverrückbar.