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Wunibald Müller

Was es
wirklich braucht

ist letztlich
gar nicht so viel

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2021

© 2021 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Umschlag: wunderlichundweigand.de

(Umschlagfoto: © GMVod/iStock.com)

Satz: Crossmediabureau – https://xmediabureau.de

Druck und Bindung: CPI-books – Clausen & Bosse, Leck

ISBN

978-3-429-05665-0

978-3-429-05183-9 (PDF)

978-3-429-06546-1 (ePub)

Inhalt

Vorwort

Hinführung und Einladung

Was es wirklich braucht im Leben

Was es unbedingt braucht – die Verankerung in Gott

Mein spiritueller Bauchladen

„Auf, alle Durstigen, kommt zum Wasser!“

Glauben, Hoffen, Lieben

Was meint glauben?

Vertrauen in das Wirken einer höheren Macht

Glauben ist mehr als ein Für-wahr-Halten

Welche Bedeutung haben Religion und Kirche?

Glauben ist eine lebenslange Vertrauensprobe

Einladung

An Gott glauben

Gott ist kein Leichtgewicht

Gott ist nicht nur in unserem Kopf

Gott lässt sich nicht festhalten

Ich kann Gott nicht fassen, aber er ergreift mich

Gott hat man nicht

Gott verdunstet nicht

Was bleibt übrig von Gott?

Gott lässt uns nicht im Stich

Gott erfahren

„In deiner Nähe, starker Gott, ist Kühlung, Frieden und Geduld“

Du ziehst an mir vorüber

Dein Wort ist ganz nahe bei mir

Du schweigst

Bist du ein mitfühlender Gott?

Wo warst du?

Du bist so weit weg und zugleich so nahe

Wir brauchen dich so sehr

Du bist verborgen

Du bist da, gewaltig und zärtlich

Mich bedingungslos Gott überlassen

Mich dem Schicksal, Gott, überlassen

Unerschütterliches Gottesvertrauen

Die Inkarnation Gottes für mich sein

Hoffen und Lieben

Hoffen verlangt von mir, einen gewaltigen Sprung zu wagen

Hätte ich aber die Liebe nicht – mich hingeben

Für den spirituellen Bauchladen

Mein Glaube an Gott und Gottvertrauen

Die Erfahrung machen: Gott ist da

Der Springer muss springen und der Fänger muss fangen

Die Seele als Kompass, der mich zur Hoffnung führt

Christus hat keinen Körper außer deinem

Beten

Was meint beten?

Gespräche mit Gott

Beten schenkt Heimat

Die Psalmen als Lieder der Sehnsucht

Mit etwas Größerem verbunden sein

Einladung

Wie sollen wir beten?

Gott ist immer schon in der Mitte meines Wesens

Ein Beten, das aus dem Herzen aufsteigt

Herr, Jesus Christus, erbarme dich meiner

Von mir zu Dir

Stille, Hören, Lernen, Fragen und Warten

Aufmerksam auf das Ewige hin sein

Mit den Augen Gottes sehen

Das Vaterunser

Vater unser

Im Himmel

Geheiligt werde dein Name

Dein Reich komme

Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden

Unser tägliches Brot gib uns heute

Vergib uns unsere Schuld

Führe uns nicht in Versuchung

Erlöse uns von dem Bösen

Und die Kraft

Die Feier der Eucharistie – Das Abendmahl

Wenn Himmel und Erde sich verbinden

Eine Achse, um die sich alles dreht

In Ewigkeit. Amen

Das Leben wird lebenswerter, wenn der Tod präsenter ist

Wir leben für einen Augenblick auf dem Herzen der Erde

Wenn das Jetzt zur Ewigkeit wird

„Gott, erbarme dich meiner, in all deiner Allmacht“

Unser Leben findet in Gott seine Vollendung

Für den spirituellen Bauchladen

Feste Gebetszeiten

Kontinuierliches Beten

Vorformulierte und frei formulierte Gebete

Der Lobpreis Gottes steht im Mittelpunkt

„Tut dies zu meinem Gedächtnis!“

Den möglichen Tod des Lebens wegen täglich vor Augen haben

Ausklang

Ich glaube, weil ich bete

Ich trage meinen Bauchladen vor mir her

Literatur

Vorwort

Den Himmel zum Sprechen bringen will der Philosoph Peter Sloterdijk (2020) in seinem gleichnamigen neuen Buch mit dem Untertitel „Über Theopoesie“. Ein wunderschöner Titel, wie ich finde. Den Himmel zum Sprechen bringen bleibt immer nur ein Versuch, egal, ob es sich um Theopoesie, Dogmatik, Dogmen, mystische Erfahrungen oder Glaubenszeugnisse handelt. Das gilt auch für mein Bemühen, den Himmel zum Sprechen zu bringen, um am Ende bescheiden zugeben zu müssen, dass es sich dabei lediglich um meine Gedanken, Empfindungen, Überzeugungen handelt.

Und doch, so glaube ich, lohnt es sich beziehungsweise hat es seinen Reiz. So ist es jedenfalls mir ergangen, als ich mir Gedanken darüber machte, was es spirituell wirklich braucht. Da aber geht es nicht mehr nur um Theopoesie oder Glaubenswahrheiten. Da geht es letztlich um den Sprung über den berühmten garstig breiten Graben, von dem Gotthold Ephraim Lessing spricht; darum, mich ohne Absicherung Gott zu überlassen. Gott, an den ich glaube, zu dem ich Du sagen kann und von dem ich überzeugt bin, dass er um mich weiß und in meinem Leben wirkt. Es sich bei ihm in der Tat um Gott handelt, vor dem man singen und tanzen kann, im Unterschied zum Gott der Philosophen, dem man, so Peter Sloterdijk, ankreidet, dass das bei ihm nicht möglich sei. Ja, um Gott, der auch immer wieder zu vernehmen ist, wenn ich offen und sensibel bin und bleibe in Bezug auf ihn und darauf, was er mir sagen will. Ich, statt zu versuchen, den Himmel zum Sprechen zu bringen, auf den Himmel höre, um zu vernehmen und zu verstehen, was er mir mitteilen will.

Heribert Handwerk danke ich für die Anregung zu diesem Buch, das in einer schwierigen Zeit, geprägt von der Corona-Krise, zu schreiben mir selbst Hilfe und Trost spendete. Die nahezu tägliche Beschäftigung damit über viele Monate führte mich in das Zentrum meiner Auseinandersetzung mit dem Leben in einer außergewöhnlichen Zeit und der Rolle, die dabei meinem Glauben zukommt. Die Beschäftigung damit wurde zum Austragungsort meines existentiellen Ringens mit meinem Glauben, mit Gott. Mit dem, was es spirituell wirklich braucht, von dem ich bis zum Schluss behaupte, dass es letztlich gar nicht viel ist. Aber sehen Sie selbst!

Wunibald Müller

Hinführung und Einladung

Was es wirklich braucht im Leben

Was es wirklich braucht, um ein erfüllendes Leben zu führen und schwierige Situationen und Phasen zu bestehen, ist letztlich gar nicht viel. Das ist meine Kernaussage. Dabei konzentriere ich mich darauf, was es spirituell wirklich braucht. Ich setze voraus, dass eine Form von Spiritualität auf alle Fälle dazugehört.

Was also braucht es wirklich zum Leben? Zunächst natürlich, genug zu essen und zu trinken zu haben, in Sicherheit zu leben; weiter: erfolgreich, unabhängig, frei zu sein, geachtet zu werden.

Dann sind es vor allem Menschen, mit denen wir verbunden sind und auf die wir uns verlassen können, die es wirklich braucht, wenn das Leben uns herausfordert, wir Krisen ausgesetzt sind und merken, dass wir mit dem, was in unserem Leben geschieht, nicht länger mehr allein zurechtkommen. Solche Menschen können unsere Lebenspartnerinnen, Freunde, gute Bekannte, aber auch professionelle Helfer und Helferinnen wie Psychotherapeuten, Seelsorgerinnen sein.

Weiter sind es wir selbst, von deren Widerstandskraft und Verankerung in sich selbst es abhängt, ob uns so schnell nichts wegwehen kann; wir den Stürmen, die über uns herziehen, standhalten, Frust aushalten und Widerstand leisten können; wir also gewichtig sind in dem Sinne, dass wir uns als bedeutsam, selbstständig und kraftvoll erleben.

Schließlich kann uns helfen, das Gefühl zu haben, mit etwas verbunden zu sein, das größer ist als wir. Die Erfahrung zu machen, jetzt schon, mitten im Leben, an das Grenzenlose angeschlossen zu sein. Oder irgendwie zu spüren: Da gibt es noch mehr. Ich denke an Ingeborg Bachmanns Aussage: „In allem ist etwas zu wenig.“ Mir fallen dazu auch einige Zeilen aus einem Gedicht von Marie-Luise Kaschnitz ein. Da heißt es: „Es muss doch noch irgendwo sein, etwas, das trägt und hält. Ein Kleinod, ein funkelnder Schrein in der verdorrenden Welt.“

Es geht hier um eine Dimension, bei der wir das Alltägliche überschreiten. Es ist eine Dimension, die zu einer Bereicherung unseres Lebens beitragen kann, insofern sie uns das Leben, was geschieht, was wir an Schönem und Tragischem erleben, tiefer sehen lässt. Sie sprengt den eindimensionalen Blick auf das Leben. So sieht es auch der Psychologe Abraham Maslow. Diese Dimension steht in seiner Bedürfnishierarchie nicht an erster Stelle. Aber sie ist wichtig. Es ist auch die Dimension, der ich unsere Spiritualität und unseren Glauben zuordne.

In bestimmten Lebenssituationen oder auch Lebensphasen, wenn das Leben uns besonders hart angeht, kann eine Spiritualität, die mit dem Glauben an eine höhere Macht verbunden ist, für uns von besonderer Hilfe sein. Dazu zählt für mich der Glauben an Gott, an den wir uns wenden können, wenn wir weder ein noch aus wissen; wir das Gefühl haben, als ob uns der Boden unter den Füßen weggezogen worden ist; es nirgendwo einen Halt zu geben scheint. Wir vergewissern uns dann der Unterstützung und Nähe Gottes, halten Ausschau nach ihm und bitten um seine Hilfe.

Was es unbedingt braucht – die Verankerung in Gott

Die Verankerung in Gott ist nach meiner Überzeugung und Erfahrung eine wirkungsvolle Stütze in unserem Leben, auf die ich nicht verzichten wollte. Ja, es ist das, was es unbedingt braucht. Wenn der Theologe Paul Tillich vom Glauben als vom ultimate concern spricht, also von dem, um das es unbedingt, letztendlich geht, dann ist der Glaube an Gott für mich das, was es wirklich braucht.

Es ist wie bei einem Baum, der tief in der Erde verwurzelt ist im Unterschied zu Bäumen, deren Wurzeln nicht tief in die Erde reichen und daher leicht umfallen können. Wenn wir tief und stark genug in Gott verankert sind, haut es uns nicht so leicht um, wenn das Leben uns hernimmt. Oder wir können wieder aufstehen und weitergehen, wenn es uns einmal umgelegt hat.

Ein Glaube, den wir uns angelernt haben den wir uns aufgesetzt haben, wie man sich einen Hut aufsetzt, wird uns da allerdings wenig helfen. Im Unterschied zu einem Glauben, der viel mit uns selbst zu tun hat. Der getränkt ist von dem Schweiß unseres Bemühens, das Leben zu bestehen, und dem Blut der Wunden, die uns das Leben geschlagen hat.

Es ist dann auch ein Glaube, der resilient ist. Der uns, einem Stehaufmännchen vergleichbar, immer wieder aufstehen lässt. Die Entbehrungen und Niederlagen, die wir erlitten haben, machen uns stark und helfen uns, schwierige Situationen besser bewältigen zu können. Es ist der Glaube daran, dass es eine Kraft gibt, die mehr bewirken kann, als wir es vermögen; wir in ausweglos erscheinenden Situationen darauf vertrauen können, dass diese Kraft uns dabei unterstützt, diese schwierige Situation zu bewältigen.

Man mag das psychologisch damit erklären, dass durch die Überzeugung von der Wirksamkeit einer solchen Kraft Kräfte in uns entbunden werden, die uns vorher nicht zur Verfügung standen, jetzt aber ihre Dynamik entfalten und zur Bewältigung unseres Problems beitragen. Andere sehen in dieser Kraft das Wirken Gottes, der hier höchstpersönlich interveniert und sich für uns starkmacht, indem er uns stark macht.

Mein spiritueller Bauchladen

Was also braucht es spirituell wirklich? Je älter er werde, so der Theologe Fulbert Steffensky, desto weniger „spirituelle Anhaltspunkte“ benötige er. Was er spirituell wirklich brauche, müsse in einem Bauchladen Platz haben. Er nennt das seinen „spirituellen Bauchladen“. Mich hat dieses Bild sofort angesprochen und dazu angeregt, mir Gedanken über meinen spirituellen Bauchladen zu machen.

Es beginnt mit Fragen, wie: Welche Spiritualität oder spirituelle Praxis kann uns bei der Bewältigung unseres Alltags unterstützen oder trägt zur Bereicherung unseres Lebens bei? Was gibt uns in spiritueller Hinsicht Halt? In was müssen wir verankert sein, damit es uns nicht umhaut, wenn das Leben uns besonders stark herausfordert? Wenn unsere Tage gezählt sind aufgrund einer unheilbaren Krankheit? Wenn wir gefährlichen Situationen ausgesetzt sind, wir uns in einer persönlichen Krise befinden?

Uns mag vieles dazu einfallen, vielleicht aber auch nichts. Wie geht es Ihnen? Fallen Ihnen spirituelle Praktiken ein, die Sie als hilfreich erlebt haben? Oder tauchen in Ihrer Erinnerung Erlebnisse auf, bei denen Sie Ihre Spiritualität als eine Stütze und Kraftquelle erleben durften? Manchmal ist es vielleicht ein Gebet, durch das Sie Trost erfahren haben, das Ihnen Zuversicht schenkte. Was von dem, was Ihnen einfällt, soll in Ihren spirituellen Bauchladen? Was hat sich bewährt, lohnt es beizubehalten? Was kommt an Neuem hinzu? Ist es an der Zeit, sich von dem zu trennen, was sich als überflüssig und untauglich erwiesen hat? Ich glaube, man muss spielerisch damit umgehen. Abwägen, verwerfen, probieren, sich inspirieren lassen, andere befragen usw. Auch einmal etwas zulassen, was einem vielleicht im ersten Moment ungewöhnlich erscheint.

„Es geht um die spirituellen Essentials“, so mein Freund Winfried Nonhoff. Ein empfindsames Lauschen auf Aufrichtigkeit und der Verzicht auf ein pastorales Geschwätz sind für ihn dabei besonders gefordert. Seine Worte habe ich im Ohr und versuche ich zu beherzigen, wenn es im Folgenden um meine „spirituellen Essentials“ geht.

„Auf, alle Durstigen, kommt zum Wasser!“

„Auf, alle Durstigen, kommt zum Wasser!

Die ihr kein Geld habt, kommt, kauft Getreide und esst, kommt und kauft ohne Geld und ohne Bezahlung Wein und Milch!

Warum bezahlt ihr mit Geld, was euch nicht nährt, und mit dem Lohn eurer Mühen, was euch nicht satt macht? Hört auf mich, dann bekommt ihr das Beste zu essen und könnt euch laben an fetten Speisen!

Neigt euer Ohr und kommt zu mir, hört und ihr werdet aufleben!“

Diese Worte des Propheten Jesaja (52,1–3) fallen mir ein, wenn ich an einen spirituellen Bauchladen denke, den ich vor mir hertrage und der alles enthält, was mich wirklich spirituell nährt. Ich sehe mich, wie ich durch die Innenstadt von Würzburg gehe und laut meine „Ware“ anpreise. Ich tue das unerschrocken, fest davon überzeugt, dass ich den Menschen etwas anzubieten habe, das sie wirklich nährt. Es ist mir egal, wenn manche mir bedeuten, dass ich wohl nicht ganz richtig ticke, mit dem Kopf schütteln ob eines solchen Auftritts oder einfach nur über mich lachen.

So, stelle ich mir vor, haben es die Propheten gemacht, die nicht anders konnten, als zu verkünden, was zu sagen sie als Anruf und Verpflichtung erachteten. Dabei bin ich weit davon entfernt, mich als einen Propheten zu sehen. Das steht mir nicht zu und dazu fühle ich mich auch nicht berufen.