1.png

o

Die Krimizimmerei

Spannende Kurzgeschichten für Kinder Band 4

Martina Meier (Hrsg.)

o

Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet - papierfresserchen.de

© 2021 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2021.

Herstellung und Lektorat: CAT creativ - cat-creativ.at

Cover gestaltet mit einem Bild von © design on arrival (Fotolia lizenziert) sowie © viktoriagam (Adobe Stock lizenziert)

ISBN: 978-3-99051-036-0 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-99051-037-7 - E-Book

*

Inhalt

Tiefe Wasser, stiller Schrei

Das Haus im Wald

Der gestohlene Schlittschuh

Lilianes schaurig-heimliche Party

Spuren im Schnee

Der entflohene Mörder

Kevin und der Zeitungsdieb

Schoko-Tomate

Die Spur im Mehl

Der saubere Herr Weiß

Oscar und der Sockendieb

Gesellenstück

Gefährliche Beobachtung

Die verloren geglaubte Katze

Verhängnisvoller Griff

Verbrechen im Tierpark

Scharf beobachtet

Rocky und der Dieb der Peperoni-Pups-Salami

Vanillekipferl und Co.

Das Verbrechen liegt im Dunkeln

Der Denkzettel

Raub im Juweliergeschäft

Das verschwundene Kreuz

Stehlen für die Sterne

Berufsehre

Detektive laufen nicht davon

Der Schatten

Der Rucksack

Die Ex-Freundin

Detektivbüro Hasenkötel

Tierische Rettung

Seltsamer Fall

Eine neue Holmes

Hauptkommissar Keiler und ein fast perfekter Banküberfall

Jan und der Bankraub

Lisa, Jonas und der Handydieb

Großer Welpenschmuggel

Der Tesadieb

Das Geheimnis in der Obstkiste

Hört nicht auf Jasmin

Die Keksdose

Impressum

*

Tiefe Wasser, stiller Schrei

Flo kauerte am Rande des Abgrunds. Nur Zentimeter bewahrten ihn vor dem Sturz in die Tiefe. Er musste hier weg! Langsam drehte er seinen Kopf, bis er in drei wild entschlossene Fratzen blickte. Diese drei waren der Grund, wieso er hier war. Sie würden ihn niemals gehen lassen, das wusste er. Nicht, bis er gesprungen war. „Ist das mein Ende?“, fragte er sich und dachte daran, wie noch am Morgen alles anders gewesen war.

Ein eiskalter Windhauch fegte über seinen nackten Oberkörper und verteilte ausgehend von einem Punkte irgendwo über dem Bauchnabel die panische Angst, die sich in ihm angestaut hatte. Unter sich hörte er die reißenden Fluten am endlosen, weit entfernten Fuße der todbringenden Schlucht. Wenn man ganz nah dran war, sah das Wasser meist beinahe wie ein blaues Bettlaken aus, das sich sanft über eine weiche Matratze spannte. Aber hier auf der Spitze wirkte es kalt und abweisend wie ein gieriger Schlund, der ihn verschlingen würde, wenn er auch nur einen Schritt zu weit machte.

Der Boden verschwamm vor seinen Augen und war kaum mehr zu erkennen. Taumelnd tapste er einen Schritt zurück, fühlte den rauen Untergrund an seinen durchweichten Füßen. Er war barfuß bis hierher gelaufen. Mit seinen Fingern suchte er intuitiv nach Halt, griff jedoch ins Leere.

„Na komm schon, los jetzt!“, blaffte eine Stimme. Eine Hand presste sich erbarmungslos auf seinen Rücken. Um ihn herum höhnte der Rest der Entführerbande. Er wusste, dass er keine Chance gegen diese Halunken haben würde.

Noch am Morgen hatte er sich zu Hause in Sicherheit befunden. Sorgenfrei war er aus seinem Haus gegangen, auf dem Weg ins sonnige Wochenende. Doch sie hatten ihm aufgelauert, hatten ihn in einen haltenden Van geworfen, ihm die Augen verbunden und waren los.

Und nun stand er da, seinen eigenen Abgrund vor Augen. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Selbst der Himmel, bei Tagesanbruch noch wolkenfrei, war mittlerweile zu einem trüben Betongrau gebleicht und entsagte ihm jegliche Zuversicht auf ein glückliches Ende.

„Keine Sorge, es wird schnell vorbei sein“, ertönte eine keckernde Stimme jenseits seines Sichtfeldes und der Rest stimmte hämisch ein.

Er hatte keine Wahl! Es war an der Zeit, sich von seinem Leben zu verabschieden. Die zittrigen Beine vorantreibend, bewegte er sich auf das Ende des Vorsprungs zu. Das Tosen des Wassers nahm ihm die Sinne. Flo schloss die Augen. Er konnte das nicht.

„Jetzt spring schon!“

Flo drückte sich ab und Luft raste an seinem Körper vorbei. Er wollte schreien, doch im letzten Moment konnte er das Bedürfnis unterdrücken. Die Genugtuung würde er ihnen nicht gönnen.

Ohne darüber nachzudenken, ruderte er mit seinen Armen und Beinen, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht würden bremsen können. Der blaue Höllenschlund kam näher und näher, peitschte gegen seine Füße und verschluckte ihn mit einem dumpfen Schmatzer. Durch seinen gesamten Körper zuckte es. Doch da war noch etwas, das er neben seinen Todesqualen spürte, etwas, das seinen Empfindungen entgegenstand.

Flo riss die Augen auf. Überall um ihn nichts als Wasser. Instinktiv brüllten seine Lungen nach Sauerstoff, doch er war tief, so tief gesunken. Zu seinen Flanken schlugen zwei Körper in die helle Finsternis. Sie waren gekommen, um es zu Ende zu bringen. Er musste verschwinden, und zwar schnell.

Flo streckte seine Arme aus, machte Zug um Zug um Zug. Dann brach er japsend durch die Oberfläche.

Er wusste selbst nicht, wie er es geschafft hatte, doch plötzlich fand sich Flo am Beckenrand wieder, vollkommen unversehrt. Perplex musterte er den zehn Meter hohen Sprungturm, von dessen Spitze er soeben in das karibikblaue Wasser gestürzt war. Sein Herz pochte.

„Du hast es überlebt?“ Eine erbarmungslose, nasskalte Hand legte sich auf seine Schulter. „Welch ein Wunder!“

„Hey, lass ihn, Konni“, grinste Jakob und drückte sich mit seinen Armen über den Beckenrand auf den gefliesten Schwimmbadboden. „Das erste Mal vom Zehner zu springen, ist immer was Besonderes.“

Konni zuckte lässig die Schultern und fuhr sich mit der Hand durch die klatschnassen Haare. „Hast du denn Bock auf noch ’ne Runde, Flo?“

Flo hustete und spuckte Chlorwasser in einen Spalt der röhrenden Filteranlage. Dann nickte er.

„Jawoll!“, johlten die anderen beiden. Gemeinsam warteten sie, bis auch Elias aus dem Wasser gekommen war. Dann machten sie sich auf den Weg zur Sprungturmtreppe.

Mathis Beste ist 1994 geboren und wohnt in Köln. Schon früh begann er damit, literarische Geschichten zu verfassen, und hat bereits mehrfach erfolgreich an Schreibwettbewerben teilgenommen. Sein erster eigener Fantasy-Roman ist seit Anfang 2020 fertig und soll so bald wie möglich veröffentlicht werden. Er hat im Master „Theorien und Praktiken professionellen Schreibens“ an der Universität zu Köln studiert und arbeitet als freier Journalist.

*

Das Haus im Wald

„Wer zuerst an der Kreuzung ist!“ Robin trat in die Pedale, um seinen Freunden zu folgen. Leon war schneller. Zufrieden bremste der mitten auf der Kreuzung ab und jubelte. Hendrik keuchte, hing fast über dem Lenker des Fahrrades. Ein Auto hupte. Erschrocken fuhren die Jungs mit ihren Bikes los. Sie erreichten den Wald und blieben auf dem Parkplatz stehen.

„Zum See?“

Robin und Hendrik nickten begeistert. Auf ihren Bikes fuhren sie den Weg entlang, die Sonne verschwand schon hinter den Tannen im Wald.

Plötzlich bremste Leon ab und deutete auf den schmalen Pfad. „Fahren wir zum Geisterhaus? Ich habe gehört, da ist ein Schatz vergraben!“

„Meinst du?“, fragte Hendrik. „Hat das der Alte vor dem Supermarkt gesagt?“

Leon zuckte mit den Achseln. Er hielt sein Fahrrad und sah die anderen an. „Ein Schatz wäre Hammer! Lasst uns hinfahren!“

Robin war Feuer und Flamme. Er fuhr an Leon vorbei, so schnell, dass Steine und Dreck unter seinem Reifen aufwirbelten. Die Freunde folgten ihm.

Das Geisterhaus war ein altes Herrenhaus, das seit Jahren leer stand. Es war halb zerfallen, im letzten Sommer war ein Teil eingestürzt. Der Garten verwuchert, die Weinreben wuchsen am Haus hoch. Das Gras war hüfthoch. Sie ließen ihre Fahrräder ins Gras fallen und rannten zum Haus. Robin trat über die Schwelle. Jemand hatte die Tür eingetreten, sie war in der Mitte gebrochen. Bei jedem Schritt krachte und knackte es. Er sah nach oben, durch das fehlende Dach konnte er den Sonnenuntergang sehen. Bunte Farben wechselten mit den Wolken.

„Gehen wir nach oben?“ Leon hatte schon die Treppe erreicht und drehte sich zu den anderen beiden um. Er hielt sich am Geländer fest und kabbelte zwischen dem Staub und Trümmern nach oben. Hendrik folgte ihm sofort, nur Robin zögerte einen Moment.

„Die Aussicht ist viel besser!“, lockte Leon.

Robin atmete noch einmal tief durch und setzte seinen Fuß auf die unterste Stufe. Es knarrte, sodass er schluckte. Er fragte sich, wann die Treppe nachgeben würde. Hier war das Haus unberührt. In den Zimmern gab es keine Fensterscheiben mehr. Jemand hatte sie zerstört. Überall lag Staub. Ein paar Möbel standen, die Dinge auf dem Boden verstreut. Ein Geräusch ließ sie zusammenzucken. Leon gab ein Zeichen und die drei versteckten sich hinter der Tür des Zimmers. Robin lag auf dem Boden und hatte die Eingangstür im Blick. Ein Lichtstrahl näherte sich, wurde größer und hielt direkt vor dem Haus. Hendrik zitterte, Robin spürte es, als sich ihre Beine berührten.

„Wo ist sie?“

„Ich habe sie im Keller des Hauses vergraben.“

„Okay. Wir graben sie aus. Teilen alles. Und mach schnell! Ich habe keine Lust, auf irgendwelche Menschen zu treffen!“

Die Stimmen von zwei Männern näherten sich. Robin sah, wie sie eintraten und wie sie den Raum ausleuchteten. Einer trug eine Schaufel über der Schulter. Sie schoben einige Bruchstücke des Daches zur Seite. Dabei wurden sie laut und beschimpften sich. Robin drehte sich um. Hendrik saß mit weit aufgerissenen Augen da und hielt sich den Mund zu. Leon grinste, er hielt einen Stock in der Hand, den er aus einem der Zimmer mitgenommen hatte. Unten war es still, nach ein paar Minuten sah Robin die Männer wieder.

„Du bist dir sicher?“

„Ja! Ich habe sie selbst vergraben!“

„Und warum ist die Kiste dann nicht da?!“ Der größere Mann brüllte, schlug mit der Schaufel auf den Boden. Staub wirbelte auf und ließ beide husten.

„Ich weiß es nicht!“

„Du lügst!“

Mit einem Aufschrei zog der Mann aus der Hosentasche ein Messer. Es blitzte im Licht der untergehenden Sonne auf. Robin streckte den Kopf in dem Moment weiter aus seinem Versteck heraus, als der Mann zustach. Blut spritzte, der kleinere Mann stolperte rückwärts und fiel über die Schaufel. Er stand nicht wieder auf. Der andere Mann starrte auf den am Boden liegenden Mann. Ein Geräusch ließ ihn hochschrecken. Robin sah ihm direkt in die Augen. Er hatte Angst, sich zu bewegen. Der Mann machte einen Schritt, doch nicht hoch zur Treppe, er ließ das Messer fallen und rannte zur Tür hinaus. Während die Lichter des Autos den Garten erhellten, zogen die Jungs die Köpfe ein. Als das Auto wegfuhr, atmeten sie durch.

„Alles okay bei euch?“, fragte Leon.

Hendrik schüttelte den Kopf. In seinen Händen hielt er einen der Äste, den er vor Angst zerbrochen hatte. Er flüsterte eine Entschuldigung, doch Robin winkte ab. „Ist der Mann tot?“

Vorsichtig krabbelte er auf allen vieren zur Treppe. Der Mann lag still da. Robin stieg langsam hinunter, ohne Geräusche zu machen. Er näherte sich dem Mann, der verrenkt auf dem staubigen Boden lag. Blut hatte sich in einer Lache gesammelt. Mit zwei Fingern berührte er den Hals des Mannes. Nichts.

„Ich ... ich glaube, der ist tot.“ Robin war blass, als Leon und Hendrik sich endlich aus dem Versteck wagten. Sie kamen die Treppe herunter und Leon zog sein Handy aus der Tasche. Das Tuten des Anrufes hallte durch das halb verfallene Haus.

„Ich schicke einen Krankenwagen“, sagte die Frau am anderen Ende, als die Jungs ihr von dem Mann auf dem Boden erzählten. „Wartet am besten draußen. Die Polizei ist schon auf dem Weg.“

Die Jungs stellten sich vor das Tor im Garten. Sie sprachen kein Wort, bis sie die Sirenen hörten und das blaue Licht zwischen den Bäumen leuchtete. Drei Wagen hielten auf dem schmalen Weg. Mehrere Beamte stiegen aus und kamen näher. Die Jungs zeigten auf das Haus hinter sich. Ein der Beamten blieb stehen, die anderen verschwanden in der Ruine.

„Ich heiße Manfred Nonnenmacher. Erzählt mir, was passiert ist.“

Robin sprach stockend, als er von den beiden Männern erzählte, die nach einer Kiste gesucht hatten und von dem Streit. Leon und Hendrik nickten nur, um die Geschichte zu bestätigen. Der Beamte hörte ihm zu, ohne zu unterbrechen.

Nonnenmacher lobte die Jungs für ihren Anruf. Er drehte sich um, als die anderen aus dem Haus kamen. Robin schaute verlegen auf den Boden.

„Wir bringen euch jetzt zum Präsidium und rufen eure Eltern an.“

„Bekommen wir Ärger?“, fragte Hendrik leise.

Der Beamte schüttelte den Kopf.

Ihre Eltern waren erleichtert, dass ihren Jungs nichts passiert war. Sie saßen in einem Zimmer und starrten auf den Boden. Nonnenmacher kam nach einer halben Stunde mit einer Akte in der Hand herein. „Jungs, wir haben den Mann gefasst!“

Der Beamte erzählte, was in der letzten Stunde passiert war. Als der Tatort abgesucht wurde, fanden sie eine metallene Kiste. Sie lag versteckt unter den Trümmern des Daches und enthielt Geld und Schmuck. Das war bei Einbrüchen gestohlen worden. Der Mann auf dem Boden war verblutet. Als sie ihn aus dem Haus trugen, war jemand um das Haus herum geschlichen. Nonnenmacher legte den Jungs ein Bild vor.

„Das ist der Mann, der den anderen erstochen hat!“ Robin war sich absolut sicher. Auf Nachfrage des Beamten wiederholte er seine Aussage. Er hatte ihn an der schmalen Narbe unter dem Auge erkannt.

„Danke für eure Hilfe! Der Mann ist in einige Häuser eingebrochen und jetzt hat er seinen Partner ermordet. Ich bin stolz auf euch! Und ihr bekommt eine Belohnung!“

Ann-Katrin Zellner lebt und arbeitet im wunderschönen Heidelberg. Die 27-Jährige hat bisher zwei Schwabenkrimis im Selfpublishing veröffentlicht, am dritten schreibt sie gerade. Vier Kurzgeschichten sind in verschiedenen Anthologien zu finden. Neben dem Schreiben liest Ann-Katrin Krimis und Thriller und arbeitet zu viel. Wenn es die Zeit zulässt, geht sie gern Wandern und baut Lego.

*

Der gestohlene Schlittschuh

Mitternacht im Eiskunstlaufinternat. Die Tür des Zimmers 4 geht leise auf, eine Gestalt schleicht sich hinaus. Im Flur braucht man keine Taschenlampe, die Notbeleuchtung reicht, um den Weg zum Umkleideraum neben der Eisfläche zu finden.

Erst dort wird das Licht eines Handys eingeschaltet, ein Spind für die Eislaufsachen aufgemacht – die meisten Sportlerinnen kennen die Nummern der Schlösser ihrer im Internat wohnenden Mitschülerinnen, anders als bei den Sportlern von außerhalb. Die Kleider und ein Schlittschuh werden auf den Boden geschmissen, alles durcheinandergewirbelt, sogar getreten. Nur der zweite Stiefel liegt noch im Schrank. Der Schatten nimmt ihn in die Hand, geht zu einem anderen Spind.

Das darin herrschende Chaos erleichtert das Verstecken des Schuhs ganz hinten im oberen Fach. Sorgfältig wird der Schrank zugeschlossen, der ausgeleerte Spind bleibt aber mit angelehnter Tür – und die Gestalt nimmt den Weg zurück ins Zimmer. Dort schlafen die Mitbewohnerinnen tief und fest. Im Notfall hätte sie gesagt, sie müsse zur Toilette.

Einen halben Tag später

„Eher Bange oder Freude?“, fragt Lia ihre Freundin, während sie sich auf den Weg zum Umkleideraum machen. Anna hat morgen den ersten Wettkampf des Jahres. Nur sie und Mara sind nominiert worden, Lia als Ersatz.

„Beides, wie immer“, antwortet Anna und macht schwungvoll die Tür auf. „Oh!“ Die Mädchen stoppen erschrocken.

Eine hysterische Mara kniet vor dem Haufen ihrer Kleider nieder und wühlt darin. „Man hat mir einen Schuh geklaut!“

Zwei andere Mädchen schauen perplex zu.

„Was ist passiert? Wieso sollte dein Schuh gestohlen worden sein?“, fragt Anna.

Kati erklärt: „Der Spind von Mara ist aufgebrochen worden. Alles lag auf dem Boden und nur ein Schuh ist da.“

„Sicher?“ Lia guckt sich die Schranktür an. „Das Schloss ist doch nicht kaputt!“

Mara dreht sich rasch zu ihr und schreit sie an: „Ja, du bist das, ohne Schuh kann ich nicht zum Wettkampf und dann bist du dran.“

„Was für einen Quatsch redest du? Wieso sollte es eine von uns sein, wir sind doch alle Freundinnen!“ Lia schaut die anderen nacheinander an. Anna nickt, aber Sara und Kati sehen eher betreten aus. „Oder?“ Lia ist verunsichert.

Kati hat nie mit ihrer Meinung hinter dem Berg gehalten. „Wenn das Schloss nur einfach aufgemacht worden ist, heißt es, der Täter muss jemand vom Internat sein. Wer hätte einen besseren Grund? Du bist Ersatz!“

„Zeig uns deinen Schrank“, kreischt Mara.

„Ihr seid unfair! Als ob ihr mich nicht kennt! Aber wenn ihr wollt!“ Lia macht die Tür auf und zeigt den gut aufgeräumten Inhalt. Bevor sie etwas sagen kann, wird sie von Mara weggeschubst, die anfängt, hektisch durch die Kleider zu suchen. Als sie nichts findet, lässt sie sich davor fallen. Ihre Wut klingt ab, ein Schluchzen ohne Tränen folgt. Inzwischen sind andere Mädchen eingetroffen und alle stehen ratlos herum.

„Wir müssen Herrn Li Bescheid sagen“, entscheidet Kati.

„Ich gehe“, sagt Sara.

Kurze Zeit später kommt sie mit dem Trainer zurück. „Es tut mir leid, aber zuerst durchsuche ich die Spinde.“

Alle schauen zu, wie er die Schränke hintereinander aufmachen lässt, und beobachten einander heimlich. Wo bisher Freundschaft und Vertrauen den Ton angegeben haben, herrschen jetzt Verdächtigung und Feindseligkeit.

„Egal, ob eine Läuferin schuld ist oder nicht, es wird nie mehr sein wie vorher“, bedauert Anna im Stillen.

Als sie an der Reihe ist, schließt sie ruhig ihr Schloss auf und macht verlegen Platz für Herrn Li. Die Unordnung darin ist ihr peinlich. Selbstverständlich wissen alle von ihrer Fahrlässigkeit mit Kleidern, während sie ihre Schlittschuhe übersorgfältig pflegt. Sie ist die Erste, die sonst darüber spottet. Im jetzigen Ernst fühlt es sich wie unanständig an.

Plötzlich erstarrt sie. Denn der Trainer zieht einen Stiefel aus der hinteren Ecke des Schranks. Ihre beiden Schuhe stehen doch unten, nebeneinander, wie sie sie nach dem gestrigen Training deponiert hat!

„Anna, was sagst du dazu?“, fragt Herr Li mit eisiger Stimme.

„Ich … verstehe es nicht“, stammelt sie.

Maras Wut flammt auf: „Ich hab’s gewusst! Nicht Lia, sondern du willst nicht, dass ich morgen dabei bin, du willst deine Freundin auf dem Eis sehen. Sie ist dir eine weniger gefährliche Konkurrenz.“ Ihr Versuch, sich auf Anna zu stürzen, wird vom Trainer gestoppt.

„Anna, du kommst augenblicklich in mein Büro, die anderen gehen aufs Eis.“ Herr Li geht voraus. Anna kann nicht umhin, einen letzten Blick auf Mara zu werfen. Ist da nicht der Hauch eines kleinen Lächelns auf ihrem Gesicht?

Im Büro setzt sich der Trainer hinter seinen Tisch, Anna bleibt davorstehen. „Ich warte.“ Herr Li scheint ihr nicht den Weg ebnen zu wollen, aber sie weiß einfach keine Erklärung. Sie kann nur ihre Unschuld immer wieder beteuern.

Im Umkleideraum schweigen die Mädchen beim Umziehen. Mara stürmt als Erste hinaus. Erst als sie weg ist, fängt das Geflüster an.

„Ich glaube es nicht.“ Lia ist wie geschockt. „Das passt nicht zu Anna!“

„Es war auch blöd von ihr, den Schuh einfach in eigenem Schrank zu verstecken. War klar, dass alles durchsucht wird.“ Sara schüttelt den Kopf.

„Moment! … Genau, das ist es!“ Kati ist aufgesprungen. „Die Täterin wollte nicht Mara schaden, sondern Anna. Sie wird wahrscheinlich nicht mehr fahren dürfen.“

Alle blicken zu Lia, die irgendwie die Reaktion auch verstehen kann. Sie hätte vom Ausfall einer der beiden den größten Profit. „Also, ich bin die beste Freundin von Anna!“, verteidigt sie sich.

„Vielleicht geht es nicht um die Teilnahme an diesem Wettkampf, sondern an dem, der danach kommt“, rätselt Kati. „Wer von den beiden die besten Noten kriegt, geht doch zum nächsten Wettbewerb nach Moskau. Wer hat die größeren Chancen?“

Schweigen tritt wieder ein. Denn alle wissen die klare Antwort, aber keine traut sich, den Namen auszusprechen.

Plötzlich gibt sich Lia einen Ruck. „Komm, Kati, das müssen wir Herrn Li erklären.“ Schon rennen sie hinaus und treten, ohne anzuklopfen, in das Büro.

„Wir haben den Verdacht, dass Mara selbst das Ganze inszeniert hat!“, schreit Lia. „Sie will nicht, dass Anna teilnimmt, sondern ich, denn ich wäre ihr keine Konkurrenz für die Nominierung für Moskau.“

Herr Li schaut sie verblüfft an. „Wie wollt ihr das beweisen?“

Die beiden Mädchen zucken mit den Schultern. „Wir müssen Mara zwingen, die Wahrheit zu gestehen.“

In Anna scheint neues Leben zu erwachen. „Als wir aus dem Kleiderraum gegangen sind, hat sie leicht gelächelt.“

„Heute beim Frühstück sah sie müde aus, hat gesagt, sie hätte schlecht geschlafen. Komisch, wo sie sonst den besten Schlaf von uns allen hat!“

„Kati, du holst sie ins Büro“, befiehlt Herr Li. „Sag ihr aber nicht, warum.“

Sie warten still, bis eine fast triumphale Mara kurze Zeit später reinkommt. Sie wendet sich gleich an Lia: „Fährst du jetzt mit mir?“

„Nein, ich weiß nichts davon. Wieso denn? Anna fährt doch, oder?“, blufft das Mädchen.

Mara guckt überrascht den Trainer an. „Es kann aber nicht sein, wenn Anna eine Diebin ist! Nein, nein…“

Auch Herr Li versetzt sich auf Täuschung. „Tja, ist dein Plan nicht aufgegangen?“

„Welcher Plan denn?“, versucht Mara eine letzte Verteidigung. Plötzlich wird ihr die Spannung zu viel. Das harte Training des letzten Monats, das Lampenfieber vor dem Wettkampf, die Nacht fast ohne Schlaf und das Schauspielern, alles lässt sie zusammenbrechen. Sie gleitet zu Boden und fängt an, zu weinen. Ein anderes Weinen als im Umkleideraum. In Annas Ohren klingt es nun deutlich echter, das Elend ist nicht mehr vorgetäuscht.

Marie Masse, 57 Jahre als, Lehrerin, Hobbyautorin, Sportlerin.

*

Lilianes schaurig-heimliche Party

„Wir müssen morgen zum Geburtstag meiner Arbeitskollegin Astrid. Kannst du so lange alleine zu Hause bleiben?“, fragte Annette ihre 15-jährige Tochter Liliane.

„Na klar. Ich bin doch kein kleines Kind mehr. Lasst euch ruhig Zeit auf der Geburtstagsfeier“, war daraufhin Lilianes Antwort.

„Mach niemandem die Tür auf, den du nicht kennst!“

„Na klar doch. Ihr müsst euch keine Sorgen machen.“

Am nächsten Tag kaufte Liliane im Supermarkt verschiedene Getränke, Chips und andere Süßigkeiten ein. Liliane rief mehrere Freunde an und lud sie zu einer Hausparty bei sich ein.

„Heute Abend ab 20 Uhr“, sagte Liliane zu jedem Freund und freute sich schon sehr.

Als Annette und Wolfgang nun endlich gingen, war es auch schon fast 20 Uhr und Liliane musste sich beeilen. Sie musste noch das Wohnzimmer gemütlich herrichten, schmücken und die Süßigkeiten und Getränke bereitstellen. Ihren Eltern hatte sie nichts von der Party erzählt.

Als Tina, Marion, Niklas, Robbin und Alina kamen, wurde erst einmal mit Cola, Fanta und Limo angestoßen. „Auf einen schönen Abend ohne Eltern!“, rief Liliane und stieß mit ihren Freunden an.

Draußen wurde das Wetter immer schlechter und der Regen prasselte gegen die Scheiben. Dazu kam ein heftiger Sturm, der einige Bäume zum Stürzen brachte, somit wurden auch bereits einige Straßen gesperrt.

„Lass uns Der weiße Hai schauen“, schlug Alina vor.

Tina legte die DVD ein, während Marion und Robbin sich eine Decke teilten und mit Zitronenlimo anstießen.

„Draußen ist ja was los“, bemerkte Niklas, als er den Wind heulen hörte.

„Richtig unheimlich. Komm zu mir. Ich nehme dich in den Arm“, rief Robbin zu Marion, die noch dichter an Robbins Schulter lehnte und beim Anblick des weißen Haies im Fernseher leicht anfing, zu zittern. Robbin nahm sie fester in den Arm und küsste sie sanft auf die Wange. Plötzlich fing es an zu knallen, worauf die Blumenvase mit den Chrysanthemen zu Boden fiel. Alle erschraken.

Niklas rannte zur Tür.

„Sei vorsichtig!“, rief Alina ihm hinterher.

Niklas öffnete die Haustür und trat hinaus. Draußen war jedoch nichts zu sehen. Es regnete und war noch immer stürmisch, aber sonst konnte man nichts erkennen. Als Niklas die Haustür schloss und wieder ins Wohnzimmer kam, war Der weiße Hai zu Ende und Robbin schlug schon den nächsten Film vor, während Alina eine weitere Chipstüte öffnete.

„Wie wäre es mit Psycho?“, zwinkerte Robbin Marion zu.

„Dann musst du aber meine Hand halten“, lächelte Marion zu Robbin hinüber. Noch ehe die beiden wieder unter die Decke geschlüpft waren, fing der Film an.

Plötzlich klingelte es an der Haustür.

„Erwarten wir noch Besuch?“, wollte Tina wissen.

„Nein. Wer kann das sein?“, antwortete Liliane.

Liliane und Niklas gingen zur Tür. Als Niklas die Tür öffnete, streckte ihnen ein Pizzafahrer einen Karton entgegen.

„Wir haben keine Pizza bestellt!“, war Lilianes Antwort.

„Seid ihr alleine hier?“, fragte der Fahrer.

„Ja, wir haben eine Party heute“, antwortete Niklas.

„Na, dann passt bloß auf. Vor einem Monat wurde nur ein paar Straßen weiter eine junge Frau getötet. Man hat sie erdrosselt, nachdem man bei ihr eingebrochen ist. Den Täter hat man nicht fangen können. Heute habe ich es noch einmal im Radio gehört. Die Polizei tappt nach wie vor im Dunkeln. Also, seid vorsichtig. Gute Nacht!“, warnte der Pizzafahrer.

Niklas schloss daraufhin die Haustür.

„Das macht mir Angst“, gab Liliane zu.

Als es etwa zehn Minuten später erneut klingelte, erschrak Liliane und Niklas nahm sie wieder in den Arm.

„Vielleicht ist das ja auch ein Obdachloser, der Schutz bei dem Wetter sucht“, erklärte Tina und sah zu Liliane und Niklas.

„Wir machen auf jeden Fall die Tür nicht auf!“, beschloss Liliane und fing an, zu zittern.

Plötzlich hörten alle ein Knacken am Türschloss. „Jemand versucht einzubrechen!“, erschrak Tina und suchte ebenfalls Schutz bei Niklas. Robbin schaltete den Fernseher aus, sodass man nur noch den Wind und das Knacken am Türschloss hören konnte.

„Wer ist das?“

„Ich weiß es nicht. Ich will es auch nicht wissen“, war Lilianes Antwort auf Tinas Frage.

„Wenn das wirklich der gesuchte Täter ist, ist das jetzt unsere Chance, ihn zu schnappen und der Polizei zu übergeben.“

„Hör auf, Marion! Sag so etwas nicht“, fing Liliane noch mehr an, zu zittern. Alle erschraken, als die Rolladen vor dem großen Fenster im Wohnzimmer anfingen, zu rattern.

„Irgendwer steht da draußen vor den Rolladen“, bemerkte Alina.

Nach einer Minute knackte es wieder an der Haustür.

„Wer zum Teufel ist da?“, schrie Liliane panisch.

Als Niklas sich entschlossen hatte, nachzuschauen, rief Tina ihm hinterher: „Sei vorsichtig. Mach bloß nicht irgendwem die Tür auf!“

Niklas blieb etwas verdutzt im Flur stehen.

„Liliane, deine Nachbarin Gaby steht vor der Tür. Möchtest du mal öffnen und fragen, was los ist?“, fragte Niklas die erschrockene Liliane.

„Was möchte Gaby denn?“, fragte Liliane nun etwas beruhigter.

„Frag sie selber. Ich weiß es nicht!“, so Niklas’ Antwort.

„Was will sie um 22 Uhr?“, fragte Liliane erneut und sah auf ihre grüne Armbanduhr. Vorsichtig öffnete sie die Tür.

„Liliane, na endlich!“, trat Gaby sofort in den Flur.

„Ist alles okay?“, wollte Liliane wissen.

„Ja, mit dir doch hoffentlich auch? Ich dachte, ich schaue vorbei, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Wo doch Mama und Papa heute Abend nicht da sind!“ Gaby tätschelte Lilianes Wange.

Liliane wich daraufhin ein Stück zurück und sah ihre Nachbarin ein wenig genervt an. „Wer ist das denn überhaupt?“, sah Gaby Niklas ein wenig begutachtend an.

„Niklas! Er ist ein guter Freund von mir“, gab Liliane zurück.

„Aha. Aber Kind, du bist erst 15 Jahre jung. Passt auf und macht eure Eltern nicht zu schnell zu Großeltern.“ Gaby sah misstrauisch zu Liliane und Niklas.

„Nein, keine Sorge. Wir sind nur gute Freunde!“ Liliane schaute nun genervt zu Niklas hinüber und tuschelte: „Na toll. Wegen der hatten wir jetzt so viel Angst.“

Niklas fing ein wenig an, zu lachen.

„Und wer ist überhaupt im Wohnzimmer? Was sind das für Stimmen?“, wollte Gaby wissen und betrat unaufgefordert das Wohnzimmer, woraufhin Liliane die Augen verdrehte und Niklas sich vor Lachen mittlerweile kaum beruhigen konnte und schützend die Hände vors Gesicht legte.

Liliane folgte Gaby ins Wohnzimmer. Tina, Alina, Marion und Robbin sahen Gaby und Liliane verwundert an. Gaby begutachtete Marion und Robbin, die zusammen unter der Decke saßen und sich immer noch in den Arm nahmen.

„Kinder, seid ihr nicht noch ein bisschen zu jung dafür!“, kam es von Gaby.

Liliane nahm Gaby daraufhin in den Arm und führte sie zurück in den Flur, wo noch immer Niklas stand und lachte.

„So, nun hast du meine Freunde kennengelernt und weißt, dass alles in Ordnung ist. Hast du vorhin auch an den Rolladen geklopft und am Türschloss geknackt?“, wollte Liliane nun wissen.