Über das Buch

Schlägt man eine normale Philosophiegeschichte auf, könnte man meinen, das Denken sei ein Privileg der Männer. Man muss schon hartnäckig suchen, um denkende Frauen zu entdecken. Denn es gab sie, und das nicht erst seit dem letzten Jahrhundert. Und schon immer haben sie auch gelehrt.

Ingeborg Gleichauf stellt 44 Denkerinnen von der Antike bis zur Gegenwart vor. Dabei stehen jeweils die Ideen der Frauen im Mittelpunkt oder die Schulen, denen sie nahestanden.

Eine Philosophiegeschichte, die zeigt, dass Frauen sich schon immer mit dem, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält, beschäftigt haben.

 

 

 

 

Für Riccarda

Inhalt


Einleitung

Hoch geachtet und verspottet: Philosophinnen in der Antike

»Die Dummheit findet an sich selbst Gefallen«: Die christlichen Philosophinnen des Mittelalters

Die Entdeckung der unendlichen Welt im Inneren: Das Zeitalter der Renaissance

Klar und deutlich erkennen: Das 17. Jahrhundert

Die Lust am Erkennen: Das Zeitalter der Aufklärung

Philosophie ist die Schönheit des Denkens: Die Romantik

In sich hinein- und um sich herumschauen: Das 19. Jahrhundert und die Jahrhundertwende

Denken und Handeln: Die Philosophie des 20. Jahrhunderts

Ausblick in die Zukunft

Personenregister

Sachregister

Einleitung

Will man sich über Philosophie informieren, so nimmt man normalerweise eine »Philosophiegeschichte« zur Hand und ist erstaunt: Es scheint sich hierbei um eine reine Männersache zu handeln. Philosophiegeschichte heißt fast immer Philosophengeschichte. Philosophieren Frauen nicht? Gibt es keine Philosophinnen? So jedenfalls war mein erster Eindruck, bevor ich mich auf die Suche nach wenigstens einer »anerkannten« Denkerin machte. Ich nahm mir das 20. Jahrhundert vor, denn dessen Wissenschaft beschäftigt sich mit der Rolle der Frau in nahezu allen Forschungsbereichen: der Kunst, der Literatur, der Musik, den Naturwissenschaften, also vielleicht auch in der Philosophie. Ich stieß dabei auf die Denkerin und Politologin Hannah Arendt. Was mir bei ihr von Anfang an gefiel, war, dass sie eine Scheu vor der Philosophie als akademischem Fachgebiet hatte und vor den »Denkern von Gewerbe«, wie sie sich ausdrückte. Sie war der Meinung, jeder Mensch habe die Fähigkeit in sich, philosophisch zu denken. Philosophieren ist also ein menschliches Bedürfnis, eine Fähigkeit, die nicht nur Fachleuten zukommt.

Auch Frauen haben selbstverständlich zu allen Zeiten intensiv nachgedacht über die Welt, über sich selbst, über den Sinn des Lebens. Auch Frauen kennen den Wunsch, sich zurückzuziehen aus den Alltagsgeschäften, in sich versunken dazusitzen, lange Spaziergänge zu machen, allein oder im Gespräch mit einem anderen Menschen.

Zum Aufschreiben und systematischen Ordnen der Gedanken hatten Frauen vergangener Jahrhunderte meistens nicht die Zeit und die Möglichkeiten, die Männer hatten. In der Wissenschaft heißt das dann, die Quellenlage sei schlecht. Die Quellenlage ist aber auch deshalb schlecht, weil mit den schriftlichen Zeugnissen von Frauen viel schlampiger und nachlässiger umgegangen wurde als mit denen von Männern. Man muss schon große Lust an archäologischer Arbeit haben, um die Geduld nicht zu verlieren. Wir wissen von Philosophinnen oft nur durch die Berichte oder Erzählungen anderer. Originaltexte sind selten erhalten, manchmal bewusst gefälscht oder zum Verschwinden gebracht worden. Die Geschichte der Philosophinnen ist auch die Geschichte ihres Kampfes um Anerkennung der Leistung, die sie erbracht haben. Viel häufiger als ihre männlichen Kollegen waren denkende Frauen der Herabsetzung und dem Klatsch ausgesetzt. Ihr Privatleben stieß dabei auf mehr Neugierde als ihre Philosophie. Das ist zum Teil sogar heute noch so. Umso wichtiger ist es, sich den Philosophien von Frauen zuzuwenden, ihnen »nachzudenken«, ihren speziellen Anteil an der Philosophiegeschichte herauszuarbeiten.

Hoch geachtet und verspottet: Philosophinnen in der Antike

Die Auffassung, dass das Philosophieren – das Nachdenken über die Welt, ihre Entstehung, über das Woher und Wohin des Menschen – etwas ganz Natürliches und dem Menschen Innewohnendes ist, hat seinen Ursprung im antiken Griechenland.

Die Griechen staunen über die Welt, die Natur, den Menschen. Das, was erscheint, wird nicht selbstverständlich hingenommen, sondern regt zum Nachdenken an. Man erzählt sich nicht mehr einfach Geschichten über das Entstehen der Welt und das Zusammenwirken von Natur und Mensch, sondern man will es genauer wissen. Was steckt hinter all dem, was wir erleben und wahrnehmen? Gibt es etwas Unveränderliches, eine Wahrheit jenseits dessen, womit wir uns täglich beschäftigen? Welche Rolle spielt die Erkenntnis, und wie funktioniert sie überhaupt? Was können wir wissen, und was entzieht sich unserem Denken? In welcher Beziehung steht das Denken zum Handeln? Was ist als gut zu bezeichnen, was als schlecht? Wie können wir glücklich werden? Diese Fragen stellt die Philosophie seit jeher bis heute. Bereits die ersten Philosophinnen und Philosophen formulierten sie.

Die frühesten uns bekannten Philosophinnen stammen aus dem Umkreis von Pythagoras (ungefähr 570–497 v. Chr.). Pythagoras gab seine Lehre nur mündlich weiter. Er glaubte an die Wiedergeburt der Seele und vertrat die Meinung, dass man dem ewigen Kreislauf aus Leben und Tod nur entkommen könne, wenn man ein frommes und reines Leben führe. Pythagoras war auch ein großer Mathematiker. Er versammelte eine Gruppe von Frauen und Männern um sich, die begeistert war von seiner Lehre und sie weiterverbreitete. Fast könnte man von einer Art esoterischem Zirkel sprechen.

Die berühmteste Pythagoreerin war Theano von Kroton.

Phintys

(um 400 v. Chr.)

Phintys hat in Sparta gelebt. Sie war die Tochter eines Generals. Mehr ist über ihr Leben nicht herauszufinden. Phintys war Anhängerin der pythagoreischen Lehre. Sie hat eine Schrift zum moralischen Verhalten der Frau verfasst. Darin geht es ihr vor allem darum, zu zeigen, wie wichtig es ist, in Harmonie mit sich zu leben, nichts zu übertreiben, Maß zu halten in allen Dingen. Das ist eine uns bereits vertraute Haltung. Die Mäßigung ist in Phintys’ Meinung bevorzugt von den Männern zu erwarten, die das öffentliche Leben bestimmen. Das Philosophieren spricht Phintys aber beiden Geschlechtern zu: »Viele sind vielleicht der Meinung, dass es für das Weib nicht passend ist zu philosophieren, so wenig wie das Reiten oder in der Volksversammlung sprechen. Ich aber glaube, dass manches dem Manne, anderes dem Weibe eigentümlich, anderes Mann und Weib gemeinsam.« Mann und Frau gemeinsam sollten »Tapferkeit, Gerechtigkeit und Einsicht« üben.

Phintys hat sich also hauptsächlich Gedanken über das richtige Handeln gemacht. Der Bereich der Philosophie, der sich um das Handeln kümmert, heißt Ethik. Sie stellt die Frage: »Was sollen wir tun?« Die Ethik ist ein Teilgebiet der Philosophie. Sie betrifft deren praktische Seite. Das Wort kommt aus dem Griechischen und heißt »ethos«, was mit »Sitte« übersetzt werden kann. Die Ethik als Wissenschaft ist zuerst von Aristoteles in die Welt gesetzt worden. Auch für Phintys stand sie im Mittelpunkt des Philosophierens. Damit aber muss ein Vorurteil gleich ausgeräumt werden: Obwohl gerade das Nachdenken über das Handeln des Menschen bei Denkerinnen einen großen Raum einnimmt, kann man nicht sagen, dass sie eben einfach praktischer orientiert sind und die Theorie nur dann zulassen, wenn sie sich direkt auf die Praxis anwenden lässt.

Periktione

(440–365 v. Chr)

Periktione ist die Mutter Platons und entstammte einer wohlhabenden Familie. Sie hatte außer Platon drei weitere Kinder und war zweimal verheiratet. Sie war überzeugt, dass der Sinn der Philosophie darin bestehe, allen Dingen auf den Grund zu gehen, ihr Wesentliches zu erfassen, also Metaphysik zu sein. Hier offenbart sich ein ursprüngliches Interesse an der Arbeit des Erkennenwollens, wobei ein Schwerpunkt auch auf dem Begriff Arbeit liegt. Man muss sich schon anstrengen beim Denken. Erkenntnis ergibt sich nicht einfach so. Es geht auch in der Philosophie von Frauen nie darum, Lebenshilferezepte zu liefern. Die philosophische Gedankenarbeit ist hart und erfordert Geduld, aber sie ist gleichzeitig sehr lebendig und bleibt stets auf die Lebenspraxis bezogen. Periktione hat eine Schrift »Über die Weisheit« verfasst. Darin heißt es: »Die Menschheit ist geboren und lebt, um das Prinzip der Natur als Ganzes zu betrachten. Die Aufgabe der Weisheit besteht darin, Besitz von den Dingen zu erlangen und den Zweck der Dinge zu erfassen.«

Die »Natur als Ganzes«, das heißt, den Kosmos, die Welt als solche in den Blick zu nehmen, sich nicht bei den Einzelheiten aufzuhalten. Das ist nach Periktione Philosophie. Die Menschen leben von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag, sie tun ihre Arbeit, erziehen ihre Kinder, machen Politik, feiern Feste, bebauen das Feld, schauen sich dies und das an, machen sich ihre Gedanken über dies und jenes. Das aber ist noch nicht Philosophie. Philosophie ereignet sich erst, wenn der Mensch einen Abstand herstellt zwischen sich und dem, was ihn täglich beschäftigt, und sich die Frage nach dem Woher und Wohin, nach dem Sinn des Ganzen stellt.

»Die Dummheit findet an sich selbst Gefallen«: Die christlichen Philosophinnen des Mittelalters

Hypatia war ein Opfer christlicher Eiferer geworden. Sie war die letzte uns bekannte »heidnische« Philosophin der Antike. Der Siegeszug des Christentums ging unaufhaltsam weiter und beeinflusste zunehmend das gesamte geistige Leben. Je stärker die Position der Kirche in der Gesellschaft wurde, desto weniger Rechte hatten die Frauen. Was die Philosophie betrifft, so wurde sie immer mehr zu einer Hilfswissenschaft der Theologie. Die Theologie und damit auch der »rechte«, von der Amtskirche vertretene Glaube durften nicht erschüttert werden. Sie stand an oberster Stelle. Die Philosophie hatte die Aufgabe, Argumente zu liefern, die die kirchliche Glaubenslehre stützen sollten.

Über philosophierende Frauen ist uns aus der frühen mittelalterlichen Zeit sehr wenig bekannt, und das, obwohl vor allem adlige Frauen im Prinzip sehr gebildet waren, meist sogar gebildeter als ihre Männer. Blieben sie unverheiratet, so traten sie oft in ein Kloster ein, wo sie die Möglichkeit hatten, ihr Wissen zu erweitern. Mit Sicherheit haben nicht wenige von ihnen eigenständige philosophische Gedanken entwickelt.

Erst ab dem 11. Jahrhundert, dem Beginn des Hochmittelalters, sind einige Philosophinnen so anerkannt gewesen, dass ihre Werke überliefert wurden. Das Christentum war mittlerweile die vorherrschende Religion im gesamten europäischen Raum geworden. Es war für die Menschen der oberste Maßstab, vor allem auch im Bereich des Handelns und der alltäglichen Lebenspraxis.

Für die gesamte Philosophie jener Zeit stand also der christliche Gott im Mittelpunkt. Eine Frage bildete sich immer stärker heraus: Wie lässt sich der Glaube an Gott mit der Vernunft verbinden? Ist es überhaupt zulässig, als gläubiger Mensch zu philosophieren, und wohin kann das freie Denken einen führen? Stehen Glauben und Denken einander unversöhnlich gegenüber, oder können sie sich vielleicht sogar gegenseitig befruchten? Die gesamte Philosophie des Hochmittelalters beschäftigte sich auch mit dieser Frage.

Die Lage der Frauen hatte sich inzwischen insofern verbessert, als sie weit mehr Berufe ausüben konnten als noch im frühen Mittelalter. Es gab zum Beispiel Händlerinnen und Schreiberinnen. Die Schreiberinnen hatten die Aufgabe, Abschriften von bedeutenden Werken zu machen. Das Schreiben war für Frauen überhaupt die einzige Möglichkeit, ihren Gedanken und Empfindungen Ausdruck zu verleihen. Öffentlich sprechen durften sie nämlich auf Anweisung der Kirche nicht. Die sah in der Frau im Vergleich zum Mann ein grundsätzlich minderwertiges Wesen. Selbst die bedeutenden Philosophen Thomas von Aquin (um 1225–1274) und Albertus Magnus (1200–1280) waren der Meinung, die Frau stünde in jeder Hinsicht tiefer als der Mann.

Gegen diese Ansicht hatten aber einige bedeutende Philosophinnen des Mittelalters entschieden etwas einzuwenden. Sie suchten und fanden eine Art philosophisches Schlupfloch, das ihnen ermöglichte, sich denkerisch zu entfalten. Dies Schlupfloch trägt den Namen Mystik. Das Wort Mystik stammt vom griechischen »myein« und heißt »die Augen schließen«. Als Gegenbewegung zur vernunftorientierten Scholastik verstand sich die Mystik als eine Philosophie der offenen Seele, des geheimnisvollen Wissens. So steht für die Mystik nicht die Ratio, der Intellekt, im Vordergrund, sondern das demütige Hören auf das, was Gott uns zu sagen hat. Eigeninteressen haben zu schweigen, das Ich ist ganz unbedeutend. Die Hingabe an das göttliche Wort ist die Bedingung dafür, es auch wirklich hören zu können.

Vier der fünf Philosophinnen des Mittelalters, die hier besprochen werden, haben sich der Mystik zugewandt und innerhalb dieser philosophischen Richtung spannende Gedanken entwickelt.

Mechthild von Magdeburg

(etwa 1212 bis etwa 1283)

Auch Mechthild von Magdeburgs Leben liegt weitgehend im Dunkeln. Im Alter von 20 Jahren entschloss sie sich, als Begine zu leben. Die Beginen waren religiöse Gemeinschaften, in denen Frauen ohne Klostergelübde zurückgezogen und asketisch lebten. Sie übten sich in Demut, Keuschheit, Gebet und durften keine Reichtümer anhäufen. Für ihren Lebensunterhalt mussten sie selbst sorgen. Viele Beginen arbeiteten als Lehrerinnen.

In ein »echtes« Kloster trat Mechthild erst 40 Jahre später ein. Im Alter von 60 Jahren wurde sie Zisterzienserin im Kloster Helfta in Thüringen. Zu dieser Zeit hatte die katholische Kirche angefangen, die Beginen zu verfolgen. Sie wurden als Ketzer gebrandmarkt.

Auch Mechthild erzählte von Visionen, die sie seit dem zwölften Lebensjahr heimsuchten. Sie schrieb diese Erlebnisse schweren Herzens nieder: »Ich fürchte Gott, wenn ich schweige, und fürchte aber unverständige Menschen, wenn ich schreibe.« Ihrem Buch gab sie den Titel »Das fließende Licht der Gottheit«.

Mechthild hat sich selbst für nicht besonders gebildet gehalten, was nicht ganz stimmen kann, denn immerhin stand sie mit ihrem Bruder Balduin in regem Briefwechsel, und der war Subprior im Dominikanerkloster in Halle und ein hoch gebildeter Mann. Mechthild begann etwa um 1250 mit dem Aufschreiben ihrer Gedanken und Erlebnisse.

Zwischen den beiden Welten, der irdischen, zeitlich begrenzten und der göttlichen, ewigen, fühlt sich Mechthild hin- und hergerissen. Um zu zeigen, wie sie ihr Streben über das alltägliche Leben hinaus erlebt, benutzt sie das Bild des Tanzes. Beim Tanzen berühren die Füße nicht mehr so richtig den Boden, sondern heben immer wieder ab, wobei es Mechthild vor allem die Sprünge angetan haben. Der Geist sollte beweglich sein und in einem unaufhörlichen Tanzen versuchen, die Grenze, die ihm gesetzt ist, zu überschreiten.

Die Mystikerin denkt sich das Herantasten an den metaphysischen Bereich nicht als logisch aufgebaute Stufenfolge, sondern als Auf und Ab, als Kreisen und Wirbeln und Springen.

Große Bedeutung hat für Mechthild das geschriebene Wort, in dem ihr Kampf um Erkenntnis für andere Menschen nachzulesen ist und dadurch weiterwirkt. Worte können in ihren Augen Fackeln sein, unzerstörbare Flammen. Eine starke Empfindungskraft und ein glasklarer Verstand wirken zusammen, wenn es um höchste Erkenntnis geht.

Als Mechthild im Kloster Helfta von jungen Nonnen um Hilfe beim Lernen gebeten wurde, sagte sie: »Was ihr verlangt, das findet ihr tausendfach in euren Büchern.« Aufmerksamkeit und Disziplin sind gefordert, Konzentration und ein sehr gutes Gedächtnis. In ihrer so überaus positiven Einschätzung des geschriebenen Wortes unterscheiden sich die mittelalterlichen Philosophinnen und Philosophen von denen der Antike, bei denen das gesprochene Wort vor dem geschriebenen stand.

Ein großes Thema ist für Mechthild auch die Auseinandersetzung mit Gut und Böse. Sie glaubt beobachten zu können, dass das Böse sich versteckt, die Tarnung liebt. Den Menschen fällt es schwer, Böses zu erkennen. Sie müssen durch die Masken des Bösen hindurchschauen und ihre Einfalt ablegen.

Mechthild kritisiert auch das Heuchlerische innerhalb der Kirche ihrer Zeit. Das brachte ihr viel Feindschaft ein. Zeitweise wurde sie sogar vom Gottesdienst ausgeschlossen. Sie war also, wenn auch nicht so intensiv wie Hildegard, eine Frau des öffentlichen Lebens. Auch Mechthild sagte ihre Meinung, wenn es darum ging, Missstände aufzudecken. Auch sie war ein politischer Mensch. Die Begegnung mit Gott war für sie auch ein Aufruf, nicht wegzuschauen, sondern sich aktiv zu beteiligen an den Auseinandersetzungen innerhalb der Gesellschaft.

Die Formen, in denen Mechthild ihre Gedanken unterbrachte, waren sehr vielfältig: Sprüche, Aphorismen, Gedichte, Lieder, Gebete, kleine theoretische Abhandlungen. Hier tritt etwas zutage, was für Philosophinnen charakteristisch ist: Sie lassen sich nicht gern auf eine sprachliche Form festlegen, sondern probieren Unterschiedliches aus.

Diese sieben Dinge sollen wir üben:
gerecht im Leben,
barmherzig in der Not,
getreu in der Gemeinschaft,
hilfsbereit im Verborgenen,
in Not und Elend schweigen,
voll der Wahrheit sein,
der Lüge Feind sein.

MECHTHILD VON MAGDEBURG:
DAS FLIESSENDE LICHT DER GOTTHEIT.
AUS: »ICH TANZE, WENN DU MICH FÜHRST.«

Die Entdeckung der unendlichen Welt im Inneren: Das Zeitalter der Renaissance

Die Philosophinnen des Mittelalters lebten nicht mehr so gefährlich wie ihre antiken Vorgängerinnen. Und dennoch war es noch längst nicht so, dass die Philosophie zu einem anerkannten Frauengeschäft geworden wäre. Am leichtesten hatten es die, die sich in den Schutz eines Klosters begaben. Sie vor allem hatten die Muße, die ein intensives Nachdenken fordert. Zog man ein weltliches Leben vor, so musste man als denkende Frau mit dem Spott der gebildeten Männerwelt rechnen. Man musste eine Kämpfernatur sein, um all die Widerstände zu überwinden.

Die mittelalterlichen Philosophinnen verbindet die enge Zusammengehörigkeit von Glauben und Wissen. Die Gewissheit, dass Gott als Erschaffer der Erde an höchster Stelle zu stehen habe, wurde nicht bezweifelt. Genauso klar war aber auch, dass wir Menschen unseren Verstand bekommen haben, um ihn zu nutzen. Die Aufgabe des Denkens muss es sein, das Leben so wertvoll zu machen wie nur irgend möglich. Denken und Handeln sollten eine enge Verbindung eingehen. Die praktische Philosophie oder Ethik steht im Mittelpunkt dieser Philosophien. Dies gilt selbst für die Mystikerinnen. Das Prinzip Verantwortung wird als oberster Grundsatz angesehen.

Zwischen etwa 1350 und 1650 lebte vor allem in Italien die Antike noch einmal auf. Renaissance, auf Deutsch Wiedergeburt, nennt man diese Epoche. Eine Zeit großer wissenschaftlicher und künstlerischer Leistungen begann. Die Menschen fingen an, sich selbst stärker als je zuvor in den Mittelpunkt zu stellen. Die alte Demut Gott gegenüber wurde hinterfragt. Die Wissenschaft wurde zunehmend auch von Laien betrieben und nicht mehr in der Hauptsache von Mönchen. Viele männliche Genies aus dieser Zeit gelangten zu Weltruhm: Leonardo da Vinci, Michelangelo, Kopernikus und nicht zuletzt der Erfinder der Buchdruckerkunst, Johannes Gutenberg. Bildung, Forschung, Erkenntnis – das waren die Zauberwörter. Zu einer umfassenden Bildung aber gehörten Kenntnisse in der Philosophie sowie in den Sprachen, in Mathematik, Naturwissenschaft und in Rhetorik selbstverständlich dazu. Hiervon waren die Frauen der oberen Stände nicht ausgeschlossen. Für sie gab es in der Renaissance mehrere Möglichkeiten, sich zu bilden. Da war zum Beispiel die Politikerin, die einer guten Ausbildung bedurfte. Hier können Katharina von Medici und Elisabeth I. von England genannt werden. Eine Rolle begann die Frau auch als Gelehrte zu spielen, wobei die Verbindung von Schönheit und Geist als besonders reizvoll erschien. Die Bildungsmöglichkeiten endeten allerdings normalerweise mit der Ehe, denn von da an hatte die Frau andere Pflichten zu erfüllen.

Der Mensch der Renaissance eröffnete sich neue Bereiche, zu denen vor allem auch der unendliche Raum im Inneren der Person gehörte. So, wie sich außerhalb von mir eine Weite und eine Tiefe auftun, so auch in meinem Inneren. Schaue ich in mich selbst hinein, so habe ich den Eindruck, in ein grenzenloses Reich vorzustoßen. Diese Erfahrung wurde in der Renaissance zum ersten Mal bewusst gemacht. Damit ging auch ein anderer Umgang mit der Welt einher. Die Menschen hatten nicht mehr einfach den Eindruck, ein Teil der Welt zu sein, ihren Platz darin einzunehmen, sondern wurden zu Beobachtern. Die Welt wurde nun vom Menschen her in den Blick genommen. Sie stand ihm fortan gegenüber als Gegenstand der Erforschung und Bearbeitung. Der denkende Mensch erlebte eine ganz neue Unabhängigkeit.

Die Philosophie der Renaissance war außerdem geprägt von einer starken Hinwendung zum antiken Gedankengut. Vor allem Platon wurde erneut intensiv studiert.

Die Position der Kirche wurde dadurch schwächer, was zur Folge hatte, dass es zu einer brutalen Verfolgung derer kam, die die Lehre der Kirche »verunreinigten«. In Zusammenhang mit der Inquisition gab es die sogenannten »Hexenverfolgungen«, denen vor allem Frauen zum Opfer fielen. Die Frau wurde von der Kirche mit dem Chaotischen in Verbindung gebracht, weil es sie dazu verführe, mit dem Teufel zu paktieren. Frauen galten als Übeltäterinnen an der Sache Gottes, und es war schwer, die Errungenschaften, die sie sich im 15. Jahrhundert erkämpft hatten, zu verteidigen.

Trotzdem war die Renaissance reich an Philosophinnen, die sich trotz aller Unterdrückung nicht von einem freien Denken abbringen ließen.

Klar und deutlich erkennen: Das 17. Jahrhundert

So war die Renaissance eine philosophiegeschichtliche Epoche, in der sich die Frauen zum ersten Mal ihrer denkerischen Eigenständigkeit bewusst wurden und gleichzeitig die Diskriminierung ihres Geschlechts in aller Deutlichkeit kritisierten. Sie begannen, den Blick in ihr Inneres zu werfen, und entdeckten eine Vielfalt an Möglichkeiten, Begabungen, an bislang ungenutzten Fähigkeiten. Und sie wollten es fortan nicht mehr den Männern gestatten, sich als Herrscher über das Reich der Philosophie aufzuspielen.

Eine neue Zeit hatte begonnen, und tatsächlich spricht man vom 16. und vor allem vom 17. Jahrhundert als dem Beginn der »Neuzeit«. Die Kennzeichen dieser neuen Zeit sind vielfältig: Die Entwicklung der Naturwissenschaften macht große Fortschritte, die Bedeutung der Mathematik ist immens, die Beherrschbarkeit der Natur scheint möglicher denn je. Dennoch haben wir es auch mit einer Zeit zu tun, in der es nicht an Zweifel und Skeptizismus mangelt.

Der berühmteste Philosoph des 17. Jahrhunderts ist der Franzose René Descartes (1596–1650). Ihn nennt man den »Vater der modernen Philosophie«. Er radikalisierte die philosophischen Ansätze der Renaissance noch einmal. An allem kann seiner Meinung nach gezweifelt werden, alles kann eine Täuschung sein, vor allem das, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. Wer sagt mir denn, dass nicht ein betrügerischer Geist mich an der Nase herumführt und mir etwas vorgaukelt, was gar nicht existiert? Diesen totalen Zweifel nimmt Descartes als Ausgangspunkt seiner »Meditationes«, wie er seine philosophische Methode nennt. Was bleibt, wenn an allem gezweifelt wird? Nach Descartes ist die einzige unbezweifelbare Tatsache das Bewusstsein, das zweifelt. Ich denke, also bin ich, »cogito, ergo sum«, so lautet die Schlussfolgerung von Descartes. Aber wieso Radikalisierung des Grundgedankens der Renaissance? Weil nicht mehr der ganze Mensch im Zentrum steht, sondern vor allem das Denken, das Bewusstsein. Dies ist neu. Damit wird dem Bewusstsein eine ungeheure Bedeutung zugestanden. Mit seiner Rationalität ist der Mensch in der Lage, das Universum gedanklich zu verstehen. Descartes unterscheidet strikt zwischen der »res extensa« als der ausgedehnten Substanz, womit er die sinnlich wahrnehmbare, dingliche Welt bezeichnet, und der »res cogitans« als der denkenden Substanz, die das Bewusstsein meint. Er unterscheidet also Körper und Geist. Eine solch eindeutige Meinung muss auch kritische Denkerinnen herausfordern.

Anne Finch Conway

(1631–1679)

Auch Anne Finch Conway kann eine Scientific Lady genannt werden. Sie wurde in London geboren. Ihr Vater starb noch vor ihrer Geburt, und die Mutter musste ihre elf Kinder allein großziehen. Anne Finch Conway brachte sich mehrere Sprachen bei und zeigte schon früh Interesse an philosophischen Abhandlungen. Obwohl sie seit ihrer Kindheit an starken Migräneanfällen litt, konnte sie das nicht daran hindern, intensive Studien zu betreiben. Im Jahr 1645 begegnete sie dem Philosophen Henry More und wurde seine eifrigste und begabteste Schülerin. Er widmete ihr sogar seine Schriften. More schrieb vor allem philosophische Gedichte. Durch ihn lernte Anne Finch Descartes’ Philosophie kennen.

Im Jahr 1651 heiratete sie Edward Conway. Sie bewohnten den Landsitz der Conways und veranstalteten philosophische Treffen; 1670 traf Finch Conway den Wandergelehrten Franciscus Mercurius van Helmont, mit dem sie bis zu ihrem Tod eine tiefe Freundschaft verband. Im Gespräch mit ihm entstanden viele ihrer philosophischen Grundgedanken. Er machte sie auch mit der jüdischen Geheimlehre, der Kabbala, bekannt. Von der Migräne konnte jedoch auch Helmont, der sich als Heiler versuchte, sie nicht befreien. Bis zu ihrem Tod 1679 verbrachte Lady Conway viele Tage und sogar Wochen in abgedunkelten Räumen.

Von Anne Finch Conway ist nur ein Manuskript erhalten: »The Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy«.

Wie Cavendish denkt auch Conway die Natur als lebendigen Organismus und nicht als Maschine. Auch sie kritisiert Descartes: »Denn die cartesianische Philosophie sagt, dass jeder Körper bloß tote Masse sei, nicht nur ohne jede Art von Leben und Empfindung, sondern dazu auch in alle Ewigkeit absolut unfähig; dieser große Irrtum muss auch all jenen angelastet werden, die behaupten, dass Körper und Geist gegensätzliche Dinge seien und nicht ineinander überführbar, sodass sie einem Körper jegliches Leben und Empfinden absprechen.«

In Conways Philosophie hat jeder Körper Leben. Körper und Seele sind aus der gleichen Substanz und haben nur unterschiedliche Formen. Den Körper beschreibt sie als verdichteten Geist, den Geist als flüchtigen Körper. Allem Lebendigen wohnt eine Ursubstanz inne, die Conway »Monade« nennt. Das Wort Monade ist vom griechischen »monas« abgeleitet und bedeutet Einheit. Die Monade ist für Conway die in der Natur wirkende Substanz. Sie ist unwandelbar und unteilbar, individuell und spiegelt doch jeweils das Ganze des Universums.

Die Ur-Monade ist für Conway Gott. Er hat alles geschaffen, ist körperlos und steht außerhalb der Zeit. Gott kann nicht begriffen werden.

In die Philosophiegeschichte ist der Begriff der Monade allerdings nicht durch Lady Conway eingegangen, sondern durch Gottfried Wilhelm Leibniz

Angenommen, ein großer Kreis oder ein Rad dreht sich um sein Zentrum, das immer ruhig an dieser einen Stelle verweilt. Wie manche glauben, wird in der gleichen Weise die Sonne von irgendeinem Engel oder Geist, der in der Mitte bleibt, in einer bestimmten Anzahl von Tagen um das eigene Zentrum gedreht. Obwohl das Zentrum das Ganze bewegt und eine große und kontinuierliche Bewegung erzeugt, bleibt es doch selbst immer still und wird auf keine Weise bewegt. Und um wie viel mehr ist dies wahr für Gott, der die erste bewegende Kraft aller Geschöpfe ist entsprechend all ihren wirklichen und bestimmten Bewegungen. Er jedoch wird von ihnen nicht bewegt.

ANNE FINCH CONWAY:
DIE PRINZIPIEN DER ÄLTESTEN UND
DER GEGENWÄRTIGEN PHILOSOPHIE