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© 2021 Dr. Marlies Karsch-Völk (Text und Zeichnungen)
Gestaltung und Medienproduktion: Claudia Lovermann
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
„Frau Äh“: eingetragene Wortmarke beim Deutschen Patent- und Markenamt unter Nr. 30 2021 215 923
ISBN 978-3-7534-7579-0
Für meine Mutter, meine Schwester
und meine Töchter
Nein, leider nicht. Obwohl die Themen Geschlechterdiskriminierung und Sexismus nicht zuletzt durch die #MeeToo-Bewegung, die Diskussionen über Frauenquoten und den Gender Pay Gap in den letzten Jahren präsenter sind, hat sich in der Arbeitswelt meist nicht allzu viel geändert.
Zahlen sprechen hier eine deutliche Sprache. Nach wie vor beträgt der Frauenanteil in Vorständen der großen Unternehmen in Deutschland ca. 10 %. Hier gibt es allerdings ein neues Gesetz, dass eine höhere Frauenquote festlegt. Nach wie vor sind weit weniger als die Hälfte der Aufsichtsratssitze deutscher Großunternehmen mit Frauen besetzt. Der Frauenanteil an der Professorenschaft liegt bei guten 25 %, der Frauenanteil bei den Chefärztinnen bei ca. 10 % und der Frauenanteil im Deutschen Bundestag bei 31 %. Der Anteil der Frauen, die in Teilzeit arbeiten, liegt in Deutschland jedoch bei 47 % und damit weit über dem EU-Durchschnitt von 31 % und dem Anteil der teilzeitarbeitenden Männer von 8 %. Frauen scheinen also, besonders nach der Geburt eines Kindes, Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg in den Beruf und der Organisation der Kinderbetreuung zu haben. Dies führt dazu, dass Frauen dauerhaft geringere Rentenansprüche haben. Der Gender Pay Gap, also der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen, liegt in Deutschland nach wie vor bei 20 % und ist ebenso ein Zeichen struktureller Geschlechterdiskriminierung wie ein Grund für geringere Rentenansprüche bei den Frauen. Die geschilderten Zahlen sind ein Symptom des immer noch erheblichen Nachholbedarfs bei der Gleichstellung von Männern und Frauen.
Wer jetzt denkt, dass es so schlimm auch wieder nicht ist, weil die wenigsten Frauen DAX-Vorstände, Chefärztinnen oder Professorinnen werden wollen, hat nicht verstanden, welche Auswirkungen tägliche Diskriminierung und Sexismus im Kleinen haben. Auf Dauer entmutigen sie uns, machen uns klein, halten unser Einkommen auf niedrigem Niveau und hindern uns am beruflichen Fortkommen. Ständige Herabwürdigung beeinflusst nicht nur unser Selbstbild, sondern auch unsere Laufbahn.
Natürlich gibt es Arbeitssituationen, in denen Geschlechterdiskriminierung gar nicht vorkommt und in denen alle Kolleg*innen und die Vorgesetzten fair miteinander umgehen. Wer in einer solchen Lage ist, kann sich wirklich glücklich schätzen. Aber dies gilt nicht für die meisten Arbeitsgebiete. Viele Dinge, die uns vielleicht gar nicht auffallen, die uns nicht wirklich weh tun oder verletzen, tragen dazu bei, uns in unserer Rolle zu definieren. Oft hakt es an irgendeiner Stelle oder sogar im gesamten System. Wenn immer die Frauen nach einem Meeting die Kaffeetassen einsammeln und die Fenster aufreißen, die Frauen die Vorträge vorbereiten, die sie dann selbst nicht halten, die Frauen die nicht ganz so attraktiven Projekte bekommen und die Frauen stets das Gefühl haben, beweisen zu müssen, dass sie ihren Job auch verdient haben, dann haben sie mit Alltagssexismus und Diskriminierung zu kämpfen.
Auch unsere Sprache ist ein Problem. Berufsbezeichnungen mit männlichem grammatikalischem Geschlecht umfassen im Deutschen nicht automatisch Frauen. Professoren, Ärzte, Architekten, Ingenieure, Lehrer werden erst durch ein „-innen“ zu einer Bezeichnung für weibliche, oder bzw. nicht nur männliche, Vertreterinnen eines Berufsstandes. Dieses „-innen“ ist kein natürlich vorhandener Teil unserer Sprache, sondern muss immer extra ergänzt werden. Etwas, das im Alltag oft lästig erscheint. Es gibt keine weiblichen Worte für Chefetage, aber für Vorzimmerdame, keine für Landarztpraxis, aber für Landarztgattin, keine für Vorstand, aber für Putzfrau. Für weibliche vorgegebene (oder gewünschte) Rollen und Berufe hingegen gibt es oft nur eine weibliche Form: Sekretärin, Krankenschwester, Hausfrau, Zimmermädchen oder Hostess, obwohl diese Berufe auch von Männern ausgeübt werden (wenn auch nicht ganz so oft). Diese sprachlichen Rollenbilder sind noch in unseren Köpfen und ganz besonders in den Köpfen der Männer. Um Frauen und Trans*- und Inter*-Menschen auch sprachlich ins Bewusstsein zu bringen, muss sich die Sprache einem gewünschten gesellschaftlichen Wandel anpassen oder diesem vorangehen. In diesem Buch wird deshalb, wo es sich nicht eindeutig auf Männer bezieht, die gendergerechte Sprache mit „*innen“ verwendet.
Dieses Buch ist weder ein Selbsthilfebuch noch ein psychologischer Berater. Es soll dabei unterstützen, den Geschlechterkampf, wo dies möglich ist, mit Humor zu sehen, Distanz zu gewinnen, von der Erfahrung anderer zu profitieren und Lehren aus bereits von anderen gemachten Fehlern zu ziehen. In den einzelnen Kapiteln werden die Strategien der männlichen Kollegen und Vorgesetzten entlarvt und Wege gezeigt, eigene befriedigende Reaktionsmöglichkeiten zu entwickeln.
Es kann sehr hilfreich sein, zu wissen, dass frau nicht allein ist, dass es anderen Frauen auch schon so ergangen ist und dass diskriminierende Erfahrungen am Arbeitsplatz kein Einzelfall sind. Deswegen möchte ich meine Erfahrungen und Fehler gerne teilen, damit andere daraus lernen und davon profitieren können.
Um meine Unbedarftheit und Hilflosigkeit besonders am Anfang meines Berufslebens zu erklären, muss ich ganz bis zum Anfang zurückgehen: In den Siebzigerjahren geboren, verbrachte ich meine Kindheit und Jugend in einer Kleinstadt im Allgäu. Dort habe ich sechs Jahre lang ein katholisches Mädchengymnasium besucht. Die meisten Mütter meiner Freundinnen und Schulkolleg*innen waren Hausfrauen. In meiner Grundschule gab es ein Kind, das in den Hort ging, weil die Mutter berufstätig war („arbeiten musste“). Wir Kinder dachten damals, das sei so eine Art Kinderheim und fanden das ganz schlimm. Wir konnten uns gar nicht vorstellen, warum eine Mutter arbeiten sollte.
Die Männer, wie auch mein Vater, waren in ihren Berufen angesehen, und wurden zum Beispiel mit „Herr Doktor“ angesprochen. Ihre Gattinnen, wie auch meine Mutter, waren dann automatisch die „Frau Doktor“. So habe ich traditionelle weibliche und männliche Rollenbilder und Alltagssexismus schon in meiner Kindheit und Jugend verinnerlicht. Allerdings gab es auch einen anderen Grund dafür, dass Frauen nicht arbeiten gingen: Sie mussten nicht. Ein einzelnes Gehalt reichte meist völlig aus, um eine Familie zu ernähren, ein Haus zu bauen, die Kinder studieren zu lassen und ein Auto zu fahren. Die Lehrer konnten sich in meiner Jugend sexistische Bemerkungen jedenfalls nicht verkneifen. Einer fragte uns: „Sagt mal, warum macht ihr Mädchen eigentlich das Abitur? Das braucht ihr doch gar nicht. Ihr heiratet doch sowieso.“
Während meines Medizinstudiums und meiner Weiterbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin bin ich fast ausschließlich auf männlich dominierte Hierarchien gestoßen. Auch hier war der Sexismus institutionalisiert. Wegen meiner Sozialisierung ist mir das aber zuerst gar nicht aufgefallen. Für mich war das normal so. Einer meiner Chefärzte erklärte mir während meiner Facharztweiterbildung ganz treuherzig, dass er eigentlich lieber Frauen als Männer als „Assistenzärztinnen“ einstellte, „weil die immer so fleißig sind“. Das Problem sei halt, dass die auch „immer wieder schwanger“ werden würden.
Als Fachärztin für Allgemeinmedizin war ich in mehreren Hausarztpraxen angestellt und arbeitete auch fünf Jahre lang an einem Universitätsinstitut in Forschung und Lehre. In dieser Zeit machte ich so viele komische bis tragische Erfahrungen mit männlichen Chefs und Kollegen, dass es mir langsam doch dämmerte, dass es hier ein Problem gibt. Seit einigen Jahren leite ich eine medizinische Redaktion. Die Fassungslosigkeit männlicher Kollegen darüber, dass eine Frau einen Job macht, den früher Männer gemacht haben, begleitet mich seitdem durch mein Berufsleben und führt immer wieder zu absurden Situationen. Zum Beispiel wurde mir bereits mehrmals von Männern, auch von jüngeren, deutlich weniger qualifizierten, mit einem ehrlich erstaunten Ton die gleiche Frage gestellt: „Wie kommt eigentlich jemand wie Sie zu so einem Job?“
Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich nur über ärztliche Arbeitsbereiche sprechen. Ich weiß nicht, ob das ein besonders sexistisch geprägtes Berufsumfeld ist. Wahr ist jedenfalls, dass, besonders in Kliniken, meist noch starre Hierarchien bestehen, die häufig von Männern dominiert werden. Es gibt einfach immer noch deutlich weniger Chefärztinnen als Chefärzte. Außerdem sind die verschiedenen einer hierarchischen Ordnung angepassten Berufsbilder stark von geschlechtlichen Rollenbildern geprägt. Die weibliche Krankenschwester befolgt in den Köpfen vieler Beteiligter bei ihrer Arbeit immer noch die Anweisungen der männlichen Ärzte. Dass ein Großteil (über 60 %) der Medizinstudierenden mittlerweile weiblich ist, steht dabei auf einem anderen Blatt.
Aus Erzählungen von Kolleginnen, Freundinnen und Verwandten entnehme ich aber, dass es auch in anderen Berufen und Arbeitsbereichen von Männern dominierte Hierarchien und Sexismus gibt, sei es in Behörden, in sozialen Einrichtungen oder in der freien Wirtschaft. Besonders schwierig ist es für Frauen in typischen Männerdomänen, wie der Baubranche, leichter in der Regel in „typischen Frauenberufen“, wie z. B. der sozialen Arbeit.
Aber gerade im sozialen Bereich kann es dadurch, dass alle Beteiligten auch emotional involviert sind, immer wieder zur Vermischung von Sachebene und privatem Umgang kommen. Beispielsweise wird in Supervisionen nicht nur über Fälle oder Klient*innen gesprochen, sondern auch über den ganz persönlichen Umgang damit. So konnte es passieren, dass E. (Sozialpädagogin) mitten in einem Gespräch mit einem Kollegen über einen konkreten schwierigen Fall einen plötzlichen Wechsel von der Sachebene in den persönlichen Bereich erlebte. Ohne jeden konkreten Anlass sagte dieser Kollege (mit dem E. weder befreundet war, noch privaten Kontakt hatte): „Übrigens, du siehst heute total gut aus, wenn ich das mal sagen darf.“ Unklar ist, ob der Kollege nur Grenzen austesten oder signalisieren wollte, dass er sich so etwas erlauben kann.
Dieses Buch basiert auf eigener Erfahrung, meinen jahrelangen Erlebnissen mit Sexismus und anderen männlichen Verhaltensweisen im Beruf. Aber auch Berichte und Beispiele aus dem Arbeitsleben von Arbeitskolleginnen, Freundinnen und Familienmitgliedern fließen hier ein. Kein einziges der berichteten Beispiele ist erfunden. Alles, was hier beschrieben wird, haben Frauen, die ich kenne, oder ich selbst erlebt. Um niemanden zu kompromittieren, habe ich manche Beispiele etwas verfremdet oder umformuliert.
Meinen Namen und den der an den Beispielen in diesem Buch beteiligten Frauen lasse ich in den vielen Situationsberichten weg. Ich nenne uns in der Anrede durch Männer immer „Frau Äh“. Es ist sowieso ein häufig zu beobachtendes Phänomen, dass es Männer nicht für nötig halten, sich unsere Namen zu merken, um uns damit unsere Unwichtigkeit zu signalisieren.
Männer unterschiedlichen Charakters, mit unterschiedlichem sozialem Hintergrund und unterschiedlichen Verhaltensmustern können Frauen im Berufsleben diskriminieren, einschüchtern und herabwürdigen. Die unterschiedlichen Typen und ihr für sie typisches Fehlverhalten zu kennen, kann sehr hilfreich sein bei der Einordnung bestimmter Gesprächssituationen und bei der eigenen Reaktion. Es gibt hierbei alle denkbaren Hybride (Mischtypen) und günstige Konstellationen für Symbiosen.
Die Reihenfolge der Typen ist hierarchisch. Die sexistischen alten weißen Männer stehen absichtlich an zweiter Stelle, weil sie langsam das Rentenalter erreichen und mittlerweile ein Auslaufmodell darstellen. Ihr Platz wird von aufstrebenden jungen Männern mit narzisstischen Charakterzügen übernommen, die deswegen an erster Stelle genannt werden. Die ersten sieben Typen sind eher auf der Führungsebene zu finden, die Typen danach eher bei den gleichgestellten Kollegen. Darauf folgen Typen, die gleichgestellt sein oder eine weibliche Vorgesetzte haben können. Der letzte Typus hat eine oder mehrere weibliche Vorgesetzte.
Häufig „stinkt der Fisch vom Kopf“. Das heißt, ist der Chef sexistisch und als Führungskraft ungeeignet und inkompetent, dann kann es sein, dass die Männer im Team nachziehen und sich ebenfalls sexistisch verhalten. Sie machen bei dem mit, was der Chef tut. Es ist für ein Team sehr schwer, besser zu sein, als die Teamleitung. Oft führt schlechter Führungsstil zu einer vergifteten Atmosphäre im Team und damit auch zu mangelndem Zusammenhalt unter Kolleg*innen.
Assholes – a theoryasshole