Roy Rockwood
Band 11
Wer Bomba bei seinen Erlebnissen im Dschungel und Urwald, auf hoher See und in der großen Stadt begleitet, wird sicherlich mehr von diesem interessanten Jungen erfahren wollen. Am besten stellen wir Bomba deshalb vor, ehe sein neues Abenteuer beginnt.
Bomba ist vierzehn Jahre alt und hat die meiste Zeit seines Lebens im südamerikanischen Dschungel verbracht. Dort war sein Pflegevater und Beschützer der alte Naturforscher Cody Casson, der sich in ein abgelegenes Gebiet des Amazonas-Dschungels zurückgezogen hatte, um dort ganz seinen Forschungen zu leben.
Als Bomba das Alter erreicht hatte, in dem er mehr von seiner Vergangenheit und Herkunft zu erfahren wünschte, zog sich Cody Casson bei der Explosion eines Gewehres eine Kopfverletzung zu, durch die seine Gedächtniskraft geschwächt und fast zerstört wurde. Von diesem Zeitpunkt an lastete die Verantwortung für die Lebensführung ganz auf Bomba.
In einem Alter, in dem andere Jungen ruhig und behütet bei ihren Eltern aufwachsen und die Schulbank drücken, musste Bomba sich mit den Gefahren und Härten des Dschungellebens vertraut machen. Seine strengen Lehrmeister waren die Erfahrung und die Not. Bald lernte Bomba jene Weisheiten und Gesetze des Dschungels kennen, die es dort immer zu beherzigen galt, wenn man sein Leben erhalten wollte. Er lernte die vielen Kampftricks, die Technik von Verteidigung und Angriff bei der Begegnung mit Kopfjägern, Raubtieren und Schlangen.
Seine schulische und geistige Erziehung ließ in dieser Zeit zu wünschen übrig, da Cody Casson nicht mehr in der Lage war, den einmal begonnenen Unterricht fortzusetzen. Wie ein junger Indianer wuchs Bomba im Dschungel heran. Auch äußerlich unterschied er sich wenig von den Eingeborenen. Seine Haut war dunkel gebräunt. Er trug einen Eingeborenenschurz und das Fell eines erlegten Pumas. Seine Waffen waren Pfeil und Bogen und die Machete, das Buschmesser der Eingeborenen.
Äußerlich glich Bomba also damals in vielen Dingen einem Indianer und doch unterschied er sich durch wesentliche Merkmale von den Eingeborenen. Er hatte eine gerade Nase und kastanienbraunes, welliges Haar. Die hellbraunen Augen leuchteten freundlich für alle Freunde; und zu jener Zeit, als er seine Eltern noch nicht wiedergefunden hatte, war oft ein Schimmer von Melancholie in seinem Blick.
In den ersten neun Bänden begleiten wir Bomba bei seinen abenteuerlichen Fahrten durch den südamerikanischen Dschungel, und wir erleben mit ihm die Tage der Hoffnung, wenn er eine Spur seiner Eltern gefunden zu haben glaubte, und jene schmerzlichen Stunden der Enttäuschung, wenn wieder einmal sein sehnlichster Wunsch keine Erfüllung fand.
Bomba durchstreift eine versunkene Stadt, deren längst verschollene Einwohner wertvolle Schätze und interessante Ruinen hinterlassen haben. Er kämpft gegen Kopfjäger und rettet sich und seine Gefährten aus unterirdischen Höhlen, die sich meilenweit dahinziehen. Der Ausbruch eines Vulkans rettet ihn im letzten Augenblick aus der Gewalt eines tyrannischen Medizinmannes, der die Eingeborenen eines weiten Gebietes beherrscht, und das Zusammentreffen mit Sobrinini, der Herrscherin auf der Schlangeninsel, stellt eine der spannungsreichsten und interessantesten Episoden bei Bombas Dschungelreisen dar.
Es wäre zu viel, hier im Einzelnen von Bombas Taten und Abenteuern zu berichten. Einen wirklichen Eindruck vom Lebenslauf dieses einzigartigen Jungen kann nur derjenige bekommen, der Bomba von seinem ersten, gefährlichen Kampf gegen die Kopfjäger bis zu jenem glücklichen Augenblick begleitet, wo er seine Eltern wiederfindet.
Doch es scheint so, dass Bomba auch bei seinem Aufbruch in das für ihn neue und fremdartig fesselnde Leben in der Zivilisation keine Ruhe finden soll. Zwar lebt er nach seiner Ankunft in New York zuerst wie jeder andere Junge, der in die Schule geht, und mit seinen Eltern beisammen ist, aber bald genug erfahren wir im zehnten Band — Bomba in einem fremden Land — dass Bomba das gesicherte Leben in der Zivilisation wieder aufgeben muss, um seinem Vater zu Hilfe zu eilen, der als Maler bei einer Expedition ins Innere Afrikas in die Gefangenschaft eines barbarischen Stammes geraten ist.
Wir erleben mit Bomba und seinem Gefährten Gibo, den er aus dem südamerikanischen Dschungel nach New York mitgenommen hat, zuerst die heiteren und ernsten Geschehnisse, die sich auf der Schiffsreise nach Afrika abspielen. Aber erst die Ankunft in Afrika führt Bomba wieder jenen gefährlichen Abenteuern entgegen, nach denen er sich unbewusst während des Lebens in der Großstadt immer gesehnt hat. Er weiß jetzt, dass er kaum ohne den Dschungel leben kann, und wenn nicht die Sorge um seinen Vater gewesen wäre, hätte er die Ausrüstung der Safari, die ihn von Nairobi aus in den afrikanischen Busch führen soll, als die schöne Vorbereitung zu einem spannenden Erlebnis genossen.
Bomba dringt mit seinen Gefährten in eine fremdartige, geheimnisvolle Welt ein — und er spürt wieder den Herzschlag der ungebändigten, freien Natur, mit der er sich so innig verbunden fühlt. Er begegnet seltsamen wilden Tieren und Menschen des Urwaldes, und der Atemhauch dunkler Gefahren schlägt ihm erneut aus den Dschungeln und Savannen entgegen.
Unermesslich groß ist der geheimnisvolle Kontinent Afrika, und unerschöpflich ist die Fülle von Abenteuern, die Bomba in dem dunklen Erdteil erwarten. Einen Teil dieser fesselnden Geschehnisse erleben wir mit Bomba im vorliegenden Band, während wir ihn auf der Fährte jener Wilden begleiten, die seinen Vater verschleppt haben.
Gerade als der Orang-Utan seine langen, haarigen Arme nach dem Kind ausstrecken wollte, war Bomba an dessen Seite. Der Dschungelboy warf sich mit voller Wucht gegen seinen Gegner und brachte ihn für einen Augenblick zum Wanken. Bei dem Anprall wurde der Pygmäenjunge ein kleines Stück weggeschleudert, und er kroch behende weiter, um aus der Reichweite der gefährlichen Affenarme zu kommen.
Der angreifende Orang-Utan fletschte seine gelben Zähne und wandte sich wütend Bomba zu. Mit seinem langsamen, schwerfällig watschelnden Schritt näherte er sich Bomba; seine Arme waren weit ausgestreckt, um den Gegner in ihrer tödlichen Umschlingung zu zermalmen.
Bombas Kampfesweise musste bei diesem ungleichen Zusammenstoß ganz auf Schnelligkeit und Überraschung abgestimmt sein. Er machte schnelle kleine Seitenschritte, um dem schwingenden Zugriff der langen Affenarme zu entgehen und stieß dann wieder blitzschnell mit der Machete zu. Doch bei der Hast, mit der er sich bewegen musste, war ein genaues Zielen unmöglich. Er stieß zu, wo er nur konnte und hoffte bei jedem Stich, dass es der letzte sein würde.
Gibo und Wafi waren jetzt ebenfalls auf den Kampfplatz gestürzt, und sie tänzelten aufgeregt um die Kämpfenden herum. So schnell waren jedoch die Bewegungen der beiden, dass Gibo und Wafi es nicht wagten, einen Pfeil abzusenden.
Der Orang-Utan blutete bereits aus vielen Wunden, aber auch Bomba hatte einen wuchtigen Schlag von einer der Pfoten des Affen empfangen, und aus der aufgerissenen Kopfhaut floss das Blut über seine Wange. Ein zweiter Riss reichte von der Schulter bis zum Ellbogen des linken Armes; doch glücklicherweise war diese Wunde nicht sehr tief.
Trotzdem war der Blutverlust stark genug, dass Bomba zusehends geschwächt wurde. Sein Vorteil lag darin, dass auch die Kraft des Orang-Utans merklich nachließ. Seinen Schlägen und Armschwüngen fehlte allmählich die Wirkung, und der Blick seiner kleinen, heimtückischen Augen wurde trüber.
Bomba hatte etwa eine Minute lang nur noch in hinhaltender Verteidigung gekämpft, um alle Kraft für einen entscheidenden Angriff zu sammeln. Jetzt war dieser Augenblick gekommen. Mit einem jähen Satz schnellte er vor und stieß dem riesigen Orang-Utan die Machete bis ans Heft in die Brust.
Ehe Bomba jedoch noch das Buschmesser aus der Brust des tödlich getroffenen Affen ziehen konnte, holte dieser noch einmal mit voller Kraft zum Schlage aus und seine behaarte Pranke landete mit dumpfem Aufschlag auf Bombas Kopf.
Der Junge wurde zurückgeschleudert und fiel besinnungslos nieder. Doch im gleichen Augenblick begann auch der große Affe zu schwanken und zu taumeln, und dann sank er mit einem heiseren Todesschrei zu Boden. Ein Zittern ging durch den großen, dunkelbehaarten Körper — dann war der Todeskampf zu Ende.
Inzwischen hatten Gibo und Wafi sich schon über den reglos daliegenden Bomba gebeugt.
„Er ist tot!“, rief Gibo stöhnend. „Die Dschungelgötter haben ihm in diesem Kampf keinen Schutz gewährt! Oh, Bomba ist tot!“
Er stieß zusammenhanglose Klagelaute aus und blickte fassungslos auf den im Gras liegenden Körper seines geliebten Herrn. Wafi handelte besonnener; er ließ sich auf ein Knie niedersinken und legte ein Ohr an Bombas Brust.
„Nein“, sagte er mit einem erleichterten Aufatmen. „Bomba ist nicht tot. Sein Herz schlägt noch. Hilf mir, ihn aufheben — “
Unvermittelt unterbrach er sich und sprang auf die Füße. Eine Horde kleiner, dunkelhäutiger Männer mit wolligem, rötlichem Haar stürzte von allen Seiten auf die Lichtung. Die Männer schwangen ihre Waffen und stießen helle, unheimlich klingende Schreie aus.
Einige von ihnen eilten sofort zu dem Pygmäenkind hin. Die Nachwirkungen des Kampfes spiegelten sich noch immer auf den Zügen des Kindes wider. Die scharfen Krallen des Orang-Utans hatten seine Schulter zerschrammt, als der Affe gerade zugreifen wollte und Bomba sich todesmutig gegen ihn geworfen hatte.
Eine andere Gruppe der kleinen Krieger rückte drohend auf Gibo und Wafi los. Ein Mann führte sie an, den die Zeichen auf seiner Brust als Häuptling des Stammes kennzeichneten. Die beiden tapferen Gefährten standen jedoch aufrecht und mit gespannten Bogen über dem immer noch bewusstlosen Bomba, und sie waren offensichtlich bereit, ihn bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.
Zweifellos waren die beiden verloren, denn bei aller Tapferkeit hatten sie keine Chance, einen Kampf gegen einen ganzen Pygmäenstamm zu gewinnen. Aber in dem Augenblick, als die beiden sich darauf gefasst machten, den Verzweiflungskampf zu beginnen, hob der Häuptling in einer Geste der Freundschaft beide Hände mit den Handflächen nach außen über den Kopf empor.
Mit einem Blick hatte der Häuptling die Szene überschaut, und noch ehe ein Wort gesprochen worden war, hatte er erraten, was hier vor sich gegangen war. Als jetzt Gibo und Wafi das Friedenszeichen ebenfalls wiederholten und dann ihre Waffen senkten, trat er noch näher an sie heran.
„Was ist hier geschehen?“, fragte der Häuptling und deutete auf den toten Orang-Utan.
Wafi verstand den Eingeborenendialekt, den die Pygmäen sprachen, und er antwortete:
„Der Orang ist aus dem Urwald gestürzt und wollte das Kind packen.“ Er wies auf den Jungen, den seine Mutter inzwischen zärtlich und besorgt in ihre Arme genommen hatte. „Und das ist Bomba, der dem Kind zu Hilfe gekommen ist“, fügte Wafi hinzu und wies auf die reglos hingestreckte Gestalt des Dschungelboys. „Bomba hat den Orang mit dem Messer getötet.“
„Er hat es gewagt, den Orang-Utan allein mit einem Messer anzugreifen?“, fragte der Häuptling verblüfft.
„Allein und nur mit einem Messer“, bestätigte Wafi würdevoll. „Schau! Das Messer steckt noch im Herzen des Affen.“
„Dieser fremde, große Junge hat es also gewagt, sein Leben für ein Kind aus unserem Stamme aufs Spiel zu setzen?“, fragte der Häuptling, dem dieses Geschehnis immer noch unfassbar erschien.
Gibo und Wafi nickten ernst.
Jetzt wandte sich der Häuptling an seine Stammesgenossen.
„Wer diese Fremden anrührt, ist des Todes! Azande hat gesprochen!“
Ein dunkler, geschmeidiger Körper glitt vorsichtig und lautlos den schmalen Dschungelpfad entlang, verschwand hinter einem Vorhang von seildicken Lianen, die dicht und tief von einem Feigenbaum herabhingen und tauchte dann so plötzlich vor Wafi und Gibo auf, dass die beiden erschreckt zurückfuhren.
Bomba lachte über seine gelungene List.
„Ihr seid keine guten Wächter“, sagte er. „Ebenso gut hätte ich einen von euch wie ein Jaguar von hinten anspringen können.“
Wafi, der große Zulu, der Bomba bereits seit Beginn der afrikanischen Expedition begleitet hatte, grinste über sein rundes, schwarzes Gesicht und zeigte seine weißschimmernden Zähne.
„Bomba kann so leise sein wie eine Schlange, und er kann kämpfen wie Simba, der Löwe. Es ist kein Wunder, dass wir ihn nicht gehört haben.“
„Nein, das ist kein Wunder“, sagte der getreue Gibo, der schon im südamerikanischen Dschungel an Bombas Seite gewesen war und ihn dann nach New York und später nach Afrika begleitet hatte. „Bomba ist der tapferste —“
„Schon gut“, schnitt Bomba ihm das Wort ab. „Wir müssen jetzt an wichtigere Dinge denken. Es ist durchaus möglich, dass die Pygmäen wiederkommen.“
„Du meinst die kleinen Männer, die mit Giftpfeilen schießen und die uns schon einmal angegriffen haben?“
Bomba nickte ernst.
„Es ist möglich, dass sie uns allein hier überraschen, während unsere Männer noch unterwegs sind und die Ausrüstung für die weitere Expedition zusammenstellen.“
„Sie werden lange unterwegs bleiben“, brummte Wafi und warf Bomba einen unsicheren Blick zu.
Der Dschungelboy schaute überrascht auf.
„Du meinst, unsere Träger kommen nicht pünktlich zurück, wie sie es versprochen haben?“
„Bei diesen Männern kann man nie wissen, was sie im nächsten Augenblick tun werden“, erklärte Wafi mit einem Beiklang von Verächtlichkeit in der Stimme. „Sie kennen nicht den Mut und die Treue der Zulukrieger; sie sind feige und geldgierig.“
„Dann müssen wir allein weitersuchen“, erwiderte Bomba sofort. „Ich muss meinen Vater finden, und ich kann nicht erst nach Nairobi zurückkehren und dort eine neue Expedition zusammenstellen.“
„Nein“, murmelte Wafi. „Ebenso gut können wir allein weiterziehen. Aber du musst bedenken, Herr, dass es nicht leicht ist, in diesem Land ohne eine Mannschaft von Kriegern voranzukommen.“
„Mit euch beiden zusammen würde ich es schon versuchen“, erklärte Bomba und blickte seinen beiden Begleitern in die Augen.
Nur einen Moment lang zögerte Gibo, dann sagte er überschwänglich:
„Ich gehe mit, Herr. Wohin du auch gehst, begleite ich dich!“
„Wafi bleibt auch bei dir“, sagte der riesige Zulu. „Wafi ist gern mit einem Kämpfer zusammen, der sich weder vor Menschen, noch vor Tieren oder Dämonen fürchtet.“
„Ich bin froh, dass ihr so denkt“, erklärte Bomba und lächelte die beiden an. „Wir werden jetzt etwas essen und dann weiterziehen. Es ist besser, wenn wir das Land der Pygmäen so bald wie möglich verlassen.“
Aus ihren Vorratsbeuteln holten sie Streifen von geräuchertem Antilopenfleisch hervor und verzehrten es. Viel lieber hätten sie sich ein warmes Mahl bereitet, aber sie fürchteten, dass der Rauch des Holzfeuers ihren Lagerplatz verraten könnte, und verzichteten deshalb lieber darauf.
Gleich nach dem Essen brachen sie auf, um möglichst noch am gleichen Tage das Land der Pygmäen zu verlassen. Der Weg führte jetzt durch ein dichtes Urwaldgebiet, durch das nur die schmalen Trampelpfade führten, die die Eingeborenen bei ihren Jagdexpeditionen ausgetreten hatten. Als sie etwa eine Stunde gewandert waren, blieb Bomba unvermittelt stehen und sog prüfend die Luft durch die Nase ein.
„Menschenwitterung!“, zischte er leise. „Rasch, in das Unterholz! Haltet eure Pfeile bereit!“
Im nächsten Moment lagen Wafi und Gibo in Deckung, während Bomba, dicht an einen Baum geschmiegt, nach vorn spähte. Angespannt lauschten sie mit angehaltenem Atem, aber nichts war zu hören. Trotzdem war Bomba seiner Sache sicher. Geduldig glitt sein Blick über das Gewirr von Farnen, tiefhängenden Zweigen und Lianen, bis er am Rande der vor ihm liegenden Lichtung eine schwache Bewegung erkannte.
Dann sah er es ganz deutlich: Zweige wurden vorsichtig auseinandergeschoben, und eine kleine, dunkle Gestalt trat auf die Lichtung.
„Ein Pygmäe“, flüsterte Gibo und hob seinen Bogen.
Bombas Augen waren jedoch schärfer.
„Halt, Gibo!“, befahl er leise. „Siehst du denn nicht, dass es nur ein Knabe ist?“
Gibo senkte den Bogen und nickte beschämt.
„Ich sehe es jetzt, Herr. Aber wo ein Kind ist, können die Eltern auch nicht fern sein.“
„Das mag sein“, gab Bomba zu. „Aber wenn wir uns ganz ruhig verhalten, gehen sie vielleicht vorüber und bemerken uns nicht.“
Eine Weile lang beobachteten die drei stumm und reglos den Pygmäenjungen, der auf der Lichtung umherwanderte und nicht wusste, dass drei Augenpaare jede seiner Bewegungen gespannt beobachteten. Nach Bombas Schätzung konnte das Kind nicht älter als sechs oder sieben Jahre sein, und wenn man nach seiner Gestalt und dem Gesichtsschnitt urteilte, gab es keinen Zweifel daran, dass er dem Stamme der Pygmäen angehörte.
Das Kind spielte ahnungslos und wusste nicht, welche drohende Gefahr sich ihm näherte. Auch die drei in ihrem Versteck sahen den Orang-Utan noch nicht, der im Schatten eines Busches lauerte und jede Bewegung des Pygmäenkindes mit mordgierig funkelnden Augen verfolgte. Bomba überlegte noch, was er tun sollte, wenn der Junge sich ihrem Versteck näherte und sie entdeckte, als er plötzlich ein Rascheln in einem Busch schräg jenseits der Lichtung hörte.
Mit einem heiseren, unartikulierten Schrei brach in der nächsten Sekunde ein riesiger Orang-Utan durch die Zweige und stürmte auf das Kind los. Der Junge schrie vor Entsetzen auf. Im gleichen Augenblick hatte Bomba bereits seine Machete aus dem Gürtel gerissen und eilte in langen Sätzen auf die Lichtung hinaus.
„Die Trommel bedeutet Krieg und Tod“, erklärte Azande düster. „Die Schwarzhaarigen sind im Anmarsch, die Feinde unseres Stammes.“
„Sind die Schwarzhaarigen auch Pygmäen?“, fragte Wafi.
„Ja, es sind Pygmäen“, erwiderte der Häuptling. „Sie sind größer als wir Rothaarigen, aber nicht so stark. Sie sind auch nicht so schnell und können sich nicht wie Schatten hinter Bäumen und Büschen verbergen. Oft genug schon haben wir sie zurückgetrieben, aber noch immer machen sie mit ihren Trommeln Lärm im Dschungel. Diese Trommeln sprechen von Krieg und Tod — von spitzen Speeren und Pfeilen, die schnell wie Vögel durch die Luft gleiten. Horcht!“ Azande hob die Hand. „Das ist unsere Antwort auf die Drohung der Schwarzhaarigen.“
Dicht bei der Stelle, an der Gibo und Wafi standen, wurde jetzt eine Trommel geschlagen. Zuerst war der Klang leise, aber er schwoll stärker und immer stärker an, bis er als drohende, dumpfe Herausforderung in den Dschungel drang.
Besorgt lauschten Gibo und Wafi auf das dumpfe Streitgespräch zwischen der nahen und der fernen Trommel. Sie mussten immer daran denken, was im Falle eines Kampfes aus Bomba wurde, der noch hilflos und krank auf seinem Lager ruhte. Wafi äußerte seine Befürchtungen Azande gegenüber, doch dieser erklärte:
„Wir werden für Bomba kämpfen. Du brauchst keine Furcht zu haben. Bomba wird kein Leid geschehen, solange noch ein einziger roter Pygmäe am Leben ist.“
Diese Worte beruhigten die beiden, aber sie beschlossen doch, Bomba unablässig zu bewachen, bis jede Gefahr vorüber war. Inzwischen hatte der Häuptling sich seinen Männern zugewandt.
„Bald werden wir zum Angriff aufbrechen!“, rief er. „Wir werden den Schwarzhaarigen in den Dschungel entgegeneilen; aber Gaku, Iga und Idani, ihr werdet mit meinem Bruder Pongi das Dorf bewachen.“
Die genannten Krieger traten vor, und Pongi, der Vater des kleinen Negongwe setzte sich an ihre Spitze.
„Mein Bruder, wenn uns einer der Schwarzhaarigen entkommt, dann wirst du ihn ohne Gnade erschlagen“, befahl Azande. „Du wirst den weißen Jungen mit deinem eigenen Leben schützen.“
„Bomba wird kein Leid geschehen“, beteuerte Pongi. „Negongwes Vater vergisst nicht so schnell!“
Kaum hatte Pongi die letzten Worte gesprochen, als alle Krieger wie durch einen Zauber plötzlich von der Lichtung verschwunden waren. Nichts war mehr von ihnen zu sehen, und kaum ein leises Knacken und Rauschen im Unterholz verriet, dass mehr als hundert Krieger in den Dschungel aufgebrochen waren.
Als Gibo und Wafi wieder die Hütte betraten, sahen sie, dass der Medizinmann des Stammes an Bombas Lager kauerte. Der Junge war aus seinem tiefen Schlaf erwacht, und der Medizinmann hatte ihn inzwischen mit einem hölzernen Löffel aus der kleinen Schüssel gefüttert, die — mit einem wohlschmeckenden Fruchtbrei gefüllt — neben dem Kranken stand.
Bomba begrüßte die beiden Freunde freudig. Obwohl noch das Fieber in seinen Adern brannte, hatte er die Fähigkeit des klaren Denkens nicht verloren. Während des Essens fragte er, was die Trommeln zu bedeuten hatten, und Gibo erklärte ihm die jüngsten Geschehnisse.
Der Junge lauschte gespannt und stellte hin und wieder interessierte Zwischenfragen. Mitunter verzog er schmerzhaft das Gesicht, wenn er eine heftige Bewegung gemacht hatte, aber er überhörte kein Wort.
Leise und dumpf klang inzwischen immer noch der drohende Trommelrhythmus in die Hütte. Momku hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und lauschte mit schräggeneigtem Kopf und besorgter Miene.
„Solange diese Trommel nicht schweigt, haben unsere tapferen Krieger noch nichts ausgerichtet“, erklärte Momku. „Die Schwarzhaarigen sind nicht tapfer, aber sie sind größer als unsere Krieger, und sie kommen immer in mächtigen Scharen.“