Der Schock
Um es gleich vorwegzunehmen: Natürlich habe auch ich zu keinem Zeitpunkt mit diesem Wahlausgang gerechnet. Auch kenne ich kaum jemanden persönlich, der ernsthaft daran geglaubt hätte, dass Donald J. Trump der 45. Präsident der USA würde.
Es begann an jenem 16. Juni 2015, als Trump die Rolltreppe ins golden-marmorne Foyer seines Turms in Manhattan hinunterkam, um dem Land und der Welt zu verkünden, dass er diesmal wirklich seinen Hut in den Ring werfen würde – in einer Art und Weise, die gleich den Ton setzte für alles, was folgen sollte. Damals saß ich gerade in meinem Washingtoner Büro und twitterte: »Auweia, jetzt wird’s eng für Bush, Clinton & Co …!« Ich könnte im Nachhinein natürlich behaupten, dass ich das ernst gemeint und in weiser und fachkundiger Voraussicht gewusst hätte, was da auf uns zukommen würde; dass ich tatsächlich ahnte, welch tosender, alle Konventionen sprengender Wahlkampf über die etablierten Kandidaten und die Politik der USA hereinbrechen würde. Aber das wäre schlicht fake news. Natürlich war mein Tweet ironisch gemeint.
Diesen ruppigen ersten Auftritt empfand ich als verblüffendes und zugleich faszinierendes Spektakel. Dass Donald Trump ein gigantisches Ego hat, wusste ich schon vorher, auch, dass er gerne im Rampenlicht steht. Aber das hier versprach, den schier endlosen Präsidentschaftswahlkampf, der uns die kommenden Monate tagtäglich beschäftigen würde, interessanter und – auf ganz eigene Weise – unterhaltsamer zu machen.
Zwar hat die US-Politik schon immer schrillere, exzentrischere Typen hervorgebracht als unsere deutsche. Das amerikanische Direktwahlsystem macht es möglich, dass auch Außenseiter in die Arena treten, ganz unabhängig von einem Parteiapparat. Und ich kann mir gut vorstellen, wie in Deutschland nicht wenige den Untergang des Abendlandes befürchteten, als mit Ronald Reagan ein ehemaliger Schauspieler Präsident wurde. Aber das hier würde eine ganz andere Show werden – in der Hauptrolle ein Reality-TV-Star, der als Geschäftsmann spektakuläre Pleiten und Erfolge hinter sich hatte. Meine journalistische Neugier jedenfalls war geweckt.
Einen ersten Eindruck davon, wie anders diese bevorstehende Show sein würde, bekamen meine Familie und ich nur wenige Wochen später. Wir waren zu einer Hochzeit in Cleveland eingeladen und fuhren mit dem Auto an einem Donnerstag im August 2015 von Washington an den Erie-See – dorthin also, wo am selben Abend die erste TV-Debatte des breiten Bewerberfeldes der Republikaner stattfinden würde. Da wir zu spät losgekommen waren, würden wir es nicht rechtzeitig bis Cleveland schaffen, um den Schlagabtausch live im TV sehen zu können. Glücklicherweise fanden wir an diesem Abend – sehr zum Leidwesen unserer Kinder – einen Radiosender, der die Veranstaltung übertrug. Während wir auf dem Highway durch die Dunkelheit fuhren, wurde das Wortgefecht zu einem ganz besonderen Erlebnis, weil uns kein Gesichtsausdruck, keine Geste der Kandidaten ablenkte. Es gab nur das gesprochene Wort und das Kino im Kopf.
Verglichen mit dem, was noch folgen sollte, war diese erste Debatte fast harmlos. Aber es ging gleich ungewohnt heftig zur Sache, als Trump dem libertären Kandidaten Rand Paul mit seinen ersten Worten indirekt vorwarf, käuflich zu sein, und als er – anders als die anderen Kandidaten – das Versprechen verweigerte, keinesfalls als unabhängiger Kandidat weiterzumachen, sollte er die Nominierung durch die Republikanische Partei verpassen. Als 1992 der konservative Milliardär Ross Perot als Unabhängiger kandidierte und damit besonders George H. W. Bush Wählerstimmen abluchste, verhalf das Bill Clinton zum Sieg. Die Angst unter den Republikanern war gewaltig, dass dieser unberechenbare Außenseiter nun ausgerechnet die Clintons indirekt zurück ins Weiße Haus hieven könnte. Vor allem aber rasselte Trump mit Moderatorin Megyn Kelly zusammen, als diese ihm frühere Aussagen vorhielt, in denen er Frauen als »fette Schweine«, »Hündinnen«, »Schlampen« und »ekelhafte Tiere« bezeichnet hatte. Tags darauf würde er sich in einem Interview darüber beschweren, Kelly habe ihn mit »Blut in den Augen« angegriffen, Blut sei ihr überall, »wo auch immer«, herausgelaufen.
Mehrfach blickten meine Frau und ich uns während der Autofahrt mit diesem »Der hat doch nicht wirklich gerade …«-Ausdruck an, der uns in den folgenden Monaten schon fast zu einer Gewohnheit werden sollte. Als wir in Cleveland ankamen, war die Debatte vorbei, die Stadt aber noch in hellem Aufruhr: überall Polizeisperren, Übertragungswagen, die Busse der Delegationen. In unserem Hotel in Downtown wimmelte es nur so von Mitarbeitern der Kandidaten, die angeregt um die Deutungshoheit über diese erste Runde rangen. Wir checkten ein und hörten ringsum Wortfetzen, die unseren Eindruck bestätigten: Das wird ein brutaler Wahlkampf. Noch fast anderthalb Jahre würde dieser irre Zirkus weitergehen …
Ungewöhnliche Außenseiter sind, wie gesagt, grundsätzlich nichts Neues im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Schauspieler, Pizza-Ketten-Inhaber, Chirurgen, alles schon da gewesen. Weil sie ins Auge stechen, erhalten diese Kandidaten zunächst eine Menge Aufmerksamkeit, die Presse stürzt sich auf sie, was sich wiederum in hohen Umfragewerten niederschlägt. Aber normalerweise verglühen diese exzentrischen Sterne am amerikanischen Polit-Himmel genauso schnell, wie sie aufgetaucht sind, und es setzen sich die Etablierten durch, die McCains, die Romneys, die Bushs. So meinten es die Experten auch diesmal vorauszusehen. Es kam bekanntlich anders.
Was seit Donald Trumps Wahlsieg in Washington, in der amerikanischen Politik, in der amerikanischen Gesellschaft passiert – oder vielmehr: offenbar wird –, sprengt alle Vorstellungskraft. Diese Präsidentschaft ist eine tief greifende, vielfältige Zäsur. Natürlich ist das keine neue Erkenntnis. Aber die Veränderung ist teilweise so weitreichend, dass die USA in kürzester Zeit ein noch fremderes Land geworden sind, als sie es für viele zuvor schon gewesen waren. Ein rätselhaftes, immer schwerer zu verstehendes Land, das nach diesem Präsidenten ein anderes sein wird. Ein Anderland.
So gesehen, müsste ich Donald Trump fast dankbar sein. Denn seine Wahl und seine Präsidentschaft haben den Titel meines ersten Buches Fremdes Land Amerika rückblickend noch zutreffender, noch aktueller erscheinen lassen. Dessen Grundthese – die ich hier aufgreifen werde – lautet ja, dass gerade wir Deutschen gerne einer Vertrautheitsillusion verfallen, wenn es um die USA geht. Wir meinen, die amerikanische Kultur und Gesellschaft zu kennen, weil wir in Urlauben, Filmen und zahlreichen persönlichen Berichten damit in Berührung gekommen sind. Tatsächlich aber sind die Amerikaner doch in vielem sehr anders. Und gerade, wenn man glaubt, zu wissen, wie jemand »tickt«, entsteht eine umso größere Enttäuschung über ein in unseren Augen »befremdliches« Verhalten des anderen. Wie konnten die nur? Wie war das möglich? Die Wahl von Donald Trump ist ein Paradebeispiel dafür.
Diese Fragen schallen auch innerhalb der USA durch die Gesellschaft, aber ich habe den Eindruck, dass in Deutschland besonders viele empört waren und diese Wahl fast schon als persönliche Beleidigung empfanden. Das mag nachvollziehbar sein. Aber Donald Trump ist nun einmal ihr Präsident, nicht unserer. Mein Ziel ist es, das Bewusstsein für diese Tatsache und für die Andersartigkeit Amerikas weiter zu schärfen, indem ich berichte, wie ich das Phänomen Trump erlebt habe und bis heute erlebe. Und vielleicht dabei zu helfen, dieses ein Stückchen besser zu begreifen.
Falls es tröstet: Auch vielen Amerikanern ist ihr Land fremder geworden, ich würde sogar sagen, einer Mehrheit von ihnen. Nur zur Erinnerung: Zwar holte Donald Trump in absoluten Zahlen mehr Stimmen als je ein republikanischer Kandidat vor ihm, aber am Ende hatte Hillary Clinton im popular vote dennoch fast drei Millionen Stimmen Vorsprung. Noch nie wurde jemand mit einem größeren Stimmenrückstand Präsident. Aber so ist nun einmal das Wahlsystem in den USA mit seinem Winner-takes-all-System, das kleinere Bundesstaaten vor der Übermacht größerer schützt – das muss man akzeptieren, und es war auch nicht das erste Mal, dass es diese Auswirkung hatte. Wäre es anders herum ausgegangen, hätten wir uns sicher nicht beschwert.
Doch welche Konsequenzen für die USA und die Welt hat die Präsidentschaft Trumps, hat diese Phase des (Um-)Bruchs? Was macht er mit dem Land? Und wie geht das Land damit um? Was passiert jenseits der schrillen Töne und seiner »Twitterhö«? Wie steht es um die amerikanische Gesellschaft, welcher Schaden entsteht dort gerade? Und welche Auswirkungen hat das auch auf uns? Müssen wir uns ernsthaft Sorgen machen oder dürfen wir ein wenig gelassener bleiben, statt beinahe täglich vor Aufregung zu hyperventilieren?
Manches halte ich in der Tat für nicht ganz so dramatisch, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Andere Dinge liegen auch gar nicht an Trump selbst, er wirft nur das Schlaglicht auf ohnehin ablaufende Prozesse. Doch es gibt diese grundsätzlichen tektonischen Verschiebungen und gravierende, oft von Trump noch weiter geöffnete Risse in der Gesellschaft, die mich in vielerlei Hinsicht überrascht und verwundert haben. Vieles, was ich nicht für möglich gehalten habe, ist eingetreten.
Keine Frage, wir leben in bewegten Zeiten. Dass mich persönlich unter den jüngsten Weltereignissen aber nichts so beschäftigt hat wie die Entwicklungen in den USA, liegt auch an meinem Werdegang. Ich reise seit meiner Jugend regelmäßig in die Vereinigten Staaten, ich habe in dem Land studiert und durch meine amerikanische Frau nicht nur Freunde, sondern auch Familie dort. Doch selbst diesen privaten Bereich berührt die aktuelle Situation – mein Schwiegervater hat Donald Trump gewählt. Manches aus den langen Gesprächen über Politik, die ich mit ihm geführt habe, ist in dieses Buch eingeflossen.
Bevor ich auf all dies eingehe, möchte ich aber noch einmal zurückblicken und mich mit der Frage beschäftigen, mit der Hillary Clinton ihre Aufarbeitung des Geschehenen betitelte und die ihre ganze Fassungslosigkeit auf den Punkt bringt: What happened? – Wie konnte es dazu kommen? Dabei möchte ich nicht jede Wendung des Wahlkampfes noch einmal aufwärmen, denn das ist Schnee von gestern, auch wenn Trump selbst nicht müde wird, immer wieder jedem unter die Nase zu reiben, wer die Wahl gewonnen hat. Zugleich kann man sich kein Bild der aktuellen Lage in den USA machen und verstehen, was dort gerade passiert, ohne nachzuvollziehen, wie es zu diesem Ergebnis kommen konnte. Denn es gibt Gründe dafür sowie langfristige Entwicklungen und gewichtige Umstände dahinter, und vieles davon treibt den Präsidenten weiterhin an und sorgt dafür, dass sein Rückhalt an der Basis kaum schwindet. Zudem war einiges absehbar, wenn man es nur hätte sehen wollen. Denn wie impulsiv und widersprüchlich Trumps Äußerungen auch erscheinen und wie viele handwerkliche Fehler seine Politik auch prägen mögen, es wäre ein Trugschluss, bei ihm eine totale Konzeptlosigkeit anzunehmen. Eindeutig werden sein Denken und Handeln seit jeher von der Annahme gelenkt, dass Amerika vom Rest der Welt über den Tisch gezogen wird und nur eine Politik der unbeugsamen Stärke der amerikanischen Nation wieder den Respekt und die Größe verschafft, die es in seinen Augen (und denen seiner Anhänger) verdient: America first!
Was man nicht vergessen darf: Trumps Wahlsieg war eine Art Start-Ziel-Sieg. Fast von Anfang an dominierte er die Umfragen und setzte sich zunächst im eigenen Lager gegen ein breites Feld von sechzehn gestandenen und mehrheitlich erfahrenen Konkurrenten durch. Er muss also irgendetwas richtig gemacht haben. So sieht auch er es bis heute, weshalb er keine Anstalten macht, seinen Stil und seine Herangehensweise an die Dinge zu ändern. Und überhaupt – wie groß sind die Aussichten, dass ein über Siebzigjähriger sich noch groß ändert?
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