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Alle Rechte vorbehalten, © Jürgen Stäudtner Erschienen 2015

Zweite, erweiterte Auflage von 2019

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7386-9775-9

Für Ruudie

Inhalt

Vorwort

Neues zu erschaffen ist ungeheuer inspirierend und erfrischend. Wer sich darauf einlässt kann das Leben bereichern und den Spaß an der Arbeit wiederfinden. Man kann der Gesellschaft etwas Gutes tun und dazu beitragen, dass der Arbeitgeber auch künftig existiert.

Dennoch kämpft dieses Buch mit Vorurteilen: Änderungen seien überflüssig, Innovation zu riskant. Es gäbe genügend Fachleute, die sich um Neues kümmerten. Selbst könne man nicht helfen, denn man habe keine Zeit und sei nicht kreativ genug.

Deutschland sei gut aufgestellt, denn schließlich stecken wir Unsummen in neue Entwicklungen und generieren wir jede Menge Patente. Warum sollte der amtierende Exportweltmeister etwas ändern, warum sich hinterfragen? Wenn alles gut geht scheint Innovation überflüssig. Aber dann ist ruck zuck alles anders.

Momentan wird viel über die Unsicherheit der Zeit, über unvorhersehbare Ereignisse gesprochen. Nichts scheint mehr sicher. Aber so war es schon immer. Zeiten, in denen es nur aufwärtsgeht und die Welt sicher erscheint sind eher selten: Schneller Wandel ist normal.

Innovation ist auch immer etwas für Andere: für die Manager, für die Entwicklungsabteilungen, für den Staat. Fachleute, vor allem besserwissende gibt es genügend, aber dennoch scheitert eine Vielzahl von Projekten krachend, Neugründungen lösen sich auf, hoch angesehene und ehemals erfolgreiche Firmen implodieren. Wissenschaftler und Expertenkommissionen stehen ratlos daneben und geben gutgemeinte Ratschläge. Der amerikanische Managementpapst Peter Drucker schrieb: „Unternehmertum ist weder Wissenschaft noch Kunst. Es ist eine Tätigkeit.“

Viele Menschen haben keine Zeit, sich mit wichtigen Themen wie Innovation zu beschäftigen. Die meisten Menschen halten sich für zu wenig kreativ. Aber jeder kann mitmachen. Jeder kann andere Menschen überzeugen, neue Produkte oder Services anbieten. Jeder kann seinen Alltag ändern, ein Unternehmen gründen, in einem Unternehmen Intrapreneur werden oder einfach Mensch sein.

Heute muss sich niemand mehr einreden, dass sich nichts ändern lasse oder dass er nichts wisse. Jeder hat die Chance, selbst über sein Leben zu bestimmen. Zudem gehen Forscher heute davon aus, dass wir viel öfter kreativ sind, als wir meinen. Wir wissen, dass man Kreativität lernen kann. Die Kreativität und das unternehmerische Potential der Deutschen sind nicht gefragt und werden unterschätzt.

Deshalb gibt dieses Buch keine Ratschläge, sondern Hinweise. Ein Sachbuch eines Fachmanns für jedefrau und jedermann. Kurzweilig, unterhaltsam und spannend soll es helfen, festgefahrene Denkstrukturen zu durchbrechen. Es hilft, Situationen zu vermeiden, in denen man meint, keine Zeit für Experimente zu haben. Das Buch gibt Hinweise – in Zeiten der Muße und wenn nichts mehr zu gehen scheint, in denen man blockiert ist.

Im ersten und im letzten Kapitel beschäftigt sich das Buch mit der Frage warum Innovation erforderlich und wer dafür verantwortlich ist.

Dazwischen liegen zehn Hinweiskapitel, die jeweils auf mehreren thematisch zueinander passenden Thesen beruhen. Sie gründen auf moderner Managementlehre und über 20 Jahren praktischer Erfahrung. Sie überraschen und provozieren. Deshalb helfen diese Abschnitte des Buches, innovativer zu werden – in jeder Branche und jeder Disziplin.

Die ersten drei Hinweise thematisieren uns Menschen, vorteilhafte Eigenschaften für Innovation sowie Ideen. Die Hinweiskapitel vier bis sechs zeigen, wie wir heute mit Kunden und Mitarbeitern umgehen sollten und welche Formen der Zusammenarbeit Innovation fördern. Danach habe ich Fragestellungen beleuchtet, die für gelungene Innovationen maßgeblich sind: Welche Arbeitsmethoden helfen, wie können wir Trends nutzen, welche Rolle spielt die Digitalisierung und wie verkaufen wir Innovationen?

Mein Wunsch ist einfach: Wenn es uns gelänge, unser Wissen und unser Können zielführender einzusetzen, dann hätten wir mehr Spaß bei der Arbeit, dann trauten wir uns mehr zu und wir verdienten mehr. Dann werden Deutsche wieder zu den besten Innovatoren der Welt gehören – dort, wo sie einmal waren.

Als ich dieses Buch schrieb verharrten deutsche Institutionen in Lethargie. Vieles hat sich seitdem verändert, aber immer noch rennen wir wie Lemminge Trends hinterher. Wir sollten uns davon befreien und erkennen, dass Innovation eigenes Handeln erfordert. In dieser zweiten Auflage habe ich Neuerungen berücksichtigt, die noch besser helfen.

Herr Bäumler wird sie auf der Reise durch das Buch begleiten.

Jürgen Stäudtner, 2019

Deutschland – Land der Ideen

Schlechter als der Ruf erlaubt.

Die Bundesregierung hat sich auf die Fahnen geschrieben, ein gesellschaftliches Klima in Deutschland zu schaffen, das von Ideenvielfalt und Einfallsreichtum geprägt ist. Richtig so. Denn schließlich sind Ideen der Motor für Innovationen und Innovationen sind der Garant für wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum.

Den Deutschen eilt der Ruf voraus, Weltmeister der Innovationen zu sein. Als wäre das nicht der Ehre genug, kürten uns verschiedene Institutionen in den letzten Jahren mal zum beliebtesten und mal zum besten Land der Welt1. Prompt rief der britische Ex-Premier David Cameron seine Landsleute dazu auf, ein bisschen mehr so zu werden, wie wir es sind. Cameron hätte genauer hinschauen sollen, denn ein guter Ruf kann auch täuschen – zumindest was die Innovationen angeht.

Avantgarde

Es gibt viele Studien zur Innovationsfähigkeit von Ländern. Die renommierteste ist der groß angelegte „Global Innovation Index“2 von den Wirtschaftsschulen INSEAD und Cornell sowie den Vereinten Nationen. Jahr für Jahr geht Deutschland nicht als Gewinner aus dem Vergleich hervor. Mal sind wir von über 100 untersuchten Ländern unter den ersten zehn, mal nicht.

Großbritannien, Schweden, die Niederlande und die USA hingegen sind verlässliche Kräfte in Sachen Innovation. Einerseits herrschen dort gute Bedingungen für Innovationen, andererseits werden auch innovative Ergebnisse erzielt. Geschlagen werden diese Länder nur vom Weltmeister Schweiz, der Avantgarde. Grund genug, einen Blick darauf zu werfen, was die anderen besser machen, auch über den europäischen Tellerrand hinaus. Dass Singapur und Hongkong hervorragende Bedingungen bieten wissen wir schon lange, aber dass uns auch Länder wie die Moldawische Republik in Sachen Innovationen schlagen können dürfte überraschen.

Entscheidend sind die „Output-Kriterien“. Hier fallen wir gegen Länder wie die Schweiz, Großbritannien und die Vereinigten Staaten zurück. Wir bringen weniger und schlechtere wissenschaftliche Veröffentlichungen zustande. Unser Markt ist weniger reif, was sich vor allem mit der Marktkapitalisierung und den verfügbaren Investments erklären lässt. Wir verdienen weniger mit Lizenzen und sind in kreativen Berufen schwach auf der Brust.

Dabei sind unsere „Input-Kriterien“ im Vergleich mit dem Weltmeister Schweiz gar nicht mal so schlecht. Nur gegenüber Großbritannien und den USA sind wir bei der Qualität unserer Universitäten, den Kosten bei Entlassungen und der Größe des Dienstleistungssektors deutlich unterlegen. Aber trotzdem sind wir weniger effektiv als die Moldawische Republik oder China. Das Reich der Mitte ist auf dem Vormarsch. Jahr für Jahr verbessert sich die Position der größten Werkbank der Welt.

Riskant

Als einer der wichtigsten Indikatoren für die deutsche Wirtschaft gilt der DAX. Er wurde 1988 eingeführt, ein Jahr vor dem Mauerfall. Während die Mauer schon längst Geschichte ist, prägt der DAX immer noch maßgeblich die Wirtschaft und ist ein Gradmesser des Wachstums. Täglich hören wir den aktuellen Indexstand auf allen Kanälen, wobei die Tatsache, dass der DAX bereits in den ersten zehn Jahren seines Bestehens von 1.000 auf 8.000 Punkte stieg, kein Thema mehr ist. Das Massensterben in den Reihen der 30 ersten DAX-Firmen findet auch kaum Beachtung. 16 dieser Unternehmen sind nicht mehr Teil des Index: Bayerische Hypotheken- und Wechselbank, Bayerische Vereinsbank, Degussa, Dresdner Bank, Deutsche Babcock, Feldmühle Nobel, Hoechst, Karstadt, Kaufhof, Mannesmann, Nixdorf, Schering, Thyssen, Veba und Viag. Gleiches gilt international: Während dies geschrieben wird ist General Electric der letzte verbliebene der ersten zwölf Werte des 1896 gegründeten Dow Jones Industrial Average. Im Index Standard & Poor’s verbleiben Unternehmen heute durchschnittlich 25 Jahre mit stark sinkender Tendenz. Auch im Mittelstand findet sich dieses Phänomen wieder. So machte Loewe jahrelang durch hochwertige Fernseher auf sich aufmerksam, aber bei der hohen Innovationsgeschwindigkeit asiatischer Konkurrenten konnte das Traditionsunternehmen nicht mithalten. Schlecker ist ein gutes Beispiel dafür, dass allein das Senken von Kosten nicht ausreicht, um am Markt zu bestehen.

Es ist ein Mythos, dass Firmen automatisch wachsen – es gibt keine Garantie für dauerhaften Erfolg. Jim Mackey und Liisa Valikangas beschreiben in „The Myth of Unbounded Growth“ den typischen Werdegang: Die Unternehmen verlieren substantiell an Bedeutung, werden verkauft, terminiert oder sie besinnen sich auf ihre Wurzeln und werden wieder innovativer.

Ähnliche Entwicklungen kann man bei allen anderen großen Börsenindizes beobachten, aber dort gibt es auch kometengleiche Aufstiege zu bewundern, die in Deutschland eine eher seltene Erscheinung sind. Allen voran nötigen uns amerikanische Softwareriesen Respekt ab. Apple, Amazon, Facebook und Google alleine sind zusammen ein Vielfaches aller DAX-Konzerne wert. Dazu kommen alte Giganten wie IBM, Microsoft oder Oracle sowie alte und neue Tech-Stars wie Netflix, Uber oder eBay. Noch nicht mitgezählt sind Unicorns, die eine Milliarde oder mehr wert sind. Auch asiatische Tech-Unternehmen wie Alibaba gehören in diese Kategorie – das Unternehmen gilt als Chinas „Amazon“ und war zeitweise noch mehr wert als der amerikanische Konkurrent. Nicht schlecht für ein Unternehmen, das hauptsächlich in China tätig ist.

Unternehmen, die in diese Sphären aufsteigen verfolgen Innovationsstrategien. Keine Firma wird allein durch Optimierung bestehender Produkte und Abläufe so erfolgreich. Groß ist die Verwunderung von Alphabet-Chef und Google Gründer Larry Page über die Zaghaftigkeit vieler traditioneller Firmen, die nur das machen, was sie immer schon gemacht haben.

Mega

Solche Erfolgsgeschichten schreiben Konzerne, die es schaffen, auf die drei grundlegenden Megatrends unserer Zeit zu reagieren: Digitalisierung, Globalisierung und Explosion des globalen Wissens.

Früher zählte man die Zeit in der eine Innovation Millionen Nutzer erreichte. Für 50 Millionen Nutzer weltweit benötigte das Telefon ungefähr 75 Jahre, der Fernseher weniger als 20 und das Internet weniger als zehn Jahre. Die Digitalisierung beschleunigt dies erheblich. Heute besitzen zwei Drittel der Menschheit ein Mobilfunktelefon. Google, Facebook und Konsorten erreichten eine Milliarde Menschen in ungefähr zehn Jahren und wahrscheinlich werden ihre Bemühungen, die ganze Welt mit Internet zu versorgen, erfolgreich sein. Über die Hälfte der Menschen und einige Tiere haben bereits Zugriff zum Internet. Ein Viertel der Internetnutzer lebt in China. Immer mehr Geräte und Maschinen werden mit dem Internet verbunden. Es ist keine Zukunftsvision, sondern ein logischer Entwicklungsschritt, dass in wenigen Jahren alle Menschen und alle Maschinen miteinander per Internet kommunizieren werden.

Dramatischen Entwicklungen bringen immer Umwälzungen mit sich. Firmen können weltweit Kunden akquirieren, Kunden weltweit einkaufen, Maschinen beobachten Menschen und werden überwacht. Klassische Geschäftsmodelle, egal in welcher Branche, stehen auf dem Prüfstand.

Heute haben wir uns daran gewöhnt, dass Asiaten nicht nur den Geschäftsalltag, sondern zunehmend auch die europäische Freizeit prägen. Songs aus Süd-Korea, Kleidung aus Vietnam, Handys aus China und Autos aus Japan. Der Einfluss der BRIC-Staaten Brasilien, Russland und Indien dürfte bald ähnliche Bedeutung gewinnen und Afrika als der Kontinent mit der größten prognostizierten Bevölkerungsentwicklung wird ebenfalls seine Rolle suchen. Die Globalisierung ist noch nicht vorbei, sie hat gerade erst begonnen.

Chinesische Firmen kaufen weltweit reihenweise Firmen und die chinesische Regierung erschließt mit der Belt-and-Road Initiative neue Seidenstraßen, um den Welthandel zu dominieren. Andere Länder könnten folgen. Vielen Menschen ist dies unheimlich und so wählen sie Politiker, die versprechen, das Rad der Globalisierung zurückzudrehen. Es ist fraglich, ob dies möglich ist.

Entwicklung braucht auch Wissenschaft: In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern explodiert die Anzahl von Wissenschaftlern. Weltweit gab es 2013 fast acht Millionen Forscher. Heute stellt China bereits ein Fünftel aller Wissenschaftler, vor den USA und die UNESCO prognostiziert, dass dank schlechterer Bezahlung westlicher Forscher der Anteil der chinesischen Forscher noch steigt. Die höchste Dichte kluger Köpfe findet sich in Israel, vor Korea und Japan. Über acht Tausend Menschen von einer Million forschen dort beruflich. Innovationen werden noch schneller entstehen und Produkte noch schneller auf der Müllhalde landen.

Eine weitere Entwicklung klopft in Deutschland mit Macht an die Tür, um in die Trilogie wichtiger Entwicklungen aufgenommen zu werden. Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Artenschutz, Energiewende, Wärmedämmung, Plastik in Weltmeeren, klimaneutrale Produktion: Hierzulande wimmelt es von Schlagwörtern, die anderswo noch keine große Rolle spielen. Das kann dann problematisch sein, wenn man international vertreibt, oder dies künftig möchte. Das Potential, eine Brücke zu schlagen hat nachhaltiges Wirtschaften. Im Gegensatz zu ethischen Fragen gibt es Hinweise dafür, dass Nachhaltigkeit den Wert eines Unternehmens steigert. Corporate-Social-Responsibility (CSR) wird international hauptsächlich so verstanden – kulturelle Maßnahmen zählen manchmal noch dazu, während Wirtschaftsethik ziemlich in Vergessenheit geraten ist. Wer international vorausschauend agieren möchte, nimmt sich des Themas an und verfolgt die Standards für freiwillige Berichte3.

Der Oxford-Professor Ian Goldin glaubt, dass wir heute vor dem größten Wendepunkt seit einem halben Jahrtausend stehen. Er ist der Ansicht, wir befänden uns in einer zweiten Renaissance4, mit glanzvollen und bedeutenden Entwicklungen, aber auch gewaltigen Risiken die zu vergleichen sind mit Pest, Bauernkriegen und der Inquisition.

Sind deutsche Firmen ausreichend auf diese Entwicklungen vorbereitet?

Innovationsillusionen

Deutsche Manager verstehen zu selten, dass Innovation die finanziell erfolgreichste Strategie ist und widmen sich lieber Sparplänen. Sie delegieren Innovation und das ist für unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit keine gute Nachricht. Das Unternehmen auf die Zukunft auszurichten, ist Sache des Chefs und des Top-Managements. Nur durch Neues kann man dafür sorgen, dass man die strategischen Knick-Punkte überlebt, von denen bereits der Intel-Mitbegründer Andy Grove 19975 sagte, man müsse „paranoid“ sein, um sie zu überleben.

Häufig birgt schon der Begriff „Innovation“ Missverständnisse, denn meist sind Erfindungen gemeint, und da steht Deutschland mit der Vielzahl deutscher Patente gut da. Aber das Wort Innovation, seit dem 16. Jahrhundert bekannt, leitet sich vom lateinischen „innovationem“ ab und meint nicht die Erfindung, sondern die Erneuerung. International sieht man Innovation als einen Prozess, der bleibende Auswirkungen auf die Gesellschaft hat.

Die Höhe des Budgets für Forschung & Entwicklung wird von deutschen Führungskräften gerne als Maßstab für den Innovationserfolg herangezogen. Ein Irrglaube, wie die Studie „Global Innovation 10006“ jedes Jahr beweist. Auch F&E Ausgaben auf Rekordhöhen bedeuten nicht, dass ein Unternehmen als innovativ wahrgenommen wird. Wie das Geld investiert wird ist wichtiger als wieviel.

Weil konkrete Erfolge fehlen, verweist man gerne auf die Anzahl deutscher Patente. Die Jahresstatistik des Deutschen Marken- und Patentamts“7 weist aus, dass deutsche Patente international einen Spitzenplatz erreichen. Die Zahl der Patente korreliert nicht mit dem Innovationserfolg. Aus den unterschiedlichsten Gründen werden Patente häufig gar nicht vermarktet: Wenn sie wenigen Kunden helfen, oder wenn das Potenzial eines Patents nicht gesehen wird fehlt das Geld für die Entwicklung. Zudem werden heute Patente aus rechtlichen Gründen gerne in mehrere getrennt. Die Effektivität dieser Investitionen spielt eine große Rolle. Zu selten wird diese geprüft.

Viele Manager verkennen, dass die riskanteste Strategie ist, nicht kontinuierlich innovativ zu sein und sich selbst zu hinterfragen. Aber oft wissen sie nicht, wie man ein traditionsbewusstes und durch Bürokratie gelähmtes Unternehmen in ein Schnellboot verwandelt. Gerne greifen sie dann zu vermeintlich bewährten Mitteln und delegieren Innovation. In guten Zeiten wird das Budget für Forschung und Entwicklung aufgestockt. In schlechten müssen Brainstormings ausreichen.

Aber Innovationen sind nicht aus- und wieder einschaltbar – eine schlagkräftige Truppe von Wissenschaftlern aufzubauen dauert. Wie Miller und Wedell-Wedellsborg in ihrem Werk „Innovation as Usual“ resümieren, heißt es zudem „Abstand nehmen vom der Off-Site Brainstorm-Insel mit trendigen Themen, Kreativtechniken und enthusiastischen Animateuren“. Gute Innovatoren delegieren nicht, sondern sie sehen die Entwicklung als ihre ureigenste Aufgabe. Ob Steve Jobs das Thema Innovationen seinen Managern überlassen hat? Wohl kaum.

Der international bekannte Autor Gary Hamel fragt Führungskräfte ob sie ein Innovationstraining hatten, über Budget zum Experimentieren verfügen und ob sie und ihr Chef direkt verantwortlich für Innovation sind. Bereits ein Nein auf eine der Fragen zeigt ihm, dass dieser Mensch kein Innovator ist.

Deutsch

Niemand in Deutschland würde wohl leugnen, dass Innovationen wichtig sind. Dauerhafte Innovation verspricht, unseren Wohlstand zu sichern. Und es macht auch mehr Spaß, etwas Neues auszuprobieren, als immer das Gleiche zu tun.

Wir bewerten Innovation als wesentlich, aber viele unserer Projekte scheitern oder dauern so lange, bis sie überholt werden: Transrapid, die Schulreform G8 oder die Energiewende. Ein Thema jagt das andere, was jedoch in einer sinnvollen Umsetzung mündet, ist überschaubar. Großprojekte wie Stuttgart 21, die Hamburger Elb-Philharmonie oder der Berliner Großflughafen werden zu nicht enden wollenden Leidensgeschichten. In kleinerem Maßstab geschieht das Gleiche bei vielen Konsumgütern, die bereits nach einem Jahr aus dem Angebot verschwinden. Rund 80 Prozent der Unternehmensgründungen scheitern, weil Start-Ups zu sehr den klassischen Unternehmer spielen wollen, berichtet Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship.

Immer neue Gründe müssen dafür herhalten, warum es denn nicht funktioniert. Es heißt, die Deutschen können keine Großprojekte realisieren, wir seien kleinkariert und technikfeindlich. Aber wer ist beispielsweise verrückter nach Autos als wir? Wer baut fleißiger die neuesten technischen Spielereien im Wohnzimmer auf und wer hat ausgefeiltere Küchen und Bäder? Wir haben hervorragende Künstler, tolle Sportler, wegweisende Denker, umtriebige Ingenieure und brillante Wissenschaftler in unseren Reihen. Aber dennoch sind die Anderen innovativer.

Steckt noch wirkliche Innovationskraft hinter „Made in Germany“ oder ruht sich Deutschland auf dem Titel des Exportweltmeisters aus? Wie viele unserer Projekte in der Grundlagenforschung, den Ingenieurleistungen oder in Patenten bringen wir zum Markterfolg? Welchen Stellenwert hat bei uns die Digitalisierung von Abläufen oder Anwendungen? Wo die Reise hingehen könnte, hat der Spiegel mit einem tiefen Blick in das Forschungslabor von Google skizziert: Der Silicon Valley-Riese sei längst kein reines Internet-Unternehmen mehr, sondern ein globaler Hightech-Konzern, der im Eiltempo zur Wirtschaftssupermacht aufgestiegen ist. Das Betriebssystem Android dominiert nicht nur die Smartphone-Welt, sondern wird künftig das Internet der Dinge beherrschen und selbst den Maschinenbau dominieren. Google verlegt Glasfaserkabel, produziert Laptops, Tablets und Software, steigt in die Pharmaindustrie ein, experimentiert mit fliegenden Windturbinen zur Produktion von Ökostrom, bringt die Robotik in der industriellen Produktion auf ein höheres Level, engagiert die besten Genetiker, Hirnforscher, Elektrotechniker, Maschinenbau-Ingenieure und Chemiker. „All die Projekte, Ideen und Experimente verbindet die Vision, das Leben mit intelligenten Maschinen zu verbessern, sei es im Büro, zu Hause oder im Auto”, schreibt der Spiegel.

Wo sind die bahnbrechenden Projekte im Land der Ingenieure, Dichter und Denker? Warum arbeiten unsere Talente wie der Solinger Sebastian Thrun als anerkannter Experte für Robotik und Künstliche Intelligenz für das Forschungslabor von Google und nicht für Bosch?

Dieses deutschsprachige Buch ist für Deutsche gedacht – möglicherweise auch für Österreicher, denn sie verhalten sich in Sachen Innovation in etwa so wie wir – mal besser, mal schlechter. Es gilt weniger für Schweizer. Warum? Die Schweiz ist schon Innovations-Weltmeister und wir würden es wohl auch vermessen finden, wenn uns die Eidgenossen erörtern würden, wie man weltmeisterschaftlich Fußball spielt.

Hinweis 1: Denken, um zu Handeln

Eigentlich denkt Herr Bäumler gerne. Und eigentlich ist das sein Job, er soll seinem Arbeitgeber innovative Ideen liefern. Auf der Fahrt ins Büro steht Herr Bäumler wieder einmal im Stau und denkt darüber nach, warum ihm nichts Neues einfällt. Sein Arbeitsalltag ist von morgens bis abends durchgetaktet: Das erste Meeting noch vor dem ersten Kaffee, eine Flut von E-Mails, Kundengesprächen und Krisenmanagement. Her Bäumler fragt sich, ob er kreativ genug ist.

Kreativität spielt eine große Rolle in unserem Denken. Warum ist das so, und wer ist kreativ?

In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe aufsehenerregender psychologischer Studien, die unser Verständnis vom Denken auf den Kopf stellen. Denken geht meist im Bürostress unter und am Abend sind wir zu erschöpft dazu. Wenn wir doch mal Zeit haben, dann legen wir im Beruf größten Wert auf unsere Ratio. Mit Vernunft und Verstand vorzugehen, gehört zum guten Ton. Seit Immanuel Kant gilt die Vernunft als wichtigstes Instrument, das den Verstand kontrolliert, Grenzen zieht und Beschränkungen erkennt. Verstand, kombiniert mit Urteilskraft, führt zur Vernunft. Aber das Bild der Vernunft hat Risse bekommen.

Autopilot

Der Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman8 teilt in seinem Werk „Schnelles Denken, langsames Denken“ den Geist in zwei Systeme ein. Das zweite System ist das langsame Denken. Und es ist wirklich langsam, denn wir denken nur mit 40 Bit pro Sekunde – das ist langsamer als ein MS-DOS Rechner aus dem Jahr 1980. Damals gab es kein Windows, keine graphische Benutzeroberfläche. Programme zur Textverarbeitung fanden sich nur in Ansätzen. Wir können das zweite System nur mit beschränkter Aufmerksamkeit beanspruchen. Wenn es müde wird, macht es Fehler. Dieses System kommt dem Begriff des Bewusstseins nahe: Der Fähigkeit, rational zu denken, dem „Piloten“. Aus rein wissenschaftlicher Sicht ist dieser Begriff jedoch problematisch, weswegen Kahneman die Bezeichnung System 2 verwendet.

Dagegen arbeitet System 1 „automatisch und schnell, weitgehend mühelos und ohne willentliche Anstrengung“. Es denkt von alleine, führt automatisierte Handlungen aus und ist immer angeschaltet: Mit Milliarden Neuronen feuert es 11 Millionen Bits pro Sekunde durch die Gegend. System 1 hat bereits viele Namen: Das schnelle Denken, das Unterbewusstsein. Am treffendsten ist die Bezeichnung „Autopilot“. Der Autopilot arbeitet selbstständig, denn er braucht keine Anweisungen, um eine einfache Rechenaufgabe zu lösen oder die Kupplung im Auto zu treten. Unser Autopilot ist zudem ein großer Filter, denn alleine die menschlichen Augen schicken pro Sekunde mindestens 10 Millionen Bits an das Gehirn. Davon wird jedoch nur das Wenigste bewusst wahrgenommen. Der Autopilot arbeitet unentwegt und generiert Vorschläge für den Piloten, das System 2. Der wiederum sucht sich aus, was ihn interessiert.

Der Pilot fragt den Autopiloten aber auch nach Hilfe, wenn er nicht mehr weiterweiß. Deshalb werden manche Menschen mitten im Satz langsamer, wenn sie sprechen, oder sehen nicht, was direkt vor ihnen liegt. Die „Blindheit wegen Unaufmerksamkeit“ (Selective Attention) wurde vielfach beschrieben. Das heute bekannteste Experiment hierzu kann man selbst im Internet nachvollziehen, wenn man nach Basketball und Gorilla sucht: Die Forscher Simons und Chabris zeigten 1999, dass die Verarbeitungskapazität des menschlichen Gehirns so beschränkt ist, dass man nicht einmal einen Gorilla von einem Basketball unterscheiden kann. Schauen Sie die neueren Videos, wenn Sie den Gorilla bereits kennen und lassen Sie sich überraschen.

Die Anzahl der Verfehlungen unseres Autopiloten ist groß – er macht ständig Fehler. So viele, dass ganze Bücher damit gefüllt werden könnten. Ein besonders eingängiges Beispiel stammt von Nisbett und DeCamp Wilson, die zeigen, dass attraktive Menschen als intelligenter, freundlicher und gerechter eingeschätzt werden. Kahneman und Asch verfeinerten den Halo-Effekt, indem sie Alan und Ben vorstellten:

Alan ist: intelligent - fleißig - impulsiv - kritisch - eigensinnig - neidisch

Ben ist: neidisch - eigensinnig - kritisch - impulsiv - fleißig - intelligent

Unweigerlich wird Alan größere Sympathien genießen als Ben, obwohl Ben die gleichen Eigenschaften wie Alan besitzt. Nur die Reihenfolge der Aufzählung ist eine andere – die ersten Begriffe lassen sofort ein Bild entstehen und überstrahlen die letzten Wörter. Eine Vielzahl weiterer psychologischer Studien zeigt, welch große Rolle der Autopilot einnimmt, und wie wenig der Pilot, die Ratio, unser Verhalten beeinflusst.

Laut Duden ist ein Gedanke „etwas, was gedacht wird“. Wir assoziieren dies mit Rationalität. Jemand der nachgedacht hat, will damit deutlich machen, dass er seinen Verstand bewusst eingesetzt hat. Ein zufälliger Gedanke scheint weniger wertvoll aber in der Tat entstehen die meisten Gedanken in unserem Autopiloten, ohne dass wir bewusst und somit rational denken. Unser Verstand ist nicht immer vernünftig.

Aber nicht nur Psychologen erforschen, wie wir funktionieren. Auch Neurowissenschaftler befassen sich mit der Materie. So fanden Forscher heraus, dass die langgenährte Aussage falsch ist, dass Frauen kreativer sind, weil sie die rechte, die kreative Hirnhälfte häufiger nutzen. Es stimmt nicht, dass die linke Gehirnhälfte rein rational arbeitet und die rechte Gehirnhälfte rein emotional. Beide Hirnhälften haben emotionale Anteile und beide Hirnhälften enthalten auch nicht-emotionale, also kognitive Hirnstrukturen.

Eingebung

Was sind eigentlich Ideen? Im Sprachgebrauch sind Ideen Gedanken, nach denen man handeln kann, oder ein Leitbild, an dem man sich orientiert. Ideen sind besondere Gedanken – wir können sie willentlich herbeiführen oder wir lassen dies den Autopiloten machen. Wenn der Autopilot genügend Freiraum hat und nicht durch den Piloten gezügelt wird, arbeitet er fleißig. Unter günstigen Umständen fängt er an zu kombinieren, um ein Problem zu lösen oder eine Idee hervorzubringen – der Autopilot bildet Assoziationen. Beides – das Wissen und das Problem – muss er dazu gut kennen, denn der Autopilot arbeitet alleine, ohne den Piloten zu fragen. Aber nur wenn der Pilot es zulässt bekommen wir etwas vom Autopiloten mit, blitzartig oder schleichend. Ideen müssen nicht immer Geistesblitze sein, sie können auch einer Eingebung ähneln, wenn man nach dem Weg sucht und sich dieser aus einer Reihe von Möglichkeiten herauskristallisiert.

Ideen sind ein mächtiges Werkzeug. Der Physiker, Informatiker und Kognitionswissenschaftler Douglas Hofstadter9 bringt es auf den Punkt: „Vermutlich wollen wir unser Denken einfach gern als rigoros und unerschütterlich betrachten. Als etwas, das uns von Wahrheit zu Wahrheit führt. Deshalb wird die Mathematik als Terrain puren Denkens betrachtet. Tatsächlich aber lassen sich auch Mathematiker von vagen Intuitionen und Einsichten leiten. Erst hinterher rechtfertigen sie ihr Tun und füllen diese Lücken. Am Ende lassen sie all die intuitiven Schritte, die sie zum Ziel geführt haben, weg.“ Analogien weisen uns unbewusst den Weg.