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RENÉ MEIER

KOMPASS

FÜR SCHWIERIGE GESPRÄCHE

Das EIGER-Modell

Kommunikation in Alltag und Beruf meistern

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INHALT

Über den Autor

Einleitung

Die wichtigste Person sind Sie!

Das EIGER-Modell für Kommunikation

Der theologische Kompass

Teil 1 | Die wichtigste Person sind Sie!

Ein Beispiel, wie Prägungen Konflikte beeinflussen

Wie sehr wir selbst ein Gespräch prägen

Uns selbst lieben ist mehr als Kitsch

Einen befreienden Umgang mit uns selbst finden

Ein Blick zurück, bevor es weitergeht

Schwierige Gespräche kompetent meistern

Konflikte sind not-wendig

Schwierige Gespräche bieten Chancen für Veränderungen

Wie sieht es bei Ihnen aus?

Teil 2 | Das EIGER-Modell für Kommunikation

Einführung

Wie das Modell entstand

Die fünf Phasen des EIGER-Modells – ein kurzer Überblick

1. Phase: Ereignis

Was sind »Ereignisse«?

Nonverbale Kommunikation

Anspruchsvolle Ereignisse – und wie man sie eindämmen kann

Das Wunder kleiner Gespräche

Das Harvard-Konzept: Der Weg zu gemeinsamen Lösungen

2. Phase: Interpretation

Wir interpretieren ständig

Das Vier-Ohren-Modell

Die Interpretation bin ich

3. Phase: Gefühle

Die Ursache unserer unangenehmen Gefühle

Der Schlüssel zum Glück

Was Gefühle mit Rasenmähen zu tun haben

Interpretation geschieht aufgrund gemachter Erfahrungen

Was uns Gefühle sagen wollen

Umgang mit eigenen heftigen, unangenehmen Gefühlen

Wie man eigene Gefühle und Wünsche gut formuliert – das Konzept der gewaltfreien Kommunikation

Wie kann man auf negative Kritik gut reagieren?

4. Phase: Empathie

Was ist Empathie?

Empathie bedeutet, ganz beim Anderen zu sein

Die Technik der Empathie

Woran erkennt Ihr Gegenüber, dass Sie ihm nicht richtig zuhören?

Wie können Sie zeigen, dass Sie zuhören?

Ein Gespräch besteht aus drei Satzzeichen

Weshalb sollen wir empathisch reagieren?

5. Phase: Reaktion

Die häufigsten Fehler bei der Reaktion

Jedes Problem kann nur auf der Ebene gelöst werden, auf der es entstanden ist

Weshalb wir Beziehungskonflikte auf die Sachebene verlegen

Gut reagieren bedeutet, seine Position zu kennen

Die Kunst, überzeugend zu argumentieren

Gehen Sie geschickt mit Killerphrasen um

Status-Spiele

Von Grabenbrüchen und Versöhnungsbrücken

Bauanleitung für eine Versöhnungsbrücke

Wer kann weiterhelfen, wenn wir nicht weiterkommen?

Was nach einem schwierigen Gespräch zu tun ist

Halten Sie den aktuellen Stand fest

Prüfen Sie sich selbst

Fragen Sie nach

Und wie geht es weiter?

Pflegen Sie Ihre Seele

Teil 3 | Theologischer Kompass mit Weitblick

Die wichtigste Person sind Sie! (vgl. Ausführungen ab S. 11)

Wie sehr wir selbst ein Gespräch prägen (vgl. Ausführungen ab S. 16)

Uns selbst lieben ist mehr als Kitsch (vgl. Ausführungen ab S. 19)

Seien Sie dankbar für das, was Sie haben (vgl. Ausführungen ab S. 22)

Überwinden Sie ungesunde innere Antreiber und Festlegungssätze (vgl. Ausführungen ab S. 25)

Gönnen Sie sich selbst Gutes (vgl. Ausführungen ab S. 33)

Versöhnen Sie sich mit Ihrer Vergangenheit (vgl. Ausführungen ab S. 37)

Schwierige Gespräche kompetent meistern (vgl. Ausführungen ab S. 44)

Die fünf Phasen des EIGER-Modells – ein kurzer Überblick (vgl. Ausführungen ab S. 51)

Das Harvard-Konzept: Der Weg zu gemeinsamen Lösungen (vgl. Ausführungen ab S. 68)

2. Phase: Interpretation (vgl. Ausführungen ab S. 76)

3. Phase: Gefühle (vgl. Ausführungen ab S. 87)

Das Zahnpasta-Prinzip (vgl. Ausführungen ab S. 94)

Hat Gott Gefühle?

Umgang mit eigenen heftigen, unangenehmen Gefühlen (vgl. Ausführungen ab S. 96)

Wie kann man auf negative Kritik gut reagieren? (vgl. Ausführungen ab S. 107)

4. Phase: Empathie (vgl. Ausführungen ab S. 114)

Die häufigsten Fehler bei der Reaktion (vgl. Ausführungen ab S. 123)

Die ska-Methode – ein kurzer Weg zum Ziel (vgl. Ausführungen ab S. 133)

Das Gute an Eskalation (vgl. Ausführungen ab S. 138)

Position 2: Ich bin im Unrecht – der Andere ist im Recht (vgl. Ausführungen ab S. 145)

Von Grabenbrüchen und Versöhnungsbrücken (vgl. Ausführungen ab S. 167)

Ein paar Worte zum Abschluss

Ich danke ganz herzlich …

Anmerkungen

Diese Quellen haben mich inspiriert

ÜBER DEN AUTOR

RENÉ MEIER arbeitet als Pfarrer in der Schweiz. Im Schweizer Fernsehen moderierte er die Sendung »Fenster zum Sonntag«. Im Rahmen seiner Firma (www.redens-art.ch) schult und berät er Unternehmen und Kirchen in Kommunikation und sozialer Kompetenz. Er ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Söhnen.

EINLEITUNG

Einfache Gespräche zu führen ist nicht schwierig. Man begegnet sich freundschaftlich und wertschätzend ohne Misstrauen und Feindseligkeit. Man ist entspannt und muss nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Man bewegt sich in einem sicheren Rahmen.

Fast täglich aber führen wir schwierige Gespräche – mit unserem Partner, mit unseren Kindern, mit unseren Eltern, mit dem Chef, mit Kollegen, Kunden, Vereinsmitgliedern, Nachbarn … Solche Gespräche stellen eine doppelte Herausforderung dar: Zum einen wollen wir die Beziehung zum Anderen nicht gefährden. Zum anderen wollen wir unsere eigenen Überzeugungen und Interessen nicht opfern.

Die wichtigste Person sind Sie!

Es sind nicht die Sachfragen, die schwierig zu klären sind. Mit gutem Willen und gegenseitigem Vertrauen kann man fast jedes Problem lösen. Der Mensch macht Kommunikation in schwierigen Gesprächen so anspruchsvoll. Kommunikation ist kein klinisch reiner Vorgang, bei dem man technisch alles richtig machen muss, damit es gut herauskommt. Kommunikation hat mit Menschen und ihrer Vergangenheit, ihren Werten, ihren Motiven, ihren Vorurteilen, ihren Erwartungen und ihren Ängsten zu tun. In schwierigen Gesprächen läuft nie alles rein sachlich ab. Deshalb geht es im ersten Hauptteil des Buches in erster Linie um Sie, denn Sie sind die wichtigste Person in der Kommunikation. Ihr »Innenleben« prägt Ihre Kommunikation mehr als alles andere. Diese Einsicht kann helfen, auch unser Gegenüber ein Stück weit besser zu verstehen. Zudem betrachten wir Wege, wie wir selbst unter schwierigen Umständen zufrieden sein können. Mit zufriedenen Menschen schwierige Gespräche zu führen ist wesentlich einfacher als mit unzufriedenen.

Das EIGER-Modell für Kommunikation

Im zweiten Hauptteil des Buches lernen Sie das EIGER-Modell für Kommunikation kennen. Es gibt zahlreiche Modelle, die zeigen, wie Kommunikation in schwierigen Gesprächen gelingen kann. Die meisten Menschen haben aber weder Zeit noch Muße, viel Fachliteratur zu lesen. In das EIGER-Modell werden deshalb Perlen einiger bekannter Kommunikationsmodelle integriert.

Der Name EIGER ist doppeldeutig. Er macht einerseits deutlich, dass gute Kommunikation in schwierigen Situationen so anspruchsvoll ist wie die Besteigung der Eigernordwand in den Schweizer Alpen. Diese monumentale Felswand ist mit ihren über 1 800 Metern Höhe eine der anspruchsvollsten Kletterpartien der Welt. Andererseits stehen die fünf Buchstaben EIGER für die fünf Kommunikationsphasen, die jedes Gespräch durchläuft. Damit wird EIGER zum Kompass für schwierige Gespräche:

EreignisEreignis kann ein Vorfall, eine Bemerkung, ein Blick usw. sein.
InterpretationDas Ereignis wird von mir und dem Anderen interpretiert.
GefühlDiese Interpretation löst entsprechende Gefühle aus.
EmpathieEmpathie hilft, den Anderen wirklich zu verstehen.
ReaktionMeine Reaktionen werden für den Anderen zum neuen Ereignis.

Das EIGER-Modell wird durch zahlreiche Fallbeispiele erläutert und vertieft. Die konsequente Praxisorientierung hilft, dass Ihre Kommunikation im täglichen Miteinander gelingen kann.

Der theologische Kompass

Die kurzen Abschnitte »Der theologische Kompass« im ersten und zweiten Hauptteil skizzieren, wie das jeweilige Thema in der Bibel verankert ist. Im dritten Hauptteil »Theologischer Kompass mit Weitblick« finden Sie dazu detailliertere Ausführungen. So wie man nach der Eigerbesteigung mit einem fantastischen Weitblick belohnt wird, zeigt dieser dritte Teil, wie vielfältig, lebensnah und pragmatisch das Thema »Kommunikation und Konfliktbewältigung« in der Bibel dargestellt wird. Wenn Sie es nicht furchtbar eilig haben, empfehle ich Ihnen, beim Lesen des ersten und zweiten Teiles zu diesen längeren theologischen Kompassen mit Weitblick zu blättern und danach vorne weiterzulesen. Die Seitenverweise helfen Ihnen, den entsprechenden Abschnitt zu finden. Sie können die theologischen Kompasse mit Weitblick auch in Form eines Selbststudiums gesondert lesen oder in einer Gruppe besprechen.

Nun wünsche ich Ihnen viel Leselust, neue Entdeckungen und eine gute Orientierung für Ihre Kommunikation in Alltag und Beruf.

René Meier im Sommer 2018

TEIL 1
DIE WICHTIGSTE PERSON SIND SIE!

»Ich habe es so satt, von Anderen immerzu korrigiert zu werden«, schrieb mir ein Kollege per E-Mail verärgert, als ich eine seiner Ideen hinterfragt hatte. Ich war verwirrt und begriff erst später, was meine leise Kritik bei ihm ausgelöst hatte. Wir kommen darauf zurück.

Für einen Konflikt braucht es bekanntlich immer zwei Personen. Normalerweise denken wir: Wenn der Andere – der schwierige Zeitgenosse – anders wäre, dann wäre alles einfacher. Das stimmt! Nur ist der Andere eben nicht so einfach und pflegeleicht. Der Versuch, ihn zu ändern, ist meist aussichtslos und verschlimmert die vertrackte Situation. Sie können nur sich selbst ändern. Deshalb heißt der wichtigste Grundsatz im Blick auf schwierige Gespräche: Die wichtigste Person sind Sie!

Die Kunst guter Kommunikation besteht nicht darin, sich darüber zu ärgern, dass der Andere »so schwierig« ist. Wenn ich so denke, betrachte ich mich als Opfer des Anderen: »Wäre er einsichtiger, wäre alles besser.« Damit mache ich den Ausgang des Gesprächs vom Anderen abhängig. Ich habe aber die Möglichkeit, unabhängig vom Anderen selbst kompetent zu reagieren. Damit übernehme ich Verantwortung und bleibe nicht länger ein Opfer des Anderen. Und je besser ich mich selbst kenne, desto kompetenter kann ich die Kommunikation gestalten. Ein Eishockeytrainer hat seiner Mannschaft im Blick auf eine schwierige gegnerische Mannschaft einmal gesagt: »Die Anderen ändern ihr Spiel nicht. Wir müssen unser Spiel ändern.« Er wollte ihnen damit sagen: »Wenn ihr gegen diese Mannschaft einfach so spielt wie immer, dann habt ihr keine Chance. Aber ihr könnt euer Spiel verändern und euren Gegner damit verwirren.« Nehmen Sie es sportlich, wenn’s um schwierige Zeitgenossen geht!

Die Sachebene in Gesprächen ist nur ein Teil der Wahrheit – der sichtbare und hörbare Teil. Wie beim Eisberg verbirgt sich der größte Teil unsichtbar unter der Wasseroberfläche. Dieser Teil ist die Persönlichkeit des Anderen und meine eigene Person – also die Persönlichkeitsebene. Wie der ganze Eisberg beim Anderen aussieht, kann ich höchstens ahnen. Meine Aufgabe ist es, meinen verborgenen Teil des Eisbergs zu erforschen und gut damit umzugehen.

Menschen tragen Wunden, Verletzungen und Vorurteile mit sich herum. Oft stammen diese Prägungen aus der Kindheit und der Jugend. Es sind nicht zwingend immer die Eltern oder Lehrer, die »alles falsch« gemacht haben. Häufig haben auch einzelne Ereignisse, eigene Verhaltensweisen und überhöhte Ideale ihre Spuren hinterlassen. Diese Erfahrungen formen mein Selbstbild, mein Weltbild und mein Gottesbild. Wie ich mit mir umgehe und was ich über mich und Andere denke, prägt meinen Kommunikationsstil – besonders in heiklen Situationen.

Wenn ich an mir arbeite und mich nicht nur als Opfer des Anderen betrachte, trete ich auf das weite Feld der Freiheit und Selbstverantwortung. Erst dann kann ich auf eine schwierige Situation angemessen reagieren. Der Begriff angemessen wird noch einige Male auftauchen. Eine angemessene Reaktion zielt darauf ab, dem Anderen, sich selbst und der Situation gegenüber Rechnung zu tragen. Der Psychologe und Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun beschreibt angemessenes Verhalten als »stimmig«. Er sagt: »Stimmigkeit ist die doppelte Übereinstimmung sowohl mit mir selbst als auch mit dem Charakter der Situation.«1

Nur wenn ich mich angemessen verhalte, besteht die Möglichkeit, dass der Andere seine Einstellung und sein Verhalten möglicherweise überdenkt und sogar ändert. Man kann nicht schnell mit ein paar Tipps lernen, wie man sich in schwierigen Gesprächen clever verhält. Sich angemessen zu verhalten ist eine hohe Kunst, denn es gibt dazu kein fixes Schema.

Ein Beispiel, wie Prägungen Konflikte beeinflussen

Kommen wir auf meinen verärgerten Kollegen zurück, von dem ich Ihnen zu Beginn erzählt habe. Wir beide verstehen uns bestens. Vor einiger Zeit sollten wir zusammen eine größere Veranstaltung organisieren. Zu Beginn der Planungsphase schickte er mir per E-Mail ein paar erste Ideen. Ich antwortete auf seine E-Mail und erwähnte, dass ich die meisten seiner Vorschläge sehr gut fände. An zwei Stellen fügte ich ein paar Ergänzungen ein und eine Idee stellte ich infrage. Dann sendete ich meinem Kollegen die E-Mail.

Kurz darauf schickte er mir eine sehr, sehr lange E-Mail, in der er den schon erwähnten Satz schrieb: »Ich habe es so satt, von Anderen immerzu korrigiert zu werden.« In dieser E-Mail führte er viele vergangene Verletzungen und Zurückstellungen auf. Er markierte klar, dass er es satthabe, immer infrage gestellt zu werden. Auf meine Einwände reagierte er ablehnend und zynisch.

Wie erschlagen saß ich vor meinem Bildschirm. Ich hatte diese Reaktion nicht im Geringsten erwartet – nicht von ihm! Und obwohl ich meinen Kollegen nicht noch mehr ärgern wollte, fielen mir sofort ein paar fiese Bemerkungen ein, wie ich auf seine E-Mail hätte antworten können. Das zeigt übrigens, dass es kein Buch über Kommunikation braucht, um unangemessen reagieren zu können. Das liegt uns im Blut. Das können wir automatisch und von Natur aus. Meine spöttische Antwort hätte die Sache aber nur verschlimmert.

Ich hielt mich also zurück und unternahm erst einmal gar nichts. Sofern es möglich ist, ist nichts zu unternehmen zunächst oft eine gute Reaktion, wenn es um Kommunikation in schwierigen Gesprächen geht.

Etwa eine halbe Stunde später erhielt ich eine weitere E-Mail von meinem Kollegen: »Vermutlich habe ich in meiner vorigen Mail etwas überreagiert. Ich bin früher so oft abgelehnt worden. Ich habe immer um Respekt und Anerkennung kämpfen müssen. Ich fühle mich noch heute zurückgestellt. Und immer wieder rutsche ich in dieses Denken hinein, dass ich für meine Würde und für meine Person kämpfen muss. Deshalb habe ich in meiner Mail vorhin auf deine Gedanken zu meinen Ideen so heftig reagiert. Ich weiß, dass ich dieses Denken überwinden muss. Zudem hast du ja recht mit deinen Einwänden.«

Ich habe mich über diese E-Mail natürlich sehr gefreut; nicht nur, weil er mir recht gab. Ich habe mich darüber gefreut, weil sich mein Kollege bewusst war, weshalb er so empfindlich reagiert hatte. Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. Mein Kollege ist auf das Feld der Freiheit und Selbstverantwortung getreten, weil er für sein Verhalten nicht mehr seine Vergangenheit verantwortlich machen wollte.

Ein Kursteilnehmer hat diese Erfahrung einmal so ausgedrückt: »Mit der Zeit wurde mir bewusst, dass ich früher immer aus dem Bauch heraus reagiert habe. Ich kannte von meiner Vergangenheit her nur ein Verhalten: Aggression. Mir war dabei aber nie richtig wohl. Heute suche ich bewusst nach weiteren und besseren Möglichkeiten, um zu reagieren. Ich habe Wahlmöglichkeiten. Mir wurde klar, dass ich eigenverantwortlich handeln muss. Ich darf mein Verhalten nicht mit meiner Vergangenheit entschuldigen, sonst bin ich nur ein Opfer. Ich muss und will aus dem Schatten meiner Vergangenheit heraustreten und vorwärtsblicken. Ich will aus dem bisherigen Verhalten aussteigen. Diese neue Sicht in die Tat umzusetzen war vor einigen Jahren eine bewusste Entscheidung! Es war ein langer Weg, bis diese Entscheidung mehr und mehr Realität wurde.«

Nach meiner Erfahrung ist es am anspruchsvollsten, mit verletzten, verwundeten und unversöhnten Menschen eine gute Beziehung und eine konstruktive Kommunikation zu pflegen. Die eine Gruppe der »ungeheilt Verwundeten« neigt zu unberechenbarer Härte, zu Rücksichtslosigkeit und zu einem verbissenen Kämpfen bis zum Untergang. Diese Menschen greifen andere an und werten sie ab, um sich selbst zu schützen. Die andere Gruppe der Verwundeten neigt zu Selbstmitleid, extremer Empfindlichkeit, Opferdenken, Selbstabwertung, Resignation und Rückzug. Sie schützen sich, indem sie sich ins Schneckenhaus zurückziehen.

DER THEOLOGISCHE KOMPASS

Was ist der Mensch? Aus theologischer Sicht ist der Mensch zuerst und vor allem anderen ein Geschöpf. Und wo ein Geschöpf ist, ist ein Schöpfer. Weil der Schöpfer das Geschöpf liebt, spricht er mit ihm. Schöpfer und Geschöpf sind von Anfang an im Gespräch miteinander. Damit macht die Bibel ab der ersten Seite klar: Es geht hier nicht um Religion, sondern um Beziehung; um Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf und damit um Kommunikation. Die Bibel ist voller Gespräche zwischen Gott und den Menschen. Im Anfang war das Wort.

Der Mensch kann aber auch anders: Er kann sich weigern, mit Gott zu sprechen und auf ihn zu hören. Dann gerät vieles aus den Fugen. Menschen verletzen Menschen – zuerst meist mit Worten. Keiner ist dabei nur Opfer. Jeder kann verletzt werden, jeder verletzt und jeder ist für sein eigenes Reden und Handeln verantwortlich. Die gute Nachricht ist aber: Der Schöpfer will dem Menschen ein »neues Herz« geben. Verwundungen können geheilt und eigenes Fehlverhalten überwunden werden. Die Kommunikation steht auf einem neuen Fundament.

Ausführlichere theologische Aspekte finden Sie in Teil 3 auf S. 175.

WIE SEHR WIR SELBST EIN GESPRÄCH PRÄGEN

Der oben beschriebene E-Mail-Verkehr mit meinem Kollegen zeigt, dass es in schwierigen Gesprächen selten »rein sachlich« zugeht. Da schwingen unsere ganze Person und unsere ganze Lebensgeschichte mit. Auch die Art und Weise, wie wir über uns selbst denken und wie wir mit uns selbst umgehen, prägt die Auseinandersetzung mit dem Anderen.

Möchten Sie Ihrem »Innenleben« auf die Spur kommen? Hier sind einige Fragen, die Zusammenhänge zwischen Ihrem Verhalten und Ihrer inneren Verfassung andeuten:

• Weshalb ärgert mich jetzt das Verhalten des Anderen?
Weil ich überzogene Erwartungen habe, die er nicht erfüllen kann?

• Weshalb bin ich manchmal so extrem empfindlich?
Weil ich mich zurückgestellt fühle und mit mir selbst nicht im Lot bin? Weil ich über mich selbst negativ denke und vermute, dass die Anderen es auch tun? Weil ich dazu tendiere, mich selbst abzuwerten?

• Weshalb grüble ich immer wieder über dieselben Situationen?
Weil ich mir diesen Fehler nicht vergeben kann oder weil ich mir die Lösung dieses Problems nicht zutraue?

• Warum denke ich negativ über Andere?
Wertet es meinen Selbstwert auf, wenn ich Andere abwerte?

• Weshalb bin mit meinen Nerven am Ende und fühle ich mich vom Anderen ausgenutzt?
Weil ich nicht Nein sagen kann aus Angst, nicht mehr geliebt und gebraucht zu werden?

• Weshalb raste ich ab und zu aus?
Weil ich meine eigenen Gefühle und Wünsche schon viel zu lang unterdrücke? Oder weil ich mir zu viel aufgeladen habe und deshalb so unter Strom stehe?

• Weshalb bin ich hart und gleichgültig gegenüber Anderen?
Weil ich denke, nur meine Meinung sei richtig, oder weil ich befürchte, ich käme eh zu kurz, wenn ich nicht für mich selbst sorge?

Fast alle Konflikte haben nicht nur mit der Sache allein zu tun, sondern viel mit der inneren Verfassung der Beteiligten. Der Therapeut Ernst Gassmann hat einmal in einem Vortrag gesagt: »Es gibt keine Eheprobleme, keine Erziehungsprobleme und keine Probleme am Arbeitsplatz. Es gibt nur persönliche Probleme, die in all diesen Beziehungsfeldern ausgetragen werden.«

Es gibt keine »neutralen« Probleme – zumindest nicht in konfliktgeladenen Situationen. Da geht es nie rein sachlich zu und logischerweise nehmen wir vieles persönlich. Deshalb sind wir so auf Draht. Wir tragen unsere eigenen Ängste, Erwartungen, Prägungen, Probleme, Konflikte und Werte in die angeblich sachlichen Problemstellungen hinein. Der Andere tut das natürlich auch – nur hat er erfahrungsgemäß eben andere Ängste, Erwartungen, Prägungen, Probleme, Konflikte und Werte. Wen wundert’s, dass es zu Kollisionen kommt?

Sensible Menschen könnten das missverstehen und denken, sie seien für alle zwischenmenschlichen Konflikte selbst verantwortlich. Das ist natürlich nicht der Fall. Aber wir tragen immerhin 50 Prozent zu einer Beziehung bei. Wenn wir mit uns selbst einigermaßen im Lot sind, können wir mit unseren 50 Prozent Positives in ein schwieriges Gespräch einbringen. Dass der Andere sich positiv einbringt, habe ich nicht in der Hand. Meinen Beitrag aber kann ich beeinflussen. Darum lohnt es sich, an sich zu arbeiten.

Der Ehetherapeut Manfred Engeli hat diese Dynamik während eines Vortrags erläutert. Der Berater wurde gefragt, ob es sinnvoll sei, wenn nur ein Partner in die Eheberatung komme, weil der andere Partner dazu (noch) nicht bereit sei. Spontan dachte ich: »Nein, das ist natürlich nicht sinnvoll. Die beiden müssen doch miteinander reden.« Der Ehetherapeut aber antwortete: »Natürlich ist das sinnvoll. Wenn eine Person an sich selbst arbeitet und sich positiv verändert, wirkt sich das immer auf die Beziehung aus.« Klar, es ist hoffnungsvoller, wenn beide Partner zum Gespräch gehen. Aber selbst einer allein kann das Ehesystem verändern.

Es ist wie beim Mobile. Wenn ich nur ein einzelnes Element anfüge oder entferne, wirkt sich das auf das ganze Mobile-System aus. So ist es auch im Leben. Wenn ich mich positiv verändere, wirkt sich das in schwierigen Situationen positiv aus. Ich werde geduldiger, mutiger, großzügiger, ehrlicher und vertrauensvoller. Das wird die schwierige Beziehung positiv prägen, bevor das erste Wort gesprochen ist.

DER THEOLOGISCHE KOMPASS

Jeder Mensch soll und kann an sich arbeiten. Viele Lebensanweisungen der Bibel zeigen, in welche Richtung die Veränderung gehen soll. Es geht nicht darum, religiös, brav und harmlos zu werden. Ziel ist, dass aus unserm Leben das herausgearbeitet wird, was Gott ursprünglich in uns hineingelegt hat. Wie befreiend, unabhängig und stark sich das auf die Kommunikation auswirkt, zeigt das Leben von Jesus, wie es in den Evangelien beschrieben ist.

Ausführlichere theologische Aspekte finden Sie in Teil 3 auf S. 180

Uns selbst lieben ist mehr als Kitsch

Ein unverzichtbarer Faktor für konstruktive Kommunikation ist also eine gesunde Beziehung zu sich selbst. Der Autor Walter Trobisch hat in seinem Buch Liebe dich selbst geschrieben: »Wer sich nicht selbst liebt, ist ein Egoist.2« Das mag provozierend und verwirrend klingen. Aber was fragt sich ein Mensch, der sich selbst ablehnt? Er fragt sich: »Was denken die Anderen wohl über mich? Wie komme ich bei den Anderen an? Die lehnen mich bestimmt ab!« Ein Mensch, der sich selbst ablehnt, dreht sich um sich selbst. Genau dasselbe tut auch ein Egoist. Er dreht sich um sich selbst und hat kaum Augen für die Bedürfnisse und Ansichten anderer Menschen.

Es gibt zwei Sorten von Egoisten. Die einen drehen nach oben um sich selbst und behandeln andere von oben herab. Sie fühlen sich überlegen und wirken arrogant und unnahbar. Nicht selten übertünchen sie mit ihrem selbstsicheren Auftritt ihre Minderwertigkeitskomplexe. Natürlich färbt diese Einstellung auf die Kommunikation ab.

Auf der anderen Seite gibt es die Egoisten, die nach unten drehen. Diese Form ist viel schwieriger als Egoismus zu erkennen. Noch bis vor ein paar Jahrzehnten war es mehrheitlich verpönt, positiv von sich selbst zu sprechen. Man musste demütig sein. Positive Eigenschaften und herausragende Leistungen musste man kleinreden. Man sollte bescheiden sein, sonst wäre man ja überheblich, und es sähe so aus, als stiege einem alles zu Kopf. In diesem künstlich demütigen Klima hat man den Egoismus nach unten oft nicht als Fehlentwicklung entlarvt, sondern eher als Idealbild betrachtet. Dieses angeblich demütige Selbstbild fügte sich nahtlos in das gesellschaftliche Selbstverständnis ein.

Wie denkt ein Mensch, der zum Egoismus nach unten neigt? Er denkt negativ über sich selbst und »verkauft« sich unter seinem Wert. Er vergleicht sich mit Anderen und steht in seinem internen Gericht immer als Verlierer da. Weil er seinen eigenen Ansprüchen nicht zu genügen vermag, denkt er schlecht über sich. Ihm ist zwar theoretisch bewusst, dass keiner perfekt ist und jeder Schwächen und Fehler hat. Der Egoist »nach unten« aber denkt, dass die Fehlerhaftigkeit der Anderen wesentlich weniger wiegt als seine eigene. Ein Schweizer Pfarrer hat diese Einstellung einmal als »Selbstverzwergung« bezeichnet. Auch diese Haltung fließt natürlich in die Kommunikation ein.

Beide Formen, wie man sich um sich selbst drehen kann, haben nichts mit gesunder Liebe zu sich selbst und mit Selbstannahme zu tun. Diese ist aber zentral, um mit Anderen in eine aufbauende Kommunikation einzutreten – ganz besonders in schwierigen Situationen. Es ist offensichtlich, dass sich ein schwieriges Gespräch mit Egoisten »nach oben« oder »nach unten« viel schwieriger gestaltet als mit Menschen, die mit sich selbst entspannt unterwegs sind.

Der Kabarettist Eckart von Hirschhausen hat die Auswirkungen gesunder Selbstannahme einmal so umformuliert: »Liebe dich selbst, damit es deinem Nächsten leichtfällt, dich gern zu haben3

DER THEOLOGISCHE KOMPASS

»Liebe« ist in der Bibel neben »Glauben« und »Hoffen« der zentrale Begriff. Das zeigt sich schon daran, was Jesus auf die Frage, welches das wichtigste Gebot sei, geantwortet hat: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft lieben. […] Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« (Markus 12,30-31).

In dieser Dreifachausrichtung der Liebe wird auch die Liebe zu sich selbst betont. Neben der Liebe zu Gott ist die gesunde Selbstannahme eine wichtige Voraussetzung, um seinen Nächsten zu lieben. Nur wer von Liebe getragen ist, kann frei lieben. Er handelt und redet weniger aus Berechnung und Angst, sondern aus innerem Frieden heraus.

Ausführlichere theologische Aspekte finden Sie in Teil 3 auf S. 181.

Einen befreienden Umgang mit uns selbst finden

Je positiver ich mit mir selbst unterwegs bin, desto konstruktiver und kreativer kann ich reagieren – gerade bei schwierigen Gesprächen. Deswegen betrachten wir jetzt vier Wege, die helfen, einen befreienden Umgang mit uns selbst zu finden. Dies wird Ihr Verhalten in schwierigen Gesprächen markant entspannen.

Jürg Frick schreibt in seinem Buch über Selbstwert: »Wir sehen die Dinge (andere Menschen; Anmerkung des Autors) nicht so, wie sie sind, sondern so, wie wir sind.«4 Sehen wir uns also an, wie wir sind.

1. Seien Sie dankbar für das, was Sie haben

Ja, das ist ein Allerweltsspruch – und doch stimmt dieser Satz. Menschen, die dankbar sind für das, was sie sind und haben, sind umgänglicher und angenehmer als Menschen, die mit sich und ihrem Leben unzufrieden sind. Mit zufriedenen Menschen kann man friedlicher schwierige Gespräche führen.

Dankbarkeit ist die bewusste Entscheidung, ein Ja zu finden zu seiner aktuellen Situation, statt gierig und voll Selbstmitleid auf das zu starren, was einem angeblich fehlt. Sich mit anderen zu vergleichen ist der zuverlässigste Weg, unzufrieden zu werden.

Der Solothurner Mundartdichter Ernst Burren aus der Schweiz hat einmal während einer Lesung gesagt: »Bevor unser Nachbar seine Villa gebaut hat, hatten wir ein Haus. Jetzt haben wir nur noch eine Hütte.« Auf einem Kalenderblatt habe ich mal den schönen Spruch gelesen: »Glück heißt nicht zu bekommen, was man will, sondern zu wollen, was man hat.«

Dankbar zu sein für das, was man hat, bedeutet nicht, dass man nicht auch an Veränderungen und Verbesserungen seines Lebens arbeiten soll. Natürlich soll man sein Leben anpacken, statt sich nur treiben zu lassen. Man soll sich weiterbilden, in der Kommunikation besser werden und mit unguten Gewohnheiten brechen. Man kann sich auch wirtschaftlich vorwärtsentwickeln. All das ist möglich und wichtig. Aber es wird uns viel besser gelingen, wenn wir uns dazu entscheiden, dass wir für das, was wir heute sind und haben, dankbar sind. So können wir auch akzeptieren, was sich im Moment nicht ändern lässt, und müssen uns nicht voll Wut, Verzweiflung und Selbstmitleid dagegen auflehnen.

Es gibt Menschen, die von Natur aus positiv, dankbar und zufrieden sind. Man bezeichnet sie als Optimisten. Ihnen fällt es nie schwer, das halb volle Glas zu sehen. Sie lamentieren nicht über das halb leere Glas. Auch Optimisten sehen Probleme und Einschränkungen, aber sie lassen sich davon nicht bremsen. Sie gehen mit einem positiven Schub durchs Leben. Daher fällt es ihnen leichter, dankbar zu sein für das, was sie selbst sind und haben.

Ich hoffe, Sie gehören zu dieser glücklichen Gattung von Menschen. Wenn nicht, empfehle ich Ihnen erst recht, sich bewusst für einen Lebensstil der Dankbarkeit und des Optimismus zu entscheiden. Klingt Ihnen das zu banal? Ich kann Sie verstehen. Aber gibt es nicht auch in Ihrem Leben Gutes, für das Sie dankbar sein können – und das Sie oft einfach nicht sehen? Wie wäre es, wenn Sie alles Gute aus Ihrem Leben einmal schriftlich festhielten? Denken Sie nicht nur darüber nach. Schreiben Sie es auf! Ihr Leben wird dadurch höchstwahrscheinlich eine Spur heller und Sie werden dankbarer.

Sie können einen dankbaren Lebensstil einüben, indem Sie positiv reden. Optimisten erkennt man an Ihrer Sprache. Sprechen Sie weniger über die Dinge, die schiefgehen. Hören Sie damit auf, sich zu beschweren und zu murren. Gewöhnen Sie sich positive Aussagen an. Hier drei Beispiele:

• Anstatt: »Das ist gar nicht so eine schlechte Idee«, sagen Sie besser: »Das ist eine großartige Idee!«

• Anstatt: »Diese Veranstaltung ist ja total überfüllt«, sagen Sie besser: »Schon beeindruckend, wie beliebt diese Veranstaltung ist.«

• Anstatt: »Das geht nicht!«, sagen Sie besser: »Wir wollen das einmal versuchen.«

Wie Dankbarkeit wirkt, hat der österreichische Schriftsteller Ernst Ferstl sehr schön auf den Punkt gebracht: »Für dankbare Menschen macht das Glück gerne Überstunden.«

DER THEOLOGISCHE KOMPASS

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