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Texte, Fotos, Illustrationen, Grafiken, Satz und Layout: Konrad Algermissen

Mitteilungen sind jederzeit willkommen an E-Mail: konradalgermissen@alice-dsl.net Aktuelle Angebote und Informationen gibt es auch unter: www.schlepperbuch.de www.algermissen-illustration.de

2. Auflage © 2017 (Erstauflage 2014)

Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7357-7118-6

Für die Unterstützung meiner Arbeit danke ich besonders: Frau Thormählen, Herrn Poser, Herrn Eich, Herrn Brandes, Herrn Behrens, Herrn Möller, Andrey Kreker, Vladimir Klutschnikow, Karl Heinz Meyrose, Kevin, Herrn Stenke, Hans Jürgen, Jürgen Schladermund, Herrn Peters, Eugen, Herrn Haase, Torsten Klingenspor und Michael Raether

Bezugsquellen:

Informationen der beteiligten Unternehmen sowie eigene, langjährige Beobachtungen.

Es wurde versucht, Fehler oder unvollständige Angaben nach Möglichkeit zu vermeiden.

Irrtümer behalte ich mir vor.

Transporte von spezieller Art

Die Stadt Hamburg ist ein Ballungsraum für die gesamte Region Norddeutschland. Ein großer Teil des Stadtgebietes wird von Hafenanlagen, Produktionsstätten und Lagerflächen beansprucht. Der Gütertransport findet auf den Straßen, den Schienen und den Wasserwegen statt.

Wenn es um die Beförderung von Baggergut, Kies, schweren Kupferplatten oder Maschinenteilen, sperrigen Anlagenkomponenten oder Baugeräten geht, bietet der Transport zu Wasser die effektivste Lösung. Bei den Schiffen unterscheidet man zwischen See- und Binnenschiffen.

Seeschiffe sind im allgemeinen größer und haben hohe Bordwände, damit sie auf offener See nicht ständig von Wellen überspült und gefährdet werden. Dagegen müssen Binnenschiffe auch auf kleinen Wasserflächen, Flüssen und Kanälen manövrieren können. Ihre Abmessungen sind auf die Wassertiefen und auf die Größe der anzutreffenden Schleusenkammern abgestimmt.

Im Gebiet des Hamburger Hafens gibt es speziell angepasste Transportsysteme. Ein großer Teil der Güter wird auf Leichter, Schuten oder Pontons geladen.

Das sind Objekte ohne eigenem Antrieb.

Diese werden dann, je nach Bedarf, von Schleppern bewegt. Diese Trennung von Antrieb und Frachtraum hat einige Vorteile. Während zum Beispiel eine Schute von einem Schlepper zu einer Spülfläche gebracht wird, um dort entladen zu werden, kann bereits die nächste Schute von einem Bagger mit Schlick beladen werden. Oder es verweilt Baumaterial auf einem Ponton bei einer Baustelle, ohne dass weiteres Personal notwendig ist.

Daher sind die Besatzungen der Schlepper, Barkassen und Schubschiffe meistens unterwegs. Zwischendurch werden auch Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten an den Liegeplätzen durchgeführt. So wird im Sommer auch mal Rost losgeklopft und im Winter Eis von Schanzkleid und Wallschiene geschlagen.

Die Menschen an Bord sind Mechaniker, Nautiker und Lademeister zugleich und besitzen aufgrund ihrer selbstständigen Arbeitsweise ein enormes Maß an Erfahrungen. Sie bewegen Sachwerte von vielen Millionen Euro und Ladungsteile von mehreren hundert Tonnen Gewicht.

Ihre Fahrzeuge sind sehr unterschiedlich.

Einige sind recht modern, andere haben längst ein Museumsalter erreicht.

Es sind Räder im Getriebe des Alltags, für die es keinen Ersatz gibt.

Es sind die Hamburger Binnenschlepper, die dabei sind, wenn etwas bewegt wird!

Inhalt

Bei den dunkleren Wasserjlächen beträgt die Wassernefe mehr als 10 Meter.

Der Hamburger See- und Binnenhafen

Schlepper can Liegeplatz im Niederhafen bei den St. Pauli-Landungsbrücken

Carl Robert Eckelmann

Schubschlepper

FAVORIT

Zum täglichen Bild des Schiffsverkehrs und der Transporte im Hamburger Hafen gehört der Schubschlepper FAVORIT. Mit diesem Spezialschiff werden Leichter bewegt. Ein Leichter ist eine Art großer, schwimmender Behälter, ein Transportschiff, das normalerweise keinen eigenen Antrieb hat. Damit wird zum Beispiel ein Teil der Ladung eines Seeschiffes weiterbefördert. Das Seeschiff wird also um einen Teil seiner Ladung “erleichtert”, daher der Name “Leichter”. Man könnte auch Schute dazu sagen, aber Schuten sind eher die kleineren Transporteinheiten, oft mit spitzem Bug und Heck und Tragfähigkeiten von etwa 300 bis 600 t. Schuten und Leichter sind praktisch das Äquivalent zu Güterwagen im Schienenverkehr oder LKW-Anhängern auf der Straße.

In der Mitte und im Süden Deutschlands ist auch die Bezeichnung “Kahn” für ein Transportmittel zu Wasser gebräuchlich. Aber das sind eher kleinere Boote. Das Wort “Kahn” wird im Hamburger Hafen nicht verwendet. Das würde sogar abfällig klingen.

Typische Leichter haben eine rechteckige Form mit geraden Bug- und Heckseiten. So können mehrere Einheiten vor- und nebeneinander zusammengefasst, zu einem Koppelverband verbunden, also gekoppelt werden. Die Verbindungen werden mit Stahltrossen hergestellt. Diese Trossen, auch “Drähte” genannt, werden mit sogenannten Koppelwinden auf dem Schubschlepper festgezogen, also dichtgeholt. Dieses System hat jedoch auch seine Belastungsgrenzen. Die Verbindungen vertragen keine ruckartigen Kräfte. Daher werden Schubverbände nur auf ruhigen Binnengewässern, also auf Flüssen, Seen oder in Hafenrevieren zusammengestellt und bewegt.

Auf offener See würden die Drähte bei Seegang reißen. Dort werden Lasten also normalerweise mit einer langen Trosse in Schlepp genommen.

Der Schubschlepper FAVORIT kann, wie die Bezeichnung schon sagt, schieben und schleppen. Der stumpfe Bug ist mit zwei langen Schubschultern ausgestattet. Damit können auch leere, hoch aus dem Wasser ragende Leichter, sicher angefasst werden. Um Leichter mit höherer Ladung in Vorausrichtung überschauen zu können, kann das Ruderhaus um etwa 3 m hydraulisch ausgefahren, also angehoben werden. Mittschiffs befindet sich ein beweglicher Schlepphaken. Damit kann mit einem Schleppdraht oder einer Perlonleine über das Heck geschleppt werden. In Notfällen kann der Haken per Drahtzug vom Ruderhaus aus entriegelt, sprich ausgelöst werden. Es können auch Lasten “an die Seite”, also längsseits genommen werden. Je nach dem, was nun gerade wohin bewegt werden soll.

Zwei lange Schubschultern gewährleisten auch bei leeren Leichtern einen guten Kontakt. So wird ein gefährliches Unterlaufen der Schiebelast vermieden.

Foto: Carl Robert Eckelmann

FAVORIT übernimmt Spezialleichter, die mit einem Schiebedach ausgestattet sind.

Hier wird Getreide transportiert, das vor Nässe geschützt werden muss.

Das Schubschiff SCH 2640 der Deutschen Binnenreederei wurde für längere Reisen entworfen und bietet daher auch mehr Raum für die Unterkünfte der Besatzung.

Das Schiff hat zwei Maschinen mit je 540 PS. Die Wasserverdrängung liegt bei 220 t.

Es ist 28,56 m lang, 10,02 m breit und erreicht einen Tiefgang von nur 0,80 m. Dadurch kommt das Schubschiff auch bei niedrigen Flusswasserständen im Binnenland noch gut voran.

Dagegen braucht FAVORIT keinen geringen Tiefgang, da es in Hamburg durch die Nähe zur Nordsee nie zu Wassermangel kommt.

Mit FAVORIT werden keine langen Reisen unternommen, wie es zum Beispiel bei reinen Schubschiffen auf langen Flüssen der Fall ist. Dort gibt es regelrechte Wohnungen an Bord, in denen mitunter ganze Familien leben. Auf FAVORIT gibt es im Vorschiff eine Kabine, in der die Besatzungsmitglieder ihre Kleidung wechseln, die Malzeiten zu sich nehmen oder bei schlechtem Wetter Wartezeiten verbringen können. Ein Tag- und Nachtbetrieb ist auf den Binnenschleppern im Hamburger Hafen nicht üblich.

Es wird also normalerweise auf den kleinen Schleppern nicht gewohnt.

FAVORIT ist ein kompaktes, kräftiges Fahrzeug, vergleichbar mit einer Rangierlok bei der Eisenbahn. Durch die vielen Details der Ausstattung an den kleinteiligen, filigran wirkenden Aufbauten, hat dieses Schiff eine beinahe pittoreske Anmutung. Allerdings sehen wir hier nur die Spitze eines Eisberges. Der bauchige Rumpf hat einen mittleren Tiefgang von 2,8 m und birgt einen 12-Zylinder Diesel der Marke Deutz mit satten 600 PS.

Dieser arbeitet auf einen eisverstärkten 4-Blatt-Propeller mit einem Durchmesser von 1,5 m und einem Gewicht von 390 kg!

FAVORIT mit voll ausgefahrenem Ruderhaus

Zur Steigerung der Leistung und der Manövrierbarkeit, läuft der Propeller in einer drehbaren Ruderdüse, die wiederum mit einer angelenkten Flosse ausgestattet ist. Der äußere “filigrane” Eindruck täuscht also. FAVORIT ist ein leistungsstarkes und extrem wendiges Fahrzeug, mit dem Lasten von mehreren tausend Tonnen täglich bewegt werden. Ich vermute, im Schienenverkehr wäre eine Rangierlok mit einer Leistung von 600 PS damit überfordert, einen Güterzug von beispielsweise 2000 t anzutreiben. Das entspräche etwa der Masse eines großen, vollbeladenen Leichters. Mal abgesehen von der Tatsache, dass die Lok natürlich an die Schienen gebunden ist. Auf der Straße verhalten sich die Dinge noch ungünstiger. Dort könnten 2000 t nur mit extremen Untersetzungsgetrieben oder Hydraulikantrieben bewegt werden. Eine normale Sattelzugmaschine würde auch mit 600 PS kaum vorankommen und wenn, dann würde sie sich nach wenigen Metern Fahrt in Rauch auflösen.

Daher ist eine Beförderung zu Wasser äußerst effektiv und wirkungsvoll. Das Wasser trägt die Lasten und bietet kaum einen Reibungswiderstand.

Der Vergleich mit einer Lokomotive mag wohl hinken. Dennoch gibt es Parallelen. Beides sind Zugmaschinen. Die Rangierlok der Baureihe 363 hat eine Motorleistung von 632 PS. Der Schlepper verfügt über 600 PS. Die Lok ist kleiner und leichter als das Schiff. Ihre Zugkraft liegt mit 132 kN (entspricht etwa 13 t) um einiges höher als die des Schleppers. Dessen Pfahlzug beträgt schätzungsweise etwa 8 t.

(Verbindliche Angaben liegen mir leider nicht vor) Ob diese relativ kleine Lok einen Zug von etwa 2000 t Masse, das wäre ein recht schwerer Güterzug, antreiben könnte, wage ich zu bezweifeln, da der Reibungwiderstand auf schienen höher ist als im Wasser.

Foto: Carl Robert Eckelmann

Bild unten:

Dieser Leichter ist offensichtlich nicht beladen. Voll beladen hätte er die Masse eines schweren Güterzuges, könnte aber auch dann vom Schubschlepper FAVORIT bewegt werden.

Unser Schubschlepper wurde für die Gegebenheiten des Hamburger Hafens, also die räumlichen Distanzen, die Größen der Schleusenkammern, die Durchfahrtshöhen der Brücken, die Wassertiefen, die Strömungsverhältnisse und auch für die Eissituation im Winter entworfen, konstruiert, gebaut und ausgerüstet.

All das von einer Hamburger Werft, der Theodor Buschmann Werft in Hamburg-Wilhelmsburg. Das Baujahr von FAVORIT war 1953. Auftraggeber und erster Eigner war die Alsen Portland Cementfabrik.

Bei seiner Taufe erhielt der Schlepper den Namen PINNAU. Die Werft stand in den folgenden Jahrzehnten während mehrerer Sturmfluten unter Wasser. Dabei gingen die Bauzeichnungen leider verloren.

1965 erfolgte, ebenfalls auf der Buschmann Werft, ein Umbau. Anlass war ein Wechsel des Eigners. Das Unternehmen Arnold Ritscher wurde neuer Eigentümer. Kurz darauf übernahm die Kommanditgesellschaft J.& C. Giese das Schiff. Dabei erhielt der Schlepper den Namen WINDSPIEL. 1980 wurde das Schiff auf der Werft Pohl & Jozwiak in Hamburg zum Schubschlepper umgebaut. Es wurde von der Carl Robert Eckelmann Transport & Logistik GmbH übernommen und erhielt den Namen FAVORIT.

Vor vielen Jahren gab es einen Schlepper, der ebenfalls diesen Namen trug. Bereits im Jahr 1902 ließen die Brüder Cäsar und Carl Robert Eckelmann auf der Brandenburg Werft einen Schlepper bauen, der den Namen FAVORIT erhielt. Das Schiff hatte eine Länge von 12,20 m, eine Breite von 3,13 m und wurde von einer Dampfmaschine angetrieben, deren Leistung 100 PS betrug. Dieser Schlepper fuhr täglich 12 Stunden durch die engen Fleete im Hamburger Hafen, um Schuten, die mit Kaffee, Kakao oder Reis beladen waren, von den großen Frachtseglern zu den Kaispeichern zu schleppen.

Die Gründung des Unternehmens reicht noch weiter zurück.

Sie ist auf das Jahr 1865 zurückzuführen. Damals baute Cordt Eckelmann einen Lastkahn aus Holz und unternahm damit Transporte im Hamburger Hafen. Aus der Ewerführerei wurde im Laufe der Generationen ein breit gefächertes Dienstleistungsunternehmen.

Zum heutigen Serviceangebot der Eckelmann-Gruppe gehören, neben dem Transport und der Lagerung von Waren, unter anderem auch die Tankreinigung mit der dazugehörigen Ölentsorgung und Aufbereitung.

1910

Dampfschlepper FAVORIT bringt eine Schute mit Kaffeesäcken zu den Speichern. So mag es vor etwa 100 Jahren ausgesehen haben.

FAVORIT - Datenübersicht

Baujahr:1953

Werft: Theodor Buschmann, Hamburg

Auftraggeber: Alsen Portland Cementfabrik

erster Name des Schleppers: PINNAU

Umbau: 1965 und 1966

neuer Name: WINDSPIEL

Umbau: 1980 zum Schubschlepper auf der

Werft Pohl & Jozwiak in Hamburg

neuer Eigner: Carl Robert Eckelmann

neuer Name: FAVORIT

Länge: 19.07 m Br.: 5,42 m Tiefg.: 2,80 m

Vermessung: 50 BRZ

Wasserverdrängung: ca 120 t

Antriebsmaschine: Deutz SBA 12 M 816 wassergekühlter Dieselmotor mit Ladeluftkühler und Schalldämpfer mit Funkenfänger

Leistung: 600 PS bei 1500 U/min

Wendegetriebe: 1500 U/min - 328 U/min

Propeller: 4 Flügel, rechtsgängig, Durchmesser 1500 mm, eisverstärkt

Hydraulische Ruderanlage:

Ruderlegewinkel 2 × 45°

Ruderlegezeit von 30° Bb - 35° Stb 15 sek.

drehbare Ruderdüse mit angelenkter Flosse

Hilfsdiesel: MWM mit 16 PS bei 1000 U/min

Feuerlösch- und Lenzpumpe: Prinz TNH 80L

Kapazität: 27 cbm/h

ausfahrbares Ruderhaus: Hubhöhe 2,75 m