Rechtsanwalt

Robert Haas

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Mit dem vorliegenden Skript möchte ich die Strukturen des Arbeitsrechts verständlich machen. Das Arbeitsrecht ist vielschichtig und von hoher Komplexität. Mir ging es darum einen ersten Überblick zu schaffen. Manche Fragen erfordern ausgesprochenes Expertentum, wie etwa das Recht der betrieblichen Altersversorgung oder die Umstrukturierung von Unternehmen. Die Behandlung dieser Fragen würde den Zweck des Skripts verfehlen. Ich habe mich hier auf eine kurze Darstellung der Grundzüge beschränkt.

Die Übermacht auf der Arbeitgeberseite und die wirtschaftliche Abhängigkeit der Arbeitnehmer prägen das Arbeitsleben. Aus diesem Grund erfüllt das Arbeitsrecht in besonderer Weise eine Schutzfunktion zu Gunsten der Arbeitnehmer, die das BGB-Dienstvertragsrecht als "Recht unter Gleichen" nicht gewährleisten kann.

Das Arbeitsrecht beschränkt die Gestaltungsfreiheit zum Schutz der Arbeitnehmer. Arbeitsrecht ist Arbeitnehmerschutzrecht. Teilweise sind Mindeststandards der Dispositionsbefugnis der Parteien vollständig entzogen. Nicht möglich ist beispielsweise der Verzicht auf den gesetzlichen Kündigungsschutz oder auf den Mindesturlaub.

Daneben sorgen besondere Bestimmungen des Sozialrechts für die Absicherung der Arbeitnehmer. Exemplarisch zu nennen sind die Vorschriften des Renten- und Krankenversicherungsrechts, das Recht der Arbeitsförderung, das Schwerbehindertenrecht, die Versicherung gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit u.v.a.m.

Um der wirtschaftlichen Übermacht der Arbeitgeberseite auch am Verhandlungstisch ein Gegengewicht entgegenzusetzen, gestattet die Verfassung ausdrücklich die Bildung von Gewerkschaften. Die Verbände haben die Aufgabe, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Arbeitsbedingungen auszuhandeln. Dadurch entsteht ein branchenspezifisches Sonderrecht, das Tarifrecht. Aktuell gelten in der Bundesrepublik schätzungsweise 25.000 unterschiedliche Tarifverträge.

Ergänzt wird das kollektive Arbeitsrecht um die Mitbestimmung auf Unternehmensebene in großen Unternehmen und um die betriebliche Mitbestimmung durch die Betriebsräte. Insbesondere das Betriebsverfassungsrecht gibt den Arbeitnehmern die Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen in ihrem Betrieb mitzugestalten, teilweise mit erzwingbaren Mitbestimmungsrechten.

Das vorliegende Skript berücksichtigt die Rechtslage und die Rechtsprechung bis Juli 2018 sowie die zu erwartenden Gesetzesänderungen auf der Grundlage des veröffentlichten Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU und SPD. Abweichungen und Änderungen sind insoweit nicht ausgeschlossen. Die Tendenz wird aber erkennbar. Alles Weitere ergibt sich dann aus dem Bundesgesetzblatt.

Karlsruhe, Juli 2018

Teil 1: Die Grundlagen des Arbeitsrechts

1. Das Arbeitsrecht und seine Stellung in der Rechtsordnung

Das Arbeitsrecht hat seine Grundlage im Bürgerlichen Gesetzbuch (Recht der Dienstverträge, §§ 611 ff. BGB). Anwendbar sind auch die Bestimmungen des allgemeinen Teils des BGB und des allgemeinen Schuldrechts, wobei die Besonderheiten des Arbeitsrechts berücksichtigen sind. Daneben gibt die Gewerbeordnung einen rudimentären Rahmen in Form von allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen (vgl. §§ 105 - 110 GewO): Vertragsfreiheit, Weisungsrecht des Arbeitgebers, Berechnung Zahlung und Abrechnung des Arbeitsentgelts, Zeugnis und Wettbewerbsverbot.

Als Arbeitsrecht bezeichnen wir die Gesamtheit aller Rechtsnormen und Grundsätze, die sich auf Arbeitsverhältnisse beziehen. Wir können drei große Bereiche unterscheiden: das Individualarbeitsrecht, das kollektive Arbeitsrecht und das Arbeitsprozessrecht.

Das Individualarbeitsrecht regelt die Rechtsbeziehungen zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber. Hier geht es insbesondere um die Begründung von Arbeitsverhältnissen, um den Inhalt von Arbeitsverträgen, um die Gestaltung der Arbeitsbeziehung, um die Regelung von Störungen im Arbeitsverhältnis und um dessen Beendigung. Hierher gehören die oben erwähnten Bestimmungen des BGB und der GewO, ebenso aber auch alle Regelungen zum Arbeitnehmerschutz und die Gesetze zur Arbeitssicherheit.

Das kollektive Arbeitsrecht befasst sich mit den Rechtsbeziehungen der arbeitsrechtlichen Koalitionen (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) und dem Verhältnis der Arbeitnehmervertretungen zum Arbeitgeber bzw. zum Unternehmen. In den Rechtskreis gehören das Tarifrecht, das Recht des Arbeitskampfes sowie das Betriebsverfassungsrecht und das Recht der Unternehmensmitbestimmung.

Das Arbeitsrecht präsentiert sich als Sonderrecht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, mit der Arbeitsgerichtsbarkeit einen eigenen Gerichtszweig zu etablieren und auch ein prozessuales Sonderrecht zu schaffen, das den speziellen Bedürfnissen des Arbeitslebens Rechnung trägt.

Ich habe schon im Vorwort dargestellt, dass sich arbeitsrechtliche Regelungen über eine Vielzahl von Gesetzen verteilen. In unserer Rechtsordnung unterscheiden wir zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht. Das Privatrecht (Zivilrecht) regelt die Rechtsbeziehungen zwischen den Bürgern untereinander auf gleichgeordneter Ebene. Das öffentliche Recht betrifft demgegenüber das Verhältnis vom Staat zum Bürger. Hier herrscht ein Verhältnis der Über- und Unterordnung.

Das Arbeitsrecht ist überwiegend privatrechtlicher Natur, wird aber durch öffentlichrechtliche Bestimmungen überlagert, wie etwa durch das Arbeitsschutzrecht und es ist in weiten Teilen mit dem öffentlichen Recht verzahnt (vgl. beispielsweise das Steuerrecht und das Sozialrecht).

Das Arbeitsrecht ist wie kaum ein anderes Rechtsgebiet einer besonderen Dynamik unterworfen. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändern sich ständig. Die Gesetzgebung kann solche Entwicklungen nur sehr begrenzt vorhersehen und im Vorfeld regeln. Deshalb ist es die Aufgabe der Gerichte, mit den vorhandenen Gesetzen schnell zu reagieren. Die richterliche Rechtsfortbildung hat im Arbeitsrecht daher eine besondere Bedeutung.

2. Die Rechtsquellen des Arbeitsrechts

Das Arbeitsrecht greift auf eine Vielzahl von Rechtsquellen zurück. Die Bandbreite reicht vom Recht der Europäischen Union bis hin zum einzelnen Arbeitsvertrag. Deshalb stellt sich die Frage, welche Vorschrift anzuwenden ist, wenn verschiedene Rechtsquellen miteinander konkurrieren, also den gleichen Sachverhalt regeln. Die verschiedenen Rechtsquellen stehen in einer Rangfolge, die sich vereinfacht wie folgt darstellt:

Haben wir es mit Regelungen auf verschiedenen Rangstufen zu tun, regelt das Rangprinzip, welche Vorschrift anzuwenden ist. Danach schließt die höherrangige Norm die Anwendung nachrangiger Vorschriften aus.

Das Arbeitsrecht ist Arbeitnehmerschutzrecht. Daher wird das Rangprinzip dann durchbrochen, wenn die rangniedere Vorschrift eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung enthält als das höherrangige Recht. Das Günstigkeitsprinzip verdrängt die Rangfolge freilich nur dann, wenn das höherrangige Recht nicht für beide Seiten zwingend ist. So lassen zahlreiche Gesetze Abweichungen zu Gunsten der Arbeitnehmer ausdrücklich zu, ebenso viele Tarifverträge.

Wenn Vorschriften auf der gleichen Rangstufe denselben Sachverhalt regeln, gelten folgende Grundsätze:

Spezialitätsprinzip: Die speziellere Norm verdrängt die allgemeinere.
Ordnungsprinzip: Die neuere Norm verdrängt die ältere.

3. Das Tarifrecht im Überblick

3.1. Parteien und Inhalt von Tarifverträgen

Das Recht der Tarifverträge ist im Tarifvertragsgesetz (TVG) geregelt. Tarifverträge sind Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmervereinigungen (Gewerkschaften) und Arbeitgeberverbänden oder einzelnen Arbeitgebern, die im Rahmen der jeweiligen Tarifzuständigkeit geschlossen werden (§ 2 TVG).

Tariffähig sind schließlich auch die Spitzenorganisationen. Es handelt sich dabei um Zusammenschlüsse von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, die im Namen der angeschlossenen Mitgliedsverbände Tarifverträge abschließen können (§ 2 Abs. 2 und 3 TVG).

Die Verhandlungen auf der Ebene der Verbände sollen das Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgleichen.

Einzelne Arbeitnehmer sind nicht tariffähig. Sie können keinen Tarifvertrag schließen.

Tarifverträge regeln die Mindestarbeitsbedingungen für Gruppen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Sie müssen schriftlich abgeschlossen werden (§ 1 Abs. 2 TVG).

Tarifverträge haben wie jeder Vertrag eine schuldrechtliche Wirkung nur zwischen den vertragschließenden Parteien. Tarifverträge gelten also nur zwischen den Verbänden. Hier wird beispielsweise vereinbart, dass die Verbände während der Laufzeit eines Tarifvertrages der Friedenspflicht unterliegen, Arbeitskämpfe in dieser Zeit also verboten sind. Außerdem werden die Tarifparteien verpflichtet, sich für die Durchführung des Tarifvertrages einzusetzen.

Vor allem aber regeln die Tarifverträge die Arbeitsbedingungen der jeweiligen Verbandsmitglieder. Hier geht es um den Inhalt, die Begründung und die Beendigung von Arbeitsverträgen sowie um betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen. Diese Regelungen gelten nur für diejenigen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die durch ihre Mitgliedschaft im entsprechenden Verband tarifgebunden sind (§ 4 Abs. 1 TVG). In diesem Verhältnis geltend die Tarifnormen unmittelbar und zwingend, quasi wie Gesetze – normative Wirkung.

Durch Tarifvertrag können generell solche Fragen nicht geregelt werden, die üblicherweise nur innerhalb eines Betriebes einheitlich geregelt werden, wie zum Beispiel Rauchverbot oder Anwesenheitskontrolle. Diese Regelungsgegenstände sind den betrieblichen Vertretungsorganen (Betriebs- oder Personalräte) vorbehalten. Sie sind deshalb nur zulässig, wenn das Betriebsverfassungsgesetz eine Regelung durch Tarifvertrag ausdrücklich zulässt.

3.2. Tarifbindung

Die normative Wirkung von Tarifverträgen erstreckt sich nur auf die jeweils tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber (§ 3 Abs. 1 TVG). Die Verträge gelten also nicht für solche Personen, die nicht Mitglied der vertragschließenden Verbände sind (sog. "Außenseiter").

  1. Ausnahme: betriebliche Regelungen

    Regelungen über betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen können nur für alle Arbeitnehmer einheitlich geregelt werden. Ist der Arbeitgeber tarifgebunden, gelten die Vorschriften für alle Arbeitnehmer des Betriebs, auch für die Außenseiter (§ 3 Abs. 2 TVG).

  2. Ausnahme: Allgemeinverbindlicherklärung

    In bestimmten Branchen besteht traditionsgemäß nur ein geringer Organisationsgrad der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, so dass die abgeschossenen Tarifverträge nur einen kleinen Bruchteil der Belegschaft erfassen können. Trotzdem kann ein hohes Bedürfnis an einer einheitlichen Regelung bestehen, etwa zur Absicherung der Arbeitnehmer oder zur Wahrung der Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen. Aus diesem Grund eröffnet das Tarifvertragsgesetz die Möglichkeit, dass das

Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Tarifvertrag durch Rechtsverordnung für allgemein verbindlich erklärt (§ 5 TVG). Die entsprechende Rechtsverordnung bewirkt, dass der betroffene Tarifvertrag unabhängig von der Tarifbindung für alle Betriebe und alle Beschäftigten gilt.

In Arbeitsverträgen mit nicht organisierten Arbeitnehmern wird oft die Geltung der für den Betrieb maßgebenden Tarifverträge vereinbart. Die nicht organisierten Arbeitnehmer werden also den Gewerkschaftsmitgliedern gleichgestellt. Eine solche Gleichstellungsabrede hat den Zweck, die Arbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmer des Unternehmens zu vereinheitlichen. Sie beseitigt außerdem die Motivation, die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft anzustreben.

Die Gleichstellungsabrede bewirkt allerdings nicht die unmittelbare und zwingende Wirkung der Tarifnormen. Sie macht die Regelungen des Tarifvertrages nur zum Bestandteil des Arbeitsvertrages wie einzelvertraglich ausgehandelte Bedingungen.

3.3. Geltungsdauer von Tarifverträgen

Die schuldrechtliche Wirkung von Tarifverträgen beginnt im Regelfall mit dem Abschluss. Häufig wird jedoch vereinbart, dass die normativen Wirkungen später oder rückwirkend eintreten sollen. Gerade wenn sich die Tarifverhandlungen über längere Zeit ziehen, wird für die Übergangszeit oft eine Einmalzahlung vereinbart.

Die unmittelbare Tarifwirkung

endet durch Zeitablauf, wenn der Tarifvertrag für eine bestimmte Zeit abgeschlossen wurde. Ansonsten sehen die Tarifverträge ein Kündigungsrecht vor. Denkbar ist schließlich auch, dass die Tarifvertragsparteien einen Aufhebungsvertrag schließen. In seltenen Ausnahmefällen kommt auch eine außerordentliche Kündigung des Tarifvertrages in Betracht.

Ein Arbeitgeber kann sich der Tarifbindung nicht entziehen, indem er aus Arbeitgeberverband austritt. Er bleibt vielmehr für die Geltungsdauer des Tarifvertrages gebunden (§ 3 Abs. 3 TVG).

Nachwirkung:

Die Rechtsnormen eines Tarifvertrages gelten nach seiner Beendigung weiter - und zwar solange, bis der beendete Tarifvertrag durch eine neue Abmachung ersetzt ist (§ 4 Abs. 5 TVG). Das heißt:

Alle Arbeitnehmer, die einmal unter dem Schutz des Tarifvertrages standen, behalten diesen Schutz auch nach Ablauf oder Kündigung des Tarifvertrages. Die Geltung des normativen Teils des Tarifvertrages wird durch Ablauf oder Kündigung nicht beseitigt. Voraussetzung ist nur, dass das Arbeitsverhältnis bereits vor dem Ende des Tarifvertrages (mit Tarifbindung) bestanden hat.

Allerdings endet mit dem Tarifvertrag auch seine schuldrechtliche Wirkung. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können im Nachwirkungszeitraum eine Einzelvereinbarung treffen, die den Arbeitnehmer gegenüber dem Tarifvertrag schlechter stellt.

3.4. Arten von Tarifverträgen

Tarifverträge lassen sich nach ihrem Geltungsbereich unterscheiden in Flächen- oder Branchentarifverträge und Haus- oder Unternehmenstarifverträge.

Der Flächentarifvertrag wird für ein bestimmtes räumliches Gebiet und für eine oder mehrere bestimmte Branchen geschlossen (zum Beispiel der Tarifvertrag für die metallverarbeitende Industrie in Baden-Württemberg).

Der Unternehmenstarifvertrag wird dagegen zwischen einem einzelnen Unternehmen und der Gewerkschaft abgeschlossen. Er gilt nur für die Betriebe, die zum Unternehmen gehören.

Hinsichtlich des Regelungsgegenstandes lassen sich folgende Tarifverträge abgrenzen:

Manteltarifverträge legen die allgemeinen Arbeitsbedingungen fest (Arbeitszeit, Urlaub, Kündigungsfristen, Zuschläge und Zulagen usw.).

Rahmentarifverträge regeln die Lohn- und Gehaltsgruppen, Grundsätze der Eingruppierung und ähnliches.

Lohn-, Gehalts- und Entgelttarifverträge bestimmen die Höhe der tariflichen Vergütung in Form von Tabellen.

Sonstige Tarifverträge erfassen bestimmte einzelne Gegenstände wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen, betriebliche Altersversorgung usw.

3.5. Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität

Tarifkonkurrenz liegt vor, wenn innerhalb eines Betriebes oder eines Unternehmens hinsichtlich desselben Regelungsgegenstandes mehrere Tarifverträge zugleich gelten. Tarifkonkurrenz kann in folgenden Fällen entstehen:

Da es sich bei den konkurrierenden Tarifverträgen um Rechtsquellen mit demselben Rang handelt, kann die Tarifkonkurrenz nicht nach dem Günstigkeitsprinzip aufgelöst werden. Hier gilt der Grundsatz der Spezialität:

Abzugrenzen ist die Tarifkonkurrenz zur Tarifpluralität

Von Tarifpluralität spricht man, wenn für verschiedene Arbeitnehmer in einem Betrieb unterschiedliche Tarifverträge für verschiedene Arbeitnehmer-Gruppen Geltung beanspruchen.

So setzten sich bei der Deutsche Bahn AG zwei Gewerkschaften für die Rechte der Arbeitnehmer ein: Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) für das sonstige Personal.

Heute gilt (wieder) der Grundsatz der Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz). Danach kann in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag gelten, um eine Zersplitterung des Tarifgefüges zu verhindern.

Entschieden wird das nach dem Majoritätsprinzip. Es gilt nur noch der Tarifvertrag gelten, an dem die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Unternehmen beteiligt ist. Noch nicht entschieden ist die Frage, ob das Majoritätsprinzip auch übergreifend gilt, wenn Tarifverträge für unterschiedliche Gruppen von Arbeitnehmern abgeschlossen wurden. Im Grundsatz soll nach dem politischen Willen das Prinzip gelten: ein Unternehmen – ein Tarifvertrag.

3.6. Tarifvertrag und Arbeitsvertrag

Wenn sich die Regelungen von Tarifvertrag und Arbeitsvertrag überlagern, wird das Konkurrenzverhältnis nach dem Günstigkeitsprinzip aufgelöst. Das ist möglich, weil beide Regelungen einen unterschiedlichen Rang in der Normenhierarchie haben.

Oft gibt es Streit über die Frage, welche Regelung die günstigere ist. Nach allgemeiner Auffassung sind sachlich zusammenhängende Regelungen insgesamt und zusammenhängend miteinander zu vergleichen, und nicht etwa die jeweilige Einzelregelung (kein "Rosinenpicken"). Ein solcher einheitlicher Regelungszusammenhang ist etwa gegeben zwischen der Dauer des Urlaubs und der Höhe des zusätzlichen Urlaubsgeldes oder zwischen dem Grundlohn und Lohnzuschlägen. Kein sachlicher Zusammenhang besteht dagegen zwischen dem Gehalt und der Dauer des Urlaubs. Hier erfolgt eine Einzelbetrachtung der Günstigkeit.

Beispiel:

So kann ein Arbeitnehmer nicht den längeren Urlaub nach dem Arbeitsvertrag und zusätzlich das höhere Urlaubsgeld nach Tarifvertrag verlangen.

3.7. Arbeitskampfrecht im Überblick

Das Recht des Arbeitskampfes ist gesetzlich kaum geregelt. Ausgangspunkt ist § 823 BGB. Der Arbeitskampf ist danach eine „unerlaubte Handlung“ in Form des Eingriffs in den Gewerbetrieb. Der rechtmäßige Arbeitskampf ist aber erlaubt. Das leitet die Rechtsprechung aus der Verfassung ab. In unserem Grundgesetz wird ausdrücklich nur das Recht geschützt, Koalitionen zu bilden. Allerdings ist es einhellige Meinung, dass sich die verfassungsrechtliche Garantie nicht nur auf die Bildung der Vereinigung bezieht, sondern auch auf die aktive Betätigung. Das Recht der Verbände zum Arbeitskampf ist in der Verfassung ebenfalls nicht ausdrücklich garantiert, wird aber offensichtlich vorausgesetzt. Art. 9 Abs. 3 GG hat folgenden Wortlaut:

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 (Einsatz von Bundeswehr, Polizei und Bundesgrenzschutz) dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

Die Verfassung beinhaltet also kein Grundrecht auf den Arbeitskampf, sondern lediglich eine verfassungsrechtliche Garantie als Grundrechtsfunktion der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG). Der Arbeitskampf ist damit verfassungsrechtlich gewährleistet, soweit er zu den Funktionsvoraussetzungen der Tarifautonomie gehört (BVerfGE 84, 212 ff.; 88, 103 ff.; 92, 365 ff.).

Die Mittel des Arbeitskampfes sind:

3.7.1. Streik

Streik ist die planmäßige und gemeinschaftliche Einstellung der Arbeit durch mehrere Arbeitnehmer, um Druck auf den Kampfgegner auszuüben und damit seine Bereitschaft zu fördern, Verhandlungen aufzunehmen.

Das Streikrecht steht zunächst nur den arbeitsrechtlichen Koalitionen auf Arbeitnehmerseite zu, nicht den Betriebsräten oder den Belegschaften der Betriebe. Nur arbeitsrechtliche Koalitionen sind zum Arbeitskampf berechtigt (kein wilder Streik). Ist der Arbeitskampf aber durch eine Gewerkschaft eröffnet worden, können sich auch die nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer daran beteiligen.

Es versteht sich von selbst, dass die verfassungsrechtliche Garantie der Möglichkeit von Arbeitskämpfen nur dann eingreift, wenn der Arbeitskampf legitim ist. Da die Verfassung selbst keine Grundsätze für rechtmäßige Arbeitskampfmaßnahmen aufstellt, haben sich die obersten Gerichte mit dieser Frage befasst:

Das BVerfG hat am 1. März 1979 (BVerfGE 50, 290) in seiner "Mitbestimmungs-Entscheidung" betont, dass die Tarifautonomie von vornherein der Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber bedarf. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen ist er dem jedoch bis heute nicht nachgekommen.

Der Große Senat des BAG v. 28. Januar 1955 (BAGE 1, 291) stellte fest, der Streik sei zwar "unerwünscht", es müsse jedoch nicht mehr - wie früher - gekündigt werden, bevor rechtsfolgenfrei gestreikt werden könne. Vielmehr würden die Arbeitsverträge während des Streiks "suspendiert", d.h. sie sind für die Dauer des Arbeitskampfes außer Kraft gesetzt. Diese Entscheidung gilt als "magna charta" des gesamten Arbeitskampfrechts, weil sie den Streik vom Makel der unerlaubten Handlung befreit. Ist der Arbeitskampf kollektivrechtlich legitim, so ist die Streikbeteiligung zulässig; sie stellt keinen Vertragsbruch dar. Ist der Arbeitskampf nicht kollektivrechtlich legitim, so stellt er einen Vertragsbruch dar.

Grundsätze nach der Rechtsprechung des BAG:

In den Streik-Richtlinien des DGB vom 24. Oktober 1949 war die verbandsinterne Urabstimmung vor einem Streik noch eine Selbstverständlichkeit. Nach der Änderung der Streik-Richtlinien des DGB vom 5. Juni 1974 fiel die Pflicht zur verbandsinternen Urabstimmung weg. Seither kann abgestimmt werden, muss aber nicht. Verbandsinterne Abstimmungen haben nur verbandsinterne Bedeutung. Für die demokratische Legitimation des Streiks ist eine Mehrheitsentscheidung unter allen streikunterworfenen Belegschaftsmitgliedern in den umkämpften Betrieben erforderlich. Die Mehrheit entscheidet, die Minderheit muss sich fügen.

3.7.2. Aussperrung

Der Arbeitgeberseite steht als Kampfrecht die Aussperrung zur Verfügung. Darunter versteht man die generelle Zurückweisung der Arbeitsleistung bei gleichzeitiger Verweigerung der Lohnzahlung. Dabei ist es zulässig, auch die arbeitswilligen Arbeitnehmer auszusperren – gleich ob sie gewerkschaftlich organisiert sind oder nicht.

Von einer Abwehraussperrung spricht man, wenn der Arbeitgeber gegen einen Streik das Mittel der Aussperrung einsetzt, gegebenenfalls auch gegen nicht organisierte Arbeitnehmer.

Auch die Aussperrung hat zunächst nur suspendierende Wirkung: Bei besonderer Intensität des Arbeitskampfes besteht die Möglichkeit zur lösenden Aussperrung: Diese beendet die Arbeitsverhältnisse durch außerordentliche (fristlose) Kündigung. Die lösende Aussperrung wird in aller Regel mit einem Wiedereinstellungsanspruch zu verbinden sein. Denn hier gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße.

Nicht zulässig ist die Angriffsaussperrung zur Verhinderung eines Streiks. Die Arbeitgeberseite hat prinzipiell kein schutzwürdiges Interesse an der Vermeidung von Tarifverhandlungen.

3.7.3. Rechtsfolgen von Streik und Aussperrung

Der rechtmäßige Streik bringt die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis zum Ruhen. Auch die suspendierende Aussperrung führt zum Ruhen der Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis. Es besteht keine Verpflichtung der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung und keine Verpflichtung der Arbeitgeber zur Zahlung von Lohn(ausfall). Organisierte Arbeitnehmer werden deshalb aus der Streikkasse der Gewerkschaft entschädigt, sofern sie sich am Streik beteiligen.

Der rechtswidrige Streik ist dagegen ein gezielter Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. In diesem Fall haben die betroffenen Arbeitgeber einen Anspruch auf Schadensersatz und Unterlassung gegen die Gewerkschaft und gegen die teilnehmenden Arbeitnehmer. Darüber hinaus kommt auch eine verhaltensbedingte Kündigung der Arbeitsverträge in Betracht, gegebenenfalls auch außerordentlich und fristlos.

Die rechtswidrige Aussperrung führt demgegenüber zum Annahmeverzug des Arbeitgebers. Er schuldet den arbeitswilligen Arbeitnehmern Schadensersatz in Höhe des sonst verdienten Lohns, wenn und weil er eine angebotene Arbeitsleistung ohne Rechtsgrund zurückweist (§ 615 BGB).

3.7.4. Schlichtung

Können sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite nicht in regulären Verhandlungen über einen Tarifvertrag einigen, können sie zur Beilegung des Konflikts einen unabhängigen Dritten einschalten, der eine Schlichtung versucht. Die Schlichtung ist eine staatsfreie Angelegenheit der Tarifvertragsparteien. Die Tarifautonomie verbietet ein staatliches Schlichtungsverfahren. Die Tarifvertragsparteien können die Schlichtung bei gegebenem Anlass vereinbaren oder auch durch ein eigenständiges Schlichtungsabkommen. Das Schlichtungsabkommen ist ein schuldrechtlicher Tarifvertrag, der das Schlichtungsverfahren regelt und die Zusammensetzung des Schlichterausschusses. Üblicherweise wird für die Dauer einer Schlichtung die Friedenspflicht vereinbart, so dass Arbeitskampfmaßnahmen unzulässig sind, bis die Schlichtung für gescheitert erklärt wird.

Exkurs: Mindestlöhne

Als Mindestlohn bezeichnet man alle staatlich festgelegten Arbeitsentgelte, die eine bestimmte Lohnuntergrenze nicht unterschreiten dürfen. Die Festlegung eines Mindestlohns ist rechtstechnisch auf unterschiedliche Weise umgesetzt worden:

Gesetzliche Mindestlöhne gibt es in Deutschland für bestimmte Branchen auf der Grundlage von Rechtsverordnungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Allgemeinverbindlicherklärung). Betroffen sind hier vor allem die Wirtschaftszweige des Niedriglohn-Sektors. Die Geltung der Rechtsverordnungen ist befristet, um eine Überprüfung des Bedarfs und gegebenenfalls die Anpassung zu ermöglichen. Solche Rechtsverordnungen gelten beispielsweise im Bereich des Dachdeckerhandwerks, des Maler- und Lackiererhandwerks, im Steinkohlebergbau, bei Wäschereidienstleistungen, im Objektkundengeschäft oder im Bereich der Alten- und Krankenpflege. Seit dem 18. August 2014 gilt das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG). Der jeweils geltende Mindestlohn im Abstand von 2 Jahren überprüft und durch Rechtsverordnung des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung festgelegt. Seit 2017 gilt ein Mindestlohn von 8,84 € pro Stunde. Unzulässig sind Vereinbarungen, die den Anspruch auf den Mindestlohn unterschreiten oder einen Lohnverzicht zum Inhalt haben. Eine Ausnahme gilt nur für Vereinbarungen durch gerichtlichen Vergleich (§ 3 MiLoG).

Um einen Eingriff in die verfassungsrechtliche Tarifautonomie zu vermeiden, behalten abweichende Tarifvereinbarungen bis zum Ablauf des 31.12.2017 ihre Gültigkeit.

Ausnahmen vom Mindestlohn:

Zahlt ein Arbeitgeber in weniger als den verbindlich festgelegten Mindestlohn, kann er mit einem Bußgeld von bis zu 500.000,00 € belegt werden. Wenn der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge nur aus dem tatsächlich gezahlten Lohn abführt, macht er sich zusätzlich wegen des Vorenthaltens bzw. der Veruntreuung von Arbeitsentgelt strafbar (§ 266a StGB).

Daneben kann auch ein Fall von Lohnwucher vorliegen - strafbar nach § 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Lohnwucher wird angenommen, wenn der tatsächliche Lohn mehr als 1/3 unterhalb der branchenüblichen Vergütung im betreffenden Wirtschaftsgebiet liegt.

Problematisch sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Zeitvorgaben bei Vergütung im Stücklohn. Derartige Absprachen sind unwirksam, wenn die Zeitvorgabe unrealistisch ist oder zu einer Überforderung des Arbeitnehmers führt bzw. führen muss. Die Abgrenzung ist im Einzelfall schwierig, weil dabei nicht auf die durchschnittliche Leistung der beschäftigten Arbeitnehmer abgestellt werden darf, sondern die normale Leistung zu Grunde gelegt werden muss.

Ein noch weitgehend ungelöstes Problem ist die Anrechnung von Sachleistungen (Verpflegung, Übernachtung usw.). Hier wird teilweise vertreten, dass eine solche Anrechnung generell unzulässig sei, weil der Mindestlohn zu zahlen ist. Höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Thema steht noch aus.

4. Die Betriebsvereinbarung

4.1. Inhalt, Abschluss und Wirkung

Die Betriebsvereinbarung ist ein Vertrag zwischen den Betriebspartnern (Arbeitgeber und Betriebsrat), der schriftlich geschlossen werden muss (§ 77 BetrVG). Die Betriebsvereinbarung gilt nicht nur als schuldrechtlicher Vertrag zwischen den Betriebspartnern; sie hat auch unmittelbare und zwingende Wirkung gegenüber allen Arbeitnehmern des Betriebes mit Ausnahme der leitenden Angestellten. Insofern besteht eine Ähnlichkeit zum Tarifvertrag.

4.2. Betriebsvereinbarung und Arbeitsvertrag

Widersprechen sich die Regelungen des Einzelarbeitsvertrages und die einer Betriebsvereinbarung, wird die Kollisionslage nach dem Günstigkeitsprinzip aufgelöst. Eine einzelvertragliche Vereinbarung über die Nichtgeltung einer Betriebsvereinbarung ist nicht möglich. Allerdings ist ein nachträglicher Verzicht auf Rechte aus der Betriebsvereinbarung mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig.

Durch Betriebsvereinbarung können nur solche Fragen geregelt werden, die zum Aufgabenbereich des Betriebsrats gehören. Es muss sich also um Regelungen handeln, die für den Betrieb gelten. Für das Konkurrenzverhältnis von Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag bestimmt § 77 Abs. 3 BetrVG eine Regelungssperre.

Arbeitsentgelte und alle sonstigen Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind, können nicht zum Gegenstand einer Betriebsvereinbarung gemacht werden. Unabhängig von der Tarifgeltung erfasst die Regelungssperre auch alle Fragen, die üblicherweise in einem Tarifvertrag geregelt werden. Die Regelungssperre wird also auch dann ausgelöst, wenn der betreffende Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist. Entscheidend ist allein, ob und für den räumlichen, betrieblichen und fachlichen Tätigkeitsbereich des Unternehmens entsprechende Tarifverträge über den Regelungsgegenstand existieren oder üblicherweise abgeschlossen werden. Soweit die Betriebsvereinbarung eine Frage der erzwingbaren Mitbestimmung betrifft (§ 87 Abs. 1 BetrVG), gilt die Regelungssperre nur dann, wenn eine tarifrechtliche Regelung tatsächlich besteht.

Ausnahme: Die Regelungssperre gilt nicht, wenn der Tarifvertrag durch eine "Öffnungsklausel", die abweichende Regelungen gestattet.

Betriebsvereinbarungen gelten jeweils für die vereinbarte Zeit. Sie können vorzeitig beendet werden durch Aufhebung, Betriebsstilllegung oder Kündigung mit dreimonatiger Frist. Die Kündigung bedarf dabei keiner Begründung.

4.3. freiwillige und erzwingbare Betriebsvereinbarungen

Das Betriebsverfassungsrecht unterscheidet freiwillige und erzwingbare Betriebsvereinbarungen. Für die Begründung und Beendigung gelten unterschiedliche Regeln.

Bei erzwingbaren Betriebsvereinbarungen kann eine fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden (§ 76 Abs. 5 BetrVG). Dabei hat jede Seite das Recht, einseitig die Einigungsstelle anzurufen.

Erzwingbare Betriebsvereinbarungen entfalten nach ihrer Beendigung Nachwirkung (sofern die Nachwirkung nicht ausgeschlossen wurde). Sie gelten also solange weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

Bei der freiwilligen Betriebsvereinbarung wird die Einigungsstelle nur tätig, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat übereinstimmend die Einigungsstelle beantragen. Der Spruch der Einigungsstelle wird nur verbindlich, wenn er von den Betriebspartnern akzeptiert wird (§ 76 Abs. 5 BetrVG).

Freiwillige Betriebsvereinbarungen haben keine Nachwirkung. Sie laufen also ohne Folgeregelung automatisch aus.

4.4. Betriebsabsprachen

Im Gegensatz zur Betriebsvereinbarung ist die Betriebsabsprache eine formlose vertragliche Regelung zwischen den Betriebspartnern. Synonym werden auch die Begriffe "betriebliche Einigung" und "Regelungsabrede". Die Betriebsabsprache entfaltet lediglich schuldrechtliche Wirkung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, hat also keine unmittelbare Wirkung in die Arbeitsverhältnisse hinein.

Für die Beendigung einer Betriebsabsprache gelten die gleichen Grundsätze wie für Betriebsvereinbarungen.

5. Arbeitsvertragliche Regelungen

5.1. Individual-Arbeitsvertrag

Der Arbeitsvertrag ist eine spezifische Ausprägung des Dienstvertrages nach den § 611 ff. BGB. Die Hauptleistungspflichten im Arbeitsverhältnis konzentrieren sich auf die Pflicht des Arbeitnehmers, die vereinbarte Arbeitsleistung erbringen. Der Arbeitnehmer schuldet also keinen bestimmten Erfolg seiner Tätigkeit, sondern nur die angemessene Anspannung seiner körperlichen und geistigen Kräfte im Interesse des Arbeitgebers. Dem steht die Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers zur Zahlung des vereinbarten Entgelts gegenüber.

Der allgemeine Grundsatz der Vertragsfreiheit, wonach die Vertragsparteien den Inhalt ihrer Vereinbarung nach eigenem Ermessen bestimmen können, ist im Arbeitsrecht stark eingeschränkt. Zahlreiche öffentlich-rechtliche Gesetze begrenzen die Gestaltungsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien zum Schutz der Arbeitnehmer. Außerdem besteht ein starker sozialrechtlicher Bezug, der in das Arbeitsleben einstrahlt. Regelungen auf der kollektiven Ebene geben den Rahmen für die individuelle Gestaltung des Arbeitsverhältnisses vor.

Der Inhalt des Arbeitsverhältnisses richtet sich im Übrigen nach den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Im Rahmen der genannten Grenzen bestimmt der Arbeitgeber auf Grund seines Weisungsrechts die Art der zu leistenden Arbeit, die Lage und Dauer der Arbeitszeit und die Regelungen der betrieblichen Ordnung (§ 106 GewO).

Der starke Personenbezug kommt aber auch in den vertraglichen Nebenpflichten zum Ausdruck. Hier sind insbesondere die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und die Treuepflicht des Arbeitnehmers zu nennen.

Da der Arbeitgeber ein Interesse daran hat, die Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen, wird er in aller Regel vorformulierte Arbeitsverträge einsetzen, über die er nur eingeschränkt verhandeln will. Individuell vereinbart werden üblicherweise nur die Art der Tätigkeit (in Form einer pauschalen Beschreibung), der Arbeitsumfang und die Höhe der Grundvergütung.

Für einseitig vorformulierte Vertragsbedingungen gelten auch im Arbeitsrecht die Regelungen für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die eine weitere Begrenzung der Vertragsfreiheit bedeuten. Die entsprechenden Regelungen finden sich in §§ 305 ff. BGB. Bei der Inhaltskontrolle nach den AGB-Regeln müssen allerdings die Besonderheiten des Arbeitsrechts angemessen berücksichtigt werden. Oft wird der Inhalt des Arbeitsverhältnisses auch durch allgemeine Arbeitsbedingungen (z.B. in der Form der Arbeitsordnung) beeinflusst. Derartige Regelungen werden im Normalfall durch Aushang oder Rundschreiben bekannt gemacht und sollen für alle Arbeitnehmer gelten. Auch hierbei handelt es sich der Sache nach um AGB.

Die nachfolgende tabellarische Übersicht zeigt die wesentlichen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis:

Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsvertrag
Arbeitgeber Arbeitnehmer
Zahlung des Entgelts Erbringung der Arbeitsleistung
Wichtige Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag
Arbeitgeber Arbeitnehmer
  • Fürsorgepflicht

  • Pflicht zur Beschäftigung

  • Schutz der Gesundheit des ArbN

  • Schutz des Persönlichkeitsrechts des ArbN

  • Schutz des Eigentums des ArbN

  • Zeugniserteilung

  • etc.
  • Treuepflicht

  • Wettbewerbsverbot

  • Verbot der Annahme von Schmiergeldern

  • Verschwiegenheit (dienstliche Angelegenheiten)

  • Anzeige von Fehlern an Maschinen und Material

  • Abwendung von Schäden im Arbeitsbereich

  • Wahrung der betrieblichen Ordnung

  • etc.

5.2. Gesamtzusage und betriebliche Übung

Als Gesamtzusage bezeichnet man die Erklärung des Arbeitgebers an alle Arbeitnehmer, zusätzliche Leistungen zu erbringen. Sie kann auch auf einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmbaren Teil der Belegschaft eines Betriebes beschränkt sein.

Es handelt sich bei der Gesamtzusage um eine verpflichtende Willenserklärung, gerichtet an jeden, den es angeht. Die Erklärung wird - wie jede Willenserklärung auch - mit dem Zugang (zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme) wirksam und bindend. Eine gesonderte Annahmeerklärung der einzelnen Arbeitnehmer ist nicht erforderlich. Es genügt die bloße Betätigung des Annahmewillens.

Die Gesamtzusage erfasst im Regelfall nicht nur die aktuell beschäftigten Arbeitnehmer, sondern auch später begründete Arbeitsverhältnisse.

Die Bindungswirkung einer Gesamtzusage kann der Arbeitgeber nicht rückwirkend beseitigen oder einschränken. In den meisten Fällen wird die Gesamtzusage das Austauschverhältnis im Arbeitsvertrag betreffen. Die Aufhebung oder Änderung der Gesamtzusage möglich ist nur durch beiderseitige Vereinbarung oder durch eine Änderungskündigung möglich. Dabei muss u.U. das Kündigungsschutzgesetz beachtet werden muss. Der Arbeitgeber kann diese für ihn problematische Situation dadurch vermeiden, dass er die Zusage von vornherein mit einem Widerrufs- oder Änderungsvorbehalt verbindet.

Der Begriff "betriebliche Übung" bezeichnet ein wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers, aus dem die Arbeitnehmer auf zukünftiges Verhalten schließen dürfen. Anders als bei der Gesamtzusage ist eine ausdrückliche Erklärung nicht notwendig. Es genügt schon, wenn der Arbeitgeber durch schlüssiges Verhalten zu erkennen gab, dass er sich dauerhaft zu der Leistungsgewährung verpflichten wollte. Es kommt also für die Auslegung auf den objektivierten Empfängerhorizont des verständigen Arbeitnehmers an (§§ 133, 157 BGB). In der Regel wird eine dauerhafte Bindung nach dreimaliger vorbehaltloser Leistung angenommen. Typischer Anwendungsfall ist die Zahlung eines vertraglich nicht geschuldeten Entgelts (z.B. Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, Prämien, Gratifikationen usw.).

Das Bundesarbeitsgericht sieht in der wiederholten Gewährung einer Leistung ein Angebot des Arbeitsgebers zu einer entsprechenden Vertragsänderung. Auch hier ist weder die Kenntnis des Arbeitnehmers noch eine ausdrückliche Annahmeerklärung erforderlich, um den geänderten Vertrag zu Stande zu bringen. Nach dieser rechtsgeschäftlichen Konstruktion des Bundesarbeitsgerichts kann sich der Arbeitgeber von einer etablierten betrieblichen Übung nicht ohne weiteres verabschieden. Es hier gelten vielmehr die kündigungsrechtlichen Grundsätze. Insbesondere ist es dem Arbeitgeber verwehrt, durch eine "gegenläufige" betriebliche Übung eine bereits entstandene Bindungswirkung wieder außer Kraft setzen. Es bleibt nur der Weg über eine einvernehmliche Vertragsänderung oder eine Änderungskündigung.