Dr. Karin Reber ist Beratungsrektorin im Förderschuldienst (Sprachheilpädagogik, Informatik) und akademische Sprachtherapeutin (Sprachheilpädagogin M.A.) in München.
Dr. Wilma Schönauer-Schneider ist Sprachheilpädagogin (M. A.) und Akademische Oberrätin am Lehrstuhl für Sprachheilpädagogik der LMU München.
Außerdem im Ernst Reinhardt Verlag erschienen:
Reber, K.: Prävention von Lese- und Rechtschreibstörungen im Unterricht.
Systematischer Schriftspracherwerb von Anfang an (2.überarb. Aufl. 2017, ISBN: 978-3-497-02674-6)
Reber, K., Schönauer-Schneider, W.: Sprachförderung im inklusiven Unterricht.
Praxistipps für Lehrkräfte (2017, ISBN 978-3-497-02714-9)
Hinweis
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
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ISBN 978-3-497-02758-3 (Print)
ISBN 978-3-497-60658-0 (PDF)
ISBN 978-3-497-60986-4 (EPUB)
ISSN 1868-3959
4., aktualisierte Auflage
© 2018 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München
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Satz: Arnold & Domnick, Leipzig
Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München
Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de
Inhalt
Einleitung
1 Sprachheilpädagogischer Unterricht
1.1 Was ist sprachheilpädagogischer Unterricht?
1.2 Konzept
1.3 Zielgruppe
1.4 Unterrichtsprinzipien
2 Sprachheilpädagogische Unterrichtsplanung: Das Münchener Modell
2.1 Sprachliche Voraussetzungen und Folgen
2.2 Intention
2.3 Inhalt
2.4 Interaktion
2.5 Organisation
2.6 Medien
2.7 Methoden
3 Baustein Lehrersprache (störungsübergreifend)
3.1 Allgemeine Merkmale
3.2 Modellierungstechniken
3.3 Impuls- und Fragetechnik
4 Baustein Metasprache (störungsübergreifend)
4.1 Techniken metasprachlichen Arbeitens
4.2 Umgang mit Fachbegriffen
5 Baustein Handlungsbegleitendes Sprechen (störungsübergreifend)
6 Bausteine zur Aussprache
6.1 Grundlagen
6.2 Diagnostik
6.3 Prävention im Unterricht
6.4 Sprachtherapeutische Intervention im Unterricht
Baustein Phonetik 1: Lehrersprache und Modellierungstechniken
Baustein Phonetik 2: Mundmotorische Übungen
Baustein Phonetik 3: Auditive Analyse des Lautes
Baustein Phonetik 4: Anbahnung und Stabilisierung auf Lautebene
Baustein Phonetik 5: Verbindung mit anderen Lauten (Silben- und Wortebene)
Baustein Phonetik 6: Einbau in die Spontansprache
Baustein Phonetik 7: Stabilisierung und Transfer
Baustein Phonetik 8: Visualisierung
Baustein Phonologie 1: Modellierungstechniken
Baustein Phonologie 2: Einsatz von Minimalpaaren
Baustein Phonologie 3: Einsatz von Referenzkarten für Lautmerkmale
Baustein Phonologie 4: Verwendung von Lautsymbolen
Baustein Phonologie 5: Metasprachliche Hilfe: Schrift
7 Bausteine zum Wortschatz
7.1 Grundlagen
7.2 Diagnostik
7.3 Prävention im Unterricht
7.4 Sprachtherapeutische Intervention im Unterricht
Baustein Wortschatz 1: Elaborationstraining auf der Inhaltsebene (Lemma)
Baustein Wortschatz 2: Elaborationstraining auf der Formebene (Lexem)
Baustein Wortschatz 3: Abruftraining
Baustein Wortschatz 4: Strategietraining
Baustein Wortschatz 5: Wortbedeutung im Kontext (Kollokationen, Metaphern)
Baustein Wortschatz 6: Selbstmanagement
Baustein Wortschatz 7: Fachbegriffe
7.5 Rahmenhandlungen und Rituale im Unterricht
8 Bausteine zur Grammatik
8.1 Grundlagen
8.2 Diagnostik
8.3 Prävention im Unterricht
8.4 Sprachtherapeutische Intervention im Unterricht
Baustein Grammatik 1: Interaktionen gestalten und Formate schaffen
Baustein Grammatik 2: Lehrersprache und Modellierungstechniken
Baustein Grammatik 3: Modalitätenwechsel
Baustein Grammatik 4: Metasprache
Baustein Grammatik 5: Übung und Transfer in die Spontansprache
8.5 Prototypische Unterrichtskontexte, Rahmenhandlungen und Rituale
9 Bausteine zum Sprachverständnis
9.1 Grundlagen
9.2 Diagnostik
9.3 Prävention im Unterricht
9.4 Sprachtherapeutische Intervention im Unterricht
Baustein Sprachverständnis 1: Training metasprachlicher
Fähigkeiten: Monitoring des Sprachverstehens (MSV)
Baustein Sprachverständnis 2: Intervention auf der Wortebene
Baustein Sprachverständnis 3: Intervention auf der Satzebene
Baustein Sprachverständnis 4: Intervention auf der Textebene
10 Konkrete Unterrichtsplanung mit dem Münchener Modell
10.1 Voraussetzungen der Schüler
10.2 Lernziele (Intention)
10.3 Auswahl einer Bildergeschichte und deren Vorbereitung (Inhalt)
10.4 Ableiten der individuellen Förderziele (Intention)
10.5 Sequenz zur Bildergeschichte (Inhalt)
10.6 Vorüberlegungen zur sprachheilpädagogischen Umsetzung (Methoden)
10.7 Grobplanung (Interaktion und Organisation)
10.8 Unterrichtsverlauf (1. Stunde)
10.9 Tafelbild
10.10 Verwendete Materialien (Medien)
Ausblick
Literatur
Sachregister
Hinweise zur Verwendung der Icons | |
Literaturhinweise (print) | |
Praxis- oder Arbeitsmaterial | |
Informationen im Internet | |
Fallbeispiel / Beispiel |
Einleitung
Kinder im Vorschul- und Schulalter zeigen immer häufiger eingeschränkte sprachliche Kompetenzen (vgl. PISA-Studien, Sprachstandsmessungen im Kindergartenalter). Sprachliche Defizite führen zu geringeren Lernerfolgen und Frustrationen im Schulalltag. Vor diesem Hintergrund entstand die Forderung, dass Lehrer die sprachlichen Fähigkeiten der Schüler intensiver in einem besonders aufbereiteten Unterricht fördern. Doch wie sieht ein derartiger Unterricht konkret aus?
In der Literatur gibt es viele theoretische Konzepte und Modelle zum Unterricht für Kinder mit Sprachstörungen (z.B. Braun 2004). Diesen Konzepten fehlt jedoch häufig die enge Verzahnung mit der Praxis bzw. eine empirische Überprüfung im Schulalltag (u.a. Baumgartner 1997; 2006). In den vorrangig wissenschaftlichen Abhandlungen überwiegen modellhafte Beschreibungen von Unterrichtsdimensionen und begriffliche Diskussionen, ob ein derartiger Unterricht als sprachfördernd, sprachtherapeutisch, therapieimmanent etc. zu bezeichnen ist.
Wir haben uns für den Begriff des sprachheilpädagogischen Unterrichts entschieden, der den pädagogischen und heilpädagogischen Bezug betont und Förderung und Therapie gleichermaßen einbezieht. Unser Anliegen ist neben einer Darstellung der Grundlagen vor allem die Verzahnung mit der Praxis.
Für Kinder mit grammatikalischen Störungen existiert bereits das Konzept der Kontextoptimierung, das im sprachheilpädagogischen Unterricht effektiv angewendet wird (Motsch 2017; Berg 2011). Sprachheilpädagogische Maßnahmen für andere Sprachbereiche (Aussprache, Wortschatz etc.) sind jedoch meist auf die Individualtherapie ausgerichtet und nur eingeschränkt auf Gruppen und Unterricht übertragbar.
Im vorliegenden Buch erläutern wir deshalb umfassend Bausteine eines sprachheilpädagogischen Unterrichts für die wichtigen sprachlichen Bereiche Aussprache, Wortschatz, Grammatik und Sprachverständnis.
Zielgruppe sind vor allem Praktiker, d.h. Lehrer an Grund-, Förder- und Sprachheilschulen sowie Studierende dieser Lehrämter, die ihren Unterricht unter spezifisch sprachheilpädagogischen Aspekten planen und durchführen.
Konkrete Fördermaßnahmen, Beispiele und Praxistipps für Sprachförderung in inklusiven Settings finden sich in Reber/Schönauer-Schneider 2017, Lüdtke/Stitzinger 2017 oder Mußmann 2012.
In den ersten beiden Kapiteln beschreiben wir Grundlagen für den sprachheilpädagogischen Unterricht und erläutern die sprachheilpädagogische Unterrichtsplanung nach dem Münchener Modell. Das Münchener Modell orientiert sich mit seinen sechs Dimensionen an bereits bestehenden theoretischen Modellen. Wir führen die Theorie in diesem Buch jedoch im Sinne der Praxis weiter: Zu jeder Dimension werden praktische Umsetzungsmöglichkeiten und Unterrichtsbeispiele aufgezeigt.
Den Schwerpunkt bilden methodische sprachheilpädagogische Bausteine in den einzelnen Sprachbereichen. In den Kapiteln 3 bis 5 werden störungsübergreifende Methoden (Lehrersprache, Metasprache, handlungsbegleitendes Sprechen) beschrieben, die vielfältig anwendbar sind.
Störungsspezifische Methoden zu den Sprachbereichen Aussprache, Wortschatz, Grammatik und Sprachverständnis werden in den Kapiteln 6 bis 9 erläutert und mit zahlreichen Unterrichtsbeispielen illustriert. Eine frühe sprachliche Förderung von Risikokindern kann Folgeerscheinungen wie Lernstörungen oder psychosoziale Auffälligkeiten verhindern. In diesem Sinne gliedern wir jeden Bereich in sprachliche Prävention bei gefährdeten Kindern und Intervention für die Arbeit mit sprachbehinderten Kindern.
Die praktische Umsetzung erfolgt vorrangig in Form von Bausteinen, da eine rezeptartige, starre Anwendung der Methoden im Unterricht wenig praktikabel und für die Kinder ineffektiv ist. Die angegebenen Bausteine müssen vielmehr für die eigene Klasse und einzelne Schüler ausgewählt und adaptiert werden.
Häufig bemängeln Kritiker, dass zwar einzelne Dimensionen der Unterrichtsplanung mit praktischen Beispielen erläutert sind, eine Zusammenführung dieser jedoch ausbleibt. In Kapitel 10 zeigen wir deshalb am Beispiel einer Bildergeschichte, wie eine sprachheilpädagogische Unterrichtsplanung konkret in allen Dimensionen realisiert werden kann.
Zur besseren Lesbarkeit sind personenbezogene Bezeichnungen in männlicher Form dargestellt, beziehen sich aber in gleicher Weise auf beide Geschlechter.
Die vollständigen Quellenangaben der praxisrelevanten Literatur befinden sich jeweils am Ende der einzelnen Kapitel und nicht im gesamten Literaturverzeichnis.
1 Sprachheilpädagogischer Unterricht
1.1 Was ist sprachheilpädagogischer Unterricht?
Definition
„Generell handelt es sich beim sprachheilpädagogischen Unterricht um einen Oberbegriff zur Förderung und Therapie in schulischen Institutionen, der auf die Sprache des Kindes zentriert ist und durch Individualtherapie zu ergänzen ist“ (Grohnfeldt/Schönauer-Schneider 2016, 243).
Aus heutiger Sicht ist sprachheilpädagogischer Unterricht nicht mehr mit sprachtherapeutischem Unterricht gleichzusetzen, sondern umfasst als Oberbegriff sowohl Maßnahmen der Sprachförderung als auch spezifisch sprachtherapeutischen Unterricht. Diese beiden Unterformen bilden Extreme eines Kontinuums sprachheilpädagogischen Wirkens zur Prävention und Intervention im Unterricht (Abb. 1).
Definition
Maßnahmen der Sprachförderung sind unspezifisch. Sie sind Basis und Entwicklungsbegleitung für alle Kinder (vgl. dbs 2007) und dienen in erster Linie der Prävention von Sprachstörungen.
Sprachförderung
Der Lehrer benötigt zur Sprachförderung keine grundständige Ausbildung im Bereich Sprache, sollte sich aber durch entsprechende Fortbildungsmaßnahmen über Möglichkeiten der Sprachförderung im Unterricht qualifizieren. Sprachförderung wird durchgeführt von Erziehern in Kindergärten, von Lehrern in Regelschulklassen, von Lehrern für Deutsch als Zweitsprache in Sprachlernklassen, von Sonderschullehrern in Sonderbzw. Förderschulen etc.
sprachtherapeutischer Unterricht
Haben sich bei Schülern jedoch bereits Sprachstörungen ausgebildet, reicht eine allgemeine Sprachförderung im Unterricht nicht mehr aus. Die Kinder benötigen einen sprachtherapeutischen Unterricht, d.h. spezifische Interventionsmaßnahmen, die aus dem sprachtherapeutischen Bereich stammen. Sprachtherapeutischer Unterricht orientiert sich an den individuellen sprachlichen Bedürfnissen einzelner Schüler und kann nur auf der Basis einer sprachlichen Förderdiagnostik von einer spezifisch im Bereich Sprachheilpädagogik und/oder Sprachtherapie ausgebildeten Lehrkraft umgesetzt werden. In Analogie zu Dannenbauers (1997b, 168) Definition von Sprachtherapie kann sprachtherapeutischer Unterricht wie folgt umschrieben werden:
Definition
Sprachtherapeutischer Unterricht umfasst
(1) jene spezifischen Interaktionssequenzen,
(2) die von einem entsprechend sachkundigen Lehrer
(3) in zielgerichteter, planvoll auf der Basis einer sprachlichen Förderdiagnostik strukturierter und wissenschaftlich begründeter Weise
(4) in schulischen Institutionen organisiert werden,
(5) um eine Person mit erwarteter oder bereits eingeschränkter sprachlicher Handlungsfähigkeit
(6) mit dem Ziel der Prävention, Überwindung bzw. Besserung und Kompensation sprachlicher Defizite zu unterstützen.
Sprachtherapeutischer Unterricht ist generell durch sprachliche Individualtherapie zu ergänzen und hinsichtlich seiner Effizienz immer wieder zu überprüfen.
Jeder sprachheilpädagogische Unterricht umfasst sowohl allgemeine, unspezifische sprachfördernde Maßnahmen (z. B. Wortschatzarbeit als Unterrichtsprinzip, umsichtige Gestaltung der Lehrersprache) als auch Anteile spezifisch sprachtherapeutischen Unterrichts (z. B. Integration therapeutischer Maßnahmen zur Verbzweitstellung für ein Kind der Klasse, das diese gerade erwerben soll).
1.2 Konzept
Von obigem Begriffsverständnis leitet sich stringent das diesem Buch zugrunde liegende Konzept des „sprachheilpädagogischen Unterrichts“ ab. Es umfasst zu jedem der dargestellten sprachlichen Lernbereiche folgende Methoden:
1. Methoden der Prävention: unspezifische Maßnahmen zur Sprachförderung sowie
2. Methoden der Intervention: Methoden und Bausteine sprachtherapeutischen Unterrichts
Prävention
Präventive Sprachfördermaßnahmen sollten immer dann eingesetzt werden, wenn einer Gruppe Kinder mit Risikofaktoren im Bereich Sprache angehören (z.B. mehrsprachige oder sprachschwache Kinder), was in jeglichen Bildungseinrichtungen möglich ist. Diese Kinder benötigen ein besonders sprachanregendes Milieu, damit die Entstehung einer Sprachbehinderung verhindert werden kann.
Intervention
Für Kinder mit bereits entwickelten Sprachbehinderungen (Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen) bzw. Schriftsprachstörungen sind derartige unspezifische Maßnahmen in der Regel jedoch nicht mehr ausreichend. Sie benötigen einen spezifischen sprachtherapeutischen Unterricht, der von Pädagogen mit einer vertieften Qualifikation im Bereich Sprache durchgeführt wird. Hier sollten spezifische sprachtherapeutische Interventionen auf der Basis einer individuellen sprachlichen Förderdiagnostik integriert werden. Die Grundvoraussetzungen für diesen an der Sprache orientierten Unterricht sind derzeit insbesondere an Förderschulen oder inklusiven Einrichtungen gegeben, da dort Sprachheillehrer neben präventiven Sprachförderphasen auch spezifisch sprachtherapeutische Maßnahmen in ihren Unterricht integrieren. Durch dieses Buch wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass sprachheilpädagogischer Unterricht – insbesondere durch präventive Maßnahmen – einer größeren Zahl von Kindern zugute kommen kann.
1.3 Zielgruppe
Sprachheilpädagogischer Unterricht unterstützt einerseits Kinder mit Risikofaktoren im Bereich Sprache und andererseits Kinder mit Sprachbehinderungen. Im Folgenden werden diese Zielgruppen näher beschrieben.
Studien zu sprachlichen Fähigkeiten
1. Kinder mit Risikofaktoren im Bereich Sprache: In den PISA-Studien schnitten Schüler mit niedrigem sozioökonomischen Status und/oder Migrationshintergrund besonders schlecht in ihren Leseleistungen ab. Als ausschlaggebend dafür wird v.a. eine mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache gesehen (Klieme 2010). Alarmierend sind ferner Zahlen aus Sprachstandsmessungen im Vorschulbereich. Kurz vor der Einschulung weisen teilweise bis zu 45 % der Kinder sprachliche Leistungen auf, die einer Förderung und/oder Therapie bedürfen (Siegmüller et al. 2007).
sprach- und schriftfernes Milieu
Viele Kinder aus sprach- und schriftfernem Milieu sowie mit Migrationshintergrund benötigen demnach sprachfördernde Maßnahmen im Unterricht. Präventive Sprachförderung zielt für diese große Zielgruppe im Grundschulbereich darauf ab, Folgeerscheinungen wie Schriftspracherwerbsstörungen und abfallende schulische Leistungen durch Sprachverständnisprobleme und geringe Kenntnisse in den Bereichen Aussprache z.B. fehlende Lautunterschiede, in der jeweiligen Muttersprache), Wortschatz und Grammatik zu verhindern oder zumindest zu verringern.
Beschreibung der spezifischen Sprachentwicklungsstörung
2. Kinder mit Sprachstörungen / Sprachbehinderungen: Viele Autoren (u. a. Grimm 2012) gehen davon aus, dass 6–8 % aller Kinder eine spezifische Sprachentwicklungsstörung (SSES) aufweisen. „Spezifisch“ bedeutet, dass vorrangig die Sprache gestört ist und keine anderen Primärbeeinträchtigungen vorhanden sind, die Art und Ausmaß der Störung erklären können: Die Kinder haben keine sensorischen Beeinträchtigungen (Sehen, Hören), keine erkennbaren neurologischen Schädigungen, keine mentale Retardierung (d. h. weitgehend normale Intelligenz) und keine sozio-emotionalen Auffälligkeiten (z. B. Autismus). Die Definition von SSES erfolgt über diese Ausschlusskriterien (Grimm 2012). Kinder mit SSES sind keine einheitliche Gruppe. Sie zeigen individuelle Probleme meist auf mehreren Sprachebenen. Im Vorschul- und Schulalter sind grammatikalische Defizite am auffälligsten, weshalb diese Störung früher auch als „Dysgrammatismus“ bezeichnet wurde. Untersucht man die Kinder jedoch genauer, so stellt man fest, dass Dysgrammatismus ein Teilsymptom neben weiteren Schwierigkeiten in der Aussprache, im Wortschatz und im Sprachverständnis darstellt. Einige Kinder zeigen Störungen nur auf einer Sprachebene (z. B. Semantik).
langfristige Auswirkungen
Eine SSES ist eine andauernde Störung mit langfristigen Auswirkungen auf das Jugend- und Erwachsenenalter (Dannenbauer 2002a). Schüler mit SSES brauchen deshalb einen sprachheilpädagogischen Unterricht mit Prävention und Intervention in den Bereichen Aussprache, Wortschatz, Grammatik, Sprachverständnis und stellen somit dessen Hauptzielgruppe dar. Diese Kinder werden in Sprachheilschulen, Förderzentren, inklusiven Einrichtungen und Regelgrundschulen unterrichtet.
Lernschwierigkeiten
Sprachstörungen treten häufig in Kombination mit Lern- und Verhaltensauffälligkeiten auf. Insbesondere Schüler mit Lernschwierigkeiten haben meist ähnliche Probleme im Bereich Sprache wie Kinder mit SSES, werden jedoch aufgrund der Ausschlusskriterien nicht zu dieser Gruppe gezählt. Die sprachlichen Defizite sind vorrangig in den Bereichen Wortschatz, Grammatik und Sprachverständnis zu beobachten. Aus Sprachstörungen können sich auch Lernschwierigkeiten entwickeln. Studien belegen ein Absinken des nonverbalen Intelligenzquotienten bei Schülern mit Sprachstörungen im Laufe der Schulzeit von bis zu 20 Punkten (Dannenbauer 2001a), d.h. ein Schüler, der im Vorschulalter einen nonverbalen Intelligenzquotienten von 100 hatte, rutscht allmählich auf bis zu 80 ab und kann als „lernbehindert“ eingestuft werden. Sprachliche Prävention und Intervention im Unterricht sind deshalb bei lernbeeinträchtigten Schülern besonders wichtig, da eine Sprachstörung primär verantwortlich sein könnte.
Verhaltensauffälligkeiten
Aus einigen Sprachstörungen (v. a. im Bereich Sprachverständnis) können Verhaltensauffälligkeiten entstehen, die sich im Schulalter verstärken. Manchen verhaltensauffälligen Schülern bereitet es Schwierigkeiten, Sprache im Unterricht zu verstehen und umzusetzen. Sie schalten beispielsweise ab oder zeigen Störverhalten. Gezielte Maßnahmen aus dem Bereich Sprachverständnis sind für diese Kinder hilfreich.
Schriftspracherwerbsstörungen
Kinder mit Sprachstörungen entwickeln gehäuft auch Schriftspracherwerbsstörungen. Dieser Bereich muss deshalb im sprachheilpädagogischen
Siegmüller, J., Bartels, H. (Hrsg.) (2017): Leitfaden Sprache Sprechen Stimme Schlucken. 5. Aufl. Elsevier, München
1.4 Unterrichtsprinzipien
Sprachheilpädagogischer Unterricht legt einen besonderen Schwerpunkt auf sprachliche Lernprozesse. Deshalb werden in besonderem Maße übergreifende Unterrichtsprinzipien umgesetzt, die helfen, ein sprachförderndes Lernumfeld zu gestalten:
Zusammenfassung
Übergreifende Unterrichtsprinzipien
■ Primat der Sprachlernprozesse
■ Multiperformanzprinzip
■ Prozess- und Förderdiagnostik
■ Gestaltung eines sprachlich-kommunikativen Milieus
■ Verbesserung des Selbstwertgefühls
Sprachgestörte Kinder haben häufig geringe sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten, u.a. einfache, rigide Satzmuster, unorganisierte und unzusammenhängende narrative Strukturen sowie Wortfindungsschwierigkeiten (vgl. Dannenbauer 2002a). Über ganzheitliche basale Förderung hinaus sind spezifisch sprachliche Hilfestellungen und Maßnahmen nötig, um den Spracherwerb voranzubringen.
Primat der Sprachlernprozesse
Nach dem Primat der Sprachlernprozesse werden alle Gestaltungsfelder (Inhalte, Methoden, Medien) in allen Unterrichtsfächern nachhaltig genutzt, um die (gestörte) sprachliche Kommunikation der Schüler zu verbessern.
Multiperformanzprinzip
Im Sinne des Multiperformanzprinzips sollen sprachliche Strukturen (z.B. neue Begriffe) auf vielfältige Weise in verschiedenen Modalitäten geübt werden: Die Schüler üben diese zu verstehen (Rezeption), nachzugestalten (Reproduktion), selbst aktiv zu gestalten (Produktion), zu reflektieren (Metasprache) sowie schriftlich zu gebrauchen (Lesen, Schreiben) (Dannenbauer 2002b).
Prozess- und Förderdiagnostik
Eine gezielte Auswahl von sprachheilpädagogischen Maßnahmen ist nur durch eine genaue Kenntnis des Sprachstands (Prozess- und Förderdiagnostik) möglich.
sprachlich-kommunikatives Milieu
Aufgrund von kommunikativen Misserfolgen fehlt diesen Kindern meist die Motivation, sich sprachlich zu äußern und sich in ein Unterrichtsgespräch einzubringen. Ein wichtiger Baustein der Sprachförderung im Unterricht ist deshalb „die Gestaltung des sprachlich-kommunikativen Milieus“ im Sinne eines „sprachschaffenden Unterrichts“ (Dannenbauer 1998, 90), in dem möglichst viele Unterrichtssituationen zur gezielten Versprachlichung genutzt werden.
Selbstwertgefühl
Durch die Adaption der Sprachumgebung an die Fähigkeiten der Kinder erfahren diese Erfolgserlebnisse und können dadurch ihr Selbstwertgefühl steigern. Gezieltes und häufiges Lob durch den Lehrer unterstützt die emotionale Stabilität von sprachgestörten Kindern.
2 Sprachheilpädagogische Unterrichtsplanung: Das Münchener Modell
Dreifache Aufgabe
Ziel sprachheilpädagogischen Unterrichts ist es, sowohl präventive Maßnahmen zur Sprachförderung von Risikokindern als auch Interventionsmaßnahmen für Kinder mit bereits ausgeprägten Sprachstörungen in den Unterricht zu integrieren, wobei die Inhalte selbst durch Lehrpläne vorgegeben sind. Sprachheilpädagogischer Unterricht muss dabei die drei Aufgabenbereiche Sprache, Bildung und Erziehung gleichermaßen berücksichtigen (Abb. 3).
Aufgrund der Komplexität dieser Aufgabenstellung bedarf sprachheilpädagogischer Unterricht einer umsichtigen Planung. Herkömmliche didaktische Modelle, wie sie aus der Schulpädagogik bekannt sind, müssen um den Aufgabenbereich „Sprache“ ergänzt und akzentuiert werden.
Münchener Modell: integrativ
Genau dies beabsichtigt das Münchener Modell, das an dieser Stelle als Weiterentwicklung früherer Darstellungen erläutert wird (u. a. Grohnfeldt et al. 2007). Es versteht sich als integratives Modell, das Elemente aus verschiedenen Planungsmodellen kombiniert:
■ bildungstheoretisch (Klafki 1985): durch die Reflexion des Bildungsgehalts bezüglich Sprache
■ lerntheoretisch (Heimann et al. 1965): durch die Realisierung der Planungsdimensionen, wobei zusätzlich noch die Dimensionen Interaktion und Organisation aufgenommen werden
■ lernzielorientiert (vgl. Überblick in Peterßen 2000): durch die Formulierung von einzelnen Lern- bzw. Förderzielen, deren Operationalisierungen und Sicherungen
■ konstruktivistisch (Reich 2002): durch die im Verlaufsplan enthaltenen Planungsalternativen bzw. die Flexibilität bei der konkreten Stundendurchführung sowie in der Dimension Interaktion
Dimensionen der Unterrichtsplanung
Die im Berliner Modell (Heimann et al. 1965) und bei Peterßen (2000, 208) genannten sechs Dimensionen der Unterrichtsplanung (Intention, Inhalt, Methode, Medium, Interaktion und Organisation) gelten auch für sprachheilpädagogischen Unterricht, müssen jedoch stärker auf den Schwerpunkt Sprache ausgerichtet werden: Getreu dem obersten Unterrichtsprinzip sprachheilpädagogischen Unterrichts (Kap. 1), dem Primat der Sprachlernprozesse, wird jede Dimension um Aspekte zur Prävention und Intervention im Bereich Sprache ergänzt (Abb. 4).
Sprachheilpädagogischer Unterricht geht neben den sozio-kulturellen und anthropologisch-psychologischen Voraussetzungen v.a. von den sprachlichen Lernvoraussetzungen der Kinder auf allen Sprachebenen (Phonetik, Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Pragmatik) in allen Bereichen (Sprache, Sprechen, Stimme, Redefluss, Schriftsprache, Schlucken) aus.
In den nun folgenden Abschnitten werden die einzelnen Dimensionen und ihre Akzentuierung näher erläutert. Am Ende des Buches (Kap. 10) wird die Anwendung des Münchener Modells bei der täglichen Unterrichtsplanung anhand eines Unterrichtsbeispiels konkretisiert.
2.1 Sprachliche Voraussetzungen und Folgen
Die genaue Kenntnis des sprachlichen Entwicklungsstandes und der sprachlichen Lernausgangslage sind für die effektive Planung eines sprachheilpädagogischen Unterrichts unerlässlich. Daraus leitet der Lehrer individuelle und klassenübergreifende sprachliche Förderziele ab, die den sprachheilpädagogischen Unterricht maßgeblich bestimmen (Kap. 2.2).
trichterförmiges Vorgehen
In Förderschulen werden bei Aufnahme der Schüler bereits grundlegende diagnostische Daten erhoben, die im Sinne von Verlaufsdiagnostik immer wieder überprüft und erweitert werden sollten. Sind die sprachlichen Fähigkeiten nur unzureichend erfasst, verschafft sich der Lehrer zunächst durch gezielte Beobachtung der Spontansprache im Schulalltag ein erstes Bild von den Schülern und stellt Hypothesen zu sprachlichen Fähigkeiten und Schwächen auf. Das weitere Vorgehen verläuft trichterförmig (Abb. 5): Gibt es zu einem Bereich Gruppenverfahren, so kann der Lehrer diese mit der ganzen Klasse durchführen und erhält dadurch ein Klassenprofil. Es existieren jedoch nur wenige sprachliche Gruppenverfahren, so dass der nächste Schritt meist aus einer kriteriengeleiteten Schülerbeobachtung anhand von Checklisten und Beobachtungsrastern im Unterricht besteht. Der Lehrer gewinnt allmählich einen differenzierten Überblick über die sprachlichen Stärken und Schwächen der Schüler und überprüft gegebenenfalls einzelne Schüler mit speziellen Diagnostikverfahren.
Neben der Sprache sind alle weiteren Entwicklungsbereiche wie Motorik, Sensorik, Kognition bzw. Rahmenbedingungen und das Umfeld der Schüler zu erfassen, da diese Bereiche sich auf sprachliches Lernen auswirken.
Kriterien zum Erfassen des sprachlichen Umfelds finden sich in Troßbach-Neuner 2006.
Erste Unterrichtsbeobachtung
allgemeine sprachliche Beobachtungshilfen
Für eine erste Unterrichtsbeobachtung eignen sich jegliche Kommunikationssituationen und Schüleräußerungen, v. a. in Erzählkreisen. Tabelle 1 zeigt einen Beobachtungsbogen zum Dokumentieren des ersten Eindrucks bezüglich des Sprech- und Sprachverhaltens der Schüler.
Der Beobachtungsbogen (Tabelle 1) kann unter http://www.reinhardtverlag.de heruntergeladen werden.
Auswertung
Der Lehrer trägt für jeden Schüler + (ja: sprachliche Stärke), U (Schüler zeigt Unsicherheiten) oder – (nein: sprachliche Schwäche) ein und erhält dadurch ein grobes Raster. Schüler, die durch viele Minus-Einträge sprachlich auffallen, müssen in der Folge genauer diagnostiziert werden.
Wir haben versucht, die Kriterien im Beobachtungsbogen positiv zu formulieren. Dies war jedoch in einigen Fällen nicht auf prägnante Art und Weise möglich. Trotzdem sind Stärken jeweils mit + und Schwächen mit – zu bewerten, so dass ein einheitliches Kompetenzprofil der Schüler entsteht.
Gruppenverfahren
Gruppenverfahren für Grammatik und Sprachverständnis
Gruppenverfahren liegen derzeit insbesondere für die Bereiche Grammatik und Sprachverständnis vor. Tabelle 2 gibt eine Übersicht.
Schule | Klasse | Lehrkraft | |||
Kompetenzprofil 1: Sprachliche Fähigkeiten – Screening | |||||
Sprachliches Verhalten im Unterricht | |||||
Aussprache: | |||||
Spricht deutlich und verständlich | |||||
Spricht alle Laute oder Lautverbindungen richtig | |||||
Grammatik: | |||||
Produziert alle Wörter und setzt sie an die richtigen Stellen im Satz | |||||
Verwendet korrekte Formen bei Partizipien, Verben, Kasus usw. | |||||
Greift sprachliche Anregungen des Lehrers auf (Impulse, sprachliche Hilfen) | |||||
Wortschatz: | |||||
Verwendet treffende, differenzierte Begriffe und keine Umschreibungen oder Allzweckwörter („Dings“) | |||||
Dem Schüler fallen Wörter und Begriffe schnell ein | |||||
Sprachverständnis: | |||||
Versteht, was im Unterricht gesprochen wird | |||||
Kann Anweisungen ohne Hilfe ausführen und orientiert sich nicht an anderen Kindern | |||||
Fragt bei Nichtverstehen gezielt nach | |||||
Ist nicht unaufmerksam oder unruhig | |||||
Pragmatik / Erzählverhalten: | |||||
Meldet sich oft sachbezogen im Unterricht | |||||
Liefert verständliche Beiträge im Unterricht | |||||
Erzählt Geschichten vollständig und verständlich | |||||
Nimmt sprachlichen Kontakt mit Mitschülern auf | |||||
Redefluss: | |||||
Spricht flüssig | |||||
Störungsbewusstsein: | |||||
Zeigt kein Vermeidungsverhalten | |||||
Leidet nicht unter seinen sprachlichen Problemen | |||||
Auswertung: + (ja: sprachliche Stärke), U (Schüler zeigt Unsicherheiten), – (nein: sprachliche Schwäche) Bitte in den grau unterlegten Feldern die Namen der Schüler eintragen! |
Name | Altersbereich | Erfasste Merkmale | Normierung | Dauer |
Grammatik | ||||
ESGRAF-Ergänzungen (Material-CD Motsch 2017) oder ESGRAF 4–8 (Motsch / Rietz 2016) | Ca. ab 2. Klasse (ausreichende Schreibfähigkeit) |
Genus, Kasus, Plural, komplexe Sätze | Nein | Je nach Schreibtempo |
SGF 2 (Mahlau 2016) | 2. Klasse | Genus, Plural, Akkusativ, Dativ, Subjekt-Verb-Kongruenz | Ja | 45 Minuten |
COPROF (Clahsen / Hansen 1991) |
Vorschulalter, für schwache Schüler auch im Schulalter | Computergestützte Auswertung einer Spontansprachprobe aus dem Unterricht im Sinne der Profilanalyse nach Clahsen (1986): Wort- / Konstituenten- und Satzstruktur in Phase I bis V | Nein | Erfassen von ca. 100 Äußerungen pro Schüler |
Deutsch als Zweitsprache. Einstufungshilfen (Behrendt et. al. 2016) | Ca. ab 2. Klasse (ausreichende Schreibfähigkeit) |
Satzmuster (einfache Satzstrukturen, W-Fragen, Satzfragen, Inversion, Nebensätze), Nomen (Artikel, Plural, Akkusativ, Dativ, Präpositionalphrase), Verben (einstellige Verben, Formen, Modalverben, trennbare Verben) | Nein | Je nach Schreibtempo |
Sprachverständnis | ||||
MSVK (Elben / Lohaus, 2000) | Vorschule / 1. Schuljahr | Rezeptiver Wortschatz, Wortbedeutung, Satzverständnis, Instruktionsverständnis | Ja | 30–45 min |
ASVT (Kleber / Fischer 1994) | 1. / 2. Schuljahr | Anweisungsverständnis, Sprachverständnis, Nachschlagen | Ja | 35–50 min |
Diagnoseverfahren:
Behrendt, R., Babbe, K., Kehbel, S. (2016): Deutsch als Zweitsprache. Sprache gezielt fördern. Einstufungshilfen. Schroedel, Braunschweig
Clahsen, H. (1986): Die Profilanalyse. Ein linguistisches Verfahren für die Sprachdiagnose im Vorschulalter. Marhold, Berlin
Clahsen, H., Hansen, D. (1991): COPROF (Computergestützte Profilanalyse). Köln
Elben, C. E., Lohaus, A. (2000): Marburger Sprachverständnistest für Kinder (MSVK). Hogrefe, Göttingen
Kleber, E. W., Fischer, R. (1994): Anweisungs- und Sprach-Verständnis-Test (ASVT). Beltz Verlag, Weinheim
Motsch, H.-J. (2017): Kontextoptimierung. Evidenzbasierte Intervention bei grammatischen Störungen in Therapie und Unterricht. Ernst Reinhardt Verlag, München/Basel (Screening auf der Material-CD)
Motsch, H.-J., Rietz, Ch. (2016): ESGRAF 4–8. Grammatiktest für 4- bis 8-jährige Kinder. Ernst Reinhardt Verlag, München/Basel
Kriteriengeleitete Beobachtung
Checklisten
Der Lehrer benötigt für eine kriteriengeleitete Beobachtung Checklisten mit differenzierten Angaben von Symptomen auf den einzelnen Sprachebenen. Im optimalen Fall fertigt der Lehrer von speziellen Kommunikationssituationen Ton- oder Videoaufzeichnungen an, um diese genauer auswerten zu können. Andernfalls ist es ratsam, auffällige Schüleräußerungen sofort mitzunotieren oder in einem Raster das entsprechende Symptom anzukreuzen. Erleichternd wirkt das Setzen von Beobachtungsschwerpunkten für bestimmte Zeitpunkte oder Situationen. Das heißt, der Lehrer beobachtet für Schüler, die in der Unterrichtsbeobachtung bereits aufgefallen sind, zunächst eine Sprachebene genauer, dann die nächste etc. Die Kriterien für die einzelnen Störungen finden sich in den jeweiligen Kapiteln zu den störungsspezifischen Methoden.
Das Übersichtsraster von Tabelle 3 kann unter http://www.reinhardt-verlag.de heruntergeladen werden.
Einzelverfahren
sprachliche Einzeldiagnostik
Eine sprachliche Einzeldiagnostik ist im Rahmen des Schulalltags derzeit zeitlich und personell kaum zu leisten. Hier können meist Sprachheillehrer in Förderstunden/Beratungsstellen oder außerschulische Stellen (v.a. sprachtherapeutische Praxen) für eine differenzierte individuelle Sprachdiagnostik herangezogen werden. Möchte ein Lehrer jedoch kurzfristig selbst aktiv werden, findet er in Nachschlagewerken das passende Verfahren. Einzelne gebräuchliche Testverfahren sind zudem in den Methodenkapiteln für die jeweiligen Sprachebenen aufgeführt.
Geeignete Nachschlagewerke für sprachliche Testverfahren sind:
Beushausen, U. (2007): Testhandbuch Sprache: Diagnostikverfahren in Logopädie und Sprachtherapie. Huber, Bern
Spreer, M. (2018): Diagnostik von Sprach- und Kommunikationsstörungen. Methoden und Verfahren für das Kindesalter. Ernst Reinhardt, München/Basel
Tollkühn, S., Spreer, M. (2005): Diagnostische Verfahren für die pädagogische und sprachheilpädagogische Arbeit. Handbuch. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig
Einen Überblick über verschiedene Testverfahren bietet die Testzentrale (http://www.testzentrale.de).
2.2 Intention
Ableitung von Förderzielen
Bei der Planung des sprachheilpädagogischen Unterrichts werden zwei Vorgehensweisen unterschieden: Der Lehrer kann von den sprachlichen Voraussetzungen der Schüler ausgehen und überlegen, in welches Schulfach er ein bestimmtes Förderziel (z.B. Kausalsätze, Wörter mit „sch“) integrieren kann. Ebenso kann er von den curricularen Lerninhalten ausgehen (z. B. ein Thema aus dem Sachunterricht oder Deutsch „Sprache untersuchen“) und überlegen, ob sich für die Kinder relevante Förderziele in deren Erarbeitung organisch einbetten lassen (Abb. 6).
Ausgangspunkt Inhalt
Bei manchen Unterrichtsstunden liegt es nahe, von deren Inhalt selbst auszugehen: Welche Zielstrukturen sind implizit vorhanden? Welche werden zum Fortgang des Unterrichts benötigt, z. B. für das Ausführen von Arbeitsschritten?
Ausgangspunkt Schüler
Gleichzeitig sollte der Lehrer die Förderbedürfnisse der Schüler im Blick haben. Für bestimmte Unterrichtsstunden wählt er eine Zielstruktur für einen Schüler oder eine Schülergruppe aus, die Voraussetzung und Auslöser weiterer sprachlicher Erwerbsprozesse ist. Leitfragen sind: Welche Auffälligkeiten zeigt die Klassenübersicht (Kap. 2.1)? Welche individuellen oder klassenbezogenen Förderziele stehen im Vordergrund?
Individuelle Förderziele
individuelle Förderziele
Aus den sprachlichen Voraussetzungen der Schüler ergeben sich individuelle Förderziele: Der Lehrer leitet aus den Beobachtungsrastern für jeden Schüler zwei bis drei Ziele aus den Minus-Bereichen ab und hält diese im Förderplan fest, z.B. Erwerb der Subjekt-Verb-Kongruenz; Verstehen von Passivsätzen; Anbahnung und Sicherung des Lautes „sch“.
Aufgreifen der Förderziele
Im sprachheilpädagogischen Unterricht werden diese individuellen Förderziele in einzelnen Unterrichtsabschnitten oder Förderstunden vertieft aufgegriffen. Während der Einführungs- und Übungsphasen zu einer bestimmten Zielstruktur ruft der Lehrer v.a. die Schüler auf, für die diese Struktur in der Zone der nächsten Entwicklung liegt und die diese erwerben sollen. Kinder, die diese Voraussetzungen noch nicht besitzen, werden sinnvollerweise nicht aufgerufen.
Bestimmte Unterrichtsphasen und Lernziele erfordern zudem gewisse sprachliche Strukturen, z. B. benötigt man Nebensatzkonstruktionen, um Zusammenhänge im Sachunterricht zu begründen.
Klassenbezogene Förderziele
Planung klassenbezogener Förderziele
Der Lehrer teilt für einen sprachheilpädagogischen Unterricht das Schuljahr in verschiedene sprachliche Schwerpunkte ein, um grundlegende Förderziele als Klassenziele jeweils für einige Wochen vertieft zu behandeln. Es ist grundsätzlich sinnvoll, im Jahreslauf vom Einfachen zum Komplexen zu planen. Zu Beginn des Schuljahres orientiert der Lehrer sich üblicherweise am sprachschwächsten Kind. Wenn z. B. in der ersten Klasse noch ein Kind die Klasse besucht, das die Verbzweitstellung bzw. die Subjekt-Verb-Kongruenz noch nicht beherrscht, werden in den verschiedenen Unterrichtsstunden vermehrt Kontexte hierzu angeboten. Erst später geht der Lehrer zu komplexeren Strukturen über (z.B. Kasus). Er empfindet die Sprachentwicklung in der Anordnung der Förderziele im Jahresverlauf nach.
Lernspiralprinzip
In jeder Klassenstufe sollte der Lehrer stets aufs Neue alle relevanten Förderbereiche einbinden und wiederholen. Idealerweise beginnt er auf einem immer höheren Anfangsniveau.
Sprachverständnissicherungund Wortschatzarbeit
In Tabelle 4 ist ein exemplarischer klassenübergreifender Förderplan für eine erste Jahrgangsstufe dargestellt. Zu Beginn bietet sich beispielsweise im Bereich Sprachverständnis das Monitoring des Sprachverstehens an, da ein gezieltes Nachfragen bei Nichtverstehen Grundvoraussetzung für einen Schulerfolg darstellt. Während der Förderung gewinnt der Lehrer zusätzlich Zeit, um die sprachlichen Voraussetzungen der Schüler differenzierter zu erfassen. Immerwährendes Ziel sind dabei Sprachverständnissicherung und Wortschatzarbeit und deshalb nicht explizit aufgeführt. Der zu erarbeitende Wortschatz leitet sich meist von fächerübergreifenden Themen aus dem Sachunterricht (SU), einer Lektüre oder Projekten ab.