Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Begriff Angst

2.1 Transformationen des Angstbegriffes

2.2 Narrative Formen und Techniken der Angsterzeugung

3. Methoden, Motive und Kontinuitäten in der Darstellung von Angst im Spielfilm

3.1 Das Spiel mit dem Schatten – Murnaus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens

3.2 Das zweite Ich zwischen Suspense und Surprise – Hitchcocks Psycho

3.3 Wenn der Glaube abhanden kommt – The Exorzist von William Friedkin

3.4 Zerstörung und Kreation – Alien von Ridley Scott

3.5 „Die ungeheure Welt, die ich im Kopf habe“ – Kubricks The Shining

3.6 Die Provokation einer Selbstreflexion – Se7en von David Fincher

3.7 Die Quadratur des narrativen Kreises – Lost Highway von David Lynch

3.8 Zwischen Himmel und Hölle – Alejandro Amenábars The Others

3.9 Der neue Horrorfilm als “Authentizitätswahn“ – [Rec] von Jaume Balagueró & Paco Plaza

4. Fazit

Literaturverzeichnis

Filmtitelverzeichnis

1.  Einleitung

Angst hat Konjunktur. Der Spiegel titelte im Oktober 2010 von der „Macht der Angst“ und berichtete, dass 14,2% der Bevölkerung unter einer Angststörung leiden.1 Obwohl in unserer oftmals als Schwäche angesehen, ist sie sowohl ein Grundaffekt des menschlichen Charakters als auch genauso mannigfaltig in ihren Erscheinungsformen. Wir können uns vor nahezu allem fürchten: vor Tieren, Gewitter, Dunkelheit, Krankheiten, Autoritätspersonen, dem Alleinsein, engen Räumen, weiten Plätzen etc. Diese Liste ließe sich wohl beliebig lange fortsetzen. Gleichwohl haben Angststörungen wie bestimmte Phobien, Panikattacken und eine generalisierte Angst heute enorm zugenommen, so dass Psychologen und Psychotherapeuten von einer „Angstgesellschaft“ sprechen.2 Dabei existiert Angst unabhängig von dem Entwicklungsstand einer Gesellschaft oder Kultur. Ängste wie die vor Gewitter, Sonnen- oder Mondfinsternissen spielen im Großen und Ganzen heute keine Rolle mehr, während andere Ängste, die fortschrittlich-technologischer oder psychischer Natur sind, heute Konjunktur haben.3 Der Fortschritt durch Technik und Wissenschaft führt aber keineswegs zur Ausschaltung von Angst, es verhält sich vielmehr so, dass gewisse Ängste in den Hintergrund treten und neue generiert werden. Die Angst gehört also nach wie vor zu unserem Leben und es ist unwahrscheinlich, dass wir sie im anthropologischen Sinne verlieren werden, gleichwohl sie natürlich historisch variabel auftritt. Zudem hat Angst einen stark ausgeprägten individuellen Charakter und jeder Mensch erlebt sie in einer persönlichen Ausprägung, die abhängig von seiner Anlage, seinen individuellen Lebensbedingungen und seiner Umwelt ist.4 Zu unserer aller Umwelt gehört neben der Familie und dem (sozialen) Milieu natürlich auch unsere medialisierte Gesellschaft, der mit ihren Medien in einer Zeit in der das Zurückdrängen gewisser kreatürlicher, und damit (aus heutiger Sicht) antiquierter (Grund-) Ängste forciert wurde, eine Art Angstsublimierung respektive Angsterzeugung zukommt, um einen „Mangel an Angst“ auszugleichen. Schließlich war es erst der zivilisatorische Fortschritt, der diese kreatürlichen Ängste zurückdrängte und „angstfreie Reviere“ erzeugte, die heute einen Großteil der westlichen Gesellschaften ausmachen. 5 Im Zuge der Aufklärung erfuhr dieser Prozess eine ungeahnte Beschleunigung, der sich im Aufkommen der Schauerliteratur am Ende des 18. Jahrhunderts in England manifestierte. Mit dem Aufkommen dieser Schauerliteratur vollzieht sich ein Prozess von der Abstoßung der Angst hin zur Lust an der Angst. Es findet also eine „Konversion von Angst in Lust“ statt, der allerdings bedingt, dass die kreatürlichen Ängste schon soweit zurückgedrängt wurden, dass sie genießbar sind.6 Diese Verbindung zwischen Angst und Lust ist nicht nur in der Literatur, sondern in vielen Formen der Freizeitgestaltung anzutreffen. Sowohl beim Sport und allen anderen Formen der spielerischen Konkurrenz als auch bei Jahrmärkten oder Festen mit Fahrattraktionen die sogenannte „thrills“ auslösen sollen. Michael Balint bezog die Angstlust z. B. auf jene jahrmärktlichen Attraktionen bei denen u.a. das Vergnügen im Zusammenhang mit dem Schwindel von Bedeutung ist.7 Von diesem Schwindel in Zusammenhang mit der Angst ist bereits bei Kierkegaard die Rede, der die Angst als jenen Schwindel bezeichnete, der entstehe „wenn der Geist die Synthese setzen will und die Freiheit nun hinunter in ihre eigene Möglichkeit schaut und dann die Endlichkeit ergreift um sich daran zu halten.“8 Mit dem Aufkommen des Mediums Film am Ende des 19. Jahrhunderts boten sich der Angstlusterzeugung (oder mit Kierkegaard: Schwindelerzeugung) mit der filmischen Darstellung von Grauen und Schrecken ungeahnte Möglichkeiten. Stärker und vor allem eindringlicher als die Literatur hat der Film die Möglichkeit uns durch einen vorgegebenen Blickwinkel (beispielsweise im Krimi aus dem des Mörders) das Geschehen verfolgen zu lassen und die Angst, die von jeher ein körpergebundener Ausdruck war, darzustellen. Hier bietet der Film vor allem mit der Nahaufnahme von Gesichtern die Möglichkeit die komplexen (gespielten) mimischen Ausdrucksmöglichkeiten einzufangen. Zudem kann er im Gegensatz zur Literatur durch Töne das Organ der Angst schlechthin, das Ohr, stimulieren und so zu einer gesteigerten Angsterfahrung beitragen. Der Horrorfilm zu dem in einem filmästhetischen Verständnis alles gehört, was beim Zuschauer Angst, Panik, Schrecken, Gruseln, Schauer, Ekel oder Abscheu hervorrufen kann, ist selbstverständlich nur eines (wenn auch das offensichtlichste) dieser Genres für die die Darstellungsformen der Angst relevant und essentiell sind.9 Gleichwohl setzt der Horrorfilm oft auf gewisse Schauwerte wie explizite Gewaltdarstellung und die Darstellung von Ekelhaftem (vor allem in den B-Movies der siebziger Jahre). Auch in den Genres Thriller und Science-Fiction finden sich teilweise sehr viele Elemente, die dem Horrorfilm entliehen scheinen und zur Angsterzeugung genutzt werden oder Filme die zentrale Ängste jener Epochen aufgreifen und allegorisch verarbeiten. Denn dass Filme immer auch ein reflexiver Ausdruck ihrer jeweiligen Epoche sind, ist hinlänglich bekannt. So werden beispielsweise in Filmen wie The Fly (Kurt Neumann, 1958) oder Alien (Ridley Scott, 1979) explizit und unterschwellig fortschrittlich-technologische Ängste oder die Angst vor dem Unbekannten thematisiert. Letztere, das wusste schon H.P. Lovecraft, gilt als eine der stärksten menschlichen Gefühlsregungen überhaupt und erweist sich für viele Filme, die Elemente des Unheimlichen und Verunsichernden aufweisen, als nahezu unerschöpfliches Reservoir an Inspiration. Aus diesem Reservoir schöpfte auch David Lynch, der das Spiel mit dem Unheimlichen in Lost Highway (1997) auf die Spitze trieb. Lost Highway scheint sich, nicht zuletzt aufgrund der schwer zugänglichen narrativen Struktur die Unwirkliches und Wirkliches nahezu unlösbar miteinander verknüpft, auf den ersten Blick jeder Interpretierbarkeit zu entziehen, setzt aber augenscheinlich auf Elemente der Angsterzeugung bzw. des Unheimlichen, wie z. B. das Eindringen in die Privatsphäre des schützenden Hauses. Das Motiv des Eindringens in das schützende Haus spielt beispielsweise auch in der Arthouse-Produktion Caché (Michael Haneke, 2005) eine zentrale Rolle, wenn auch hier die Grenzlinie zwischen Wirklichem und Unwirklichem deutlicher erscheint. Diese Grenzlinie zwischen Wirklichem und Unwirklichem geht auf die phantastische Literatur zurück, in der der imaginäre Schrecken innerhalb einer realen uns vertrauten Welt entsteht und die somit konstitutiv für die Erzeugung des Unheimlichen ist.10 Angstelemente und- thematiken im Film sind also, wie man u.a. an diesen beiden Beispielen erkennen kann, nicht nur auf das Genre des Horrorfilms beschränkt, sondern finden sich heute in nahezu allen Filmgenres. Ausgehend von Richard Alewyns These, dass in unserer hochentwickelten Sicherheitsgesellschaft diese Geschichten respektive Filme das natürliche Bedürfnis an Angst stillen und dementsprechend unterschiedliche Stoffe, Motive und Inszenierungstechniken verwenden, soll in dieser Arbeit ein Überblick über die unterschiedlichen Formen der audiovisuellen Inszenierung von Angst gegeben werden.11 In diesem Rahmen soll anhand ausgewählter Filmbeispiele aus unterschiedlichen Epochen analysiert werden wie das Unheimliche in seinen mannigfaltigen Erscheinungsformen im Bild erzeugt wird. Hierzu wird zunächst, neben einem kurzen Blick auf die Filmgenres mit dem größten Angstpotenzial und der Charakterisierung des sogenannten „Angstfilms“, auch eine Begriffsbestimmung des Terminus „Angst“ und der verwandten Begriffe der „Furcht“ des „Unheimlichen“ und des „Grauens“ sowie eine Begriffsgeschichte dessen einschließlich des narrativen Kontexts notwendig sein.

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1       Shafy, Samiha: Lob der Angst, In: Der Spiegel 41/11.10.2010.

2       Nuber, Ursula: „Angst ist eine Möglichkeit der Selbstbestimmung“, Interview mit Arnold Retzer, In: Psychologie Heute 02/2007.

3       Riemann, Fritz: Grundformen der Angst, Eine tiefenpsychologische Studie, München 2009, S. 8.

4       Riemann, S. 9.

5       Alewyn, Richard: Die Lust an der Angst, In: Probleme und Gestalten. Frankfurt a.M.1974, S. 312.

6       Alewyn, Die Lust an der Angst, S. 315.

7       Vgl. Balint, Michael: Angstlust und Regression, Stuttgart 2009, S. 17.

8       Kierkegaard, Søren: Der Begriff Angst, Stuttgart 1992, S. 72.

9       Vgl. Vossen, Ursula (Hrsg.): Filmgenres: Horrorfilm, Stuttgart 2004, S. 10.

10     Vgl. Vax L.: Die Phantastik, In: R.A. Zondergeld (Hrsg.): Phaicon 1, Frankfurt a. M. 1974, S. 11–43.

11     Vgl. Alewyn: Die Lust an der Angst, S. 328.

2.  Der Begriff Angst

2.1  Transformationen des Angstbegriffes