OPTIMIERUNG DES MENSCHEN
Gesellschaftspolitische Texte des
Lern- und Gedenkorts Schloss Hartheim
Band 2
Beiträge der 5. Internationalen Hartheim Konferenz
© 2020 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck
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ISBN 978-3-7065-6100-6
Lektorat: Sabine Fuchs, Clemens Gruber
Satz und Umschlag: StudienVerlag/Maria Strobl – www.gestro.at
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Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer
Geleitwort – Die vielen Seiten einer „Optimierung des Menschen“
Vorwort der Herausgeber
Michael Köhlmeier und Konrad Paul Liessmann
Der optimierte Mensch – ein Gespräch
Michael Wunder
Ist der Mensch verbesserungswürdig? Die alten und die neuen Träume der Genetiker
Benjamin Gregg
Vom Nutzen und Nachteil der Biotechnik: Zur normativen Einschätzung der Humangenmanipulation
Eva Maria Bachinger
Genetische Optimierung: Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin – Wahlkind durch PID
† Rainer Müller
Optimierung des Selbst, Human Enhancement, Präzisionsmedizin, Big Data und Public Health
Karin Harrasser
Disability und Technik. Eine riskante Allianz
Michael Girkinger
Die Selbstoptimierung der Persönlichkeit. Warum Glück und Erfolg am Persönlichkeitsbildungsmarkt so stark nachgefragt werden – Eine ambivalente Diagnose
Tobias Eichinger
Gesund machen oder Gesundheit machen? Philosophische Anmerkungen zu einem Grundbegriff der Medizin
Dierk Spreen
Über den Menschen hinaus? Upgradekultur und Transhumanismus
Markus Jansen
Das größte Menschenexperiment aller Zeiten. Google und der Transhumanismus
Autorinnen und Autoren
Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer
Der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim ist nicht nur Ort der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus und an dieses dunkelste Kapitel unserer Geschichte. Er hat sich zu einer zentralen Forschungsstätte und einem Ort der Wissensvermittlung im Hinblick auf zeithistorische und ethische Fragen, insbesondere im Kontext von Beeinträchtigungen und Behinderungen entwickelt.
Ein besonderer Höhepunkt des gesellschaftspolitischen und ethisch-philosophischen Diskurses hat im November 2016 in Form der 5. Internationalen Hartheim Konferenz zum Thema „Die Optimierung des Menschen“ stattgefunden.
Die Unterlagen der verschiedenen Vorträge zu diesem inhaltsreichen Themenkomplex liegen jetzt zusammengefasst als Publikation vor. Diese bietet einen umfangreichen Überblick über die aktuelle Entwicklung, von der genetischen Optimierung, der Präimplantationsdiagnostik, Fortpflanzungsmedizin und dem „Designerbaby“, hin zum Thema Gesundheit in all seinen Facetten. Dem Thema Disability und Technik, der Frage der Verbesserung des menschlichen Körpers hin zum Cyborg, wird ebenso viel Platz gewidmet.
Die Optimierung des Menschen ist ebenso ein politisches Thema, das Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat. Wesentlich ist daher, diesem Diskurs Raum zu geben und ihn zu fördern, auch Bewusstsein zu schaffen, um bedenkliche Entwicklungen im Auge zu behalten und auch gegensteuern zu können.
Die Selbstoptimierung der Persönlichkeit zeigt als umfangreicher Themenkomplex ebenso Potentiale wie Ohnmachtsängste auf. Die Grenze zwischen Sonnen- und Schattenseiten liegen hier, wie in dieser Schriftenreihe dargelegt, öfter näher beieinander als man glaubt.
Diese Publikation bietet somit spannende Inhalte für alle Interessierten. Ich bedanke mich für das Engagement und die wissenschaftliche Expertise, die in ihrer Widersprüchlichkeit auch Raum für tabuisierte Themen bietet und zur intensiven Auseinandersetzung einlädt.
Von 18. bis 20. November 2016 fand im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim die fünfte Internationale Hartheim Konferenz statt, die sich dem Thema „Optimierung des Menschen“ widmete. Die Beiträge dieser Tagung werden nun in der vorliegenden Publikation der Öffentlichkeit präsentiert.
Da dies die erste Publikation von Ergebnissen der Internationalen Hartheim Konferenz ist, soll einleitend auf die Entstehungsgeschichte des Ortes wie der Tagung kurz eingegangen werden.
Das Konzept des Lern- und Gedenkorts Schloss Hartheim baut auf dem Grundsatz auf, die Historie des Ortes nicht isoliert zu betrachten und darzustellen, sondern zu versuchen, diese in einem ideengeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Kontext zu verorten. So besteht der 2003 eröffnete Lern- und Gedenkort aus der Gedenkstätte für die Opfer der nationalsozialistischen Euthanasieverbrechen im Rahmen der „Aktionen“ „T4“ und „14f13“ und aus der Dauerausstellung „Wert des Lebens“, mittels derer die angesprochene Kontextualisierung geleistet werden soll. Diese Ausstellung wird derzeit grundlegend überarbeitet und neu gestaltet; sie soll noch 2020 wieder eröffnet werden. Wie schon in der ursprünglichen Ausstellung steht der gesellschaftliche Umgang mit Menschen, die als „unbrauchbar“ definiert wurden (und werden) im Mittelpunkt. Damit verbunden behandelt die Ausstellung Fragen aus den Bereichen Ethik, Biotechnik und Biomedizin, Sozial- und Gesellschaftspolitik. Der Zeitraum erstreckt sich von der Zeit der Aufklärung bis in die Gegenwart.
Ein weiterer wichtiger Schritt dieser Kontextualisierung war die Gründung der Internationalen Hartheim Konferenz im Jahr 2007. Die Initiative ging vom damaligen Obmann des Vereins Schloss Hartheim, Georg Starhemberg, und dem damaligen Geschäftsführer der Stiftung Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim, Dr. Reinhard Dyk, aus.
Diese erste Internationale Hartheim Konferenz befasste sich mit dem Thema „Sinn und Schuldigkeit. Fragen am Lebensende“. Die Themen der folgenden Hartheim Konferenzen – 2009: Ambivalenzen der Biowissenschaften, 2012: Biologisierung des Sozialen, 2014: Demenz. Ethische und sozialpolitische Herausforderungen, und jenes von 2016: Optimierung des Menschen – stellen sich der Herausforderung, gesellschaftspolitisch relevante Fragestellungen der Gegenwart aufzugreifen und vor dem Hintergrund der Geschichte dieses Ortes zu reflektieren.
In der vorliegenden Publikation der Beiträge der fünften Internationalen Hartheim Konferenz werden die verschiedenen Dimensionen von Optimierungsstrategien diskutiert und auch grundsätzliche Fragen nach Sinn und Nutzen, nach Problemen und Folgen einschlägiger Strategien gestellt.
Am Anfang aber steht eine künstlerisch-philosophische Annäherung an das Thema: Michael Köhlmeier und Konrad Paul Liessmann sprechen über den optimierten Menschen (basierend auf ihrem Buch: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam?), und es ist ein großes intellektuelles Vergnügen, diesem Gespräch, das für den vorliegenden Band aufgezeichnet und transkribiert wurde, zu folgen. Der Dichter und der Philosoph nehmen antike Mythologie, christliche Schöpfungsgeschichte und eine christliche Heiligenlegende zum Ausgangspunkt ihrer Reflexion und stoßen dabei überraschende Einsichten an.
Daran schließen die Beiträge der FachwissenschafterInnen an. Die Themenblöcke setzen sich zum einen mit Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin auseinander: Michael Wunder beleuchtet die Konzeptionen einer genetischen Verbesserung des Menschen und ihrer philosophischen Prämissen und zieht Linien der Kontinuität vom Genetikermanifest 1939 bis zur gegenwärtigen Diskussion um genetic enhancement. Benjamin Greggs Beitrag fokussiert auf den Prozess, der in einer demokratischen Gesellschaft den Einsatz humangenetischer Maßnahmen regulieren soll und versucht, deren philosophische Grundlagen zu definieren. Eva Maria Bachinger setzt sich mit den Versprechen der Fortpflanzungsmedizin und ihrer diagnostischen Verfahren auseinander und reflektiert deren ethische und sozialpolitische Voraussetzungen und Konsequenzen. „Die Optimierung des Menschen“ ist Rainer Müller folgend zwischen Dialektik der Aufklärung und Emanzipation vor dem Hintergrund der Entwicklung des demokratischen Rechts- und Sozialstaates zu betrachten. Wohin sich Demokratie, Wohlfahrtsstaat und Public Health in Folge der aktuellen naturwissenschaftlich-technischen Entwicklungen und der Digitalisierung, die derzeit verstärkt Lebens- und Arbeitswelten, Subjektivität und soziale Handlungsweisen verändern, entwickeln, ist laut Rainer Müllers Beitrag noch nicht absehbar. Karin Harrasser widmet sich der „riskanten Allianz“ von Behinderung und Technik. Neue Technologien können für Menschen mit Behinderungen – sofern sie ihnen zugänglich sind – Teilhabe ermöglichen, aber auch zum Normalisierungs- und Anpassungsinstrument werden, das andere Zugänge zu und Perspektiven auf Behinderung verdrängt und neue Zwänge mit sich bringt. Michael Girkinger wirft in seinem Artikel einen kritischen Blick auf den Persönlichkeitsbildungsmarkt. Er betrachtet dessen Angebote und Erfolg im Spannungsfeld von aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen wie Selbstdisziplinierung, Selbstsorge, Selbstverwirklichung und einem Drang zur permanenten Selbstoptimierung. Die zunehmende Entwicklung hin zu einer wunscherfüllenden Medizin steht im Fokus von Tobias Eichingers Beitrag. Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Wunscherfüllung in der Medizin sowie deren Entwicklung zu einem „Lifestyle-Produkt“, werden von ihm aus ethischer und philosophischer Perspektive in ihrer ganzen Ambivalenz betrachtet. Die aufkommende „Upgradekultur“, die Optimierung der Person auf unterschiedlichen individuellen und persönlichen Ebenen wird von Dierk Spreen als Begleiterscheinung der Individualisierungsprozesse der vergangenen Jahrzehnte betrachtet. In seinem Text stellt Spreen Probleme und mögliche Grenzen dieses Versuchs einer Antwort auf individualisierte Risiken der Gesellschaft zur Diskussion. Den Abschluss bildet Markus Jansen, der Tendenzen und Entwicklungen im Konzern Google und seiner Proponenten untersucht, die dem erneuten Versuch dienen sollen, einen „neuen Menschen“ zu schaffen. Laut den VertreterInnen des Transhumanismus könnten neue digitale Technologien die biologische Unzulänglichkeit des Menschen überwinden und letzten Endes hin zu einer post-biologischen Menschheit führen. Die Rolle von Google und vor allem von dessen Vordenker Ray Kurzweil bei der Entwicklung dieser neuen, scheinbar verheißungsvollen Möglichkeiten, stehen im Zentrum von Jansens Analysen.
Die im vorliegenden Tagungsband analysierten Strategien einer Optimierung des Menschen sind – zumindest teilweise – schon Bestandteil unseres Alltags geworden. Trotzdem bleibt die zentrale Frage, ob und wie es gelingen kann, diese Optimierungsstrategien einzuhegen bzw. entscheidende Fragen in der Öffentlichkeit zu diskutieren: Cui bono? Wem nützen diese Maßnahmen? Soll, etwa im Bereich der Gentechnik, alles Machbare auch gemacht werden? Wenn diese Diskussion nicht geführt wird, reduziert sich die Entwicklung, wie in der Geschichte von Daedalus, auf das Problem der technischen Machbarkeit. Deren ideelle Basis bildet die Annahme einer vollständigen Beherrschung der Natur, und es gehe, so wird suggeriert, nur noch um einige absehbare Schritte, bis der Mensch sich zum Schöpfer seiner selbst erklären könne.
Derzeit erleben wir allerdings, dass das Auftreten eines Virus die einschlägigen Pläne zumindest modifiziert. Die tiefe Krise, die die Corona-Pandemie verursacht, stellt Gesellschaften auf den Prüfstand: Wie gehen sie mit den Schwächsten um? Sollen, wie der verbreitete utilitaristische Zugang besagt, Alte, Kranke und Menschen mit Behinderung im Extremfall geopfert werden, um junge leistungsfähige Menschen zu „retten“? Wie werden die Lasten der ökonomischen und sozialen Krise verteilt?
Als Veranstalter der Internationalen Hartheim Konferenz sehen wir uns in diesem Kontext gefordert, die entsprechenden ethischen, politischen und sozialen Fragestellungen zu verfolgen und auch weiterhin im Rahmen der Tagungen zu diskutieren.
Wir möchten an dieser Stelle noch unsere Trauer über den Tod von Prof. Dr. Rainer Müller zum Ausdruck bringen. Er verstarb im Oktober 2019. Für seinen spannenden und fundierten Beitrag sowie die gute Zusammenarbeit bei der Internationalen Hartheim Konferenz und der Entstehung des vorliegenden Bandes bleiben wir ihm dankbar verbunden.
Brigitte Kepplinger, Florian Schwanninger
Michael Köhlmeier und Konrad Paul Liessmann
Michael Köhlmeier:
Der Eine, der Ewige – Gott – stand auf seiner Erde und zog einen Kreis um sich, so weit sein Auge reichte. Im Umkreis eines Blickfeldes, dort sollte der Garten Eden sein, das Paradies. Wissen Sie, parallel zur Bibel gibt es sehr viele Geschichten, die sind zur gleichen Zeit entstanden wie die Bibel und sind in diese nicht aufgenommen worden. Sie sind teilweise vor der Bibel entstanden, sie sind teilweise erst viel später dazu erzählt worden – vielleicht auch um Widersprüche zu erklären, zum Beispiel einen Widerspruch gleich am Anfang der Bibel, wo es heißt: Am ersten Tag schuf Gott das Licht, aber am dritten Tag erst die Sonne. Das war ein Widerspruch, das muss man erklären. Ich erzähle Ihnen etwas, was nicht unbedingt in der offiziellen Bibel steht, aber ihr dennoch folgt. Also am Anfang stand Gott da und er hat nicht die Erde erschaffen oder die ganze Welt erschaffen, sondern er hat das Chaos, das vor ihm war, geordnet – das Tohuwabohu oder wie Martin Buber und Franz Rosenzweig übersetzen: Irrsal und Wirrsal hat er geordnet. Aber er hat auch die Ambition gehabt etwas Eigenes zu schaffen, nämlich den Menschen. Für den wollte er eine Heimat und das wäre der Garten Eden gewesen, das Paradies. Und er stand da und hat diesen Garten geschaffen – wunderbar schön, aber es war dunkel. Es konnte ihn niemand sehen. Da hatte er seinen Liebling, seinen Vize, seinen Stellvertreter gebeten, diesen Garten Eden zu beleuchten: Helel ben Schachar, den Sohn der Morgenröte, oder die Lateiner sagen „derjenige der das Licht trägt“, der Lichtträger, nämlich eben Luzifer – Lux ist das Licht, fer tragen. Ihn hat er gebeten, er soll diesen Garten Eden beleuchten, damit man ihn sieht. Und Luzifer, Helel ben Schachar, stellt sich in die Fußstapfen Gottes, sendet sein Licht aus und sieht wie unglaublich schön das ist, was Gott geschaffen hat. Da hat ihn der Neid erfasst. Er hat an sich hinabgeblickt und hat gesehen, dass seine Füße nur um ganz klein wenig kleiner sind als die Fußstapfen Gottes. Dann hat er sich gedacht: „Wenn ich einen Überraschungsangriff starte, vielleicht gelingt es mir.“ Er hat ausgerufen: „Ich bin wie Gott!“ Und da stand dann ein anderer da mit einem Flammenschwert in der Hand und der hat gesagt: „Wer ist wie Gott?“ – ein Engel – und er hat sich damit selbst den Namen gegeben: Michael. Michael heißt „Wer ist wie Gott?“ Ich weiß das, ich hab’ viel mit meiner Mutter darüber diskutiert. Gott hat Michael den Befehl gegeben, „Helel ben Schachar“, den Luzifer, zu bestrafen. Michael hat mit ihm gerungen und hat ihn in die Hölle geworfen. Das heißt, erst durch den Fall des Luzifer ist die Hölle entstanden, aber bevor er gefallen ist, hat Luzifer sich noch am Himmel anklammern wollen und hat einen Fetzen vom lebendigen Himmel gerissen, mit hinunter in die Hölle. Das kann man auch sehen, das sieht man immer noch, in sternenklaren Nächten kann man das sehen. Das ist die Milchstraße, dieser Fetzen. Wie gesagt, das hat er mitgerissen in die Hölle und das garantiert ihm, dass er jederzeit – nicht für lange Zeit, immer nur so für sehr, sehr kurze (Wir wissen, wie’s in der Apokalypse des Johannes heißt: Der Teufel hat wenig Zeit und er weiß es.) – kann er aber ab und zu Gott besuchen, oben im Himmel, weil er dieses Pfand hat vom Himmel. Wie es beim „Faust“ heißt: „Ab und zu spricht er mit dem Alten gern.“ Weil hätt’ er das nicht mitgemacht, könnte man den Faust ... Wir hätten auch nicht das Buch Hiob. Das beginnt auch damit, dass der Teufel in den Himmel geht, um Gott zu sprechen.
Nun war’s wieder dunkel im Paradies und nun hat Gott eben die Sonne geschaffen. Damit ist auch dieser Widerspruch geklärt, verstehen Sie? Das wird ja damit geklärt. Da sind wir wieder eben. An Gottes Wort kann man nichts ändern, man muss das interpretieren und jetzt wissen wir, wie das war.
Nun ist Gott an die eigentliche Arbeit gegangen und wollte sein Geschöpf machen, den Adam. Er hat von der Erde genommen und von allen Stellen der Welt hat er Erde genommen, hat sie zusammengeknetet, hat drauf gespuckt ein bisschen, hat so rumgeknetet und so und dann ist der Adam gekommen. Gott hatte von Anfang an die Ambition, ein Geschöpf zu machen, das ist wie er. Nämlich nach seinem Ebenbild. Hat er gemacht. Und nun waren da die himmlischen Heerscharen. Es gibt auch wieder eine Erklärung, woher die kommen. Das werd’ ich Ihnen heute sparen. Nehmen Sie einfach an, so wie in der Bibel, die sind da, diese himmlischen Heerscharen. Und der Adam, der war fertig, war wie Gottes Ebenbild. Er hat genau gleich ausgesehen, wie er. Hat große Verwirrung gestiftet unter den himmlischen Heerscharen, weil die sich gedacht haben: „Ist da ein zweiter Gott entstanden? Ist da ein zweiter da?“ Und wie’s halt so üblich ist, ein Drittel der himmlischen Heerscharen hat sich gleich auf die Seite des neuen Gottes gehauen. Ein Drittel hat gesagt: „Nein wir bleiben tapfer beim alten Gott.“ Und ein Drittel – ich nehm’ an, das war ein bissl mehr als ein Drittel – hat sich gedacht: „Warten wir mal ab, was kommt.“ Und Michael, der inzwischen auch schon zum Berater Gottes avanciert ist, hat gesagt: „Du musst ihn ein bisschen ablehmen. Also nicht ‚ablehmen‘, weil aus Lehm, also ein bisschen kleiner machen, ein bisschen hässlicher musst du ihn machen.“ Damit der Unterschied klar ist – Gottes Ebenbild – ich mein’, das wissen wir selber auch, wenn wir am Morgen in den Spiegel schauen – wir wissen, wir sind Gottes Ebenbild, und da kommen uns manchmal Zweifel. Aber Sie müssen das so sehen: In homöopathischer Form sind wir Gottes Ebenbild.
Also ich erzähl’ Ihnen eine kurze Geschichte. Nur damit Sie das auch verstehen. Ich muss so anfangen: Wer war die schönste Frau des Altertums? Also Sie wissen ja aus dem Homer, die schönste Frau des Altertums war die Helena. Für sie ist ein großer Krieg geführt worden, der trojanische Krieg – für diese Frau, für diese unglaubliche Schönheit. Jetzt haben Männer, das waren nur Männer, die sich darüber Gedanken gemacht haben über diese Schönheit der Frauen, die haben rausgekriegt, dass sich die Helena zur Sara, also der Frau des Abraham, verhalten hat, wie zu – also die Helena war im Vergleich zu Sara ein Äffchen, also so viel schöner war die Sara im Vergleich zur Helena. Und als die Sara 100 Jahre alt war, ist der Pharao noch fast verrückt geworden vor Begehren und vor Liebe in diese Sara. Sie können sich vorstellen, wie schön die war, aber im Vergleich zur Eva hat die Sara ausgesehen wie ein Äffchen. Und jetzt, jetzt sag ich was, das kommt nicht von mir, ich würd’ mich da vollkommen raushalten. Im Vergleich zu Adam hat Eva ausgesehen wie ein Äffchen. Und im Vergleich zu Gott hat Adam ausgesehen wie ein Äffchen. So sehen sie also ungefähr die Abstufung, homöopathisch gesehen sind wir also noch das Ebenbild Gottes.
Gott hat also den Adam ein bisschen hässlicher gemacht, kleiner gemacht, damit er unterscheidbar ist von ihm selbst. Und für ihn hat er eben diesen Garten Eden gebaut gehabt und dann hat er, als dann Adam in der vorläufigen Form fertig war, das heißt, er hat ihn eigentlich deoptimiert, wenn ich jetzt auf unser Tagesthema komme. Er hat ihn deoptimiert, den Adam, und er hat zu den himmlischen Heerscharen gesagt: „So nun kniet euch nieder vor dem Adam und erweist ihm Reverenz. Er ist also mein Ebenbild und jetzt kniet euch nieder.“ Die Engel haben geschaut, was machen die Offiziere? Also die Erzengel, die haben genickt und dann haben sie sich niedergekniet – bis auf einen. Samael, der hat gesagt: „Ja, du hast schon mehr oder weniger immer rumgemacht, vielleicht ist der immer noch nicht ganz fertig, vielleicht gibt’s noch Korrekturbedarf. Wollen wir nicht abwarten, bis er endgültig ist?“ Und Gott hat zu ihm gesagt: „Was willst du?“ Und Samael hat gesagt: „Ja schau, ich bin aus Licht gemacht, aus Ewigkeit und er ist aus Dreck gemacht, aus Lehm, aus Dreck.“ „Also gut, was willst du?“ „Ja, ich werde mich niederknien, wenn er besser ist als ich, wenn er mehr weiß als ich.“ Und Gott sagt: „Gut, dann wollen wir das doch testen. Ich hab schon die Tiere erschaffen und ich allein weiß, wie die Tiere heißen. Und jetzt machen wir es so: Ich führ’ euch drei Tiere vor, dir, Adam und dir, Samael. Und wer von euch die Namen der Tiere weiß, da können wir es dann testen, wer klüger ist. Und du, Samael, wenn du unterliegst, brauchst du dich nicht hinzuknien vor Adam, weil dann folgst du dem Luzifer, dem Helel ben Schachar, nach in die Hölle.“ Da hat sich der Samael wahrscheinlich schon gedacht: „Ich hab’ mich zu weit hinausgelehnt.“ Aber man konnt’s nicht mehr rückgängig machen.
Und Gott führt das erste Tier vor, das ist so ein kleines Tier, das hoppelt so daher. Hat zwei lange Ohren, hat so einen buschigen kleinen Schwanz und es ist da und er wendet sich an den Samael: „Sag also Samael, was ist der Name dieses Tieres?“ Und der Samael, ganz Rationalist, zählt in einer hurtigen Geschwindigkeit alle Haare dieses Tieres zusammen, dividiert sie durch die Anzahl der Beine, durch die Anzahl der Augen und so weiter, und muss am Schluss sagen: „Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie der Name dieses Tieres ist.“ „Gut, schau Adam“, sagt Gott. „Schau her, da ist dieses Tier. Siehst du, es ist so klein, hoppelt so daher, hat einen buschigen Schwanz, zwei lange Ohren. Adam, HASt du eine Ahnung, wie das Tier heißen könnte?“ Und der Adam sagt: „Es ist der HASe.“
„Ja“, sagt Gott. „Siehst du Samael. Haben wir noch zwei Tiere übrig.“ Das andere Tier ist ein Vogel eigentlich. Ein weißer Vogel, der schwimmt aber auf dem Wasser. Hat so einen langen Hals und so schön geschwungen, wie eine Zwei sieht der aus. Wieder berechnet der Samael und wieder weiß er’s nicht. Er sagt: „Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht.“ „Gut“, sagt Gott, „Komm her!“ zu Adam. „Schau her, schau dir’s an, ja dann SCHWANt dir vielleicht, wie das Tier heißen könnte.“ Und Adam sagt: „Es ist der SCHWAN.“
Ja, und als nächstes kommt ein ganz winzig kleines Tier, das fliegt so und so und fliegt so hin und her. Dann fragt Gott wieder den Samael und der Samael weiß es nicht und Gott sagt zu Adam: „Adam, BIN ich zurecht der Meinung, dass du auch weißt, wie dieses Tier heißt?“ Und er sagt: „Es ist die BIENe.“
Na ja gut, nun wird Samael von Michael vor die Pforten des Paradieses geführt und Michael will ihn hinabstürzen in die Hölle und der Samael sagt: „Du hast doch gemerkt, er hat uns, er hat mich reingelegt. Wie soll das weitergehen? Wenn wir drei uns zusammentun, du Michael, Helel ben Schachar-Luzifer und ich, Samael – ein Triumvirat. Vielleicht ist das alles viel besser?“ Aber der Michael lässt sich nicht bestechen und stürzt den Samael in die Hölle hinab und Samael ist zu klein um in den Himmel zu greifen. Aber er greift zu den Flügeln des Michael und reißt ihm eine Feder aus. Das ermöglicht es dem Samael, jederzeit, wenn er will, auf die Erde zu kommen. In den Himmel nicht, er schafft es nicht, aber auf die Erde zu kommen – zu unserem Unglück, das dürfen wir nicht vergessen. So und nun, nun ist es also so weit, sind da die Widersprüche gelöst. So, wir sehen auch bei den himmlischen Heerscharen ist das nicht so unproblematisch. Und Gott sagt zu Adam: „Hör zu Adam, weil du schon angefangen hast den Tieren die Namen zu geben, dann führ’ das Werk zu Ende, benenn’ die Tiere.“ Ja, und der Adam sitzt da und benennt die Tiere: „Du bist der Hecht und du bist der Hirschkäfer und du bist der Specht.“ So geht das hin und her, ganz unsystematisch geht das hin und her. Und es dauert lang, mein Gott, das dauert lang. Es gibt so viele Tiere, das ist unbeschreiblich. Mein ältester Sohn ist Zoologe, was der mir erzählt, was es für Tiere gibt, von denen Sie gar keine Ahnung haben. Der Adam hat’s natürlich gewusst, er musste jedem einen Namen geben. Das geht so dahin und irgendwann kommt der Michael zum Gott und sagt: „Du, der ist nicht guter Stimmung. Der ist nicht gut gelaunt und schaut.“ Und der Adam, der sagt: „Es ist so langweilig und ich seh’ immer die Tiere kommen, immer zu zweit. Die sind immer zu zweit. Zwei Hirschkäfer, ein Hirschkäfer und eine Hirschkäferin, ein Hecht und eine Hechtin, einen Specht und eine Spechtin und die stehen in der unendlich langen Reihe an, denen ist aber nicht langweilig und dann sind sie irgendwann zu dritt. Ich möchte auch so eine haben.“ Gott sagt: „Nein, ich wollt’ dich einmalig erschaffen. Einmalig! Verstehst du, dass du etwas Einmaliges bist?“ „Ja, ich versteh’s“, sagt der Adam sehr schlecht gelaunt. Gott musste den Schlaf erfinden, damit er sich von seiner schlechten Laune erholt, der Adam. Und dann irgendwann einmal sagt der Michael: „Ich glaub du kommst nicht umhin, du musst ihm eine Frau geben.“ Wissen Sie, es gibt eine Menge von sogenannten Midraschim, das sind so Kommentare zur Bibel, die vor allem im Mittelalter geschrieben worden sind. Von Rabbinern, die halt so viele, viele Widersprüche erklären wollten und da gibt es Midraschim, in denen wird erzählt, dass es nicht nur eine Eva gegeben hat – wie in der Bibel – die aus der Rippe des Adam geschnitten worden ist, sondern, dass Gott mehrere Versuche gemacht hat. Es wird von der Lillith erzählt, die Vorläuferin von Eva. Eine Heilige aller Feministen, Feministinnen, Entschuldigung. Es wird auch von einer ersten Eva erzählt und dass unsere Eva, die wir kennen, eigentlich erst die zweite Eva ist. Ist eine weite Geschichte, aber irgendwann ist es Gott gelungen. Ich fand das ja immer so schön bei diesen Geschichten, dass auch er kein fertig Optimierter ist, also dass es auch er versucht hat. Er hat das das erste Mal gemacht. Man macht nicht jeden Tag eine Schöpfung, das passiert nur ein Mal. Dann hat er die Eva gemacht und dann, wo sie dann da ist – und Adam war sehr glücklich, dass er nicht mehr allein ist – da hat er die beiden durch den Garten Eden geführt. Sehr stolz. Wollte ihnen zeigen, wie schön das ist, was er für sie gemacht hat – das Paradies. So spiralenförmig von außen nach innen hat er sie geführt, weil der Höhepunkt war am Schluss: In der Mitte, genau in der Mitte, Sie erinnern sich daran, wo Gott gestanden ist, bisschen breitbeinig, wo Helel ben Schachar-Luzifer auch gestanden ist mit seinen Beinen. Aus diesen beiden Fußabdrücken ist ein Baum gewachsen. Ich hab’ mal so einen Baum gesehen, einen Olivenbaum, irgendwo in Italien und der hat unten zwei Stämme gehabt und so hat der ausgesehen, wie dieser Baum. Der ist da herausgewachsen. Und weil natürlich Gott das Prinzip des Guten ist und Luzifer das Prinzip des Bösen, war das dann eben der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Der ist gewachsen und Gott hat zu Adam und Eva gesagt: „Ihr dürft von allen Früchten des Gartens essen, nur von diesem nicht.“ Er hat ihnen keine Begründung genannt. Er hat ihnen nur gesagt, was folgen wird, wenn sie doch davon essen. „Solltet ihr doch davon essen, dann werdet ihr des Todes sterben.“ Und dann waren sie im Paradies so und das war schön so, mit den Tieren und so. Da war das Paradies. Das war immer gleich, jeden Tag, immer gleich. Sie sind spazieren gegangen, manchmal zusammen, manchmal getrennt. Die Eva, die hat’s immer hingezogen, zu dem Baum, die hat da geschaut und eines Tages war eine Schlange bei diesem Baum. Und diese Schlange – ich verrate es Ihnen – diese Schlange ist eben Samael, der mit Hilfe der Feder aus dem Flügel des Michael auf die Erde gekommen ist, sich aber in eine Schlange verwandelt hat, und die Schlange fragt die Eva: „Wie geht’s dir?“ Und die Eva die wusste mit der Frage nichts anzufangen. Weil ich meine, wenn ich Sie frage: „Wie geht’s dir?“ dann müssen Sie in der Lage sein, mindestens, wenigstens zwei Antworten als Möglichkeit zu haben, denn entweder es geht mir gut oder es geht mir schlecht. Nachdem es einem im Paradies aber nur gut gehen kann, ist diese Frage nicht verständlich für jemanden, der im Paradies wohnt. So hat die Schlange da die Eva in Gespräche verwickelt. Die war ganz verwirrt. „Warum isst du denn nicht von diesem Baum?“ Und Eva sagt: „Es ist verboten worden.“ „Ja warum denn?“ „Ja dann werden wir des Todes sterben.“ „Ja weißt du denn was der Tod ist?“ „Nein, das weiß ich nicht.“ „Du weißt es nicht? Vielleicht ist es überhaupt das Beste.“ Und er wickelt, also Samael, die Schlange, wickelt Eva in Widersprüche ein und schließlich kann sie nicht anders, sie greift und isst seine Frucht und Adam sieht das, hat dann auch Lust und greift auch zu und isst auch. Bald darauf hören sie die Schritte Gottes donnernd. Wumm. Sie verstecken sich und Gott ruft den Adam: „Wo bist du? Komm heraus.“ Adam will herauskommen, doch da sieht er, dass er nackt ist und hält sich da was vor seine Scham, tritt vor Gott und Gott sagt: „Was hast du da? Was tust du da? Was ist das da?“ Sagt er: „Weißt du, ich bedecke mich. Ich wollte nicht nackt vor dich hintreten.“ Und Gott sagt: „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam?“
Gott hat nun gewusst, die Erkenntnis der Nacktheit kann nur erfolgen, weil er vom Baum der Erkenntnis gegessen hat und da hat dann eben Gott wieder an Michael den Befehl gegeben – ich war mit meiner Mutter da in Konflikt, ich sag’s Ihnen ganz ehrlich. Ich hab gesagt: „Wieso hast du mich nach dem Rausschmeißer im Paradies genannt? Es hätte den Gabriel auch noch gegeben, wenn’s schon unbedingt ein Erzengel sein muss.“ Meine Mutter hat gesagt: „Das verstehst du dann, wenn du erwachsen bist.“ Ich hab’ dann vergessen, sie später zu fragen, als ich erwachsen war. Jedenfalls hat auch der Michael Adam und Eva aus dem Paradies hinausgeführt. Und draußen sind die Nächte kalt und die Tage sind heiß und Gott sagt zum Adam: „Du musst dein Brot im Schweiß deines Angesichtes essen.“ Und zu Eva sagt er: „Weil du das getan hast, musst du die Kinder in Schmerzen auf die Welt bringen.“ Das verstehen wir alles noch. Interessant ist, was er zur Schlange sagt. Er sagt zur Schlange: „Weil du die beiden verführt hast, sollst du von nun an im Staube kriechen.“ Haben Sie sich da nie gedacht, was hat die denn vorher getan? Also von nun an sollst du im Staube kriechen? Was war denn die vorher? Eben diese Frage haben sich auch die Rabbiner gestellt und da hab’ ich eine Stelle gefunden, wo ganz klar bewiesen wird: Die Schlange war vorher ein Kamel. Die war ein Kamel und Gott hat ihr die Beine abgeschnitten, hat ihr das Fell abgezogen, hat sie in die Länge gezogen, die Zunge genommen, auseinander gerissen, die Zunge gespalten und dann war sie eine Schlange. Anders ist das nicht zu erklären, die Frage. Ja, nun ist das Paradies zu Ende. Seitdem sind wir eben hier und nicht mehr im Paradies. Und nun bitte ich meinen Freund Konrad Paul Liessmann, sich die Gedanken drüber zu machen, die mir verwehrt sind, dass ich sie drüber mache, weil ich kann nur erzählen. Dankeschön!
Konrad Paul Liessmann:
Ja, meine Damen und Herren, ich nehme an, dass Michael Köhlmeier diese Geschichte ausgewählt hat – er hat’s an einer Stelle angedeutet – weil sie mit diesem Tagungsthema zu tun hat: Die Optimierung des Menschen. Bevor ich versuche, aus dieser Geschichte vom Paradies, von der Erschaffung des Menschen, einige Überlegungen zu diesem Tagungsthema anzustellen, erlauben Sie mir am Ende dieser Erzählung anzuknüpfen. Die Frage: Was hat die Schlange eigentlich vorher gemacht und wie hat die Schlange vorher ausgesehen? Das ist ja eine Frage, die man gerade an diese Schöpfungsgeschichte, an die Genesis, prinzipiell stellen kann. Ich weiß nicht, ob Sie sich schon einmal diese Frage gestellt haben. Köhlmeier begann ja mit „Irgendwann einmal kommt Gott auf die Idee, ich schaff’ jetzt ein Paradies oder ich schaff’ ein Ebenbild von mir“. Man könnte auch fragen: Was hat Gott eigentlich vorher gemacht? Hat er überhaupt was gemacht? Ja offensichtlich nicht, sonst gäb’s ja noch unzählige andere Welten, von denen wir nichts wissen. Der heilige Augustinus hat diese Frage gekannt. Was hat Gott gemacht bevor er das Paradies und die Erde, den Kosmos, geschaffen hat? Und er hat auch eine Antwort darauf gefunden. Er sagte: „Bevor Gott Himmel und Erde geschaffen hat, hat er die Hölle für diejenigen geschaffen, die solche Fragen stellen.“
Das führt uns aber gleich wieder zurück, zu einigen wirklich interessanten Überlegungen, die man im Anschluss an diese Geschichte stellen kann. Denn es geht ja in der Tat ganz stark um die Frage: Wer darf legitime Fragen stellen? Was heißt es überhaupt, Fragen zu stellen an Gott? Luzifer und Samael scheitern, weil sie unzulässige Fragen stellen. Ich möchte mich jetzt konzentrieren, im Zusammenhang mit unserem Tagungsthema, auf eine Frage, die sich aus diesem Thema ja ergibt und die uns zurückführt auf diese natürlich biblische mythische Geschichte, die uns ein bisschen auch versucht zu erklären, wie’s um uns bestellt ist. Wenn wir von der Optimierung des Menschen sprechen, fragen wir natürlich nach der Verbesserung des Menschen. Man muss sich da natürlich die Frage stellen: Warum wollen wir uns eigentlich verbessern? Die Antwort kann nur sein: Weil wir nicht gut genug sind. Oder weil wir die Möglichkeit haben, uns zu verbessern. Dann kann man sich fragen: Warum und in welcher Weise sind wir nicht gut genug? Und dieser Sündenfall, dieses Paradies, diese Schöpfungsgeschichte, gibt uns eine Antwort in welcher Weise wir nicht gut genug sind. Wenn wir uns diese Geschichte jetzt nochmal vergegenwärtigen und versuchen, aus der Geschichte heraus jene Punkte zu benennen, in denen wir uns Menschen als defizitär, als nicht gut genug empfinden, dann werden Sie sofort sehen, dass das genau dieselben Punkte sind, über die Sie heute und morgen noch diskutieren werden. Nämlich genau über jene Gesichtspunkte, über jene Momente, über Dimensionen an uns, von denen wir glauben, wir könnten uns eigentlich verbessern. Das fängt damit an und das ist eigentlich jetzt nicht der biblische Text, sondern eine apokryphe Tradition, die Michael Köhlmeier ausgegraben und entdeckt hat, vielleicht auch selber etwas dazu beigetragen hat. Das ist ja die Souveränität des Dichters, dass er sich nicht immer an beweisbare Fakten halten muss. Der Dichter ist praktisch das Existenz gewordene postfaktische Wesen, weil heute so viel von postfaktischen Zeiten die Rede ist. Aber er hat eben diese Tradition wieder aufleben lassen, dass Gott den Menschen ursprünglich als wirklich Perfektes, als zweiten Gott geschaffen hat – praktisch wirklich als optimales Wesen – und dann von Michael darauf aufmerksam gemacht worden ist: Das geht nicht. Das kann nicht sein. Das führt zu Verwirrung. Da wirst du selbst in Frage gestellt werden. Mach ihn ein bisschen kleiner.
Es scheint so zu sein, als wüssten wir das intuitiv, dass uns jemand kleiner gemacht hat und dass wir eigentlich größer sein könnten. Dieser Satz, den auch Luzifer sagt „Eigentlich wäre ich wie Gott“ oder „Ich könnte sein wie Gott“, dieser Satz steckt sozusagen als Anspruch und als Frage immer schon ein bisschen in uns. Und das mag vielleicht sein, dass auch Adam und Eva im Paradies – bevor noch die Schlange mit ihrem Verführungswerk begonnen hat – allmählich auf diesen Gedanken gekommen sind. „Wir sind ein Ebenbild Gottes. Wir sind so nah. Uns unterscheidet nicht sehr viel.“ Gerade dieses Wenige, was Gott den Menschen kleiner gemacht hat, schwächer gemacht hat, unansehnlicher gemacht hat. Wenn wir nur ein bisschen an uns arbeiten würden, dann könnten wir doch werden wie Gott. Das heißt also, diese „Gottebenbildlichkeit“ ist nicht nur, wie das die Theologen interpretieren, der Auftrag des Menschen alles zu tun um gleichsam den Willen, die Gebote, die Gesetze Gottes zu erfüllen und ein gottgefälliges Leben zu führen, sondern da steckt auch ein Stachel drinnen. Wenn schon Ebenbild Gottes, warum nicht gleich ganz ein Gott sein? Und ich glaube, dass man mit guten Gründen sagen kann, dass eine ganze Reihe von wissenschaftlichen und technischen Anstrengungen natürlich darauf abzielt, diese Differenz zwischen Gott und seinem Geschöpf wieder auszugleichen. Auf der anderen Seite darf ich aber auch an der Stelle daran erinnern, dass wir auch in dem Sinne begonnen haben, Ebenbild Gottes zu werden oder uns Gott anzunähern, dass wir selber in den Status von einem schaffenden Gott getreten sind. Wir machen jetzt auch unsere eigenen Geschöpfe, die so sein sollen wie wir. Denken Sie an künstliche Intelligenzen, denken Sie an Roboter, denken Sie an hyperintelligente Algorithmen, die alles das können sollen und vielleicht besser können werden als wir es können, Autofahren zum Beispiel. Das ist heute in den Nachrichten zu hören gewesen, dass in Bälde, also im nächsten Jahr auf einigen österreichischen Autobahnen Versuchsstrecken eingerichtet werden für autonom fahrende Automobile. Sollten Sie also demnächst auf der Südautobahn einem Auto begegnen, in dem niemand mehr sitzt, erschrecken Sie nicht, das ist keine Geisterscheinung, sondern das ist tatsächlich eine technische Intelligenz, die hier autofährt und vielleicht besser autofährt als Sie. Sie werden sich natürlich irgendwann fragen müssen: Was tue ich dann eigentlich hier? So wie Gott von Michael plötzlich vor die Frage gestellt wurde: „Du, wenn du jemanden erschaffst, der zumindest genauso gut ist wie du, vielleicht sogar besser ist als du, was tust du dann eigentlich noch da? Eigentlich wäre es Zeit abzutreten.“ Und deshalb sollte man vielleicht diese Geschichte uns auch als Warnung gelten lassen, wenn wir schon etwas schaffen, was ähnlich ist wie wir – ähnlich intelligent, ähnlich dynamisch, ähnlich flexibel, ähnlich kreativ – sollten wir vielleicht nicht doch darauf achten, dass das immer ein bisschen kleiner ist als wir? Ein bisschen weniger intelligent, ein bisschen nicht ganz so wie wir? Denn ansonsten werden wir uns in Bälde die Frage stellen müssen: „Was tun wir eigentlich noch hier?“ Erste Lehre aus dieser Schöpfungsgeschichte.
Zweite Lehre: In welcher Hinsicht sind wir defizitär? Denn Adam und Eva im Paradies waren ja nahezu vollkommen. Sie hatten zumindest einige dieser Probleme, die wir haben, noch nicht. Diese Probleme haben sie bekommen dadurch, dass sie vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen gegessen haben. Ich frage mich jetzt nicht, was das bedeutet, in einer philosophischen oder theologischen Interpretation, sondern ich frage mich, was es bedeutet im Hinblick auf das Thema dieser Tagung. Denn durch dieses Essen vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen sind drei Dinge in das Leben dieser Menschen getreten, die uns bis heute beschäftigen und die die Grundlage dafür sind, warum wir überhaupt solche Optimierungs- und Perfektionierungskonzepte entwickelt haben.
Erster Grund: Sie essen vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen und das bedeutet natürlich – und deshalb sofort diese Reaktion von Adam: „Ich bin nackt! Ich erkenne mich plötzlich so, wie ich mich vorher nie gesehen habe. Ich sehe, ich bin ein Naturwesen. Ich sehe, ich habe einen Körper. Ich sehe, ich habe ein Geschlecht. Ich sehe, ich habe ein Begehren. Ich sehe, ich bin ein Tier und das will ich verbergen. Das soll nicht sein. Jetzt bedecke ich meine Blöße.“ Das heißt, wir haben tatsächlich durch das Essen dieser verbotenen Frucht natürlich ein Erkenntnisvermögen gewonnen, ein Erkenntnisvermögen, das dazu führt, dass wir jetzt in der Tat Dinge wissen, die die paradiesischen Bewohner nicht gewusst haben. Dass wir unterscheiden können zwischen Gut und Böse, ohne dass wir immer wüssten, was das Gute und das Böse ist, aber diese Differenz von Gut und Böse ist uns plötzlich klar. Das heißt, wir können erkennen, wir haben ein Wissen, wir haben dadurch ein Selbstbewusstsein gewonnen. Ja, wir sind in dieser Hinsicht tatsächlich geworden wie Gott. Denn vorher wusste nur Gott um diese Differenz des Guten und des Bösen. Allerdings nur in dieser Hinsicht. Denn in einer anderen Hinsicht haben wir alles verloren, was uns im Paradies ausgezeichnet hat, vor allem das ewige Leben. Denn die Strafe für das Essen vom Baum der Erkenntnis war natürlich der Tod. Und Michael Köhlmeier hat’s ja schön erzählt: Die Schlange konnte Eva verführen, weil im Paradies wird ja bekanntlich nicht gestorben, weil sonst wär’s kein Paradies. Das heißt, diese Drohung von Gott „Ihr werdet des Todes sterben“ in der Luther-Übersetzung musste irgendwie eine Irritation hervorrufen, aber keine wirkliche Betroffenheit. Ungefähr so, wer einem Kind gegenüber ein Verbot ausspricht und sagt: Aber, wenn du dieses Verbot übertrittst, dann wird XYZ passieren. Das Kind weiß nur, es wird was passieren, aber es weiß nicht, was passieren wird. Und geben Sie es zu, es gibt nichts Verlockenderes, als ein Verbot zu übertreten, bei dem ich nicht genau weiß, was passieren wird, wenn ich es übertrete. XYZ könnte ja auch eine Belohnung sein. Probieren wir es halt, probieren wir es halt. Und sie haben’s probiert und mussten erst dann erfahren, was es heißt zu sterben. Und dieses Sterben, dieser Tod, diese Sterblichkeit – und wir sind ja die einzigen Wesen, soweit wir wissen, die wissen, dass sie sterblich sind und um ihren Tod wissen – ist natürlich die tiefste Kränkung, die der Mensch hinnehmen musste und seitdem bedeutet sich selbst optimieren wollen natürlich immer auch: Wie kann ich dieser Sterblichkeit entgehen? Und zwar nicht nur metaphorisch, sondern tatsächlich. Medizin bedeutet, medizinische Wissenschaft bedeutet letztendlich zuerst Heilen von Krankheiten, dann Lebensverbesserung, dann Lebensverlängerung und irgendwann einmal haben wir die Fantasie, die Unsterblichkeit zu erlangen. Damit Sie nicht glauben, dass das nur eine Utopie ist: Der Google-Konzern, der Ihnen allen bekannt ist, weil Sie sich tagtäglich als Angestellte dieses Google-Konzerns sozusagen betätigen oder erweisen – immer dann, wenn Sie einen Suchbefehl in Google eingeben arbeiten Sie für diesen Konzern. Der Google-Konzern hat in den letzten Jahren sozusagen eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Forschungsinstituten und Wissenschaftern eingekauft und aufgekauft, die sich mit dieser Frage „Wie ist die Sterblichkeit des Menschen medizinisch, technisch, genetisch zu bekämpfen und aufzuheben?“ beschäftigen. Wir arbeiten daran, sozusagen nicht nur in einem ersten Schritt die Lebensverlängerung auszudehnen, sondern diese Unsterblichkeit zu gewinnen. Ob uns das je gelingen wird, bleibe mal dahingestellt. Aber Sie merken, welche starke Kraft hinter dieser Vorstellung steht, wir müssen diesen Makel der Sterblichkeit, der uns aus dem Paradies mitgegeben wurde, durch die Vertreibung aus dem Paradies auferlegt wurde, wir müssen diesen Makel irgendwie bekämpfen und wegbringen. Wirkliche Menschenoptimierung heißt auch unsterblich zu werden.
Zweiter Makel durch diese Vertreibung: Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot verdienen. Der Mensch ist dazu verurteilt zu arbeiten. Und das ist nicht angenehm. Das ist furchtbar im Grunde. Das ist schlimm, denn es bedeutet: Nichts ist uns von Natur aus gegeben, alles müssen wir uns erarbeiten. Und dass wir im Schweiße unseres Angesichtes uns etwas erarbeiten müssen deutet an, es ist anstrengend, es tut weh, es verschafft Leid, es ist schmerzhaft. Deshalb könnte man sagen, Optimierung des Menschen bedeutet, immer so an sich zu arbeiten, dass wir nicht mehr arbeiten müssen. Die gesamte Wissenschaft und Technik und zwar nicht erst seit der Neuzeit, sondern seit Menschen begonnen haben der Natur technisch zu begegnen, Natur technisch zu bearbeiten, die Arbeit durch Technik zu erleichtern, seit der Erfindung des Rades, seit der Erfindung des Feuers, seit der Erfindung des Pfluges, seit der Zähmung der ersten Tiere als Arbeitstiere, die uns Arbeit abnehmen – seitdem arbeiten wir daran, uns von der Arbeit zu befreien und uns dadurch selbst zu verbessern, also uns zu optimieren. Man könnte sagen, dass alle großen Erfinder, alle großen Techniker, alle diejenigen Genies, die wir heute bewundern, die Dinge erfunden haben, die uns Arbeit abnehmen, von den ersten Menschen, die das Feuer gezähmt haben bis zu den Erfindern der Dampfmaschine, des Benzinmotors und des Computers, eigentlich nur Wesen gewesen waren, die eigentlich faul sein wollten. Denn wer nicht faul sein will, hätte ja selbst aufs Feld gehen können und aufgraben können und Samen einsetzen können. Wozu ein Pflug? Wozu ein Ochse, der davor gespannt wird? Wer nicht faul ist, kann ja tatsächlich von Wien nach Linz zu Fuß gehen. Warum eine Eisenbahn? Warum ein Automobil? Aus Bequemlichkeit, und Bequemlichkeit ist auch eine andere Form der Selbstoptimierung. Deswegen verspricht uns der moderne Techniker nichts anderes pausenlos als Bequemlichkeit. Nichts sonst. Wir kommunizieren auf keiner höheren Ebene miteinander als früher, als man Rauchzeichen und Brieftauben hatte. Die Botschaften sind dieselben geblieben. Dich liebe ich, dich mag ich nicht, du gehst mir auf die Nerven, du gehst mir nicht aus dem Sinn, komm herein, wie auch immer. Mit dem Smartphone geht’s einfach leichter. Es geht schneller. Es ist nicht so mühsam wie Brieftauben abzurichten, Boten auf den Weg zu schicken oder Rauchzeichen in die Welt zu senden.
Dritter Makel: Unter Schmerzen wirst du deine Kinder gebären. Jetzt sind wir natürlich bei der Reproduktionsmedizin. Die wird Sie an diesen Tagen noch sehr beschäftigen. Diese Schmerzen des Gebärens, diese Frage der Zufälligkeit: Was ist das für ein Kind, das jetzt auf die Welt kommt? Diese Ausgeliefertheit einem Schicksal, das ich nicht beeinflussen kann. Wie wird das Kind werden? Wird es gesund sein? Wird es nicht gesund sein? Wird es ein Knabe sein? Wird es ein Mädchen sein? Wird es groß