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Christian Boldt
Familie von Pentz
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Redaktionsadresse:
Christian Boldt M.A.
An der Au 11, 25376 Borsfleth
© Detlefsen-Gesellschaft 2019
Nachdruck ohne Genehmigung des Herausgebers nicht gestattet.
Layout und Satz: Claudia Boldt
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783748145677
Liebe Freundinnen und Freunde der Detlefsen-Gesellschaft, im Glückstädter Rathaus hängt seit Ewigkeiten ein monumentales Reitergemälde.
Es hängt dort so lange, dass es kaum einer noch wahrgenommen hat. Dieses Schicksal teilen viele Kunstwerke in öffentlichen Gebäuden wie zum Beispiel in Schulen, Rathäusern und Amtsverwaltungen.
Wo kommen die Gemälde, die dort hängen, her? Welche Geschichte steckt dahinter? Seit einigen Jahren haben Bilderrückseiten zunehmend an Bedeutung gewonnen, seit die Provenienzforschung – die Suche nach früheren Besitzern und den Umständen von Eigentümerwechseln – zu einem eigenen Forschungsgebiet geworden ist. Die Geschichte eines Bildes endet nicht auf dessen Schauseite. Die Hamburger Kunsthalle hat das schon 2004 in einer Ausstellung verdeutlicht: Während auf der Vorderseite eines Gemäldes Kunstgeschichte gezeigt wird, erzählen vor allem die Keilrahmen die Geschichte des Werks nach seiner Entstehung. Hier finden sich Galerie- und Ausstellungsaufkleber, Katalognummern und Besitzerhinweise – manchmal sogar, wie im Fall eines Van-Gogh-Gemäldes, das Christie’s im Juni 2017 versteigert hat, ganze Literaturhinweise bis hin zu Seitenangaben.
Den Gefallen hat das Reitergemälde Ruth Möller nicht getan. Auf der Rückseite befand sich kein Hinweis. Die Autorin musste haufenweise Akten durchsuchen und aufwendig recherchieren. Es hat sich gelohnt wie wir finden. Überzeugen Sie sich selbst und achten Sie einfach mal auf die Wände in öffentlichen Gebäuden – es lohnt sich.
Borsfleth im September 2019 Die Herausgeber
Franz Michaelsen gewidmet
Etwa 25 Jahre „ab urbe condita“, seit Gründung der Stadt, 22. März 1617, waren schon vergangen, als Ihre Königliche Majestät Christian IV. von Dänemark und Norwegen durch Ihren holländischen Baumeister Willem van Steenwinkel 1642/43 das Glückstädter Rathaus erbauen ließ. Im Stil der holländischen Spätrenaissance mit roten Ziegeln, grauem Sandstein-Zierrat und rückwärtigem Treppenturm ähnelte es dem Schloss Glücksburg am Außenhafen und den königlichen Bauten in Kopenhagen. Es soll den Bürgern vom König und dessen Schwiegersohn direkt „aufgenötigt“ worden sein.1 Reichsgraf Christian v. Pentz2, Ehemann der Königstochter Sophie Elisabeth von Schleswig-Holstein, war hier als Vertreter des Königs eingesetzt. Er nannte sich „Gubernator“, Lenker. Kurz nach dem milden Frieden von Lübeck (1629), als die junge Stadt durch Wallensteins Belagerung und Hochwasser verelendet war, sollte er hier den Elbzoll einführen, mit dessen Hilfe Gräben, Wälle, Mauern und Bollwerke der Festung verstärken, die Stadt mit gesellschaftlichen Strukturen versehen und zur prachtvollen Residenz ausbauen. Wer sich niederlassen durfte und wer nicht, bestimmte der Gubernator, er teilte Grundstücke zu, schloss Verträge, stellte Handwerker und Künstler ein, behielt den Blick aufs Ganze. War der König anwesend, regierte dieser die Stadt selbst. Seine strategische Absicht war, hier an der Elbe ein Gegengewicht zu Hamburg und einen Stützpunkt für dänische Südexpansion nach Niedersachsen zu schaffen.
Ecke Hafen/Süderfleth gab es seit 1620 schon des Königs erstes Stadthaus mit dem Weinkeller, seit 1631/33 auch das Schloss Glücksburg, das Wohnhaus für Frau Wibeke Kruse (erhalten der Treppenturm Am Hafen 40) und das Palais für den Gouverneur (das heutige Brockdorff-Palais Am Fleth 43). Da fehlte noch immer ein Rathaus! Bürger hatten in der Festung wenig zu melden und an einem Rathaus wenig Interesse.
Der Rat tagte in der Wohnung des Bürgermeisters. War der König in Glückstadt, regierte er die Stadt selbst. Nach Meinung „Ihrer Hochgräflichen Exellentz des Herrn Gubernatoren“ wäre ein Rathaus aber „nicht alleine eine vornehm Zier und ehr, sondern auch ein necessarium einer wol bestelten Stadt“.3 Er selbst benötigte das Rathaus vordringlich als Versammlungsort für die von ihm 1642 erneuerte „Brand- und Schützengilde“. Man findet deshalb das Rathaus zu Glückstadt in frühen Stadtplänen auch als „Gildehaus“ benannt, vergleichbar mit „Guildhall“, dem Rathaus der City of London.4
Die Finanzierung des Neubaus von zuletzt etwa 9000 Reichstalern machte dem Grafen viel Mühe und Ärger. Ihren Anteil von 1000 Reichstalern wollten die Bürger nicht zahlen, schließlich hatten sie sich wegen der Privilegien in diese Schlick-Stadt locken lassen. Er selbst ging mit gutem Beispiel voran. Im Schloss, legte er ein Heftchen aus, in das hochgestellte Besucher, Offiziere und Beamte, die zu Audienzen kamen, eine Spende eintragen sollten, und zeichnete als Erster 50 Reichstaler. Besucher erhöhten die Spendensumme schließlich auf etwa 300, die Bürger mussten 2000 Reichstaler zahlen, die schleswig-holsteinischen Ämter brachten 4400 Reichstaler auf, den Rest bezahlte der König. Man sagt, der König habe den Glückstädtern ihr Rathaus geschenkt.
Man betrat das Hochparterre vom Markt aus über eine doppelläufige Freitreppe, wie heute. Von dort gelangte man in die Ratsstube, die Achtmännerstube, die Gerichtsstube und das Arrestlokal. Auch zwei Schulklassen waren hier stationiert. Wo heute der Anbau mit dem Hinterausgang ist, war der Schulhof. Auch die Gilde trat dort an. Der Gilde-Saal nahm die ganze Mitte des Oberstocks ein (nach Detlefsen), und wer dahin wollte, stieg vom Schulhof im Turm die Wendeltreppe hinauf. Im Kellergeschoss repräsentierte der Ratsweinkeller. Auch gab es dort Wohnungen für Personal.
Als ein Jahr später die Schweden ins Land einfielen (Torstensonkrieg 1643–1645) und die Umland-Bevölkerung in Panik mit Sack und Pack hinter die Glückstädter Festungswälle floh, behielt der Gubernator die Nerven und gab den Leuten zu tun.5 Er gründete 1644 das Bürgermilitär, bewaffnete es, teilte es in vier Kompanien ein und ließ es exerzieren. Wenn die Garnison zu Einsätzen ausrücken würde, sollte das Bürgermilitär den Wachdienst in der Festung versehen, außerdem bei Sturmflut und Brandfällen Katastrophenschutz leisten, im Winter die Festungsgräben eisfrei halten und bei Anwesenheit hoher Herrschaften paradieren. Die Waffen des Bürgermilitärs bekamen zu sieben Reihen in der Rathaus-Diele ihren Stellplatz.
Aus diesem „verordneten Gildehaus“ ist uns ein ungewöhnlich großes Schlachtengemälde überliefert, 4 m breit und fast 2 m hoch, das aussieht, als wäre es als Schmuck für den großen Festsaal von Gilde und Bürgermilitär gemalt. Es zeigt einen beinahe mannsgroßen Reiter auf feurig aufsteigendem Ross unter drohenden Wolken am bewegten Himmel in hügeliger Landschaft mit Bäumen, einer hohen Burg in der Ferne sowie mit Ausläufern einer Bastion im Vordergrund. In Pulverdampf marschiert mit Trompetenschall allerlei Kriegsvolk auf. Am linken Bildrand stehen vor Baum und Gebüsch zwei Männer, die man für Schlachtenbummler hielt. Die untere rechte Ecke füllt ein weißes Feld, das die Inschrift trägt:
Herr Marquard Pentz, Ritter, Oberster zu Roß und Fueß auff Warlitz und Neudorff, Gouverneur zu Wolfenbüttel, starb daselbst Anno 1627, den 27. Feb.“
Auf dem Boden der Bastion im Vordergrund prangt die große schwarze Zahl 1648, und neben dem Kopf des Reiters rechts wie links steht in ebenso schwarzer Schrift der rätselhafte Spruch „viuo – o morto“. Seinen Namen hat der Künstler nicht verzeichnet. Zu welcher Zeit und zu welchem Anlass er das Gemälde für welchen Auftraggeber gemalt hat, wer die Zusätze eingefügt hat, was sie bedeuten und schließlich, wie das Kunstwerk ins Rathaus gekommen ist, das geriet in völlige Vergessenheit und wurde im beginnenden 20. Jahrhundert für Glückstädter zum großen Rätsel!
1 Gerhard Köhn: „Rathaus und Ratskeller in Glückstadt/Die Umgestaltung der Rathausfassade unter E. G. Sonnin“ in: Stb. Jb. 1999, S. 91–104.
2 Ruth Möller: „Christian von Pentz. Das rätselvolle Leben des Glückstädter Gubernators Christian Reichsgraf von Pentz (1610–1651). Sonderpublikation der Detlefsen-Gesellschaft zum Stadtjubiläum 2017.
3 Franz Michaelsen: „Von der Erbauung des Rathauses“ – In: Glückstadt im Wandel der Zeiten, Bd. 2, 1966.
4 Gerhard Köhn/Franz Michaelsen: „Die Glückstädter Adelspalais“in: Glückstadt im Wandel der Zeiten Bd. 3, 1968, Seiten 275–282.
5 F. C. Rode: Kriegsgeschichte der Festung Glückstadt, Bd. I, Glückstadt 1940, S. 94/95.
Das Rathaus Christian IV. auf dem noch weichen, erst kurz zuvor eingedeichten und trotzdem mehrfach überfluteten Marschboden war nicht gegründet. Der hintere Treppenturm musste, wie auch alle anderen Treppentürme in Glückstadt, bald niedergelegt werden. Nur der Wiebke-Kruse-Turm hält bis heute aus und dient uns als willkommenes Beispiel der Bauweise der Zeit von „Kong Krischan feer“. Ohne Treppenturm kein Zugang zum Gildesaal im Oberstock, der doch für den Gubernator das Allerwichtigste gewesen war! Spätere Glückstädter verlegten darum den Zugang nach vorn auf den Markt. Die Stufen der Freitreppe zum Hochparterre rissen sie ab und bauten eine höhere zum 1. Stock, die, um nicht zu steil zu geraten, breiter ausladen musste. In der Mitte darunter schlugen sie zur Stütze einen dritten Schwibbogen ein. Damit war das anmutige Rathaus Willem van Steenwinkels total verschandelt. Den Zugang zum Hochparterre ermöglichte von jetzt ab eine kleine „Schauertreppe“ auf der Rückseite, die man sich als überdacht vorgestellt hat.
Ein Glück, dass die vordere Monstertreppe auch mal wieder bröckelig wurde! Gerade, als das unangenehm auffiel, errichtete der Kirchenbaumeister Sonnin, Erbauer des Hamburger „Michel“, die St. Bartholomäuskirche in Wilster (1775/81). Zur Rast auf dem beschwerlichen Weg dahin mag er mehrfach hier im Ratskeller eingekehrt sein. Als er mit dem Auftrag betraut wurde, das Treppen-Ungetüm vor dem Rathaus zu restaurieren, gelang es ihm, den Magistrat zum Abriss und zu einem Neubau zu überreden, der nicht teurer würde als die Reparatur. Sonnin beschreibt die Treppe am Markt als „eine hohe, steile, breite mit Ruheplätzen nicht unterbrochene Treppe, die das halbe Rathaus bedecket und ihm vieles von seinem Ansehen nimmt“. Mit einer Freitreppe in den ursprünglichen Ausmaßen am Markt, nur zum Hochparterre, stellte er die richtigen Proportionen wieder her. Als Zugang zum Oberstock, jetzt wieder hinten, ließ er eine „inwendige Treppe“ einbauen.6 Die obere vordere Haustür führte ohne Monstertreppe von innen her nun gefährlich in den Abgrund. Sie bekam aber eine angemessene neue Funktion: Als Balkontür! König Christian VII, „der Siebende“ (1749–1808), der bedauernswerte Kranke, der Struensee zum Gegenpart bekam, schenkte der Stadt ein gebrauchtes Balkongitter vom Gebäude seiner Regierungskanzlei, dem Wasmer-Palais. Auf der Gartenseite (später Schulhof der Bürgerschule, jetzt Wohngebiet „Palaisgarten“) glaubten Betrachter verstrichene Ansatzstellen der Metallträger eines früheren Balkons noch kürzlich zu erkennen.
Hundert Jahre nach Sonnin musste das schöne Renaissance-Rathaus König Christian IV. alias Pentzens Gildehaus in Gänze abgebrochen werden (1872), ein Verlust, den der junge Gymnasiallehrer Detlef Detlefsen (1833–1911) als schmerzlich empfand. Weil dieser weitgereiste Philologe und Archäologe auch Stadtverordneter war, konnte er durchsetzen, dass die Fassade des neuen Gebäudes mit den alten Schmuckelementen an gleicher Stelle fast gleichartig wieder aufgebaut wurde. Es war die Ära des geschichtlich interessierten Bürgermeisters Hermann von Graba, an dessen Amtszeit 1864–1876 hier ein Straßenname am nördlichen Stadtrand erinnert. Graba betraute mit der Arbeit den Hamburger Architekten Eduard Hallier (1836–1889)7, der – so wie Detlef8