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Die Agentur


In San Carlos wurden Decken ausgegeben, und viele Apachen, die in der Reservation lebten, waren da, als die Soldaten mit ihren Gefangenen die Agentur erreichten.

Vor Nachite, Loco und Nana ritt Geronimo auf das Wachhaus zu, und sofort war er von Indianerpolizisten umringt. Viele von ihnen hatten in jener Nacht mitgekämpft, als Nachite die Gefangenen aus dem Eisenhaus befreite. Schweigend bildeten die Agenturapachen eine Gasse, durch die die Gefangenen und ihre Bewacher reiten konnten.

General Crook, Captain Crawford und zwei andere Offiziere saßen ebenfalls ab, als Geronimo und die Häuptlinge sich aus den Sätteln schwangen. Aufrecht und ohne irgendjemanden anzusehen, stand Geronimo in dem Ring schussbereiter Gewehre der Indianer-Scouts. Eine gefährliche Stille herrschte.

Plötzlich öffnete sich die Tür des Wachhauses, und ein Mann trat heraus, ein Weißer, hochgewachsen und mit hagerem Gesicht. Seine Augen waren so bleich wie sein Gesicht, der Mund schmal und die Lippen blutleer. Schütteres, sandfarbenes Haar hing dem Mann in die Stirn. Einer seiner Mundwinkel zuckte, als er die gefangenen Apachen sah. Geronimo spürte die Verachtung, die dieser Mann für sie empfand, wie den Schlag einer Pferdepeitsche, und sofort war das alte Misstrauen wieder wach.

„Das ist der neue Agent“, sagte Crook, und dann gingen sie alle in das Wachhaus hinein.

„Ich weiß, wer du bist, Geronimo“, begann der Agent, der sich der spanischen Sprache, die die Apachen verstehen konnten, bediente. „Ihr habt bis jetzt gegen alle, die nicht zu eurem Volk gehören, Krieg geführt. Das ist nun vorbei, und von jetzt an müsst ihr Frieden halten, denn ihr werdet für jedes Vergehen bestraft werden. Ihr könnt in San Carlos leben, aber dann müsst ihr die gleichen Gesetze beachten wie alle anderen.“

„Gesetze werden immer nur für die Apachen gemacht, nie für die Weißaugen“, gab Geronimo zurück.

„Ihr werdet diese Gesetze beachten, ob es euch gefällt oder nicht!“, erwiderte der Agent, und seine bleichen Augen begannen zornig zu flackern. Geronimo fühlte Widerwillen und Hass gegen diese stechenden Augen. Dieser Mann gefiel ihm weniger als alle anderen Weißen, die er bisher gesehen hatte. Er fühlte, dass dieser Agent die Apachen hasste und verachtete.

„Und wenn es uns nicht gefällt, deine Gesetze zu befolgen?“, fragte er. Plötzlich war es ganz still in dem niedrigen Raum. General Crook wechselte einen Blick mit Captain Crawford.

„Ich habe dir gesagt, dass ihr für jedes Vergehen bestraft werdet“, sagte der Agent. „Wer die Gesetze nicht beachtet, wird in das Eisenhaus gesperrt. Du warst schon einmal dort, Geronimo. Du weißt, was das bedeutet. Wer aber einen Apachen oder einen Weißen tötet, der wird vor ein Militärgericht gestellt und ­aufgehängt. Die Gesetze sind hart, aber sie müssen hart sein, damit ihr lernt, Frieden zu halten. Jeder Apache wird genug Land bekommen, um darauf zu leben. Er wird einen Pflug, Saatgut und ein paar Schafe bekommen. Solange ihr euch noch nicht selbst am Leben erhalten könnt, wird die Agentur für euch sorgen. Aber ihr dürft unter schwerer Strafe das Reservationsgebiet nicht verlassen. Ihr müsst eure Gewehre und alle eure Waffen abliefern; nur eure Messer dürft ihr behalten. Und jeder von euch darf nicht mehr als ein halbes Dutzend Pferde und Maultiere besitzen.“

Geronimo sah dem weißen Agenten in die bleichen Augen, und Bitterkeit überkam ihn. Er dachte daran, wie sein Volk zehn Tage lang mit den Soldaten durch Wüsten und ausgetrocknete, glutheiße Flussbetten, durch nackte, kahle Berge und wasserlose Ebenen gezogen war, die verzweifelte Hoffnung nährend, es möge irgendwo einen Ort geben, wo sie alle frei und ohne Demütigung leben konnten. Viele der Alten waren unterwegs zurückgeblieben, um in jenen kahlen Bergen von Mexiko zu sterben. Aber die anderen waren weiter nach Norden gezogen, immer weiter – und nun begann die Gefangenschaft für sie aufs Neue.

Geronimo fühlte Müdigkeit. Er wollte nicht mehr reden. Jedes weitere Wort würde nur eine neue Demütigung sein.

„Wir werden tun, was du verlangt hast, Nantan“, nickte er. „Lass uns jetzt einen Platz suchen, an dem wir unsere Hütten errichten können.“

„Du kannst gehen!“, sagte der Agent, und seine dünnen Lippen kräuselten sich verächtlich.

Draußen standen jetzt noch mehr Apachen als zuvor. Ein Raunen und Murmeln ging durch die Menge, als Geronimo, Nachite, Loco und Nana, von Indianerpolizisten begleitet, aus dem Wachhaus kamen, um zu ihren Pferden zu gehen. Immer dichter drängten sich die Indianer, sodass die Agentur-Scouts sie mit Gewehrkolben zurückstoßen mussten.

Der Agent, General Crook und Captain Crawford waren ebenfalls aus dem Haus getreten und sahen nun mehrere Hundert Apachen, die stumm die Hände ausstreckten, um Geronimo zu berühren, wenn er an ihnen vorbeiging, um die Pferde zu erreichen, die von Juan und Nadizaz gehalten wurden. Da verstellte ihm plötzlich Chato den Weg.

„Hay, großer Kriegshäuptling der Apachen, wo ist nun dein Mut geblieben?“, höhnte er. „Bist du zu feige, um zu kämpfen? Du trottest dahin wie ein Stück Vieh, das vom Weißen Mann an der Kette zum Stall geführt wird.“

Geronimo würdigte ihn keiner Antwort, doch Juan, der nur zwei Schritte entfernt stand, fuhr mit einem Wutschrei herum, und ein Messer blitzte in seiner Hand. Chato riss die Winchester hoch. Geronimo umklammerte die Rechte seines Sohnes und warf sich zwischen ihn und Chato. Dennoch drückte der Verräter ab. Der Knall dröhnte wie ein Kanonenschuss, und die Kugel verwundete Geronimo an der Hüfte.

Im Augenblick standen sich Apachen und Agentur-­Scouts gegenüber. Messer, Revolver und Gewehr­mündungen richteten sich gegen keuchende Leiber.

Der weiße Agent wurde aschfahl im Gesicht. Er hob die Hand, als könnte er mit dieser Bewegung den einen Schrei, den einen Schuss aufhalten, der das Massaker auslösen musste. Sein Mund öffnete sich, doch kein Laut kam über die bleichen Lippen. Die Hände der Offiziere neben ihm fuhren zu den Revolvern, und die Soldaten hoben die Karabiner, schussbereit.

Geronimo ließ Juan los und drehte sich um. Blut sickerte über sein Hemd und seinen Lendenschurz, doch er machte keine Bewegung, es zu stillen. Er sah Chato, der noch immer seine Winchester auf ihn gerichtet hielt; er sah den weißen Agenten; er sah all die Soldaten und Indianerpolizisten, und ihm war, als fühle er wieder das Gewicht der schweren Eisenfesseln an seinen Armen. Da wusste er, dass der Kampf noch nicht zu Ende war, denn in Ketten konnte er nicht atmen, in Ketten konnte er nicht leben. Die Stunde des letzten Aufstands würde kommen, aber noch war es nicht so weit.

„Die Beleidigungen eines Verräters sind keinen Tropfen Apachenblut wert“, sagte er in das gefährliche Schweigen hinein. „Lasst uns gehen, meine Freunde!“

Er schwang sich in den Sattel seines Pintopferdes. Stumm öffneten die Apachen eine Gasse für ihn, und er ritt hindurch.


Western Legenden




In dieser Reihe bisher erschienen

9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache

9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato

9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen

9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen

9005 Dietmar Kuegler Tombstone

9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang

9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod

9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin

9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana

9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas

9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs

9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk

9013 Andreas Zwengel Die spanische Expedition

9014 Andreas Zwengel Pakt der Rivalen

9015 Andreas Zwengel Schlechte Verlierer

9016 R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen

9017 Dietmar Kuegler Der letzte Rebell

9018 R. S. Stone Walkers Rückkehr

9019 Leslie West Das Königreich im Michigansee

9020 R. S. Stone Die Hand am Colt

9021 Dietmar Kuegler San Pedro River

9022 Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen

9023 Dietmar Kuegler Alamo - Der Kampf um Texas

9024 Alfred Wallon Das Goliad-Massaker

9025 R. S. Stone Blutiger Winter

9026 R. S. Stone Der Damm von Baxter Ridge

9027 Alex Mann Dreitausend Rinder

9028 R. S. Stone Schwarzes Gold

9029 R. S. Stone Schmutziger Job

9030 Peter Dubina Bronco Canyon

9031 Alfred Wallon Butch Cassidy wird gejagt

9032 Alex Mann Die verlorene Patrouille

9033 Anton Serkalow Blaine Williams - Das Gesetz der Rache

9034 Alfred Wallon Kampf am Schienenstrang

9035 Alex Mann Mexico Marshal

9036 Alex Mann Der Rodeochampion

9037 R. S. Stone Vierzig Tage

9038 Alex Mann Die gejagten Zwei

9039 Peter Dubina Teufel der weißen Berge

9040 Peter Dubina Brennende Lager

9041 Peter Dubina Kampf bis zur letzten Patrone

9042 Dietmar Kuegler Der Scout und der General


Peter Dubina


Brennende Lager


Geronimo
Band 2






Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mario Heyer
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-661-3

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!



Prolog


In den ersten Frühlingstagen des Jahres 1858 verließ Mangas Coloradas mit mehreren Hundert Mimbre-­Apachen die von steilen Felsflanken geschützte Bergfeste seines Volkes. Er wollte nach Mexiko ziehen, denn über den Bergen und Wüsten von Arizona dröhnten die Apachentrommeln, und Kriegsfeuer loderten in den hellen Nächten auf hohen, nackten Felszinnen.

Sechs Chiricahua-Apachen, unter ihnen Cochises eigener Bruder Naretena und die beiden Söhne seines Bruders Juan, waren von weißen Soldaten getötet worden. Cochise selbst hatte ihre Körper von den Ästen des Ahornbaumes geschnitten, an denen sie, nur einen Steinwurf von der Poststation entfernt, auf der Höhe des Apache-­Passes gehenkt worden waren.

Einige Zeit zuvor waren der Sohn des weißen Ranchers John Ward aus dem Sonoita-Tal und eine Anzahl Pferde und Maultiere von Apachen geraubt worden. Cochise war deshalb mit einigen seiner Krieger waffenlos und unter einer weißen Fahne zu Buckleys Poststation hinauf­geritten, um mit Lieutenant George N. Bascom vom siebten Infanterieregiment zusammenzutreffen. Der Leutnant erwartete ihn dort mit John Ward und einem Trupp berittener Infanterie.

„Ich weiß nichts von dem Kind, von dem du sprichst, Nantan“, sagte Cochise. „Es lebt nicht bei meinem Volk. Aber ich werde Boten zu den anderen Apachenstämmen schicken, und wenn das Kind und die gestohlenen Tiere dort sind, so werden sie zurückgegeben werden.“

Lieutenant Bascom, der an einem der schießschartenartig schmalen Fenster stand, wandte sich um. Er war ein noch sehr junger Mann mit rötlich-blondem Haar, einem dünnen Schnurrbart und hochmütigen, kalten, blauen Augen.

„Dein Wort steht gegen das von Mister Ward“, versetzte er schroff und deutete auf den Rancher, der, einige Schritte entfernt, finster an dem steinernen Kamin lehnte. „Und Mister Ward behauptet, es seien Chiricahua-­Apachen gewesen, die seinen Sohn und die Tiere raubten.“

Cochises Bruder Naretena wollte einen Schritt auf Bascom zugehen, doch eine Handbewegung des Häuptlings hielt ihn zurück. Cochises Gesicht blieb verschlossen und ausdruckslos. Er hatte die Sturheit und den Indianerhass in den Augen des jungen Offiziers gesehen, und er wusste nun, dass es schwer sein würde, ihn von der Wahrheit zu überzeugen.

„Seit mehr als fünf Erntezeiten hat es keinen Krieg mehr zwischen meinem Volk und den Weißaugen gegeben“, erwiderte er langsam und deutlich, sodass der Lieutenant ihn genau verstehen konnte. „Die Amerikaner zogen von Sonnenaufgang nach Sonnenuntergang durch die Apacheria, und wir bekämpften sie nicht. Wenn sie hungrig waren, haben wir ihnen zu essen gegeben; wenn sie durstig waren, haben wir ihnen zu trinken gegeben. Wir haben mit ihnen Handel getrieben, aber wir haben nicht gegen sie gekämpft, Nantan. Sage mir, wie dieses Kind aussieht und wie viele Tiere gestohlen wurden, dann werde ich Krieger zu den Coyoteros, den Mescaleros, Mimbres und White-Mountain-Apachen schicken, und das Kind und alle Pferde und Maultiere werden zurückgegeben.“

Lieutenant Bascom verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich mit einer Schulter gegen die Mauer neben dem Fenster. Er betrachtete Cochise, und seine Mundwinkel zuckten verächtlich.

Der Apache war einfach gekleidet. Er trug ein Baumwollhemd, einen ledernen Lendenschurz und kniehohe Mokassins. Das lang herabfallende, schwarze Haar wurde über der Stirn von einem roten Stoffstreifen gehalten, und eine alte, schwarze Navajodecke mit rotem und weißem Zickzackmuster hing über seinem linken Arm.

Bascom dachte an die Geschichten über die Grausamkeit dieser gefürchteten Wüstenkrieger. Diese Apachen, die da vor ihm standen, sahen eher wie heruntergekommene Landstreicher aus. Wahrscheinlich verstanden sie nur eine Sprache: die der Gewalt.

John Ward, der neben Bascom stand, schüttelte den Kopf. „Dieser verdammte Halsabschneider lügt“, sagte er wütend.

Cochise stand noch immer regungslos da, obwohl er die Worte des Weißen sehr gut verstanden hatte. Sein Gesicht blieb starr und ausdruckslos wie eine hölzerne Tanzmaske. Einen Apachen der Lüge zu bezichtigen, war eine Beschimpfung, die nur mit Blut abgewaschen ­werden konnte. Doch Cochise wusste, dass es Krieg bedeuten musste, wenn er auch nur einen Tropfen vom Blut eines Weißen vergoss. Seine Augen, flach und leblos wie die Augen einer Eidechse auf einem sonnenheißen Stein, waren auf Bascoms Gesicht gerichtet. Eine Minute verstrich in schwerem, drückendem Schweigen, dann öffnete Bascom endlich die dünnen Lippen.

„Du bist ein Lügner, Cochise!“, sagte er mit harter, herausfordernder Stimme. „Ich glaube, dass deine Männer das Kind und die Tiere gestohlen haben. Ich werde dich in Ketten legen lassen, bis das Kind, das letzte Pferd und das letzte Maultier zurückgegeben worden sind.“

Er gab Sergeant Reuben Bernard, der mit vier Soldaten neben der Tür stand, ein Zeichen.

„Sergeant, nehmen Sie diese Bastarde fest und lassen Sie sie in Eisen schmieden!“, befahl er.

Bernard und die vier Infanteristen mit ihren langen Musketen und den aufgepflanzten Bajonetten traten auf die Indianer zu. Mit einem Wutschrei fuhr Cochise herum.

„Weißer Hund!“, schrie er Bascom ins Gesicht. Die schwarze Navajodecke fiel zu Boden, und Cochise hielt ein Messer in der Hand.

„Fort von hier! Folgt mir!“, rief er den anderen Apachen zu. Er schlug einen Gewehrlauf zur Seite, und die lange Messerklinge zog blitzende Kreise. Die Soldaten wichen zurück, und Cochise stürmte durch die Tür ins Freie und den Hügelhang hinauf, der neben der Post­station steil anstieg.

Die übrigen Indianer versuchten, ihm zu folgen, doch sie fanden die Soldaten vorbereitet. Naretena wurde mit einem Gewehrkolben niedergestreckt, und einer von Juans Söhnen bekam einen Bajonettstich in den Leib. Die anderen ergaben sich, als sie sich von einem Ring schussbereiter Gewehre umgeben sahen.

Cochise rannte geduckt den Hang hinauf. Hinter ihm kamen Soldaten vom Corral gelaufen, wo sie im Schatten der drei Fuß hohen Mauer aus aufeinandergeschichteten Steinbrocken biwakiert hatten. Einige von ihnen blieben stehen und hoben die Gewehre. Schüsse krachten, und Cochise taumelte, als eine Kugel seine Schulter traf. Er stürzte, raffte sich wieder auf und verschwand, eine dünne Blutspur im Staub hinter sich lassend, zwischen Felsen und Gestrüpp.

„Verfolgen Sie ihn, Sergeant!“, befahl Bascom, der hinter Cochise und Bernard aus der Tür gestürzt war. „Finden Sie ihn, und bringen Sie ihn zurück!“

Der Sergeant schob langsam den Reitercolt ins Holster und schloss die lederne Klappe.

„Er ist uns entkommen“, murmelte er. „Den finden wir jetzt nicht mehr. Er hat sich dort oben irgendwo ­verkrochen.“ Er deutete mit dem Kinn zu den Felsen der Passhöhe in dem harten, flirrenden Sonnenlicht hinauf.

„Wir können uns an die Gefangenen halten“, erwiderte Bascom. „Wenn Cochise den Ward’schen Jungen und die gestohlenen Pferde nicht herausgibt, werden die sechs Apachen aufgehängt.“

Bernard sah ihn unbehaglich an. Im Gegensatz zu Bascom war er ein altgedienter Soldat und hatte Erfahrungen in ungezählten Gefechten gegen Apachenbanden gesammelt.

„Ich halte nicht viel von diesen Indianern, Sir“, sagte er. „Aber wenn Sie die Gefangenen hängen lassen, brocken wir uns mehr ein, als wir schlucken können. Cochise wird das nicht hinnehmen.“

Bascom musterte den Sergeant mit einem langen, kalten Blick seiner hellen Augen. „Es ist allmählich an der Zeit, dass die Apachen begreifen, wer in diesem Land zu befehlen hat“, sagte er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. „Für sie zählt nur eines – die Gewalt. Lassen Sie die Gefangenen in Ketten legen und bewachen.“

Er wandte sich um, blickte zu der weißen Fahne empor, die an einem Pfahl neben der Poststation flatterte, riss sie herunter und trat sie mit dem Stiefelabsatz in den Sand.


*


In der Nacht glühte der Himmel im Westen in unheildrohendem, rotem Feuerschein, und die Soldaten auf Buckleys Station lagen schlaflos hinter ihren schuss­bereiten Gewehren und starrten in das fahle Zwielicht der mondhellen Nacht. Doch alles blieb ruhig, und nur das Heulen der Coyoten auf der Passhöhe durchbrach ab und zu die unheimliche Stille.

Gegen Mitternacht verließ Lieutenant Bascom, in seinen schweren Armeemantel gehüllt, die schützende Wärme der Station. Die Nacht war kalt, und ein schneidender Wind strich über den Pass.

Sergeant Bernard stand neben dem Brunnen, die stählerne Kolbenplatte des Gewehres auf die steinerne Umfassung gestützt, beide Hände um den Lauf der Muskete gelegt, das Schild der Infanteriekappe tief ins Gesicht gezogen.

„Ich möchte wissen, was dort geschehen ist“, sagte Bascom, und sein Blick ging zu dem Feuerschein im Westen.

„Wenn es das ist, was ich glaube“, murmelte Bernard, „werden wir bei Tagesanbruch mehr Apachen hier haben, als uns lieb sein kann, Sir.“

Bascom schlug fröstelnd seinen Mantelkragen hoch. „Schicken Sie einen Kurier nach Fort Breckenridge, Sergeant. Er soll unbedingt Hilfe holen, und wenn er dabei sein Pferd zuschanden reiten muss.“

Sergeant Reuben Bernard dachte an die sechs Gefangenen, die unter Bewachung und in schweren Ketten in der Schmiede der Poststation lagen, doch er sagte nichts. Er zuckte nur mit den Schultern, wechselte die Muskete in die andere Hand und ging, um einen Meldereiter loszuschicken.

Im Morgengrauen, als der Himmel bleich wurde und die Erde, Felsen, Sand und Berge gleichmäßig grau waren, gab Lieutenant Bascom Befehl, Pferde und Maultiere zur Wasserstelle in der Tiefe des Passes zu treiben. Als die Soldaten das schlammige Wasserloch erreicht hatten, peitschten plötzlich Schüsse durch das Zwielicht des Canyons. Durch die Stirn geschossen, brach einer der Männer zusammen. Zwei andere wurden schwer verwundet von ihren Kameraden 600 Schritte weit in die Deckung der steinernen Corralmauern zurückgeschleppt.

Nun wusste Bascom, dass er mit seinem Kommando eingeschlossen war. Überall in den scheinbar leblosen, kahlen Berghängen hatten sich die Scharfschützen der Apachen eingenistet, denen keine Bewegung auf der Poststation entging. Sie selbst blieben unsichtbar, und das Einzige, was ihre Stellungen in den Felswänden verriet, war Pulverrauch, der im Wind davontrieb. Die Soldaten erwiderten vom Haus und dem Corral her das Feuer, aber sie schossen blindlings, denn nirgendwo bot sich ihnen ein Ziel.

„Sergeant“, schrie Lieutenant Bascom durch das Krachen der schweren Militärgewehre, die das Innere der Poststation mit Pulverdampf erfüllten, „nehmen Sie sich zwei Männer und führen Sie die Gefangenen in Ketten vor den Schuppen! Wenn die Apachen das Feuer nicht einstellen, werden die Gefangenen erschossen.“

Kaum traten die Soldaten mit den sechs gefangenen Indianern, zwischen deren Fußknöcheln bei jedem Schritt die Eisenketten klirrten, vor die Schmiede, als sich eine unheimliche Stille über die Passenge senkte. Die Soldaten ließen die Gewehre sinken.

Plötzlich tauchten mehrere berittene Apachen am Eingang des Passes auf. Bascom sah Cochise durch das Fernrohr. Das Gesicht des Chiricahua-Häuptlings war mit roter und schwarzer Farbe bemalt, und eine einzelne Adlerfeder ragte aus seinem Stirnband. Er trug einen Köcher mit Pfeilen auf dem Rücken, über dem Sattelknauf lag ein Kavalleriekarabiner, und mit der rechten Hand hielt er den langen Schaft einer Lanze aufrecht, von der Federn herabhingen.

Und dann sah Bascom, dass die Apachen einen Gefangenen vor sich hertrieben. Es war ein Weißer mit blondem Haar und blondem Bart. Sein Gesicht und sein nackter Oberkörper waren blutig und zerschunden, seine Hosen zerfetzt. Seine Füße waren bloß, die Arme waren ihm auf dem Rücken zusammengeschnürt, und die Lassoschlinge eines Apachen lag lose um seinen Nacken.

Cochise senkte den langen Speer, hielt ihn dem Gefangenen in den Rücken und trieb ihn so vorwärts. Bis auf fünfzig Schritte ritten die Apachen an die Station heran, bevor sie ihre Pferde zügelten. Cochise richtete sich in den Steigbügeln auf.