Wie Sie sich schon jetzt schützen

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Originalausgabe
1. Auflage 2021
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Redaktion: Ulrich Wille
Korrektorat: Silvia Kinkel
Umschlaggestaltung: Sonja Vallant, München
Umschlagabbildung: © Wiesslaw Smetek
Satz: Helmut Schaffer, Hofheim a. Ts.
eBook: ePUBoo.com
ISBN Print 978-3-95972-482-1
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-914-7
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-915-4

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Für meinen Radsporttrainer, ersten Börsenmentor und Mentor meiner ersten Schritte am Mikrofon
Hans-Dieter Buthmann
*12.08.1939 † 25.03.2021
Vorwort von Hendrik Leber
Einführung
Kapitel 1: Die Corona-Pandemie: Einschneidender als alles zuvor
Corona-Crash hatte auch markttechnische Gründe
Falsche Vergleiche mit den 1930er-Jahren
Zentralbanken sind omnipotent
Staatliche Konjunktur- und Hilfsprogramme im Überfluss
Von der schwarzen Null zur Bazooka
China wieder der Retter in der Not
Fazit:
Kapitel 2: Die Inflation kommt
Inflationstreiber 1: Aufgestaute Nachfrage trifft auf verringertes Angebot
Inflationstreiber 2: Deglobalisierung der Lieferketten
Inflationstreiber 3: Rohstoffknappheit
Inflationstreiber 4: Lohninflation
Inflationstreiber 5: Mieten und Immobilienpreise
Inflationstreiber 6: Machtlose Notenbanken
Inflation – Folge und gleichzeitig Lösung des Verschuldungsproblems
Keine Hyperinflation
Ein Plädoyer für MMT
Die großen Herausforderungen für Deutschland und Europa
Unsere Arbeitswelt wird sich massiv verändern
Fazit:
Kapitel 3: Die Schuldenepoche: 1987 bis heute
Vor der Lehman-Pleite: Sonnige Zeiten mit vereinzelten Gewittern
Chronik der Lehman-Pleite
Die Euro-Krise
Fazit:
Kapitel 4: Die Geschichte der Wirtschaft ist auch eine von großen und kleinen Krisen
Die »Mutter aller Krisen«: Die »Great Depression« ab 1929
Die Ölkrise der 1970er-Jahre
Die Japankrise der 1990er-Jahre
Fazit:
Kapitel 5: Das System Geld
Funktionen des Geldes
Die Deflation
Die Inflation
Kapitel 6: Inflation als Chance – nicht nur schützen, sondern profitieren
Konventionelles Sicherheitsdenken bietet keinen Inflationsschutz
Traditionell im Fokus der Bemühungen: Der Kapitalerhalt
Gold: Kernanlage für den Inflationsschutz
Immobilien: Lage, Lage, Lage
Inflationsgeschützte Anleihen – realer Kapitalerhalt
Bitcoin und andere Kryptowährungen
Fazit:
Anmerkungen
Über den Autor
»Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.« So spricht der Zauberlehrling in Goethes bekannter Ballade aus dem Jahr 1797. Die Flut an Wasser (heute würde man Liquidität sagen) steigt und steigt, weil der Zauberlehrling zwar eine Entwicklung in Gang setzen, aber nicht mehr stoppen kann.
Die Notenbanken sind unsere modernen Zauberlehrlinge. Sie haben seit 30 Jahren jedes Problem mit mehr und mehr Geld geflutet. Die Staaten haben zeitgleich gelernt, dass man mehr und mehr Schulden machen kann und (bei Negativzinsen) für das Schuldenmachen sogar noch bezahlt wird.
Lässt sich diese Entwicklung überhaupt noch stoppen und zurückdrehen? Sollte man sie stoppen? Stimmen die volkswirtschaftlichen Modelle der »solide und sparsam wirtschaftenden Hausfrau« möglicherweise gar nicht? Und die ganz große Frage lautet – wer bezahlt am Ende eigentlich für die riesigen Schulden- und Geldmengen? Wer tilgt die Schulden, und bekommen alle Gläubiger ihr Geld wieder zurück?
Diese und ähnliche Diskussionen führe ich mit Stefan Riße seit Ende der 1990er-Jahre, als wir gemeinsam im Frankfurter Traditionscafé Wacker versuchten, den Geschäftsbericht der Deutschen Telekom zu verstehen und mit dem damaligen Börsenhype in Einklang zu bringen. Wir konnten es nicht, und die Kursentwicklung gab uns nachher Recht. Und wir lernten gemeinsam: Wenn etwas keinen Sinn ergibt, dann liegt es häufig nicht an unserem mangelnden Verständnis, sondern an einer verzerrten Realität.
Seit Stefan Riße bei ACATIS Investment als Kapitalmarktstratege begann (sein erster Arbeitstag 2018 startete mit einem Flug nach Omaha zu Warren Buffett), diskutieren wir die volkswirtschaftlichen Entwicklungen regelmäßig. Wir fühlen uns beide mit der Verantwortungslosigkeit von Politik und Notenbanken sehr unwohl und sind uns einig, dass ein Teil des Preises für die sorglose Politik vom Bürger und Anleger in Form von Inflation gezahlt werden wird. Als professionelle Firmen können wir uns von Banken einen gezielten Schutz gegen Inflation schneidern lassen. Aber wie sieht es für Privatanleger aus?
Stefan Riße war es wichtig, einen großen historischen Bogen zu schlagen. Die Krisen von gestern sind schnell vergessen, und viele jüngere Anleger kennen sie nur vom Hörensagen. Wer keine volkswirtschaftliche Ausbildung hat, dem fehlen heutzutage wichtige Basisinformationen. Darum dieses Buch.
Bisher ist noch alles gut gegangen – die Inflation ist moderat, die Schulden werden vom Markt finanziert, die Warnungen gingen bisher ins Leere. Endet diese Phase der Ruhe bald? Brennt irgendwo schon eine Zündschnur?
In diesem Buch schildert Stefan Riße die starken Kräfte, die derzeit die Inflation fördern. Er gibt einen Rückblick auf die Historie der Institutionen und Krisen, die zu der heutigen Situation geführt hat. Und er argumentiert, dass man sich durchaus schützen kann.
Dr. Hendrik Leber1
Deutschland Anfang März 2021. Das Land befindet sich noch immer in der zweiten Corona-Welle und liegt weitestgehend lahm, zumindest was das gesellschaftliche Leben betrifft. Restaurants, Kinos, Theater, Museen, Einzelhandel, Baumärkte, körpernahe Dienstleistungen wie Tattoo-Studios oder Massagepraxen, alles ist geschlossen. Nach der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg im zweiten Quartal 2020 bahnt sich das nächste Quartal mit rückläufiger Wirtschaftsleistung an. Die versprochenen unbürokratischen Hilfen sind bürokratisch wie alles hierzulande, und vielen Selbstständigen steht das Wasser bis zum Hals. Gäbe es nicht die Aussetzung der Insolvenzpflicht bei Zahlungsunfähigkeit, würde das Land eine nie da gewesene Pleitewelle erleben. Mehr oder minder sieht es in der gesamten westlichen Welt auch so aus, wobei die USA – unter Präsident Donald Trump zunächst planlos in die Pandemie gestolpert – nun mit ihrer Impfstrategie Deutschland und die meisten anderen Länder der Europäischen Union deutlich überholen. Nur das kürzlich ausgeschiedene Großbritannien macht es auch besser, was den Brexit aber nicht besser macht. Doch auch wenn es manche extrem hart trifft, die kollektive Angst vor einer schweren und langen Rezession mit hoher längerer Arbeitslosigkeit will sich nicht einstellen. Die Aktien legen rund um den Globus nach kurzem scharfem Rücksetzer zu, befinden sich fast überall auf Rekordniveau und scheinen als Seismograf eine rosige Zukunft zu verheißen. Ist die Durchimpfung so weit fortgeschritten, dass geöffnet werden kann, sollte es kräftig nach oben gehen. Den USA wird für 2021 ein Wirtschaftswachstum von 7 Prozent vorausgesagt.
Wir scheinen mit unserem Geldsystem das Perpetuum mobile gefunden zu haben. Zwar sind wir nicht immun gegen Krisen, diese tauchen immer wieder auf und sind wohl nicht zu vermeiden, aber wir haben offensichtlich einen sicheren Weg gefunden, wie wir uns sehr schnell aus diesen wieder befreien können und der nächste Wirtschaftsaufschwung eingeleitet wird, der uns dann zu noch mehr Wohlstand führt. Die Staaten gehen ganz einfach in die Vollen, leihen sich Geld und kurbeln damit die Konjunktur an. Die dadurch entstehenden Schulden übernehmen die eigenen Notenbanken, indem sie ganz einfach die Staatsanleihen aufkaufen, die der Staat zur Finanzierung herausgibt. Außerdem senken sie die Zinsen bis auf null und kurbeln so auch die Kreditvergabe im privaten Bereich an. Kurz darauf wächst die Wirtschaft wieder, es entstehen Arbeitsplätze und die Krise ist abgehakt.
Zu schön, um wahr zu sein? Könnte man meinen, doch den Skeptikern ist zu entgegnen, dass diese Politik doch schon nach der Finanzkrise angewendet wurde und sich seither bewährt hat. Ihre Kritiker wurden also durch nun bald 13 Jahre Praxis widerlegt und wenn man Japan mit einbezieht noch viel länger. Dort finanzierte die Notenbank schon vor der Finanzkrise den eigenen Staat. Negative Nebenwirkungen gab es offenkundig keine. Auch die Inflation, die viele von der Politik dieser Geldvermehrung erwarteten – ich gehörte auch dazu, wie einige Leser sicherlich wissen –, stellte sich nicht ein.
Was jedoch eintrat, war das, was eine Inflation üblicherweise mit sich bringt, nämlich ein negativer Realzins – also ein Zins, der unter der Inflationsrate liegt. Dieser sorgt dann real betrachtet für ein sukzessives Auffressen der in festverzinslichen Anlagen befindlichen Ersparnisse. Nur stieg diesmal nicht die Inflation über den Zins, sondern der Zins sank so weit ab, dass er unter die Inflation rutschte, obwohl sich diese nie über dem Zielsatz der Notenbank befand. Im Ergebnis war es für Sparer das gleiche Ergebnis, ihre Ersparnisse schrumpften real betrachtet. Insofern war es schon nach der Finanzkrise richtig, auf Sachwerte wie Gold, Immobilien, aber natürlich auch Aktien zu setzen.
Aus Sicht des Verbrauchers kam es allerdings nicht zu durchgehend höheren Preisen beim Bezahlen an der Kasse. Also müssen wir uns keine Sorgen machen und können uns nach der Durchimpfung der Gesellschaft und dem Ende des Lockdowns auf den nächsten schönen inflationsfreien Wirtschaftsaufschwung freuen? Es hört sich zu schön an, um wahr zu sein, und der gesunde Menschenverstand – so man über ihn verfügt – sagt einem unüberhörbar, dass es so einfach nicht sein kann.
Doch ich will gleich eines vorwegnehmen: Sie halten nicht das Buch eines Crashpropheten in der Hand, der die große Katastrophe verkündet, den Systemcrash, die Währungsreform, die Hyperinflation, in der alle Vermögen vernichtet werden, oder den repressiven Staat, der uns alle enteignet. Es gibt für all diese Prognosen überhaupt keine logische Herleitung. Mag sein, dass man mit so steilen Thesen Bücher verkauft, mit der Realität haben sie nichts zu tun.
Warnt jemand vor Inflation, so wie ich es tue, dann vermutet man ihn zunächst im Lager der Österreichischen Schule, deren prominentester Ökonom Friedrich August von Hayek war. Diese Lehre steht für eine durch reale Güter wie etwa durch Gold gedeckte Währung, in der der Markt den Zins bestimmt und nicht die Notenbanken. Doch weit gefehlt, diese Idee ist ein vollkommener Irrweg. Auch bin ich nicht gegen die aktuelle Politik der Notenbanken und war es auch nach der Finanzkrise nicht. Da, wo wir angekommen sind, ist sie die beste Alternative, denn viel zu weit ist der Rubikon überschritten, als dass zu einer konservativen Geld- und Fiskalpolitik zurückgekehrt werden könnte. Dieser Weg würde in eine Katastrophe führen. Ich erkenne einfach nur an, dass Inflation eine unvermeidliche und auch notwendige Folge der Fiskal- und Geldpolitik sein wird, keine galoppierende, aber eine trabende.
Denn natürlich haben sich durch das über Jahrzehnte überproportionale Wachstum der Verschuldung und der Geldmenge Ungleichgewichte aufgebaut. Denn mag der Wohlstand in den vergangenen Jahren auch gestiegen sein, er wuchs sehr ungleichmäßig für die einzelnen gesellschaftlichen Schichten.
Donald Trump und die Bewegungen, die er vertrat und noch vertritt, Boris Johnson und sein Brexit, der Front National in Frankreich, die Lega Nord in Italien, aber auch die AfD in Deutschland und andere extreme Bewegungen sind kein Zufallsprodukt. Sie wurden zu großen Teilen nach oben gespült durch diejenigen, die von der Globalisierung der vergangenen drei Jahrzehnte nicht profitieren, die nicht Teilhabe an den Wohlstandsgewinnen hatten, sondern sich zunehmend abgehängt fühlen. Die größten Zuwächse hatten vor allem diejenigen, die Kapitaleinkommen hatten, weil sie massiv von den steigenden Aktien-, Anleihen- und Immobilienpreisen profitieren. Lohneinkommen stiegen nur für die hochqualifizierten und in Führungspositionen befindlichen Arbeitnehmer, die vom Erfolg ihrer Firmen profitierten und als Fachkräfte den rasanten technischen Fortschritt gestalteten. Sie waren gefragt und profitierten von steigenden Gehältern. Die Menschen mit geringerer Qualifikation, die sich in den unteren Lohngruppen befinden, erlebten lange Zeit gar keine Realeinkommenssteigerungen mehr. Teilweise fielen ihre Reallöhne sogar. Relativ gesehen zu den anderen Einkommen sogar sehr deutlich. Und nicht nur die unteren Lohngruppen, auch die mittleren haben wenig Zuwachs in den vergangenen Jahren erfahren. Dazu kamen steigende Preise weit über der Inflation. Wer seinen Arbeitsplatz in einem Ballungsgebiet hat und keine Immobilie besitzt, der muss heute immer größere Teile seines Lohns für Miete aufwenden. Es ist schön, dass die Inflation in den vergangenen Jahren im Durchschnitt nie mehr als 2 Prozent betrug, doch nützt es dem im Rhein-Main-Gebiet tätigen Berufstätigen eben gar nichts, wenn günstige Mieten auf dem Land in Mecklenburg-Vorpommern die durchschnittlichen Mietsteigerungen herunterziehen. Sein Job ist eben im Rhein-Main-Gebiet, wo die Immobilienpreise und auch die Mieten explodiert sind. Hier hat sich in den vergangenen Jahren ein großer Druck aufgestaut. Wollen wir unseren sozialen Frieden bewahren, das wichtigste aller politischen und ökonomischen Ziele, wird es Veränderungen geben müssen. Und diese werden Geld kosten und die Preise steigen lassen.
Obwohl weite Teile der Wirtschaft sich noch im Lockdown befinden, spüren wir bereits, wie sich die Inflation anschleicht. Viele Preise klettern bereits. Und es wird nicht bei Einmaleffekten bleiben, weil es langfristige Trends gibt wie den ökologischen Umbau unserer Volkswirtschaften und die sich verändernde Demografie, die für höhere Preise sorgen werden. Gerade für uns Deutsche wird dies zu einer enormen Herausforderung. Da sich viele allein auf die staatliche Rente verlassen, die den Lebensstandard im Alter nicht mehr wird erhalten können, sind Sparen und der Aufbau einer parallelen Altersvorsorge dringend geboten. Doch diese lohnt sich nur, wenn die Anlage auch einen Ertrag abwirft und man vom sogenannten Zinseszins profitiert. Liegen die Zinsen aber bei null, gibt es auch keinen Zinseszins, stattdessen frisst auch schon eine geringe Inflation das Ersparte auf und die Altersarmut ist vorprogrammiert. Doch so weit muss es nicht kommen. Jeder kann frei entscheiden, wie er sein Geld anlegt. Und schon mit 100 Euro im Monat in der richtigen Anlage lässt sich über längere Zeiträume ein nennenswerter Betrag ansparen. Dieses Buch analysiert und erklärt daher nicht nur, warum wir an höheren Inflationsraten nicht vorbeikommen, sondern zeigt Wege auf, wie der Leser daraus sogar großen Nutzen ziehen kann.
Stefan Riße
Frankfurt im März 2021
Die Corona-Pandemie und die Krise, die sie auslöste, sind mit den vorherigen Krisen nicht vergleichbar. Diese entstanden in der Wirtschaft selbst, am Finanzmarkt oder am Immobilienmarkt. Meistens hatte es vorher zu viel Kredit und Verschuldung gegeben, die Geldpolitik wurde restriktiver und die Blase platzte. Es ist vergleichbar mit einem Rad, dem plötzlich die Schmiere ausgeht, so dass es aufhört, sich zu drehen. An den Finanzmärkten geht der Crash zwar auch schnell, aber die Wirtschaft bremst zunächst langsam ab, bevor sie dann in eine Rezession rutscht. So haben wir es immer und immer wieder in verschiedenen Ausformungen erlebt. Doch in der Corona-Pandemie war es so, als hätte jemand dem sich ordentlich drehenden Rad einen Stock in die Speichen gesteckt, so dass es abrupt stehen blieb.
Zu vergleichen ist die Situation wahrscheinlich am besten mit einer Volkswirtschaft, die überraschend in einen Krieg gezogen wird. Die Menschen gehen aus Angst vor dem, was kommt, und den Bomben nicht mehr aus der Wohnung, und das wirtschaftliche Leben kommt zu weiten Teilen zum Erliegen. Diesmal allerdings wurde das Erliegen staatlich angeordnet. Während man das Entstehen der Finanzkrise –wie in den folgenden Kapiteln noch sehr ausführlich beschrieben wird – in seinen ganzen Verästelungen erklären muss, damit Ursachen und Wirkung deutlich werden, kann die Corona-Krise jeder nachvollziehen. Dafür muss man sich in seinem Leben nicht mit Volkswirtschaft beschäftigt haben. Denn wir haben ihn ja alle selbst erlebt, den plötzlichen Lockdown, die Ausgangssperren. Mit einem Mal standen fast alle Räder still. Länder, die sich dem zunächst widersetzten, wie Brasilien oder Schweden, zahlten einen hohen Preis und zogen später notgedrungen nach. Natürlich, man hätte es schon auch ahnen können, denn in China gab es das Virus und dann auch in Norditalien, aber ich glaube, wir alle, oder sagen wir die meisten von uns – mich eingeschlossen – konnten sich nicht vorstellen, dass plötzlich die Welt buchstäblich stillstehen würde. An die Vogelgrippe und an Ebola habe ich durchaus sehr genaue Erinnerungen, denn sie hinterließen ihre Spuren an den Finanzmärkten, deren Verfolgung mein Beruf und gleichermaßen mein Hobby seit über 35 Jahren ist. Aber sie erreichten uns und unsere Realwirtschaft nicht. Auch gab es im »Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012« von der Bundesregierung für den Deutschen Bundestag eine Modellierung einer »Pandemie durch Virus Modi-SARS2«, die dem Verlauf der Corona-Pandemie sehr nahekommt, doch wer hatte den Bericht schon gelesen? Und so erlebten wir im zweiten Quartal 2020 die weltweit schwerste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg.
Ist die Pandemie beendet aufgrund von Durchseuchung oder Durchimpfung, worauf es hinausläuft, geht ähnlich wie nach Beendigung eines Krieges – so es keinen politischen Umsturz gab – das Leben natürlich wieder normal weiter. Die Frage ist nur, wie viel zuvor zerstört wurde oder durch den wirtschaftlichen Stillstand einfach weggestorben ist. Genau diese Frage stellte sich wegen des Lockdowns insbesondere für besonders stark betroffene Branchen. Dazu gehörten Hotels, Fluglinien, Busunternehmen, Kreuzfahrtunternehmen, kurzum alles, was mit Tourismus zu tun hat. Restaurants wurden ebenfalls hart getroffen, wie auch die Eventbranche. Nicht zu vergessen ist der Einzelhandel, den es ebenfalls schwer erwischt hat. Zu befürchten war eine Kettenreaktion, in deren Folge sich eine nie da gewesene Pleitewelle anschließen würde. Diese Angst nahmen die Finanzmärkte vorweg, als sich abzeichnete, dass das Virus nicht auf China beschränkt bleiben würde und sich auch nicht auf Norditalien begrenzen ließ, wo es in Europa zuerst nachgewiesen worden war.

US-BIP reale Veränderung zur Vorwoche in Prozent
Quelle: Borodovsky, Lev (2020): »The Daily Shot: Online Job-Seeking Activity Slows«, The Wall Street Journal online, 31.07.2020, https://www.wsj.com/articles/the-daily-shot-online-job-seeking-activity-slows-01596185892
Dennoch, die extreme Geschwindigkeit des Absturzes ist nicht allein mit der Angst vor der Pandemie zu erklären. Denn der Absturz der Börsenkurse war beispiellos. Zwar gab es keinen Tagesverlust von 22 Prozent wie 1987, dafür aber eine Anreihung von Verlusttagen, die den Absturz zum schnellsten Börsenabsturz aller Zeiten werden ließ. So schnell ging es nicht einmal 1929 abwärts. Das Coronavirus schien aus Sicht der Aktienbörse gefährlicher für die Weltwirtschaft und das Finanzsystem zu sein als die Finanzkrise und die Pleite von Lehman Brothers und als die Kubakrise, die die Welt an den Rand eines Atomkriegs brachte. Doch war das gerechtfertigt und war es die tatsächliche Sicht der Akteure? In der Finanzkrise wurde das Finanzsystem ins Mark getroffen. Die Banken waren hochgehebelt mit uneinbringlichen Krediten und mit wertlosen Immobilienanleihen vollgeladen. Und der Geldmarkt drohte auszutrocknen. Diesmal waren die Banken gar nicht direkt betroffen. Erst unmittelbar konnte eine Gefahr drohen, wenn das Runterfahren der Weltwirtschaft im Kampf gegen das Coronavirus vor allem hoch verschuldete Unternehmen in die Pleite reißen würde. Aber war das zu diesem Zeitpunkt eine ausgemachte Sache? Nein. Fast vom ersten Tag an signalisierten die Notenbanken und Regierungen schnelles Eingreifen. Und das taten sie auch, indem sehr schnell die Zinsen gesenkt wurden. Im Unterschied zur Finanzkrise, wo sie am Anfang noch etwas hilflos wirkten – die Bank of England lehnte Zinssenkungen sogar anfangs ab –, ging diesmal alles ruckzuck. Der Satz »whatever it takes« von Mario Draghi von 2012 wurde von deutschen Politikern wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder übernommen. Rund um den Globus wurde allgemeine Bereitschaft erklärt, nicht nur geldpolitisch zu stützen, sondern auch durch Konjunkturhilfen bis hin zu direkten Steuerrückzahlungen oder Helikoptergeld den Konsum aufrechtzuerhalten. Wenn Reiseunternehmen wie TUI und Lufthansa oder andere ins Wackeln kommen würden, würden sie mit Sicherheit Überbrückungskredite erhalten. Gleiches galt für Banken, die noch etwas schwach auf der Brust waren. Es war ja dieses Mal auch kein leichtsinniges Verhalten der Banken (»Moral Hazard«), weil die Banken ja nicht durch eigene spekulative Geschäfte und ihre Gier getroffen wurden, sondern unverschuldet durch diese Pandemie. Niemand würde im Ernst ablehnen wollen, ihnen über diese Phase hinwegzuhelfen. Nichts anderes war zu erwarten und so kam es dann auch. Und dennoch stürzten die Kurse ab, als ginge die Welt vollends unter. Allerdings nicht in China. Im Ursprungsland des Virus war die Börsenreaktion von Anfang an viel verhaltener, was außerdem die These stützt, dass sich die extremen Kursverluste an den etablierten Börsen mit dem Virus allein schwer erklären lassen.
Denn im Unterschied zu China, wo sich ein großer Teil der Aktien in Händen von privaten Anlegern befindet, liegt das Gros der Aktien in der alten Welt bei institutionellen Anlegern. Und diese agieren völlig gleichgeschaltet, wie der Kurssturz gezeigt hat. Der Grund liegt in den vielen Algorithmen, die mittlerweile das Anlage- und das Risikomanagement bestimmen. »Value at Risk« lautet der Überbegriff. Dazu kommen Produkte wie Risk Parity, klassische Trendfolgemodelle und Short-Spekulation auf Volatilität. Solange es nach oben läuft, verdienen alle ordentlich Geld mit geringen Schwankungen. Kommt es dann aber doch mal zu stärkeren Einbrüchen durch den Verkauf klassisch diskretionär agierender Anleger, erreichen diese Systeme ihre Stop-Loss-Marken und werfen computergesteuert ohne Wenn und Aber alles auf den Markt. Die Risikomessung und Begrenzung durch Value at Risk läuft genauso. Steigt die Volatilität, werden die Risiken reduziert, sprich Aktien und Rohstoffe verkauft und Anleihen gekauft. Dieses Vorgehen wirkt extrem trendverstärkend. Denn je höher die Volatilität steigt, desto stärker müssen die Akteure, die diesen Algorithmen gehorchen, Aktien auf den Markt werfen.
Diese Form des Risikomanagements und die hierfür zur Verfügung stehenden derivativen Finanzprodukte müssen kritisch hinterfragt werden. Nun könnte man argumentieren, dass sich die Kurse ja fast genauso schnell wieder erholt haben, dennoch schaden solche Kursabstürze in Ausmaß und Geschwindigkeit der Aktienkultur, die in Deutschland trotz eines langsamen Wiederentdeckens der Aktien in den letzten Monaten nach wie vor ein zartes Pflänzchen ist, das es zu pflegen gilt. In Umfragen äußerten sich deutsche Anleger vor rund einem Jahr noch dahingehend, dass Aktien unüberschaubare Risiken beinhalten. Durch Kursstürze wie den im Corona-Crash dürften sich diese Anleger nur bestätigt fühlen. Bei aller Überlegenheit der Aktie als Anlageklasse – wenn die Gefahr besteht, innerhalb von nur wenigen Handelstagen 35 Prozent seines Kapitals einzubüßen, traut sich keiner heran.
Die massiven Kursverluste lösten dann auch wieder Ängste aus, eine große Depression wie 1929 stehe ins Haus. Doch so wie diese Befürchtung schon 1987 unbegründet war, so war sie es auch in der Corona-Krise. Wer diesen Vergleich zieht, zeigt, dass er sich mit der Großen Depression nicht wirklich auseinandergesetzt hat und von Ökonomie und Währungsfragen nicht allzu viel versteht.
Der Startpunkt der Großen Depression der 1930er-Jahre war der Aktiencrash im Oktober 1929, den ich in Kapitel 4 näher beschreiben werde. Doch selbst abgesehen davon, dass es zwar durchaus eine optimistische Stimmung vor Ausbruch der Pandemie an den Aktienmärkten gab: Eine Spekulationsblase wie 1929 gab es nicht. Und dass auf den Aktiencrash 1929 eine Depression folgte, die aus einer schweren Rezession und Deflation bestand und in deren Folge das nominale Bruttoinlandsprodukt der USA um 40 Prozent schrumpfte, lag nicht an den schwerwiegenden Auswirkungen der geplatzten Aktienblase. Es war die falsche Geldpolitik, mit der auf die Krise reagiert wurde. Denn statt wie in allen kleinen und großen Krisen der vergangenen rund 35 Jahre wurde die Geldmenge damals nicht erhöht, sondern in der Krise weiter verknappt. Erst diese Tatsache führte dazu, dass die Depression immer schlimmer wurde und die Menschen am Ende verhungerten und erfroren. Dabei folgte die Politik damals nicht per se einem falschen Credo. Es war das Währungssystem, das sie zu dieser prozyklischen Verschärfung der Krise zwang. Da die Wirtschaftskrise in den 1930er-Jahren von den USA ausging, war sie dort zunächst auch schwerer als in Europa. In der Folge gab es eine Flucht aus dem US-Dollar vorwiegend in das Britische Pfund, die damals neben dem US-Dollar wichtigste Währung. In einem System frei floatender Wechselkurse hätte der US-Dollar naturgemäß abgewertet. Genau dies war aber damals nicht möglich, da das Goldstandard-Währungssystem bestand. Sehr kurz erklärt funktionierte dieses System so: Die Währungen standen in einem festen Tauschverhältnis zueinander, schwankten also nicht. Und die Geldmenge musste von der jeweiligen nationalen Notenbank oder Regierung mit Gold unterlegt werden. Neigte die eigene Währung zur Schwäche, musste sie die Notenbank mit den Goldreserven aufkaufen, um sie zu stützen. Dieses System führte dazu, dass ein Land, das sich in einer Krise befand, die Geldmenge verknappte und die Krise damit noch schlimmer wurde. So war es eben auch 1929 in den USA. Erst als Präsident Franklin D. Roosevelt den Goldstandard für den US-Dollar aufgab, konnte man die Geldmenge erhöhen, die Banken rekapitalisieren und die Krise war beendet.
1944 wurde im Ort Bretton Woods in New Hampshire der Goldstandard wieder eingeführt, um den Handel mit verlässlichen festen Wechselkursen zu fördern, bis es 1971 wieder zu größeren Verwerfungen kam und das nach dem Ort seiner Begründung benannte Bretton-Woods-System 1973 außer Kraft gesetzt wurde. Seitdem leben wir im Papiergeldsystem. Dieses erlaubt es den Notenbanken, die Geldmenge durch ihre Zinspolitik oder Wertpapierkäufe und -verkäufe zu steuern. Wann immer sie die Geldmenge erhöhen möchte, ist sie dazu in der Lage. Und seit dem Börsenkrach von 1987 tut sie dies auch, allen voran die amerikanische Zentralbank Federal Reserve (Fed). Dazu muss man wissen, dass Alan Greenspan, der beim Börsenkrach am 19. Oktober 1987 als Vorsitzender der Fed ziemlich frisch im Amt war, sein Nachfolger Ben Bernanke wie auch dessen Nachfolgerin, die heutige US-Finanzministerin Janet Yellen, sich in ihrem Studium intensiv mit der Krise der 1930er-Jahre beschäftigt haben. Und die Lehre daraus ist die oben genannte. Gerät eine Volkswirtschaft in eine Krise, muss die Notenbank alles tun, um sie liquide zu halten, und die Geldmenge erhöhen. Und so passierte es in jeder der folgenden Krisen, als da wären die Südostasienkrise 1997, die Russlandkrise 1998 mit dem Zusammenbruch des Hedgefonds LTCM, das Platzen der Internetblase 2000/2001, die Terroranschläge vom 11. September 2001 und dann schließlich 2007/2008 das Platzen der Immobilienblase und die Lehman-Pleite. Jedes Mal wurden die Zinsen auf ein noch tieferes Niveau heruntergeschleust als in der vorherigen Krise. So wuchs die Weltverschuldung schon vor der Corona-Pandemie über knapp 40 Jahre überproportional und zwar mehr als doppelt so schnell wie das nominale Bruttoinlandsprodukt. Bezogen auf die USA war der Faktor noch höher. Wer sich anschauen möchte, wie schnell die Schulden in den USA wachsen, der kann dies mit der amerikanischen Schuldenuhr tun.
Immer wieder meinten viele Volkswirte in vorherigen Krisen, dass die Notenbanken ihr Pulver nun aber verschossen hätten. Im Auge hatten sie vor allem die Europäische Zentralbank (EZB), die mit negativen Zinsen den Zinssenkungsspielraum in der Tat ausgeschöpft hatte. Doch was viele von ihnen nicht erkennen wollten, ist die Tatsache, dass Notenbanken im Papiergeldsystem omnipotent sind. Was ab der Finanzkrise geschah, hatten sich die meisten zuvor nicht vorstellen können. Denn plötzlich senkten die Notenbanken nicht nur die Zinsen wie in den vorherigen Krisen, sondern sie begannen im großen Stil für Milliardenbeträge Wertpapiere zu kaufen, im Wesentlichen Staatsanleihen. Mehrere Programme dieser Art legte die amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) auf und auch die EZB begann damit groß angelegt ab dem Jahr 2015. Und ab dem Zeitpunkt, zu dem Shinzō Abe in Japan sein Amt als Premierminister antrat, trat die japanische Notenbank Bank of Japan (BoJ) als aggressivster Aufkäufer auf. Die wichtigsten Notenbanken vervielfachten ihre Bilanzsummen ab der Finanzkrise, und in der Corona-Krise nahm die Geschwindigkeit nochmals massiv zu.

Bestände an Staatsanleihen der G10-Zentralbanken
Quelle: Nordea and Macrobond
Denn es lag ja auf der Hand, dass sie das Volumen, das in den Programmen nach der Finanzkrise sich im monatlichen Rahmen von 50 bis 100 Milliarden US-Dollar bewegte, auch noch steigern konnten, im Grunde so weit, bis die letzte Staatsanleihe bei den Notenbanken liegen würde. Und auch dann wäre nicht Schluss, wenn die Staaten sich kräftig weiter verschuldeten und neue Anleihen herausgäben. Die Logik war eigentlich zwingend, und doch wurde sie von vielen erst jetzt in der Corona-Krise erkannt. Denn was die Fed in den Quantitative-Easing-Programmen nach der Finanzkrise pro Monat aufkaufte, hat sie auf dem Höhepunkt der Corona-Krise, als auch die Aktienkurse noch abstürzten, pro Tag aufgekauft. Mittlerweile hält die Fed 30 Prozent aller ausstehenden Staatsanleihen, die Europäische Zentralbank (EZB) hält 20 Prozent und bei der Bank of Japan liegen sogar 50 Prozent der japanischen Staatsschulden.

Entwicklung des Streubesitzes von Anleihen (in Prozent)
Quelle: SHS, ECB, ECB evaluations
Anmerkung: Das Maß für den Streubesitz ist definiert als der Anteil der zehnjährigen äquivalenten Bestände an Staatsanleihen aller Investoren mit Ausnahme der inländischen Zentralbank am Gesamtangebot. Der Anleihe-Streubesitz für den Euroraum bezieht sich auf die »großen Vier« (Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien). Letzte Beobachtung: 4. Quartal 2020.
Nicht nur die Notenbankpolitik, auch die fiskalischen Ankurbelungsprogramme rund um den Globus sprengen alle vorher gekannten Dimensionen. Wurde in den USA infolge der Finanzkrise mit knapp 2 Billionen US-Dollar über einen Zeitraum von 19 Monaten stimuliert, hat der amerikanische Staat infolge der Corona-Pandemie bereits nach gut 100 Tagen diesen Betrag in die Wirtschaft geblasen. Die 2020 verabschiedeten Hilfspakete in den USA beliefen sich auf insgesamt 4,2 Millionen US-Dollar. Dies entsprach rund 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2019. Auch in Europa griffen die Regierungen kräftig in die Tasche. Mit auf den ersten Blick 33 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt stimulierte Deutschland sogar stärker als alle anderen Länder auf der Welt. Allerdings täuscht diese Zahl, denn das meiste davon sind Garantien, die über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) geleistet wurden. Dieses Instrument kennen wir schon aus der Finanzkrise. Geld fließt nicht wirklich, und damit gibt es auch keine direkte Konjunkturstimulierung, es wird nur dafür gesorgt, dass die Banken ausreichend Kredite ausreichen. Direkte nachfragewirksame Konjunkturhilfen gab es aber auch in Deutschland in Höhe von knapp 9 Prozent des BIP. Auch dies war deutlich mehr als nach der Finanzkrise. Das Instrument der Kurzarbeit bewährte sich wieder einmal, um Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden. Es gab so gut wie kein Land, das nicht stimulierte und die Verschuldung nicht deutlich erhöhte, um der Wirtschaft über die Corona-Krise hinwegzuhelfen. Japan brachte Hilfen von rund 17 Prozent des BIP auf den Weg, Frankreich von gut 11 Prozent und auch das hart getroffene Italien von gut 7 Prozent.

Biden pumpt die Fiskalpolitik auf
Quelle: Moody’s Analytics
Ein Grund für dieses beherzte Eingreifen ist sicherlich in der geglückten und offenbar folgenlosen Rettungspolitik nach der Finanzkrise zu sehen. Wurden die Wertpapierkäufe am Anfang von vielen Ökonomen sehr kritisch beäugt und als waghalsiges Manöver betrachtet, in Deutschland wurde sogar vor dem Verfassungsgericht dagegen geklagt, schienen sie sich als Mittel der Konjunkturstabilisierung ja ganz offensichtlich bewährt zu haben. Denn trotz der fortwährenden Aufkäufe und einer Vervielfachung der Notenbankbilanzen gab es keine erkennbaren negativen Folgen und auf jeden Fall keine ausufernde Inflation. Und wenn es offenbar ohne schädliche Nebenwirkung möglich ist, dass die Notenbank de facto einen Teil der Staatsschulden übernimmt, können die Staaten offenbar auch unbegrenzt Schulden machen. Ist Japan nicht das beste Beispiel? Dort liegt die Staatsverschuldung nun bei 250 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt und die Hälfte der Schulden bei der Notenbank. Hat dies für Inflation gesorgt? Nein, Japan kämpft bis heute eher mit der Gefahr der Deflation.
Und auf die bestehenden Schuldenberge wird auch 2021 weiter mutig draufgesattelt. 750 Milliarden Euro hat die Europäische Union für einen Wiederaufbaufonds locker gemacht. Erstmals wird dieser über sogenannte Eurobonds finanziert, Anleihen der Euro-Zone mit gesamtschuldnerischer Haftung durch alle Länder. Das hatte man vor der Corona-Krise in Deutschland stets abgelehnt, würde doch so die Gefahr bestehen, dass der deutsche Steuerzahler am Ende für die Rückzahlung der Anleihen aufkommen müsste, wären beispielsweise Griechen, Italiener, Spanier oder auch Franzosen nicht dazu in der Lage. Nun ist diese Befürchtung seit jeher unbegründet, weil am Ende ohnehin die Europäische Zentralbank dafür wird aufkommen müssen. Doch aus Angst vor einer ungerechten Lastenverteilung streitet man in Europa schon wieder darüber, wie das Geld auf die einzelnen Länder aufgeteilt wird und was die Länder damit dann machen dürfen beziehungsweise leisten müssen. Die USA hingegen schnürten unter ihrem neuen demokratischen Präsidenten Joe Biden ein neues Fiskalpaket über noch einmal 1,9 Billionen US-Dollar. Ein großer Teil davon wird wieder per Schecks direkt an die Privathaushalte geschickt. Dazu wird die zusätzliche Arbeitslosenunterstützung weiter verlängert. Schon im vergangenen Jahr sind die Einkommen der Amerikaner so stark gestiegen wie noch nie und das dürfte sich 2021 fortsetzen, weil die Einnahmeausfälle längst nicht so hoch wie befürchtet ausfielen. Jobs verloren vor allem eher schlecht bezahlte Arbeitskräfte aus dem Servicesektor, etwa in Restaurants und im Tourismus. Die Besserverdienenden behielten ihre Jobs und so manche erhielten sogar einen Corona-Extrabonus. Auch in Deutschland konnten Unternehmen ihren Mitarbeitern 1500 Euro steuerfrei auszahlen. Dennoch scheint die Angst vor den längerfristigen Folgen der Pandemie so groß zu sein, dass man auf eine Überstimulierung setzt. John Maynard Keynes, der Verfechter der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik, ist wieder en vogue – im Grunde schon seit der Finanzkrise. Der wohl größte Ökonom der Geschichte ging davon aus, dass die durch staatliche Ausgabenprogramme erzeugte Nachfrage Investitionen und damit durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze einen sich selbst tragenden Wirtschaftsaufschwung erzeugen könne.
Keynes war Anfang der 1980er-Jahre zunächst ziemlich verpönt. Staatliche Konjunkturprogramme hatten in den 1970er-Jahren nur Strohfeuer entfacht und am Ende die Inflation angeheizt. Es dominierten die angebotsorientierten Ökonomen. Der wohl bekannteste unter ihnen war der mittlerweile verstorbene Nobelpreisträger Milton Friedman. Anstelle staatlicher Ausgabenprogramme setzten er und seine Anhänger auf weniger Staat und niedrigere Steuern. Diese Politik wurde Anfang der 1980er-Jahre insbesondere unter Ronald Reagan und Margaret Thatcher durch große Steuerreformen, in denen die Steuersätze radikal gesenkt wurden, konsequent umgesetzt. Seit sich die Konjunkturprogramme nach der Finanzkrise jedoch häuften, ist Keynes auch offiziell wieder salonfähig. Zu behaupten, dass das, was zurzeit passiert, dem Ansatz der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik folgt, wäre auch lächerlich.
Mit Auszahlung des neuen Hilfspakets werden die Amerikaner dann in Summe 6,1 Billionen US-Dollar in die Wirtschaft gepumpt und neue Schulden aufgenommen haben. Das entspricht knapp 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der USA. Spiegelbild der Verschuldung ist immer die Geldmenge. Das eng gefasste Geldmengenaggregat M1, das alle umgehend verfügbaren Gelder erfasst, ist in den USA Stand 31.12.2020 um 67 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen. Und die breiter gefasste Geldmenge MZM (money of zero maturity) ist 2020 um 21 Prozent gestiegen, was nichts anderes bedeutet, als dass zu jedem je geschaffenen US-Dollar 2020 21 Cent dazugekommen sind. Insgesamt wird die Weltverschuldung sprunghaft auf 370 Prozent des Welt-Bruttoinlandsprodukts ansteigen. Dieses enthält nicht nur die Staatsschulden, sondern auch die von Privathaushalten und Unternehmen sowie dem Finanzsektor, die in der Krise natürlich auch gestiegen sind.

Dieses Mal deutlich mehr Geld
Quelle: Committee for a Responsible Federal Budget

Globale Verschuldung übersteigt 272 Billionen US-Dollar im dritten Quartal 2020
Quelle: IIF, BIS, IWF, nationale Quellen
Fraglos ist es dem beherzten Eingreifen von Regierungen und Notenbanken zu verdanken, dass die Aktienkurse sich nach ihrem scharfen Fall auch so schnell erholten wie noch nie zuvor in der Geschichte während einer scharfen Rezession. Mittlerweile haben wir sogar einen regelrechten Aktienboom. Fraglos war das eine zunächst sehr positive Begleiterscheinung dieser Politik. Es bleibt die Frage, ob sich nicht irgendwann auch negative einstellen werden.
Deutschland ging in Bezug auf Verschuldung und Staatsdefizite seit dem Ende der Finanzkrise andere Wege als andere Länder. Während die USA unter Donald Trump eine extrem teure Steuerreform finanzierten und die Chinesen ebenfalls seit nun schon Jahrzehnten in die Vollen gehen, um das modernste Industrieland der Welt aus dem Boden zu stampfen, das bald auch das größte Industrieland sein dürfte, glaubte man hier, das Heil für eine gute Finanz- und Wirtschaftspolitik liege in einem ausgeglichenen Staatshaushalt. Gespart wurde überall. Bei der Bahn, den Straßen, dem Polizeiapparat. Da gab es während des Flüchtlingsansturms den geschichtsträchtigen Satz »Wir schaffen das«, aber die Politik war nicht bereit, das nötige Geld aufzuwenden, um die zu uns gekommenen Menschen so schnell wie möglich zu integrieren, würdig unterzubringen und auszubilden. Und so wurde die schwarze Null unter Finanzminister Wolfgang Schäuble zum Symbol deutscher Austeritätspolitik. In Europa wären viele Länder gerne einen anderen Weg gegangen, um aus der Euro-Krise herauszukommen, ähnlich dem der Amerikaner, doch Deutschland, Österreich, die Niederlande und auch Finnland ließen dies mit Verweis auf den Stabilitätspakt und die Schuldenbegrenzung durch den Maastricht-Vertrag nicht zu. Als größtes Land der Gruppe der sparsamen Länder, zu der auch die Niederlande, Österreich, Dänemark und Finnland gehörten, bekamen wir den meisten Zorn ab. Dies dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass uns unsere Nachbarn in der Flüchtlingskrise 2015 allein ließen. Die Ergebnisse dieser Politik ließen sich in der Corona-Krise gut am kaputtgesparten italienischen Gesundheitssystem beobachten.
Hinter der Idee der schwarzen Null steht das sich zunächst vernünftig anhörende Konzept, dass man schließlich ja nur das ausgeben könne, was man vorher erwirtschaftet habe. Doch das ist offensichtlicher Unsinn. Schauen wir doch nur mal auf die Unternehmenswelt und dabei auf die neuen Unternehmen der Internetindustrie, die wir alle so bewundern. Da gibt es Uber, Airbnb, Spotify, Facebook, Amazon – und die Liste ließe sich unendlich verlängern. Haben die erst erwirtschaftet, was sie dann ausgegeben haben? Nein! Sie haben Millionen und teilweise Milliarden US-Dollar von Geldgebern bekommen, um ihre Ideen und Investitionen umzusetzen. Die Erntezeit kommt dann erst viele Jahre später. Nicht anders ist es mit einem Staat, der in seine Infrastruktur, in sein Bildungssystem und moderne Technologie investiert. Irgendwann zahlen sich diese Investitionen durch höheres Wachstum und damit höhere Steuereinnahmen aus. Dann werden kommende Generationen auch nicht mit Schulden belastet, sondern bekommen im Gegenteil ein Land übergeben, das hoch wettbewerbsfähig ist und Investitionen aus der ganzen Welt anlockt. Von der schwarzen Null hingegen kann sich niemand etwas kaufen, denn sie bleibt eine Null, auch wenn sie schwarz ist.
Staatsschulden zu machen ist per se natürlich nicht automatisch positiv zu bewerten. In der Euro-Zone und ihren Krisen der vergangenen Jahre wurde dies deutlich. Doch nicht die Schulden selbst sind das Problem, sondern das, wofür sie gemacht werden. Entstehen sie, um mit der Gießkanne Wahlgeschenke in Form von Sozialleistungen zu verteilen, um so die Nachfrage anzukurbeln, bleibt in der Regel nur ein kurzer Aufschwung, der wie ein Strohfeuer schnell abgefackelt ist. Die Schulden aber bleiben und belasten den zukünftigen Haushalt. Wird das Geld hingegen wie zuvor beschrieben für Infrastruktur, Bildung, Integration und Forschung investiv eingesetzt, dann machen sich die Schulden in jedem Fall bezahlt. Und da die Zinskupons negativ sind, würden im Fall von Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern nicht einmal Zinszahlungen den Haushalt belasten, sondern sogar noch unterstützen.
Ab 2029 wird Deutschland einer Berechnung des Finanzministeriums zufolge mit seinen Staatsschulden Milliarden verdienen, weil dann fast alle ausstehenden Anleihen negative Zinsen abwerfen dürften. Das war und ist wie ein Lottogewinn für einen Staat. Er kann in seine Zukunft investieren und für das Geld, das er sich leiht, bekommt er noch etwas dazu. Doch die Bundesregierung holte ihren Lottogewinn bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie nicht ab. Daran änderte sich auch nichts, als die SPD in der Großen Koalition das Finanzministerium übernahm und den Ministerposten mit Olaf Scholz besetzte. Olaf Scholz hielt an diesem unseligen Dogma der schwarzen Null weiterhin fest. Natürlich muss man einräumen, dass es ja sogar eine im Gesetz verankerte Schuldenbremse gibt. Doch Gesetze lassen sich im Zweifel auch wieder ändern, wenn deutlich wird, dass sie kontraproduktive Wirkung entfalten. Doch auch diesbezüglich gab es von Scholz keinerlei Einlassungen. Das verstand zuletzt bald keiner mehr. Selbst konservative Ökonomen wie Clemens Fuest vom Ifo-Institut in München und Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, die nun wirklich keine Verfechter waghalsiger Schuldenpolitik sind, zweifelten bei dieser Zinssituation daran, ob die Strategie der schwarzen Null die richtige ist.