Roy Rockwood

Bomba im Herzen Afrikas

Band 12

 

 

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Etwas aus Bombas Leben

Wer Bomba bei seinen Erlebnissen im Dschungel und Urwald, auf hoher See und in der großen Stadt begleitet, wird sicherlich mehr von diesem interessanten Jungen erfahren wollen. Am besten stellen wir Bomba also vor, ehe sein neues Abenteuer beginnt.

Bomba ist vierzehn Jahre alt und hat die meiste Zeit seines Lebens im südamerikanischen Dschungel verbracht. Dort war sein Pflegevater und Beschützer der alte Naturforscher Cody Casson, der sich in ein abgelegenes Gebiet des Amazonas-Dschungels zurückgezogen hatte, um dort ganz seinen Forschungen zu leben.

Als Bomba das Alter erreicht hatte, in dem er mehr von seiner Vergangenheit und Herkunft zu erfahren wünschte, zog sich Cody Casson bei der Explosion eines Gewehres eine Kopfverletzung zu, durch die seine Gedächtniskraft geschwächt und fast zerstört wurde. Von diesem Zeitpunkt an lastete die Verantwortung für die Lebensführung ganz auf Bomba.

In einem Alter, in dem andere Jungen ruhig und behütet bei ihren Eltern aufwachsen und die Schulbank drücken, musste Bomba sich mit den Gefahren und Härten des Dschungellebens vertraut machen. Seine strengen Lehrmeister waren die Erfahrung und die Not. Bald lernte Bomba jene Weisheiten und Gesetze des Dschungels kennen, die es dort immer zu beherzigen galt, wenn man sein Leben erhalten wollte. Er lernte die vielen Kampftricks, die Technik von Verteidigung und Angriff bei der Begegnung mit Kopfjägern, Raubtieren und Schlangen.

Seine schulische und geistige Erziehung ließ in dieser Zeit zu wünschen übrig, da Cody Casson nicht mehr in der Lage war, den einmal begonnenen Unterricht fortzusetzen. Wie ein junger Indianer wuchs Bomba im Dschungel heran. Auch äußerlich unterschied er sich wenig von den Eingeborenen. Seine Haut war dunkel gebräunt. Er trug einen Eingeborenenschurz und das Fell eines erlegten Pumas. Seine Waffen waren Pfeil und Bogen und die Machete, das Buschmesser der Eingeborenen.

Äußerlich glich also Bomba damals in vielen Dingen einem Indianer, und doch unterschied er sich durch wesentliche Merkmale von den Eingeborenen. Er hatte eine gerade Nase und kastanienbraunes, welliges Haar. Die hellbraunen Augen leuchteten freundlich für alle Freunde; und zu jener Zeit, als er seine Eltern noch nicht wiedergefunden hatte, war oft ein Schimmer von Melancholie in seinem Blick.

In den ersten neun Bänden begleiten wir Bomba bei seinen abenteuerlichen Fahrten durch den südamerikanischen Dschungel; wir erleben mit ihm die Tage der Hoffnung, wenn er eine Spur seiner Eltern gefunden zu haben glaubte, und jene schmerzlichen Stunden der Enttäuschung, wenn wieder einmal sein sehnlichster Wunsch keine Erfüllung fand.

Bomba durchstreift eine versunkene Stadt, deren längst verschollene Einwohner wertvolle Schätze und interessante Ruinen hinterlassen haben. Er kämpft gegen Kopfjäger und rettet sich und seine Gefährten aus unterirdischen Höhlen, die sich meilenweit dahinziehen. Der Ausbruch eines Vulkans rettet ihn im letzten Augenblick aus der Gewalt eines tyrannischen Medizinmannes, der die Eingeborenen eines weiten Gebietes beherrscht, und das Zusammentreffen mit Sobrinini, der Herrscherin auf der Schlangeninsel, stellt eine der spannungsreichsten und interessantesten Episoden in Bombas Dschungelreisen dar.

Es wäre zu viel, hier im Einzelnen von Bombas Taten und Abenteuern zu berichten. Einen wirklichen Eindruck vom Lebenslauf dieses einzigartigen Jungen kann nur derjenige bekommen, der Bomba von seinem ersten gefährlichen Kampf gegen die Kopfjäger bis zu jenem glücklichen Augenblick begleitet, wo er seine Eltern wiederfindet.

Doch es scheint so, dass Bomba auch bei seinem Aufbruch in das für ihn neue und fremdartig fesselnde Leben in der Zivilisation keine Ruhe finden soll. Zwar lebt er nach seiner Ankunft in New York zuerst wie jeder andere Junge, der in die Schule geht und mit seinen Eltern beisammen ist, aber bald genug erfahren wir im zehnten Band — Bomba in einem fremden Land — dass Bomba das gesicherte Leben in der Zivilisation wieder aufgeben muss, um seinem Vater zu Hilfe zu eilen, der als Maler bei einer Expedition ins Innere Afrikas in die Gefangenschaft eines barbarischen Stammes geraten ist.

Wir erleben mit Bomba und seinem Gefährten Gibo, den er aus dem südamerikanischen Dschungel nach New York mitgenommen hat, zuerst die heiteren und ernsten Geschehnisse, die sich auf der Schiffsreise nach Afrika abspielen. Aber erst die Ankunft in Afrika führt Bomba wieder jenen gefährlichen Abenteuern entgegen, nach denen er sich unbewusst während des Lebens in der Großstadt immer gesehnt hat. Er weiß jetzt, dass er kaum ohne den Dschungel leben kann, und wenn nicht die Sorge um seinen Vater gewesen wäre, hätte er die Ausrüstung der Safari, die ihn von Nairobi aus in den afrikanischen Busch führen soll, als die schönste Vorbereitung zu einem spannenden Erlebnis genossen.

Bomba dringt mit seinen Gefährten in eine fremdartige, geheimnisvolle Welt ein — und er spürt wieder den Pulsschlag der ungebändigten, freien Natur, mit der er sich so innig verbunden fühlt. Er begegnet seltsamen wilden Tieren und Menschen des Urwaldes, und der Atemhauch dunkler Gefahren schlägt ihm erneut aus den Dschungeln und Savannen entgegen.

Ein besonders reizvolles Abenteuer erlebt Bomba in Band 11 — Bomba bei den Pygmäen. Es gelingt ihm, durch kühnen Wagemut und blitzschnelles Handeln im Kampf mit einem rasenden Orang-Utan die Freundschaft eines Häuptlings vom rätselhaften Zwergenvolk der Pygmäen zu gewinnen. Diese kleinen, tapferen Krieger helfen Bomba bei seinem Vorstoß in das Gebiet wilder Stämme und begleiten ihn auf einem weiten Stück seines abenteuerlichen Weges.

Unermesslich groß ist der geheimnisvolle Kontinent Afrika, und unerschöpflich ist die Fülle von Abenteuern, die Bomba auch weiterhin in dem dunklen Erdteil erwarten. Einen Teil dieser fesselnden Geschehnisse erleben wir mit Bomba im vorliegenden Band, während wir ihn auf der Fährte jener Wilden begleiten, die seinen Vater verschleppt haben.

2 Die Stimme Simbas

Die Warnung wäre nicht notwendig gewesen, denn im gleichen Augenblick zerriss ein wildes Brüllen die Stille über dem Urwaldteich.

Bomba fuhr herum. Keine zehn Meter von ihnen entfernt war eine gelbbraune Gestalt im Schilfdickicht aufgetaucht. Der Leib des Raubtieres presste sich dicht gegen den Boden, der Schweif peitschte durch die Schilfstängel, und der gewaltige Rachen öffnete sich zu einem grimmigen Fauchen. Der Blick der bernsteingelben Augen war mit gefährlicher Ruhe auf die Menschen gerichtet. Wenn der Löwe sich fürchtete, so war davon jedenfalls nichts zu sehen.

Auf den ersten Blick erkannt Bomba, dass es der Löwe war, den er in der vergangenen Nacht mit dem Speer verwundet hatte. An der Schulter des Tieres war deutlich der Riss zu sehen, den sein Speer geschlagen hatte. Die Wunde mochte schmerzhaft sein, aber sie hatte den Löwen keineswegs geschwächt, und sie behinderte ihn gar nicht. Es war deutlich zu sehen, wie die mächtigen Muskelstränge unter dem Fell an der verwundeten Schulter ebenso geschmeidig spielten wie an der gesunden Schulter und an den Flanken.

Hinter Bombas Rücken war ein Felsblock, und Wafi rief furchtsam:

„Lauf hinter den Felsen, Herr, und wirf den Speer von dort.“

Aber Bomba gab keine Antwort und hielt den Blick fest auf den Löwen gerichtet. Es war merkwürdig: einen Moment lang schien der Blick dieser klaren, braunen Augen den Löwen zu verwirren. Er blinzelte und zögerte. Doch dann kroch er näher an die Stelle heran, von wo ihn der Sprung bis zu dem Felsen tragen konnte.

Gibo und Wafi hatten inzwischen hinter dem Steinblock Schutz gesucht und beobachteten atemlos die gefährliche Szene. Ihnen schien es so, als hätte Bomba eine seltsame Lähmung befallen. Warum warf er den Speer nicht? Der Körper des Löwen bot ein gutes und nahes Ziel. Hatte ihn etwa der bernsteingelbe Blick der Raubkatze verzaubert?

„Wirf den Speer, Bomba! Wirf!“, riefen sie beide zugleich. Doch Bomba blieb reglos stehen — und dann sprang der Löwe. Der zusammengekrümmte Körper streckte sich plötzlich zu einem mächtigen Sprung. Das Ganze spielte sich so schnell ab, dass weder Gibo noch Wafi später sagen konnten, wann Bomba sich zur Seite schnellte, um dem Sprung zu entgehen. Das Schaftende des Speeres hatte er in einem Spalt des Felsens festgeklemmt, und erst im letzten Sekundenbruchteil ließ er den Speer los.

Bomba brauchte ihn nicht zu schleudern. Mit der ganzen Wucht seines schweren Körpers und dem Schwung des Sprunges wurde der Löwe gegen die tödliche Speerspitze geworfen. Das scharfe Metall drang durch seine Brust und tief in den Körper hinein.

Das Brüllen und der Todeskampf des Löwen ließen den Boden rings um den Tümpel erbeben. Bomba war weiter zurückgewichen, um den wild um sich schlagenden Pranken zu entgehen, und jetzt wagten sich auch Gibo und Wafi wieder hinter dem Felsen hervor.

Als die Zuckungen des Löwen schwächer wurden und der schwere Kopf zur Seite sank, trat Gibo näher an den großen Körper heran und setzte einen Fuß auf die Flanke, in der noch ein letzter Rest von Lebenskraft bebte.

„Man könnte meinen, du hast den Löwen erlegt“, brummte Wafi, der insgeheim doch Gibos Mut bewunderte. Für ihn war immer noch der beste Löwe ein toter Löwe, und dieser dort bewegte sich ganz offensichtlich noch.

„Bomba hat sein Versprechen gehalten“, sagte Gibo prahlerisch. „Du siehst, Wafi —“

Im nächsten Augenblick sprang er mit einem gewaltigen Satz zur Seite, denn die Flanke auf der sein Fuß gestanden hatte, war von einem letzten starken Zucken erschüttert worden. Jetzt war Simba, der Löwe, wirklich tot.

„Ich sehe, du kannst gut springen, Freund Gibo.“ Wafi gluckste vor Vergnügen. „Wolltest du mir das zeigen?“

Gibo errötete unter der braunen Haut, während Bomba ruhig an den toten Körper herantrat und seinen Speer aus der Brust des Tieres zog.

„Es ist immer besser, vorsichtig zu sein“, verteidigte sich Gibo und hob den Blick.

Im nächsten Moment verzerrte sich sein Gesichtsausdruck zu einer Grimasse des Erschreckens.

„Aufgepasst, Herr!“ schrie er.

Durch das Unterholz kam eine Gruppe von Kriegern auf die Lichtung gestürmt.

1 Nächtliche Wache

Es war Nacht im Herzen Afrikas.

Hoch wölbte sich der sternenbestickte Himmel über der Steppe, und der Rand des Dschungels war wie eine dunkle Wand, die die dämmrige Weite mit den pilzartig aufragenden Feigenbäumen begrenzte. Verstohlene Schritte tappten durch das hohe Gras — und dann erhob sich die tiefe, grollende Stimme aus der Dunkelheit: die Stimme Simbas, des Löwen, des Königs aller Tiere.

Ein Mann in einer Buschhütte am Rande des Dschungels fuhr von seinem Lager empor.

„Hörst du es, Bomba? Der Löwe ruft wieder!“

Gibo, Bombas treuer Gefährte, beugte sich über seinen schlafenden Herrn und rüttelte ihn an der Schulter.

Schlaftrunken richtete sich Bomba auf und lauschte in die Nacht hinaus. Deutlich hörte er das tiefe Grollen aus der Kehle des gefürchteten Raubtiers.

„Ja. Er ist wieder da“, murmelte Bomba. „Aber er wird uns nicht mehr lange unsere Ruhe rauben. Morgen gehen wir auf die Jagd und erlegen ihn.“

„Möge sein ganzes Geschlecht verwünscht sein!“, rief Wafi, der riesige Zulu, den das Brüllen ebenfalls aus dem Schlaf gerissen hatte.

Bomba hatte sich schon wieder auf seinem Lager langgestreckt. Bald darauf verrieten seine gleichmäßigen, leisen Atemzüge, dass er schlief. Aber Gibo und Wafi konnten noch keine Ruhe finden und unterhielten sich flüsternd am Eingang der Buschhütte.

Es war eine merkwürdige Unterhaltung, die die beiden da führten. Gibo, der Indianer aus dem südamerikanischen Dschungel, hatte zwar in der Zeit, die er schon mit Bomba in Afrika verbrachte, einige der wichtigsten Eingeborenendialekte dieses Kontinents verstehen gelernt, aber das Sprechen selbst fiel ihm nicht so leicht. So kam es mitunter zu sehr komischen Missverständnissen.

Nur in einer Hinsicht waren Gibo und Wafi sich immer einig — dass nämlich Bomba der größte und tapferste Kämpfer im Dschungel war. Wenn sie auf dieses Thema zu sprechen kamen, konnten sie oft kein Ende finden, und auch diesmal ließ Gibo eine lange Lobeshymne ertönen, und Wafi stimmte ihm aus vollem Herzen zu.

„Ja, es ist so wie du sagst, Gibo. Wir haben schon oft genug gesehen, wie er gegen übermächtige Feinde kämpfte und doch keinen einzigen Kratzer davontrug. Er muss unter dem Schutz der Götter stehen.“

„Welcher Götter?“, fragte Gibo.

„Natürlich unter dem Schutz der Götter, die mich und meinen Stamm beschützen“, erklärte Wafi selbstgefällig. „Es gibt keine anderen. Oder wenn es welche gibt, dann sind sie schwach und unbedeutend.“

Gibo war mit dieser Erklärung durchaus nicht einverstanden.

„Eure Götter!“, schnaubte er verächtlich. „Sie sind wie hilflose Kinder im Vergleich zu unseren Göttern. Allein die Götter des südamerikanischen Dschungels sind es, die über Bomba wachen. Und durch meine Gebete und Opfer habe ich bewirkt, dass sie Bomba nie im Stich lassen. Du hast dumme Worte gesprochen, Wafi.“

Der große Zulu runzelte die Stirn so stark, dass sein an sich schon finsteres Aussehen noch furchterregender wurde. So sah er aus, wenn er angestrengt nachdachte — und jetzt dachte er besonders angestrengt nach. Dann erhellte sich sein Gesicht. Sein ganzes prächtiges Gebiss wurde sichtbar, als er die dicken Lippen zu einem breiten Grinsen verzog.

„Sind die Götter, von denen du sprichst, in deinem Lande, Gibo?“, fragte er.

„Natürlich“, bestätigte Gibo arglos.

Wafis Grinsen wurde noch breiter.

„Aha, sie sind also in deinem Lande, Gibo. Das gibst du selbst zu. Und willst du mir dann verraten, wie sie über das große Wasser kommen können, um deine Gebete zu hören? Können sie schwimmen?“

Gibos Medizinmann im heimischen Dorf hatte nie davon gesprochen, dass die Götter Schwimmflossen hätten, und so konnte er sich auch nicht vorstellen, wie sie das Meer überquert haben könnten. Für den Augenblick war Gibo geschlagen. Er sah Wafis listiges Grinsen im schwachen Schein des erlöschenden Lagerfeuers und dachte über eine besonders schlagkräftige Erwiderung nach, als wieder das drohende Brüllen aus dem Dschungel erklang.

„Der Löwe ist nähergekommen!“, stieß Wafi unruhig hervor. „Wir müssen unser Feuer größer machen. Simba ist hungrig und sucht eine Beute. Wir müssen ihn abschrecken.“

Beide hatten kein Verlangen danach, in dieser Nacht auf dem Speisezettel des Löwen zu stehen, und sie beeilten sich daher, frische Zweige auf die Flammen zu werfen und das Feuer neu zu schüren. Alle nächtlichen Raubtiere des Dschungels fürchteten den lodernden Feuerschein, und als die Flammen hoch aufzüngelten, fühlten sich Wafi und Gibo wieder einigermaßen sicher.

Sie kauerten schweigsam am Eingang der Hütte und suchten mit aufmerksamen Blicken angestrengt die Dunkelheit ab, die sich hinter dem Lichtkreis des Lagerfeuers dehnte. Nichts war zu sehen als das undurchdringliche, bizarre Schattengewirr der üppigen Dschungelvegetation. Gleich darauf war die Stimme des Löwen wieder zu hören. Diesmal schien sie noch näher gerückt zu sein.

„Was ist schon ein Löwe?“, sagte Wafi mit einer Verächtlichkeit, die vielleicht nicht ganz echt empfunden war. „Wenn er wüsste, dass Bomba in dieser Hütte schläft, würde er den Schweif zwischen die Beine klemmen und verschwinden.“

„Lass ihn nur brüllen“, flüsterte Gibo, um sich selber Mut zu machen. „Morgen um diese Zeit wird sein Kadaver bereits den Hyänen zum Fräße dienen. Bomba hat gesagt, er wird ihn töten, und Bomba hält sein Wort.“

„Was für ein Wort werde ich halten?“

Das Brüllen des Löwen hatte auch Bomba geweckt. Er richtete sich seufzend von seinem Lager aus Zweigen und Laub auf, reckte die Arme und stand auf.

„Ich habe gesagt, dass du den Löwen töten wirst, wie du es versprochen hast“, erklärte Gibo.

Bomba war an den Eingang der Hütte getreten und spähte über die Schultern seiner beiden Begleiter hinaus.

„Dort, Herr! Dort ist er!“, stieß Gibo plötzlich in scharfem Flüsterton hervor.

Im unruhig flackernden Schein der Flammen sah auch Bomba jetzt die schattenhafte Gestalt, die durch das Unterholz bis an den Rand der Lichtung geschlichen war.

„Ja, ich sehe ihn auch“, flüsterte Wafi. „Es ist ein sehr großer Löwe, Herr. Fast so groß wie ein Nashorn.“

„Wafi, ich glaube, du hast Vergrößerungsaugen“, erwiderte Bomba mit einem verschmitzten Lächeln. „Oder du meinst ein junges Nashorn, das noch mit seiner Mutter läuft.“

„Herr, der Löwe kommt näher!“, rief Wafi, ohne auf die Neckerei einzugehen. „Vielleicht wagt er es doch, das Feuer zu überspringen!“

Tatsächlich deutete ein Grollen, das tief aus der Kehle des Löwen kam, darauf hin, dass er hungrig und gereizt war. In diesem Zustand überwand er vielleicht sogar die instinktive Scheu aller Raubtiere vor dem Feuer. Bomba glitt schnell ins Innere der Hütte zurück und ergriff seinen Speer.

„Soll er kommen, wenn er mag“, sagte er. „Dann erspart er mir die Mühe, ihn im Dschungel zu suchen.“

Die Gestalt des Raubtieres zeichnete sich jetzt deutlich im Flammenschein ab, und Bomba musste selbst zugeben, dass er einen Löwen von dieser Größe noch nicht gesehen hatte. Der Schweif der Bestie peitschte erregt hin und her, und die grünlich schillernden Raubtieraugen blinzelten gegen das helle Flammenlicht.

Gibo war wieder etwas mutiger geworden, als er den Speer in Bombas Hand sah.

„Komm nur noch etwas näher, oh Herr des Dschungels“, lud er den Löwen höhnisch ein. „Dann wird Bomba dir den Speer in dein gelbes Fell bohren. Oder hast du etwa Angst vor dem Feuer, tapferer Simba?“

Das riesige Tier stieß wieder sein drohendes Brüllen aus. Der muskulöse Körper presste sich dicht an den Boden und kroch noch näher an die Feuersperre heran, die Gibo und Wafi im Halbkreis um den Eingang der Hütte gelegt hatten.

Auf diesen Augenblick hatte Bomba gewartet. Er hob den Arm, schätzte die Entfernung ab, holte zum Wurf aus und schleuderte den Speer mit ganzer Kraft. Unglücklicherweise kam sein Ellbogen dabei mit Wafis Schulter in Berührung, der nicht schnell genug zur Seite gewichen war. Die Speerspitze wurde abgelenkt und traf den Löwen nur an der Schulter. Da der Schaft des Speeres jedoch ins Feuer fiel, wurde das Raubtier im gleichen Augenblick mit einem Funkenregen überschüttet. Mit einem schrillen Heulen, das irgendwie dem Kreischen einer entsetzten Katze glich, jagte Simba, der König der Tiere, in die Dunkelheit hinein.

Gibo lachte laut auf.

„Das ist Wafis Nashorn, das da läuft“, spottete er. „Es scheint genug zu haben von seinem nächtlichen Ausflug.“

„Die Dämonen des Feuers haben den Löwen vertrieben“, sagte Wafi ernst. „Er war bestimmt nicht feige, denn sonst wäre er nicht so nahe an die Hütte herangekrochen. Jetzt hat er uns jedenfalls gesehen, und wir müssen uns nun ständig vor ihm in Acht nehmen. Seine Krallen und Zähne sind scharf.“

„Bombas Messer und Speer sind auch scharf“, erwiderte Gibo.

Der Junge war inzwischen ins Innere der Hütte zurückgekehrt und hatte sich zur Ruhe gelegt. Gibo wartete, bis er sicher war, dass Bomba wieder schlief, und er sagte dann grollend zu Wafi:

„Ist dir überhaupt klar, dass nur durch deine Schuld Bomba den Löwen nicht schon jetzt erlegt hat? Wenn du nicht im Wege gestanden hättest, läge der große Simba jetzt schon tot hier vor uns.“

Wafi senkte beschämt den Kopf. So kriegerisch und angriffslustig er auch sein konnte — er sah immer sofort ein, wenn er einen Fehler begangen hatte.

„Ich habe mich sehr dumm benommen“, murmelte er.

Diese offene Selbstbezichtigung brachte Gibo dazu, dass er mit einer großmütig verzeihenden Geste das Thema abschloss.

„Wir legen noch einmal frische Äste nach“, sagte er. „Dann wird der Löwe keinen zweiten Angriff wagen.“

Wafi war nicht so optimistisch.

„Vielleicht ist die Gefährtin des Löwen auch in der Nähe und will die Verletzung ihres Herrn rächen“, gab er zu bedenken. „Eine Löwin ist, wenn sie gereizt wird, noch gefährlicher als ein männlicher Löwe.“

An diese Aufklärung knüpfte Wafi noch einige höchst unfreundliche Bemerkungen über das Geschlecht der Raubtiere im Allgemeinen und das der Löwen im Besonderen. Gibo, der die Sprache nicht so gut beherrschte, bewunderte dabei besonders den Reichtum der Zulusprache an Kraftausdrücken und Verwünschungen, die sich auf diese gefürchteten tierischen Feinde des Menschen bezogen.

Abwechselnd hielten die beiden für den Rest der Nacht Wache. Sie ließen Bomba schlafen, da der Junge in einer der vorigen Nächte ganz allein gewacht hatte.

In dieser Nacht gab es keine Zwischenfälle mehr, und kurz nach Tagesanbruch weckte Gibo seine beiden schlafenden Gefährten. Bomba war sofort hellwach. Das Sonnenlicht fiel in breiter Bahn durch den Eingang der Hütte, und das Grün der Bäume und Büsche funkelte noch im Tau des frühen Morgens.

„Ein schöner Tag für eine Antilopenjagd“, sagte Wafi mit scheinheiligem Eifer. „Wir könnten neuen Proviant gebrauchen, Bomba.“

„Zartes Antilopenfleisch wäre gut“, stimmte Gibo sofort zu.

Bomba schaute von einem zum anderen und musste dann lachen.

„Keine Lust zur Löwenjagd, ihr tapferen Jäger?“, fragte er in gutmütigem Spott.

Die beiden fühlten sich durchschaut und grinsten verlegen.

„Wenn du willst, Herr, gehen wir auf die Löwenjagd“, sagte Gibo kleinlaut.

„Es wäre aber gut, wenn wir erst nachschauen, ob unsere Speere scharf genug sind“, sagte Wafi hastig. „Schon viele Männer meines Stammes sind auf die Löwenjagd gegangen und nie mehr zurückgekehrt.“

„Aber viele Löwen sind auch schon von Jägern erlegt worden“, fügte Bomba hinzu. „Und du lebst auch immer noch, Wafi.“

„Richtig, Herr. Und wenn du uns führst, gehe ich auch mit zur Löwenjagd", erwiderte Wafi. „Aber vielleicht finden wir die Fährte des Löwen nicht mehr“, fügte er hoffnungsvoll hinzu.