Inhalt

  1. Cover
  2. Weitere Titel der Autorin
  3. Über dieses Buch
  4. Über die Autorin
  5. Titel
  6. Impressum
  7. Playlist
  8. Kapitel Eins
  9. Kapitel Zwei
  10. Kapitel Drei
  11. Kapitel Vier
  12. Kapitel Fünf
  13. Kapitel Sechs
  14. Kapitel Sieben
  15. Kapitel Acht
  16. Kapitel Neun
  17. Kapitel Zehn
  18. Kapitel Elf
  19. Kapitel Zwölf
  20. Kapitel Dreizehn
  21. Kapitel Vierzehn
  22. Kapitel Fünfzehn
  23. Kapitel Sechzehn
  24. Kapitel Siebzehn
  25. Kapitel Achtzehn
  26. Kapitel Neunzehn
  27. Kapitel Zwanzig
  28. Kapitel Einundzwanzig
  29. Kapitel Zweiundzwanzig
  30. Kapitel Dreiundzwanzig
  31. Kapitel Vierundzwanzig
  32. Kapitel Fünfundzwanzig
  33. Kapitel Sechsundzwanzig
  34. Kapitel Siebenundzwanzig
  35. Kapitel Achtundzwanzig
  36. Kapitel Neunundzwanzig
  37. Kapitel Dreißig
  38. Kapitel Einunddreißig
  39. Kapitel Zweiunddreißig
  40. Kapitel Dreiunddreißig
  41. Kapitel Vierunddreißig
  42. Kapitel Fünfunddreißig
  43. Kapitel Sechsunddreißig
  44. Kapitel Siebenunddreißig
  45. Kapitel Achtunddreißig
  46. Kapitel Neununddreißig
  47. Epilog

Weitere Titel der Autorin

»Amy’s Secret«-Reihe:

Entfacht

Entflammt

Entfesselt

Enthüllt

»Tall, Dark and Deadly«-Reihe:

Riskantes Verlangen

Riskante Verführung

Riskante Hingabe

Riskantes Geheimnis

»Dirty Money«-Reihe

Hard Rules – Dein Verlangen

Hard Rules – Dein Begehren

Hard Rules – Dein Versprechen

Hard Rules – Deine Liebe

Über dieses Buch

Eine gemeinsame Nacht – mehr nicht. Sie. Er. Leidenschaft. Und dann ein schneller Abschied. Aber das wäre zu einfach …

Reese Summer ist einer der profiliertesten Anwälte New Yorks. Und weltberühmt, seit er bei einem umstrittenen Fall die Verteidigung übernommen hat. Und er ist ein arroganter (wenn auch sehr attraktiver) Frauenheld.

Cat Maxwell berichtet aus dem Gerichtssaal. Sie beobachtet ihn, studiert ihn. Sie kennt seinen Ruf als erfolgreicher Anwalt. Und den als Playboy. Sie weiß, dass sie sich in Acht nehmen sollte. Aber gegen ihre Gefühle ist sie machtlos.

Damit sie weiter professionell berichten kann, will sie ihm aus dem Weg gehen. Aber die Anziehung ist gnadenlos. Das Versprechen vollkommen. Und die Katastrophe unausweichlich …

Über die Autorin

Mit ihren Liebesromanen hat Lisa Renee Jones eine große Leserschaft gewonnen und wurde mehrfach mit Genrepreisen ausgezeichnet. Die New-York-Times- und USA-Today-Bestsellerautorin hat bereits diverse Serien veröffentlicht, die ebenfalls bei beHEARTBEAT erschienen sind, darunter »Tall, Dark and Deadly« sowie »Amy’s Secret« und »Dirty Money«. Jones lebt mit ihrer Familie in Colorado Springs, USA.

LISA RENEE JONES

DIRTY RICH

VERBOTENE LEIDENSCHAFT

Aus dem Amerikanischen von
Sonja Fehlin

beHEARTBEAT

Playlist

In My Head von Brantley Gilbert

Unforgettable von Thomas Rhett

Slow Hands von Niall Horan

The Fighter von Keith Urban

They Don’t Know von Jason Aldean

Take Me There von Rascal Flatts

Kapitel Eins

Cat

Der Prozess des Jahrhunderts, Tag 1

Kaffee bedeutet Leben, Liebe und Glück. Doch genau genommen ist er nur ein Wachmacher, und an einem Tag, an dem ich gemeinsam mit einer Horde weiterer Reporter über den Prozess des Jahrhunderts berichten werde, muss ich bei klarem Verstand sein. Aus diesem Grund habe ich mir mein marineblaues Kostüm angezogen, in dem ich besonders intelligent wirke, und es mit kniehohen Stiefeln kombiniert, bevor ich mich auf den Weg zu dem Café mache, das sich drei Häuserblocks von meinem New Yorker Loft entfernt befindet. Ich genieße den kurzen Spaziergang durch die Herbstluft. Da das Café nur zwei Blocks vom Gericht entfernt ist, wimmelt es hier von Leuten, aber der weiße Mokka ist das Schlangestehen absolut wert, und ich bin extra früh genug hergekommen, um dem Koffein ausreichend Zeit zu geben, seine Wirkung zu entfalten. Mir bleiben noch zwei volle Stunden, bis ich im Gerichtssaal sein muss, und ich habe vor, mich hier in eine Ecke zu setzen und an meiner täglichen Kolumne Cats Verbrechen zu schreiben, bevor ich losgehe.

Als ich mich anstelle, sind vor mir noch zehn Leute in der Schlange, und es geht nur langsam voran, deshalb googele ich zur Ablenkung den heutigen Angeklagten – auf der Suche nach etwaigen heißen Neuigkeiten, die gestern, bevor ich ins Bett gegangen bin, noch nicht online waren. Ich klicke mich durch diverse Artikel und habe mich in der Schlange gerade einen Platz weiter vorgearbeitet, als ich bei meiner Internetsuche auf den Link zu irgendeinem Blog mit dem Titel Mr Sexy – Verboten heiß stoße. Da es sich bei dem Angeklagten um einen gut aussehenden Milliardär handelt, der verdächtigt wird, seine schwangere Geliebte getötet zu haben, macht mich die Schlagzeile neugierig, und ich klicke auf den Link. Die Schlange bewegt sich ein Stück weiter vorwärts und ich mich mit ihr, bevor ich zu lesen beginne:

Ich brauche Hilfe. Ich habe etwas Schlimmes getan. Etwas sehr Schlimmes. Er hat mir gesagt, er werde sich um mich kümmern. Mich beschützen. Das ist drei Monate her. Ich erinnere mich noch genau an diesen Tag, als wäre er gestern gewesen. Doch jetzt ist es heute, und eine ganze Welt liegt hinter mir und vor uns. Ich betrete sein Büro und schließe die Tür. Wir starren einander an, die Luft zwischen uns knistert. Und dann passiert es. Das, was jedes Mal zwischen uns passiert. Einen Moment lang stehe ich noch am anderen Ende des Raumes, im nächsten sitze ich auf seinem Stuhl, hinter seinem Schreibtisch, und er kniet vor mir, starrt mich mit seinen glühend heißen blauen Augen an. Seine Hände legen sich auf meine Schenkel, direkt unter dem Saum meines Rocks, und am liebsten würde ich ihm mit den Fingern durch sein dichtes, dunkles Haar fahren, doch ich weiß es besser. Ich berühre ihn erst, wenn er mir sagt, dass ich ihn berühren darf.

Stattdessen umklammere ich die Armlehnen des Stuhls, als seine Hände langsam nach oben wandern …

»Der Nächste, bitte!«

Blinzelnd lasse ich von meiner heißen kleinen Lektüre ab und stoße geräuschvoll den Atem aus. Ich komme mir echt schmutzig und ekelhaft vor, und das aus gutem Grund. Ich bin erregt und verstört von dieser offensichtlich erotischen Fantasie über einen Mann, der vor Gericht steht, weil er seiner schwangeren Freundin einen tödlichen Stoß die Treppe hinunter versetzt haben soll. Ich berichtige: seiner schwangeren Geliebten. Zwar war das Kind nicht von ihm, und er behauptet, nicht ihr Geliebter gewesen zu sein, trotzdem wurde er verhaftet, weil man seine Fingerabdrücke auf einem Türknauf gefunden hat.

»Cat!«

Der Klang meines Namens lässt mich zusammenzucken, als Jeffrey – der immer an der Kasse steht, wenn ich hier vorbeikomme – mich von seinem Platz hinter der Theke aus ruft. Ich trete einen Schritt vor, doch genau in diesem Moment stellt sich ein Mann in einem dunkelgrauen Anzug vor mich. Stirnrunzelnd beuge ich mich vor und berühre ihn am Arm. »Entschuldigung.« Er reagiert nicht, aber ich bin mir sicher, er weiß genau, dass ich mittlerweile direkt neben ihm stehe. »Entschuldigung«, wiederhole ich.

Er wendet sich immer noch nicht um, und jetzt bin ich sauer. Heftig ziehe ich ihn am Ärmel seines bestimmt wahnsinnig teuren Jacketts und erreiche mein Ziel: Er fährt herum und sieht mich an, und an dem Ausdruck unterdrückten Ärgers, der ihm ins extrem attraktive Gesicht geschrieben steht, kann ich ablesen, dass ich es geschafft habe: Ihm geht es nun genauso wie mir, und als kleine Zugabe weiß er jetzt auch, dass ich nicht zulasse, dass man mich ignoriert – trotz meiner knapp ein Meter siebenundfünfzig und der Tatsache, dass ich blond und weiblich bin. »Ich war dran«, verkünde ich.

»Und ich hab keine Zeit zu warten, bis Sie mit Ihren Handyspielereien fertig sind.«

»Spielereien? Das ist ja wohl eine Frechheit.« Ich öffne den Mund, um noch etwas zu sagen, schließe ihn jedoch wieder und hebe stattdessen die Hand, um ihn davon abzuhalten, irgendetwas zu tun oder zu sagen, das mich heute aus den falschen Gründen in einen Gerichtssaal bringen könnte. »Warten Sie gefälligst, bis Sie dran sind! Wie ein Gentleman.«

Kaum wahrnehmbar verengt er die Augen, die – wie ich mittlerweile festgestellt habe – in einem verboten hübschen Kristallblau funkeln, dann dreht er sich wieder zum Tresen um. »Einen doppelten Espresso XL und für sie, was auch immer sie haben will.« Mr Arrogantes Arschloch sieht mich an. »Was wollen Sie? Ich gebe Ihnen einen aus.«

»Soll das etwa eine Entschuldigung sein?«

»Das ist ein Entgegenkommen, um Zeit zu sparen. Keine Entschuldigung. Schließlich haben Sie mit Ihrem Handy gespielt …«

»Ich hab nicht gespielt. Ich hab gearbeitet, während Sie sich überlegt haben, wie Sie sich am besten vor die Frau vor Ihnen drängeln können.«

»Was Besseres haben Sie nicht auf Lager? Ich verdränge Frauen?«

»Nein, heute tun Sie das nicht«, entgegne ich. »Sie haben es versucht, aber Sie sind gescheitert. Ich kann mir meinen Kaffee selbst kaufen.« Resolut wende ich mich in Richtung Tresen. »Das Übliche, bitte.«

»Dein Becher ist schon in Arbeit«, sagt Jeffrey. »Müsste jeden Moment fertig sein.«

»Danke«, antworte ich, und obwohl ich einfach weitergehen sollte, drehe ich mich zu Mr Arrogantes Arschloch um, weil ich offensichtlich nicht anders kann. »Ich gebe Ihnen noch einen nützlichen Rat«, verkünde ich, »da Sie ja mir gegenüber auch so extrem hilfsbereit waren. Die Worte ›Danke‹ und ›Es tut mir leid‹ gehören nicht nur zum Einmaleins des guten Benehmens: Ein Mann, der sie nicht benutzt, bleibt auch entweder Single oder wird einer.« Und mit diesem Hinweis gehe ich weiter zum Ende des Tresens, wo bereits eine Gruppe von Leuten auf ihre Getränke wartet, doch zu meinem Glück sehe ich, dass der Ecktisch, an dem ich am liebsten sitze, gerade frei wird. Hastig mache ich mich auf den Weg und warte, bis die Frau, die dort gesessen hat, ihre Habseligkeiten eingesammelt hat, bevor ich ihr das »Danke schön« zuraune, das Mr Arrogantes Arschloch am Tresen hinter mir offensichtlich nicht kennt. Dann lege ich meine Tasche auf den Tisch und setze mich. Während ich mich häuslich an meinem Stammplatz einrichte, hebt sich – keine Ahnung, wieso – mein Blick und sucht nach Mr Arrogantes Arschloch, der immer noch am Tresen steht, mittlerweile mit dem Handy telefoniert und diese starke, machtvolle Präsenz ausstrahlt, die den gesamten Raum einnimmt und dafür sorgt, dass jede der hier anwesenden Frauen ihn anstarrt. Einschließlich mir anscheinend, und diese Tatsache regt mich auf. Er regt mich auf, und es gibt nur eine einzige Methode, mit einem Mann wie ihm umzugehen: Man verbringt eine Nacht mit ihm und beendet diese mit einem schönen kleinen Orgasmus zum Abschied. Und das war’s dann. Alles Weitere wäre ein Fehler, was ich deshalb so genau weiß, weil ich es schon hinter mir habe.

Einmal.

Und nie wieder.

Exakt in diesem Moment, als mir ebendieser Gedanke durch den Kopf geht, beschließt Mr Arrogantes Arschloch, sich umzudrehen, und irgendwie findet sein Blick genau den Platz, wo ich sitze. Seine durchdringenden blauen Augen richten sich auf mich, und jetzt sieht er, dass ich ihn anstarre, was wiederum bedeutet, ich bin aufgeflogen und wirke jetzt wahrscheinlich weitaus interessierter an ihm, als ich will. Abrupt wende ich den Blick ab, hole mein MacBook raus und erwecke es mit einem Tastendruck zum Leben, und im selben Moment, als es sich mit dem Internet verbindet, ertönt hinter mir ein »Bestellung für Cat!«.

Ich schaue zu einem der Stammgäste hinüber, einem Typen um die dreißig, der aus seinem letzten Job geflogen ist und irgendeine Consultingfirma gegründet hat. »Kevin«, sage ich, und als er nicht aufsieht, hebe ich die Stimme: »Kevin!«

Sein Kopf schießt hoch. »Cat«, entgegnet er und schaut mich blinzelnd an.

Stumm deute ich auf meinen Tisch und anschließend auf den Tresen. Als er nickt, stehe ich auf, und entschlossen, nicht vor Mr Arrogantes Arschloch zu kuschen, der jetzt mit dem Rücken zu mir an der Theke steht, stürme ich nach vorn. Gerade als ich neben ihn treten und mir mein Getränk greifen will, dreht er sich zu mir um, zwei Becher in der Hand, von denen er einen mir anbietet. »Ihre Bestellung«, verkündet er.

Mich weigernd, seinem Charme zu erliegen, spitze ich die Lippen. »Danke.« Dann lege ich eine Kunstpause ein, bevor ich hinzufüge: »Aber Sie sind trotzdem ein Arschloch.«

Lächelnd verzieht er den Mund, der mir auffällt, obwohl ich es nicht will, weil er wirklich ein arrogantes Arschloch ist. »Sie haben ja gute Manieren«, kommentiert er.

»Die habe ich von meiner Mutter. Gute Manieren und Ehrlichkeit.«

»Ich werde die Korrektheit Ihrer Aussage auch nicht anzweifeln, eingedenk der Tatsache, dass ich mich wirklich wie ein Arschloch verhalten habe.«

»Das ist gut«, erwidere ich, erstaunt über diese plötzliche Wendung. »Dann sind wir ja mal einer Meinung.«

In seinen Augen leuchtet Belustigung auf. »Ich würde mich ja entschuldigen, aber dann wäre das hier vorbei.«

Stirnrunzelnd sehe ich ihn an. »Was soll denn das heißen?«

»Kommen Sie morgen früh wieder hierher, dann verhandeln wir die Bedingungen für meine Entschuldigung.« Damit geht er an mir vorbei, und als ich herumwirble, habe ich nur noch seinen Rücken vor der Nase.

»Sie sind Anwalt, stimmt’s?«, frage ich, weil ich die Ausdrucksweise, die Art und alles andere an diesem Mann nur zu gut kenne. Tatsächlich habe ich selbst einen Juraabschluss in Harvard gemacht, genau wie zwei meiner drei Brüder und mein Vater. Sie freiwillig, ich durch Druck von außen, dem ich seit zwei Jahren nicht mehr nachgebe.

Der Fremde bleibt jetzt stehen und wendet sich zu mir um. »Ja, Cat, das bin ich. Und das bedeutet, Sie sind für das Einmaleins guter Manieren zuständig und ich für das Einmaleins guter Verhandlungen.« Er lächelt – verdammt umwerfend –, dann dreht er sich wieder um und schlendert davon.

Ich sehe zu, wie er in der Menge verschwindet, und weiß, dass ich nur zwei Optionen habe: ihn zu vergessen oder morgen wieder hier aufzutauchen. Das ist doch verrückt. Männer wie er verursachen nur Probleme, und ich mag keine Probleme – also wieso zum Geier starre ich Mr Arrogantes Arschloch hinterher? Ich treffe mich nicht mit ihm. Schluss. Aus. Ende.

Energisch dränge ich jeden weiteren Gedanken beiseite, gehe zurück an meinen Tisch und werfe einen Blick auf den Computerbildschirm, wo ich »Mr Sexy« eingetippt habe. In diesem Moment wird mir klar, dass diese kleine heiße Episode aus dem Blog halb daran schuld ist, dass Mr Arrogantes Arschloch überhaupt irgendeine Wirkung auf mich hatte. Ich werde mich nicht mit ihm treffen. Und wenn doch, dann nur mit dem Wissen, dass es für alle Probleme eine Lösung gibt, die in diesem Fall – in seinem Fall – in einem unanständig heißen One-Night-Stand bestehen würde.

Oder darin, sich einfach nicht noch einmal mit ihm zu treffen. Aber das ist mein Stammcafé, und ich lasse mich nicht von hier vertreiben.

***

Eine Stunde später habe ich den Anfang meiner Kolumne über die heutige Gerichtsverhandlung geschrieben, wo ich detailliert beschreibe, was ich über das Verbrechen und den mutmaßlichen Mörder weiß. Nachdem das erledigt ist, mache ich mich auf den Weg zum Gericht und treffe dort fünfundvierzig Minuten vor Beginn der Verhandlung ein – zu meinem Glück, denn vor dem Eingang des Gerichts drängen sich Demonstranten und Presseleute. Im Verhandlungssaal sind neunundneunzig Prozent der Plätze von Menschen und Kameras belegt. Ich quetsche mich in die hinterste Reihe und hole mein nagelneues ledergebundenes Notizbuch heraus, schlage die erste Seite auf und schreibe: Mord: Schuldig oder unschuldig? Darunter notiere ich Fragen, die mir in den Sinn kommen und auf die ich hoffentlich während der heutigen Verhandlung und im weiteren Verlauf des Prozesses Antworten erhalte – so lief es zumindest in den beiden Prozessen, über die ich davor berichtet habe.

Gerade als ich mit meiner Liste fertig bin, beginnt die Verhandlung. Die Geschworenen betreten den Saal. Dann folgen der Angeklagte und seine Verteidiger, doch die blöden Kameras versperren mir den Blick. Als Nächstes erscheint der Richter, und alle erheben sich, was dazu führt, dass ich noch weniger sehen kann. Endlich dürfen wir alle wieder Platz nehmen, und die Hauptverteidiger beider Parteien treten ans Richterpult, sind jedoch höchstens eine Minute dort, bevor sie sich erneut in Richtung Saal umwenden. Genau in diesem Augenblick, als Reese Summer, der Hauptverteidiger des Angeklagten, in die Mitte tritt, um sein Eröffnungsplädoyer zu halten, bleibt mir vor Schreck der Mund offen stehen – und das aus gutem Grund. Reese Summer ist Mr Arrogantes Arschloch. Während der ersten fünf Minuten seines Plädoyers sitze ich einfach nur da und starre ihn entgeistert an, bevor mir einfällt, dass ich mir besser Stichpunkte machen sollte. Also beginne ich zu schreiben und beobachte ihn eingehend, während er umhergeht, spricht und vor den Geschworenen, den Zuschauern und den Kameras nicht nur seinen Fall darstellt, sondern auch sich selbst.

»Nelson Ward hat Jennifer Wright zu einem Zeitpunkt kennengelernt, als sie panische Angst vor ihrem Freund hatte, und er hat nicht weggeschaut, wie es die meisten Menschen getan hätten. Nein, er hat hingesehen. Er hat seiner Frau von ihr erzählt. Und gemeinsam haben er und seine Frau ihr dabei geholfen, eine Unterkunft und einen Job zu finden. Nelson hatte keine Affäre mit Jennifer Wright. Der DNA-Test hat bewiesen, dass das Kind, das Jennifer Wright erwartete, nicht von ihm war, sondern von ihrem Freund, der sie misshandelt hat. Die Anklage wollte die Öffentlichkeit zufriedenstellen, dafür brauchte sie ein Opfer, das sie beschuldigen konnte. Und genau das ist mein Mandant: ein Opfer. Die Staatsanwaltschaft wird dem Gericht als Beweismittel Fingerabdrücke vorlegen, die auf dem Türknauf von Ms Wrights Haus gefunden wurden. Das war das Riesenindiz, das Nelson Ward in diesen Gerichtssaal gebracht hat. Meine Fingerabdrücke befinden sich überall hier in diesem Saal. Habe ich deshalb ein Verbrechen hier begangen? Nein. Das habe ich nicht. Wurde hier jemals ein Verbrechen begangen? Ja. Tatsächlich gab es schon drei Morde in diesem Gebäude. Gemäß dem Vorgehen der Anklage in diesem Fall brauchen Sie alle jetzt einen Anwalt. Warum? Weil dies der einzige Beweis ist, den sie gegen meinen Mandanten in der Hand haben: Fingerabdrücke an einer Tür. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Anwesende, aber mir jagt der Gedanke Angst ein, dass man uns so einfach eines Verbrechens beschuldigen kann, nur aufgrund unserer Fingerabdrücke an einer Tür. Nicht auf einer Waffe. Nein, auf einem Türknauf, der ständig von vielen Personen angefasst wird.«

Während er fortfährt, erheben sich leiser Spott und raunendes Gelächter im Publikum, und auf diversen Gesichtern haben sich tiefe Stirnfalten eingegraben. Reese Summer nimmt alle mit auf eine emotionale Reise. Als er fertig ist, lehne ich mich zurück, nehme mir einen Moment Zeit, um über sein Verhandlungstalent nachzudenken, und komme irgendwann zu dem Schluss, dass dieser Mann die Leute im Gerichtssaal genauso leicht manipulieren kann, wie er es bei mir geschafft hat.

Er ist der Typ, der einen in Schwierigkeiten bringt.

In große Schwierigkeiten.

Und ab jetzt gehört es zu meinem Job, mich bis zum Ende des Verfahrens ausführlich mit ihm zu beschäftigen. Was bedeutet, aus dem unanständig heißen (und splitterfasernackten) One-Night-Stand wird nichts, solange ich mich nicht mit einem schönen kleinen Orgasmus für immer verabschieden kann. Alles andere wäre ein Fehler, den ich bereits begangen habe. Einmal. Und nie wieder.

Kapitel Zwei

Cat

Der Prozess des Jahrhunderts, Tag 2

Als ich am nächsten Morgen aufwache, verspüre ich absolut keinen Drang, mich mit Reese zum Kaffee zu treffen. Jede persönliche Begegnung mit ihm wäre unangemessen, und ich habe keine Lust, meine Glaubwürdigkeit als Journalistin infrage zu stellen. Das heißt, anstatt mich wie sonst auch zu duschen, anzuziehen und ins Café aufzumachen, bin ich immer noch im Schlafanzug, als ich in meine Küche schlendere und eine Kaffeekapsel mit Schokoaroma in meine Keurig-Maschine stecke. Während mein Getränk in Arbeit ist, denke ich weiter über den Mann nach, dem ich gerade aus dem Weg gehe. Wäre ich eine andere Art von Reporterin, würde ich seine Einladung annehmen und ihm ein Interview entlocken, aber ich stehe nicht sonderlich auf den Infos-gegen-Sex-Journalismus, und darauf würde es wohl hinauslaufen. Davon abgesehen wird niemand gern von der Presse gestalkt, und Reese Summer mag vielleicht ein Arschloch sein, aber ich bin keins. Und ich bin auch nicht auf Schlagzeilen aus, sondern auf aussagekräftige, objektive Beiträge, weshalb ich oft mit Interviews belohnt werde, die ich sonst nicht bekommen würde.

Mit der dampfenden Tasse in der Hand setze ich mich an meine Kücheninsel mit der Arbeitsplatte aus weißem Marmor und trinke im weiteren Verlauf des Morgens zwei Tassen Kaffee, während ich das tue, was ich jeden Morgen tue: Ich lese meine Cats Verbrechen-Kolumne in der Hoffnung, dass ich meine mittlerweile veröffentlichten Texte nicht schrecklich finde. Heute passiert das zum Glück nicht, manchmal allerdings schon. Davon abgesehen hatte ich im derzeitigen Fall nicht gerade viele Informationen, mit denen ich hätte arbeiten können. Es gab die Eröffnungsplädoyers, einige hitzige Wortgefechte zwischen den Anwälten, und dann zog der Richter sich mit den beiden hinter verschlossene Türen zurück, was das Ende des Verhandlungstages einläutete. Trotzdem stelle ich jetzt, da ich meinen veröffentlichten Artikel lese, fest, dass er mir tatsächlich gelungen ist. Mein Bericht ist eine schöne Mischung aus meiner persönlichen Sicht auf den Fall, der Position des Richters und der Einstellung der Geschworenen bezüglich der Vorgänge im Gerichtssaal. Zusätzlich teile ich meine Meinung darüber mit, was passieren sollte, was passiert ist und was nicht passiert ist. Und am Ende halte ich mein eigenes Schlussplädoyer.

In ihrem Eröffnungsplädoyer verkündete die Anklage, den Beweis dafür zu erbringen, dass der lammfromm wirkende Milliardär in Wahrheit ein Wolf im Schafspelz ist. Die Verteidigung – angeführt von Reese Summer – verkündete wiederum, das Gegenteil zu beweisen. Ziemlich vorhersehbar, möchte man meinen, abgesehen von einer Tatsache: Die Begeisterung für den Hauptverteidiger, die den Gerichtssaal nach dessen Auftritt erfasst hat, erringt den Sieg am heutigen Prozesstag. Offensichtlich hat Reese Summer die Anwesenden mit Hilfe des JFK-Effekts – einer Kombination aus Attraktivität und Charme – für sich eingenommen und Geschworene wie Zuschauer nicht nur umgehauen, sondern auch davon überzeugt, dass die Anklage die reinste Hexenjagd betreibt. Und da die Anklage sich ihrerseits für die Strategie entschieden hat, ein hochtheatralisches Plädoyer zu halten, das an einen schlecht produzierten Slasherfilm erinnerte, sollte sie, falls sie den Prozess am Ende gewinnen will, besser noch einige Fakten in petto haben.

Bis dahin

Ihre Cat

Den Teil, dass ich Reese schon vorher begegnet bin und ihn für ein arrogantes Arschloch halte, habe ich weggelassen, genauso wie die Tatsache, dass ich trotz allem noch darüber nachgedacht habe, mit ihm ins Bett zu gehen. Wieso, weiß ich auch nicht. Eigentlich ist Reese genau der Typ Mann, der mir schon immer das Leben schwer gemacht hat. Ich weiß, dass man mit so jemandem nur Ärger hat. Und falls die Anklage dies bisher noch nicht weiß, wird sie schon bald dahinterkommen. Um meine Aussagen mit Fakten untermauern zu können, googele ich Reese Summer. Nur zu Recherchezwecken, versteht sich. Die einzelnen Stichpunkte notiere ich mir in meinem Buch:

Alter: 35

Jurastudium in Yale, Abschluss vor acht Jahren

Single

Hat noch nie einen Prozess verloren

Gott, der Lebenslauf dieses Mannes gleicht dem meines Vaters, meiner zwei Brüder und dem von Mitch, meinem Ex. Hätte ich mich doch nur auf Sex im Büro mit ihm beschränkt, dann wäre es mir vielleicht egal gewesen, dass er dort auch seine Sekretärin gevögelt hat. Lustig, wie das Leben so spielt. Und nach dieser erkenntnisreichen Feststellung klappe ich meinen Laptop zu. Zeit, zu duschen, mich anzuziehen und auf den Weg zum Gericht zu machen, ohne auf einen weißen Mokka und ein kleines Tête-à-Tête mit Mr Arrogantes Arschloch im Café vorbeizuschauen.

***

Als ich aus der Dusche steige, fange ich langsam an, mich zu fragen, ob Reese Summers gutes Aussehen und mein Ärger auf ihn vielleicht mein Urteilsvermögen getrübt haben, was das Treffen mit ihm angeht. Habe ich mich in dem Bemühen, nicht unprofessionell zu wirken, erst recht unprofessionell verhalten? Irgendwann werde ich ihn interviewen wollen. Aber wieso sollte er einer Frau ein Interview geben, die ihn versetzt hat? Natürlich habe ich nie in das Treffen eingewilligt, und es ging ja auch nicht um ein romantisches Date, aber trotzdem …

Als ich mich fertig angezogen und frisiert habe – ein eng anliegendes schwarzes Etuikleid mit V-Ausschnitt und die Haare hübsch im Nacken festgesteckt –, bin ich überzeugt davon, einen Fehler gemacht zu haben. Entschlossen, dieses Problem zu lösen und Reese noch zu erwischen, bevor er das Café verlässt, schlüpfe ich in einen schwarzen Blazer und kniehohe schwarze Stiefel, schnappe mir auf dem Weg zur Tür meine zwei Taschen und hänge sie mir um. Gerade als ich die vierzehn Stockwerke mit dem Aufzug nach unten gefahren bin und die Eingangshalle meines Wohnhauses betrete, klingelt mein Handy.

Noch im Gehen krame ich es aus meiner Handtasche und sehe die Nummer meiner Freundin Lauren Walker auf dem Display aufleuchten.

Ich winke Adam, dem Portier zu, verlasse das Gebäude und nehme erst draußen den Anruf entgegen. »Wie geht’s dem Baby?«, melde ich mich.

»Sprichst du von dem in meinem Bauch oder dem in meinem Bett?«, fragt sie zurück.

»Ich glaube, du bist die einzige Person auf diesem Planeten, die Royce als Baby bezeichnen würde. Der Mann ist ein Tier – kein Wunder, als ehemaliger FBI-Agent.«

»Baby ist auch das falsche Wort«, räumt sie ein. »Beschützender Bär stimmt eher. Er weicht mir nicht von der Seite, noch schlimmer als der Bezirksstaatsanwalt, und du weißt, was das heißt.«

Nachdem ich drei Jahre mit ihr zusammen unter besagtem Bezirksstaatsanwalt gearbeitet habe, weiß ich das tatsächlich, trotzdem kann ich ihren Mann verstehen. Lauren hatte letztes Jahr eine Fehlgeburt, und er macht sich Sorgen. Immer noch. »So schlimm kann Royce doch gar nicht sein.«

»Doch. Genau wie seine Brüder. Wahrscheinlich schleppen die demnächst eine Drohne hier an, die mich bis ins Bad verfolgt.«

Ich muss lachen. »Das wäre allerdings schlimm. Ziemlich schlimm sogar. Aber im Ernst: Wie geht es dir?«

»Mir ist schlecht. Aber ich hab gehört, das ist ein gutes Zeichen. Davon abgesehen hab ich in ein paar Tagen einen Termin mit einem Mandanten, aber ich wollte dich eigentlich nicht anrufen, um mit dir über Drohnen und überfürsorgliche Männer zu sprechen. Ich dachte, es interessiert dich sicher, dass Royce einen Anruf bekommen hat, von dem Angeklagten in dem Prozess, über den du gerade berichtest.«

Ich runzle die Stirn. »Nelson Ward will die Sicherheitsfirma deines Mannes engagieren?«

»Mit seiner jetzigen Firma ist er nicht zufrieden. Die hat er wegen der Drohungen engagiert, die er bekommt.«

»Und?«

»Royce hat sofort abgelehnt. Er hat das Gefühl, es bringt Unglück, wenn er einen Kerl beschützt, der vielleicht eine schwangere Frau umgebracht hat, vor allem, da er selbst gerade eine schwangere Frau hat.«

»Da ist was dran, denke ich.«

»Natürlich, aber ich kenne auch Reese Summer. Ich glaube nicht, dass er diesen Fall übernommen hätte, wenn er Nelson für schuldig halten würde.«

»Du kennst Reese?« Ich biege um eine Ecke und schlängle mich zwischen den anderen Fußgängern hindurch.

»Ja. Das hab ich dir aber erzählt.«

»Nein. Nein, hast du nicht. Wobei es eigentlich logisch ist, schließlich arbeitet ihr beide als Strafverteidiger. Erzählst du mir etwa jetzt, du willst Royce überreden, den Auftrag doch anzunehmen?«

»Nein«, entgegnet sie. »Das hab ich schon versucht, und ich weiß, wann man sich bei den Walker-Männern besser geschlagen gibt. Außerdem hab ich deine Zusammenfassung der Eröffnungsplädoyers gelesen, die übrigens hervorragend war, und das hat mich in meiner Überzeugung noch bestärkt, dass Mr Sexy wieder einmal gewinnen wird.«

»Mr Sexy?«, hake ich nach und bleibe abrupt stehen, nur wenige Schritte vom Café entfernt. »Wen meinst du damit?«

»Oh mein Gott, du kennst Mr Sexy nicht? Und das als Reporterin?«

»Wovon redest du?«

»Reese war letztes Jahr im Fernsehen, und danach gab’s alle möglichen Postings im Netz mit irgendwelchen heißen Fantasien über ihn. Das Ganze hat wahnsinnige Ausmaße angenommen. Und er hasst das.«

»Reese Summer ist Mr Sexy?«

»Ja, aber wie ich schon sagte: Er hasst das. Weil er findet, dass es seine beruflichen Leistungen schmälert. Er ist wirklich sympathisch. Und sexy, aber sag Royce nicht, dass ich das gesagt hab. Seit ich wieder schwanger bin, ist er echt eifersüchtig, was totaler Quark ist. Ich bin schwanger, mein Gott.«

»Als ob du Augen für irgendwen außer ihm hättest …«

Sie seufzt. »Ich liebe diesen Mann wirklich. Wie auch immer, ich muss jetzt Schluss machen. Aber fürs Protokoll: Ich wette mit dir um einen ›Schokolawine‹-Becher aus dieser Eisdiele, die wir vor ein paar Monaten entdeckt haben, dass die Frau von ihrem Ex-Freund getötet wurde.« Im Hintergrund ertönen Stimmen. »Ich muss los, aber ich erwarte exklusiven Klatsch und Tratsch aus dem Gerichtssaal, den du niemandem außer mir erzählst.« Und damit legt sie auf.

Ich lasse das Handy sinken und muss blinzeln, als mir klar wird, dass die größte Neuigkeit, die ich in Sachen Klatsch und Tratsch anzubieten – oder besser zu verschweigen – habe, meine Begegnung mit Mr Arrogantes Arschloch ist; und das während ich gerade eine kleine erotische Fantasie über Mr Sexy durchgelesen – und mir zugegebenermaßen auch selbst vorgestellt – habe. Und Reese Summer ist beides. Wie ist so was überhaupt möglich?

Ich blicke auf die Uhr auf meinem Handy und stelle fest, dass ich kurz davor bin, ihn zu verpassen, bevor er ins Gericht geht. Eilig stecke ich mein Handy zurück in meine Tasche, haste los und öffne die Tür zum Café genau in dem Moment, als Reese herauskommt. Bevor ich auch nur die Chance habe, erneut wegen dieses Mannes zu blinzeln, legt er mir die Hände auf die Schultern und schiebt mich zur Seite. »Sie sind spät dran«, meint er, und die Berührung seiner Hände versengt meine Arme, während eine herbstliche Brise den herben, maskulinen Duft seines Aftershaves zu mir herüberweht.

»Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir einen Termin oder eine Uhrzeit vereinbart hätten.«

»Doch, das haben wir«, entgegnet er. »Aber offensichtlich mussten Sie sich erst dazu überreden hierherzukommen.«

»Ich bin hierhergekommen, um mir einen Kaffee zu holen.«

»Lügnerin«, sagt er.

»Ich bin …«

»Sie sind wegen mir gekommen«, ergänzt er, und seine tiefe Stimme klingt rau, als er hinzufügt: »Kommen Sie noch mal wegen mir. Morgen. Eine Stunde früher als heute.«

»Ich muss …«

»Gut«, sagt er. »Und das interessiert mich sehr. Morgen. Jetzt muss ich los.« Damit lässt er mich stehen und geht davon. Ich fahre herum, um ihm nachzublicken, und oh mein Gott, der Mann ist wirklich sexy. Ich kann ihn immer noch überall spüren, und er hat mich lediglich an den Armen berührt. Davon abgesehen ist er gegangen, bevor ich ihm sagen konnte, wer ich bin, und ich überlege kurz, ihm nachzulaufen und mich vorzustellen, aber er ist auf dem Weg ins Gericht. Sicher hat er heute alles Mögliche im Kopf, aber nicht mich. Trotzdem war er hier. Wegen mir. Und ich bin mir nicht sicher, was ich mit dieser kleinen Erkenntnis anfangen soll. Andererseits: Männer wie er lieben es zu jagen, und ich habe ihm nicht gleich zu Füßen gelegen.

Deswegen wird er weiterjagen.

Allerdings nur so lange, bis ihm der Gedanke kommt, dass ich mich nur an ihn rangemacht habe, um das Interview zu kriegen – das ich immer noch brauche. Das Ganze kann nicht gut enden, und schon gar nicht nackt. Hier wird niemand kommen, zumindest nicht Reese und ich zusammen.

Kapitel Drei

Cat

Ich komme schon eine Stunde vor Prozessbeginn beim Gericht an, doch dummerweise herrscht davor bereits ein Massenauflauf von Demonstranten und anderen Gruppen. Frustriert dränge ich mich durch die Menge hindurch, und als ich es endlich bis in den Gerichtssaal geschafft habe, lande ich in derselben hinteren Reihe wie gestern. Andererseits, denke ich im Stillen, während ich versuche, es mir auf dem harten Stuhl irgendwie bequem zu machen, sollte ich mich vielleicht möglichst unauffällig verhalten, bis die Situation mit Reese Summer geklärt ist. Situation. Auch eine Art der Beschreibung dessen, was zwischen mir und diesem Mann läuft.

Ich hole mein Notizbuch aus meiner Aktentasche, öffne es auf der Seite mit meinen gestrigen Notizen und verziehe das Gesicht, als ich mein Gekritzel zum Thema Frauen lese, die sich in angeklagte Mörder verlieben. Mr Sexy ist zwar hier nicht der Angeklagte, aber die Story wäre trotzdem gut. Ich verdränge diesen Gedanken und mache mir stattdessen Stichpunkte zu Laurens Kommentaren – mit dem Fokus darauf, wer die Morde begangen haben könnte, wenn es nicht der Angeklagte war. Ich habe bereits mehrere Seiten gefüllt, als sich vorne im Gerichtssaal etwas tut, und es dauert nicht lange, bis Reese an seinem Tisch sitzt und ich mich an die Worte erinnere, die er mir mit heiserer und tiefer Stimme zugeraunt hat: Sie sind wegen mir gekommen. Kommen Sie noch mal wegen mir. Erst jetzt wird mir bewusst, dass dabei ein Funkeln in seinen Augen lag. Und du meine Güte, als er nach vorne zum Pult geht, um den Richter zu begrüßen, bin ich mir ziemlich sicher, diverse Frauen aufseufzen zu hören – und das nur, weil er sich im selben Raum befindet wie sie. Zwar hasse ich es, auch dazuzugehören, aber ich kann nicht leugnen, dass er ein attraktiver Mann ist. Das ist auch gar nicht der Punkt in dieser ganzen Geschichte, sondern seine Art – und mein Job.

Der Prozess beginnt, und der Staatsanwalt fährt im Stil seines Eröffnungsplädoyers fort und zeichnet das Porträt eines egoistischen Milliardärs, der zwei Stückchen vom Kuchen abhaben und gleichzeitig essen wollte. Mit anderen Worten: eine Frau und eine Geliebte. Das ist eine widerliche, hinterlistige juristische Taktik, dazu noch unbeholfen vorgetragen und voller Lücken und Theorien, die auf keinerlei Fakten basieren. Reese dagegen beherrscht seinen Job fantastisch – wie ich von meinem Platz aus beobachten kann –, und er nimmt jeden Zeugen der Staatsanwaltschaft regelrecht auseinander.

Das macht er sogar so gut, dass ich zur Mittagszeit Laurens Lobrede auf ihn verwerfe und meine ursprüngliche Einschätzung bestätigt sehe: Er gehört definitiv zum Typ Mann, der einen immer wieder aufs Kreuz legt, wenn man ihn nicht zuerst aufs Kreuz legt. Auf die Arbeit bezogen natürlich und basierend auf der allgemeinen, objektiven Beobachtung einer Frau, die sich noch nie vor ihm ausgezogen hat. Wer hier gerade tatsächlich ausgezogen und bloßgestellt wird, das sind allerdings weder ich noch Reese.

Als wollte er jeden meiner gedanklichen Punkte bestätigen, geht Reese nun zu der Zeugin der Anklage hinüber und fährt fort, aus der Frau ein albernes Schulmädchen zu machen, das herumzappelt, nervös lächelt und mit den Wimpern in seine Richtung klimpert. Gleichzeitig steht sie immer mehr wie eine Lügnerin da, da sie sich in Widersprüche verstrickt. Ihre Behauptung, den Angeklagten mit seiner »mutmaßlichen« Geliebten – wie Reese sie nennt – gesehen zu haben, wirkt wenig bis gar nicht glaubhaft. Anscheinend ist sie überhaupt nicht sicher, wen oder was sie tatsächlich gesehen hat.

So ist es auch keine Überraschung, dass der Staatsanwalt, nachdem die Frau den Zeugenstand verlassen hat, um eine frühe und lange Mittagspause bittet. »Eine Stunde«, gesteht ihm der Richter zu und räumt damit lediglich die übliche Zeitspanne ein – was mich wiederum vermuten lässt, dass er von einer langen Liste von Zeugen ausgeht, deren Befragung sich ebenfalls in die Länge ziehen wird.

In diesem Moment wird auf dem Richterpult der Hammer auf den Holzblock geschlagen, und im Saal erhebt sich ein ganzer Pulk von Leuten, der sich in Richtung Ausgang bewegt. Ich stehe nicht auf. Kann ich auch nicht. Der Gang ist voller Menschen, und ich komme nicht durch. Also versuche ich, das Beste aus meinem Gefangensein zu machen, und beobachte das Geschehen auf der anderen Seite des Raums, auf der Suche nach Material für eine gute Story. Die Anklage macht sich so schnell wie möglich aus dem Staub und flüchtet in ein Hinterzimmer, während Reese an seinem Tisch bleibt und sich mit seinem Mandanten und den Co-Anwälten unterhält. Interessanterweise steht Reese ziemlich dicht neben dem Angeklagten und lehnt sich sogar zu ihm vor. Lauren hat recht. Dieser Mann glaubt an die Unschuld seines Mandanten. Oder er mag einfach jeden, der ihn gut bezahlt.

Die Menschenmenge im Saal verläuft sich so schnell, als würde man einen Sumpf mit einem Saugrohr trockenlegen, deshalb stehe ich plötzlich alleine da; eine einsame Frau in einem Meer aus leeren Stühlen, die Reese Summer beobachtet. Genau in diesem Moment beugt der sich noch näher an seinen Mandanten heran, um ihm etwas ins Ohr zu sagen. Dabei dreht er das Gesicht zum Saal, in meine Richtung, und sein Blick scheint direkt mich zu treffen: die Frau, die ihn fast im Café versetzt hätte und jetzt hier in seinem Gerichtssaal sitzt und ihn anstarrt. Die Situation kommt mir vor wie eine Szene aus einem Stalkerfilm, mit mir als Stalkerin.

Doch Reese Summer zeigt keinerlei Reaktion auf meine Anwesenheit. Vielleicht erkennt er mich gar nicht. Vielleicht ist er auch mit den Gedanken woanders. Auf jeden Fall starrt er mich weiter an, ohne eine Miene zu verziehen, bevor er den Blick wieder auf seinen Mandanten richtet und damit seine Aufmerksamkeit zurück auf das wirklich Wichtige lenkt: Und das bin nicht ich.

»Miss«, spricht mich ein Wachmann an, der unvermittelt über mir aufragt. »Sie müssen bitte den Saal verlassen.«

Ich runzle die Stirn und blicke zu dem Alten in blauer Uniform hoch, während ich mich frage, ob der Mann das ernst meint. Wie hätte ich denn gehen sollen, solange mein Weg blockiert war? Da meine Sitzreihe jedoch mittlerweile frei ist, behalte ich den Kommentar für mich. »Natürlich«, entgegne ich, während er in den Mittelgang tritt und sich dort so postiert, dass ich nirgendwo anders hinkann als zum Ausgang. Vielleicht hält er mich auch tatsächlich für eine Stalkerin.

Ich gehe an ihm vorbei und verlasse den Gerichtssaal. Und so endet meine dreißigsekündige Begegnung mit dem Mann der Stunde, Mr Sexy Arrogantes Arschloch: Ich werde von einem bewaffneten Sicherheitsangestellten zur Tür hinauseskortiert. So viel zum Thema Professionalität und Diskretion.

***

Reese

Während ich den Gerichtssaal durch die Seitentür verlasse – Nelson Ward vor mir, Elsa und Richard, meine Co-Anwälte neben mir –, habe ich nur eins im Kopf, und es ist das Falscheste, was man mitten in einer Verhandlung im Kopf haben kann: eine Frau. Wir erreichen den für uns reservierten Raum, wo wir zu Mittag essen und unsere Strategie durchsprechen wollen, doch ich sehe nur zu, wie die anderen hineingehen, bevor ich auf dem Absatz kehrtmache und in die entgegengesetzte Richtung davongehe.

»Reese.«

Als ich mich umdrehe, sehe ich Elsa in der Tür stehen, die genauso atemberaubend aussieht wie Cat, nur fünfzehn Jahre älter. Und ich will sie nicht vögeln. Wollte ich noch nie, und das hat nichts mit den zehn Jahren Altersunterschied zu tun, sondern damit, dass die Frau trotz ihres brillanten Verstands so viel Persönlichkeit besitzt wie ein Pappkarton. Cat dagegen wollte ich vögeln. Von dem Moment an, als sie mich am Ärmel gezogen und mich mit diesem ärgerlichen Blick aus ihren grünen Augen eingefangen hat, der mir mindestens zehn Dinge über ihre Persönlichkeit verraten hat. Und so wurde aus Ich wollte sie vögeln: Ich will sie vögeln.

Stattdessen wurde ich längst von ihr aufs Kreuz gelegt.

Diese scheiß Reporter. Sicher will sie nur eine gute Story. Das ist die einzig logische Erklärung.

»Ich bin in zehn Minuten wieder da«, sage ich zu Elsa, wende ihr bereits den Rücken zu und gehe den Flur hinunter.

Dann biege ich in den Hauptgang ein und bin heilfroh, dass die Presse bestimmte Regeln einzuhalten hat – zu denen unter anderem auch gehört, mich nicht zu belästigen – und der Sicherheitsdienst das Gelände abgeriegelt hat. Natürlich könnte das für manche erst recht eine Herausforderung sein, denke ich und habe dabei besonders Cat im Kopf. Aufmerksam lasse ich den Blick durch den Gang schweifen und habe Glück. Ich entdecke meine kleine blonde Hochstaplerin links vor mir, auf dem Weg den Flur hinunter. Ich brauche keine Einladung, um ihr zu folgen, tue es einfach, und als sie nach rechts abbiegt, werde ich schneller. Ihr Weg führt mich in einen ruhigeren Teil des Gerichtsgebäudes, zu einer Treppe. Das Klappern ihrer Schritte zieht mich wie ein unsichtbares Band die Stufen hoch, und ich komme gerade noch rechtzeitig oben an, um zu sehen, wie sie einen Raum auf der rechten Seite betritt.

Entschlossen gehe ich ihr hinterher, und es ist mir egal, dass es sich bei dem Raum um eine Toilette handelt. Diese Frau hat mich verarscht, und ich mag es nicht, wenn man mich verarscht. Deshalb wird sie auch genau jetzt herausfinden, dass ihr Spielchen genau jetzt endet. Und dazu folge ich ihr, wenn es sein muss, bis auf die Toilette.

Kapitel Vier

Reese

Die Toilette hat drei offene Kabinen, und Cat steht vor dem Waschbecken. Als ich hereinkomme, wirbelt sie herum, und ihr hübscher Mund mit dem pinken Lippenstift öffnet sich erschrocken. »Sie wissen schon, dass dies hier eine Toilette ist, oder?«, fragt sie mich herausfordernd.

»Da auf der Tür draußen Toilette steht: Ja, das weiß ich.« Mit diesen Worten schließe ich die räumliche Lücke zwischen uns, und Cat weicht nicht vor mir zurück. Stattdessen verteidigt sie ihren Raum und stemmt die Hände in ihre kurvigen und trotzdem schlanken Hüften. Ihr Parfüm riecht nach Blumen, Rosen, denke ich im Stillen. Süß, genauso wie ich mir ihren Duft bis vor wenigen Momenten noch vorgestellt habe.

»Auf dem Schild steht Damen«, entgegnet sie, »nicht Toilette. Und nicht Herren. Und sofern Sie nicht anders ausgestattet sind, als ich denke, oder sich als Frau fühlen – was ich nicht glaube –, dürfen Sie sich nicht hier aufhalten.«

»Gut zu wissen, dass Sie verstehen, was Grenzen sind«, sage ich. »Leider haben Sie keine Ahnung, wie man die in Ihrem Job einhält. Und den Verteidiger zu stalken bringt Ihnen garantiert keine Story ein.«

Finster sieht sie mich an. »Sie stalken? Also, soweit ich informiert bin, ist ein Stalker jemand, der andere verfolgt. Und bei unserer ersten Begegnung waren Sie hinter mir in der Schlange, nicht umgekehrt. Und Sie haben sich vorgedrängelt. Und, was Sie nicht wissen können: Ich bin Stammgast in dem Café. Ich bin nicht einfach da aufgetaucht, nur weil Sie da waren.«

»Sie meinen, es war praktisch für Sie, dass ich ausgerechnet in dem Café beim Gericht war.«

»Ich wohne dort in der Nähe und bin andauernd da. Und Sie nicht, wie wir beide wissen.«

»Sie wollen mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass Sie nicht wussten, wer ich bin.«

»Glauben Sie doch, was Sie wollen«, erwidert sie. »Aber nein, ich wusste nicht, wer Sie sind. Tatsächlich wurde mir das erst bei Beginn der Verhandlung klar.«

»Dann sind Sie keine gut vorbereitete Reporterin.«

»Hören Sie, Mr Sexy«, stößt sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und fügt sofort »Mr Arrogantes Arschloch« hinzu. »Zu wissen, wer Sie sind und wie Sie aussehen, sind zwei verschiedene Paar Schuhe.«

Genervt hebe ich eine Augenbraue, weil sie dieses ärgerliche Thema angeschnitten hat. »Und trotzdem wissen Sie über Mr Sexy Bescheid?«

»Weil ich mit Lauren Walker befreundet bin und sie mir heute Morgen von ihrem weiblichen Fanclub erzählt hat. Sie hat mir außerdem gesagt, dass Sie den Spitznamen hassen, und ich bin vielleicht sogar geneigt, das zu glauben, da sie auch behauptet, Sie seien ein netter Kerl.«

»Ich bin ein netter Kerl. Wenn es angebracht ist. Woher kennen Sie Lauren?«

»Was geht Sie das an?«, fragt sie provozierend.

»Sie haben sich mit ihr über mich unterhalten.«

»Jeder auf diesem Planeten spricht derzeit über Sie, deshalb gehen Sie meine Gespräche und mein Privatleben noch lange nichts an. Und fürs Protokoll: Ich hatte nicht vor, Sie heute Morgen zu treffen, deshalb war ich so spät dran.«

»Wieso nicht?«, will ich wissen, denn diese Antwort trifft überraschenderweise diverse wunde Punkte bei mir. »Laut Ihrem Geständnis wussten Sie doch da schon, wer ich bin.«

»Weil ich nicht wollte, dass das zu irgendeinem Skandal führt oder Sie denken, ich würde für ein Interview mit Ihnen ins Bett gehen. Ich brauche zwar tatsächlich ein Interview, aber nicht so. Sie dagegen sind trotz allem hier, in der Damentoilette im Gericht. Also mal ernsthaft? Was haben Sie sich dabei gedacht? Sie werden doch auf Schritt und Tritt von Reportern verfolgt.«

»Sagt eine Reporterin, die mich verfolgt«, kontere ich.

»Ich verfolge Sie nicht. Das ist nicht mein Stil.«

»Und trotzdem sind Sie heute Morgen ins Café gekommen«, entgegne ich.

»Weil ich Ihnen sagen wollte, dass ich Reporterin bin, bevor Sie es selbst rausfinden, aber bevor ich das tun konnte, waren Sie schon weg. Und außerdem wollte ich Ihr verdammtes aufgeblasenes Ego nicht verletzen und Sie in dem Glauben lassen, dass ich mich nicht mit Ihnen treffen wollte.«

»Wollten Sie denn?«, frage ich.

»Wollte ich was?«

»Mich treffen.«

»Will sich irgendwer freiwillig mit einem Arschloch treffen?«, gibt sie bissig zurück.

»Wollten Sie mich treffen, Cat?«, dränge ich sie.

»Spielt das jetzt noch eine Rolle?«

Gute Frage, denke ich, aber tatsächlich tut es das. »Antworten Sie!«, fordere ich.

»Ich hätte es gewollt, wenn Sie einfach nur irgendein gut aussehendes Arschloch wären. Dann hätte ich …« Sie bricht ab. »Wenn Sie einfach irgendein Arschloch wären«, wiederholt sie dann.

»Gut aussehend?«

»Arschloch«, sagt sie erneut.

»Dann hätten Sie mich bekehrt?«

»Arschlöcher kann man nicht bekehren.«

»Warum haben Sie dann überhaupt darüber nachgedacht, sich mit mir zu treffen, wenn Sie gar nicht wussten, wer ich bin, und mich außerdem für ein Arschloch halten?«

»Weil man mit Arschlöchern ins Bett geht und sich direkt danach verabschiedet.«

Sofort ist mein Schwanz in Alarmbereitschaft. Ich trete näher an sie heran, bis ich mich nur noch vorbeugen müsste, um sie zu berühren. »Das war Ihr Plan? Mit mir zu vögeln und danach zu gehen?«

»Es war eine Option.«

Fragend hebe ich eine Augenbraue. »War?«

»Jetzt habe ich beruflich mit Ihnen zu tun, und diese Grenze darf ich nicht überschreiten.«

Das werden wir noch sehen, denke ich bei mir. »Für wen schreiben Sie?«

»Für die New York News. Die Cats Verbrechen-Kolumne.«

»Und was genau qualifiziert Sie dafür, eine Kolumne zu genau diesem Thema zu schreiben?«

»Ein Juraabschluss in Harvard, fünf Jahre Berufserfahrung und eine Familie, die aus lauter Anwälten besteht.«

»Ein Juraabschluss in Harvard«, sage ich überrascht, obwohl es mich jetzt, nach dem harten Schlagabtausch mit ihr, eigentlich nicht mehr wundern sollte.

»Und Harvard sticht Yale aus«, misst sie ihren Abschluss an meinem.

Diese offensichtliche Provokation bringt mich zum Lächeln. »Und doch praktiziere ich und Sie nicht.«

»Dass man seinen Job gut kann, spielt keine Rolle mehr, wenn man darin nicht glücklich ist.«

»Wenn Sie nicht glücklich waren, warum haben Sie den Job dann überhaupt gemacht?«

»Das geht Sie nichts an«, gibt sie zurück.

»Und wenn ich will, dass es mich was angeht?«

»Geben Sie mir ein Interview, dann können Sie mir so viele Fragen stellen, wie Sie wollen«, verhandelt sie mit mir.

»Ich werde darüber nachdenken.«

»Ein Interview mit Ihnen und eins mit Ihrem Mandanten«, fügt sie hinzu.

»Sie sollten das Glück nicht zu sehr herausfordern.«

»Wenn man nicht fragt, bekommt man auch nichts«, entgegnet sie.

»Glauben Sie, er ist schuldig?«, frage ich, um sie einschätzen zu können und herauszufinden, welche Zugeständnisse ich ihr gegenüber machen will.

»Ich weiß nur«, antwortet sie, »dass Sie nach der jetzigen Faktenlage den Prozess gewinnen werden.«

»Dann hoffen wir mal, dass die Jury das genauso sieht.«

»Weil er unschuldig ist?«, will sie wissen.

»Ja. Das ist er. Und ja, da dürfen Sie mich zitieren, und hier auch: Wenn er nicht unschuldig wäre, würde ich ihn nicht verteidigen.« In diesem Moment klingelt mein Handy in der Tasche meines Jacketts. »Damit endet unsere gemeinsame Zeit. Zumindest erst mal.«

»Was ist mit meinen Interviews?«

»Geben Sie mir Ihre Visitenkarte.«