Josi Saefkow
© 2016 Josi Saefkow
1.Auflage
Originalausgabe Juni 2016 bei tredition
Umschlaggestaltung: Josi Saefkow
Illustration: Josi Saefkow
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN | |
Paperback: | 978-3-7323-6993-5 |
Hardcover: | 978-3-7323-6994-2 |
e-Book: | 978-3-7323-6995-9 |
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Die Strahlen der Sonne schienen auf die leblose Natur. Sie bestand nur noch aus Trümmern. Man hörte die Stille. Bis zum Horizont sah man Geröll und Staub. Der Boden war bestückt mit riesigen Kratern, hier stand kein einziger Baum mehr. Wälder existierten nicht mehr. Kein Grashalm schmückte die tote, schlammige Erde. Die Meere waren verseucht, kein Fisch schwamm im Wasser. Kein Vogel gab Gesänge von sich. Die wenigen Kleintiere, die überlebten, beseitigten die Überreste, den Müll, die Toten. Sie zerfraßen die leblosen Körper, bloß ihre Knochen blieben übrig.
Es waren keineswegs nur Soldaten, sondern Männer, Frauen, Kinder. Niemand von ihnen verhinderte es, keiner griff ein. Es war ihnen nicht möglich gewesen. Diejenigen, welche die Macht besaßen, taten nichts dagegen, sondern ermöglichten das alles erst. Sie waren die Einzigen, welche die Absicht hatten, es zu tun. Sie ließen sich von niemandem etwas sagen, erzählten ihrem Volk nichts von ihrem Vorhaben, trotzdem ahnten es viele. Einige erwähnten es in der Öffentlichkeit, doch niemand hörte ihnen zu. Man glaubte ihnen nicht. Nur leider war es kein Scherz, den die Leute verbreiteten, sondern die Wirklichkeit, die Wahrheit über ihre Zukunft. Das alles wäre nicht passiert, wenn man ihnen zugehört und geglaubt hätte. Die wenigen Leute wussten, was geschehen würde. Doch nun ist es nicht mehr rückgängig zu machen. Es ist die Vergangenheit. Die Menschen hätten diese Zukunft ändern können, doch es ist zu spät. Diese eine Entscheidung setzte das Dasein der Menschen aufs Spiel, änderte den Lauf der Geschichte und somit das Leben auf diesem Planeten, denn es entschwand von hier. Es existiert nicht mehr. Die Großen und Mächtigen bestimmten die Morde, das Massaker. Nichts von dem, was geschah, war vergleichbar mit anderen Kriegen. Es war der Dritte, der Letzte, welcher das Leben von Milliarden Menschen auslöschte. Es war kein Krieg, wie er im Buche steht. Es war ein Spiel. Nur ein Spiel, Schach. Die Spieler bedienten ihre Soldaten. Jeder von ihnen war darauf bedacht, zu gewinnen und dafür alles zu tun, sogar Opfer zu bringen. Alle, die auf dem Spielfeld standen, waren bloß ihre Spielfiguren. Keine Menschen, nur Puppen, Marionetten. Sie wurden von den Spielern gelenkt. Die Bauern starben zuerst. Es dauerte nicht lange und die Spielfiguren gerieten außer Kontrolle. Sie schlugen wild um sich. Sie griffen alles und jeden an. Selbst ihre Spieler, diejenigen, die am Tisch saßen und schier unerreichbar für sie waren. Die Figuren spielten das Spiel alleine weiter. Niemand der großen Leute konnte sie weiterhin kontrollieren oder vermochte ihnen zu sagen, dass das Spiel zu Ende war, denn keiner der Spieler war dazu im Stande. Auch wenn diese noch lebten, sie taten es einfach nicht. Sie wollten dieses Spiel bis auf den letzten Läufer und bis auf die letzte Dame zu Ende bringen. Jeder auf dem Schachbrett starb. Sie starben alle. Keiner gewann.
Man kann es nicht als einen Krieg bezeichnen. Es war die Auslöschung der eigenen Spezies, die sie so sehr liebten und verehrten wie nichts anderes, was existierte. Es war kein Krieg. Es war Selbstmord. Nur diese Entscheidung führte dazu, dass der eigene Planet, auf dem sie lebten, endgültig zerstört wurde.
Akizìa schlug das Buch um. Dort stand nichts geschrieben. Es waren nur Bilder. Bilder der Vergangenheit, Erinnerungen an den Kampf. Man konnte es nicht als Landschaft beschreiben, es war ein einziges Schlachtfeld. Der Planet war nichts anderes als ein großer Friedhof. Die Natur existierte nicht mehr. Kein Grashalm, nur noch Asche. Keine Wälder, nur noch Staub. Keine Berge, nur noch Krater. Keine Städte, nur noch Ruinen. Keine Menschen, keine Tiere, nur noch Knochen. Es waren lediglich Parasiten, Bakterien, Aasfresser, die auf der Erde weilten. Sie waren das einzig Lebende, das nach dem Krieg übrig blieb. Es war nicht mehr der Ort, an dem man leben konnte.
„Nur diese Entscheidung.“ Diese Worte wiederholte Akizia in ihren Gedanken. „Warum?“, fragte sie sich selbst. „Wieso ist das passiert?“
Die Schüler starrten hinein in ihre Bücher, in denen diese schrecklichen Bilder aufgezeigt waren. Die Lehrerin sagte nichts. Sie stand bloß da und schaute in die erblassenden Gesichter der Kinder. Wie gelähmt kauerten sie auf ihren Stühlen. Sie konnten ihre Blicke nicht wenden. Nur zögernd löste sich ein Junge aus seiner Erstarrung. Er meldete sich.
„Das kann doch niemals so gewesen sein. Wie konnten diese paar Leute über Milliarden Menschenleben bestimmen? Wieso konnten die das alles entscheiden? Und warum sollen die Menschen diesen Krieg gewollt haben?“
Die Lehrerin trat einen Schritt näher. Die Schüler schauten zu ihr empor. „Es war eine schwierige Zeit früher. Es ging um Macht und Geld und um verschiedene Glaubensrichtungen. Viele Staaten waren verfeindet. Bereits vor dem Dritten Weltkrieg gab es viele Kriege, und dieser war die große Gelegenheit für viele Länder, sich noch stärker zu bekämpfen, ohne dass die Menschen in andere Länder flüchten konnten, da es nirgendwo sicher war.“
„Und wenn doch überall Krieg war“, erwähnte der Junge. „wie kann es dann möglich gewesen sein, dass einige doch geflüchtet sind?“ Er wirkte äußerst verwirrt und erwartete eine sofortige Antwort.
Allerdings sagte die Frau bloß: „Wenn ihr ein paar Seiten in eurem Buch umschlagt, seht ihr ein Bild davon.“
Akizia schaute auf das Foto. Dargestellt war ein gigantisches Raumschiff von unvorstellbarer Größe inmitten von Eis und Schnee.
„Sie wurde Die Neue Arche genannt“, erklärte ihre Lehrerin. „Das Raumschiff stand in einer Landschaft, in der es nicht gesichtet wurde und somit keine Gefahr bestand, dass es zerstört wird. Vielen tausend Menschen rettete sie das Leben. Noch bevor der Krieg zu Ende ging, verließen sie die Erde. Die Reise dauerte mehrere hundert Jahre, doch letztendlich kamen wir auf diesem Planeten an.“
Er glich der Erde sehr, dem Heimatort der Menschen, den sie selbst zerstörten. Die Natur wollte die menschliche Rasse zunächst nicht bei sich aufnehmen. Sie versuchte sich gegen dieses Raubtier zu wehren. Das Blut haftete noch immer an den Händen der Menschen seit dem Mord an ihrer eigenen Mutter, der Erde. Schließlich musste sie aufgeben und ließ die Anwesenheit dieser einmaligen, zerstörerischen, gewalttätigen, selbstverliebten Spezies zu. Die Menschen siedelten sich an dem Meer an. Sie gründeten die Stadt der Hoffnung, Eregàtha. Der einzige Ort, an dem die Menschen wie damals auf dem Planeten Erde friedlich leben konnten.
„Man sollte Mhegatrà niemals mit unserer Heimat vergleichen“, sagte die Frau.
Die Kinder hörten neugierig zu.
„Sie ist anders. Wir Menschen verändern uns seitdem wir hier sind. Aber ich möchte keinen fächerübergreifenden Unterricht führen. Die anderen Lehrer werden euch mehr darüber erzählen.“
Akizia`s Augenbrauen zogen sich zusammen. Sie redete gedanklich mit sich selbst. „Sie nennt es Veränderung? Mehr hat sie dazu nicht zu sagen? Hat sie selber nichts in der Schule gelernt?“ Sie seufzte. „Wahrscheinlich könnte ich den Kindern mehr darüber erzählen als sie.“
Die Lehrerin beendete den Unterricht. Die Schüler erhoben sich von ihren Stühlen. Akizia schlenderte wie alle anderen durch den langen Flur hin zur Treppe. An ihrer zierlichen Gestalt erkannte man ihr junges Alter. Das zwölfjährige Mädchen schaute nachdenklich auf den Boden unter ihren Füßen. Einige Strähnen der langen, dunklen Haare fielen in ihr zartes Gesicht. Ihr Mantel trug eine breite Kapuze. Es wirkte, als verstecke sie unter ihrer Kleidung etwas wie einen kleinen Rucksack. So schien es, als würde sie furchtbar krumm gehen.
Die Kinder verließen das große Gebäude. Es war der einzige Ort, an dem sie ihre Zeit sinnvoll nutzen konnten. Für viele der Schüler war es eine langweilige Kindheit. Ihre Eltern fanden keine Arbeit in dieser Stadt oder sie verdienten zu wenig, sodass sie sich kaum etwas leisten konnten, um ihre Kinder zu beschäftigen. Nur die Wenigsten konnten ihnen ein sehr schönes Leben ermöglichen.
Akizia bog rechts ab, nachdem sie das Grundstück verließ. Auf der anderen Seite der breiten Straße standen aneinandergereihte, rötlich gefärbte, hohe Häuser. An beiden Gehwegen wuchsen Bäume in die Höhe, welche die Dächer der Wohnungen überragten. Ihre Stämme waren dunkel, ihr Laub dunkelrot. Viele Blätter lagen verstreut auf dem Boden. Es fuhren nur wenige Autos, denn die meisten Menschen hatten kein Geld für Derartiges. Außerdem waren die Rohstoffe für den Bau von Fahrzeugen Mangelware auf diesem Planeten. Bloß für die Polizei, die Feuerwehr, den Notarzt, das Militär und für reiche Leute, die einen hohen Betrag für den Bau leisteten, wurden fahrbare Wagen zur Verfügung gestellt. Akizia`s Familie war eine von vielen, die ihren Weg durch die Stadt zu Fuß antreten mussten. Sie nahm fast jeden Tag denselben. Das Mädchen konnte wie alle Schüler bestimmen, wie lange es in der Schule blieb. Für Manche klang dies entzückend, doch auch sie entschieden sich nach einer Weile dafür, die Zeit dort zu verbringen. Schließlich gab es für sie nichts anderes zu tun. Das Schwimmbad war für Kinder meist der beste Ort, um sich zu beschäftigen. In der Schule bekamen sie dieses umsonst. Die Naturkundemuseen und der Zoo waren für den Durchschnitt zu langweilig. Ansonsten gab es in Eregatha zu dieser Zeit nichts Besonderes, mit dem man sich amüsieren konnte.
Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen auf Mhegatra. Der Horizont färbte sich rötlich. Die Wolken glühten in einem kräftigen Orange. Akizia ging neben der langen, breiten Straße entlang, welche einen kleinen Hügel hinauf führte. Von dort oben konnte man die Stadt gut überblicken. Ein starker Baum mit großer Krone wurzelte an der Klippe. Mehrere mittelalterlich gebaute Häuser standen in weitem Abstand in einer Reihe. Ein Weg führte an ihnen vorbei und einen Berg hinauf, der an einem großen, geschmückten Haus endete. Akizia schritt auf ihre Behausung zu. Sie stand am Rande der Stadt. Neben ihr war der dichte Wald, in den die Hauptstraße hineinführte. Sie lebten nicht modern. Es war normal, dass man in dieser Zeit nur wenig Strom zur Verfügung hatte. Lediglich ein paar Haushaltsgeräte waren benutzbar. Sie lebten nicht wie die Menschen vor dem Krieg. Ihr Alltag war vergleichbar mit dem der Menschen im Mittelalter.
Das Mädchen trat durch die Tür.
Seine Mutter ließ ihr keinen Moment zum Entspannen. Rasàre stand in der Küche und rief: „Holst du mal bitte neues Holz für den Kamin? Es wird langsam kalt.“
Akizia verließ sogleich wieder die Wohnung, ging am Haus entlang und stand bald vor einem kleinen Gartenhäuschen. Mühsam öffnete sie die alte knarrende Tür, schritt auf den Holzstapel zu und griff nach einigen Stöckern. Plötzlich riss sie etwas aus den Tagträumen. Zwei grelle Augen starrten sie an. Ein hirschähnliches Wesen mit gewaltigen Hörnern und menschlichem Gesicht schaute von draußen durch das Fenster der Hütte zu ihr. Sein Körper verschmolz mit dem Wald. Sein grünbraunes Fell besaß beige Flecken und rote Streifen. Es regte sich nicht. Akizia erstarrte und ließ das Holz fallen. Die breiten Hörner nahmen eine glühend helle Farbe an. Das goldene Licht erleuchtete den Raum. Der Augenblick fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Man spürte angenehme Wärme, die das wunderbare Wesen umgab. Es waren nur wenige Sekunden. Der goldene Hirsch schnaubte mit den Nüstern. Das Leuchten versiegte. Er drehte seinen Kopf zur Seite und ging fort.
Akizia rannte in dessen Richtung, doch er war nicht mehr zu sehen.
Sie schlief tief und fest. Akizia hatte süße Träume, doch nur einer davon blieb ihr im Gedächtnis.
Sie lag in ihrem Bett. Vor Schreck schlug sie die Augen auf. Der Boden knarrte, doch niemand außer ihr befand sich im Raum. Sie war alleine und doch spürte sie jemanden in ihrer Nähe. Akizia krallte sich an ihre Decke. Ihre Schranktür öffnete sich und knallte zugleich wieder zu. Das Mädchen blieb starr vor Angst. Das Fenster ging auf. Die purpurnen Vorhänge bewegten sich durch den Wind, der hineinblies. Einzelne Gegenstände regten sich. Sie schwebten hinauf in die Höhe. Man hörte das Lachen eines Kindes.
Akizia wachte auf. Es war früh am Morgen. Nachdem sie sich aufrichtete, fiel ihr erblassend auf, dass das Fenster geöffnet war und die roten Gardinen zur Seite gezogen. Das Kind begab sich zum Balkon und schaute hinaus. Vor ihr war der Wald. Aus der Ferne hörte man grollendes Hundebellen.
Nach einer Weile wandelte sie die Treppe hinab. Ihre Eltern und ihr kleiner Bruder saßen bereits am Frühstückstisch.
Akizia ging der Traum nicht mehr aus dem Kopf. „Ich hatte heute Nacht einen schrecklichen Albtraum. Da war sozusagen ein Geist in meinem Zimmer“, sagte sie gähnend, während sie sich setzte.
Ihr Bruder schmunzelte.
„Dann ist mein Schrank und mein Fenster von alleine aufgegangen und Dinge sind durch die Luft geflogen. Das hat sich alles so real angefühlt. Als wäre das alles wirklich passiert.“
Das Grinsen des kleinen Jungen wurde breiter.
„Aber das Gruselige ist, mein Fenster war heute Morgen wirklich offen.“
Ihr Bruder fing laut an zu lachen.
Akizia`s Vater kicherte. Er schaute kurz zu seinem Sohn und dann wieder zu ihr. „Ich glaub, das war kein Traum.“
Nachdenklich schaute sie ihren Bruder an. „Nein wirklich? Tòpu, warst du das?“
Er blickte zu ihr. Vor Freude lachte er Tränen. Durch ein kleines Nicken antwortete er.
In Akizia`s Gesicht bildete sich ein fröhliches Lächeln. „Was? Ist das dein Ernst? Mensch, Topu! Ich freu mich so für dich. Dann bist du also besser geworden. Wie kam das denn jetzt so plötzlich?“
Ihr Vater rieb mit seiner Hand über den Kopf des Jungen und verzottelte seine braunen Haare. „Tja. Der Kleine hat fleißig geübt.“
Rasare wendete das Thema. „Da fällt mir gerade ein, ich hab gehört, dass die im Zoo neuerdings auch Chamäleons haben.“
Topu schaute sie begeistert an. „Was sind das?“
„Das sind kleine Tierchen. Die sind fast so wie du.“
„Die können sich auch unsichtbar machen?“, fragte er eifrig.
„Nicht ganz, aber so in der Art.“
Der Junge wandte sich zu seinem Vater. „Papa, Papa! Können wir dahin?“
Er antwortete nicht.
„Du hast doch heute Zeit.“
Er blieb stumm.
„Und heute ist so tolles Wetter.“
Sein Vater schaute ihn schweigend an.
„Bitte!“
Der Mann regte sich. „Naja, ok. Ausnahmsweise.
Ich hab schon genug angespart, um mal wieder was Ordentliches mit euch zu unternehmen.“
Topu freute sich. Er jubelte. „Wann wollen wir los?“
Die Familie wanderte die Hauptstraße entlang, hinein in den Wald. Bald kamen sie vom Weg ab und schlenderten zwischen den großen Bäumen hindurch. Es dauerte nicht lange, bis sie an einer Wiese ankamen. Die Gegend war umzäunt mit Stacheldraht und Büschen. Sie begaben sich zu einem kleinen Häuschen, welches in der Nähe stand. Es war der Eingang vom Zoo. Eine ältere Dame empfing sie. Ein Besuch kostete nicht viel, doch für diese Leute war es eine große finanzielle Belastung, da sie selbst nur wenig verdienten. Akizia, Topu und ihre Eltern wanderten den Gehweg entlang. In den Gehegen lebten keine Tiere dieser Welt. Sie gehörten in eine andere, in jene, die nicht mehr existierte. Es waren die Geschöpfe des Planeten Erde. Hier auf Mhegatra wurden sie in Laboren von Wissenschaftlern erschaffen. Ihre DNA wurde seit der Zerstörung ihrer Heimat aufbewahrt, um die Tiere wieder zum Leben zu erwecken, daher kam es niemals zum Aussterben vieler Spezies. Akizia und Topu sahen die meisten Tiere zum ersten Mal. Sie hatten nie zuvor Giraffen, Pferde, Nashörner oder selbst kleine Geschöpfe wie Schnecken mit eigenen Augen gesehen. Doch für sie war es der Alltag, ständig Neues zu entdecken.
Der Tag neigte sich dem Ende zu. Die Familie wollte den Zoo wieder verlassen, bevor die Nacht hereinbrach, doch Akizia wollte nicht gehen. Sie überredete ihre Eltern, noch dort bleiben zu dürfen. Nach einigem Zögern vertrauten sie ihr, heil nach Hause zu kommen und ließen sie alleine zurück. Akizia ging alleine am Rand des Zoos entlang. Nach einer Weile kam sie an einer dreckigen, nackten Wand an, doch das Mädchen drehte nicht um. Es erkannte einen kleinen Spalt nahe dem Zaun. Akizia blickte hinein und vernahm dabei die Bewegung einer dunklen Gestalt in einem Käfig. Sie blickte sich um. Ein Zoowärter war in der Ferne zu sehen, welcher Akizia beobachtete. Als er kurz wegsah, stieg sie eilig durch den Riss der Wand hindurch. Es war ein furchtbarer Anblick, hunderte Tiere waren gefangen in winzigen Zwingern. Sie waren eingeengt zwischen Gittern. Das Mädchen wandelte an den Gehegen vorbei. Die Wesen blickten Akizia mit traurigen Augen an. Sie konnte nichts tun, lediglich dabei zusehen, wie die Tiere auf dem Boden kauerten. Zwei große, weiße Fellknäuel fielen ihr in den Blick. Die Tiere wirkten wie schimmernde Sterne. Einer von ihnen war noch klein. Als sie ihre Nähe spürten, drehten sie sich um. Akizia fühlte keine Angst. Das große Geschöpf schob seine schwarze Nase durch das Gitter. Das Mädchen strich langsam mit der Hand darüber.
Sie waren normale Tiere wie die anderen, die sich in dem Zoo befanden. Es waren Eisbären, eingesperrt für den Rest ihres Lebens oder bis eines ihrer Artgenossen starb, welches in dem sichtbaren Bereich lebte. Diese Wesen waren gedacht als Ersatz für Verluste, denn Verluste wurden nicht geduldet. Schließlich ging es um das Überleben, wie immer gesagt wurde.
Akizia musste den schrecklichen Ort verlassen, als die Finsternis hereinbrach. Sie stieg durch den Spalt als niemand schaute, und ging auf den Ausgang zu. Sie kam gerade rechtzeitig, da der Zoo schließen wollte. Das Kind ging durch den Wald in Richtung seines Hauses. Die Sonne war schon lange untergegangen. Der Mond stand hoch am Himmel. Immer mehr Sterne wurden sichtbar. Die Dunkelheit verdeckte alles Licht. Akizia konnte kaum ihren eigenen Schatten erkennen. In der Ferne sah sie bloß noch die grellen Lampen der Stadt. Vorsichtig tappte sie durch das Gestrüpp. Die Straße war nur noch wenige Schritte von ihr entfernt.
Plötzlich schreckte sie auf. Es war ein Geräusch, das Treten auf Äste und Laub. Akizia blieb stehen. Ängstlich blickte sie sich um. Eine dunkle Gestalt hastete an den Bäumen vorbei, erhob ihren Kopf und starrte das Mädchen an. Die dunkle Kreatur tat schnaubend einen Schritt. Akizia rannte los, die Bestie hinterher. Sie ließ sie nicht aus dem Blick. Ununterbrochen folgte sie ihr. Das Mädchen lief so schnell es konnte. Ohne stehenzubleiben stürmte es über die Straße, doch war nicht schnell genug. Die Kreatur holte es ein. Ein lautes Bellen erklang. Akizia sah zurück. Das Tier war nicht zu sehen. Als sie ihren Körper wieder wendete, fuhr sie in sich zusammen. Die große Bestie stand direkt vor ihr mit weit geöffnetem Maul, die Zunge herausgestreckt. Die grünen Augen gafften sie an. Akizia`s Angst verschwand im Nichts. Vor Staunen fing sie an zu lachen.
„Blower, du bist es! Was machst du denn hier?“
Er war kein Monster. Er war nur ein übernatürlich großer Hund, der ihr bis zur Brust ragte, mit markantem Aussehen. Blower war ziemlich dick, hatte kurze Beine, viele breite Hautfalten, welche Teile seines markanten Gesichts leicht verdeckten, und langes, weiches Fell. Somit wirkte er wie eine Mischung aus mehreren Hunderassen zusammen, wie ein Wollknäuel oder wie ein kleiner, pummeliger Bär.
„Warum bist du nicht bei deinem Herrchen?“, fragte sie. „Was treibst du hier draußen? Komm mit nach Hause!“
Akizia wanderte mit dem Hund an ihrer Seite die Hauptstraße entlang zu ihrem Haus. Blower kam nicht mit in ihre Wohnung. Er rannte in eine andere Richtung, zu einem Gebäude, das sich in der Nähe befand. Bald verschwand er in der Dunkelheit. Akizia begab sich in ihre Behausung. Ihre Eltern waren sehr besorgt darüber, warum sie so spät kam und erwarteten daher eine Erklärung. Daher begründete sie ihre lange Abwesenheit.
Das Mädchen gönnte sich nach diesem aufregenden Tag einen langen, erholsamen Schlaf. Es war in tiefen Träumen versunken. Akizia ließ sich nicht stören.
Erst spät erwachte sie aus ihrer Ruhe. Der Rest ihrer Familie war bereits munter und frühstückte. Akizia zog sich an, riss die Vorhänge zur Seite und ließ die Sonne in ihr Zimmer scheinen. Gähnend verließ sie den Raum und bewegte sich zur Treppe. Aufgrund der Müdigkeit hielt sie sich am Geländer fest um nicht zu fallen. Der Geruch der frischen Brötchen löste in ihr großen Hunger aus, doch hielt dieser nicht lange an. Es klopfte an der Tür. Rasare stand auf und öffnete die Haustür. Die Frau zuckte in sich zusammen. Akizia blieb erblassend vor Angst stehen. Zwei Männer mit schwarzem, militärartigem Panzer standen vor ihrer Mutter. Sie schauten sie grimmig an. Der Dunkelhäutige von beiden hielt ihr ein Abzeichen hin, darauf abgebildet ein böse schauendes Auge, daneben zwei Schwerter.
„MAB. Können wir reinkommen?“
Rasare blieb stumm, ihr Mund war offen, doch sie sagte nichts. Topu ging vorsichtig rückwärts und blieb an einem Schrank stehen. Seine Haut und seine Kleidung wurden braun. Sie nahmen dieselbe Farbe an wie das Holz. Er verschwand im Nichts. Akizia löste sich aus der Starre. Die Männer schauten zu ihr empor. Sie lief die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Die Fremden stürmten ihr ungehindert hinterher. Der Schwarze hielt seine Schusswaffe fest in beiden Händen. Akizia knallte ihre Zimmertür zu und eilte zu ihrem Balkon. Panisch machte sie die Knöpfe ihrer Jacke auf. Die Männer stürmten den Raum. Akizia schaute noch einmal zurück. Etwas unter ihrer Jacke bewegte sich. Zwei seltsame Glieder kamen hervor. Die Männer erschauerten. Es waren lederne Schwingen. Der Schwarze rannte zu ihr. Akizia sprang auf und flog hoch in die Luft. Der Fremde zielte mit seiner Waffe auf sie. Er schoss, doch verfehlte. Das Kind flog durch die Bäume hindurch. Es war bald nicht mehr zu sehen.
Der Mann griff an ein Funkgerät an seinem Gürtel und sprach eilig hinein. „Ein junges Mädchen kommt direkt auf dich zu. Schau nach oben! Du musst nur eines wissen.“ Er seufzte. „Sie hat Flügel.“
Das Kind schlug kräftig mit den Schwingen und wich jedem Baum aus. Ohne innezuhalten raste es durch den Wald, schwebte über die Straße hinweg und sah aufgeregt nach hinten, als Laute erklangen. Ein großes dunkles Fahrzeug fuhr ihm rastlos nach. Verzweifelt flog es immer schneller. Akizia bog ab, nachdem sich die Straße abzweigte. Sie flog zu dem hohen, breiten Stamm eines Baumes und versteckte sich dahinter. Das Laub bewegte sich dabei. Das Fahrzeug rollte langsamer. Akizia machte sich klein und winkelte ihre Flügel an ihren schmalen Körper. Der Mann in dem Wagen schaute hinaus. Seine kurzen, zurückgekämmten Haare waren hellblond, seine Augen rotbraun, sein Gesicht eckig und seine dunkle Ausrüstung auffälliger als die der anderen MAB, denn sie war mit roten Mustern verziert. Grimmig starrte er den Baum an, auf dem Akizia kauerte. Sie bewegte sich nicht und hielt vor Angst die Luft an. Der Fremde zielte mit seinem Gewehr. Das Mädchen krallte sich vor Angst an die Rinde.
Unerwartet wendete der Mann seinen festen Blick. Er lauschte seltsamen Geräuschen. Es klang wie Musik. Sie war wunderschön, wie von Engeln geschaffen. Der MAB schaute durch die Baumkronen hindurch. Hoch am Himmel regte sich etwas. Es schien wie ein weißer, bläulich verzierter Faden. Er schlängelte sich durch die Luft, kleine schwarze Punkte folgten ihm. Der Mann wurde starr vor Verwunderung. Die fremde Gestalt blieb regungslos. Sie schaute zu ihm hinab. Die Laute wurden deutlicher. Ein Windhauch zog an dem MAB vorbei. Die Pflanzen raschelten, Staub wirbelte auf. Der Fremde hielt seine Waffe tiefer. Das Geschöpf regte sich und flog hinauf, immer höher, bis es vollkommen verschwand. Die wundervollen Klänge waren bald nicht mehr zu hören.
Akizia vernahm das Brummen des Fahrzeugs. Erleichtert atmete sie tief durch. Nach einem Moment löste sie sich vom Baum und flog davon. Sie schwebte durch den Wald. Bald darauf landete Akizia wieder sicher auf dem Boden und versteckte ihre Flügel mühsam unter ihrem Mantel. Sie ging durch dichtes Gestrüpp hindurch. Es war ein langer Weg, der mit Ranken und Dornen überseht war. Neben dem winzigen Trampelpfad befand sich ein Bächlein. Hinter dem Gesträuch bemerkte sie Schatten und Umrisse von Personen. Ein Schnüffeln wurde hörbar. Akizia ging durch das Dickicht hindurch. Etwas bellte sie an, es war Blower. Er wedelte wie verrückt mit seinem Schwanz. Ein Junge mit etwas längeren, dunkelbraunen Haaren kam sofort auf sie zu. Er war in demselben Alter wie sie.
„Ein Glück! Sie ist noch da“, sagte er begeistert.
Es war wie eine Höhle. Man war umgeben von Unterholz, über einem die Baumkronen, daneben ein breiter Felsen und ein kleiner See. Von keiner Seite konnte man entdeckt werden, es war ein Geheimversteck. Mehrere Kinder waren hier versammelt, es gab auch einen kleinen Schrank, in dem sich reichlich Nahrung befand.
Der Junge sprach weiterhin zu Akizia. „Ruh dich erstmal aus! Du scheinst ziemlich erschöpft zu sein.“
„Die MAB haben uns so plötzlich überrascht“, sagte sie, während sie sich auf einen liegenden Baumstamm setzte.
„Wusstest du denn nichts hiervon?“, fragte er nervös.
Die anderen Kinder lauschten ihr neugierig.
„Nein. Davon hab ich nichts gewusst.“
Er schaute nachdenklich auf den Boden. „Oh, nein.
Dann wissen sie jetzt Bescheid. Ich hätte dir davon erzählen sollen. Ich hab sie doch früh genug gesehen. Ist Blower gestern Abend nicht zu dir gekommen?“
„Doch. Aber ich wusste ja nicht, dass er mich deshalb gesucht hat“, antwortete sie. „Das ist jetzt aber nicht das Wichtigste. Wie geht es Topu?“
Der Junge schloss seine Augen. Kurz darauf sagte er: „Ihm geht es gut. Deinem Vater auch. Mach dir keine Sorgen. Die MAB haben euer Haus verlassen. Sie suchen allerdings noch im Wald. Aber ich kann keinen ausfindig machen, der sich uns nähert. Zumindest sind wir in Sicherheit.“ Er schaute wieder zu ihr. „Das ist bloß eine kleine Erleichterung. Jetzt ist alles zu spät. Jetzt wissen sie es. Man, das ist alles meine Schuld.“
„Das ist es nicht, Avèjo. Mach dir keine Vorwürfe!“ Sie schaute sich um. „Sag mal, es sind doch alle heil angekommen, oder?“
Er nickte. „Ja. Du warst die Letzte, die herkam, deshalb haben wir uns Sorgen gemacht. Aber wir haben dieses Mal niemanden verloren. Die Anderen wurden frühzeitig informiert.“
Blower lag vor ihren Füßen. Das Mädchen streichelte sein langes, flauschiges Fell. „Ich kann von Glück sprechen, dass ich schon wach war, als sie kamen. Das ist so gemein. Ich hatte nicht einmal Zeit, um was zu essen.“
„Wir haben noch ordentlich was hier. Einige haben von heute morgen noch was mitgebracht. Bedien dich! Aber vergiss nicht, dass wir sicherheitshalber den ganzen Tag hier bleiben müssen.“
Keines der Kinder traute sich aus dem Versteck. Erst als es Abend wurde und sie sich sicher waren, dass sie nicht mehr gesucht wurden, verließen die Ersten den Schutz des Waldes. Akizia und Avejo gingen als Letzte. Sie und Blower wanderten in die Richtung der Stadt. Die Sonne versank hinter dem Horizont. Das Tageslicht erlosch. Die Nacht zog herbei und brachte hunderte Sterne mit sich.
Die zwei Freunde gingen die breite Straße entlang. Es dauerte nicht lange bis sie Akizia`s Wohnort erreichten. Beide wunderten sich, weshalb einige Autos den Hügel hinauffuhren. Sie parkten oben auf dem Berg an einem gut beleuchteten Haus.
„Die machen `ne Party!“, bemerkte Avejo begeistert.
Akizia schaute ihn nachdenklich an. „An was denkst du?“
Er grinste. „Ich wollte schon immer mal auf einer Feier von diesen Schnöseln mit dabei sein.“
„Du hast doch nicht wirklich vor…“
„Ja“, kicherte er. „Sag jetzt nicht, du hast noch nie daran gedacht? Wer träumt denn nicht davon, mal in so ein echt reiches Haus hereinzukommen? Denk doch mal nach! Stell dir vor, was die da alles haben! Wahrscheinlich die neuste Technologie. Nicht das, was wir kennen. Sieh dir das doch an! Die haben sogar richtig echten Strom. Der ist sicher nicht begrenzt.“
Akizia starrte nachdenklich das Haus an. „Okay. Aber wie willst du da reinkommen?“
„So viel Besuch wie die haben, werden die zwei Knirpse wie uns nicht bemerken.“
Fahrzeuge standen vor dem riesigen Grundstück. Die Vorhänge waren zugezogen, doch das starke Licht drang dennoch hinaus. Selbst um das Haus herum standen Lampen. Avejo und Akizia versteckten sich hinter einem Wagen und warteten darauf, dass sich niemand an der großen Haustür befand. Der Junge schaute zu seinem Hund und befahl ihm leise, hierzubleiben.
Die Frau an der Tür verschwand. Akizia und Avejo rannten dorthin und schlichen hinein. Leise tapsten die Kinder den Flur entlang. Sie verdeckten sich hinter einem Tisch und schauten hinein in ein großes Zimmer. Die Räume waren voller Menschen. Die Meisten von ihnen waren schick angezogen und wirkten überhaupt nicht so arm wie die Mehrheit in Eregatha. Die Männer waren in Anzügen, die Frauen hauptsächlich in Kleidern.
„Oh, man, diese Schnösel. Warum geben die uns nicht einfach ein bisschen von ihrem vielen Geld ab? Wir könnten das gut gebrauchen. Nein, die vergeuden es lieber für hübsche Klamotten“, zischte Avejo.
„Leise! Die hören uns noch.“
„Bei dem Lärm? Wie denn?“
Von überall hörte man Gelächter, Gerede und Musik. Es blieb kein einziges Mal ruhig. Avejo stand auf.
„Wo willst du hin?“, fragte Akizia nervös.
Sie bekam keine Antwort, stattdessen nur: „Komm!“
Unruhig richtete sie sich auf. Sie und Avejo schlichen sich an der Menge vorbei. Keiner der Leute warf einen Blick auf sie, da sie zu sehr abgelenkt waren. Die Kinder liefen zu einer Couch, hinter der sie niemand erblickte. Zwischen dem Kamin und einer riesigen Blumenvase war ein sicheres Versteck.
Akizia blickte sich um. „Schau mal! Die haben sogar einen Fernseher.“
Er staunte. „Ja, sag ich doch. Was man hier sieht, sieht man selten.“
Derjenige, der auf dem Sessel gegenüber von ihnen saß, stand auf und ging zu der Masse. Avejo nutzte die Gelegenheit. Auf dem Tisch stand eine Schüssel mit Knabberzeug und eine Flasche. Eilig griff er danach und hockte sich dann wieder neben das Mädchen, ohne dass jemand seine Anwesenheit spürte. Er stellte die Schüssel neben sich ab und öffnete die Glasflasche. Durstig trank er daraus, schreckte auf und spuckte es wieder aus.
„Gott, schmeckt das eklig! Wie können die nur…“ Er nahm aus Neugier noch einen Schluck, verzerrte sein Gesicht, doch schluckte dennoch herunter. Sofort stellte er das Getränk weg. „Das ist sicherlich kein normales Wasser.“
„Ich glaub nicht, dass diese Schnösel bloß Wasser trinken. Das ist bestimmt was ganz anderes. Das mag ich mir gar nicht vorstellen.“
„Bäh!“ Avejo wischte sich eilig den Mund ab und langte nach dem Essen in der Schüssel, damit der Geschmack verschwand. „Woher haben diese Leute das alles? Ich hab sowas noch nie gesehen.“
Während er sich die Leckereien auf der Zunge zergehen ließ, erblickte er eine Person in der Menge. Einen wohlhabend aussehenden, erwachsenen Mann im Anzug mit dunklen, kurzen Haaren, der von vielen Menschen umgeben war.
„Was macht der denn hier?“, fragte Avejo erstaunt.
Akizia wurde neugierig. „Wen meinst du?“
„Der Bürgermeister. Da hinten.“ Er zeigte in seine Richtung.
Er hatte stets einen Gesprächspartner. Einer der Leute redete mit ihm.
„Und wie gehen die Forschungen voran?“
Der Mann antwortete auf jede der zahlreichen Fragen. „Die Wissenschaftler haben leider noch kein Heilmittel gefunden, aber sie halten diejenigen im Labor unter Beobachtung. Sie sind also keine Gefahr mehr für andere Menschen.“
Eine elegant gekleidete Dame kam zu ihm. Sie stieß den Herrn neben ihm zur Seite und verwickelte ihn sofort in ein Gespräch, ohne dass der andere noch mit ihm reden konnte. Nach einer Weile fragte sie ihn: „Und wie geht es Ihrer Stieftochter?“
„Ihr geht es gut. Durch den wenigen Kontakt zur Außenwelt ist es mir gelungen, dass sie keine weitere, schwerwiegende Erkrankung von sich trägt.“
„Ihre Behinderung konnten Sie noch nicht heilen?“
„Nein. Leider ist es bisher unmöglich gewesen, ein Mittel zu finden, welches die Blindheit aufhebt. Die Ärzte und Forscher sind nicht weit gekommen, um etwas zu erreichen. Es ist aber ein ziemliches Glück, dass sie noch nicht auf die Insel musste, da sie sehr anfällig ist für Krankheiten.“
„Dann können Sie stolz auf sie sein, dass sie Euch noch nicht enttäuscht hat.“
Unerwartet wurde ihre Unterhaltung beendet. Man hörte einen Schrei. Mehrere Leute rannten panisch ins Haus hinein.
Eine Frau schrie wie verrückt: „Ein Bär! Ein Bär!“
Avejo und Akizia schauten sich verwirrt an.
„Was?“, fragte er überrascht.
Beide standen auf. Durch die Aufregung wurden sie von niemandem bemerkt, sondern fast umgerannt. Die Menschen stürmten an ihnen vorbei. Die Kinder schlüpften durch die Hintertür, durch welche die Menge ins Haus gerast war, und gelangten somit in den riesigen Garten. Überall standen gedeckte Tische. Man sah ein großes Knäuel an einem von ihnen, Schüssel und Teller waren leer und Gläser umgeworfen. Avejo lief schmunzelnd zu dem Tier. Als es den Jungen erblickte, stellte es sich auf die Pfoten und bellte. Der dicke, sogenannte Bär rannte zu ihnen.
„Ach, Blower, ich hab dir doch gesagt, du sollst dich von hier fernhalten.“