Heinz G. Konsalik
Roman
Belisa García | Die »Lady«. |
Carlos, Miguel, Pedro | Ihre Brüder. |
Felipe Meléndez Ramos | Ingenieur und Leiter der Mine. |
Antonio Pérez, alias Mark Suffolk | Schürfer, vom CIA gesucht |
Leonardo Avila | Leiter der Sicherheitsgruppe. |
Manuel Morales | Bordellbesitzer. |
Mercédes, Carmela, Violeta | Huren. |
Landro Liborio | Goldhändler. |
Arturo Gómez | Goldhändler. |
Francisco del Carlo | Oberst der Armee. |
Jacinto Ferreras | Wirt des chinesischen Friedhofs in Manila. |
Rafael | Ein Schürfer. |
David Tortosa | Captain im CIA. |
Dr. Peter Falke | Deutscher Arzt, Chirurg. |
Federico Fernández Burgos | Pater, Priester. |
Ort der Handlung: Philippinen; auf der Insel Mindanao (im Gebiet von Davao und dessen Dschungel).
Niemand hörte etwas.
Kein Grollen, kein Knirschen, keinen dumpfen Knall, keinen kurzen Donner. Das Rumpeln und Knattern der Goldwaschgatter übertönte alles, die dicke Lärmwolke, die um den Berg hing, schluckte alles. Wenn dreißigtausend Männer sich in den Fels wühlen, das Gestein unter den Presslufthämmern aufschreit, aus dreißigtausend Kehlen heiseres Keuchen und Stöhnen dringt, sechzigtausend Füße durch Schlamm, Geröll, Wasserpfützen und glitschigen Lehm schlurfen, Brüllen, Schimpfen, Fluchen und Japsen nach frischer Luft sich vermischen mit dem Klatschen ausgeleerter Erdsäcke, jeder dreißig bis vierzig Kilogramm schwer, dann hört man nichts mehr als den eigenen Atem. Und den eigenen Schweiß hört man, ja, auch Schweiß kann man hören. Man hört, wie er aus den Poren quillt. Wie die Haut explodiert. Diese zu Leder gewordene Haut, gegerbt in der Hitze der Dschungelhölle, rissig und reibeisenrau trotz der fast hundertprozentigen Luftfeuchtigkeit um den Berg, am Berg und im Berg.
Der Berg. Nur ihn gibt es noch im Leben. Der Diwata-Berg. Ein Berg, den der Teufel, um Gott bei der Schöpfung zu ärgern, auf das Land geschissen hat. Ein Berg voller Gold. Tief drinnen, von hartem Gestein eingeschlossen. Gold, das es hier eigentlich nicht geben durfte – das es aber gab, weil eben der Satan, nur der Satan, Scheiße in Gold verwandeln konnte. So hieß es in den uralten Sagen der Mindanao-Stämme. Und jetzt gab es einen neuen, lebenden Satan, der befohlen hatte: Holt diese Goldscheiße heraus … und dreißigtausend Goldgräber, Digger aus allen Ländern dieser Welt, wühlten sich in Hunderten von Schächten und Stollen in den Kern des Berges vor, um den Teufelsschiss herauszubrechen.
Ein Heer von Armseligen, Gescheiterten, Glücksrittern, Analphabeten, Flüchtigen, Gesetzlosen, Namenlosen, Gesichtslosen, Entwurzelten, zusammengeströmt in der wahnsinnigen Hoffnung, dem Berg ein wenig Reichtum für sich selbst zu entreißen.
Niemand hörte etwas.
Nur eine kurz aus dem Stollen herausquellende Staubwolke von Steinstaub, die sich schnell verflüchtigte, wies darauf hin, dass etwas Schreckliches geschehen war. Das nachfolgende dumpfe Grollen blieb im Berg.
Felipe Meléndez Ramos blickte unwillig auf, als die Tür seines Büros aufgerissen wurde. Er hatte gerade einen starken Kaffee gebraut, ihn mit einem Schuss Rum verfeinert, rauchte eine Zigarre und genoss die Stunde nach dem Mittagessen. Die Stunde, in der er sich einem Traum hingab. Jeden Tag. Dem Traum von einem Leben weitab von diesem Höllenberg. In einem Haus am Strand, mit einem Palmengarten, mit einem chromblitzenden Wagen, mit einem Golfplatz in der Nähe, einer Motoryacht am eigenen Anleger und einem Freund, mit dem man hinausfahren konnte aufs Meer und prächtige Merline angelte. Dem Traum folgte dann immer die Ernüchterung, wenn die Zigarre geraucht und der Kaffee mit Rum getrunken war: der Weg aus seiner Steinbaracke hinaus zu dem Gewirr von Steinhaufen, Schlamm, Erde, Lärm, Gestank und schweißnassen, ächzenden Menschen.
Ramos hatte schon bessere Zeiten gesehen. Als ausgebildeter Bergwerksingenieur hatte er eine gute, überschaubare Zukunft vor sich gehabt. Er war in den Staatsdienst übernommen worden, hatte eine gute Stellung auf der philippinischen Hauptinsel Luzon im Gebiet von Cagayan bekommen, wo er die bekannten Tanlangan Falls beaufsichtigte, ein Naturereignis, das jährlich viele Touristen anlockte, und hier hatte ihn der Fußtritt seines Schicksals ereilt.
Ramos hatte beim Anblick eines blonden Touristen aus Schweden seine schwule Veranlagung nicht unterdrücken können. Peinlich war, dass der schöne blonde Jüngling in Begleitung eines Freundes eine Philippinenrundreise gebucht hatte. Der Freund brachte kein Verständnis für exotische Beziehungen auf, schlug Ramos zu Boden und wurde tags darauf mit durchgeschnittener Kehle im Hotelgarten gefunden.
Ab diesem Tag war Ramos verschwunden. Er tauchte, viel später, auf Mindanao auf, weit weg von den Tanlangan Falls, suchte verzweifelt einen Job und geriet an einen Goldgräber, der sein Leben gerettet hatte, indem er den sagenhaften Goldberg Diwata nach einem Jahr fluchtartig verließ.
Ramos gefiel die Geschichte von der güldenen Hölle. Er meldete sich bei der Zentralverwaltung der Grube in Davao, erklärte sein Interesse, tischte ein Lebensmärchen auf – aber das war gar nicht nötig, keiner interessierte sich dafür, woher er kam, wie er hieß, man las nur sein Ingenieurszeugnis mit Wohlwollen und flog ihn mit einem Hubschrauber in das Innere des Dschungels. Zum Diwata-Berg.
Nach zwei Jahren ernannte man Ramos zum ersten Verwalter vor Ort. Ein Vertrauensposten, der von dem Spruch begleitet wurde:
»Du übernimmst die Aufsicht. Du bist verantwortlich! Was auch immer geschieht, du allein hast die Schuld. Begreifst du das? Du allein hältst den Kopf hin! Also, sorge dafür, dass nichts geschieht, mit einer Ausnahme: dass du den Umsatz steigerst! Ist das klar?«
»Völlig klar!«, hatte Ramos geantwortet.
Und danach handelte er auch. Ramos gab der Hölle die letzte Flamme. Er wurde zum Gesetz am Diwata-Berg.
Nun geschah es also, dass jemand seine heilige Kaffeestunde störte. Ein mit Lehm und Dreck überkrusteter Mann stürzte in das Büro und blieb schwer atmend an der Tür stehen.
»Was ist?«, brüllte Ramos ihn an.
Der Mann rang nach Atem. Der schnelle Lauf … eine kaputte Lunge steckt so etwas nicht weg.
»Der Schacht …«, keuchte er. »Der Schacht!« Er lehnte sich gegen die Wand, wischte den Schweiß aus dem Gesicht und verschmierte es dadurch noch mehr zu einer Fratze.
»Was für’n Schacht?«, bellte Ramos zurück.
»Der Schacht 97 ist zusammengebrochen!«
»Na und?«
Ramos zog die Augenbrauen zusammen. Zusammengebrochen. Schacht 97. Mist!
»Sie sind noch drin …«, stammelte der Goldgräber. »Sie sind noch …«
»Na und?«
»Wir müssen …«
»Zuschütten!« Ramos lehnt sich zurück und legte die Zigarre in einen Aschenbecher aus Glimmergestein. »Holt euch vom Lager Dynamit und sprengt den Stollen zu.«
»Ginoóng Ramos …« Der Mann faltete die Hände und holte tief Atem. »Es sind über sechzig Mann im Stollen. Mindestens. So genau weiß man das nicht. Sechzig …«
»Na und?«
Dieses ›Na und‹ war entnervend. Ramos drehte sich auf seinem Stuhl um, blickte auf die große Karte, die hinter ihm an die Wand gepinnt war, und nickte mehrmals. Der Plan zeigte alle Stollen, Schächte und Claims des Berges.
»Zusprengen!«, wiederholte er. »Schacht 97 ist ein impotenter Schacht. Hat nie viel gebracht. Lohnt sich nicht. Zu mit ihm!«
»Und … die Kameraden, die verschüttet sind? Über sechzig …«
»Kameraden? Hab ich hier was von Kameraden gehört?« Ramos beugte sich etwas vor. »Was ist denn das für’n neues Wort?! Wanzen sind plötzlich Kameraden? Mach, dass du rauskommst, du Arschloch! Raus! Und der Schacht wird gesprengt. Ich werde mich selbst davon überzeugen. Raus!«
Der Mann an der Tür zögerte. Sein lehmfratziges Gesicht bewegte sich nicht … der nasse Lehm war getrocknet und erstarrt. »Mein Bruder ist auch im Schacht«, sagte er leise. »Mein einziger Bruder …«
»Pech gehabt. Sei froh, dass du’s nicht bist.« Ramos erhob sich von seinem Stuhl und stieß ihn zurück an die Wand. »Gehen wir.«
»Es wird Unruhe geben, Ginoóng Ramos.«
Ramos blieb abrupt stehen. Er zog das Kinn an und klopfte mit den Fingern beider Hände gegen seine Hosenbeine. »Moment!«, sagte er. »Ihr droht mir? Wer droht mir? Du sagst mir so einfach ins Gesicht, dass es Unruhe gibt? Bei mir, hier am Berg, Unruhe? Jetzt pass mal auf, du Ameise, wie das hier läuft.«
Er ging zurück zum Tisch, griff zum Telefon und drückte zwei Nummern. Eine laute Stimme meldete sich. Der Digger an der Tür konnte sie hören, aber die Worte verstand er nicht.
»Leonardo«, sagte Ramos. Er war keineswegs aufgeregt. Seine Stimme klang sogar etwas gelangweilt. »Komm rüber zu Schacht 97. Nimm zehn Mann mit. Und drei Maschinengewehre. Nein! Kein Alarm. Nur eine kleine Verständigungsschwierigkeit. Ach ja, nimm auch Tränengas mit. Und vier Mann vom Bautrupp sollen mit Dynamit anrücken. Das ist alles. Bis gleich.«
»Sie … Sie wollen auf uns schießen?«, stammelte der Goldgräber und wich zurück, als Ramos auf ihn zuging.
»Aber nein! Ich sorge nur für Ordnung. Ich räume auf. Ich beseitige Müll. Ich bin ein sauberer Mensch. Außerdem«, er lächelte breit, »bin ich neugierig, wie Kameraden aussehen. Ich habe bisher noch keinen kennengelernt.«
Er ging zur Tür, stieß den Digger zur Seite und betrat die Straße vor der Verwaltungsbaracke. Es war das einzige wirklich massive Haus in der Höllenstadt am Berg, zusammengesetzt aus Betonfertigteilen und gedeckt mit gewellten Asbestplatten. Ihm gegenüber lag ein langgestreckter, zweistöckiger Holzbau … der Puff von Diwata.
Das Wichtigste, ja das Lebensnotwendigste in einer Goldgräberstadt sind: Kneipen und Bordelle. Ohne sie hat das Leben in dieser geballten Männergesellschaft keinen Sinn. Als beim ersten großen Goldrausch der Neuzeit Alaska von einem Heer Glückssucher überschwemmt wurde und am Klondike, dem sagenhaften Goldfluss, die Besiedlung begann, als ehemalige Indianerdörfer wie Sitka, Ketchikan oder Skagway zu wilden »Goldenen Städten« wurden und Trecks von Tausenden Abenteurern hinauf zum Yukon zogen, durch eisige Wüsten, über Gletscher und reißende Flüsse hinweg, oft geradewegs hinein in den Tod, folgten ihnen auch die Huren und bauten, wo man sich niederließ, um Gold zu suchen, als erstes die Bordelle und die Schnapsbuden.
Nicht anders war es am Diwata-Berg gewesen. Als um den »Satansschiss« herum die Dörfer aus Holzlatten, Wellblech, Nylonplanen, Palmstroh und platt geklopften Benzinfässern entstanden, als der Lockruf vom Reichtum im Fels die Abenteurer anzog wie Honig die Bären, baute der Minenbesitzer Juan Perón Toledo inmitten der neuen Stadt den lebenswichtigen Puff. Mit Hubschraubern, der einzig sicheren Verbindung zum Diwata-Berg, ließ er zunächst vierundsechzig Huren einfliegen. Junge, hübsche Mädchen von den armen Inseln rund um Mindanao, die schnell begriffen, dass ihre geschmeidigen Körper totes Kapital waren, wenn sie auf den Feldern vertrockneten. Zudem wurde ein Spruch weitergereicht, den die berühmteste Hure, Theresa aus der Goldmine von Diwalwal, der staatlichen Grube bei Tagum, einmal von sich gegeben hatte: »Mit zwei Titten und einer Möse kann man Paläste bauen!«
Auch das Bordell am Diwata-Berg hob sich von den anderen armseligen Hütten deutlich ab. Es hatte, außer einem massiven Dach aus gestrichenem Wellblech, bunt bemalte Fensterläden, hinter den Fenstern verhüllten sogar Gardinen den Einblick in die Zimmer, und ein Witzbold hatte um das Holzhaus großblättrige Nipapalmen gepflanzt und zwei Narras, den philippinischen Nationalbaum. Es waren die einzigen Pflanzen in diesem stinkenden Slum.
Sogar jetzt, zur Arbeitszeit, standen vor dem Puff zwei Schlangen von Männern, sich langsam vorwärts schiebend und geduldig wartend, bis sie eingelassen wurden. An den beiden dicken Holzbohlentüren standen vier Wächter mit schussbereiten Maschinenpistolen. Im Inneren des Bordells hielten drei weitere »Ordnungshüter« Wache. Nur zu oft kam es vor, dass Digger nicht genügend Pesos oder Goldstaub bei sich hatten, um die gewünschten Dienste zu bezahlen. Dann gab es Streit, die Wächter griffen ein und warfen den bis zur Bewusstlosigkeit Zerschlagenen auf die Straße. Dort blieb er liegen. Keiner hob ihn auf. Eine Warnung für die Wartenden: Jeder Griff einer Hurenhand kostete Geld.
Ramos blieb draußen auf der Straße stehen und wartete, bis der Unglücksbote neben ihm stand.
»Wie heißt du?«, fragte Ramos.
»Rafael, Ginoóng Ramos.«
Wie fast alle auf den Philippinen sprach auch Rafael das Philippino, das zur neuen Staatsprache ernannt worden war. Das Spanisch der Entdecker blieb den feinen Kreisen vorbehalten. Das Englisch der amerikanischen Besatzer war nach der Unabhängigkeit der Philippinen 1946 die zweite Sprache, die noch von vielen gebraucht wurde. Ginoóng hieß Herr. Eine höfliche Anrede.
»Rafael.« Ramos blickte zur Seite. »Welcher Schacht?«
»Siebenundneunzig, Ginoóng.« Er schluckte, bevor er weitersprach. »Sie wollen wirklich den Schacht zuschütten?«
»Ein Aufgraben lohnt sich nicht! Ich brauche jede Hand. Zum Steinebrechen. Zum Säcketragen. Wenn ich zehn Mann zum Ausgraben abstelle … wieviel Säcke gehen mir dann verloren!«
»Und die Menschen? Mein Bruder? Sie … Sie können doch nicht …«
»Ich kann alles. Ich werde euch zeigen, was ich kann! Ihr wollt einen Aufstand? Könnt ihr haben!«
»Wir sind dreißigtausend, Ginoóng …«
»Von denen nur ein paar Idioten sind wie du! Willst du gegen Maschinengewehre anrennen?«
»Wir alle haben Waffen …«
»Rafael.« Ramos drehte sich zu ihm um und starrte in das dreckverschmierte, starre Gesicht. »Wie lange bist du am Diwata?«
»Drei Jahre.«
»Und lebst noch! Warum bist du nicht glücklich, dass du lebst? Drei Jahre … du solltest schnell verschwinden. Ganz schnell! Ab in den Dschungel, irgendwohin, wo dich keiner kennt, keiner findet. Am besten weit weg. Das ist ein guter Rat, du Idiot! Mein bester Rat!« Ramos’ Stimme hob sich etwas, aber sie wurde nicht laut. »Wenn ein einziger Schuss fällt, wirst du deine Mutter verfluchen, dass sie dich geboren hat. Kennst du Avila?«
»Wer kennt ihn nicht?«
»Avila praktiziert eine Spezialität, wenn es ums Bestrafen geht. Bei den Augen fängt er an … und jeder Mensch hat nur zwei Augen.«
»Ich verstehe …« Rafaels Stimme versank in Heiserkeit. »Ich lebe in der Hölle.«
»Gut, wenn einer das erkennt. Nützlich, wenn er es anwendet. Und jetzt mach Dampf unter deine Sohlen und verschwinde!«
Ramos hob den Kopf. Mit zwei Jeeps rasten Leonardo Avila und neun Männer seiner Sicherheitstruppe die Straße hinunter. Statt der Frontscheiben hatten sie vorn zwei Maschinengewehre montiert. Der Dreck spritzte von den Reifen weg über die Straße und überschüttete jeden mit Matschfontänen.
Rafael gab keine Antwort mehr.
Er befolgte Ramos’ Rat und lief davon. So schnell er konnte. Lief einfach weg und verschwand im Gewirr der Hütten.
Aber während er unter sich das Knirschen seiner Stiefel hörte, dachte er nur eins: Mein Bruder! Mein Bruder wird zugeschüttet. Lebend zugeschüttet! Einfach lebendig begraben. Unter Geröll und Felsgestein, das vielleicht sogar mit Gold durchzogen ist. Ein Goldgrab. Mein Bruder. Placido, der Kleine, wie Mutter ihn immer nannte. Der so gerne Dinuguan aß, die in frischem Blut geschmorten Innereien von Huhn und Schwein. Das konnten wir armen Leute uns damals leisten, wir bettelten die Innereien den Metzgern ab. Der kleine Placido … nun liegt er für immer in diesem verfluchten Berg!
An einer Hüttenwand aus Holzschwarten blieb er stehen, drückte das Lehmgesicht gegen die Borke und weinte. Placido … ich werde dich rächen …
An diesem Tag verschwand Rafael aus Diwata.
Der undurchdringliche Dschungel rund um den Berg verschluckte ihn.
Niemand vermisste ihn … Menschen kommen und verschwinden, und keiner fragt, weil das eigene Überleben das Wichtigste ist.
Am Abend dieses Tages, nachdem ein Miniertrupp den Stollen zugesprengt hatte, lag eine gefährliche Stimmung über der Goldgräberstadt. Ramos spürte es deutlich. Die Luft war wie mit Elektrizität aufgeladen. In den Kneipen ballten sich die Digger und diskutierten, verfluchten die Minenleitung und wünschten, Ramos würde in die richtigen Hände fallen, die ihm den Hals zudrückten.
»Das ist der vierte Schacht, der zusammengebrochen ist!«, schrie einer in Pilars Tanzbar. »Alle eingemauert! Wieviel Tote? Wer weiß das?! Hundert? Zweihundert? Es gibt Stollen, da kannst du die Leichen riechen! Jawohl, riechen. Durch die Steinritzen kriecht der Gestank. Und dann musst du kotzen, ob du willst oder nicht. Und was sagt Ramos, dieser Wichser? ›Bindet euch ein nasses Tuch um die Nase!‹ Soll das so weitergehen? Wollt ihr die nächsten sein, die er einmauern lässt? Jungs, holt sie aus dem Schacht 97 heraus! Holt sie raus! Sofort!«
»Die sind längst verreckt!« Einer der Vorarbeiter, die sonst an den Sammelstellen die Säcke zählten und die Nummern der Schlepper eintrugen, winkte ab. »Was wir brauchen, sind abgestützte Stollen. Holzstempel, Stahlgerüste, so wie in den staatlichen Gruben. Zu teuer, zu teuer, heißt es bei uns. Menschen sind billiger zu haben. Die kommen freiwillig. Ihr seid doch auch alle gekommen. Jeder von euch. Und wühlt euch in den Berg, vierzehn Stunden lang. Also, was wollt ihr? Maul halten … ihr wollt doch Gold sehen! Warum seid ihr sonst hier?«
Avila mit seiner Sicherheitstruppe besetzte die Sammelstellen, die Goldwaschanlagen, die Magazine, das Elektrowerk, die Wasserreservoirs, die Wasserzuleitungen, die Funkstation. Seitlich des Hauptweges, der zu den Schächten führte, gingen drei Kanonen in Stellung. Vier leichte Panzer rasselten über die Straßen … alles Beutestücke, die einmal die Rebellen von Mindanao dem Militär abgenommen hatten. Das war Anfang der achtziger Jahre gewesen, als die kommunistischen Guerillas der NPA und Truppen der Moro National Liberation Front – MNLF – auf Mindanao gegen die Regierung Marcos kämpften. Wie Kanonen, Panzer, Granatwerfer, Minen, Munition und Granaten, schwere Maschinengewehre und sogar zwölf Erd-Erd-Raketen samt Abschussrampe in den Dschungel des Diwata-Berges gekommen waren, wusste niemand mehr. Man wusste nur, dass der reiche und mächtige Minenbesitzer Juan Perón Toledo mitten im Urwald eine eigene Armee besaß, dass er um den Berg herum granatsichere Bunker gebaut hatte und dass Diwata eine Festung geworden war, an die sich keine Regierungstruppen heranwagten.
Nur einmal hatte man es versucht, vor fünf Jahren. Aus der Luft, mit Fallschirmtrupps. Ein ganzes Bataillon war über dem Berg abgesprungen … und ein ganzes Bataillon war nicht mehr zurückgekommen. Von da ab duldete man Diwata, als sei es gar nicht vorhanden.
Am Abend dieses kritischen Tages fuhren drei Wagen mit Lautsprechern durch die Straßen. Nach Abspielen eines Volksliedes dröhnten Stimmen über die Hütten.
»Männer! Seid vernünftig! Hört nicht auf ein paar Idioten! Es hat ein Unglück gegeben. Es hat Tote gegeben. Aber das Leben, euer Leben, geht weiter. An den Toten könnte ihr keine Pesos verdienen, aber in der Mine. Macht eure Arbeit – das allein zählt! Männer! Ihr könnt die Toten nicht wieder lebendig machen, aber ihr könnt die Lebenden gefährden. Seid vernünftig! Wer gegen die Mine ist, ist auch gegen euch. Denn ihr seid die Mine!«
Und dann wieder Musik. Ein T’boli-Tanz, wie man ihn im südwestlichen Mindanao tanzt.
Der Text der Lautsprecherdurchsage stammte von Ramos. Das konnte er blendend: Sprechen. Überzeugende Worte, hinter denen die Drohung stand. Worte, die jeder verstand, auch wenn man schwerfällig im Denken war. Man brauchte nicht lesen und schreiben zu können, um ein Leben durchzustehen … aber Worte deuten zu können, das gehörte zur Basis des Überlebens.
Über Diwata senkte sich nach diesem Lautsprechergedröhn die Stille des Duckens.
Die Minenleitung hat recht.
Ein Flugzeug stürzt ab, ein Schiff versinkt, eine Explosion zerreißt Menschen, ein Taifun fegt ganze Küsten leer, ein Erdbeben macht aus Städten Ruinen, und überall ist Krieg mit Tausenden von Toten … wer wird da wegen sechzig Menschen rebellieren, die man einmauern muss? Überall, überall, überall Tote. Leute, man gewöhnt sich daran. Und was hier im Dschungel passiert, wen kümmert es? Bei einem Jumboabsturz sind es dreihundertsechzig Tote. Und auch die vergisst man am nächsten Tag.
Herrgott noch mal – das Leben geht doch weiter.
Juliano, du Gauner von einem Wirt, noch einen Brandy oder einen Añejo-Rum!
Wer weiß, ob wir morgen nicht die nächsten sind.
Der Berg ist ein Mörder … aber er ist voller Gold …
Juan Perón Toledo galt in Davao, der Hauptstadt der Insel Mindanao, als der reichste Mann im Lande.
Ob er wirklich Toledo hieß, und dazu auch noch Juan Perón wie der charismatische Diktator von Argentinien mit seiner fast heiligen Frau Evita, wusste keiner. Es interessierte auch niemanden, am wenigsten die Behörden. Toledo stiftete Waisenhäuser, ein Schwimmbad, ein Altersheim, ließ ein Fußballstadion bauen, beglückte das Seebad Dakak Beach Resort mit einem Luxushotel und war auch sonst finanziell sehr großzügig im Umgang mit maßgebenden Politikern. Da fragt man nicht, woher jemand stammt … es ist ein Segen, dass es ihn überhaupt gibt.
Bekannt war die Quelle seines Reichtums – da gab es keine Geheimnisse. Toledo hatte im Dschungel von Davao del Norte den Berg Diwata entdeckt, besetzt und annektiert. Der Regierung kaufte er das bis dahin unerforschte Urwaldgebiet für einen nie bekannt gewordenen symbolischen Preis von wenigen Pesos ab. Als die ersten Goldsäcke in Davao auftauchten, war es für eine Annullierung des Kaufs zu spät. Vertrag ist Vertrag. Das war vor vierundzwanzig Jahren, Toledo war damals fünfundzwanzig Jahre jung, ein großer, muskulöser, zäher Bursche, der erstaunlicherweise ein gepflegtes Spanisch sprach, wie es sonst nur in gehobenen Kreisen üblich war. Er musste irgendwo einen wohlhabenden Vater verborgen haben … er sprach nie von ihm, aber er hatte immer genügend Pesos in der Tasche, um unabhängig vom normalen Geldverdienen zu sein.
Als er mit dem ersten Säckchen Gold aus dem Urwald auftauchte und einem völlig irritierten Goldhändler in Davao die Nuggets auf den Tisch schüttete, hatte er — so die Überlieferung – gesagt:
»Wieviel Gold kaufen Sie pro Jahr?«
»Ungefähr siebzig Kilo«, antwortete der Händler.
»Ich werde Ihnen eine Tonne liefern. Pures Gold.«
Man hielt ihn für verrückt.
Fünf Jahre später – Juan Perón war gerade dreißig geworden – stiftete er zweihunderttausend Dollar, nicht Pesos, für den Ausbau des Botanischen Gartens von Davao und wurde damit gesellschaftsfähig. Die Türen der Einflussreichen öffneten sich ihm. Der Bürgermeister drückte ihm die Hand und lud ihn zum Essen ein. Bankiers buhlten darum, dass er bei ihnen ein Konto eröffnete. Spekulanten gaben sich die Klinke von Toledos Haus in die Hand. Was man bisher ungläubig geflüstert hatte, wurde zur Tatsache: Im Dschungel lag ein Berg voller Gold. Ein ganzes Bergmassiv. Urgestein mit Goldadern. Tonnenweise reines Gold. Ein Reichtum, kaum berechenbar. Aus dem, was man hörte, folgerten Geologen, dass im Urwald von Davao del Norte das drittgrößte Goldaufkommen der Erde liegen musste, nach Südafrika und Sibirien.
Und alles gehörte einem einzigen Mann.
Juan Perón Toledo.
Die Regierung in Manila begann nachzudenken. Ein Enteignungsgesetz stand zur Debatte. Es besagte, dass Bodenschätze, vor allem Edelmetalle, dem Staat gehörten. Man könne zwar Land kaufen, aber volkswirtschaftlich wichtige Funde gehörten dem Volk. Der Entdecker der Schätze werde am Gewinn beteiligt.
Aber zu diesem Zeitpunkt, als eine Kommission in Manila das neue Gesetz hin und her wälzte, hatte sich Toledo längst auf die Zukunft eingestellt.
Über russische und arabische Waffenhändler hatte er seine mittlerweile über zehntausend Mann starke Goldgräbertruppe mit Waffen versorgt. Aus zurückgelassenen amerikanischen Army-Beständen, die damals auf rätselhafte Weise verschwunden waren, bezog er zwei Vierlings-Flaks, Flugabwehrgeschütze, die er für äußerst wichtig hielt. Sollten jemals Regierungstruppen den Diwata-Berg angreifen, dann nur aus der Luft. Der Weg durch den Dschungel, vierzehn Tage Marsch durch die Grüne Hölle, durch die man sich einen Weg schlagen musste, war militärstrategisch sinnlos. Überall konnte man auf diesem Weg die Truppen aus dem Hinterhalt überfallen. Die guerillageschulten Männer Toledos konnten das Gebiet verminen. Wie man Soldaten im Dschungel aufhält und vernichtet, hatte man aus den Kriegen in Korea und Vietnam gelernt. Das mächtige Amerika hatte davor kapituliert … die unlustige Armee der Regierung dachte nicht einmal an einen Versuch, sich durch den Dschungel zum Diwata-Berg zu schlagen. Selbst ein Diktator wie Marcos schrak davor zurück.
Juan Peróns Reichtum wuchs und wuchs.
Nahe der Stadt Davaos baute er sich eine weiße, schlossartige Villa an der Meeresküste, umgeben von einem tropischen Park voller Blumen und Palmen und exotischen Tieren wie Pfauen, Flamingos und Papageien. Vor allem die bunten Kakadus und das Wappentier, der philippinische Adler, gehörten zu Toledos Lieblingstieren. In einem großen, künstlichen Teich schwammen Krokodile und sonnten sich auf aufgeschütteten Inselchen. Riesenechsen, die man Monitoriden nannte, huschten durch Gebüsche und schliefen unter Mangrovensträuchern. Es war ein Luxus, den der Hausherr jedem zeigte, der zu ihm kam. Nicht, um damit zu prahlen, nicht, um sich voller Stolz aufzublähen … sein Reichtum war zur Waffe geworden.
Da meistens Besucher an seine Tür klopften, um Geschäfte mit ihm zu machen, wiederholte sich alles wie bei einer Besichtigung mit einem Fremdenführer, der die Große Mauer in China oder die Niagarafälle erklärt: Rundgang durch den Park, Fütterung der Krokodile, Konzert der Papageien, Blütenketten um den Hals, als sei man auf Hawaii oder Tahiti, großes Buffet auf der Terrasse mit Folkloremusik. Tanzende Mädchen der Manobe-Mandaya- und T’boli-Stämme und dann die nüchterne Feststellung Toledos:
»Meine Herren, Sie haben das alles gesehen. Sie wissen nun, wieviel ein Geschäft mit mir kostet.«
Die Wirkung war immer die gleiche. Die zukünftigen Geschäftspartner knickten ein.
Trotzdem kam kein Hass auf. Im Gegenteil. Wer mit Toledo ins Geschäft kam, konnte sich auf sein Wort verlassen. Es gab keine schiefen Manipulationen. Ehrlichkeit … die setzte Toledo mit der eigenen Ehre gleich. Sein Ehrbegriff war so ausgeprägt, dass er in den Anfangszeiten der Diwata-Mine jeden Goldgräber, der heimlich ein paar Nuggets für sich abzweigte, mit aller Härte bestrafte.
Bisher hatte noch niemand nachgeforscht, wie viele Gräber der Urwald überwucherte. Man sprach auch nicht darüber. Am Diwata-Berg herrschten eigene Gesetze. Wer Tausende von Abenteurern beherrschen will, kann die Welt nicht mit Samthandschuhen anfassen. Diese besondere Welt erkennt nur eines an: die Faust.
Das war nun alles schon Historie geworden.
Eine Vergangenheit, die einige dunkel, die meisten aber glanzvoll nannten.
Juan Perón Toledo, der lebende Goldberg von Davao, hatte sein neunundvierzigstes Lebensjahr fast hinter sich und steuerte auf die Fünfzig zu, das »Bergfest«, wie er es nannte, und es war nun die Zeit gekommen zu überlegen, was einem das Leben noch zu bieten hatte, vor allem aber, wie man es genießen konnte. Die längste Zeit lag hinter ihm … noch einmal fünfzig Jahre gehörten ins Reich der Illusionen.
Die Sensation schlug in Davao ein wie eine Bombe.
Der reichste Mann dieser neunhunderttausend Einwohner zählenden Stadt, der zweitgrößten der Philippinen, der Mann, bei dem jede Handbewegung eine Bedeutung hatte, heiratete.
Die Zahl seiner bisherigen Freundinnen, so drückte man es vornehm aus, wurde unter Insidern nur als Gerücht verbreitet … Väter mit heiratsfähigen Töchtern hatten sich über Jahre hinweg bemüht, ihre Augenweiden ins Blickfeld des großen Toledo zu rücken. Vergebens. Zu deutlich war spürbar, dass alle Väter nur an den Goldberg dachten. Eine Einstellung, die Toledo fast mit Ekel erfüllte. Er wollte als Mensch geliebt werden, nicht als wandelnder Goldklumpen.
Aber plötzlich – eben einer Bombe gleich, wie von einem Terroristen – gab er bekannt: Herr Juan Perón Toledo wird mit der ehrenhaften Jessica García die Ehe eingehen.
Wer ist Jessica García?
Ein unbekanntes Mädchen. Keine Tochter aus bestem Haus. Eine kleine, zarte Schönheit, wie Freunde verunsichert berichteten. Mit bräunlicher kreolischer Haut. Indianerblut. Und das Sensationellste, Schockierendste: Sie war erst neunzehn Jahre alt!
Eine Kindfrau. Mit einem Puppengesicht. Feingliedrig wie eine Porzellanfigur. Wenn sie lächelte, wurden der Himmel blauer und die Sonne heller.
Jessica war die Jüngste von fünf Kindern des Malermeisters Enrique García. Sie war am Rande von Davao aufgewachsen, in einem Siedlerhaus, das Vater Enrique mit eigenen Händen gebaut hatte. Vor neun Jahren war ihre Mutter gestorben. Nicht an einer Krankheit, sondern an einem Schlangenbiss. Vom nahen Davao River krochen oft Giftschlangen bis in die Siedlung, um dort Mäuse zu suchen oder Kaninchen zu fressen, die von den Bewohnern gezüchtet wurden.
Die Familie García fiel in Davao nicht sonderlich auf. Das Geschäft Enriques als Maler und Tapezierer ernährte die fünf Kinder leidlich. Große Sorgen kannte er nicht, bis auf das Kreuz mit seinem Zweitältesten Sohn: Carlos lehnte jede Lehre ab, hielt Wissen für unnützen Ballast und verließ sich nur auf seine Fäuste. Er wurde Boxer. Dafür machte ihm die Drittjüngste viel Freude: Belisa García entwickelte große Intelligenz und machte eine Banklehre durch. Schon mit zwanzig Jahren übertrug man ihr die Buchhaltung einer Bankfiliale in Davao. Eine sichere Stelle mit einer sorgenfreien Zukunft. Miguel, der älteste Sohn, hieb als Schmied auf glühendes Eisen, und Pedro, der jüngste unter den drei Brüdern, ein Muskelmann mit einem Kindergesicht, quälte sich durch Vermittlung seiner Schwester Belisa ebenfalls auf einer Bank herum: Er bewachte den Kassenraum und wartete darauf, dass irgendein Idiot die Bank überfallen würde.
Drei sehr verschiedene Brüder. Nur eines hatten sie gemeinsam: Sie waren berüchtigt als Schläger in Bars und Diskotheken. Anlass der Schlägereien waren meistens Mädchen, die zu anderen Männern gehörten. Das störte die Brüder wenig. Sie hielten sich für unwiderstehlich. In den Polizeiakten waren ihre Namen dick unterstrichen.
Der Zufall wollte es, dass Malermeister Enrique García von einer großen Baufirma aufgefordert wurde, den Anstrich eines Gartenpavillons zu übernehmen.
Es war kein gewöhnlicher Pavillon … er stand in dem riesigen Park von Juan Perón Toledo, und es war weniger ein Pavillon, als vielmehr ein großes Gewächshaus, in dem eine Orchideenzucht untergebracht war.
Orchideen gehörten neben Papageien zu den Lieblingen des Herrn Toledo. Vor allem zwei Arten konnten ihn entzücken: Die Amasiella pbilippinensis und die bizarre Dendrobium secundum. Jeden Tag saß er eine Stunde lang in dem Orchideen-Pavillon unter seinen geliebten Pflanzen, die Stunde, in der der knallharte Herr des Goldes vor der Schönheit kapitulierte.
Enrique García nahm den Auftrag an, nachdem er das Gewächshaus besichtigt hatte.
»Du musst mir helfen«, hatte er zu seiner Tochter Jessica gesagt. »Das ist eine große Arbeit. Ich brauche jemanden, der mir das Material zureicht.«
Von allen Geschwistern war Jessica als Einzige im Haus geblieben und hatte die Stelle der toten Mutter übernommen. Sie kochte, kaufte ein, putzte, betreute die Kaninchen, wusch und bügelte, flickte. Sie kümmerte sich um die alltäglichen Verrichtungen. Und sie war zufrieden damit.
Für Enrique García war Jessica immer das Kind geblieben, der Sonnenstrahl, der Haus und Familie erhellte. Und obwohl sie schon bald neunzehn Jahre alt wurde und ihre Schönheit der eines bunten Schmetterlings glich, eines Salatura genutia oder eines Troides magellanus vielleicht – Vater García kannte sich da aus, denn er sammelte Schmetterlinge und besaß etliche Glaskästen mit seltenen Exemplaren –, hatte es bisher noch kein junger Bursche gewagt, sich der schönen Jessica zu nähern. Dafür sorgten die drei Brüder. Wenn die Familie einen Ausflug machte, vor allem an Sonntagen nach dem obligatorischen Besuch der Morgenmesse in der Kirche, war mindestens einer der Brüder immer in ihrer Nähe und wehrte Interessenten ab wie lästige Mücken.
Solche Ausflüge hatten meist eine stille Bucht am Meer zum Ziel, wo ein rot, blau und gelb bemaltes Holzboot angepflockt war, mit dem der Vater hinausruderte, um Fische zu fangen. Und Fische gab es genug, vor allem den schmackhaften Plattfisch Labahita, den bunten Banak, eine Delikatesse, oder den populärsten Fisch der Philippinen, den man wie jenen Inselhäuptling nannte, der den spanischen Eroberer und Entdecker Ferdinand Magellan umgebracht hatte: Lapu-Lapu.
Jessica begleitete also ihren Vater in das Orchideenhaus, um ihm die Farbeimer zu tragen, die Pinsel zu waschen und beim Bau eines wackeligen Gerüstes zu helfen. Wenn Enrique hoch oben unter dem Dach balancierte und die Decke mit hellgrüner Farbe tönte, saß Jessica meistens zwischen den Orchideen und strickte oder nähte aus bunten Stoffresten kleine Decken zusammen. Jeden Monat kam ein Händler bei den Garcías vorbei, holte die kleinen Kunstwerke ab und hinterließ einen willkommenen Nebenverdienst. Die Deckchen tauchten dann in den Touristenzentren als Handarbeiten wilder Bergstämme auf … die dämlichen Fremden zahlten Wahnsinnspreise dafür und hängten sie zu Hause an die Wände.
Bei dieser Arbeit an einem Flickendeckchen sah Juan Perón Toledo das zierliche Mädchen, als er wieder einmal seine Orchideen besuchte. Er blieb hinter ihr stehen, blickte auf ihre flinken, zarten Hände, auf das schwarze, glänzende Haar, auf die apfelgroßen runden Brüstchen unter der dünnen Bluse und auf die braunen, schlanken Beine.
Jessica, die nicht wusste, wer hinter ihr stand, drehte den Kopf, sah einen stämmigen älteren Mann in einem ungepflegten Anzug, legte das Deckchen zur Seite und sagte:
»Geh weiter. Glotz mich nicht an! Was ist hier zu sehen? Wenn dich mein Bruder erwischt, hast du eine schiefe Nase.«
»Wie heißt du?«, fragte Toledo.
»Das geht dich nichts an!«
»Was machst du hier?«
»Ich helfe meinem Vater.« Sie zeigte mit dem Daumen zur Decke. »Dort ist er. Soll ich ihn rufen?«
»Das mache ich selbst.«
Toledo trat zwei Schritte zurück, winkte Enrique García zu und rief hinauf:
»Komm runter! Ja, komm runter. Es ist wichtig. Ich will deine Tochter heiraten.«
So, erzählte man sich, soll es sich zugetragen haben.
Die Hochzeit war kein großes gesellschaftliches Ereignis, keine prunkvolle Feier, kein Volksfest, wie man es von Toledo erwartet hatte.
Ganz still, im Kreise der Familie García, vollzog ein Priester im Gartensaal der Villa die Trauung. Nur der Bürgermeister von Davao war als Gast anwesend, um den behördlichen Akt vorzunehmen. Dafür erhielt er einen Scheck für ein neues Kinderheim, und auf dem weitläufigen Grund seines Anwesens ließ Juan Perón eine Kapelle bauen zu Ehren des Heiligen San Isidro, des Schutzheiligen der Farmer. Das entsprach der Einstellung Toledos. Er sagte immer: »Ich bin nur ein Farmer. Die einen ernten Reis, ich ernte Gold.«
Das alles lag ein halbes Jahr zurück.
Jessica, nun die reichste Frau Mindanaos, hatte das Regiment im Hause Toledo übernommen, von allen geliebt, von allen bewundert, von allen beneidet und von allen umschmeichelt. Juan Perón näherte sich dem fünfzigsten Geburtstag. Er hatte den Gipfel seines Lebensberges erreicht … er verfügte über einen Reichtum, den nur er kannte, und hatte eine wunderschöne junge Frau, die sein Herz verjüngte und sein Alter erwärmen würde.
Es war die Zeit gekommen, da er umdenken musste.
Toledo, von jeher ein Mann des impulsiven Entschlusses, rief in der Bank an und verlangte Belisa García zu sprechen.
»Komm heute Abend zu mir«, sagte er. »Um zwanzig Uhr.«
»Ist etwas mit Jessica?«, fragte Belisa besorgt.
»Es ist alles in Ordnung.«
»Bekommt sie ein Kind?«
»Wir wünschen es uns. Wenn Gott unser Rufen erhört …«
»Soll ich allein kommen?«
»Ja. Allein.«
Belisa García ließ sich an diesem Abend von ihrem ältesten Bruder Miguel, dem Schmied, zu Toledos weißem Palast bringen. Seit Jessica die Obhut ihrer Brüder nicht mehr nötig hatte, weil zehn Bodyguards sie bewachten, bildeten die drei Muskelmänner abwechselnd das Begleitkommando für die noch unverheiratete andere Schwester. Belisa hatte sich dagegen gewehrt … aber wie kann man sich gegen Brüder wehren, die ihre Schwester abgöttisch lieben?
»Ich warte auf dich«, sagte Miguel, als sie vor dem Säulenportal der Villa hielten. »Oder nein – ich komme mit.«
»Ich soll allein kommen, Miguel.«
»Das gefällt mir nicht. Warum allein? Wir sind eine Familie … «
»Du magst Juan Perón nicht …«
»Er ist unheimlich. Sieht Jessica eine Minute lang und heiratet sie. Ist das normal? Ich habe das nie begriffen.«
»Die Liebe kann wie ein Blitz sein.«
»Aber ein Blitz tötet.«
»Jessica ist glücklich.«
»Er überhäuft sie mit Kleidern und Schmuck. Das ist alles. Und seine welke Haut muss sie massieren, damit er einen hoch kriegt.«
»Du bist ein Schwein, Miguel!« Sie stieg aus dem Wagen. Ein Butler öffnete die vergoldete Flügeltür des Eingangs und verbeugte sich tief. »Warte nicht auf mich. Juan Perón wird mich nach Hause bringen lassen.«
Sie betrat das Haus. Die riesige Eingangshalle beeindruckte sie immer wieder. Marmorsäulen, geschnitzte Decken, vergoldeten Lampen, alte, persische Teppiche, die jedes Museum schmücken würden. Sie folgte dem Butler hinaus auf die überdeckte Terrasse, von der man einen weiten Blick über den Park hatte. Über die Blumenrabatten, die Palmengruppen, den künstlichen See mit den Krokodilen, das Orchideenhaus und die Allee, die hinunter bis zum Meer führte.
Nur etwas störte: die bewaffneten Männer, die über den Park verteilt jeden Winkel des Grundstücks überwachten. Wohin Juan Perón auch ging … er war, manchmal unsichtbar, von Maschinenpistolen umgeben.
Reichtum kann einsam machen.
Toledo erwartete Belisa auf der Terrasse. Ein großer Tisch war mit den köstlichsten Speisen gedeckt, zwei Diener standen im Hintergrund, bereit, auf jeden Wink zu reagieren, ein Pfau vor der Treppe zum Park schlug sein schillerndes Rad.
»Sei gegrüßt.« Toledo trug eine weiße Hose und ein hellblaues Seidenhemd, unter dem sich sein muskulöser Oberkörper abzeichnete. Durchaus nicht der Körper eines alternden Mannes. Er kam Belisa entgegen, umarmte sie und küsste sie auf beide Wangen.
Er riecht nach Zitronen und Moschus, dachte Belisa. Nicht erotisch, aber anziehend. Belisa nahm den Kopf zurück. Sie blickte sich um und sah Toledo dann fragend an.
»Wo ist Jessica?«
»In einem Konzert. Die Davoa-Symphoniker. Beethoven, Ravel.«
»Du hast sie weggeschickt?«
»Du weißt, Jessi liebt Musik.«
»Und du gehst nicht mit?«
»Ich verstehe zu wenig davon. Vielleicht lerne ich es noch. Ich werde mich bemühen. Das ist auch ein Teil dessen, worüber ich mit dir sprechen will. Jessi hat mich einmal in ein Konzert mitgenommen. Wagner. Als die Pauken losdonnerten, musste ich sofort an die Sprengungen im Berg denken.« Er hob die Schultern. »Ich kann nichts dafür, Belisa. Mein Leben war bisher davon bestimmt. Bisher …« Er zeigte auf den gedeckten Tisch. »Setzen wir uns.«
»Was heißt bisher?« Belisa nahm Platz und musterte ihren Schwager.
Bisher – das klang nach Veränderung.
»Du hast eine gute Auffassungsgabe und reagierst sofort. Das gefällt mir. Auch deshalb sind wir heute zusammen. Allein. Was ich zu sagen habe, geht nur dich und mich an. Zurzeit jedenfalls.« Er griff nach dem Glas Wein, das einer der Diener sofort einschenkte, und hielt es Belisa entgegen. »Auf dein Wohl, Schwägerin.«
»Auf mein Wohl?« Sie nahm einen kleinen Schluck und stellte das Glas auf den Tisch zurück. »Du hast etwas vor, Juan Perón.«
»Erraten.«
»Und es hängt mit mir zusammen?«
»Kluges Kind. Diese Klugheit mag ich an dir. Und deine Zähigkeit, deinen Blick für das Reale, deinen erlernten Umgang mit Zahlen, die Flamme, die in dir brennt und die keiner sieht. Du bist ein schlafender Vulkan, den man nur anzubohren braucht, damit er ausbricht …«
Toledo holte Atem. Diese Pause benutzte Belisa um zu sagen:
»Bist du fertig mit diesem Blödsinn?«
»Nein. Ich fange erst an.« Toledo griff nach einer Kristallschale mit geeistem Obstsalat und aß zwei Löffel voll davon. »Ich werde fünfzig.«
»Man sieht es dir nicht an.«
»Es geht schneller, als man denkt, als man es sich wünscht. Ich kann mir alles kaufen, alles … nur nicht die Jugend. Nicht das Aufhalten der Jahre. Nicht ein Stillstehen auf dem Höhepunkt der Kraft. Und dann fragt man sich: Hat sich dieses Leben gelohnt? Dieses verdammte, umkämpfte Leben. Was bringen die Narben, die du zurückbehalten hast? Was hast du erreicht?«
»Du bist der reichste Mann von Mindanao. Vielleicht der reichste Mann des ganzen Landes … mit Ausnahme der korrupten Präsidenten wie Marcos. Was willst du mehr?«
»Leben! Nicht um mein Leben kämpfen, sondern mein Leben genießen. Die kommenden zwanzig oder dreißig Jahre glücklich sein. Glücklich sein mit Jessica, deiner Schwester. Glücklich sein irgendwo auf dieser weiten, schönen Welt, die ich nicht kenne und die ich endlich kennenlernen möchte. Wie oft stehe ich vor dem Globus und drehe ihn hin und her. Und dann sage ich mir: Was hast du alles verpasst?! Du hast nur geschuftet und Gold zusammengescheffelt, du hast nur deinen verfluchten Diwata-Berg gekannt und den Dschungel und dreißigtausend schwitzende Digger, die sich für dich in den Felsen wühlen, um dich noch reicher zu machen. Und da … da ist die übrige Welt, die du verpasst hast. Und ich frage mich weiter: Ist es schon zu spät, das alles nachzuholen, und ich antworte mir: Nein! Es ist nicht zu spät! Du hast eine wundervolle junge Frau, du bist noch stark genug, diese ganze Welt an deine Brust zu drücken, du kannst es noch. Und nun zögere nicht. Tu es. Tu es! Stürz dich auf diese Welt, und wenn du einmal die Augen schließt, dann kannst du sagen: Diese Augen haben alles gesehen, was ein Mensch sehen kann. Du hast die Welt umarmt.« Er holte tief Atem und sah Belisa mit flackernden Augen an. »Das ist mein Ziel. Und deshalb sitzen wir jetzt zusammen.«
»Was … was hat das mit mir zu tun?« Belisas Stimme war leise und fast erschrocken. Sie erkannte Juan Perón nicht wieder. Vor ihr saß ein fremder Mann, der ihr gestand, dass er sich innerlich zerfleischte. Ein Opfer seines Reichtums. Zugeschüttet vom Gold.
»Um es kurz zu machen: Ich möchte die Leitung der Mine abgeben.«
»Du willst verkaufen?«
»Abgeben ist nicht verkaufen. Bisher habe ich alles allein gemacht. Mit ein paar Verwaltungsdirektoren, die nichts waren als mein Sprachrohr. Knechte, die blass wurden, wenn ich hustete. Niemand, der mir eine Entscheidung abnahm. Der einen Vorschlag aus der Tasche zog. Der eine Idee entwickelte. Nur Duckmäuser, die mir in den Arsch krochen. Das habe ich alles satt, satt, satt. Seit ich Jessica liebe, weiß ich, dass es ein anderes Leben gibt. Und das will ich jetzt genießen. In vollen Zügen genießen. Unbelastet. Frei sein! Mein Gott, wie habe ich immer die Freiheit gesucht, mein ganzes Leben lang. Freiheit! Das höchste Gut des Menschen. Dafür habe ich geschuftet. Und ich wurde reicher und reicher und reicher … und verlor immer mehr den Weg in die Freiheit. Ich habe mich selbst gefesselt. Jetzt möchte ich das alles von mir werfen …«
»Und wie denkst du dir das?«, fragte Belisa. Sie spürte eine Art Krampf, der ihr das Herz zusammenpresste. Er ist verrückt, dachte sie erschrocken. Total verrückt. Wie kann man an Reichtum zugrunde gehen? Wie kann Reichtum krank machen? Wie kann man Reichtum beklagen?
»Wie ich mir das denke?«, wiederholte er ihre Frage. »Ich übergebe.«
»An wen?«
»An ein Management.«
»Ein Konsortium?«
»Nein.«
»An eine Bank?«
»Um Himmels willen, nein!«
»Gründung einer Aktiengesellschaft?«
»Nein! Alles soll in der Familie bleiben.«
»Eine Familienstiftung?«
»Aus dir spricht der Bankfachmann. Denk einfacher. Ich brauche einen Manager, der für mich die Geschäfte leitet. Nicht hier in Davao, sondern vor Ort. Am Berg. In Diwata. Einen Manager, der sich nicht vor dreißigtausend Entwurzelten fürchtet. Der sie im Griff hält. Der mit dem Teufel leben kann. Jemand, der die Hölle am Kochen hält …«
»Und wen hast du dafür ausgesucht?«
»Dich!«
Einen Augenblick lang hing völlige Stille zwischen ihnen. Nur Belisas Augen weiteten sich, und ihr ganzer Körper drückte Entsetzen aus.
»Du … du bist verrückt, Juan Perón …«, sagte sie dann. Ihre Stimme verlor sich in Heiserkeit und wurde fast unhörbar. »Du bist wirklich verrückt.«
»Ich habe das lange überlegt. Ich weiß keinen besseren Manager für Diwata als dich.«
»Ich? Unmöglich.«
»Das Wort unmöglich habe ich nie gekannt. Ich kenne es auch jetzt nicht. Ich höre es gar nicht. Du wirst die Mine übernehmen.«
»Nein.«
»Ich biete dir eine Beteiligung von fünfzig Prozent am Gewinn.«
»Nein!« Jetzt schrie sie, so explosiv, dass die Diener an der Terrassentür verschreckt zusammenzuckten. »Ich nicht!«
»Nur du.« Toledo löffelte wieder ein paar Bissen des Fruchtsalates. »Ich habe dich ein halbes Jahr beobachtet. Und ich weiß, dass du gar nicht ahnst, was in dir steckt. Ich brauche nur in deine Augen zu sehen. So sanft Jessica ist, so wild ist dein Blut. Du wirst den Diwata-Berg übernehmen. Ich weiß es … und jetzt, in diesem Augenblick, weißt du es auch! Du wirst es für deine Familie tun.«
»Warum gerade ich?« Sie schrie wieder. Toledo winkte den Dienern. Geht! Sie zogen sich sofort ins Innere des Hauses zurück und schlossen die Terrassentüren hinter sich. »Meine Brüder …«
»Sie gehen natürlich mit.« Juan Perón prostete Belisa wieder mit dem Wein zu, aber sie rührte ihr Glas nicht an. Mit geballten Fäusten hockte sie auf dem Stuhl. Ein Bündel konzentrierter Abwehr. »Hast du nie Träume gehabt?«, fragte Toledo.
»Was geht das dich an?«
»Träume von Reichtum?«
»Wer träumt nicht davon, reich zu sein?«
»Du wirst es sein.«
»Indem ich im Dschungel verschimmele?«
»Du wirst die Mine führen wie kein anderer Mann.«
»Ich bin kein Mann. Ich bin ein kleines Mädchen. Ein Meter achtundfünfzig klein …«
»Die kleinsten Hunde bellen am lautesten. Die meisten Eroberer und Staatsmänner waren klein. Napoleon war klein. Friedrich der Große war klein. Mao Tsedong war klein. Auch du bist zum Herrschen geboren. Zum Herrschen über den Goldberg Diwata.« Er beugte sich über den Tisch zu ihr vor. »Ich weiß von Jessica, dass du von einem Schloss geträumt hast. Am liebsten hast du Märchen gelesen und sie dann Jessica erzählt. Und du hast immer gesagt: Ich möchte einmal in einem Schloss wohnen. Ich möchte reich sein. So reich wie eine Prinzessin. Wie eine Prinzessin im Märchen. Wenn ich etwas anfasse – ein Sandkorn, ein Blatt, eine Blume, irgendetwas – es soll in meinen Händen zu Gold werden. Ja, das hast du gesagt. Stimmt es?«
Belisa zögerte, dann nickte sie stumm. Die Märchen von den goldenen Prinzessinnen. Sie kannte sie jetzt noch auswendig.
»Streck die Hände aus … und alles wird zu Gold!«, sagte Toledo in ihre Gedanken hinein. »Vor dir liegt ein Berg aus Gold, und dreißigtausend Männer holen es für dich aus den Schächten. Für dich und für mich … wie ich dir angeboten habe: Halbe-halbe.«
»Wie kann ich dreißigtausend Männer befehligen, wenn ich nicht mal meine Brüder im Griff habe?!«
»Irrtum. Du merkst es nicht, aber ich sehe es: Diese drei Wilden fressen dir aus der Hand. Sie beten dich an. Du bist für sie eine zweite Sonne.«
»Das ist nicht wahr. Das ist immer Jessica gewesen.«
»Sie ist jetzt mein Weltall. Ich weiß, ich habe sie deinen Brüdern weggenommen. Sie mögen mich nicht. Und das freut mich. Mein Geld blendet sie nicht. Sie sind eine ganz besondere Sorte Mensch. Genau die Außenseiter, die ich am Diwata brauche. Du, zusammen mit ihnen, wirst der beste Manager sein für diesen Job … und du wirst einmal durch den Garten und die Räume deines Märchenschlosses gehen und sagen: Ich träume nicht. Ich träume nicht. Alles gehört wirklich mir. Alles! Alles!«
»Wann soll ich die Mine übernehmen?«
Sie fragte es plötzlich und so nüchtern, dass Juan Perón unwillkürlich zusammenzuckte. Auch ihre Stimme hatte sich verändert … sie klang kalt und bestimmt.
»Sofort. Ich werde in drei Wochen mit Jessica nach Europa fliegen. Nach Venedig, nach Paris, nach Rom, nach London … ich weiß noch nicht, was wir alles besuchen werden. Wir werden uns durch die Welt treiben lassen.«
»Und wann kommt ihr zurück?«
»Das weiß ich auch nicht. In einem Jahr, in zwei Jahren … ich will keine Tage oder Monate mehr zählen.«
»Das heißt: Ich bin Herrin der Mine?«
»Zu fünfzig Prozent.«
»Wer wird regieren?«
»Regieren. Welch ein Wort! Aber du hast es erfasst. Man muss regieren. Du wirst regieren.«
»Und ich habe freie Hand?«
»Solange es uns nutzt und du Erfolg hast.«
»Und wenn ich keinen Erfolg habe?«
»Dann hast du mich enttäuscht.« Toledo hob wie bedauernd die Schultern. »Ich würde sehr traurig sein.«