Claus Derra
Corinna Schilling
Achtsamkeit und gestörter Schlaf
Stress abbauen, inneres Gleichgewicht und Lebenszufriedenheit finden
Buch und Hör-CD mit Musik von Tim Gössler
Mit Zusatzmaterial zum Download
Klett-Cotta
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© 2019 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von © Artenauta, Adobe Stock
Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell
Printausgabe: ISBN 978-3-608-96387-8
E-Book: ISBN 978-3-608-11558-1
PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20411-7
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Achtsamkeit und Schlaf, das wirkt zunächst wie ein Widerspruch. Insbesondere der im Buchtitel genannte »gestörte« Schlaf. Wenn zwei solch gegensätzliche Begriffe miteinander in Verbindung gebracht werden, löst das bei uns eine gewisse Spannung aus – vielleicht auch Interesse und Neugier.
Dabei könnte man schnell zu der Einschätzung kommen: Beides geht nicht gleichzeitig. Entweder Schlaf oder Achtsamkeit. Schlaf verbinden wir üblicherweise mit »abschalten« und verändertem Bewusstsein. Gestörten Schlaf beziehen wir auf nächtliches Wachsein und fehlende Erholung. Achtsamkeit dagegen bedeutet, wach und aufmerksam zu sein und sich etwas besonders bewusst zu machen. Der Buchtitel könnte daher vielleicht präziser lauten »Kann Achtsamkeit bei gestörtem Schlaf helfen?«
Eine aktuelle Umfrage sagt: »Die Deutschen sind zwar mit ihrem Schlaf zufrieden, es gibt aber auch deutliche Anzeichen für einen erheblichen Schlafmangel. 34 Prozent der Befragten haben regelmäßig den Wunsch, mehr zu schlafen, von den Managern sind es sogar 49 Prozent. 30 Prozent der Deutschen nicken tagsüber oft oder gelegentlich ein. Das sind Signale der Übermüdung. Nur 19 Prozent sagen von sich, dass sie morgens topfit aus dem Bett hüpfen. Dagegen klagen 31 Prozent über erhebliche Anlaufschwierigkeiten. Für 28 Prozent der Deutschen ist Stress während der Arbeit der Hauptgrund für ihren schlechten Schlaf.« (Beurer 2017)
Dieses Buch greift den Zusammenhang zwischen Tagesablauf und Nachtschlaf auf. Der Grundgedanke dabei ist, wie wir Achtsamkeit und Schlaf in eine gute Kombination, in einen guten Wechselrhythmus bringen können. So wie wir den Tag gestalten, so wird der Schlaf vorbereitet. Wir haben dazu viele kleine Achtsamkeitsübungen und eine Art Bilanzierung entwickelt: Guter Tag – gute Nacht.
Erholsamer Schlaf ist nicht so sehr das momentane Funktionieren, sondern vielmehr eine längerfristige Entwicklung. Phasen schlechteren Schlafes stören dann nicht mehr, sie werden in den Rhythmus des Lebens integriert.
Wie in unserem Buch über Achtsamkeit und Schmerz lassen wir hier Menschen zu Wort kommen, die unter Schlafstörungen leiden, aber auch solche, die gut mit ihrem Schlaf zurechtkommen oder ihre Schlafstörungen überwunden haben.
Wir möchten Sie dadurch motivieren, eigene Strategien der Achtsamkeit zu entwickeln und sie einfach und positiv in den Alltag und in Ihren Lebensstil zu integrieren.
Wir haben im Laufe der Zeit festgestellt, dass folgende Kriterien für eine Änderung des Lebensstils wichtig sind:
Die tägliche Anwendung
(Wiederholung erhöht die Wirksamkeit),
Das unmittelbare Erleben der Wirkung
(nur was wirkt, wird verinnerlicht),
Kurze Momente, die wenig Zeit beanspruchen
(manchmal nur 10 Sekunden)
Achtsamkeit sollte etwas Besonderes sein
(Unterbrechung der Alltagsroutine)
und Spaß machen
(durch Freude und Humor lernen wir intensiver).
In der Praxis hat es sich als besonders günstig erwiesen, mit wenigen und einfachen Strategien zu beginnen, z. B. mit einer einfachen Bewegungsübung, die gut zur Einschlafvorbereitung wirkt, aber auch mehrfach am Tag durchgeführt werden kann (z. B. CD Track 2, der Schrankenwärter).
Das Buch ist in seinen sieben Kapiteln so gestaltet, dass Sie jederzeit irgendwo anfangen können zu lesen. Sie werden überall Wissenswertes und Praktisches zum Schlaf finden.
Neben Abschnitten zu den Grundlagen des Schlafes (kulturell, physiologisch, psychologisch, sozial), zur Stressforschung und zu möglichen Krankheitsbildern finden Sie Überlegungen zum besseren Ein- und Durchschlafen. Auch das Kapitel über Schlaf, Partnerschaft und Sexualität ist weniger wissenschaftlich als praxisorientiert.
Um der Gendervielfalt gerecht zu werden, haben wir * zur Kennzeichnung benutzt und schließen damit Frauen, Männer und sogenannte diverse Menschen ein.
Die beiliegende CD »Kleine Schlafhelfer« erleichtert das konkrete Üben. Wir sind dabei besonders dankbar für die Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Sounddesigner Tim Gössler. Wir haben ihm verschiedene Bilder von gutem Schlaf gegeben, die er sehr einfühlsam in Improvisationen und Kompositionen umgesetzt hat.
Wir danken Herrn Dr. Heinz Beyer und Frau Anja Krämer vom Verlag Klett-Cotta, sowie Frau Bettina Bertók, der Toningenieurin. Ein besonderer Dank gilt auch unserer Lektorin Frau Rosel Müller für die engagierte Durchsicht dieses Buches.
Ebenso danken wir den vielen Schlafforschern, die die wissenschaftliche Grundlage für unser Praxis-Buch gelegt haben.
Insbesondere aber sagen wir unseren vielen Patienten Dank, die uns immer wieder herausgefordert haben, uns weiterzuentwickeln.
Claus Derra
Bad Mergentheim
Corinna Schilling
Berlin
Im Mai 2019
Was, wenn du schliefest? Und was, wenn du, in deinem Schlafe, träumtest? Und was, wenn du in deinem Traume, zum Himmel stiegest und dort eine seltsame und wunderschöne Blume pflücktest? Und was, wenn du, nachdem du erwachtest, die Blume in deiner Hand hieltest? Ah . . . was dann?
Samuel Taylor Coleridge (1772 – 1834), englischer Lyriker und Literaturkritiker
Was, wenn du schliefest . . . Die Menschheit hat sich immer schon Gedanken über das rätselhafte Phänomen des Schlafes gemacht. Dabei scheint gerade die Grenze zwischen Wachsein und Schlaf, zwischen Bewusstsein und Unbewusstem, zwischen Realität und Traum unsere Vorstellungen besonders zu faszinieren. Dass genügend Schlaf zum guten Leben gehört, ist jedem Menschen klar. Besonders die Frage, wie wir die Grenze zwischen Wachsein und Schlaf gestalten können, beschäftigt uns. Sie kennen bestimmt das Sprichwort: Der Schlaf ist wie eine Taube, wenn man danach greift, fliegt sie weg.
Wir empfehlen Ihnen, dieses Buch griffbereit neben Ihr Bett zu legen. Denn wir fänden es sehr schön, wenn Sie damit vor dem Einschlafen, beim nächtlichen Erwachen und auch morgens beim Aufwachen symbolisch die Erfahrung der wunderschönen Blume machen können.
Es sind die kleinen Dinge, die den Schlaf fördern. So, wie auch die Achtsamkeit mit kleinen Dingen beginnt: mit einer Aufmerksamkeit für den gegenwärtigen Moment, ohne ihn zu bewerten. Bildhaft lässt sich dies so darstellen:
Abbildung 1.1 Achtsamkeit im Moment
Die Gegenwart, ein achtsamer Moment, umfasst in der Regel eine Zeitspanne von 3 bis 5 Sekunden. In der Abbildung 1.1 ist dieser Moment mit dem Abstand zwischen zwei Pfeilen dargestellt. Davor ist die Vergangenheit, danach schon die Zukunft. In dieser Zeit sind wir nur mit diesem Moment beschäftigt, danach kommt der nächste Moment.
Am Beispiel der Atmung lässt sich dies gut verdeutlichen. Wir beobachten unsere Atmung, jeweils den momentanen Atemzug, die Ein- und Ausatmung und die Pausen dazwischen. Danach kommt der nächste Atemzug, den wir beobachten, ohne ihn zu bewerten. Das ist das Grundprinzip der Achtsamkeit.
Abbildung 1.2 Achtsamkeit von Atemzug zu Atemzug
Wenn man Achtsamkeit praktiziert, stellt man fest, dass sich Gedanken, innere Vorstellungen, Körpersignale oder Gefühle melden und wir von dem gegenwärtigen Moment abgelenkt werden, wie in Abbildung 1.3 gezeigt.
Abb. 1.3 Achtsamkeit und »störende« Gedanken
Achtsamkeit beinhaltet hier, all dies wahrzunehmen, es nicht als Störung zu bewerten und immer wieder zur Beobachtung der Atmung zurückzukehren.
Wenn wir diese einzelnen Momente wie zu einem Fluss zusammenfügen, entsteht das eigentliche Wirkelement der Achtsamkeit – die Meditation.
Gerade wenn wir mit Achtsamkeitsübungen beginnen, stellen wir fest, dass Gedanken, Gefühle und Körpersensationen stark stören können: Sie ziehen die Aufmerksamkeit von der Beobachtung der Atmung weg, und es gehört zum normalen Ablauf, dass wir immer wieder damit beschäftigt sind, die Aufmerksamkeit zurück auf die Atmung zu lenken.
Genauso geht es vielen Menschen beim Einschlafen. Sie liegen abends im Bett, der Raum ist dunkel und ruhig, sie nehmen jedoch verstärkt ihre Gedanken, Gefühle oder Körpersignale wahr. Negative Gedanken und Gefühle bzw. beunruhigende Körpersignale tauchen auf, verstärken sich und verhindern nun die Ruhe und das sanfte »in den Schlaf gleiten«.
Wenn Achtsamkeit längere Zeit praktiziert wird, stellt sich ein veränderter Bewusstseinszustand ein, der entspannten Wach- und leichten Schlafphasen ähnlich ist. Obwohl die Achtsamkeitspraxis nicht das Einschlafen zum Ziel hat, kann sie auf den Schlaf vorbereiten und physiologisch in den Schlaf hineinführen. Mehr Anwendungsbeispiele dazu finden Sie in den Kapiteln 5 und 6.
Der Achtsamkeitslehrer und Buchautor Michael Harrer verwendet zur Erklärung der Achtsamkeit
das Modell einer Sanduhr. Zu Beginn einer Achtsamkeitsübung nehmen wir zunächst die weit offene Aufmerksamkeit
nach außen und innen wahr, symbolisiert durch den weiten oberen Teil der Sanduhr.
Es folgt eine bewusste Fokussierung, z. B. auf die Atmung, in der Sanduhr entspricht
dies dem schlanken mittleren Teil. Am Schluss wird die Aufmerksamkeit wieder auf das
im Moment Wesentliche geweitet. Die Übung kann im Alltag in drei Minuten durchgeführt
werden, individuell aber auch kürzer oder länger dauern. Wir verwenden das Symbol
der Sanduhr in diesem Buch für Informationen und Übungen zur Achtsamkeit.
Legen Sie dieses Buch griffbereit neben Ihr Bett, es wird Sie immer wieder an die
Achtsamkeit erinnern. Wenn Sie es in die Hand nehmen, wird es wie selbstverständlich
zu einer Schlafhilfe. Wir haben ein griffiges viereckiges Format mit Hardcover gewählt.
Dadurch lässt es sich auch im Liegen leicht lesen. Die Seiten in etwas dickerem Papier
lassen sich gut blättern. Der Umschlag ist in einem tiefen, für die meisten Menschen
beruhigenden Blau der Nacht gehalten. Im Gegensatz zum hellen Blau von LEDs und elektronischen Medien fördert das dunkle Blau die Nachtruhe.
Zu dem Bild mit dem Mond und den Sternen hat uns die 12-jährige Klara angeregt. Ihr
Vater hatte ihr, als sie zwei Jahre alt war, einige Leuchtsterne und genau so eine
Mondsichel wie in Abbildung 1.4 an die Zimmerdecke über ihrem Bett geklebt. Untertags
waren die Sterne kaum sichtbar, nachts aber strahlten sie nach dem Ausschalten der
Zimmerlampe in einem gemischten Farbton von gelb und grün, den Klara nach einiger
Zeit sehr gern hatte. Sobald die Eltern nach dem Gute-Nacht-sagen, einer Geschichte
oder einem Schlaflied den Raum verließen und das Licht gelöscht hatten, war Klara
mit ihrem Bär Umi und den Sternen allein. Die Anordnung der unterschiedlich großen
Sterne an der Zimmerdecke wirkte dreidimensional wie ein Weltraum. Das Schauen in
die Ferne nahm Klara viele Monate lang die Angst vor dem Alleinsein, und sie erlebte
mit Umi ganz eigene Einschlafgeschichten. Achten Sie in der Abbildung 1.4 genau auf
den Mond. Es ist die Sichel des zunehmenden Mondes, der am Abendhimmel erscheint.
Schon immer hat die Menschheit den Mond dieser Phase mit dem Ende des Tages und dem
Beginn der Nacht verbunden. Dieser Mond begleitet uns in den Schlaf, zumal der Mann
im Mond mit seiner Laterne wunderbar Platz auf seiner Sichel findet. Das Bild des
Vollmondes verbinden viele Menschen mit schlechtem Schlaf. Der abnehmende Mond gehört
in die zweite Nachthälfte und begleitet den Schlaf. Der Neumond kann als Bild nicht
schlaffördernd wirken, weil er nicht sichtbar ist.
Abbildung 1.4 Klaras Einschlafhimmel
Als Klara älter war, wurde der Einschlafhimmel für sie zu einem Signal für den Abschluss des Tages und zum Einschlafen. Auch wenn die Leuchtkraft der Sterne im Laufe der Zeit nachließ, hatte der Blick auf den Himmel über dem Bett sofort eine beruhigende Wirkung. Klara fühlte sich geborgen und spürte eine körperliche Entspannung. Dieses Phänomen nennt man Konditionierung (Signallernen). Gerade das Einschlafen wird bei vielen Menschen durch solche Konditionierungsprozesse gesteuert.
Konditionierung bedeutet, dass unser Organismus lernt, automatisch auf bestimmte Signalreize zu reagieren. Entdeckt wurde das Phänomen vor über hundert Jahren von dem russischen Forscher Iwan Pawlow. Er stellte fest, dass die Hunde in seinem Versuchslabor nicht nur bei der Fütterung mit verstärktem Speichelfluss reagierten, sondern auch, wenn nur die Glocke beim Öffnen der Tür ertönte. Der Speichelreflex war nicht mehr ausschließlich an das Futter gekoppelt, sondern hatte sich automatisch mit dem Glockensignal »jetzt kommt gleich die Fütterung« verbunden. Es mag für uns Menschen nicht sehr schmeichelhaft sein, dass unsere Körperabläufe – also auch unser Schlaf – nach den gleichen Prinzipien wie der Speichelreflex bei den Hunden funktioniert, es ist aber so. Die Signale und auch die »Reflex«-Reaktionen können jedoch wesentlich komplexer sein und nicht nur von außen, sondern auch von innen kommen.
Wenn Sie dieses Buch in die Hand nehmen, werden Sie bei jedem Lesen Neues entdecken.
Dies wahrzunehmen, auszuprobieren und längerfristig anzuwenden, ist eine besondere
Form der Achtsamkeit.
Auch die Menschen in unseren Beispielen, Herr O., Herr M. und Frau S., konnten als Kinder gut schlafen. In ihrem weiteren Lebensweg sind jedoch Veränderungen eingetreten, die nachhaltige Folgen hatten.
Herr O. (37 Jahre) berichtet, dass er nur 4 – 5 Stunden Schlaf pro Nacht bekomme.
Dies sei zu wenig, und er sei chronisch müde und unausgeschlafen. Seine Lebensqualität
bessere sich nur im Urlaub, wenn er seinen Schlaf-Wach-Rhythmus, der einer Eule gleiche,
ausleben könne.
Definition der Schlafstörung
Eine Schlafstörung ist gekennzeichnet durch Probleme beim Einschlafen (länger als 30 Minuten Einschlafdauer) und/oder Durchschlafen (länger als 30 Minuten wach), durch Früherwachen, geringe oder übermäßige Schlafdauer, Tagesmüdigkeit und/oder eingeschränkte Leistungsfähigkeit am Tag. Die Schlafstörungen treten mindestens dreimal pro Woche über einen Zeitraum von einem Monat (akute Schlafstörung) oder mindestens drei Monaten (chronische Schlafstörung) auf (in Anlehnung an die Leitlinie »Nichterholsamer Schlaf 2017«).