Über dieses Buch

Ahmad von Denffer, in der muslimischen Szene Deutschlands wie auch international bekannt geworden als Autor und Übersetzer zahlreicher Schriften zum Thema Islam, erzählt im vorliegenden Buch von seiner ersten Reise nach Mekka zur Wallfahrt im Jahr 1971. Anders als heutzutage hatte sich bis dahin noch kaum ein deutscher Muslim auf diesen Weg zum „Haus des Herrn“ gemacht. Die schönste seiner Erfahrungen dabei war es, zu erleben, daß jedes Dasein, daß jeder einzelne Mensch in dieser Welt, seinen Sinn hat.

Der Autor

war nach dem Studium von Islam- und Völkerkunde Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Islamic Foundation in Leicester und Herausgeber des Nachrichtendienstes „Focus on Christian-Muslim Relations“, später Deutschsprachiger Referent des Islamischen Zentrums München und Herausgeber der Zeitschrift „Al-Islam“, auch Projektleiter sowie langjähriger Vorsitzender von „Muslime helfen“.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2021 Ahmad von Denffer

Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783753473796

Inhaltsverzeichnis

In Seinem Namen

Al-hadsch, die Wallfahrt

„Al-hadsch, die Wallfahrt“ - sich unmittelbar Gott zuwenden und sich vollständig beherrschen.“

(Aus meinen Aufzeichnungen)

Schlafen, Einschlafen. Monoton das gedämpfte Surren der Turbinen, das leichte Vibrieren des Flugzeugs. Noch ein Blick aus dem Fenster, bevor ich die Rückenlehne des Sitzes in die Schräge bringe, versuche, die Beine unter dem Vordersitz auszustrecken, die Augen schließe. Sonnenuntergang. Ein Feuerball sinkt langsam in das weiche, dunkle Tuch der Wolken, über denen der Himmel noch gelb und orange leuchtet. Dunkelrote, strahlende Lichtstreifen dringen durch die Kabinenfenster auf der linken Seite. Rechter Hand schwimmt im schon schwarzgrauen Himmel eine frostig-rosige Kugel. Oder ist es ein in dunkler Nacht hervorbrechender Lavastrom, unten vielleicht Italien, ein Vulkan? Nein - das muß der Mond sein. Stetig bewegt sich das Flugzeug nach Norden. Die Luft draußen ist Eis, und zwischen draußen und drinnen nur eine dünne Haut aus Metall. Schlafen, wie ein neugeborenes Kind, das, wenn es sich satt getrunken hat, ganz zufrieden ist, das wirklich nichts mehr braucht und deshalb einschläft. Erschöpft, beruhigt. Ergeben, versorgt, getragen. Eine Reise geht zu Ende, die Reise zum Haus des Herrn, meine erste Mekkafahrt…

In Singapur

Im späten Sommer war ich nach Singapur gekommen und nutzte diese Zeit auch dazu, mich besser mit dem Islam vertraut zu machen. Dabei lernte ich von Menschen und aus Büchern. Vieles, sehr vieles, war neu für mich, unverständlich, widersprüchlich, herausfordernd, anregend, in Frage stellend. Manches wurde beantwortet und gelöst, anderes blieb stehen, konnte oder mußte einfach stehenbleiben. Nicht alles war sofort lösbar. Aus einem Koran erlernte ich, ungelenk wie ich war, mühsam das Nachzeichnen der arabischen Schrift. Mit Hilfe der Übersetzung versuchte ich den Inhalt dieser Worte zu verstehen. Ich las verschiedene Broschüren, die mir in die Hände fielen. In einer kleinen muslimischen Buchhandlung, „The Pyramide Bookshop“, im dritten Stock der „Arcade“ nahe dem Clifford Pier, erwarb ich „mischkatu-l-masabih“ in englischer Übersetzung, die umfangreiche, wohlgeordnete Sammlung von Aussprüchen des Propheten Muhammad (s) - vier Bände für 51 ringgit und 20 sen (51.20 Singapur-Dollar). Diese Lektüre ermöglichte mir bald ein viel weitreichenderes Verständnis der islamischen Lebensweise. Achmed, Jaffar und Simah Abdullah sprachen mit mir über den Koran, Maulana Babu Sahib versuchte, so gut das mit mir möglich war, meine Fragen nach dem Geisterglauben der Malaien durch Hinweise auf den Zusammenhang von Geist und Materie zu beantworten und mir die Vorstellung von der Präexistenz des Lichtes des Propheten vor der Erschaffung der Welt zu erhellen...

Am 1. November begann zudem der islamische Fastenmonat Ramadan. In dieser Zeit wurde nicht nur gefastet, sondern auch die Gebete, das Koranlesen und die Gespräche über religiöse Dinge mehrten sich. Immer häufiger kam dabei die Rede auf die Wallfahrt, zu der aufzubrechen man sich nun entschließen müßte, wenn man in diesem Jahr nach Mekka fahren wollte. Ich wollte, und mein Wunsch danach war bald so eindeutig, daß ich mit ganz konkreten Vorbereitungen begann. Zunächst ging es mir um ein klares Bild von den Örtlichkeiten und dem eigentlichen Ablauf der Wallfahrt. Vom „hadsch“ hatte ich schon viel gehört, vor und auch während meines Aufenthaltes in Singapur. Aber immer waren es recht allgemeine Dinge gewesen, über die Wichtigkeit der Wallfahrt im Leben des Muslims, das besondere Erlebnis derjenigen, die diese fünfte der „Säulen des Islam“ erfüllt hatten, ihr Ansehen als „Haadsch“, als zurückgekehrte Wallfahrer, die nun zeitlebens ein weißes Käppchen statt des üblichen schwarzen malaiischen „songkok“ auf dem Kopfe trugen...

Aber das alles war mir nicht genug, und so begann ich, mir meinen eigenen „Fahrplan“ zu notieren, nach dem, wie ich es mir vorstellte, die Wallfahrt abläuft. Ich fragte, und ich las. Von der Kaaba, dem alten Tempel in Mekka, fertigte ich mir einen Grundriß an, trug die Maße der Seitenwände (33 x 50 bzw. 44 x 50 englische Fuß) und die Entfernungen zur Quelle Zamzam und zur „Stätte Abrahams“ mit ein, machte mir eine grobe Skizze der übrigen Orte der Wallfahrt mit den vier Gegenden von Mekka, Mina, Musdalifa und Arafat und fertigte mir eine Übersichtstafel an, auf der Tag für Tag eingetragen war, was während der Wallfahrt zu welcher Zeit und an welchem Ort geschieht:

„Tag: Beliebig; Zeit: Beliebig; Ort: Miqat (Grenze) - ihram (Pilgergewand) anlegen...

Tag: 9; Zeit: Nach Suboh (Morgengebet), Ort: Mina - Nach Arafat begeben, „Wuquf“ verrichten, bis Sonnenuntergang bleiben...“

In ein Merkbuch trug ich mir weitere Einzelheiten ein: „Al-Hadsch, die Wallfahrt“ - sich unmittelbar Gott zuwenden und sich vollständig beherrschen...“, schrieb ich mir nieder. Jeden Abschnitt der Wallfahrt verzeichnete ich, vermerkte die notwendigen Verrichtungen, schrieb mir mühsam in krakeliger arabischer Schrift die verschiedenen Bittgebete auf, die Umschrift und auch die Bedeutung. Weiter notierte ich mir noch das Wichtigste über die übrigen „Säulen des Islam“ - Reinigung und Gebet, Zakat und Fasten, dazu noch manche Bittgebete für besondere Gelegenheiten. Mein eigenes, selbst erarbeitetes und deshalb verstandenes und mir vertrautes Gebetsbüchlein entstand. Dies alles beschäftigte mich tagelang und wochenlang, doch al-hamdu li-llah - Gott sei gelobt - erwarb ich mir so eine gewisse Kenntnis und Vertrautheit mit der Wallfahrt, der Moschee in Mekka, den Örtlichkeiten der Umgebung. So war ich, als ich später wirklich nach Mekka kam, im Geiste schon längst dort gewesen, mit den notwendigen Wegstrecken und Verrichtungen gut vertraut, am Ende sogar viel besser als mancher Wallfahrer, den ich anfangs zu Rate gezogen hatte. Dies kam schließlich nicht nur mir allein zugute, sondern hat sogar anderen Menschen um mich herum geholfen. Mekka war mir nicht mehr wirklich fremd, als ich dort ankam. Vielmehr bewegte ich mich dort in einem, wenn auch völlig neuen, so dennoch irgendwie schon vertrauten Umfeld.

Praktische Vorbereitungen

Auch das Erledigen bestimmter Formalitäten nahm geraume Zeit in Anspruch. Vor allem war das Visum zu beschaffen. Zu diesem Zweck besuchte ich das Saudi-Arabische Konsulat, besorgte mir die Antragsformulare, füllte sie aus und machte mich dann daran, die noch notwendigen Schritte zu unternehmen. Zur Erteilung des Visums mußte das Flugticket vorgelegt werden. Dieses würde ich durch den „Pilgerführer“ erhalten, mit dessen Gruppe ich reisen wollte. Dann waren Impfungen erforderlich, Pockenschutz hatte ich, aber notwendig war auch Vorsorge gegen Cholera. Dazu gehörte es, einen weiteren Arzt mit Labor aufzusuchen, um den Nachweis zu erbringen, daß ich keine Cholera einschleppen würde. Der Termin, den ich bekam, lag am frühen Nachmittag. In der brütenden tropischen Mittagshitze war ich unterwegs, im Ramadan. Ich fastete, und islamisches Fasten bedeutet, während des Tageslichtes nichts zu essen und nichts zu trinken. Aber das alles gehörte zu den unumgänglichen Vorbereitungen, die sich allein schon über ein paar Wochen hinzogen. Es waren, wenn auch vielleicht langwierige, so doch völlig übliche Formalitäten. Der saudische Konsularbeamte in Singapur, ein junger und freundlich wirkender Mann, ließ es sich aber nicht nehmen, mich bei meinem letzten Besuch im Konsulat in sein eigenes Büro zu führen und mir nach einer kurzen Unterhaltung persönlich mein Visum zu übergeben. Mit der Nr. 721/90 versehen, war es ausgestellt am 15. Dezember 1970 (16.10.1390 islamischen Datums) für die „Zeit der hadsch des Jahres 90“. Ein wichtiger Abschnitt der Vorbereitungen zu meiner ersten Mekkafahrt war abgeschlossen, al-hamdu li-llah.

Ebenso wichtig wie die Vorbereitung auf die Wallfahrt und die Erledigung der notwendigen Formalitäten war aber auch das Beschaffen der praktischen Ausrüstung. Ein paar Kleinigkeiten hatte ich schon erhalten, als ich mich zur Durchführung der Wallfahrt bei einem „Pilgerführer“ in Singapur anmeldete, bei dem ich auch später mein Flugticket abholte. Er lebte in einem der alten niedrigen Häuser im „Jalan Pisang“, dem Bananen-Weg, einer Seitenstraße der „Arab Street“, nicht weit von der Sultan-Moschee, wo ich öfter am Freitagsgebet teilnahm. Als örtlicher Repräsentant eines „Pilgerführers“ in Mekka stellte er die Reisegruppe von Singapur aus zusammen, organisierte die Plätze im Flugzeug und war insgesamt für die Reise bis nach Saudi-Arabien zuständig. Wie die übrigen Mitreisenden bekam ich eine kleine Reisetasche zum Verstauen der notwendigsten Habseligkeiten, einen 5 Liter fassenden Plastik-Kanister für Trinkwasser, mit dem man aber auch das Wasser aus der heiligen Quelle Zamzam mit nach Hause nehmen würde, und einen „tasbih“, eine rosenkranzähnliche Gebetskette, die von vielen Muslimen zum Aufsagen bestimmter Worte des Lobes Gottes verwendet wird. Dieser „tasbih“ war allein schon von der Farbzusammenstellung her einfach schön. Er hatte eine grüne Quaste und bestand aus 99 Perlen, schwarz, jeweils 33 durch zwei rote Perlen und ein Trennstück abgesetzt.

Gebetsketten aus Singapur und Mekka

Ein Gebetsbüchlein erhielt ich nicht, wohl weil man davon ausging, daß ich es doch nicht würde lesen können. Mich sorgte das kaum, denn ich hatte mir doch längst meine eigenen Notizen zusammengestellt und fühlte mich insofern bestens vorbereitet und auf nichts Anderes angewiesen.

Als wichtigster Bestandteil der Ausrüstung aber galt der „ihram“, die beiden weißen Tücher, die der Pilger während der Wallfahrt in Mekka statt der alltäglichen Kleidung trägt. Das eine Tuch wird, ähnlich wie ein malaiischer „sarong“, über die Hüften geschlungen, um den Unterleib vom Nabel bis wenigstens zu den Knien zu bedecken. Das andere Tuch, über den Schultern getragen, schützt den Oberkörper. Solche Tücher, aus weisser Baumwolle gewebt, und - wichtig für den „ihram“ - undurchsichtig und ungesäumt, gab es in vielen der Stoffwarenläden in der Nähe der Sultan-Moschee zu kaufen. Während die Größe einheitlich war, nämlich etwa 1m x 2m, gab es doch Unterschiede beim Material. Ich kam, ohne recht darauf geachtet zu haben, zu zwei Tüchern bester Qualität aus dickem und dichtgewebtem Stoff, bei dem auch kaum zu befürchten war, daß er vielleicht zerreißen würde.

Ihram-Tücher und Gürtel

Zu meiner Ausstattung gehörte schließlich auch noch ein Gürtel, der das Hüfttuch befestigen helfen und außer dem zum Aufbewahren des Geldes dienen sollte. Solche Gürtel trugen in Singapur viele Männer über dem traditionellen „sarong“. Meiner war wie die üblichen mit doppeldornigem Verschluß, aus einem sehr festen enggewebten grünen Stoff, über fünf Zentimeter breit, mit gelben Lederaufsätzen, unter denen sich zwei kleine mit Druckknöpfen verschließbare Taschen verbargen. Dort und in einer dritten im Gürtel eingenähten Tasche mit Reißverschluß konnte man, wenn man nicht allzu viel Geld besaß, seine ganze Barschaft verstauen. Das Interessanteste an diesem Gürtel aber war von außen gar nicht zu sehen. Auf der Innenseite war nämlich ein Stoffetikett aufgenäht, das den Hersteller nannte: „V.S.S.M. Eusoff & Sons, Made in Singapore (letzteres auch auf Arabisch: sun‘u Sinqafurah)“, sowie als Hinweis auf die Qualität die Wörter „The Strongest“. Und zum Beweis dafür, daß es sich bei diesem Gürtel wirklich um „den Stärksten“ handelte, zeigte das Etikett auch noch ein Bild: Unter einem Halbmond mit Stern und einer Palme einen Elefanten und ein Krokodil, die an den beiden Enden eines solchen Gürtels zerrten, ohne daß er zerriß…

Mit diesem Gürtel würde ich also zweifellos wohlgerüstet sein. Beruhigt packte ich das alles in die kleine Reisetasche.

Zwischenlandung in Bombay

Die Sonne war längst untergegangen. Nach vielen Stunden Flug machten wir am späten Abend eine Zwischenlandung in Bombay. Das ergab trotz der erschlagenden Hitze eine willkommene Gelegenheit, sich zu bewegen, die Beine zu vertreten. Wir verließen das Flugzeug und wurden in die Transithalle geleitet. Alle Mitreisenden waren Mekkapilger, und alle waren Malaien, entweder aus Singapur oder aus dem benachbarten Westund Ost-Malaysia. Ich war der einzige Nicht-Malaie, ein „orang putih - weißer Mensch“, doch fiel das zunächst in der großen Schar der Passagiere gar nicht auf. Nur meine unmittelbaren Nachbarn auf den Plätzen im Flugzeug konnten nicht umhin, das zu bemerken.

Manche der Mekkafahrer hatten noch während des Fluges vom Kapitän die Richtung nach Mekka erfragt und dann jeweils zu zweit nebeneinander auf dem engen Raum vor dem Ausstieg das Abendgebet verrichtet. Dann änderte die Maschine offensichtlich den Kurs und schwenkte ab. Unsicherheit entstand. Andere, auch ich, zogen es vor, während der Zwischenlandung in Bombay das Abendgebet mit dem Nachtgebet zu verbinden, wie es den Reisenden ja gestattet ist. Mit großer Verwunderung nahm ich zur Kenntnis, daß es in der ganzen Transithalle des Flugplatzes keinen sauberen Platz für das Gebet gab. Schließlich schloß ich mich einer Gruppe an, die Zeitungen auf den Boden gelegt hatte, um wenigstens so die direkte Berührung mit dem verschmutzten Boden zu vermeiden. Der auffälligste Teil des muslimischen Gebets ist ja die Niederwerfung, das Berühren des Bodens mit dem Gesicht zum Zeichen der Anerkennung Gottes als dem einzigen wahren und höchsten Herrn.