Munish B. Schiekel

Dhammapada –
Die Weisheitslehren des Buddha

Aus dem Pali ins Deutsche neu übertragen und
kommentiert von Munish B. Schiekel

Vorwort von Thich Nhat Hanh

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IMPRESSUM

Titel der Originalausgabe: Dhammapada – Die Weisheitslehren des Buddha

Neuausgabe 2016

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 1998

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © shutterstock

E-Book-Konvertierung: E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book): 978-3-451-80981-1

ISBN (Buch): 978-3-451-06856-0

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INHALT

Vorwort von Thich Nhat Hanh

Zur Geschichte des Dhammapada

Anmerkung zur deutschen Übertragung

Danksagung

1 Die Wahl

2 Die Achtsamkeit

3 Der Geist

4 Die Blumen

5 Der Unwissende und Tor

6 Der Weise

7 Der Heilige

8 Die Tausend

9 Die böse Tat

10 Die Gewalt

11 Das Altern

12 Die Selbsterziehung

13 Die Welt

14 Der Erwachte

15 Das Glück

16 Das Vergnügen

17 Der Ärger

18 Die Verunreinigungen

19 Das Dhamma

20 Der Weg

21 Die vielfältige Übung

22 Die Abgründe des Leidens

23 Der Elefant

24 Das Verlangen

25 Der Mönch

26 Der Brahmane und der Heilige

Literaturverzeichnis

Anhang: Ethik und Meditation

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VORWORT

Das Dhammapada ist eine Sammlung der Lehren des Buddha. Obwohl es ein wenig später auftauchte als verschiedene andere Schriften, so gibt es doch keinen Zweifel daran, daß die 423 Verse des Dhammapada die authentischen Lehren des Buddha enthalten. Sie drücken die Einsicht jenes besonderen Menschen aus, der gelitten hat, der den Weg praktiziert hat und der Transformation und Befreiung erreicht hat. Es gibt einen Buddha in uns allen. Das ist der Grund dafür, weshalb wir manchmal beim Lesen des Dhammapada den Eindruck haben, daß die Einsicht des Buddha ja unsere eigene Einsicht ist. Wenn wir das Dhammapada lesen und kontemplieren, so berühren wir in uns die Samen des Verstehens und des Mitgefühls, so daß sie wachsen können und uns und der Welt die Blumen der Einsicht und Befreiung schenken können. Aus diesem Grund ist es segensreich, wenn wir das Dhammapada, wie etwa einen Spiegel, stets mit uns mitführen, so daß wir in unserem täglichen Leben Gelegenheiten haben mögen, darin der Wahren Natur nachzuspüren.

Lassen Sie uns gemeinsam Dr. Schiekel für seine Liebe und Sorgfalt danken, mit der er diesen kostbaren Text bearbeitet und in die deutsche Sprache übertragen hat. Und lassen Sie uns wünschen, daß er und wir alle fähig sein mögen, unser tägliches Leben in Einklang mit der Weisheit zu leben, wie sie uns in den wunderschönen Versen des Dhammapada übermittelt wird.

THICH NHAT HANH,

PLUM VILLAGE, FEBRUAR 1998.

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ZUR GESCHICHTE DES DHAMMAPADA1

Im Jahr 563 v. u.Z. wurde in Lumbini, im heutigen Nepal, der Prinz Siddhatta Gotama geboren. Mit 35 Jahren erreichte er als Waldeinsiedler nahe dem Dorf Uruvelā, dem heutigen Bodh-Gayā, die Erleuchtung. Daraufhin zog er 45 Jahre, bis zu seinem Tod im Jahr 483 v.u.Z. in Kusināra, als ein besitzloser Mönch lehrend und wandernd durch ganz Nordost-Indien. Man nannte ihn den Buddha, den Erwachten, den Vollendeten. Seine Lehre von der Überwindung des menschlichen Leidens und der Befreiung des Herzens und Geistes nannte er selbst das Dhamma und die stetig wachsende Gemeinschaft der Wandermönche und Waldeinsiedler, die sich ihm schon bald anschlossen, Sangha. Später kamen die Gemeinschaft der Laien und der Nonnenorden dazu.

Als der Buddha einige Monate vor seinem Tod gefragt wurde, wen er denn zu seinem Nachfolger bestimmen wolle, antwortete er folgendermaßen (Längere Sammlung [Dīghā-Nikāya] 16, 2, 25–26, und 16, 6, 1, gekürzt):

„Wieso erwartet der Orden das von mir? Ich habe die Lehre (dhamma) dargelegt, ohne ein Innen und Außen zu unterscheiden, denn in bezug auf die Lehre hat der Vollendete nicht die geschlossene Faust eines Lehrers, der gewisse Wahrheiten zurückhält. …

Ein Vollendeter glaubt nicht, daß unbedingt er den Orden leiten müsse, oder daß der Orden auf ihn angewiesen sei. …

Darum seid selbst eure Insel, selbst eure Zuflucht, habt die Lehre als Insel, die Lehre als Zuflucht, habt keine andere Zuflucht! …“

„Die Wahrheiten und die Ordensregeln, die ich dargelegt und für euch alle erlassen habe, die sollen nach meinem Tode euer Lehrer sein!“

Vier Monate nach dem Tod des Buddha fand in Rājagaha ein großes Mönchskonzil mit 500 ehrwürdigen Mönchen statt, die den Zustand der Heiligkeit, der Erlösung, erreicht hatten. Unter dem Vorsitz des Mönchs Mahākassapa legte diese Versammlung in siebenmonatiger Arbeit einen Kodex der erinnerten Buddhaworte fest, gruppiert in Ordensregeln (Vinaya) und Lehrreden (Sutten). Dieser gesamte Kanon wurde von Mönchen, die sich auf einzelne Textteile spezialisierten, auswendig gelernt und weiter überliefert. Einige Quellen sprechen sogar davon, daß schon auf diesem ersten Konzil die Lehre schriftlich niedergelegt wurde, obwohl uns heute dazu nähere Hinweise fehlen.

Einhundert Jahre später, etwa um 383 v. u. Z., fand in Vesāli unter dem Vorsitz des Mönchs Rewatta das zweite buddhistische Konzil statt, auf welchem von 700 Mönchen acht Monate lang erneut der gesamte Kanon rezitiert wurde und strittige Stellen ausführlicher diskutiert wurden.

Auf dem dritten Konzil, 253 v.u.Z., das unter der Schirmherrschaft des großen Kaisers Aśoka in Pātaliputta stattfand, wurde erneut von 1000 Mönchen während neun Monaten der gesamte Kanon rezitiert und revidiert, und auch ein erstes scholastisches Werk (das Kathāvatthu) wurde neu in den Kanon aufgenommen.

Es dürfte wohl spätestens auf diesem dritten Konzil gewesen sein, daß das hier vorgelegte Dhammapada Eingang in den buddhistischen Kanon gefunden hat, und zwar in den fünften Teil der Sammlung der Lehrreden (Sutten), genauer gesagt in die Kürzere Sammlung (Khuddaka-Nikāya).

Der vom dritten Konzil festgestellte Kanon wurde dann im 1. Jh. v.u.Z. auf Sri Lanka in der Pāli-Sprache niedergeschrieben und ist der einzige Kanon, der uns heute vollständig erhalten geblieben ist.

Das Dhammapada gibt in der Form einer Vers-Sammlung einen kurzen und doch eindringlichen Überblick über das gesamte, umfangreiche Lehrwerk des Buddha. Es enthält in 26 Kapiteln nach Themen geordnet 423 Verse. Die meisten Verse sind sehr rhythmische Vierzeiler mit je acht Silben pro Zeile.

Dhamma bedeutet ursprünglich „das Tragende“, das universale Gesetz, die Wahrheit, die Tugend, die Lehre, das Ding, die Daseinserscheinung, und pada bedeutet Fuß, Spur, Pfad, Wort, Satz – so könnte man Dhammapada also vielleicht mit Weg der Wahrheit, Weg der Lehre oder Worte der Wahrheit, Worte der Lehre wiedergeben.

Das Dhammapada wurde für mehr als zwei Jahrtausende hindurch zu der wohl meist rezitierten, studierten, und wertgeschätzten Schrift der Buddhisten in Sri Lanka und ganz Südost-Asien. Aber auch in Tibet, China, Korea und Japan diente es stets als Einführung in die Lehre des Buddha und wurde von vielen großen Meistern häufig zitiert. Seine Beliebtheit verdankt es der Poesie, Ausdruckskraft und Klarheit seiner Sprache und Bilder. So sind diese alten Lehrverse durch die vielen Jahrhunderte hindurch für jeden interessierten Menschen doch immer leicht zugänglich geblieben und, gleich einer Statue des Buddha, spiegeln sie zeitlos lächelnd etwas von der Breite und Tiefe des gesamten buddhistischen Weges und den Möglichkeiten des Mensch-Seins wider.

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1 Dieser Abschnitt orientiert sich im historischen Teil an der Darstellung von H. W. Schumann, 1991.

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ANMERKUNG ZUR DEUTSCHEN ÜBERTRAGUNG

Das Dhammapada ist die wohl bekannteste und meistübersetzte Schrift des buddhistischen Pali-Kanons (zu deutschen Übersetzungen siehe: H. Hecker, 1991).

Es war das Ziel der hier vorgelegten neuen Dhammapada-Übertragung, einen einfachen, poetischen und dennoch zuverlässigen, deutschen Dhammapada-Text zur Verfügung zu stellen, einen Text, der ebenso gut in den Meditations-Übungsraum, wie auf den Nachttisch paßt, und vor allem, einen Text, der unser Herz zu berühren vermag. Daher betont diese Übertragung auch eher die Freude am Weg des Verstehens und des Mitgefühls und das tiefe Glück der Loslösung, und nicht so sehr die Abscheu an Samsara, dem Daseinskreislauf.

Diese Übertragung wurde stark inspiriert durch zwei großartige, aber äußerst gegensätzliche Darstellungen des Dhammapada:

– die wortgetreue deutsche Übersetzung des Ehrwürdigen Nyanatiloka Mahathera,

– die freie Nachdichtung ins Englische von Thomas Byrom.

Die sprachlich wunderschöne freie Nachdichtung von Thomas Byrom, 1976, hat sich vor allem in den englischsprachigen Ländern viele Freunde erworben. Leider hat sich Byrom zugunsten der Einfachheit und Poesie häufig sehr weit vom Sinn des ursprünglichen Palitextes entfernt, so daß nach meinem Empfinden in seinem Text die Lehre des Buddha sowohl in ihren Übungsanleitungen als auch in ihrem philosophischen Verständnis nicht immer klar genug dargestellt wird.

Auf der anderen Seite gibt es da jene hervorragende, wörtlich präzise Übersetzung des Dhammapada durch den Ehrwürdigen Nyanatiloka Mahathera, die auch den Palitext enthält und den bedeutenden Kommentar von Buddhaghosa aus dem 5. Jahrhundert n. u.Z. Die Herausgabe dieses umfangreichen Werks verdanken wir dem segensreichen Wirken des Ehrwürdigen Nyanaponika Mahathera und der Ehrwürdigen Ayya Khema und ihrer Schülerinnen und Schüler in Deutschland. Wer die Lehre des Buddha in ihrer ganzen Breite und großen Tiefe zu studieren wünscht, wird sich sicherlich dieser Übersetzung zuwenden.

Für manche Übenden des buddhistischen Weges, aber auch für viele interessierte Nichtbuddhisten, mag jedoch die Übersetzung des Ehrwürdigen Nyanatiloka Mahathera mit ihrem hohen Anspruch tatsächlich zu schwierig für einen Zugang sein. Daher war es mein Bemühen, einerseits dem Ehrwürdigen Nyanatiloka folgend, den von Buddha präzise und klar gelehrten Übungsweg möglichst ebenso präzise im Deutschen aufzuzeigen, andererseits, unter Verzicht auf Nyanatilokas hohen wissenschaftlichen Anspruch und hierin Byrom folgend, dies in einer einfachen, verständlichen und poetischen Sprache zu tun.

Dabei habe ich mit großer Dankbarkeit Nyanatilokas Palitext zugrunde gelegt, seine Übersetzung, insbesondere auch des Kommentars (1992), seine Pali-Anthologie und Wörterbuch (1995) sowie sein Buddhistisches Wörterbuch (1989). Intensiv herangezogen habe ich das Pali-Englisch Wörterbuch von Rhys Davids und Stede (1995), gelegentlich und stets mit großem Gewinn Lama Govindas Abhidhamma-Studie (1992) sowie begleitend die Dhammapada-Übertragungen von Byrom (1993) und Schmidt (1954).

Für alle die offenkundigen und die subtileren Fehler und Unzulänglichkeiten dieser Übertragung möchte ich mich hier aufrichtig entschuldigen. Dennoch wünsche ich mir von Herzen, daß möglichst viele Leserinnen und Leser eine große innere Freude an diesen Worten des Buddha finden, so wie auch ich sehr glücklich war beim Erforschen und Übertragen dieser Verse des Dhammapada .

Mögen aus diesem Text Verstehen und Glück für alle Lebewesen erwachsen.

M. B. S.

VOGTAREUTH, 1997

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DANKSAGUNG

Es ist mir ein großes Anliegen und eine große Freude zugleich, hier einigen Menschen meinen besonderen Dank auszusprechen:

dem Freund Stewart Coltman vom Sadhana Verlag, Berlin, der die hier vorgelegte Arbeit angeregt hat; Lama Yeshe Udo Regel, der mir half, einen Verleger zu finden; Amoghavajra Karl Schmied, dessen Interesse und Engagement das Vorwort von Thich Nhat Hanh zu verdanken ist;

den verehrten Großeltern und Tante Ull und allen Menschen, die das Haus des Großvaters, Arztes und Freimaurers Martin Bretschneider aus Neubrandenburg zu solch einem offenen und menschlichen Platz gestaltet hatten;

den verehrten Eltern, dem Vater, Physiker und Freimaurer Manfred Schiekel und der gütigen und verständnisvollen Mutter Sigrid Schiekel;

den weisen, gütigen, verrückten, humorvollen und freundlichen spirituellen Freunden und Lehrern, denen zu begegnen ich das Glück hatte: dem Ehrwürdigen Nyanaponika, Ram Dass, Shree Rajneesh, dem Verehrten Lama Chime Rinpoche als meinem Wurzel-Lehrer, dem Ehrwürdigen Thich Nhat Hanh, Fred von Allmen, Lama Surya Das, Gudrun Drechsel.

M. B. S.

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1 DIE WAHL

1

Alle Dinge1 entstehen im Geist2,

Sind unseres mächtigen Geistes Schöpfung.

Rede mit unreinem Geist,

Handle mit unreinem Geist,

Und Leiden wird dir folgen,

Wie das Rad dem Fuß folgt,
der den Wagen zieht.

2

Alle Dinge entstehen im Geist

Sind unseres mächtigen Geistes Schöpfung.

Rede mit reinem Geist,

Handle mit reinem Geist,

Und Glück wird dir folgen,

Wie der Schatten dem Körper folgt,
und nicht weicht.

3

„Sieh, wie er mich beschimpft und geschlagen hat,

Wie er mich niedergeworfen hat und beraubt.“

Halte solche Gedanken fest,

Und dein Haß kommt nie zur Ruhe.

4

„Sieh, wie er mich beschimpft und geschlagen hat,

Wie er mich niedergeworfen hat und beraubt.“

Laß solche Gedanken los,

Und dein Haß kommt bald zur Ruhe.

5

Noch nie in dieser Welt

Hat Haß gestillt den Haß.

Nur liebende Güte3 stillt den Haß.

Dies ist ein ewiges Gesetz4.

6

Die Unwissenden sehen es nicht ein,

Daß man im Streit sich zügeln muß.

Aber wenn du klar erkennst5,

Dann kommt in dir alles Streiten zur Ruhe.

7

Wenn du nur der Suche nach Schönem lebst,

Und deine Sinnestore nicht bewachst,

Wenn du beim Essen das rechte Maß nicht kennst

Und träge bist und ohne rechtes Bemühen,

Dann wirst du von Mara6 entwurzelt werden,

So, wie der Wind
einen schwachen Baum überwältigt.

8

Doch wenn du auch das Nicht-Schöne7 betrachtest,

Und deine Sinnestore recht bewachst,

Wenn du beim Essen das rechte Maß kennst

Und zuversichtlich bist und voll rechten Bemühens,

Dann wird dich Mara niemals mehr bezwingen,

So, wie der Wind
einen Felsenberg nicht überwältigt.

9

Wenn du noch voller Fehler8 bist,

Unbezähmt und ohne Verständnis der Wahrheit,

Wenn du dich dennoch in die gelbe Robe hüllst,

So bist du nicht wert, die gelbe Robe zu tragen.

10

Doch wenn du deine Fehler aufgegeben hast,

Fest stehst in Sittlichkeit,

Bezähmt und voller Verständnis der Wahrheit,

So bist du wohl wert, die gelbe Robe zu tragen.

11

Du siehst das Wertlose als wertvoll an,