Ralf Kohlen, Rudolf A. Müller
Quality Reinvented!
Zusammenarbeit kreativ gestalten,
Organisation sinnstiftend entwickeln,
ISO 9001 wertschöpfend einsetzen
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Print-ISBN 978-3-446-46411-7
E-Book-ISBN 978-3-446-46537-4
ePub-ISBN 978-3-446-46793-4
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© 2021 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München
www.hanser-fachbuch.de
Lektorat: Lisa Hoffmann-Bäuml
Herstellung: le-tex publishing servives GmbH, Leipzig
Coverrealisation: Max Kostopoulos
Titelmotiv: © Max Kostopoulos
Zeit für Qualität! |
Qualität scheint aus dem Fokus der eigentlichen Unternehmenstätigkeiten verschwunden und in ein Nebenreich von Spezialisten umgesiedelt zu sein. Dabei könnte sie so viel beitragen, zur Be-Sinnung und Orientierung, in unserer beunruhigten Welt. Im Kern ist dieses Buch ein Plädoyer und ein Wegweiser, um „Qualität“ in einer zeitgemäßen Bedeutung als unternehmensleitenden Wert und erfolgskritische Kompetenz zu positionieren. Es will helfen, Qualität im aktuellen Kontext von Globalisierung, Digitalisierung, Umwelt- und Klimakrise neu zu begründen und zum Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln. Dafür gilt es, die einzigartigen Stärken und Potenziale des individuellen Unternehmens zu verwirklichen. Der Schlüssel hierzu liegt im „Faktor Mensch“. Mit neuen Formen der menschlichen Zusammenarbeit entfalten die Organisationen ungekannte, kreative Energien.
In dem Buch erläutern wir, warum und auf welche Weise ressourcenbindender und wertevernichtender Ballast wie das konventionelle Qualitätsmanagement abzuwerfen ist. Unserer Überzeugung nach wäre es häufig effektiver und wirtschaftlicher, auch auf die Anwendung der Norm ISO 9001 und ähnlicher Regelwerke zu verzichten. Da sie aber bereits weltweit verbreitet ist und ihre Umsetzung vielfach verlangt wird, empfehlen wir einen möglichst agilitätsverträglichen, wertschöpfenden Umgang mit ihr.
Unser Buch will Unternehmen befähigen, sich umfassend sinn-voll auszurichten, sich von System- und Konformitätszwängen zu befreien und die Anforderungen von Kunden, Mitarbeitenden, Gesellschaft und Umwelt in den Mittelpunkt zu stellen. Start-ups möchten wir davor bewahren, aus vermeintlicher Opportunität Irrwege zu wählen. Wir hoffen, dass unsere Thesen und Konzepte hinterfragt und erprobt werden, denn nur so kann ihr wahrer Nutzen sichtbar und wirksam werden.
Quality Reinvented! bedeutet eine Wiederbelebung und Neuentwicklung von Qualität hin zu mehr Sinn und Verträglichkeit mit den Anforderungen des Wissenszeitalters.
Chieming und Dietramszell, Herbst 2020 |
Ralf Kohlen |
Titelei
Impressum
Inhalt
Zeit für Qualität!
Einleitung
1 Die Verirrung des Qualitätsmanagements
1.1 Konstrukt – warum kann Qualitätsmanagement keine Managementdisziplin sein?
1.1.1 Gründe der Verirrung
1.1.2 Der Kernfehler
1.1.3 Der Versuch der Fehlerbehebung
1.2 Zwei Systeme – warum mutiert QM immer zum Schattensystem?
1.3 Systembefriedigung und Dokumentenwahn – wer dient hier wem?
1.3.1 Die Systembefriedigung
1.3.2 Der Dokumentenwahn
1.4 Audits – warum belügen wir uns so gerne selbst?
1.4.1 Unzureichende Kompetenz des Zertifizierungsauditors
1.4.2 Fehlende eigene Anforderungen an das Audit
1.4.3 Systembefriedigung interner Audits
1.4.4 Die ungenutzte Freiheit
1.4.5 Fehlende Kundenorientierung
1.4.6 Fehlende Leistungsindikatoren
1.5 Irrweg des Risikomanagements – wie geht risikobasiertes Denken?
1.5.1 Risiko vs. Ungewissheit
1.5.2 Der Ansatz des risikobasierten Denkens
1.6 Managementbewertung – warum geben wir uns mit einem Bericht zufrieden?
1.7 Der Irrweg der QM-Ausbildung
1.8 Kundenorientierung – warum dienen wir dem Kunden nicht?
1.9 Exkurs: Vom Wirken und Leiden der Betroffenen
1.9.1 Die externe Partei
1.9.2 Die Regulatoren
1.9.3 Die Transformatoren
1.9.4 Die Kunden
1.9.5 Fazit
1.10 Literatur und Links
2 Aktuelle und zukünftige Herausforderungen
2.1 Umwelt- und Klimakrise – muss sich wirklich alles ändern?
2.1.1 Die Menschheitskrise des 21. Jahrhunderts
2.1.2 Kundenzufriedenheit allein reicht nicht mehr
2.2 Makroökonomie – was fordern Globalisierung und Digitalisierung?
2.2.1 Globalisierung
2.2.2 Vernetzung und Zusammenarbeit
2.2.3 Digitalisierung
2.2.4 Agilität und lebenslanges Lernen
2.3 Menschen – wie ticken die Generationen Y und Z?
2.4 Komplexität – warum gibt es keine einfachen Antworten?
2.5 Literatur und Links
3 Der Paradigmenwechsel – Quality Reinvented
3.1 Die Organisation als System – warum muss der Fokus immer auf den Menschen liegen?
3.1.1 Das soziotechnische Systemmodell
3.1.2 Die Organisation als lebender Organismus
3.2 Das Qualitätsverständnis der Norm – warum ist es nicht (mehr) tauglich?
3.2.1 Qualität als Erfüllung von Anforderungen
3.2.2 Qualität als messbare Größe
3.2.3 Qualität als Ergebnis von Planung und Kontrolle
3.2.4 Qualität als Einhalten von Standards
3.3 Das neue Qualitätsparadigma – wie entsteht Qualität?
3.3.1 Das neue Qualitätsparadigma
3.3.2 Purpose statt Profitmaximierung
3.3.3 Qualität und (Unternehmens-)Zweck
3.3.4 Zweck ist nicht gleich Sinn
3.3.5 Der Unternehmenssinn
3.3.6 Der (verlorene) Sinn der Arbeit
3.3.7 Den beteiligten Interessen gerecht werden
3.3.8 Das neue Qualitätsverständnis
3.3.8.1 Verifizierung und Validierung der neuen Qualitätsdefinition
3.4 Die Qualitätsprinzipien – welche Grundsätze leiten unsere Entscheidungen und Maßnahmen?
3.5 Gegenüberstellung der Paradigmen
3.6 Die Qualitätsführerschaft – wie wird Qualität zum Alleinstellungsmerkmal?
3.7 Literatur und Links
4 Realisierungsansätze – qualitätsbestimmte Unternehmensführung
4.1 Der integrale Ansatz – warum entscheidet die innere Dimension?
4.2 Identität und Ausrichtung – wie legen wir den Grundstein für Qualität?
4.2.1 Werte und Motive – die Identität und der innere Antrieb
4.2.1.1 Werte wollen gelebt werden
4.2.1.2 Leistung durch Werte
4.2.1.3 Aus Werten werden Normen und Managementsysteme
4.2.1.4 Werteorientierte Unternehmensführung
4.2.1.5 Systeme und Methoden müssen zu den Werten passen
4.2.1.6 Kulturwandel oder Wertewandel?
4.2.2 Werteorientierte Organisationsentwicklung
4.2.2.1 Sicherstellen der Qualität des Veränderungsvorhabens
4.2.2.2 Mit der Dynamik von äußerer und innerer Dimension arbeiten
4.2.3 Qualitätspolitik – Ausdruck von Identität und Ausrichtung
4.2.4 Vision – ein Zielbild des Sinns
4.3 Führung und Befähigung – wie entsteht Qualität in der Zusammenarbeit?
4.3.1 Mehr führen, weniger managen
4.3.2 Selbstführung
4.3.3 Mehr Coachen statt Beraten und Trainieren
4.3.4 Trainings mit Führungskräften und Mitarbeitern
4.3.5 Die Führungskraft als Coach
4.3.6 Business Quality Coaching – vom Push zum Pull
4.3.6.1 Business Quality Coaches im Unternehmen
4.3.6.2 Einführung und Praxis
4.4 Organisationsstruktur – wie finden wir Stabilität und Agilität?
4.4.1 Die „agile“ Pyramide
4.4.2 Verteilte Autorität – Führung als Dienstleistung
4.4.3 Die Netzwerkorganisation
4.5 Praxisbericht: Ein Interview mit betterplace lab
4.6 Literatur und Links
5 Die Umsetzung – soziale Prozesse
5.1 Fragen – wie schaffe ich die Grundlage für positive Beziehungen?
5.2 Coachendes Auditieren – wie werden Audits zu willkommenen und fruchtbaren Verbesserungsprojekten?
5.2.1 Weg vom konventionellen internen Audit!
5.2.2 Was bedeutet coachendes Auditieren?
5.2.3 Der Prozess des Coachenden Auditierens
5.2.4 Retrospektive als Coaching-Audit
5.2.5 Fokus auf das Ziel und die Lösung
5.2.6 In vier Schritten eine Lösung finden
5.2.6.1 Ziele und Auswirkungen definieren
5.2.6.2 Auf Funktionierendem aufbauen
5.2.6.3 Die nächsten Schritte planen
5.2.6.4 Chancen einschätzen
5.3 Review und Reflexion
5.3.1 Das Review als kreative Pause
5.3.2 Das Review als Perspektivenwechsel
5.3.3 Reflexion
5.4 Dialogische Kommunikation – wie können wir miteinander denken und lernen?
5.4.1 Dialog und Diskussion
5.4.2 Die zehn Kernfähigkeiten im Dialog
5.4.3 Die Achtsame Diskussion
5.4.4 Prozessbeschreibung: die Stakeholder-Konferenz
5.5 Entscheiden – wie können wir Kompetenz statt Hierarchie entscheiden lassen?
5.5.1 Das konventionelle Paradigma: Nur „Entscheider“ entscheiden
5.5.2 Das neue Paradigma: Jeder ist ein „Entscheider“
5.5.3 Der neue Entscheidungsprozess als Kernelement Qualitätsbestimmter Führung
5.6 Umgang mit Fehlern – warum kann die Lösung nur bei den Menschen liegen?
5.6.1 Was sind Fehler?
5.6.2 Erfolgsstrategie Fehlerkultur?
5.6.3 Das Problemparadigma des konventionellen Qualitätsmanagements
5.6.4 Das Lösungsparadigma der Qualitätsbestimmten Führung
5.6.5 Heilung statt Schuld
5.6.5.1 Fehlermanagement nach dem Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit
5.6.5.2 Umgang mit Fehlern nach den Prinzipien der Qualitätsbestimmten Führung
5.6.6 Prozessbeschreibung: Aufklärung von Fehlerursachen und Formulierung von Empfehlungen für Verbesserung
5.7 Praxisbericht: Interview mit Alpha Laser
5.8 Literatur
6 ISO 9001 Reframed – Führungssystem für agile Organisationen
6.1 Reframing – wie kann ich die Norm sinnstiftend einsetzen?
6.1.1 Der Zweck heiligt die Mittel – die konventionelle Sicht und Vorgehensweise
6.1.2 Vom Zweck zum Mittel – die neue Sicht und Vorgehensweise
6.1.3 Den passenden Rahmen setzen – wie viel Nutzen wollen wir von der Norm?
6.1.4 Den Interpretationsspielraum nutzen
6.1.5 Das Prozessmodell ISO 9001 Reframed
6.2 Die strategische Planung – wie wollen wir das Unternehmen führen und entwickeln?
6.2.1 Identität und Ausrichtung festlegen
6.2.2 Strategische Ziele klären
6.2.3 Umfeld, Rahmenbedingungen, interne Themen kennen
6.2.4 Relevante Stakeholder identifizieren und verstehen
6.2.5 Die Ausgangssituation, die aktuelle Leistung bewerten
6.2.6 Maßnahmen festlegen
6.3 Organisationsaufbau – wie gelingt der Spagat zwischen Agilität und Normierung?
6.3.1 Anwendungsbereich
6.3.2 Prozesse
6.3.3 Führung und Verpflichtung, Rollen und Verantwortungen
6.3.4 Unterstützung
6.4 Der operative Regelkreis – wie können wir stetig besser werden?
6.5 Die Zertifizierung – wie können Sie Ihr Unternehmen darauf vorbereiten?
6.5.1 Auswahl der Zertifizierungsgesellschaft
6.5.2 Bereitschaftsbewertung und Dokumentenprüfung (Stufe-1-Audit)
6.5.3 Auditplanung
6.5.4 Auditdurchführung (Stufe-2-Audit)
6.6 Praxisbericht: Ein Interview mit SoftwareONE Deutschland GmbH
6.7 Literatur
7 Veränderung jetzt!? – Wie sollten Sie vorgehen? Worauf müssen Sie sich gefasst machen?
7.1 Wie sollten Sie bei der Einführung von qualitätsbestimmter Führung vorgehen?
7.1.1 Qualitätsbestimmte Selbstführung
7.1.2 Für Gründer/CEOs/Geschäftsführer
7.1.3 Wenn Sie nicht Gründer/CEO/Geschäftsführer sind
7.2 Worauf Sie sich gefasst machen sollten
7.3 Literatur und Links
Dank
Die Autoren
Einleitung |
Qualität ist das Kernthema allen professionellen Tuns und Schaffens. Qualität äußert sich in Produkten und Leistungen, die ihr Geld wert sind – wegen ihres Nutzens, ihrer Verträglichkeit, Attraktivität, Funktionalität, Nachhaltigkeit, ihres Mehrwerts für den Kunden. Qualität manifestiert sich in Produkten und Leistungen, die das bieten, was sie versprechen, und gerne noch ein bisschen mehr. Sie zeigt sich in Produkten und Leistungen, die uns das Leben erleichtern, verschönern und es möglichst sogar bereichern. Darum geht es, um das Angebot derartiger Produkte und Leistungen. Entstanden in Unternehmen, die solch ein Verständnis von Qualität in allen Aspekten ihrer Tätigkeit verwirklichen. Das Geldverdienen ist die Folge davon – nicht Sinn und Zweck unseres Tuns.
Qualität ist aus dem Fokus der eigentlichen Unternehmenstätigkeiten verschwunden und in ein Nebenreich von Spezialisten umgesiedelt, die sich ausschließlich um sie, die Qualität, kümmern. Das könnte eine gute Nachricht sein, ist es aber nicht: Die Spezialisten sprechen nur sehr selten über die Anforderungen unserer Kunden und der Welt, in der wir leben und arbeiten. Stattdessen sprechen sie über die Anforderungen von Normen, denen wir zu genügen haben. Hin und wieder finden Audits statt, in denen demonstriert werden soll, dass alles so gemacht wird, wie es die Norm verlangt. Und obwohl man sich mit erheblichem Extraaufwand bemüht, alles normgerecht durchzuführen, gibt es immer wieder Qualitätsprobleme. Haben womöglich das aufwendige Qualitätsmanagement und die tatsächlich realisierte Qualität gar nicht so viel miteinander zu tun?
Es erklärt, warum das konventionelle Qualitätsmanagement einer zeitgemäßen Unternehmensführung im Weg steht.
Es zeigt auf, wie Sie sich von Bürokratismus und Dokumentenwahn befreien können.
Es entwickelt ein radikal neues, motivierendes und richtungweisendes Verständnis von Qualität.
Es erläutert, wie Sie ein wertebasiertes Managementsystem aufbauen, in dem Ihre Mitarbeitenden eigenverantwortlich Qualität erzeugen.
Es macht Sie mit Formen der Kommunikation und Führung vertraut, die Kreativität und Agilität fördern.
Es präsentiert Ihnen Prinzipien, Methoden und Tools, um die individuellen Stärken Ihres Unternehmens und der darin arbeitenden Menschen zu realisieren.
Es erklärt, wie Sie eine Lernkultur in Ihrem Unternehmen etablieren und zu schnelleren, besseren Entscheidungen kommen.
Es ermöglicht Ihnen, die ISO 9001 aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und wertschöpfend umzusetzen.
Es befähigt Sie, Ihr qualitätsbestimmtes Managementsystem mit Überzeugung in Audits zu vertreten.
Unternehmer*innen und Geschäftsführer, die ihr Unternehmen zukunftsfähig gestalten wollen und dazu auf weniger Bürokratie und mehr Kreativität, Flexibilität und eigenverantwortliches Handeln setzen.
Gründer*innen von Start-ups, die ihre Identität und „ISO“ verbinden wollen.
Qualitätsmanager*innen, die einen Kulturwandel und eine Qualitätsinitiative im Unternehmen vorantreiben wollen.
Zertifizierungsgesellschaften, die ihre Zertifizierungen aufwerten und mehr Nutzen für Ihre Kunden bieten möchten.
Auditoren*innen, die geschätzt und willkommen sein wollen.
QM-Berater*innen, die mehr Anerkennung und Geld verdienen möchten.
Business-Coaches, die mehr Qualitätssicherung für ihre Arbeit suchen.
Alle, die den Irrweg des Qualitätsmanagements nicht mehr weitergehen wollen.
Qualitätsbeauftragte auf der Suche nach schnellen, einfachen Lösungen zur „ISO-Zertifizierung“.
Alle, die unangenehme Wahrheiten nicht ertragen können.
Alle, die der Meinung sind, Veränderungen fangen bei anderen an.
Dieses Buch ist in sieben Kapitel gegliedert. Es empfiehlt sich, das Buch – ganz traditionell – von vorne bis hinten zu lesen, auch wenn es verlockend ist, sich direkt den Lösungsansätzen in den Kapiteln 4, 5 und 6 zuzuwenden. Die Kapitel 1, 2 und 3 sind wesentlich, um die Zusammenhänge und die Motivation, das „Warum“ und „Wozu“, und damit auch die Argumentation für die Notwendigkeit des Wandels in Ihrem Unternehmen zu erschließen.
Kapitel 1 stellt fest, wo wir heute stehen. Es reflektiert und bewertet kritisch die konventionelle Lehre und Umsetzung von Qualitätsmanagement. Anhand von Beispielen, Erfahrungen und einschlägiger Fachliteratur werden Irrtümer entlarvt, Fehlinterpretationen und daraus resultierende, wertevernichtende Tätigkeiten aufgedeckt. Durch eine abschließende Ursachenanalyse werden erste Handlungsfelder identifiziert.
Das zweite Kapitel zeigt auf, was vor uns liegt, im Kontext der Industrie 4.0. Welche Anforderungen stellen die Weltphänomene Komplexität, Globalisierung, Digitalisierung, die Umwelt- und Klimakrise sowie die Erwartungen der Menschen an die Ausrichtung und Führung unserer Unternehmen?
Kapitel 3 vollzieht einen Paradigmenwechsel und stellt Qualität an den ihr gebührenden Platz: ins Zentrum der Unternehmensführung. Es weist den Weg zu einem zeitgemäßen, lebendigen Qualitätsverständnis – Quality Reinvented. Eine neue Definition von Qualität und sechs Prinzipien manifestieren das neue Paradigma.
Das Kapitel 4 stellt Ansätze, Modelle, Methoden und Tools vor, um das neue Qualitätsparadigma im Unternehmen zu verwurzeln. In dem Kapitel wird erklärt, warum und wie Business Coaching ein wirkungsvoller Ansatz für die Entwicklung von Qualität zum Alleinstellungsmerkmal sein kann. Anhand von Beispielen und Referenzprojekten wird erläutert, wie Sie sich von der Last des konventionellen Qualitätsmanagements befreien und frische Energien freisetzen können.
In Kapitel 5 stellen wir Ihnen sechs soziale Prozesse vor, mit denen Sie auch ohne größere Organisationsänderung Qualität im Unternehmen wachsen lassen. Wir bezeichnen sie als „soziale Prozesse“, weil sie sich auf die Menschen im und um das Unternehmen und deren Beziehungen zueinander fokussieren. Die sozialen Prozesse sind Repräsentanten unserer Qualitätsprinzipien und bilden die Basis für eine nachhaltige qualitätsbestimmte Transformation und Unternehmensentwicklung.
Wir vermuten, dass sich viele von Ihnen, mehr oder weniger freiwillig, mit der ISO 9001 „anfreunden“ müssen oder mussten. Kapitel 6 soll Sie dazu befähigen, die Norm wertschöpfend einzusetzen. Dazu wird die ISO 9001:2015 als Führungssystem für agile Organisationen innovativ gedeutet bzw. reframed. Die Forderungen der Norm werden dabei in ein neues, unternehmerisches Prozessmodell eingebracht. Es entsteht ein Rahmenwerk, innerhalb dessen die Prozesse, Methoden und Werkzeuge aus den Kapiteln 4 und 5 angewendet werden können. Hilfestellungen zur Vorbereitung auf eine Zertifizierung ergänzen das Kapitel.
Das abschließende Kapitel 7 möchte Sie sensibilisieren und ermutigen, die Herausforderungen anzugehen und mit den zukünftigen Krisen zu arbeiten und nicht gegen sie. Es gibt Ihnen Hinweise für die Umsetzung und will Sie vorbereiten auf das, was Sie an Widerständen zu erwarten haben. Wir gehen in diesem Kapitel darauf ein, was Ihre Aufgaben und Spielräume als Gründer*innen/CEO/Geschäftsführer*innen sind und was Sie tun können, wenn Sie nicht diese Rollen ausüben.
Jedes Kapitel hat Unterkapitel. Zu Beginn eines jeden Unterkapitels finden Sie eine inhaltliche Vorschau, am Ende folgen Kernaussagen als Zusammenfassung oder Handlungsanweisung. Die sieben Hauptkapitel sind in ein Rahmengespräch zwischen einer CEO, einem QM-Beauftragten und einer Personalleiterin eingebettet. Das Gespräch lässt Sie an der Gedankenwelt und den Sichtweisen der Protagonisten zu den Themenfeldern teilhaben und führt Sie durch das Buch.
Als lebendige Praxisbeispiele stellen wir Ihnen drei Unternehmen vor, die das neue Qualitätsparadigma, wissentlich oder unwissentlich, bereits verinnerlicht und umgesetzt haben. Die Unternehmen stammen aus unterschiedlichen Branchen und haben ganz unterschiedliche Größen und Strukturen. In den im Buch veröffentlichten Interviews mit den Geschäftsführern und QM-Beauftragten stellen sie uns ihre individuellen Lösungen und außergewöhnlichen Praktiken der qualitätsbestimmten Unternehmensführung vor.
Das Buch ist in Unternehmersprache geschrieben. QM-Fach- und Normensprache werden weitestgehend vermieden.
(Qualitäts-)Management: Diese Schreibweise ist dann gewählt, wenn wir keinen Unterschied zwischen Qualitätsmanagement und Management im Allgemeinen machen möchten.
ISO: Wenn wir das Akronym ISO verwenden, dann meinen wir die ISO 9001 in ihrer gültigen Fassung (aktuell die ISO 9001:2015).
Häufig verwendete Abkürzungen:
QM: Abkürzung für Qualitätsmanagement
QS: Abkürzung für Qualitätssicherung
QMB: Abkürzung für Qualitätsmanagementbeauftragter
QMS: Abkürzung für Qualitätsmanagementsystem
Die Wörter Organisation, Unternehmen und Unternehmung verwenden wir synonym.
Wenn wir über Menschen sprechen, benutzen wir die weibliche, die männliche und geschlechtsneutrale Formen in unregelmäßigem Wechsel. Die männliche Bezeichnung dominiert vielleicht insgesamt, weil es sich unserer Meinung nach einfacher liest. Gemeint sind aber immer alle (m/w/d).
Unsere Realisierungsansätze und Prozesse sind praxiserprobt. Die folgenden drei Unternehmen leben eine qualitätsbestimmte Unternehmensführung. Sie dienen daher als konkrete Quelle aus der Praxis.
betterplace lab
Das betterplace lab, 2010 von der Sozialunternehmerin Joana Breidenbach gegründet, ist ein digital-sozialer Think-and-Do-Tank und ein Schwesterunternehmen von betterplace.org, Deutschlands größter Online-Spendenplattform. betterplace lab will mit Hilfe von innovativen Projekten die Digitalisierung sozial gestalten und für das Gemeinwohl nutzbar machen. Es gibt sich folgende Mission: „Die Digitalisierung verändert unser Leben. Das betterplace lab verändert die Digitalisierung. Wir erforschen, finden und fördern, was das Digitale sozial macht.“ [betterplacelab.org]
2014 hatte Joana Breidenbach vor, die operative Führung des Unternehmens abzugeben, um sich neuen Themen zu widmen. Inspiriert von dem Buch Reinventing Organizations von Frederic Laloux und dem Beispiel des US-amerikanischen Computerspielherstellers Valve, wollte sie bei betterplace lab die hierarchischen Strukturen und festen Abläufe durch Selbstorganisation und Selbstführung ablösen. Den Transformationsprozess, der sich über mehrere Jahre erstreckte, gestaltete Joana Breidenbach zusammen mit der Organisationsentwicklerin Bettina Rollow. Über ihre Erfahrungen mit diesem Unternehmensumbau und den grundlegend anderen Arbeits- und Führungsformen berichten die beiden in ihrem Buch „New Work needs Inner Work“ (Joana Breidenbach, Bettina Rollow 2019).
betterplace lab ist strategisch, operativ und wirtschaftlich erfolgreich und beschäftigt heute zwölf feste Mitarbeiter*innen sowie etwa nochmal so viele Werkstudent*innen und Freelancer. Zusätzliche Autonomie soll betterplace lab durch eine anstehende Ausgründung als gemeinnützige GmbH erhalten. Als GmbH-Geschäftsführerin ist Franziska Kreische vorgesehen, die vor fünf Jahren als Praktikantin ins Team kam.
In Abschnitt 4.5 finden Sie ein Interview mit Joana Breidenbach und Franziska Kreische.
ALPHA LASER GmbH
ALPHA LASER ist führender Hersteller von Lasersystemen von mobilen, flexiblen und leistungsstarken Lasersystemen zum Laserschweißen, Laserschneiden, Laserhärten und Pulverauftragsschweißen. Das Unternehmen in Puchheim bei München wurde 1994 von Josef Höllbauer gegründet und hat – Stand März 2020 – ca. 90 Mitarbeiter. Neben Josef Höllbauer führen zwei weitere Gesellschafter das Unternehmen. Es gibt Abteilungen, aber keine Abteilungsleiter und keine klassischen Vorgesetzten. Die ALPHA LASER hat eine QS-Abteilung, jedoch kein formelles QMS und keine ISO-9001-Zertifizierung. Bis dato gab es von Kundenseite keine Forderung nach einer ISO-9001-Zertifizierung.
Um den Nutzen und Aufwand einer ISO-9001-Zertifizierung zu erörtern, wurden wir 2019 beauftragt, eine Gap-Analyse im Unternehmen durchzuführen. Das Ergebnis zeigte, dass die ALPHA LASER viele Forderungen der Norm nicht oder unzureichend erfüllt. „Zu wenig festgelegt, zu viel Vertrauen und Zuversicht, zu wenig Systematik und Kontrolle.“ So würde vermutlich das Urteil eines gemeinen typischen Auditors ausfallen. Die Geschäftsführung sah die Gefahr, dass sich das Unternehmen so stark „verbiegen“ müsste, um eine Zertifizierung zu erlangen, dass es seine Identität und Leistungsfähigkeit verlieren würde. Man entschied sich daher bewusst gegen eine Zertifizierung.
In Abschnitt 5.7 finden Sie ein Interview mit dem Geschäftsführer Thomas Golinske.
SoftwareONE Deutschland GmbH
Mit rund 5400 Mitarbeitern in 90 Ländern bietet SoftwareONE etwa 65 000 Geschäftskunden Software- und Cloud-Lösungen von mehr als 7500 Herstellern. Die SoftwareONE Deutschland GmbH wurde von uns 2019 zur ISO 9001-Zertifizierung begleitet und erwarb diese ohne Abweichungen. Das Tochterunternehmen hat keine QM-Abteilung, sondern ein abteilungsübergreifendes, interdisziplinäres Team von sogenannten Quality Coaches und internen Auditoren, die von uns ausgebildet wurden. Bei der Ausgestaltung ihres Managementsystems setzt die SoftwareONE Deutschland GmbH auf einen dosierten Umfang an Standards, kombiniert mit individuellen Lösungen. Ein formelles QMS gibt es nicht. Flache Hierarchien, gepaart mit einem hohen Maß an Freiheit und Vertrauen, fördern Agilität und Geschwindigkeit. Sieben Core Values sind dafür das Leitbild.
In Abschnitt 6.6 finden Sie ein Interview mit dem „Qualitätsbeauftragten“ Hermann Gusmik.
Es war an einem Freitagnachmittag im Mai 2020, als Peter (QMB) in das Büro von Corinna (CEO) eintrat.
P: Ich habe eine gute Nachricht für Dich. Das ISO-Überwachungsaudit im Juni findet dank CORONA remote statt.
C: Das heißt?
P: Das heißt, dass wir lediglich eine vierstündige Videokonferenz haben und den Auditoren vorab einige Dokumente zusenden müssen.
C: Das ist gut. Ich hatte schon befürchtet, dass uns das Audit wieder mehrere Tage beschäftigen wird. Wer soll teilnehmen?
P: Erst einmal nur wir beide. Eventuell müssen wir kurzfristig noch andere hinzunehmen. Aber ich denke, das wird nicht nötig sein. Ich habe schon alle Unterlagen auf den aktuellen Stand gebracht. Außerdem hatten wir ja beim letzten Mal keine Abweichungen, so dass wir nichts zu befürchten haben.
C: Klingt gut. Ein Audit ist in dieser schwierigen Phase nicht gerade das, was wir gebrauchen können.
Peter schwieg und Corinna bemerkte eine Traurigkeit in seinem Gesicht. Eigentlich wollte sie noch ihre E-Mails checken und beantworten. Doch das konnte auch warten. Sie spürte, dass Peter etwas bedrückte. Peter war nicht die Sorte von Mitarbeitern, die ihre Gefühle nach außen tragen. Er war der ruhige, besonnene Typ. Corinna versuchte mit einem Umweg die Gründe für Peters Traurigkeit herauszufinden.
C: Wie geht es Dir eigentlich zurzeit mit Deinem Job? Bist Du glücklich? Würdest Du Dir irgendetwas wünschen?
P: Na ja, ich bin schon motiviert und mache meine Arbeit so gut ich kann. Und ich glaube auch, dass sie wichtig ist. Aber manchmal würde ich mir wünschen, dass ich nicht so wie ein Interessenvertreter von einem ungeliebten Kind wahrgenommen werde. Sondern dass die Kollegen einfach mit Freude mit mir zusammenarbeiten würden. Damit die Qualität passt. Ich meine, das ist doch wichtig. Das ist doch etwas Großartiges. Darauf können wir dann alle stolz sein.
C: Ja. Das würde ich mir auch wünschen. Dass es wirklich um Qualität geht. Und nicht um Administration, das Erfüllen von Normen, Pflichtübungen. Dass wir als Firma stolz sein können, auf die Produkte, die wir erzeugen. Dass die Menschen stolz sind, daran mitzuarbeiten. Aber diese Qualitätsbürokratie verdirbt einem direkt die Lust auf Qualität. Peter, wir haben da ein gemeinsames Anliegen. Was glaubst Du denn, was sich ändern müsste, damit die Zusammenarbeit der Kollegeninnen und Kollegen mit Dir besser wird?
P: Ich habe darüber schon oft nachgedacht. Ein bisschen was haben wir ja auch schon verbessert. Aber dennoch, wir müssen nun mal die Normen erfüllen, die Audits bestehen. Schließlich wollen wir unsere Zertifikate behalten. Und das ist nun mal mit viel Aufwand verbunden.
C: Ich weiß. Und genau das ist ein Problem für mich bzw. für uns. Gerade jetzt in der Krise, wo es um Kostenbegrenzung und Konzentration auf die Wertschöpfung geht. Glaube mir, ich schätze Dich sehr als Mitarbeiter und würde Dich viel lieber anderweitig einsetzen als primär zur Pflege unseres QM-Systems. Bitte nicht falsch verstehen. Wir benötigen natürlich ein QM-System. Aber vieles davon scheint mir reine Normbefriedigung zu sein, die für Qualität nichts bringt, und hält uns von der eigentlichen Arbeit ab.
P: Ja. Das ist mir auch klar. Aber die Normen müssen wir nun mal erfüllen.
C: Ist schon merkwürdig, oder? Die Normen stehen ja für einen Qualitätsstandard. Ich habe aber das Gefühl, dass sie mehr zusätzliche Arbeit verursachen, als unsere Arbeit zu verbessern.
P: Ist vielleicht auch so. Mir wäre schon geholfen, wenn Du Dich mehr für die ISO interessieren würdest. Ganz so unsinnig ist die Norm nämlich nicht. Aber ich sehe ja, dass Du dafür eigentlich kaum Zeit hast.
C: Klar, aber so kann es ja nicht weitergehen! Vielleicht hilft es, wenn wir gemeinsam mal eine Art Bestandsaufnahme machen? Wir schauen mal – jeder aus seinem Blickwinkel – darauf, was Sinn macht und was nicht und was funktioniert und was nicht.
P: Das klingt gut. Danach wirst Du mich und meine Arbeit sicher auch besser verstehen.
C: Und Du wirst vielleicht meine Sicht und meinen Standpunkt besser verstehen.
P: Dann los, das finde ich richtig gut!
Die Bestandsaufnahme sollte ähnlich wie interne Audits ablaufen, nur dass diesmal Corinna als CEO teilnahm und die Normüberprüfung nicht im Vordergrund stand. Stattdessen sollten in offenen Gesprächen der Sinn und Unsinn des QM reflektiert werden.
1 | Die Verirrung des Qualitätsmanagements |