Vor der Haustür: Auf den Spuren der Raumfahrt

Der erste Schritt, den wir ins Weltall wagen, bringt uns dorthin, wo sich tatsächlich schon andere Menschen herumgetrieben haben und sogar in diesem Augenblick tummeln. Dieser Teil des Alls ist sehr überschaubar, um nicht zu sagen: winzig. Trotzdem ist die Reise alles andere als einfach oder eintönig. Folgen wir also zunächst den waghalsigen Raumfahrern vergangener Jahrzehnte und den routinierten Astronauten von heute, und begeben wir uns später sogar auf die Spur von Raumsonden und Landerobotern an all den Orten im Sonnensystem, die wir noch nicht mit unserer persönlichen Anwesenheit beglücken konnten.

Doch zuvor müssen wir kurz darüber sprechen, wie wir auf unserer Reise Entfernungen beschreiben: Wir brauchen geeignete Maßeinheiten. Wie wäre es mit Kilometern? Der Vorteil ist, dass so ziemlich jeder ein Gefühl für Kilometer haben dürfte: Zur Schule oder Arbeit sind es soundso viele Kilometer, die nächste Großstadt liegt ein paar Dutzend Kilometer weg, und auf einer langen Flugreise legt man auch schon mal Tausende Kilometer zurück. Und zunächst können wir auch tatsächlich bei Kilometern bleiben. Wir sollten uns aber nicht zu sehr daran gewöhnen, denn schon innerhalb des Sonnensystems werden Kilometer bald unhandlich klein. Das ist wie beim Einrichten eines Zimmers: Die Breite des Schranks notiere ich als »120 Zentimeter«, aber die Entfernung zum Möbelmarkt merke ich mir nicht als »dreihundertfünfzigtausend Zentimeter«, sondern lieber gleich als »dreieinhalb Kilometer«. Auf unserem Streifzug durchs Universum werden sich die Entfernungseinheiten gewissermaßen die Klinke in die Hand geben, und wir müssen immer wieder unsere Perspektive wechseln, um mit den enormen Entfernungen Schritt zu halten. Aber das regeln wir, wenn es so weit ist. Niemand muss befürchten, ohne Anmoderation mit einer »Astronomischen Einheit« (ja, die heißt wirklich so) oder einem »Lichtjahr« konfrontiert zu werden. Für die Neugierigen sei vorab verraten: Eine Astronomische Einheit steht für knapp 150 Millionen Kilometer, ein Lichtjahr für nicht ganz zehn Billionen Kilometer.

Ein Problem gibt es allerdings doch mit unseren altbekannten Kilometern: Wir benutzen sie als Maßeinheit, wenn wir beschreiben möchten, wie weit wir uns auf der Erde fortbewegen. Nach oben, also von der Erde weg und in Richtung des Weltalls, sind die Dimensionen schon ganz andere. Ich selbst fahre zum Beispiel oft zwölf Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit. Das ist keine bemerkenswerte Entfernung (obwohl ich trotzdem furchtbar stolz darauf bin). Zwölf Kilometer nach oben wären allerdings für jeden Fahrradfahrer eine handfeste Sensation! Die höchsten Berge der Erde sind gerade mal acht bis neun Kilometer hoch, und in zehn bis zwölf Kilometern Höhe tummeln sich vor allem Passagierflugzeuge. Im Flugzeug ist dabei übrigens von einer Flughöhe zwischen 30 000 und 40 000 Fuß die Rede – jede Unternehmung hat eben ihre eigenen Einheiten.

Auch eine Reise zur Internationalen Raumstation ISS verdeutlicht den Unterschied zwischen Kilometern geradeaus und Kilometern nach oben. Die ISS umkreist die Erde in einer Höhe von gut 400 Kilometern. Das entspricht auf der Erde etwa der Strecke Hamburg – Köln. Doch der Unterschied ist, dass die ISS selbst in Bewegung ist. Man kann sie also nicht direkt anfliegen, sondern muss mindestens sechs Stunden lang auf die Raumstation zusteuern und dabei die Triebwerke feuern, um genauso schnell zu werden wie sie. Bevor 2013 ein neues Anflugmanöver entwickelt wurde, dauerte der Flug fast zwei Tage! Die Enge in der Kapsel, die schwindelerregende Beschleunigung und die Vibrationen beim Start, die schweren Raumanzüge und die rudimentären Toilettenanlagen: Auch wenn viele gern über die Bahn schimpfen, ist der Flug zur ISS mit Sicherheit wesentlich unangenehmer, als vier Stunden im ICE zu sitzen.

Also dann, auf nach oben! Unsere ersten Schritte ins All beginnen mit Höhen, die man zu Fuß erreichen kann. Wer auf einem der höchsten Gebäude der Welt steht, befindet sich rund einen Kilometer über dem Boden. Die Unregelmäßigkeit der Erdoberfläche sorgt sogar für überraschende Situationen: Auf jedem beliebigen Barhocker in Mexiko-Stadt sitzen Sie höher über dem Meeresspiegel als auf dem Dach irgendeines der zehn höchsten Gebäude der Welt (und der Tequila ist in Mexiko auch besser).

Auf eine größere Höhe als die zehn bis zwölf Kilometer, die große Passagierflugzeuge auf langen Strecken erreichen, verschlägt es die wenigsten Menschen jemals. Forschungs- und Militärpiloten kratzen bisweilen an der Grenze zum Weltraum, und wer höher als 100 Kilometer über dem Meeresspiegel fliegt, darf sich Astronaut oder Astronautin nennen. Diese Grenze wurde von der Fédération Aéronautique Internationale festgelegt, die seit über 100 Jahren Rekorde in der Luft- und Raumfahrt verwaltet. So hoch können Menschen nur mit speziellen Flugzeugen fliegen – oder eben mit Raumschiffen. Im Deutschen ist übrigens, ebenso wie im Englischen, der Begriff »Astronaut« üblich. Juri Gagarin, der erste Mensch im All, wurde allerdings »Kosmonaut« genannt, und in zahlreichen Ländern Osteuropas und Asiens ist dieser Begriff weiterhin üblich. Das Französische kennt zusätzlich auch den Begriff »spationaute«. In den 2000er Jahren hat sich für Raumfahrer aus China der Begriff »Taikonaut« eingebürgert. All diese Begriffe sind Kunstwörter mit griechischen oder lateinischen Wurzeln und bedeuten wörtlich so viel wie »Raumfahrer«. Es ist gut möglich, dass in der Zukunft weitere Länder mit eigenen Raketen in die Raumfahrt einsteigen und der Tradition folgend eine eigene Wortschöpfung etablieren.

Der entscheidende Unterschied zwischen Flugzeugen und Raumschiffen ist die Strategie, mit der sie oben bleiben. Ein Flugzeug macht sich zum Fliegen den Luftstrom um die Flügel zunutze, der ihm Auftrieb verleiht, während die Triebwerke es nach vorne drücken. Dabei bewegt sich der Rumpf weitgehend parallel zum Erdboden, während das Flugzeug vorwärtsfliegt. Das ist enorm praktisch, weil man dann als Passagier festen Boden unter den Füßen hat und sich genauso schwer fühlt wie am Boden, während der Pilot in Flugrichtung vorwärts aus dem Cockpitfenster schauen kann. Diese Technik ist aber nur bis zu einer gewissen Flughöhe anwendbar, denn irgendwann ist die Luft zu dünn, um dem Flugzeug genügend Auftrieb zu verleihen.

Mit einer Rakete schaffen wir es dagegen weit über diese Höhe hinaus, etwa bis zur Internationalen Raumstation, 400 Kilometer über dem Meeresspiegel, oder sogar noch weiter. Allerdings ist es in einer Rakete mit dem Komfort vorbei, den ein Flugzeug bietet: Wir liegen auf dem Rücken in unserer Kapsel, während von unten die Triebwerke die Rakete senkrecht nach oben drücken. Wir erleben den Aufstieg wegen des starken Antriebs streckenweise so, als wären wir dreimal so schwer, wie wir tatsächlich sind! Zusammen mit den massiven Raumanzügen bedeutet das, dass wir uns kaum bewegen können. Damit man überhaupt die Instrumente benutzen und Knöpfe drücken kann, haben die russischen Raumkapseln namens »Sojus« kleine Stangen an Bord, mit denen man seinen Arm verlängert, um an die Steuerungen zu kommen. Zu allem Überfluss haben Raumkapseln meist nur winzige Fensterchen, durch die man auf dem Flug ins All nichts als den Himmel sehen kann.

Einmal im All angekommen, verspüren wir, sobald die Triebwerke abgeschaltet sind, plötzlich gar kein Gewicht mehr. Alles, was nicht an die Wand geklebt ist, schwebt nun durch die Gegend. Wie der Wissenschafts-Comiczeichner Randall Munroe in seinem hervorragenden Buch »What if? – Was wäre wenn?«* erklärt, legt das eine falsche Vorstellung nahe. Nämlich die, dass man aus der Erdatmosphäre hinaus ins All fliegt und dann mit seinem Raumschiff in enormer Höhe gewissermaßen bewegungslos »rumhängt«. Immerhin schweben ja auch die Astronauten selbst seelenruhig in der Mitte ihrer Kapsel und versuchen bisweilen erfolglos mit rudernden Bewegungen, ihr davontreibendes Abendessen aufzufangen, wenn sie es zu schwungvoll aus der Tüte gedrückt haben. Also könnte man vermuten, dass auch ihr Raumschiff seelenruhig und langsam vor sich hin schwebt. Doch in Wahrheit ist es ganz anders: Die Grenze von der Erde zum Weltall zu erreichen ist längst nicht das Schwierigste an so einem Raumflug. Oben zu bleiben ist die Herausforderung.

Um das Problem zu illustrieren, möchte ich den Science-Fiction-Klassiker »Per Anhalter durch die Galaxis« des britischen Autors Douglas Adams zu Rate ziehen. Sein Werk ist unter Physikern so beliebt, dass während meines Studiums ein Exemplar davon in der Bibliothek des Fachbereichs Physik an der Universität Hamburg stand und zu der Literatur gehörte, die uns zu Beginn des Studiums empfohlen wurde. Die International Astronomical Union (IAU) benannte nach Adams’ Tod sogar den Asteroiden »2001 DA42« in »25924 Douglasadams« um. In besagtem Klassiker gibt er eine Einführung zum Thema Fliegen ohne Hilfsmittel:

Es ist eine Kunst, sagt er, oder vielmehr ein Trick zu fliegen. Der Trick besteht darin, daß man lernt, wie man sich auf den Boden schmeißt, aber daneben. […] Zweifellos ist es dieser zweite Teil, nämlich das Verfehlen, der Schwierigkeiten bereitet.**

Es gibt bislang keine glaubhaften Berichte, nach denen irgendjemand diesen Tipp erfolgreich umsetzen konnte und das Fliegen erlernt hat. Douglas Adams’ Beschreibung des Problems kommt aber der tatsächlichen Situation in der Raumfahrt überraschend nahe.

Stellen wir uns einmal Kinder im Freibad vor, die vom Sprungturm hüpfen. Wer einfach nur einen kleinen Schritt vom Sprungbrett macht, fällt direkt nach unten. Wenn man aber kräftig Anlauf nimmt, fliegt man auch ein gutes Stück weit vom Sprungturm weg, ehe man ins Wasser eintaucht. Je schneller der Anlauf ist, desto weiter fliegt man dabei. Zum Glück sind Schwimmbäder so ausgelegt, dass es selbst mit einem enorm schnellen Anlauf nicht möglich ist, das Wasser zu verfehlen.

Was aber wäre, wenn wir, wie ein Superheld, beim Anlauf wahnsinnig schnell werden könnten? Wir würden dann nach dem Absprung vielleicht bis ins nächste Becken oder gleich ins nächste Schwimmbad fliegen! Wenn man dann noch bedenkt, dass die Erde rund ist, kann man sich auch fragen: Wäre es möglich, so schnell anzulaufen, dass man nach dem Sprung überhaupt nicht mehr aufkommt, sondern gewissermaßen hinter den Horizont fällt und einfach immer weiter fliegt? Wie schnell müsste man dafür wohl sein? Nun, theoretisch ginge das tatsächlich! Die Geschwindigkeit, die man dafür braucht, wird »erste kosmische Geschwindigkeit« genannt. In Lehrbüchern wird sie meist mit dem Gedankenexperiment eingeführt, mit dessen Hilfe sie der berühmte britische Physiker Isaac Newton Ende des 17. Jahrhunderts erstmals beschrieb: Eine Kanonenkugel wird von einem hohen Berg geschossen, und zwar so schnell, dass sie nicht mehr auf die Erde herunterfällt (zu Newtons Zeiten gab es eben noch mehr Kanonen und weniger Rücksicht auf die öffentliche Sicherheit). Wie groß diese erste kosmische Geschwindigkeit ist, hat Newton jedenfalls damals schon berechnet. Sie beträgt 7,9 Kilometer pro Sekunde oder auch 28 500 km/h. Wirklich keine Übung fürs Freibad!

Unser Beispiel zeigt, dass eine Rakete nicht nur nach oben kommen muss, um wirklich ins All zu fliegen. Denn wenn sie oben ankommt, aber seitlich nicht schnell genug ist, fällt sie einfach wieder herunter. Dieses Prinzip können Sie sogar bei Raketenstarts beobachten: Die Rakete steigt nicht schnurgerade nach oben, sondern neigt sich schon nach einigen Sekunden, um genügend seitliche Geschwindigkeit zu gewinnen. Besonders günstig ist ein Start in Richtung Osten in der Nähe des Äquators, denn dort kann man die Geschwindigkeit, mit der sich die Erde um sich selbst dreht, einfach mitnehmen. So muss die Rakete rund 470 Meter pro Sekunde (1700 km/h) weniger aus eigener Kraft aufbringen. Deshalb werden viele Raketen heute bevorzugt in Florida, Kasachstan oder in Französisch-Guayana gestartet.

Auf ihrer Umlaufbahn um die Erde befindet sich eine Raumkapsel also ständig im freien Fall, ist aber schnell genug, um an der Erde vorbeizufallen. Das erinnert schon ein bisschen an Douglas Adams’ Trick, sich neben den Boden zu schmeißen, oder? Nun leuchtet auch ein, warum uns als Besucher auf der ISS dauernd das Essen wegschwebt: Im freien Fall genießt man nicht den Luxus, dass die Schwerkraft alles um einen herum in eine Richtung drückt, sondern alles, was nicht befestigt ist, schwebt frei umher. Wenn Sie schon mal mit einer dieser Achterbahnen gefahren sind, wo in einem denkbar ungünstigen Moment Fotos von den Fahrgästen gemacht werden, haben Sie das Phänomen vielleicht an Ihrer Frisur beobachten können. Obwohl dieser Zustand oft »Schwerelosigkeit« genannt wird, ist das Raumschiff natürlich keineswegs der Schwerkraft entkommen, sondern ist noch fest im Griff der Erde. Die Insassen befinden sich aber im freien Fall, da sich ihre hohe Geschwindigkeit mit der Erdanziehung ausgleicht. Der Schlaumeier-Begriff für diese Art der Schwerelosigkeit lautet »Mikrogravitation«, weil die Auswirkungen der Schwerkraft sehr klein, aber eben nicht ganz verschwunden sind.

Auf jeden Fall ist das Leben in einer Raumstation deutlich komplizierter als zu Hause. Stellen Sie sich vor, dass Sie als ISS-Gäste Ihr Essen in Tüten mit Klettverschluss an der Wand aufbewahren und sich beim Schlafengehen festschnallen, damit Sie nicht davonschweben. Tagsüber macht es Spaß, lustige Videos von Kunststückchen zu drehen, aber das ist alles andere als einfach! Eine so ruhige Hand zu haben, dass die Nuss vorm Gesicht oder die Kamera vor dem Bauch nicht wegtrudelt und davonschwebt, erfordert viel Übung. Weil auch echte Astronauten der Versuchung oft nicht widerstehen können, gibt es von ihnen eine Menge lustiger Videos über das Leben ohne Schwerkraft.

Obwohl wir ohne die Raumstation um uns herum nicht atmen könnten, sind wir keinesfalls der Erdatmosphäre entkommen. Es gibt nämlich keine feste Grenze, an der die Luft aufhört – sie wird einfach nach oben hin langsam dünner, und selbst in 400 Kilometern Höhe hat die ISS noch mit Luftwiderstand zu kämpfen. Würde die Raumstation nicht regelmäßig mit Triebwerken angehoben, dann würde sie früher oder später zu tief in die Erdatmosphäre eintauchen und verglühen. So endete im Jahr 2001 die russische Raumstation Mir durch ein gezieltes Manöver nach ihrer Stilllegung. Wie seinerzeit die Mir hat auch die ISS nicht genügend Treibstoff vorrätig, um sich auf Dauer selbst oberhalb der Atmosphäre zu halten. Deshalb werden nach Möglichkeit Raumschiffe, die zu Besuch sind, für solche Anschubmanöver herangezogen. Sie zünden dann im angedockten Zustand ganz vorsichtig die Triebwerke, um die Raumstation nach oben zu drücken. Während des Anschiebens erfährt auch das Innere der Station eine – wenn auch geringe – Beschleunigung. Die kann sich für die Insassen wie eine sehr schwache Variante der Schwerkraft anfühlen, wovon verspielte Astronauten während eines solchen Manövers auch schon ein Video gemacht haben: Sobald sie die Wände loslassen, driften sie und alle frei schwebenden Gegenstände langsam, aber sicher gemeinsam in eine Richtung.***

Das alles spielt sich, nüchtern betrachtet, gar nicht besonders weit über dem Erdboden ab, auch wenn 400 Kilometer nach einer Menge klingt. Wenn die Erde so groß wäre wie ein Fußball, den Sie in der Hand halten, dann wären wir auf der ISS nur eine halbe Zeigefingerbreite von der Oberfläche entfernt. Nur ein paarmal haben Menschen Flüge unternommen, die sie noch weiter von der Erde weggebracht haben. An Weihnachten 1968 wurde vom Mond aus das wohl bekannteste Foto unseres Planeten aufgenommen: Es zeigt die aufgehende Erde über der Mondoberfläche. Das Bild mit dem Spitznamen »Earthrise« (Erdaufgang) wurde von den ersten Menschen aufgenommen, die jemals diese Szene gesehen haben, nämlich den NASA-Astronauten Bill Anders, Frank Borman und Jim Lovell. Es gilt als eines der bedeutendsten Fotos des 20. Jahrhunderts.

Ein grundsätzliches Problem, wenn man mit Raketen weit weg fliegen möchte, ist der Treibstoff. Denn je weiter man hinauswill, desto mehr Treibstoff braucht man dafür. Logisch, so ist es beim Auto ja auch. Aber je mehr Treibstoff man dabeihat, desto schwerer ist die Rakete, und um sie überhaupt aus der Erdatmosphäre zu bewegen, braucht man – Sie ahnen es – noch mehr Treibstoff. Der macht nämlich bei Weltraumraketen einen Großteil des Gewichts aus, ganz anders als bei Autos. Ein durchschnittlicher Pkw, der eine bis eineinhalb Tonnen wiegt, fasst nur etwa 50 bis 60 Kilogramm Benzin. Die Saturn-Rakete, die Menschen zum Mond gebracht hat, wog bereits leer stolze 200 Tonnen und wurde dann mit zusätzlichen 2800 Tonnen Treibstoff betankt.

Die Entfernung zwischen der Erde und dem Mond beträgt übrigens rund 400 000 Kilometer. Tja, und schon die allererste Entfernungsangabe, mit der wir es im All zu tun bekommen, sprengt die Vorstellungskraft. Wir können uns behelfen, indem wir wieder an den Fußball in unserer Hand denken: Wenn der für die Erde steht, dann ist der Mond eine Mandarine im Nachbarzimmer, etwa sieben Meter weit weg. Es lohnt sich, wenn wir uns diese Entfernung merken, denn sie taugt für viele anschauliche Vergleiche im Sonnensystem.

An dieser Stelle will ich mal zur Beruhigung ein Geheimnis lüften: Auch unter hartgesottenen Astrophysikern oder Kosmologen werden Sie kaum jemanden finden, der behauptet, er könne sich allen Ernstes etwas unter den kosmischen Entfernungen vorstellen. Stattdessen ist es eine Frage der Routine: Man wirft täglich mit den Zahlen um sich, man rechnet damit herum, und irgendwann hat man sie oft genug gehört, um sich mit Leichtigkeit an sie zu erinnern und sie miteinander in Verbindung zu bringen. So kann es sein, dass Sie auf die Frage »Wie groß ist das Universum eigentlich?« die selbstbewusst klingende Antwort erhalten: »Och, na ja, der beobachtbare Teil des Universums hat einen Durchmesser von um die 14 Gigaparsec, das sind so in etwa 45 Milliarden Lichtjahre.« Aber nach mehrmaligem Nachfragen und spätestens nach dem zweiten Feierabendbier dürften die meisten Wissenschaftler zugeben: »Natürlich kann sich das niemand wirklich vorstellen – es platzt einem ja schon die Birne, wenn man überlegt, wie weit es zum Mond ist!«

Dass die Reise zum Mond über ebendiese Entfernung hinweg gelungen ist, kann durchaus auch als kulturelle Leistung der Menschheit betrachtet werden. Wenn man sich überlegt, auf wie viele verschiedene Arten sich Zivilisationen entwickeln können, dann ist es keinesfalls selbstverständlich, dass wir unseren Planeten verlassen und auf benachbarten Himmelskörpern unsere Spuren hinterlassen können. Und wir leben bereits ein bis zwei Generationen nach den ersten Menschen, die dies getan haben – ist das nicht spannend?

Leider war es mit den Mondflügen nach nur vier Jahren im Dezember 1972 schon wieder vorbei. Neunmal waren jeweils drei Männer mit riesigen Raketen gestartet und drei Tage lang zum Mond gereist. Sechsmal waren dabei jeweils zwei Astronauten auf dem Mond gelandet. Hohe Kosten und schwindendes politisches wie auch öffentliches Interesse führten dann allerdings zu einem vorzeitigen Abbruch des Programms. Die Astronauten haben häufig und aufrichtig bekundet, dass sie sich als Vertreter der ganzen Menschheit und nicht nur eines Landes gesehen haben. Trotzdem ist kaum von der Hand zu weisen, dass die Rivalität des Kalten Kriegs ein zentraler Ansporn für die damaligen Weltraumprogramme war. Heute gibt es dagegen mit der Internationalen Raumstation eine sehr viel nachhaltigere Präsenz im All, an der ein deutlich größerer Teil der Welt beteiligt ist.

Das für mich faszinierendste Ereignis der Mondflüge war die Mission Apollo 13. Es sollte die dritte Mondlandung werden, und das öffentliche Interesse an der Mission war zunächst erstaunlich gering. Auf dem Weg zum Mond ereignete sich allerdings eine Explosion an Bord der Raumkapsel. Die Schäden waren schwerwiegend und machten eine Landung auf dem Mond unmöglich. Die Astronauten kämpften mit mangelndem Strom für ihre Instrumente, großer Kälte in der Raumkapsel, Unsicherheit über ihre tatsächliche Flugbahn und völliger Erschöpfung. Am Boden bestand die Herausforderung darin herauszufinden, in welchem Zustand sich das Raumschiff befand, um hilfreiche Anweisungen geben zu können. Da die Kapsel durch den Unfall vom Kurs abgekommen war, musste buchstäblich mit Stift und Rechenschieber nachgerechnet werden, wie die Erde sicher erreicht werden konnte. Dass es trotz der schweren Schäden und Unwägbarkeiten gelang, die Besatzung zu retten, war sowohl ein großer Glücksfall als auch das Ergebnis harter Teamarbeit. Die NASA stufte die Mission als »erfolgreichen Fehlschlag« ein – wegen der glücklichen Rettung und der gelernten Lektionen. Über 20 Jahre nach dem Flug erlangte das Ereignis durch eine Verfilmung mit Tom Hanks erneut große Aufmerksamkeit. »Apollo 13« genießt zu Recht den Ruf, einer der realistischsten Kinofilme zur Raumfahrt zu sein. Und doch kommt diese wahre Geschichte so haarsträubend daher, dass sich der Regisseur von Kinogästen anhören musste: »Noch mehr Hollywood-Blödsinn! Das hätten die doch niemals überlebt!«****

Leider sind nicht alle Unglücke so glimpflich ausgegangen. Zwar ist noch nie ist ein Mensch im All verlorengegangen, doch auf dem Weg dorthin oder zurück zur Erde hat es tödliche Unfälle gegeben. So ging das Bild des unmittelbar nach dem Start explodierenden Spaceshuttles Challenger im Januar 1986 um die Welt. Die Untersuchungen all dieser Katastrophen haben immerhin dabei geholfen, eine Sicherheitskultur zu etablieren. Kein Ablauf wird dem Zufall überlassen, alle Vorgänge und Bauteile werden mehrfach gründlich überprüft, und menschliche Fehler sollen durch verschiedene Maßnahmen möglichst abgefangen werden. Vor allem wurden im Nachgang der Unfälle die Schwachpunkte von großen Organisationen untersucht, in denen viele Menschen an einem sehr komplexen Projekt arbeiten.

Wenn von jedem noch so kleinen Teil unter den etlichen Tausend Komponenten einer Maschine oder einer Computersteuerung Menschenleben abhängen, dann müssen alle Einzelheiten perfekt funktionieren. Dazu gehört nicht nur, dass die Bauteile in Ordnung sind, sondern auch, dass gründlich getestet wird, wie sie am Ende zusammen und unter wechselnden Bedingungen funktionieren. Doch leider kann es in so großen Unternehmungen passieren, dass durch strenge Hierarchien, Zeitdruck oder die schiere Komplexität der Unternehmung manche Probleme nicht erkannt werden oder mit der Zeit unter den Tisch fallen. Um dem entgegenzuwirken, braucht es eine Kultur der Verantwortung und Wachsamkeit, jede Menge Disziplin und das allgemeine Mitdenken aller Beteiligten über den Dienst nach Vorschrift hinaus. Diese Lektionen hat die Raumfahrt genauso wie die zivile Luftfahrt gelernt, so dass sie heute uns allen zugutekommen.

Die Raumfahrt ist und bleibt ein schwieriges und gefährliches Geschäft. Doch mit dem Fortschritt der Technik haben sich immer mehr Länder allein oder gemeinsam in die Raumfahrt gewagt. Der aktuelle Höhepunkt dieser Entwicklung ist zweifellos die Internationale Raumstation ISS. Ihre Besucher und Besatzungsmitglieder kamen bis 2015 aus mehr als einem Dutzend Ländern von fünf Kontinenten. Dort führen sie gemeinsam Experimente durch, welche die Entwicklung von Mikroorganismen, Pflanzen und Menschen in der Mikrogravitation erforschen, ergründen physikalische Fragen und beobachten die Erde. Nachschub an Nahrung und Experimenten lieferten bisher Raumfahrzeuge aus Russland, Europa, den USA und Japan – wo die Kapseln übrigens seit einigen Jahren von dem in Kanada konstruierten Roboterarm Canadarm2 eingefangen werden. Die europäischen Nachschubfrachter namens Automated Transfer Vehicle (ATV) konnten sogar automatisch an der ISS andocken. Die fünf ATVs, die zwischen 2008 und 2014 dorthin geflogen sind, hießen Jules Verne, Johannes Kepler, Edoardo Amaldi, Albert Einstein und Georges Lemaître.

Auch die Besatzungen werden immer bunter: Von den rund 550 Menschen, die bis heute im All gewesen sind, kam schon jeder fünfte aus einem anderen Land als den USA, der Sowjetunion oder Russland. Stark vertreten sind vor allem Europa, Japan und China. Und während im Apollo-Programm nur Männer zu Astronauten ausgebildet wurden, haben sich auch in dieser Hinsicht die Zeiten geändert. Die erste Frau im All war die russische Kosmonautin Walentina Tereschkowa, die 1963 mit der Mission »Wostok 6« startete. Sie blieb allerdings fast 20 Jahre lang die einzige Raumfahrerin der Welt, bevor Astronautinnen weltweit zur Normalität wurden. Bis 2015 waren unter den etwa 550 Menschen im All rund 60 Frauen. In den Ausbildungsprogrammen für kommende Generationen von Raumfahrern werden Frauen heute immer zahlreicher.

Doch trotz des relativ regen Verkehrs ins All sind echte Raumschiffe weit entfernt von den großen und eleganten Gefährten, die man sich manchmal vorstellt. Sie sind oft überraschend enge, zerbrechlich wirkende Kapseln, die im Innern nur aus Knöpfen und Schaltern zu bestehen scheinen. Ein Grund dafür, dass fast jeder Komfort fehlt, ist das Gewicht des Raumschiffs. Je mehr Krempel man ins All bringen will, desto komplizierter und kostspieliger wird die Unternehmung und desto größer muss die Rakete sein. Menschen mitzunehmen ist ein Heidenaufwand, denn sie brauchen einfach viel schweres Gerät, um im All überleben zu können. Dazu gehören beispielsweise eine schützende Kapsel, Sicherheits- und Rettungssysteme, Verpflegung, Wasser, Kleidung, Luft und vieles mehr. Außerdem sind die Sicherheitsvorkehrungen und Ansprüche an die Geräte sowie das Material für Flüge mit Menschen an Bord enorm viel höher, als wenn man nur Fracht transportiert.

Deutlich einfacher und weitaus sicherer für alle Beteiligten ist es deshalb, kleine Maschinen ohne Menschen an Bord ins All zu bringen, um große Entfernungen zurückzulegen. Die Raumsonde Rosetta, die 2014 mit ihrer spektakulären Forschungsmission zu einem Kometen berühmt wurde, konnte sich für eine sparsame und zielgenaue Flugbahn durchs All zehn Jahre Zeit lassen. Das wäre sicherlich keine Option für eine menschliche Besatzung gewesen! Trotzdem gibt es technische und kulturelle Fertigkeiten, die Maschinen anstelle von Menschen nicht aufbringen können: unsere enorm schnelle Auffassungsgabe, die unübertroffene Flexibilität bei der Problemlösung und Einschätzung unerwarteter Situationen. Außerdem waren es nicht etwa Satellitenfotos, sondern die ersten menschlichen Eindrücke und Aufnahmen von der Erde im Ganzen, die das Bewusstsein der Weltbevölkerung für ihren Planeten langsam zu wandeln begannen. Der deutsche Geophysiker und Astronaut der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, Alexander Gerst, der im Jahr 2014 fast sechs Monate auf der ISS verbracht hat, macht uns seit seinem Flug die Bedeutung des Anblicks der Erde bewusst. Die dünne Erdatmosphäre, so sagt er, lasse unseren Lebensraum zerbrechlich wirken und mache deutlich, wie wichtig dessen Schutz sei.*****

Die Motivation für unsere Expeditionen ins All können also durchaus in einer Reihe mit der bei Besuchen in der Tiefsee oder der Besteigung der höchsten Berge stehen – manchmal lautet der Grund dafür, dass sie unternommen werden, auch einfach: »Weil wir es können.« Der Antrieb dahinter ist längst nicht nur Eitelkeit, sondern ein Drang zur Entdeckung, der Menschen einfach innewohnt.

Doch es ist nur eine kleine Ecke des Weltalls, die wir als Menschen bisher selbst bereist haben. Noch weiter von der Erde weg liegt das »Roboterland«, das wir seit Jahrzehnten mit Maschinen besuchen und untersuchen. Dorthin, schlage ich vor, begeben wir uns als Nächstes: in den Raum zwischen den Planeten.

Anmerkungen zum Kapitel

* Randall Munroe: »What if? – Was wäre wenn?«, Knaus, 2014, S. 221 ff.

** Zitat aus: Douglas Adams: »Per Anhalter durch die Galaxis«, Rogner & Bernhard, 1983, S. 71 f. (deutsche Übersetzung von Benjamin Schwarz)

*** Nasa: »Space Station Reboost: The Inside Story« vom 27.10.2011 auf Youtube: https://youtu.be/cmHamp0IIyE

**** Zitat aus: Charlie Rose, »A conversation about the film ›Frost/Nixon‹«, TV-Beitrag des Senders PBS vom 5.12.2008, eigene Übersetzung.

***** Vgl. Zitat: Alexander Gerst als @Astro_Alex auf Twitter am 9.12.2015: https://twitter.com/Astro_Alex/status/674621280507830272