Thomas Köhler

Medizin für Psychologen und Psychotherapeuten

Orientiert an der Approbationsordnung für Psychologische Psychotherapeuten

4., aktualisierte und erweiterte Auflage

Impressum

Prof. Dr. med. Dr. phil. Dipl.-Psych. Dipl.-Math. Thomas Köhler

Oberstraße 98

20149 Hamburg

thomas.koehler@uni-hamburg.de

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Besonderer Hinweis

Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben, insbesondere zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren, immer nur dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches entsprechen können. Hinsichtlich der angegebenen Empfehlungen zur Therapie und der Auswahl sowie Dosierung von Medikamenten wurde die größtmögliche Sorgfalt beachtet. Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert, die Beipackzettel und Fachinformationen der Hersteller zur Kontrolle heranzuziehen und im Zweifelsfall einen Spezialisten zu konsultieren. Fragliche Unstimmigkeiten sollten bitte im allgemeinen Interesse dem Verlag mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt verantwortlich für jede diagnostische oder therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.

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Schattauer

www.schattauer.de

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Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von
© shutterstock/VKA

Lektorat: Marion Drachsel

Projektmanagement: Dr. Nadja Urbani

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Printausgabe: ISBN 978-3-608-40037-3

E-Book: 978-3-608-11604-5

PDF-E-Book: 978-3-608-20446-9

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Vorwort

Nachdem die vierte Auflage vergleichsweise rasch nach der dritten folgt, war inhaltlich eher wenig zu ändern. Im eigentlichen Text wurden diverse Ergänzungen vorgenommen, speziell die Demenzen, die biologische Therapie affektiver Störungen sowie bestimmte Rauschdrogen betreffend, insbesondere aber die Literatur aktualisiert; auch einige Medikamente mussten ergänzt werden, andere dafür gestrichen, weil sie vom Markt genommen wurden. Interessantere neue Erkenntnisse oder Überlegungen, die aber noch nicht den hinreichenden Sicherheitsgrad haben, etwa zum Endocannabinoidsystem und seine Rolle bei der Hirnreifung (damit auch für die Ausbildung einer Schizophrenie) oder zu den »Kandidatengenen« bei psychischen Störungen, wurden weiter im Anmerkungsteil behandelt. Diese Anmerkungen können sicher beim ersten Lesen – erst recht unter Prüfungsdruck – übergangen werden, sind aber beim vertiefenden Studium alles andere als unwichtig, da sie auf neuere Tendenzen hinweisen und (zwar oft spekulative, jedoch hoffentlich intellektuell reizvolle) Ausblicke geben. Neu ist ein Glossar, welches einige wichtige Begriffe im Teil noch einmal ausführlich erläutert.

Frau Nadja Urbani vom Lektorat Schattauer danke ich für die seit Jahren sehr gute, auch im Rahmen dieses Buches wieder ganz ausgezeichnete Zusammenarbeit. Großer Dank gebührt Frau Marion Drachsel für die extrem gründliche Lektorierung. Dem Verlag CIP-Medien, insbesondere Frau Sylvia Pohl und Herrn Prof. Serge Sulz, bin ich sehr verbunden für die Erlaubnis, einige Abbildungen aus meiner dort erschienenen Monografie »Biopsychologie – ein kurz gefasstes Lehrbuch« übernehmen zu dürfen. Mein Freund und Kollege Reinhold Schwab hat mir seit urdenklichen Zeiten bei EDV-Problemen geholfen, so auch diesmal. Und natürlich geht der obligatorische Dank an meine liebe Frau Carmen, die meine Bücherschreiberei immer noch mit erstaunlicher Fassung erträgt.

Hamburg, im Frühjahr 2020
Thomas Köhler

1 Aufbau des (1)(1)Nervensystems – neurologische Erkrankungen

1.1 (1)Feinaufbau des Nervensystems: Neurone – Glia – (1)interstitieller Raum

1.1.1 Neurone(1)

Neurone haben zum einen Funktionen zu erfüllen, die auch für andere Zelltypen im Körper anfallen, und sind deshalb prinzipiell ähnlich wie diese gebaut: Im Zellkörper findet sich der Zellkern mit den Chromosomen; in der den Kern umgebenden Zellflüssigkeit, dem Zytoplasma, liegen Organellen, die verschiedene Aufgaben leisten. Insbesondere muss durch chemische Zerlegung von Verbindungen (z. B. Glucose) Energie gewonnen werden; dies geschieht im Wesentlichen in den Mitochondrien (den »Kraftwerken« der Zelle); weiter muss das Neuron, u. a. um seine Stoffwechselvorgänge durchzuführen, laufend Proteine (Eiweiße) aufbauen, was in den (1)Ribosomen des Zytoplasmas anhand von Vorlagen in den Chromosomen des Zellkerns durchgeführt wird.1

Zum anderen ist das Neuron eine hochspezialisierte Zelle, welche der Verarbeitung und Weiterleitung von Reizen dient. Dies zeigt sich bereits in der Gestalt, die sich deutlich von der anderer (1)Zellen unterscheidet: Der eigentliche Zellkörper (Soma oder Perikaryon), das Gebiet um den Kern mit den Organellen, ist vergleichsweise klein, während riesige Fortsätze abgehen, welche die Neurone zu den größten Zellen im menschlichen Organismus überhaupt machen. Beim häufigsten Typus, dem multipolaren Neuron, gehen vom Zellkörper zahlreiche kleinere Fortsätze aus (Dendriten; von griech. dendron = Baum) und ein sehr langer, das Axon (zuweilen auch Neurit genannt). Dieses Axon kann bei den im Rückenmark entspringenden motorischen Nervenzellen etwa 1 m lang werden, während Dendriten und v. a. das Perikaryon um Zehnerpotenzen kleiner sind; insofern geben Abbildungen die tatsächlichen Größenverhältnisse nur höchst unvollkommen wieder.

Am Anfang des Axons, nahe dem Zellkörper, findet sich eine Verdickung, der Axonhügel, an dem die von Abermillionen Synapsen (Verbindungen mit anderen Neuronen) ausgehende Information zusammengeführt und verrechnet wird; an dieser Stelle entstehen die Aktionspotenziale, welche sich dann längs des Axons fortpflanzen (s. Kap. 3.1). Dieses gibt während seines Verlaufes Äste (Kollateralen) ab und verzweigt sich an seinem Ende in weitere, die mit ihren »(1)Endknöpfchen« meist an Dendriten anderer Neurone enden (mit ihnen »axodendritische« Synapsen bilden); dort vollzieht sich der Übergang der Erregung auf ein anderes Neuron. Daneben gibt es u. a. axoaxonale Synapsen, wo die Endknöpfchen einer Nervenzelle nahe dem Ende des Axons einer anderen zu liegen kommen (Substrat präsynaptischer Hemmung oder (1)Bahnung).

Neben den multipolaren existieren weitere Typen von Nervenzellen: Beim (1)bipolaren Neuron gehen vom Körper nur zwei, typischerweise sehr lange Fortsätze aus (etwa bei den vom Hörorgan kommenden Nervenzellen); der Zellkörper liegt dann auf dem halben Weg, den sich die Erregung vom einen Ende zum anderen bahnen muss. (1)Unipolare Neurone haben sogar nur einen Fortsatz, welcher sich aber bald verzweigt; deshalb spricht man meist von pseudounipolaren Neuronen. Zu dieser Gruppe gehören die von den Sinnesrezeptoren der Haut, etwa den »Schmerzrezeptoren«, ins Rückenmark ziehenden Nervenzellen. Die kleinen Interneurone, wie etwa in der grauen Substanz des Rückenmarks zu finden, besitzen nur kurze Fortsätze.

Neurone haben, in Zusammenhang mit Aufnahme und Weiterleitung von Information, eine Reihe spezifischer Aufgaben zu erfüllen: So muss laufend Energie aufgebracht werden, um mittels der (1)Natrium-Kalium-Pumpe die Spannungsdifferenz zwischen Intra- und Extrazellularraum (das (1)(1)Ruhepotenzial) aufrechtzuerhalten bzw. um die Potenzialänderungen rückgängig zu machen. Blockiert man die zur Energieerzeugung erforderlichen Enzyme, kommt die Erregungsleitung nach gewisser Zeit zum Erliegen. Weiter bauen Nervenzellen die Botenstoffe (Neurotransmitter) auf, welche der Überleitung der Erregung an den ((1)chemischen) Synapsen dienen. Diese Transmittersynthese findet meist in den (1)Endknöpfchen in Synapsennähe statt, teilweise im Zellkörper; auch viele in den Endknöpfchen benötigte Proteine müssen in der Umgebung des Zellkerns hergestellt werden. Dem Transport in die zumeist weit entfernten Endknöpfchen dienen die (1)Mikrotubuli ((1)(1)Neurotubuli(1)(1)), dünne Schläuche, die durch das Axon ziehen und an deren Außenseiten dieser »(1)axoplasmatische Transport« in (1)Vesikeln (bläschenförmigen Gebilden) stattfindet.

Viele (1)Axone(1), sowohl im zentralen als auch im peripheren Nervensystem, sind (1)(1)myelinisiert, d. h. von einer aus vielen Lagen bestehenden (1)Phospholipidschicht umgeben. Diese (1)Myelinschicht besteht aus Gliazellen, die sich um den Neuriten wickeln (s. Kap. 1.1.2), und dient hauptsächlich der Erhöhung der (1)Leitungsgeschwindigkeit.