Utrio, Kaari Die Gefährtin des Sturmfalken

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Die finnische Originalausgabe »Tuulihaukka« wurde für die deutsche Ausgabe in zwei Bände geteilt: »Sturmfalke« und »Die Gefährtin des Sturmfalken«.

 

Die Übersetzung wurde von FILI, Finnish Literature Information Centre, Helsinki, gefördert.

 

Übersetzung aus dem Finnischen von Angela Plöger

 

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2018
© Oy Amanita Production Ltd. 1992

 

Titel der finnischen Originalausgabe: »Tuulihaukka«, Kustannusosakeyhtiö Tammi, Helsinki 1995
© der deutschsprachigen Ausgabe Piper Verlag GmbH, München 2003
© der Karte: Amanita Ltd, Finnland
Covergestaltung: zero-media.net, München
Covermotiv: FinePic, München

 

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Die Personen des Romans

Die historischen Personen sind mit Stern* gekennzeichnet. Am Ende des Buches gibt es ein Glossar.

 

Im Hause Launiala

Launia, Richter und Opferpriester von Lieto
Lyy, Sohn des Hauses Launiala
Aure, Tochter des Hauses Launiala

 

Im Hause Paatela

Ihanti, Herr von Paatela
Purha, sein Stiefbruder
Palpa, Sklave
Leko Dreifinger, Krieger

 

Im Hause Arantila

Olaf Sturmfalke, Krieger von König Harald
Glum Missgestalt, Bootsführer des Sturmfalken

 

In Nidaros

Harald der Harte* (auch: der Strenge), König von Norwegen
Hallgerd Schwarzbraue, norwegische Schönheit

 

In Dublin

Stein der Skalde, Dichter aus Grönland

 

In Der Normandie

Odo de Meilhan, Olafs Ziehbruder
Innocentia, seine Frau
Adela, Odos Schwester
Corba, Adelas Amme
Ingvar Trinkhorn, Olafs Knappe

 

In Apulien

Robert Guiscard de Hauteville*, Herzog von Apulien
Sikelgaita*, seine Frau

 

In Sinetra

Geoffrey, Graf von Sinetra
Helaine Harzaniteina, seine Frau
Ortulana, Dienerin
Leonas, Erzbischof von Sinetra
Grimoald, neuer Erzbischof von Sinetra

 

In Byzanz

Euphrosyne, griechische Sklavin
Firmos, Lenker des Planwagens
Romanos Diogenes*, Kaiser
Andronikos Dukas*, Feldherr
Maria die Bulgarin*, seine Frau
Theodoros Phokas, Aristokrat aus Ephesos
Philomelia, seine Frau
Michael VII. Dukas*, Kaiser
Maria die Alanin*, Kaiserin
Arete Dukaina*, Schwester des Kaisers

 

In Montecaldo

Fulbert, Cavaliere von Montecaldo
Renald, sein Bruder
Guifred, sein Bruder
Constantia, Fulberts Mutter
Fenicia, Fulberts Kebsfrau
Pater Lampo, Priester von Montecaldo
Felix Nero, Kanonikus im Dom zu Montecaldo

 

In Roccamorte

Jordan, Cavaliere von Roccamorte
Bertilla, seine Frau
Humbert, ihr Sohn
Aimon, ihr Sohn, Bischof von Montecaldo
Pater Matteo, Priester von Roccamorte
Libentius, Gruppenführer
Marinus, Olaf Falcos Ritter
Euphremianus, Bischof von Roccamorte
Odo, ein heiliges Kind

 

In Salerno

Gisulf*, Fürst von Salerno
Johannes Platearius*, Arzt
Trotula*, seine Frau, Ärztin
Lando, Arzt

 

In Foresta Umbra

Proserpina Desolata, Ketzerin
Theodoros, Mönch aus dem Katharinen-Kloster

 

In Rom

Gregor VII.*, Papst
Georgios, Wandermönch
Heinrich IV.*, deutscher König

Wie Olaf Sturmfalke und Aure die Schlafbringerin aus dem finnischen Lieto nach Italien kamen, erzählt der erste Band dieses Romans: »Sturmfalke«.

Aure aus dem Hause Launiala wird von einem Verwandten geraubt, der durch diesen Erfolg kühn geworden, auch Arantila, die Siedlung eines christlichen Wikingers überfällt, plündert und die Bewohner ermordet.

Deren heimkehrender Sohn, Olaf Sturmfalke, findet nur noch rauchende Trümmer. Besinnungslos vor Wut nimmt er nicht nur Rache an den Mördern, sondern vergewaltigt auch Aure. Dann zieht er fort, um an König Haralds Kriegszug gegen England teilzunehmen.

Auch Aure verlässt mit ihrem Bruder Lyy die Heimat. In Konstantinopel wird Lyy Drungarios in der Warägergarde des Kaisers, und Aure führt seinen Haushalt.

Olaf Sturmfalke segelt nach der Niederlage Haralds in die Normandie, heiratet dort Adela, die schöne Schwester seines Blutsbruders Odo, und nimmt sie mit nach Süditalien, denn dort »kann man Burgen wie Birnen pflücken«. Im Gefolge des Normannen Robert Guiscard erringt Olaf Grafentitel und ein Castello.

Seine Unruhe treibt Olaf weiter, er will sich den Truppen des Basileus anschließen, die gegen die Sarazenen kämpfen. Auf der Großen Heerstraße treffen sich Aure, Lyy, Olaf und Adela, die ihrem Mann folgt.

Nach der Niederlage von Mantzikert fliehen sie gemeinsam. Aber es gibt etwas, das zwischen den Gefährten steht: die Blutrache. Aure weiß, dass Olaf es war, der sie damals vergewaltigt hat, aber sie verzeiht ihn, ja sie liebt ihn. Lyy jedoch sinnt auf Rache.

Er verlässt mit Aure heimlich die Gefährten, die sie mitnehmen wollen nach Italien, und kehrt nach Konstantinopel zurück.

Im Brautzug der Kaiserschwester Arete Dukaina, die den Dogen von Venedig heiraten soll, reisen auch Aure und Lyy nach Italien. In den wilden Bergen des Balkans werden sie von Räubern überfallen; wer kann flieht. Aure, die krank ist, bleibt zurück, ebenso wie Lyy, der schwer verwundet am Rande des Lagers liegenbleibt. Normannen, die sich in dieser Gegend aufhalten, stoßen auf den verwüsteten Lagerplatz und nehmen Aure als Beute mit. Auch Lyy wird gerettet – von Olaf Sturmfalke …

Erstes Buch

1075–1077

1. Kapitel

1075

 

»Eine griechische Ehefrau?«

Donna Constantia betrachtete verwundert die vor ihr kniende Frau. Sie trug vor dem Gesicht einen Schleier, und ein großes, mit Stickereien verziertes Tuch, das bei den Griechen Palla hieß, bedeckte ihre Haare.

Die Menschen in der Halle des Donjon von Montecaldo verstummten, als Schwiegermutter und Schwiegertochter zusammentrafen. Alle hatten von Ritter Fulberts neuer Frau gehört, von der griechischen Witwe, die steinreich war, aber kein Land besaß.

»Zeig mir dein Gesicht, Schwiegertochter.«

»Renald, Guifred. Alle Männer. Hinaus.«

Die Krieger trappelten widerstrebend durch die Türöffnung des Donjon in die Holzkonstruktion des Ganges hinaus. Sie gingen nicht die Treppen hinunter, sondern warteten beim Eingang.

»Ach du große Güte!« stammelte Donna Constantia halberschrocken.

»Frau Mutter, deine Schwiegertochter ist eine Frau von vornehmer Herkunft. In Byzanz zeigen sich die Aristokratinnen nur ihrem eigenen Mann mit entblößtem Gesicht«, sagte Fulbert di Montecaldo stolz. »Das Gesicht von Donna Aure hat nur ihr Bruder und ihr erster Mann gesehen.«

»Wir sind hier nicht in Byzanz, und die Schwiegertochter kann den Leuten keine Anweisungen erteilen und die Arbeiten überwachen, wenn sie sich hinter einem Lappen versteckt«, zischte Donna Constantia. »Sie wird sich ja wohl nicht einbilden, dass man in Montecaldo neben Springbrunnen wandelt und dem Gesang der Vögel im Käfig lauscht? Wenn sie das glaubt, dann muss sie sich auf eine Überraschung gefasst machen. Spricht sie überhaupt italienisch? Und französisch?«

»Donna Aure spricht etwas italienisch. Ich hab es ihr beigebracht, und sie lernt schnell. Ich hab auch französisch mit ihr gesprochen, das lernt man leicht, wenn man italienisch kann.«

Aure die Schlafbringerin betrachtete hinter ihrem Schleier das vertrocknete, feindselige Gesicht von Donna Constantia. Sie bemerkte, dass ihre Hände verkrümmt und ihre Fingergelenke knotig waren. Dies war ihre Schwiegermutter, und eine Schwiegertochter musste ihre Schwiegermutter begütigen, wenn sie ein halbwegs erträgliches Leben führen wollte.

Aber kann das Leben in einer kalabrischen Normannenburg überhaupt erträglich sein? Aure hatte von Montecaldo genug gesehen um zu begreifen, dass die kleine Gebirgsstadt etwas völlig anderes war als das Viertel der Amalfitaner in Konstantinopel. Im vorigen Winter hatte sie sich im illyrischen Avlona vorgestellt, dass Burg und Stadt von Cavaliere Fulbert genau so wären wie Avlona, nur im Binnenland.

Die Wirklichkeit sah wahrlich anders aus.

Montecaldo, der Heiße Berg, ragte inmitten von Eichenwäldern an der Stelle auf, wo die Flüsse Neto und Moroso sich vereinen. Einst war der Berg bis zu seinem flachen Gipfel mit Buchen und Pinien bewachsen gewesen, aber der Wald war schon vor langer Zeit abgeholzt worden. Die kalabrischen Winde und der winterliche Regen hatten den Berg zu einem gelben Steinhaufen abgeschliffen. Die Stadt verbarg sich auf dem ebenen Gipfel hinter einer niedrigen Mauer. Dort wohnten der Bischof, einige Domherren und ein paar Tausend Menschen. Cavaliere Fulbert von Montecaldo war ein Vasall des Grafen Alberic aus dem westlichen Teil der Grafschaft Palospesso.

Am Ostende der Stadt, oberhalb der Flussgabelung, stand die Kathedrale San Paolino, stark wie eine Festung und viele Jahrhunderte alt. Vor der Kirche befand sich ein langer Marktplatz, und an dessen Seite ein eingefriedeter Brunnen, die Fonte Paolina. Hinter dem Brunnen lag ein kleines und niedriges, gelbliches Gebäude: das Benediktinerkloster San Paolino. Am westlichen Ende des Marktplatzes, etwas tiefer gelegen als die Kirche, ragte das Castello de Montecaldo auf. Die Burg war auf Geheiß des griechischen Katepan vor zweihundert Jahren erbaut worden. Die Normannen hatten die alten Gebäude innerhalb der Mauern abgerissen und statt dessen einen großen viereckigen Kernturm, den Donjon, errichtet.

Zu Aures Entsetzen stellte es sich heraus, dass Cavaliere Fulbert im Donjon wohnte, und zwar in der zweiten Etage. Dort wohnten auch Donna Constantia und die Frauen der Burg. In der Halle des mittleren Stockwerks des Turms hausten die unverheirateten Ritter, die gewöhnlichen Krieger und die Knappen. Im Untergeschoß, in das man nur durch eine Öffnung im Fußboden der Halle gelangte, lagen das Verlies und die Vorratsräume.

Dort befand sich auch ein Brunnen. Er gab nur wenig Wasser und konnte den Bedarf der Burg nicht decken. In großen Zisternen, die die Griechen seinerzeit in den Tuffstein gebrochen hatten, wurde Regenwasser gesammelt.

Im Schutz der Burgaußenmauer standen im Hof Gebäude für die Pferde und die Stallleute, alle wegen der Brandgefahr mit Ziegeldach. Außer den Ställen wurden auch eine Küche und eine Schmiede gebraucht. Der Cavaliere von Montecaldo war ein einfacher Ritter. Er konnte es sich nicht leisten, neben seinem Turm einen Palast errichten zu lassen, so wie die reichen Grafen und Herzöge es taten.

Die fahlen Augen der Schwiegermutter verfolgten wachsam, wie Aure den Schleier vom Gesicht hob. Die strenge Miene nahm den Ausdruck der Verblüffung an, als Donna Constantia Aures Sommersprossen erblickte.

»Der Teufel hat wahrhaftig Giftwasser auf deinem Gesicht versprengt!«

»Und alle Schönheitskünste von Byzanz haben die Spuren nicht beseitigen können«, sagte Aure und lächelte strahlend. »Sie sind auch durch die Bleipaste hindurch zu sehen.«

»So teure Mittel werden in Montecaldo nicht verwendet.«

»Und das wäre bei mir auch vergeblich«, grinste Aure. Ohne direkt hinzusehen bemerkte sie, wie die Schwiegermutter sich die Fingerknöchel rieb. Die Greisin hatte Schmerzen in den Gelenken. Ein Schlaflied würde ihr Linderung bringen.

Donna Constantia konnte sich der sorglosen Selbstironie ihrer Schwiegertochter nicht verschließen.

»Immerhin hast du schöne Augen«, beeilte sie sich, Aure zu trösten. Die wirkte mit ihren Sommersprossen nicht sonderlich furchterregend, so vornehm sie auch war.

»Frau Mutter, meine Frau ist schwanger.«

»Hast du schon Kinder, Schwiegertochter?«

»Nein, Herrin.«

»Ihr erster Mann konnte sie nicht schwängern. Mein Samen ist stärker als der griechische«, brüstete sich Fulbert.

»Normannensamen ist der beste der Welt«, stellte Donna Constantia fest. »Bring deine Frau fort, damit sie sich hinlegen kann. Ich möchte mit dir über den Erben sprechen. Hast du es deinen Brüdern schon erzählt?«

 

In die oberste Etage des Donjon kletterte man über eine an der Wand gelegene Steintreppe empor. Cavaliere Fulbert stieg die Stufen langsam hinauf. Er hielt sich mit einer Hand das Kreuz, um den schmerzenden Rücken zu stützen.

Die oberste Etage war durch Wollvorhänge in Räume unterteilt. In den Räumen der Wohnetage herrschte unaufhörliches Stimmengewirr und ewiges Halbdunkel. Das einzige Licht fiel durch die Fenster in den Wänden des Donjon, die hatten Mannesstärke. Die Fenster waren hoch und so schmal, dass ein Bogenschütze gerade eben hindurchschießen konnte. Durch die Vorhänge konnte das Licht nicht bis in die mittleren Zimmer der großen, viereckigen Halle dringen. Die Luft stand, und schwer hingen darin die Gerüche der Menschen.

Die Frauenkammer lag an der Rückwand, am weitesten von der Treppe entfernt. Dort wohnten die unverheirateten Frauen und die Witwen. Nur zwei Betten waren vorhanden. Darin schliefen Donna Constantia und die würdigsten Frauen sowie die Kranken und Wöchnerinnen, jeweils drei, vier in einem Bett. Die Mägde, Sklavinnen und die sich überall versteckenden kleinen Kinder ruhten auf Schlafmatten, die zur Nacht auf dem Fußboden ausgebreitet wurden. Tagsüber machten die Frauen hier Handarbeiten und betreuten die Kinder. Viele Frauen, zumal die älteren, kamen wochenlang nicht hinaus.

Von der Treppe aus links befanden sich hinter Vorhängen die Wohnräume der Soldritter, eine kleine Vorhangkammer für jede Familie. Darin fanden ein Bett und eine Kleidertruhe Platz. Rechts von der Treppe lag die Wohnung des Burgherren, der größte Raum.

Aures Bündel und Truhen waren in den Raum des Burgherrn gebracht worden. Den beherrschte ein gewaltiges Schrankbett, ein eichengeschnitztes, innen mit Stoff aus Amalfi verkleidetes Möbelstück. So etwas erwartete man nicht im Castello Montecaldo zu finden.

Ebenso wenig hatte die neue Burgherrin erwartet, in dem Bett eine dicke, hellhäutige Frau vorzufinden.

Die griechische Sklavin Euphrosyne saß auf Arete Dukainas Zedernholztruhe, die die Aussteuer enthielt, und blickte nervös auf ihre Herrin. Zwei andere Dienerinnen und einige in der Ecke hockende kleine Mädchen mit zotteligem Haar starrten die neue Burgherrin an, ohne sich zu rühren.

»Ich hab versucht, die Frau zu verjagen, Kyria, aber sie sagt, sie gehorche niemandem als Cavaliere Fulbert.«

»Fenicia«, keuchte Fulbert di Montecaldo. »Dein Platz ist nicht hier. Geh in die Frauenkammer.«

Die Frau wälzte sich mühsam herum und stand auf. Sie war von überquellender Üppigkeit und vollkommen nackt. Ihr weißes Fleisch zerfloss um sie herum wie Ringe im Wasser. Um den Hals hing ihr ein schwerer Turmalinschmuck, in den Ohren klirrten silberne Gehänge. Ihr Gesicht war schön, mit Mehl geweißt, die Augen groß und dunkel und die Wangen mit Erdpuder leuchtendrot geschminkt. In das schwarze Haar waren Goldbänder geflochten.

Die Konkubine, erkannte Aure die Schlafbringerin: die Kebsfrau, die in der Wirtschaft und der inneren Ordnung der Burg ihren eigenen Platz hatte.

»Herr, du wirst dich gewiss nicht mit den Streitereien der Frauenkammer belasten wollen«, sagte Aure sanft.

»Alle werden deine Weisheit und deine Freigebigkeit gegenüber der Konkubine preisen.«

Fulbert sah Aure aus dem Augenwinkel an. Die wartete ab, bis er das Gehörte verdaut hatte: Der Mann war verpflichtet, eine ausgediente Kebsfrau mit einem großzügigen Geschenk abzufinden und sie mit einem der Krieger zu verheiraten – wenn er das nicht tat, mußte er sich auf endlose Mißhelligkeiten und Streitereien gefaßt machen.

»Richtig«, bestätigte Fulbert schließlich. »Fenicia, ich gebe dir als Mitgift zwei Nomismi und verheirate dich mit dem Waldhüter Udo.«

Aure zog die Schultern zusammen. Udo in seiner Waldhütte würde dankbar sein, aber die Frau, die in dem weichen Bett des Hausherrn gelegen und Süßigkeiten gegessen hatte, würde kaum mit dem Waldhüter zufrieden sein. Aure hatte beschlossen, sich niemals, in keiner Sache, Fulberts Willen zu widersetzen: Der Mann hatte ihr Leben und Ehre geschenkt. Als Gegengabe sollte er eine gehorsame Frau haben.

Fenicia grinste säuerlich und schlug ein dünnes Tuch um sich. Aure vermutete, dass ihr Versuch, mit der Kebsfrau Frieden zu schließen, fehlgeschlagen war. Das war nicht sehr wichtig; Aure wollte nur mit niemandem Streit haben. Fenicia war sowieso hochmütig und verwöhnt, das sah man an ihrem Schmuck. Man musste sie in die Schranken weisen. Vielleicht gemahnte die Erdhöhle des Waldhüters sie in passender Weise an die Launenhaftigkeit des Lebens.

Die Konkubine wabbelte mit ärgerlicher Miene davon. Im selben Augenblick kam Ritter Guifred die Treppen zum Obergeschoß herauf.

Fenicia blieb vor dem Bruder des Hausherrn stehen und ließ das Tuch auf die Hüften herabfallen, so dass ihre gewaltigen, beutelartigen Brüste und der Nabel sichtbar wurden. Guifred lachte und umklammerte eine Brust.

Fenicia kicherte geschmeichelt, und Guifred presste sich brünstig an sie.

Aure sah mit offenem Mund zu, wie Guifred sich an der halbnackten Frau rieb. Sie wagte nicht, irgendetwas zu sagen: Vielleicht war das Landessitte im Kalabrien der Normannen.

Guifred saugte an Fenicias Hals und sagte dann erstickt: »Gib mir die Frau, Fulbert. Du hast eine Ehefrau.«

»Ich hab versprochen, sie mit Udo zu verheiraten.« Fulbert krauste die Stirn. »Aber die Ehe kann warten, wenn du sie haben willst.«

Es wurde Aure klar, dass ihr Mann seinen Bruder wegen des zu erwartenden Erben besänftigen wollte. Das war klug. Fenicia war zufrieden, weil sie in der Burg wohnen bleiben durfte.

Wenn der eine Bruder ein Besänftigungsgeschenk erhalten hatte, musste auch der andere eines bekommen. Fulbert musste Renald etwas versprechen. Ritter Renald machte sich nichts aus Frauen. Er musste mit Geld oder Land begütigt werden. Land war nicht vorhanden. Aure vermutete, dass Fulbert Renalds Verbitterung mit etwas aus Arete Dukainas Mitgift mildern würde.

Guifred schob Fenicia rückwärts in die Frauenkammer.

Die Männer stiegen lachend die Treppe hinunter.

»Diese Leute sind an die Enge gewöhnt«, sagte sich Aure.

»Ich muss mich auch daran gewöhnen. Aus Sicherheitsgründen müssen alle im Turm wohnen. Die Burg kann jederzeit angegriffen werden. Den Städtern ist nicht zu trauen.«

So hatte Fulbert behauptet.

»Euphrosyne, bewegen sich die Männer frei in den Räumen der Frauen? Hast du hier noch andere Männer gesehen?« fragte Aure ihre Sklavin auf griechisch. Um Aure versammelte sich eine Schar Kinder, die neugierig an ihrem Rock zupften.

Euphrosyne tat, als ordnete sie das Bett.

»Die Brüder des Hausherrn und die Soldritter mit Familie halten sich hier auf, wenn es ihnen Spaß macht.«

»Wohin können die Frauen gehen, wenn sie ihre Ruhe haben wollen?«

»Nirgend wohin, Kyria«, schluchzte Euphrosyne. »Es gibt kein Gynakeion. Keinen Zufluchtsort.«

»Barbaren«, sagte die Tochter von Launiala. »Aber man muss mit ihnen auskommen.«

 

Donna Aure stand neben dem Donjon im Hof des Castello Montecaldo. In der Nähe stand schwankend Dominus Romanus, der greise Bischof. Zu beiden Seiten des Bischofs stand je ein Chorknabe, bereit, den hinfälligen alten Mann zu stützen.

Neben Aure wartete Donna Constantia in einem neuen, leuchtendroten Wollkleid. Das Kleid hatte Aure die Schlafbringerin für ihre Schwiegermutter aus teurem, mit Schildlaus gefärbten Stoff genäht, der sich in Arete Dukainas Truhen gefunden hatte. Donna Constantias Kopf war mit einem weißen, rotgeränderten Schleier verhüllt. Die alte Herrin von Montecaldo wirkte zufrieden mit sich und der Tatsache, dass sie bald zwei Schwiegertöchter haben würde. Das galt als ein Zeichen beträchtlichen Reichtums.

»Der Brautzug kommt! Die Spitze hat schon die Stadt erreicht!«

Beide Hälften des Tors standen offen. Durch das Tor sah man die festlich gekleideten Menschen, die auf dem Marktplatz herumschwärmten. Cavaliere Fulbert hatte in seiner Gutmütigkeit befohlen, zu Ehren der Hochzeit seines Bruders Brot und Wein an das Volk zu verteilen. Die Städter spähten in den Hof des Castello und zu der neuen Burgherrin hinüber, die sie bisher nur in der Kirche und auch da verschleiert gesehen hatten. Sie wunderten sich über die Freigebigkeit des Cavaliere: Die Normannen waren ebenso berühmt für ihre Knauserigkeit wie für ihre Kriegskunst.

Jenseits des Marktplatzes, genau gegenüber vom Tor des Castello, ragte der gelbgraue, schmucklose Westgiebel von San Paolino auf. Fulbert plante, an die Kirche einen Türbogen anzubauen, vielleicht aus Marmor. Er wollte Skulpturen seines Schutzheiligen, des heiligen Märtyrerphilosophen Justinus, und seiner sechs Märtyrergefährten stiften, die vielleicht schon in nächster Zeit zu beiden Seiten der Kirche aufgestellt werden sollten.

»Sieben Märtyrer werden teuer, aber der Heilige wird zornig, wenn ich ihn von seinen Freunden trenne. Vielleicht kann ich irgendwo einen kunstfertigen Bildhauermeister rauben«, überlegte Fulbert. »Die Meister reisen von Stadt zu Stadt. Ich muss Erkundigungen über ihre Reisepläne einholen, ihnen am Weg auflauern und schnell einen Mann gefangen nehmen.«

»Schnell? Das Pferd eines Handwerkers wird einem Normannen kaum entkommen.«

»Schnell deshalb, weil einem berühmten Meister auch andere auflauern«, belehrte Fulbert seine Frau, und Aure nickte bewundernd.

»Auch Lehrjungen muss man fangen. In Konstantinopel hat jeder Meister viele Lehrjungen, die ihm dienen.«

»Ganz recht«, bestätigte der Cavaliere. »Was ist ein Meister ohne Lehrjungen? Ist er überhaupt ein Meister, wenn er niemanden hat, dem er Befehle erteilen kann?«

Den Marmor würde Fulbert wohl aus den Ruinen eines heidnischen Tempels bekommen. Auf dem benachbarten Berg Monte Pagano lagen Säulen und Platten herum. Zuerst würde er die Städter zwingen müssen, den Marmor zu holen. Der uralte Gott des Monte Pagano war den Christen feindlich gesinnt. Er duldete es nicht, dass man die Steine des eingestürzten Tempels anrührte. Einige hatten es vor langer Zeit versucht. Da schickte der Gott ein Erdbeben, und die Marmorräuber kamen ums Leben. Deshalb hatten die umgestürzten Säulen des Monte Pagano jahrhundertelang in Frieden daliegen können.

Die Domherren des Domkapitels erwarteten den Festzug aus Roccamorte an der Tür der Kathedrale. Als sich auf dem Marktplatz eine Gasse für den Brautzug bildete, begegnete Aure über den Platz hinweg dem Blick der schwarzen Augen des Domherren Felix Nero. Neben dem Domherren stand seine Frau Odilia, und bei ihrem Anblick wurde Aure nachdenklich.

Odilia trug ein azurblaues Seidenkleid mit braunen Stickereien und ein grünes Seidentuch. Die Kleidung der Frau des Domherren war ebenso prunkvoll wie Dalmatika und Palla der Burgherrin.

»Ein ungehörige Protzerei«, bemerkte Aure die Schlafbringerin zu ihrer Schwiegermutter, deren misstrauischer Blick jede Falte von Odilias seidenen Gewändern registrierte.

»Odilia trägt so teure Kleider nicht ohne den Befehl ihres Ehemannes.«

»Wenn die Frau eines Domherren an Pracht mit der Frau des Ritters konkurriert, bedeutet es, dass der Domherr gegen den Ritter aufbegehrt.«

Ein solches Verhalten wiederum war nur möglich, weil der Domherr Felix Nero, ein hochmütiger und willensstarker Mann, ganz offenkundig ein Anhänger von Papst Gregor geworden war. Der Papst verlangte, dass die Männer der Kirche im Rang über den Laien stehen sollten.

Fulbert unterhielt sich mit seiner Frau gern über Robert Guiscard, den Herzog von Apulien, Papst Gregor und den deutschen König Heinrich. Aure die Schlafbringerin konnte gut zuhören. Wie alle Griechen interessierte sie sich für Politik, aus der sich wiederum die Frauen der Normannen kaum etwas machten. Der Cavaliere teilte mit seiner Frau seine Gedanken und Ahnungen in der Dunkelheit des nach Rosmarin duftenden Schrankbetts, die Lippen an ihrem Hals, und dabei bedeckte ein seidenweicher Schleier aus Haaren seine Schultern.

Die Ahnungen des Cavaliere verhießen nichts Gutes: Es würde einen großen Kampf zwischen dem machtgierigen Papst und den ebenso machtgierigen Fürsten geben.

»In dieser Mühle werden kleine Barone wie ich ebenso fein zermahlen wie weißer Weizen.«

Das erste Vorzeichen des Sturms, das blaue Seidenkleid der Frau des Domherren, schimmerte Aure vor Augen.

»Dominus«, sagte Aure demütig zu Bischof Romanus.

»Domherr Felix Nero – hat er sein Amt gekauft oder geerbt?«

Bischof Romanus brummte etwas, was Aure nicht verstand.

»Der Alte weiß nicht mehr, ob er in der Kirche oder auf dem Abort ist«, sagte ein Chorknabe kichernd zu Aure.

Aure beschloss, mit Fulbert über die Kleidung der Frau des Domherren zu sprechen. Vielleicht würde man den Domherrn irgendwie ins Abseits drängen können. Man konnte ja immer ganz direkt mit Verstümmelung oder mit Töten drohen.

 

Der Festzug kam hinter der Ecke der Kathedrale hervor und bog auf den Marktplatz ein. Er hatte den Berg über den Reitweg erklommen. Der Weg war stärker gewunden und länger als der Fußpfad, der ziemlich direkt über den Hang des Montecaldo zum Südtor der Stadt führte. Die Porta Paolina war eine kleine Tür, eine Öffnung in der Stadtmauer, die nur ein Mann auf einmal passieren konnte.

Das Haupttor, die Porta degli Angeli, lag im Norden. Sie war nach den zwei Erzengeln Michael und Gabriel benannt, deren Skulpturen über dem Tor standen und die Stadt beschützten. Der Brautzug kam durch das Engelstor. Er wurde angeführt vom Bruder des Bräutigams, Cavaliere Fulbert von Montecaldo; dank seines Edelmuts fand die Hochzeit statt. Fulbert war so glücklich über die Schwangerschaft seiner Frau, dass er der Bitte seines Bruders um Verheiratung stattgegeben hatte. Er hatte sogar die Partie für Ritter Renald ausgesucht.

Aure die Schlafbringerin sah weder auf ihren Mann noch auf den Schwager, obwohl beide in ihren funkelnden Rüstungen einen prachtvollen Anblick boten. Alle Männer waren bis an die Zähne bewaffnet, weil Brautzüge von allen Reisegesellschaften am meisten bedroht waren. Immer gab es jüngere Männer, die bereit waren, sich eine Frau zu rauben. Durch eine Ehefrau erlangten sie den Status eines mündigen Mannes.

Stattliche Männer hatte Aure auf den Kriegszügen des Basileus zur Genüge gesehen. Die Normannenkrieger in ihren praktischen Panzerhemden konnten nicht mit den Gardisten des Kaisers, die einen Helm mit Federbusch trugen, konkurrieren.

»Beim abgeschnittenen Kopf von San Paolino«, sagte Donna Constantia, »was ist das?«

Aure zögerte.

»Ich glaube, deine neue Schwiegertochter, Frau Mutter.«

»Neben der Kathedrale braucht man keinen Glockenturm zu errichten«, sagte Donna Constantia finster. »Jetzt verstehe ich, warum Cavaliere Jordan und Donna Bertilla ihre einzige Tochter an einen jüngeren Sohn verheiratet haben.«

Auch auf dem Pferd wirkte die junge Frau, die nach Normannenart Unterkleid, Tunika und Umhang trug und leicht verschleiert war, größer als der Bräutigam, neben dem sie ritt. Ihr Rücken war gebeugt, und sie hielt den Kopf gesenkt, so als wollte sie ihre Größe kaschieren.

Aure die Schlafbringerin freute sich, eine Schwägerin zu bekommen. Sie war eine Frau ohne Familie und Sippe; sie hatte in das Haus ihres Mannes nur eine einzige Sklavin eingebracht. Sie musste sich in Fulberts Familie einen Kreis von Leuten schaffen, die sie unterstützten. Die Schwiegermutter war schon gewonnen: Abends sang Aure die von Gelenkschmerzen arg geplagte Greisin in den Schlaf. Die Dienerschaft versuchte anfangs zu faulenzen, wie es auch zu erwarten gewesen war, aber Aure hatte die Peitsche rasch zur Hand. Nach zwei gründlichen Auspeitschungen gab es keine Probleme mehr.

Der Hochzeitszug ritt über den Marktplatz. Das Domkapitel schloss sich ihm an und folgte den Reitern in den Burghof. Hinterdrein strömte neugierig das Marktvolk, von niemandem gehindert.

Die Burg Roccamorte, aus der die Braut kam, lag nordöstlich von Montecaldo, zwei Tagereisen entfernt hinter bergigem Land inmitten der Schneegipfel des Sila Grande. Die Stadt war nicht mehr als ein Dorf, und die Burg war kleiner als Montecaldo. Cavaliere Jordan von Roccamorte war berüchtigt für seine Streitsucht; er war so bösartig, dass selbst die angriffslustigen Normannen ihn mieden. Cavaliere Jordan war weniger ein heldenhafter Kämpfer als vielmehr jemand, der sich unermüdlich beschwerte.

»Wenn ein verirrter Pfeil auf Jordans Ländereien fliegt und am Kastanienbaum ein Blatt durchbohrt, dann stürzt Jordan sofort zu Roger de Hauteville, um sich zu beschweren. Wenn Graf Roger ihn nicht beachtet, trägt er seine Sache Robert Guiscard vor. Wenn der Herzog was anderes zu tun hat, geht er zu jedem Bischof. Dann beschwert er sich beim Papst. Jordan hat in seiner Burg einen Priester, der nur Beschwerdebriefe schreibt. Er bringt seine Zeit mit Genörgel hin, anstatt sie für die Pflege seiner Felder und seiner Burg zu verwenden.«

Fulbert sah am künftigen Schwiegervater seines Bruders nichts Gutes. Und auch nicht an der Schwiegermutter.

»Donna Bertilla ist so fromm, dass es einem gewöhnlichen Mann übel wird. Die eine Hälfte des Tages liegt sie auf den Knien, und die andere zählt sie die Sünden anderer Leute auf. Eine unmögliche Frau.«

Aure entnahm diesen Worten, dass man sich in Roccamorte mit den Sünden des Cavaliere di Montecaldo beschäftigt hatte.

»Trotzdem willst du die Tochter als Schwägerin in der Familie haben?«

»Was kann Renald Besseres erwarten? Der jüngere Sohn ohne Land und ohne Geld. Ich kann meinem Bruder nichts anderes geben als einen Schlafplatz im Donjon von Montecaldo. Wer sonst als der elende Jordan würde seine Tochter einem Mann gegen ein nominelles Sponsalicium geben? Jordan di Roccamorte verheiratet Mabilia an Renald, damit das Mädchen nicht Kostgängerin an seinem eigenen Tisch ist. Er hat außer dem Mädchen noch zwei Söhne, Humbert und Aimon.«

»Herr, du hast sicherlich einen weisen Beschluss gefasst«, sagte Aure heldenmütig. »Wenn die Leute von Roccamorte nun einmal so schwierig sind, ist es das beste, mit ihnen in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu stehen. Cavaliere Jordan wird sich wohl kaum über seinen Schwiegersohn beklagen.«

Im Burghof half Renald seiner Braut aus dem Sattel. Donna Mabilia sank sofort in sich zusammen, war aber trotzdem größer als der Bräutigam. Ihre blassblauen Augen blickten ängstlich umher. Renald wirkte, als hätte man ihn mit einem Holzscheit auf den Kopf geschlagen, obwohl er drei Tage Zeit gehabt hatte, sich an seine Braut zu gewöhnen.

Cavaliere Jordan und Donna Bertilla, beides große Normannen mit braunem Haar, taxierten die Gebäude von Montecaldo und alsdann die Burgherrin. Aure ließ die Prüfung gelassen über sich ergehen. Sie wusste, dass sowohl die Burg als auch sie selbst der strengsten Prüfung standhielten. Fulbert war ein guter Hausherr: Die Gebäude von Montecaldo waren sorgfältig instand gehalten, der Hof gekehrt, die Sachen in Ordnung, die Männer sauber und einigermaßen gesund, und sie steckten in ordentlichen Rüstungen.

Aure, die Burgherrin, trug eine Dalmatika aus grünem Brokat und ein olivgrünes, großes Tuch, das mit einem goldenen Zierband eingefasst war. Die Sklavin Euphrosyne hatte Aures rotes Kraushaar hochgebunden und in ein schimmernd grünes Haarnetz gezwängt. Auf die Stirn hatte sie Aure Arete Dukainas zweites Diadem gesetzt, das Meisterstück eines Goldschmieds aus einem dünnen Goldband und Achaten.

Die Normannenfrauen trugen über der Tunika einen losen, auf den Hüften ruhenden Gürtel. Aure probierte den Gürtel der Schwiegermutter über der glatt herabhängenden Dalmatika aus.

»Die Normannen haben sich alles unter praktischen Gesichtspunkten überlegt«, dachte Aure bei sich. »Der Gürtel ist angenehm. So kann man Schlüssel, Feuerzeug, Schere und Nadeln bei sich tragen. An einem Festkleid braucht man die Sachen nicht, aber der Gürtel betont anmutig Taille und Hüften. Euphrosyne, wir werden einen Gürtel nähen, der zu meiner grünen Dalmatika passt.«

Und richtig: Der aus grünem und goldenem Garn geflochtene Gürtel, der in schweren Troddeln endete, brachte den Bogen von Aures Hüften so verlockend zur Geltung, dass die Krieger des Donjon den Atem anhielten. Kaum hatte Cavaliere Fulbert ihn gesehen, führte er seine Frau in das große Bett. Während die neidischen Krieger am Fuß der Treppe zuhörten, verstieß Fulbert gegen die Anordnung der Kirche, nach der die fleischliche Gemeinschaft mit einer Frau bei Tageslicht verboten war – auch dies eine der seltsamen und unmöglichen Forderungen der neuen Zeit.

Auf Fulberts Bitte ließ Aure den Schleier weg. Der Cavaliere wollte nach Normannenart seine Frau allem Volk zeigen.

»Meine Männer müssen dich sehen«, versuchte Fulbert der unwilligen Aure zu erklären. »Sie dürfen dich begehren, aber nicht anrühren. Je schöner und aufregender die Ehefrau, desto berühmter und mächtiger der Ehemann. Je mehr meine Krieger dich begehren, desto treuer dienen sie mir.«

Aure verzichtete ungern auf den Schleier, der eine Art Mauer zwischen ihr und der durch und durch gewalttätigen und lüsternen Welt der Normannen bildete. Doch wenn es ihrem Mann nutzte, seine Frau auf Märkten und Plätzen vorzuzeigen, war sie dazu bereit, wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen.

»Du sprichst von Männerangelegenheiten, die ich nicht verstehe, Herr. Aber natürlich mache ich es so, wie du willst.«

 

Der verlegene Ritter Renald di Montecaldo begleitete seine unglücklich aussehende Braut zur Treppe des Donjon. Die Leute im Hof grinsten. Das arme Mädchen, das traurig neben ihrem Bräutigam dahin schlurfte, tat Aure leid.

»Mein Schwager Humbert? Wo ist er? Und Aimon?« Aure wollte Freundlichkeit beweisen, indem sie sich an die Namen der Brüder der Braut erinnerte.

»Humbert ist krank. Er konnte nicht kommen«, sagte Donna Bertilla kurz. »Aimon ist hier.«

Hinter Cavaliere Jordan und Donna Bertilla stand ein junger Bursche, ein mürrisch wirkender Blaurock, an dessen Taille ein Schwert baumelte als Zeichen, dass er als Knappe ausgebildet wurde. Aure wunderte sich, warum ein Bursche dieses Alters zu Hause lebte. Es war üblich, die Kinder spätestens im Alter von neun Jahren von den Eltern fort in eine andere Burg zu schicken, die Jungen als Knappen und die Mädchen, damit sie die Führung eines großen Haushalts erlernten.

Bald wurde klar, warum Aimon di Roccamorte bei den Eltern lebte.

»Dein Bischof ist am Ende seiner Tage angelangt«, bemerkte Ritter Jordan bei der gemeinsamen Mahlzeit, die in der Halle des Donjon eingenommen wurde. Jordan, der neben Aure der Schlafbringerin saß, musste laut am Brautpaar vorbeirufen, wenn er mit dem Bruder seines Schwiegersohns sprechen wollte. Das Brautpaar sprach nichts: Renald schmollte, und Mabilia kämpfte mit den Tränen.

Der mit einem weißen Tuch bedeckte Haupttisch, an dem das Brautpaar mit seinen Angehörigen und Bischof Romanus aßen, war parallel zur Wand aufgebockt worden. Die unteren Tische standen rechtwinklig zum Haupttisch. Daran saßen außer den Burgbewohnern die Domherren der Kathedrale und die angesehenen Persönlichkeiten der Stadt.

Cavaliere Fulbert beugte sich mühsam vor; er trug unter der Tunika ein ledernes Stützmieder, das seine ständigen Rückenschmerzen linderte. Das Mieder schränkte seine Bewegungen ein. Der Cavaliere blickte auf den Bischof, der so schlief, dass seine Tiara auf dem Tisch lag. Die Chorknaben steckten sich die Kuchenstücke des Bischofs in den Mund.

»So ist es wohl.«

»Du brauchst einen neuen Bischof.«

Fulbert fuhr aus der von dem übermäßigen Essen verursachten Lethargie auf.

»Montecaldo ist keine große Stadt, aber die Einkünfte des Bischofs sind trotzdem ganz gut«, sagte der Ritter vorsichtig. »Das Amt ist nicht ganz billig.«

»Das Amt sollte möglichst bald verkauft werden«, empfahl Jordan di Roccamorte. »Papst Gregor, der Wolf soll ihn holen, will den Verkauf kirchlicher Ämter abschaffen.«

»Jedenfalls nicht in Montecaldo«, sagte Fulbert ruhig.

»Die Stadt gehört mir, die Kirche gehört mir, und das Bischofsamt gehört mir. Ich kann das Amt selbst an den Esel meiner Frau verkaufen, wenn er nur männlichen Geschlechts ist. Darauf hat ein toskanischer Schweinehirt überhaupt keinen Einfluss.«

»Das glaubst du«, brummte Ritter Jordan. »Verkauf das Amt meinem Sohn Aimon, und tu das, bevor das große Spektakel beginnt.«

»Aimon?« Fulbert richtete seinen Blick auf den Jungen. Sein Platz war leer. Aimon, der Bruder der Braut, durfte ausnahmsweise mit am Tisch der Erwachsenen sitzen. Er hatte zuviel Wein getrunken, sich in die von einem Pagen gehaltene Schale übergeben und schlief jetzt unter dem Tisch. »Ist der Jüngling zum Priester geweiht?«

»Natürlich nicht«, knurrte Cavaliere Jordan. »Auch Gregor war es nicht, als er zum Papst gewählt wurde. Aimon kann schon morgen geweiht werden, wenn wir das vereinbaren.«

»Der Junge kann das Amt nicht versehen, bevor er volljährig ist.«

»Aimon ist jetzt dreizehn. In zwei Monaten ist er volljährig. Bis dahin kann ein Domherr Bischof sein. Was kostet das Amt?«

Cavaliere Fulberts gutmütige Miene nahm einen listigen Ausdruck an.

»Ich glaube durchaus nicht, dass die Sache eilt. Deine Sorge um die Bestrebungen von Papst Gregor ist übertrieben. Tausend Solidi.«

Cavaliere Jordan schnaufte gekränkt.

»Das ist doch nicht dein Ernst. Für dich ist es doch nur von Vorteil, einen Verwandten als Bischof zu bekommen. Du kannst dich darauf verlassen, dass dein Schwager dir keine Schwierigkeiten macht. Es lohnt sich, für einen gehorsamen Bischof etwas zu bezahlen.«

»Und wenn der Papst Aimon aufstachelt und auf seine Seite zieht?«

»Nie und nimmer. Mein Sohn tut das, was ich ihm sage.«

Das Gefeilsche ging in ermüdender Weise weiter, bis Aure Jordan am Ärmel zupfte.

»Herr, das Brautpaar muss zum Bett geleitet werden.«

Cavaliere Jordan war betrunken genug, um die Solidi um der Berührung einer Frau willen zu vergessen. Er legte Aure seinen rechten Arm um die Schultern und presste ihr mit der Linken die Brüste.

»Verwandte«, ächzte Jordan, »wer hätte geglaubt, dass ich noch mal eine so wunderbare Verwandte kriegen würde.«

Aure zwang sich zu einem Lachen. Sie war sich sicher, dass Jordan schmutzige Hände hatte und auf ihrem Kleid Flecke hinterlassen würde. Was hatte er zuletzt gegessen? Geröstetes Haselhuhn. Seine fettigen Finger bearbeiteten ihre Brüste. Wenn sie ihm doch jeden Finger einzeln mit der Axt abhacken könnte! Aber der Mann war ein Ritter und außerdem ein Verwandter. Aure schob die Hand des Cavaliere freundlich beiseite und flüsterte vertraulich:

»Mein Herr Fulbert ist außerordentlich eifersüchtig.«

Die Frauen stellten sich auf, um die Braut in das obere Stockwerk des Donjon zu begleiten. Donna Bertilla und Donna Aure, Mutter und Schwägerin, standen zu beiden Seiten der Braut. Donna Constantia, der die Begleitung der Braut zugestanden hätte, schlief in Gesellschaft von Aimon, dem künftigen Bischof, unter dem Tisch. Die Männer drängten hinter den Frauen her. Sie schleppten den Bräutigam mit sich, der so betrunken war, dass er seine eheliche Pflicht bestimmt nicht würde erfüllen können. Das machte jedoch nichts. Renald hatte Mabilia schon in Roccamorte entjungfert, und zwar im Beisein ihrer Eltern und Cavaliere Fulberts, die das Ereignis bezeugten.

Die Schwangerschaft verlangsamte Aures Schritt beim Treppensteigen. Mabilia schluchzte, und Donna Bertilla versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Die Mutter war fast genauso groß wie die Tochter. Mabilia warf der Schwägerin aus ihrer Höhe herab einen flehenden Blick zu. Aure berührte das Mädchen ermutigend am Arm. Es sah so aus, als würde Mabilia der Herrin von Montecaldo jedenfalls keine Stütze sein.

Aure sah von der Treppe in die Halle des Donjon hinunter, die von betrunkenen, lachenden und schreienden Männern und Frauen wimmelte. Fulbert spornte seinen Bruder an, die Treppe hinter der Braut her hinaufzustolpern. Die Fackeln beleuchteten die grauen Wände und die dunklen, massiven Eichenbalken. Die Kerzen des Haupttisches leuchteten hell. Über die Wände wankten die Schatten der Menschen wie ein Tanz schwarzer Riesen. Durch die schmalen Fenster konnte man die Sterne blinzeln sehen.

Aure dachte, dass dieses Leben ebenso gut war wie irgendein anderes. Ihr erstes Leben hatte sich vor langer Zeit in Lieto im Hause Launiala abgespielt. Es endete gewaltsam, so wie auch das zweite Leben im reichen und sicheren Reich des Basileios. Ihr drittes Leben war einsam und traurig, weil Aure ihren geliebten Bruder Lyy verloren hatte.

Mit Cavaliere Fulbert erfuhr Aure keine ebenso besinnungslose Leidenschaft wie die, von der sie in Ephesos in den Ruinen des Artemistempels in den Armen von Olaf Falco ergriffen worden war. Aber jenen Rausch hatte die Verzauberung durch die heidnische Göttin bewirkt. Eine solche Umarmung erlebt der Mensch nur einmal im Leben. Sie war auch Sünde gewesen, weil zwei Christen die Vorschriften der Kirche vergessen hatten.

Es war Aberwitz, sich an Olaf Falco zu erinnern, und Aure gestattete sich so etwas nicht. Wenn ihre Selbstdisziplin auch nur einen Augenblick nachließ, kamen ihr sofort die aufregenden Bilder von goldroten Haaren, grauen Augen, blonden Brusthaaren und Schenkeln mit eisernen Muskeln in den Sinn. All das war auf ewig verboten.

Manchmal dachte Aure über die Blutrache nach. Aber die alten Gedanken verflüchtigten sich. Die alten Sitten, das Opfern und die Rache hatten keine Bedeutung mehr, nun, da Lyy tot war. Lyy hatte alles Frühere mit ins Jenseits genommen: das klare Wasser des Launiasees, den Duft der Kiefernheide, die Stille des nächtlichen Schnees und die schlafenden Fichten des Urwaldes. Sich an Kindheit und Jugend zu erinnern war schön gewesen, früher, am Lagerfeuer mit Lyy an der Großen Heerstraße des Basileios. Jetzt erschien ihr die Kindheit wie die beklagenswerte Finsternis eines barbarischen Landes. Fern von Gott und den Menschen wusste die Welt der Kindheit nichts von etwas Besserem und folglich auch nicht von der Hoffnung darauf.

Nur das Erbe der Mutter, das Schlaflied und ihr wahrer Name, waren von dem nach Rauch riechenden Gut aus Blockbalken übrig.

Den Verlust von Lyy würde Aure niemals verwinden. Das war ein Schmerz, den sie jeden Morgen von neuem ertragen lernen musste. Aure die Schlafbringerin lag im Halbdunkel des Betts hinter Vorhängen, horchte auf Cavaliere Fulberts pfeifenden Atem und wiederholte ihren wahren Namen, bis die Qual nachließ. Dann verschloss sie ihre Seele, erhob sich und ging an die Arbeit.

2. Kapitel

1075

 

»Muss ich sterben, ohne mein Enkelkind gesehen zu haben?«

»Alte Mutter, was geschieht, ist Gottes Wille«, sagte Aure. Zugleich spürte sie, wie ihr Bauch sich zu einem harten Ball spannte. Das war ein vertrautes Gefühl, seit die Schwangerschaft weit fortgeschritten war, und Aure hörte deshalb nicht auf, ihrer sterbenden Schwiegermutter die Stirn zu trocknen.

Die Julihitze ruhte wie eine lautlose, schwere Wolke über Montecaldo. Obwohl die Stadt hoch oben lag, war sie von noch höheren Gipfeln umgeben. Dazwischen lag Montecaldo wie in einem Kessel. Aure erkannte, woher die Stadt ihren Namen hatte.

Die Spannung ließ nicht nach wie sonst. Sie wuchs so, dass Aure aufstöhnen musste. Donna Constantia riss die tief liegenden Augen auf.

»Dieses Geräusch kenne ich.«

Die Spannung löste sich. Aure nahm die knotige Hand der Greisin in ihre.

»Es ist vorüber. Frau Mutter, du musst an Christus denken und nicht an deine Nachkommen. Pater Lampo ist hier. Er wird mit dir beten.«

»Ich habe die Letzte Ölung bekommen. Der Priester mag im Augenblick meines Todes beten. Vorher musst du dein Kind zur Welt bringen, Schwiegertochter. Ave Maria, gratia plena, barmherzige Jungfrau, erbitte von deinem heiligen Sohn für mich die Kraft, dass ich lebe, bis der Erbe geboren ist«.

»Ich werde mein Bestes tun, liebe Mutter«, versprach Aure, und der Druck begann plötzlich von Neuem. Aure heulte auf und krümmte sich über ihrem Bauch zusammen. Zwei Soldritterfrauen wachten mit Aure am Sterbebett von Donna Constantia. Sie ergriffen die Burgherrin bei den Armen und stützten sie, bis der Krampf allmählich nachließ.

»Donna Aure, du musst dich jetzt hinlegen. Donna Mabilia, bleib du bei deiner Schwiegermutter, während wir Donna Aure für das Kindbett vorbereiten.«

»Du bist gesund und stark, Schwiegertochter, auch wenn du nicht mehr jung bist«, sagte Aures Schwiegermutter heiser. »Beeil dich. Ich möchte meinen Enkelsohn sehen, bevor ich den Geist aufgebe.«

»Fenicia, mach Wein heiß für Donna Aure. Tu reichlich Honig hinein.«

Ritter Guifreds ewig misstrauisch dreinblickende Kebsfrau, an der sich der Frauenraum hingebungsvoll für ihren früheren Hochmut rächte, stapfte zur Treppe. Die Küche des Castello befand sich in einem Hofgebäude. Fenicia, die noch dicker geworden war, stieg nicht gern die Treppen rauf und runter. Gerade deswegen ließ man sie es tun. Als Favoritin des Burgherrn hatte Fenicia niemals jemandem geholfen. Jetzt, wo sie zu einer von Guifreds zahlreichen Huren abgestiegen war, half niemand ihr.

Donna Mabilia, Aures Schwägerin, stand mitten im Frauenraum und zitterte.

»Mabilia, hat man dich nicht gelehrt, einer Gebärerin beizustehen und an einem Sterbebett zu wachen?« ächzte Aure zusammengekrümmt.

»Ich hab Angst«, flüsterte Mabilia.

»Spül ein Tuch in kaltem Wasser aus und leg es Donna Constantia auf die Stirn. Sorg dafür, dass das Tuch kühl bleibt. Bete.«

Der Schmerz war stark, jedoch nicht so schlimm, wie Aure erwartet hatte.

»Frau Mutter, ich kann noch eine Weile für dich singen, wenn du willst.«

»Dumme Frau, ich brauche keine Lieder, sondern das Enkelkind. Weiber, führt meine Schwiegertochter auf und ab, damit die Geburt beschleunigt wird!«

Aure schwitzte so, dass sich auf dem Rücken ihres Kleides und unter den Brüsten dunkle Flecke bildeten. Man zog ihr das Kleid aus, und Aure wankte nackt zwischen den Frauen, die sie stützten, von einem Ende der Kammer zum anderen, einmal, zehnmal, fünfzigmal. Dann hatte sie es satt.

»Hat Fenicia den Wein geholt? Ich leg mich jetzt ins Bett und stehe nicht eher wieder auf, als bis das Kind da ist.«

Man reichte der Burgherrin in einem silbernen Becher den Wein. Durstig kostete Aure ihn. Nach dem ersten Schluck hörte sie auf zu trinken und erstarrte in Bewegungslosigkeit.

Ihre Zunge prüfte den Geschmack, der unter dem süßen Honig und der schweren Traube nur zu erahnen war. Ein Duft stieg Aure in die Nase, den sie kannte; er stammte aus ihrem eigenen Arzneikasten. Dieser Duft war so schwach, dass Aure ihn nicht bemerkt haben würde, wenn sie nicht heilkundig gewesen wäre.

Sie richtete ihren bohrenden Blick auf Fenicia. Die stand beim Türvorhang und starrte Aure mit weit aufgerissenen Augen an.

»Tod!« zischte Aure, steckte sich zwei Finger in den Hals und beugte sich vor, um sich auf das Fußbodenstroh zu erbrechen. Sie krümmte sich hilflos bis zum Boden zusammen, und die Frauen schrien vor Entsetzen.

»Helft mir!« röchelte Aure.

»Das Kind kommt zur Welt! Stellt die Herrin auf alle viere. Einen Lappen! Die Schere!«

Die Frauen stützten die krächzende Aure von beiden Seiten, während sie dem Cavaliere von Montecaldo eine Tochter gebar. Es war die Aufgabe von Donna Rozala, der ältesten Frau von edler Herkunft, das Kind von hinten entgegenzunehmen, das Neugeborene zu taufen, die Nabelschnur abzubinden und zu durchtrennen.

»Ein Mädchen! Herrin, es ist noch nicht vorbei. Es kommt noch die Nachgeburt.«

»Wascht das Kind«, keuchte Aure. »Zeigt es als erstes Donna Constantia, wenn sie noch lebt.«

»Ich glaube, die Schwiegermutter ist tot«, schluchzte Mabilia neben dem Totenbett. »Ich hab nicht bemerkt, wann es geschah.«

»Das Kind soll Constantia heißen«, flüsterte Aure.

Donna Rozala kniete mit dem von weißer Käseschmiere bedeckten Neugeborenen neben dem hölzernen Zuber nieder. Das Kind schrie schrill und durchdringend.

»Donna Mabilia, wasch das Kind mit mir zusammen, damit du es kannst, wenn du es tun musst.«

Das Kind wurde in das warme Wasser getaucht. Das Schreien verstummte für einen Augenblick. Donna Rozala hob das Kind hoch, betrachtete es prüfend von allen Seiten und legte es dann auf ein Handtuch.

»Ein makelloses Kleines. Es hat rote Haare«, lächelte Donna Rozala plötzlich mit aufrichtiger Zärtlichkeit. Eine Frau lachte. Der Säugling begann wieder zu schreien. Donna Rozala rieb ihn mit Olivenöl ein.

»Das Wickelband«, kommandierte Donna Rozala. Sie legte dem Kind einen Lappen zwischen die Beine, streckte seine Glieder gerade und kreuzte die kleinen Arme über der Brust.

»Donna Mabilia, halte das Kind gerade, während ich es wickele, sonst verdrehen sich seine Glieder. Sieh zu, dass die Arme sich nicht bewegen, sonst kann es sich beim Fuchteln die Augen herausreißen.«

Donna Rozala umwickelte das Kind geschickt mit einem langen Band, das sie, zu einem Knäuel aufgewickelt, in der Hand hielt. Das Weinen hörte auf, während das Kind allmählich in seinem Wickel verschwand.

 

»Eine Tochter.«

Cavaliere Fulbert war enttäuscht, aber nicht so unzufrieden, dass er böse auf seine Frau gewesen wäre. Aure erkannte an der Haltung ihres Mannes, dass sein Rücken ihn wieder schmerzte.

»Ein Mädchen ist besser als nichts. Wenn du ein Mädchen machen kannst, dann kannst du auch einen Jungen machen«, sagte Fulbert gnädig. »Die Hauptsache, du bist fruchtbar.«

»Du bist gütig, Herr«, murmelte Aure demütig.