Dagmar Hoßfeld

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Umschlag- und Innengestaltung: Gunta Lauck

Abbildungen: Eiffelturm: © Gunta Lauck, Kakaotasse: istock © joingate, Kakaoschaum: istock © amstockphoto, Lolli Herz: fotolia © Elnur, Lolli rund: fotolia © amawasri

Lektorat: Susanne Schürmann

Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-646-92891-4

 

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Connis Soundtrack: Zaz, George Michael & Mary J. Blige, „Music from Gilmore Girls“ (div. Interpreten), Andreas Bourani, Tim Bendzko, Mark Forster, Naughty Boy feat. Sam Smith, Charli XCX, Jonas Monar, Edith Piaf, Wincent Weiss, Klee

Er ist wieder da und ich bin hin und weg.

Hätte mir irgendwann eine süße kleine Glücksfee ins Ohr geflüstert, dass ich noch vor meinem 16. Geburtstag mit der Liebe meines Lebens auf dem Eiffelturm stehen und ganz Paris mir zu Füßen liegen würde, hätte ich das arme Ding vermutlich an die Wand geklatscht.

Okay, vielleicht nicht ganz so martialisch. Sagen wir, ich hätte die Fee verscheucht. Geglaubt hätte ich ihr auf jeden Fall NICHT. Höchstwahrscheinlich hätte ich sie nicht mal als Glücksbotin erkannt, sondern für ein gewöhnliches Insekt gehalten. Wer glaubt in meinem Alter noch an Feen?

Im letzten Jahr bin ich fünfzehn geworden. Ich bin es immer noch. Das Jahr hat nämlich gerade erst angefangen und ich habe am 30. April Geburtstag. Außerdem greife ich vor, denn nicht nur mein nächster Geburtstag, sondern auch der Eiffelturm liegt noch in weiter Ferne. Und zwar buchstäblich, geografisch, zeitlich – und überhaupt.

Heute ist der 6. Januar. Der Tag, an dem mein Freund aus Kalifornien zurückkehren wollte, wo er ein halbes Jahr auf Schüleraustausch war. Ungefähr jetzt sollte ich im Ankunftsgebäude des Flughafens an einem Meeting Point stehen und auf Phillip beziehungsweise sein Flugzeug warten.

Ich sehe mich direkt vor mir, wie ich nervös nach ihm Ausschau gehalten hätte; einen pinken Luftballon, Konfetti oder einen Blumenstrauß in den Händen haltend (wenn ich so darüber nachdenke, vielleicht sogar alles zusammen?), total hibbelig und angespannt bis zum Gehtnichtmehr vor lauter Sehnsucht, Liebe und Wiedersehensglück.

Die Betonung liegt auf sollte, wollte und hätte, denn Phillip ist schon wieder da. Ich musste ihn gar nicht abholen. Er hat von ganz allein zu mir zurückgefunden. In der Silvesternacht stand er mit einem Mal vor mir, als hätte ihn eine Rakete mit Überschall von Kontinent zu Kontinent geschossen. Er hat den riesigen Ozean überquert und sich direkt vor meine Füße gebeamt.

Es war eine Punktlandung. Mitten in mein Herz.

Phillip kann so was.

Er hat es nicht mehr ausgehalten, hat er gesagt. Und dass er mich liebt.

Das beruht eindeutig auf Gegenseitigkeit. So viel steht fest. Aber zurück in die Gegenwart …

Es ist noch ziemlich früh am Morgen, der letzte Ferientag ist gerade angebrochen und ich musste aus den genannten Gründen nicht zum Flughafen düsen, weshalb ich es mir in meinem Zimmer gemütlich gemacht habe. Im Hintergrund singt Zaz mit schmelzender Stimme „Sous le ciel de Paris s’envole une chanson …“.

Wir haben das Lied kurz vor Weihnachten in Französisch durchgenommen. Ich summe die Melodie mit, während ich noch im Schlafanzug an meinem Schreibtisch hocke, einen Stift zwischen den Fingern hin und her drehe und mich bei der Frage, woher Schriftsteller ihre Ideen nehmen und wie sie es schaffen, daraus ein ganzes Buch zu machen, fast verknote.

Ich würde auch gerne so gut schreiben können, dass man daraus ein Buch machen kann. Es ist so viel passiert in meinem Leben. Nur leider weiß ich nicht, wo und wie ich überhaupt anfangen soll.

„Schreibe den ersten Satz so, dass der Leser unbedingt den zweiten lesen will.“

Das ist ein Zitat von William Faulkner, einem berühmten amerikanischen Schriftsteller. Er hat vor Urzeiten den Nobelpreis für Literatur bekommen. Im Gegensatz zu mir wusste der Typ also genau, wovon er sprach und wie er zu schreiben hatte, um seine Leser einzufangen.

Der Anfang ist wirklich wichtig, finde ich. Wenn der erste Satz stimmt – na gut, sagen wir die erste Seite –, packt es dich und lässt dich nicht wieder los. Wenn es nur nicht so verdammt schwer wäre!

Ein Ende zu schreiben kommt mir dagegen wesentlich einfacher vor. Da wüsste ich sogar schon was Passendes für meinen imaginären Roman. Die letzten Sätze würden ungefähr so lauten:

„Sie saßen eng umschlungen am Meer und warteten darauf, dass die Sonne unterging. Der warme Wind streichelte ihre Haut. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Er küsste sie zärtlich, nahm ihre Hand und sie wusste, dass er sie nie, nie wieder loslassen würde.“

Ich höre Violinen, sehe pinke Herzchen und Rosenblätter vom Himmel flattern. Ja, ich weiß … Es ist noch nicht ganz druckreif und außerdem ganz schön kitschig, aber es ist zumindest ein Anfang. Beziehungsweise ein Ende. Was davor passiert, weiß ich wie gesagt noch nicht so genau.

Vielleicht sollte ich einfach Phillips und meine Story aufschreiben? Immerhin haben wir schon eine gemeinsame Geschichte. Eine Vergangenheit, eine Gegenwart und eine Zukunft natürlich auch. Ich stelle mir eine Art romantisch-kitschigen Liebesroman unseres Lebens vor. Ein bisschen Fantasy müsste auch mit rein. Und Spannung natürlich, logo. Dazu etwas Drama und extra viele pinkfarbene Herzchen (siehe oben). Möglicherweise würde ich ein ganz und gar neues Genre erschaffen. Ich könnte es Fantacrimeromance nennen. Oder gibt es das schon? Keine Ahnung …

Auf jeden Fall hab ich vor ein paar Tagen einen Bericht über ein Mädchen in meinem Alter gelesen, das gerade sein erstes eigenes Buch veröffentlicht hat. Da fing es bei mir an zu kribbeln. Was die kann, möchte ich auch können, hab ich mir gesagt. Unbedingt!

Wenn ich doch nur wüsste, womit ich anfangen soll!

Gibt es nicht irgendeine liebenswürdige Gottheit, die speziell für Autoren zuständig ist? Falls ja, darf er oder sie mich gerne mal besuchen und mich ein bisschen inspirieren.

Moment, mein Handy düdelt …

Ohne hinzusehen, weiß ich, dass es Phillip ist. Ich weiß es einfach. Vielleicht liegt es an den unsichtbaren Schwingungen? Die sendet mein Handy wirklich nur aus, wenn er dran ist.

„Guten Morgen“, melde ich mich und lasse den Kuli zwischen Zeige- und Mittelfinger kreisen. Es gelingt mir ungefähr so gut wie der Anfang meines Romans, nämlich gar nicht.

Der Stift fällt auf den Boden. Kater Mau springt aus seinem Körbchen und freut sich über das neue Spielzeug, das er mit einem gezielten Hieb seiner Vorderpfote unter die Kommode befördert, wo es sich mit Wollmäusen, Haargummis und anderen verlorenen Dingen paaren kann.

„Tschüss, Kugelschreiber“, murmele ich ihm hinterher.

„Hi!“ Phillips Stimme klingt sehr süß und sehr verschlafen. Als würde er noch im Bett liegen und sein erster Gedanke nach dem Aufwachen hätte ihn nach dem Telefon greifen und meine Nummer wählen lassen. „Was machst du so?“

„Ich schreibe ein Buch. Beziehungsweise versuche ich es“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Das Ende hab ich schon.“

Phillips Reaktion ist ein Kichern. Das ist nicht ganz das, was ich erwartet hatte.

„Etwas mehr Respekt, bitte!“, sage ich streng.

„Sorry“, brummelt er, immer noch kichernd.

Geht doch.

„Wann planst du, mit deinem Buch fertig zu sein?“, will er wissen. „Dauert das den ganzen Tag oder sehen wir uns heute noch?“

Ich puste mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und nicke.

„Klar sehen wir uns. Ich glaub, ich kann gut eine kreative Pause vertragen. Vielleicht hab ich eine Schreibblockade.“

„Dagegen kann man bestimmt was tun“, meint Phillip. „Ich bin so eine Art Zen-Meister im Lösen von Blockaden aller Art.“

So wie er das sagt, glaub ich ihm aufs Wort.

„Willst du herkommen?“, fragt er.

Wieder nicke ich, was am Telefon zugegebenermaßen etwas blöd ist.

„Aber ich bin noch im Pyjama“, wende ich ein.

„Der mit den kleinen Katzenbabys?“, will Phillip wissen.

„Ja.“

„Sexy“, lautet sein Kommentar.

Ich beschließe, nicht darauf zu antworten, sondern sage stattdessen: „Gefrühstückt hab ich auch noch nicht.“

„Kein Problem“, erwidert mein blond gelockter Zen-Meister und Blockadelöser. „Setz dir ’ne Mütze auf und schwing dich rüber. Möchtest du Tee, Kaffee oder Kakao? Weizen- oder Körnerbrötchen? Rosen oder Gänseblümchen? Beethoven, Adele oder Lenny Kravitz? Croissants? Honig oder Marmelade?“

„Alles!“, krächze ich. „Ich bin in einer Viertelstunde bei dir.“

„Perfekt!“

Phillip legt auf. Okay, wenn er innerhalb der nächsten fünfzehn Minuten ein romantisches, blumengeschmücktes, musikalisch untermaltes Frühstücksbüfett für mich zaubern möchte, hat er mehr als genug zu tun. Ich frag mich nur, woher er die Gänseblümchen nehmen will. Wir haben wie gesagt Anfang Januar.

Mist, ich hab ganz vergessen, dass ich gegen Mittag mit Lena verabredet bin! Egal, der Tag ist lang. Der Vormittag gehört Phillip, der Nachmittag Lena. Sie will irgendeine Winterzeremonie mit mir veranstalten. Irgendetwas, das weise Frauen in dieser Jahreszeit so machen. Lena behauptet, eine alte Seele zu besitzen und in einem ihrer zahlreichen früheren Leben eine Schamanin gewesen zu sein. Für mich ist sie in ihrem jetzigen Leben auch eine. Ganz klar.

Ich springe auf, schnappe mir ein paar von den im ganzen Zimmer verstreuten Klamotten in der Hoffnung, dass sich darunter etwas Akzeptableres als mein kuscheliger Katzenbabyschlafanzug befindet, und verschwinde in der nächsten Sekunde im Bad.

Wäre mein Leben ein Kinofilm, würde es an dieser Stelle einen schnellen Schnitt geben. In der folgenden Szene wäre ich perfekt geschminkt. Mein Teint wäre rosig und meine Haare würden glänzen, als hätte ich sie in flüssige Perlen getaucht. Und natürlich hätte ich statt eines zerknautschten Wollpullis und einer ausgebeulten Jeans mit Saftfleck auf dem linken Oberschenkel irgendein schickes Oberteil und eine farblich darauf abgestimmte Hose an. Ganz sicher hätte ich keine Pickel von zu vielen Süßigkeiten auf der Stirn. Und ich müsste mich auch nicht auf mein altersschwaches Fahrrad schwingen, sondern würde an der Straße stehen, lässig mit einem Coffee-to-go-Becher winken und in ein heranrauschendes Taxi steigen, das mich zu meinem Prinzen bringt. Haha …

Weil mein Leben kein Kinofilm, sondern harte Realität ist, brauchen die Pickel und ich etwas länger als die angepeilte Viertelstunde, bis wir bei Phillip sind. Schließlich musste ich auch noch einen Zettel schreiben, damit meine Eltern und Jakob wissen, wo ich bin. Meine Eltern sind bei der Arbeit, Jakob ist bei einem Freund. Auch Maus Fressnapf musste ich noch auffüllen. Mein Kater ist sehr sensibel, wenn es um seine Ernährung geht. Sobald der Futterpegel in dem Schälchen unter ein gewisses Level fällt, glaubt er, dass er verhungert. Der Kater, nicht der Napf.

*

„Sorry, mein Vorderreifen war platt“, schnaufe ich zur Begrüßung, als ich endlich bei Phillip bin. Ich wickele mich aus meinem Dreimeterschal, wobei ich das Gleichgewicht verliere und mich an der Hauswand abstützen muss, um nicht in ein mit Tannenzweigen abgedecktes Rosenbeet zu stolpern. Kann es sein, dass man mit zunehmendem Alter tollpatschiger wird? Manchmal hab ich das Gefühl.

Phillip steht in der Haustür, beobachtet mich und grinst.

Wenigstens kichert er nicht. Das rechne ich ihm hoch an.

Im Vorbeigehen werfe ich einen Blick auf das glänzend polierte Messingschild neben der Tür.

Dr. Michael Franck & Dr. Julius Graf – Fachkanzlei für internationales Recht ist dort eingraviert. Darunter hängt ein etwas kleineres Schild mit der Aufschrift: Katharina Goltz – Anwältin und Notarin.

Julius ist Phillips Vater. Dr. Franck ist ein Anwaltskollege und Partner in der Kanzlei. Katharina Goltz lautet der Name von Julius’ Freundin. Julius und sie haben sich vor Jahren bei einer komplizierten Gerichtsverhandlung kennengelernt und ineinander verliebt. Ihr Schild ist erst später hinzugekommen – genauer gesagt, nachdem sie in die Villa eingezogen ist und ihre Kosmetiksachen strategisch im Elternbadezimmer platziert hat. Das habe ich zufällig entdeckt, als ich mich mal in der Tür geirrt habe.

Ich folge Phillip in den Flur, steige dort aus meinen Stiefeln und stelle sie auf eine Matte. Weil ich inzwischen so hungrig bin, dass mein Magenknurren vermutlich im ganzen Haus zu hören ist, schlägt Phillip mir vor, sofort zu frühstücken.

„Wenn du weiter so komische Geräusche von dir gibst“, sagt er, „denkt mein Dad, dass unsere Heizung kaputt ist.“

„Ist er in seinem Büro?“, frage ich.

„Sind alle bei der Arbeit.“ Phillip nickt und zeigt auf eine Tür, die den Wohnbereich der Villa von der Anwaltskanzlei trennt. Ich halte die Luft an und tappe auf Zehenspitzen daran vorbei.

Erst auf der Treppe wage ich wieder normal zu atmen. Phillips Vater ist nett. Ich möchte nicht, dass er, Katharina oder Dr. Franck sich in ihrer wichtigen Anwaltsarbeit gestört fühlen, mein Magenknurren mit einer defekten Heizung verwechseln und vorschnell einen teuren Monteur rufen.

Oben angekommen lasse ich Schal und Steppjacke fallen und schaue mich neugierig im Zimmer um.

Alles ist picobello aufgeräumt. Das Bett ist gemacht, auf dem Fußboden ist kein Krümel zu sehen, nicht mal eine Socke. Darin unterscheidet sich mein Freund deutlich von anderen Jungs, die ich kenne. Wenn ich nur an Jakobs Zimmer denke … Ein Erdbebengebiet ist nichts dagegen.

Auf dem Schreibtisch steht ein Tablett mit Brötchen, Joghurt, Croissants, Schokocreme, Käse und Kakao.

Aha, denke ich. Das soll dann wohl das Büfett sein. Aber wo sind die Gänseblümchen?

Vergiss die blöden Blumen, knurrt mein Magen. Ich hab Hunger!

Phillip macht chillige Musik an. George Michael und Mary J. Blige singen im Duett. Dann hocken wir uns auf den Teppich vor dem Bett und stellen das Tablett zwischen uns. Weil Phillip schon gefrühstückt hat, ist der Löwenanteil für mich. Das gefällt mir. Meinem Magen anscheinend auch. Als ich irgendwann satt bin, schweigt er zufrieden. Dafür macht nun der Kakao gluckernde Geräusche. Egal.

Mit einer Hand schiebe ich das Tablett weg, strecke mich lang aus, bette meinen Kopf auf Phillips Oberschenkel und seufze behaglich. Er lehnt sich zurück und erzählt mir zum hundertsten Mal von seinem Lieblingsthema: San Francisco.

„In der Bucht hängt oft Nebel“, sagt er, „aber wenn der sich verzieht und die Sonne aufgeht, sieht es aus, als würde die Golden Gate Bridge glühen. Total spektakulär! Das kannst du dir nicht vorstellen.“

Während er mit Begeisterung sämtliche Farbnuancen des kalifornischen Sonnenaufgangs beschreibt, spielt er mit meinen Haaren. Es fühlt sich gut an, kribbelig und schön zugleich. Ich möchte fast schnurren. Wir liegen inzwischen kreuz und quer auf dem Teppich – er kreuz, ich quer –, hören George und Mary J. zu und unterhalten uns über die vergangenen Monate. Das heißt, genau genommen unterhalten wir uns nicht wirklich. Das Gespräch verläuft ziemlich einseitig. Er schwärmt die meiste Zeit nur von seinem halben Jahr im Ausland, das er in Berkeley verbracht hat. Ich höre mehr oder weniger andächtig zu.

Phillip hat recht: Ich kann mir die Golden Gate Bridge bei Sonnenaufgang nicht vorstellen. Auch nicht bei Sonnenuntergang. Und im Morgennebel schon mal gar nicht. Wie denn auch? Ich kenne die Brücke bisher nur von Fotos und aus Filmen. Und aus Phillips Erzählungen natürlich.

Nachdem er mir den rostroten Beweis höchster Brückenbaukunst in aller Ausführlichkeit beschrieben hat, sind die Cable Cars an der Reihe. Cable Cars – das sind doch diese altmodischen Straßenbahnen, die sich im Fernsehen immer die Straßen von San Francisco rauf- und runterquälen und dabei so lustig bimmeln, oder?

„Kann man da wirklich während der Fahrt einfach auf- und abspringen?“ Ich hebe meinen Kopf und blicke direkt in Phillips wunderschöne Schokoladentaleraugen.

„Wenn man sich traut.“ Er grinst.

„Hast du dich getraut?“

„Klar.“

Ich lasse meinen Kopf wieder sinken, fange an zu träumen und rufe mir die magische Silvesternacht ins Gedächtnis, in der er so plötzlich vor mir stand, als wäre er vom Himmel gefallen, während unsere Freunde ringsherum gejubelt, getanzt und das neue Jahr begrüßt haben. Ich hoffe, dass ich später nicht irgendwann dement werde. Diesen Augenblick und die damit verbundene Gefühlsexplosion in meinem Herzen möchte ich bitte nie, niemals vergessen!

Seit Phillips Rückkehr versuchen wir, so viel Zeit wie möglich zusammen zu verbringen. Schließlich haben wir einigen Nachholbedarf, was sich unter anderem darin äußert, dass wir kaum die Augen, geschweige denn die Finger voneinander lassen können. Ständig müssen wir uns anschauen und uns berühren. Fast so, als wären wir magnetisch. Dass wir noch Ferien haben, ist wirklich günstig. Ich glaube kaum, dass die Lehrer unseren ausgeprägten Magnetismus während des Unterrichts tolerieren würden. Oder vielleicht doch? Schließlich weiß jeder an unserer Schule – auch die Lehrer –, dass Phillip ziemlich lange weg war. Vielleicht bekommen wir ja eine Art Sonderstatus, der es uns erlaubt, weiterhin magnetisch zu sein? Schön wär’s.

„Woran denkst du?“ Phillip gibt mir einen Stups.

„An die Schule“, antworte ich seufzend.

„Echt jetzt?“

„Ja. Morgen ist das schöne Leben vorbei.“ Ich drehe mich um und kitzele ihn. Phillip windet sich wie ein Wurm und winselt um Gnade. Dann streicht er mir die Haare aus dem Gesicht und schaut mich an. Ich sehe die goldenen Einschlüsse in seinen Augen und verspüre schon wieder den Drang zu schnurren. Gleichzeitig fällt mein Blick auf einen Fotokalender. Er hängt über dem Schreibtisch und ist noch genauso neu wie das Jahr. Das Januarbild zeigt eine Straßenszene mit riesigen Reklametafeln, eiligen Menschen, Wolkenkratzern und knallgelben Taxis.

„Das ist aber nicht San Francisco, oder?“

„Nö. Das ist der Times Square in New York.“

„New York?“, wiederhole ich fragend. Der Schnurrdrang in meinem Innern erlischt. Wenn ich geglaubt habe, dass Phillip sein Fernweh mit den paar Monaten Kalifornien auskuriert hätte, hab ich mich gründlich geschnitten. Er möchte so schnell wie möglich wieder in die USA, das hat er mir gleich an Neujahr gesagt. Wie es aussieht, steht das Ziel bereits fest. Dabei ist das Gepäck seiner letzten Reise noch nicht mal da! Irgendwie ist es bei der spontanen Umbuchung des Rückflugtickets verloren gegangen und wer weiß wo gelandet. Hofft er vielleicht, dass seine Reisetasche durch einen glücklichen Umstand in New York City gestrandet ist und dort auf ihn wartet, damit er sie demnächst persönlich abholen kann? Ich traue es ihm zu.

„Hast du schon was von der Airline gehört?“, frage ich nicht ganz selbstlos. Immerhin stecken nicht nur seine Socken und T-Shirts in der Reisetasche, sondern auch mein Weihnachtsgeschenk. Er hat es in San Francisco gekauft und weigert sich beharrlich, mir zu verraten, was es ist.

„Nö. Die rufen an, sobald mein Gepäck auftaucht. Anscheinend macht es eine Weltreise. Aber so wichtig sind meine schmutzigen Klamotten schließlich nicht. Alles wirklich Wichtige hatte ich zum Glück als Handgepäck in meinem Rucksack.“

„Und was ist mit meinem Geschenk? Ist das etwa nicht wichtig?“ Ich richte mich empört auf.

„Seit wann bist du so materialistisch drauf?“, kontert Phillip. „Genügt dir meine Anwesenheit etwa nicht?“

„Doch, klar. Aber meine Überraschung hätte ich trotzdem gern.“ Ich stehe auf und blättere den Kalender durch. Lauter Hochglanzansichten von New York. Ich unterdrücke ein Seufzen.

Phillip steht nun auch auf und stellt sich hinter mich. Seine Arme umschlingen mich. Ich lehne mich gegen ihn.

„Ohne dich fahr ich nirgendwo mehr hin“, murmelt er in mein linkes Ohr. „Kommst du mit?“

„In den großen Apfel?“

„Jepp.“ Er nickt. „Wir mieten uns ein schäbiges Apartment in Brooklyn und suchen uns einen Job in einem Fast-Food-Laden.“

„Wieso schäbig?“, erkundige ich mich. „Schäbig kommt nicht in die Tüte! Wenn ich auswandere, dann mit Stil!“

„Die nicht schäbigen Wohnungen sind in New York leider unbezahlbar“, klärt Phillip mich auf.

„Ach so, das hätte ich mir denken können. Meine Eltern sind bestimmt begeistert, wenn sie uns dann irgendwann in unserem total schäbigen Apartment besuchen.“

Ich drehe mich um und schaue ihn an. Plötzlich fällt mir etwas ein. Nicht nur sein Gepäck ist immer noch verschwunden, sondern auch das Päckchen, das ich nach Berkeley geschickt habe. Mitsamt einem seitenlangen Liebesbrief und einer selbst gehäkelten Beanie als Weihnachtsgeschenk. Ich hatte es rechtzeitig vor Weihnachten abgeschickt, aber durch seine vorzeitige Rückkehr hat Phillip es nicht bekommen. Wir wissen zwar, dass es bei seinen Gasteltern angekommen ist, aber die sind in Urlaub und konnten es noch nicht zurückschicken. Bis es wieder in Deutschland ist, ist garantiert Frühling und Phillip braucht keine Mütze mehr. Aber wenigstens steht es dadurch zwischen uns unentschieden: kein Geschenk für mich, kein Geschenk für ihn. Finde ich absolut gerecht.

Dass Phillip wesentlich entspannter damit umgeht, wurmt mich trotzdem ein bisschen. Bin ich wirklich materialistisch eingestellt? Nö, eigentlich nicht. Höchstens extrem neugierig.

„Ups, ich muss los. Ich hab Lena gesagt, dass ich auf dem Rückweg bei ihr vorbeischaue.“ Ich versuche, mich aus Phillips Umarmung zu lösen, aber er denkt nicht daran, mich loszulassen. Ich will es ja eigentlich auch nicht, aber ich hab’s Lena versprochen. Außerdem bin ich gespannt auf die merkwürdige Zeremonie. Sie hat etwas von Kräutern und Tee gebrabbelt und dass sie Salbei verbrennen will. Damit sollen die Geister des alten Jahres verjagt und die Schicksalsgöttin für das nächste Schulhalbjahr milde gestimmt werden. Lena hat für jede Lebenslage den passenden Tee und das entsprechende Räuchermaterial.

„Na gut.“ Phillip gibt mich endlich frei. „Ich bin sowieso noch mit den Jungs im Sportheim verabredet. Wir wollen die kommende Saison besprechen. Trainingspläne und so.“

Was er mit „und so“ meint, lässt er offen. Ob sie auch eine geheime Zeremonie abhalten wollen? Vielleicht buddeln sie auf dem Fußballplatz ein kleines Stück Grasnarbe aus und verbrennen die verdorrten Halme in einem Silberpokal, den sie bei einem wichtigen Turnier gewonnen haben. Auch Jungs können mystische Wesen und alte Seelen sein.

Ich bemühe mich sehr, nicht zu grinsen, als Phillip mich nach unten bringt.

„Hab viel Spaß!“ Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss zu geben.

„Du auch.“ Phillip streift mir eine Strähne aus dem Gesicht und guckt mich sehr verliebt an. Mir wird ganz warm, was möglicherweise weniger an seinem Blick als an dem Schal liegen könnte, den ich mir ein bisschen zu fest um den Hals geschlungen habe. Ich lockere ihn mit einer Hand und steige in meine Stiefel.

„Wir sehen uns in der Schule“, sage ich zum Abschied.

„Ich kanns kaum erwarten.“ Phillip lächelt sein spezielles Phillip-Lächeln und winkt. „Ich ruf dich nachher noch mal an. Gegen zehn?“

„Perfekt. Dann hab ich auch wieder meinen Kätzchenschlafanzug an.“

„Versprochen?“

Ich winke zurück, ohne zu antworten, und stapfe zu meinem Rad, das treu und brav an der Hauswand lehnt. Dass der Reifen schon wieder Luft verloren hat, ignoriere ich. Ich hab blöderweise die Luftpumpe zu Hause liegen lassen, aber bis zu Lena wird es hoffentlich reichen. Vielleicht kann die mir mit einer Pumpe aushelfen. Oder ihre Mütter. Falls nicht, hab ich ein Problem. Es sei denn, Lena beherrscht einen magischen Fahrradreifenaufpumpzauber. Ich könnte natürlich auch Phillip fragen. Aber nee, ich will jetzt los.

„Ciao, Süße!“, ruft er mir nach, als ich mich in den Sattel geschwungen habe und mehr oder weniger elegant losrolle.

„Bis später am Telefon!“, rufe ich und bin schon weg.

*

Eine halbe Stunde später sitzen Lena und ich in ihrer Küche (bzw. der ihrer Mütter), schlürfen blassen Apfeltee aus hauchzarten Schalen, verdrücken die zweite Packung Mandelkekse und bereiten uns mental auf das Weise-Frauen-verbrennen-stinkende-Kräuter-Ritual vor. Okay, vielleicht stinkt weißer Salbei gar nicht. Ich hab keinen Schimmer. Aber der Tee ist lecker und die Mandelkekse sind es auch.

Lena ist allein zu Hause, weshalb wir die Anlage in ihrem Zimmer so laut aufgedreht haben, dass wir die Musik in der Küche hören können. Der Soundtrack der Gilmore Girls dringt vermutlich sogar bis ins Treppenhaus des Altbaus. Sünje und Hannah, Lenas Mütter, sind Fans der Serie. Lena und ich auch seit Neuestem. Außerdem mag ich alte Songs, bei denen mein linker Fuß automatisch anfängt zu wippen, ob ich will oder nicht.

„Weißer Salbei – lateinisch Salvia apiana – wächst im Südwesten Amerikas. Er wird auch indianischer Räuchersalbei genannt“, doziert die kleine Kräuterhexe neben mir, während ich meinen Tee schlürfe. „Er gehört zur selben Gattung wie normaler Gartensalbei, aber der Duft ist ganz anders, viel intensiver. Da kann kein normaler Salbei mithalten.“

Ich will gerade fragen, wozu wir das Zeug überhaupt verbrennen wollen, da kommt Lena mir zuvor.

„Weißer Salbei ist ein geniales Reinigungskraut“, plappert sie weiter. „Störende Energien und negative Gefühle verschwinden, böse Geister werden krank.“

„Aber ich hab gar keine negativen Energien“, wende ich vorsichtig ein und füge noch „Die armen Geister!“ hinzu.

Lena mustert mich mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Natürlich hast du negative Energien“, widerspricht sie mir. „Die spüre ich bis hierher!“

„Das muss daran liegen, dass morgen die Schule wieder anfängt“, murmele ich ertappt und greife nach einem weiteren Keks. „Außerdem hab ich eine Schreibblockade.“

„Siehste!“, trumpft Lena auf. „Aber keine Panik. Dagegen können wir was tun.“

Sie deutet auf das silbergraue Blätterbündel, das von einer Paketschnur zusammengehalten vor uns auf dem Tisch liegt. Es sieht hübsch aus, interessant, aber nicht besonders spektakulär oder gar magisch.

„Wart’s ab!“, sagt Lena, als hätte sie meine respektlosen Gedanken gelesen. Es wäre ihr durchaus zuzutrauen. „Gesundheit, Langlebigkeit, Weisheit, Klarheit und Schutz“, zählt sie auf. „Alles Alte wird fortgeschickt, Platz für Neues geschaffen und Pechsträhnen durchbrochen.“

„Wow, klingt cool“, murmele ich beeindruckt, obwohl ich nicht finde, dass ich eine Pechsträhne habe. „Wirkt das Zeug auch vorausschauend? Kannst du damit in die Zukunft blicken? Ich wüsste zu gerne, wie es mit Phillip und mir weitergeht.“

„Nein. Dafür gibt’s andere Mittelchen.“ Lena grinst. „Kaffeesatz zum Beispiel, oder Teeblätter.“

„Na, dann …“ Ich nicke ihr zu. „Worauf wartest du noch? Räucher endlich los!“

„Wo wir gerade von Mr California reden …“, sagt Lena, während sie eine dicke Kerze anzündet. „Wie läuft’s denn so zwischen dir und Phil? Habt ihr euch schon wieder aneinander gewöhnt?“

„Ja, klar“, bestätige ich nickend. „Alles läuft super. Es ist so toll, dass er wieder da ist! Hin und wieder kneife ich mich, weil ich’s nicht glauben kann.“

Lena lächelt. Ihre Finger spielen mit dem Salbeibündel.

„Und bei dir so?“, frage ich. „Ich hab Krischan lange nicht mehr gesehen.“

„Der ist mit Freunden zum Skilaufen in Österreich. Im Moment ist auf seinem Hof nicht viel zu tun. Der Winter ist die einzige Jahreszeit, in der er sich mal ein paar Tage am Stück freinehmen kann. Nächste Woche kommt er wieder.“

„Er ist mit seinen Freunden weggefahren?“, wiederhole ich erstaunt. „Wieso nicht mit dir?“

„Ich hasse Wintersport. Allein schon dieser ganze Schnee, den man dazu braucht“, antwortet Lena. „Außerdem fängt die Schule morgen wieder an.“

„Danke, dass du mich daran erinnerst“, knurre ich. Wir lachen. Lena hält das Blätterbündel an die Kerzenflamme, bis es anfängt zu glimmen, und wedelt anschließend damit herum. Es riecht würzig, herb, nach Baumharz und verbranntem Laub.

„Das ist aber keine psychedelische Droge, oder?“, frage ich und halte spontan die Luft an. „Wir kriegen jetzt keine Halluzinationen und können plötzlich Farben schmecken oder so?“

„Nein“, beruhigt Lena mich. „Keine Panik. Du kannst ruhig weiteratmen.“

„Aber musst du nicht irgendwas sagen? Einen Zauberspruch vielleicht?“, flüstere ich. Ich flüstere, um das Ritual nicht zu stören. Lena sieht total konzentriert aus. Sie schüttelt den Kopf und wedelt wortlos weiter mit dem Kräuterbündel.

Weichet von uns, ihr bösen Geister, brumme ich im Stillen. Keine Ahnung, ob’s was bringt. Auf jeden Fall ist mir schwindelig, als ich irgendwann am späten Nachmittag aufbreche. Lena und ich umarmen uns zum Abschied. Sie murmelt mir ein wohlklingendes „Ohmm“ ins linke Ohr. Schwindelig ist mir trotzdem noch. Vielleicht liegt es am Salbei. Vielleicht hab ich zu viele Mandelkekse verdrückt. Vielleicht kommt der Schwindel aber auch daher, dass ich so lange kopfüber gebeugt neben meinem Rad stehen musste, um den platten Reifen mit einer Luftpumpe aufzupusten, die Lena bei einem freundlichen Nachbarn ausgeliehen hat. Auf jeden Fall tut mir die frische Luft gut. Ich atme tief ein und aus, während ich durch den stillen Park nach Hause rolle.

*

Meine Eltern und Jakob sitzen schon beim Abendessen. Früher als sonst, vielleicht weil morgen die Schule wieder anfängt und Jakob und ich noch unsere Schulsachen zusammensuchen müssen. Ich höre meine Familie sprechen, als ich die Haustür aufschließe und in den Flur trete. Mau kommt mir entgegen und streift schnurrend um meine Beine. Bevor ich ihn kraule, knülle ich Jacke, Schal, Mütze und Handschuhe zu einem Bündel zusammen und werfe es auf die Garderobe. Meine Mutter kriegt regelmäßig die Krise, weil ich nie Kleiderbügel und/oder Haken benutze, aber Zusammenknüllen und Werfen ist nun mal viel praktischer. Besonders wenn man’s eilig hat, weil man kurz vorm Verhungern ist. Die Kalorien der Mandelkekse hab ich beim Radfahren verbraucht. Ich hab wirklich Hunger.

„Hallo, Klawitters!“, rufe ich und biege schwungvoll um die Ecke ins Wohnzimmer, wo die Sippe um den Essplatz versammelt ist. „Hoffentlich habt ihr mir was übrig gelassen!“

„Wer ist das?“, fragt Paps, der Scherzkeks im Ironiemodus, als ich mich neben ihn setze und nach dem Brotkorb greife.

„Unsere Tochter“, antwortet meine Mam. „Sie wohnt hier.“

„Ach, ja. Ich erinnere mich.“ Mein Vater nickt.

Jakob verdreht die Augen. Ich grinse.

„Schön, dass du dich auch mal wieder blicken lässt“, sagt meine Mutter. „In den letzten Tagen haben wir dich ja kaum gesehen.“

„Ich hatte Ferien, Mama“, antworte ich und säbele ein großes Stück von dem Camembert ab, der mich so verführerisch anlächelt. „Da schläft man lange und ist tagsüber unterwegs. Aber gewöhnt euch schon mal an meinen Anblick. Ab morgen seht ihr mich wieder regelmäßig. Sogar schon beim Frühstück!“

„Mich auch, leider.“ Mein kleiner Bruder lässt seinen Kopf auf die Tischkante sinken und stöhnt auf. „Uah, Schule …“

Der Rest des Abendessens verläuft dann ganz fröhlich und normal wie bei anderen Familien. Wir erzählen uns, was wir so erlebt haben. Meine Eltern erkundigen sich, wie es Phillip geht, und wollen wissen, ob er sich schon wieder eingelebt hat.

„Ganz gut, glaub ich“, lautet meine Antwort. Was soll ich auch sonst sagen? Dass wir gekuschelt und geknutscht haben, um den Rückstand der vergangenen Monate aufzuholen?

Schließlich räumen wir gemeinsam den Tisch ab. Als die Spülmaschine läuft, verschwinden meine Eltern im Wohnzimmer. Jakob, Mau und ich flitzen nach oben.

„Schlaf gut, kleiner Bruder“, sage ich, als wir vor unseren Zimmertüren stehen.

„Du auch, große Schwester“, sagt Jakob. Obwohl es noch nicht wirklich spät ist, gähnt er herzzerreißend.

Ich schlüpfe schnell in mein Zimmer, bevor er mich mit seiner Müdigkeit anstecken kann. Bis Phillip anruft, hab ich noch einiges zu erledigen. Meinen Kram für die Schule zusammenpacken, ein neues Tagebuch einweihen und vielleicht noch zwei, drei Seiten an meinem Roman schreiben.

Kann es sein, dass das Salbei-Ritual schon wirkt? Ich fühle mich so beschwingt, beflügelt und energiegeladen wie schon lange nicht mehr. Aber vielleicht liegt es weniger am Salbei als daran, dass ich mich auf Phillip freue. Auf seine Stimme am Telefon und darauf, dass wir uns ab morgen wieder jeden Tag in der Schule sehen. Genau wie vor seinem Trip nach Berkeley. Ich kann es kaum erwarten.