Über dieses Buch
Ein Roman? Antiroman? Mit einer Genealogie u. a. von Timon von Athen, Hamlet, Robert Burtons Melancholie, Giannozzo, Franz Kafkas Protagonisten, Ferdydurke, Godot, Anton Unbekannt? Ein, der Romantik verpflichteter, modern anmutender Text! Offen, ohne Anfang und Ende, fragmentarisch, arabeskenhaft, voll schillernder Ambiguität, grotesk, komisch, ironisch, satirisch, paradox, Egotrip durch die Nacht, bodenlos idealisch im luftleeren Raum, kritisch streitend, schmähend, die bürgerliche Gesellschaft bizarr irritierend und oppositionell erschreckend. Travestien, Parodien, literarische Anspielungen, Abschweifungen, lyrische Einsprengsel, Berichte, Reden, Briefe, Gespräche, Reflexionen über Geistlichkeit und Rechtswesen oder die Nichtigkeit und Maskenhaftigkeit von Himmel und Erde wechseln in 16 Nachtwachen mit enthüllenden Bruchstücken des bunten Lebenslaufs (Ziehsohn eines grübelnden Flickers, Bänkelsänger, Aufseher im Tollhaus, Spieler des Hanswurst im Marionettentheater) von Kreuzgang, dem Nachtwächter, nach dem Ort benamt, wo der Findling gefunden. Ein Dichter hängt sich auf, ein Freigeist stirbt, eine Nonne, die ein Kind gebar, wird von gläubigen Eiferern lebendig begraben et cetera. Das menschliche Dasein ist reiner Wahnsinn! Lächerliche Nichtigkeit treibt in das große Nichts.
Der Autor
Ernst August Friedrich Klingemann, Sohn eines Kopisten und einer aus der Musikerfamilie Weinholtz stammenden Mutter, geboren am 31. Aug. 1777 in Braunschweig, gestorben am 25. Januar 1831, ebenda. Schriftsteller, Dramaturg, Regisseur. Er besucht zunächst das Braunschweiger Katharineum, dann das Collegium Carolinum. 1795, Wildgraf Eckard von der Wölpe (Roman); 1796, Die Asseburg (Schauspiel); 1797, Die Maske (Trauerspiel). 1798, Studium der Rechtswissenschaft und Philosophie (Vorlesungen Fichtes, Schellings und A. W. Schlegels) in Jena. 1800, mit Brentano Herausgabe der Zeitschrift Memnon (1 Band), Romano (Roman), Selbstgefühl (Schauspiel). 1801, Studienabbruch; Rückkehr nach Braunschweig. Mitarbeiter der Zeitung für die elegante Welt. 1803, Albano der Lautenspieler (Roman). 1804, unter Pseudonym, Nachtwachen von Bonaventura. [Wer sich hinter diesem Pseudonym verbarg, war lange Zeit nicht zu verifizieren. Clemens Brentano, Friedrich Schlegel, Friedrich Wilhelm Schelling, Caroline Schelling, E. T. A. Hoffmann, Friedrich Gottlob Wetzel, Gotthilf Heinrich Schubert u. a. wurden als Urheber vermutet. J. Schillemeit, H. Fleig und R. Haag wiesen in den 1970ern und 1980ern dann die Verfasserschaft Klingemanns mit großer Wahrscheinlichkeit nach.] Mit Der Schweizerbund und Der Bettler von Neapel, 1805, beginnt August Klingemanns damals beliebte Dramen-Serie der nächsten Jahrzehnte. Ab 1813 widmet er sich vor allem dem Braunschweiger Theater, das er seit 1818 leitet. Mit seiner Frau, der Schauspielerin Elise Anschütz, Kunstreisen in Deutschland (Reisetagebuch Kunst und Natur). 1829, erste öffentliche Aufführung von Goethes Faust unter seiner Regie und Ernennung zum Professor am Carolinum.
Der Herausgeber
Joerg K. Sommermeyer (JS), * 14.10.1947 in Brackenheim, Sohn des Physikers Prof. Dr. Kurt Hans Sommermeyer. Kindheit in Freiburg. Studierte Jura, Philosophie, Germanistik, Geschichte und Musikwissenschaft. Klassische Gitarre bei Viktor v. Hasselmann und Anton Stingl. Unterrichtete in den späten Sechzigern Gitarre am Kindergärtnerinnen-/Jugendleiterinnenseminar und in den Achtzigern Rechtsanwaltsgehilfinnen in spe an der Max-Weber-Schule in Freiburg. 1976 bis 2004 Rechtsanwalt in Freiburg. Setzte sich für eine Verstärkung des Rechtsschutzes bei Grundrechtseingriffen ein (Unterbringungsrecht, Untersuchungshaft, Durchsuchungsrecht). Zahlreiche Veröffentlichungen in juristischen Fachzeitschriften sowie Artikel in Musikblättern. Gründer und Vorsitzender der Internationalen Gitarristischen Vereinigung, Organisator und Künstlerischer Leiter der Freiburger Gitarren- und Lautentage, Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift Nova Giulianiad: Saitenblätter für die Gitarre und Laute. Juror beim Schlesischen Gitarrenherbst in Tychy und Internationalen Gitarrenkongress Freiburg/Basel/Straßburg. Songs, Liedtexte, Arrangements, Instrumentalmusik. 7 CDs, u. a.: Total Overdrive, Those Rocks & Lieders, Nel Cuore Romanzo Rock, Ergo, 7 Celebrities. Prosa: Anton Unbekannt, Pathoaphysischer Antiroman, Tragigroteskenfragment, 2008/2009; Vernimm mein Schreien, 2017/2018. Lieblingsmärchen, 2017/2018. Editionen u. a. von Werken Hugo Balls, Carl Einsteins, Franz Kafkas, Heinrich von Kleists, Robert Müllers, Rainer Maria Rilkes, Heinrich Heines, Eduard von Keyserlings und Johann Wolfgang von Goethes.
Orlando Syrg, Berlin, 26. Februar 2019
MMXIX
1. Auflage 2019
Orlando Syrg, Berlin (vormals Freiburg i. Brsg.)
Orlando Syrg Taschenbuch
ORSYTA 5 2 0 1 9
Reihe Alte Tradition Azurcelesteblueoscuro
RAT ACBO 18
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm
oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter
Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Revision, Herausgabe und Nachwort:
Joerg K. Sommermeyer
Umschlaggestaltung (unter Verwendung eines Gemäldes von
Carl Spitzweg, Der Nachtwächter, um 1875, auf der Vorderseite): JS
Lektorat, Satz und Layout: Roland König, JS, Ton Unbe, Waltraut
Schmidt, Hans Ohnson, Paul Deros, Marga Sadau, Lars Penath
Herstellung, Vertrieb, Verlag BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
Made in Germany
ISBN 9783749487677
[F. Dienemann und Comp., Penig 1804/1805]
Erste Nachtwache
Die Nachtstunde schlug; ich hüllte mich in meine abenteuerliche Vermummung, nahm die Pike und das Horn zur Hand, ging in die Finsternis hinaus und rief die Stunde ab, nachdem ich mich durch ein Kreuz gegen die bösen Geister geschützt hatte.
Es war eine von jenen unheimlichen Nächten, wo Licht und Finsternis schnell und seltsam miteinander abwechselten. Am Himmel flogen die Wolken, vom Winde getrieben, wie wunderliche Riesenbilder vorüber, und der Mond erschien und verschwand im raschen Wechsel. Unten in den Straßen herrschte Totenstille, nur hoch oben in der Luft hauste der Sturm, wie ein unsichtbarer Geist.
Es war mir schon recht, und ich freute mich über meinen einsam widerhallenden Fußtritt, denn ich kam mir unter den vielen Schläfern vor wie der Prinz im Märchen in der verzauberten Stadt, wo eine böse Macht jedes lebende Wesen in Stein verwandelt hatte; oder wie ein einzig Übriggebliebener nach einer allgemeinen Pest oder Sündflut.
Der letzte Vergleich machte mich schaudern, und ich war froh ein einzelnes mattes Lämpchen noch hoch oben über der Stadt auf einem freien Dachkämmerchen brennen zu sehen.
Ich wusste wohl, wer da so hoch in den Lüften regierte; es war ein verunglückter Poet, der nur in der Nacht wachte, weil dann seine Gläubiger schliefen, und die Musen allein nicht zu den letzteren gehörten.
Ich konnte es mir nicht versagen, ihm folgende Standrede zu halten:
»O du, der du da oben dich herumtreibst, ich verstehe dich wohl, denn ich war einst deinesgleichen! Aber ich habe diese Beschäftigung aufgegeben gegen ein ehrliches Handwerk, das seinen Mann ernährt, und das für denjenigen, der sie darin aufzufinden weiß, doch keineswegs ganz ohne Poesie ist. Ich bin dir gleichsam wie ein satirischer Stentor in den Weg gestellt und unterbreche deine Träume von Unsterblichkeit, die du da oben in der Luft träumst, hier unten auf der Erde regelmäßig durch die Erinnerung an die Zeit und Vergänglichkeit. Nachtwächter sind wir zwar beide; schade nur dass dir deine Nachtwachen in dieser kalt prosaischen Zeit nichts einbringen, indes die meinigen doch immer ein Übriges abwerfen. Als ich noch in der Nacht poesierte, wie du, musste ich hungern, wie du, und sang tauben Ohren; das letztere tue ich zwar noch jetzt, aber man bezahlt mich dafür. O Freund Poet, wer jetzt leben will, der darf nicht dichten! Ist dir aber das Singen angeboren, und kannst du es durchaus nicht unterlassen, nun so werde Nachtwächter, wie ich, das ist noch der einzige solide Posten wo es bezahlt wird, und man dich nicht dabei verhungern lässt. – Gute Nacht, Bruder Poet.«
Ich blickte noch einmal hinauf, und gewahrte seinen Schatten an der Wand, er war in einer tragischen Stellung begriffen, die eine Hand in den Haaren, die andre hielt das Blatt, von dem er wahrscheinlich seine Unsterblichkeit sich vorrezitierte.
Ich stieß ins Horn, rief ihm laut die Zeit zu, und ging meiner Wege. –
Halt! Dort wacht ein Kranker – auch in Träumen, wie der Poet, in wahren Fieberträumen!
Der Mann war ein Freigeist von jeher, und er hält sich stark in seiner letzten Stunde, wie Voltaire. Da sehe ich ihn durch den Einschnitt im Fensterladen; er schaut blass und ruhig in das leere Nichts, wohin er nach einer Stunde einzugehen gedenkt, um den traumlosen Schlaf auf immer zu schlafen. Die Rosen des Lebens sind von seinen Wangen abgefallen, aber sie blühen rund um ihn auf den Gesichtern dreier holder Knaben. Der jüngste droht ihm kindlich unwissend in das blasse starre Antlitz, weil es nicht mehr lächeln will, wie sonst. Die andern beiden stehen ernst betrachtend, sie können sich den Tod noch nicht denken in ihrem frischen Leben.
Das junge Weib dagegen mit aufgelöstem Haar und offner schöner Brust, blickt verzweifelnd in die schwarze Gruft, und wischt nur dann und wann den Schweiß, wie mechanisch von der kalten Stirn des Sterbenden.
Neben ihm steht, glühend vor Zorn, der Pfaff mit aufgehobenem Kruzifixe, den Freigeist zu bekehren. Seine Rede schwillt mächtig an wie ein Strom, und er malt das Jenseits in kühnen Bildern; aber nicht das schöne Morgenrot des neuen Tages und die aufblühenden Lauben und Engel, sondern, wie ein wilder Höllenbrueghel, die Flammen und Abgründe und die ganze schaudervolle Unterwelt des Dante.
Vergebens! Der Kranke bleibt stumm und starr, er sieht mit einer fürchterlichen Ruhe ein Blatt nach dem anderen abfallen, und fühlt wie sich die kalte Eisrinde des Todes höher und höher zum Herzen hinaufzieht.
Der Nachtwind pfiff mir durch die Haare und schüttelte die morschen Fensterläden, wie ein unsichtbarer herannahender Todesgeist. Ich schauderte, der Kranke blickte plötzlich kräftig um sich, als gesundete er rasch durch ein Wunder und fühlte neues höheres Leben. Dieses schnelle leuchtende Auflodern der schon verlöschenden Flamme, der sichere Vorbote des nahen Todes, wirft zugleich ein glänzendes Licht in das vor dem Sterbenden aufgestellte Nachtstück, und leuchtet rasch und auf einen Augenblick in die dichterische Frühlingswelt des Glaubens und der Poesie. Sie ist die doppelte Beleuchtung in Correggios Nacht, und verschmilzt den irdischen und himmlischen Strahl zu einem wunderbaren Glanze.
Der Kranke wies die höhere Hoffnung fest und entschieden zurück, und führte dadurch einen großen Moment herbei. Der Pfaff donnerte ihm zornig in die Seele und mahlte jetzt mit Flammenzügen wie ein Verzweifelnder, und bannte den ganzen Tartarus herauf in die letzte Stunde des Sterbenden. Dieser lächelte nur und schüttelte den Kopf.
Ich war in diesem Augenblick seiner Fortdauer gewiss; denn nur das endliche Wesen kann den Gedanken der Vernichtung nicht denken, während der unsterbliche Geist nicht vor ihr zittert, der sich, ein freies Wesen, ihr frei opfern kann, wie sich die indischen Weiber kühn in die Flammen stürzen, und der Vernichtung weihen.
Ein wilder Wahnsinn schien bei diesem Anblick den Pfaffen zu ergreifen, und getreu seinem Charakter redete er jetzt, indem ihm das Beschreiben zu ohnmächtig erschien, in der Person des Teufels selbst, der ihm am nächsten lag. Er drückte sich wie ein Meister darin aus, echt teuflisch im kühnsten Stile, und fern von der schwachen Manier des modernen Teufels.
Dem Kranken wurde es zu arg. Er wandte sich finster weg, und blickte die drei Frühlingsrosen an, die um sein Bette blühten. Da loderte die ganze heiße Liebe zum letzten Male in seinem Herzen auf, und über das blasse Antlitz flog ein leichtes Rot, wie eine Erinnerung. Er ließ sich die Knaben reichen, und küsste sie mit Anstrengung, dann legte er das schwere Haupt an die hochwallende Brust des Weibes, stieß ein leises, Ach! aus, das mehr Wollust als Schmerz schien, und entschlief liebend im Arm der Liebe.
Der Pfaff seiner Teufelsrolle getreu, donnerte ihm, der Bemerkung gemäß, dass das Gehör bei Verstorbenen noch eine längere Zeit reizbar bleibt, in die Ohren, und versprach ihm in seinem eigenen Namen fest und bündig, dass der Teufel nicht nur seine Seele, sondern auch seinen Leib abfordern würde.
Somit stürzte er fort, und hinaus auf die Gasse. Ich war verwirrt worden, hielt ihn in der Täuschung wahrhaft für den Teufel, und setzte ihm, als er an mir vorüberfahren wollte, die Pike auf die Brust. »Geh zum Teufel!« sagte er schnaubend, da besann ich mich und sagte: »Verzeiht, Hochwürdiger, ich hielt euch in einer Art Besessenheit für ihn selbst, und setzte euch deshalb die Pike, als ein Gottseibeiuns! aufs Herz. Haltet mir's diesmal zugute!«
Er stürzte fort.
Ach! Dort im Zimmer war die Szene lieblicher worden. Das schöne Weib hielt den blassen Geliebten still in ihren Armen, wie einen Schlummernden; in schöner Unwissenheit ahnte sie den Tod noch nicht, und glaubte, dass ihn der Schlaf zum neuen Leben stärken werde – ein holder Glaube, der im höhern Sinne sie nicht täuschte. Die Kinder knieten ernst am Bette, und nur der jüngste bemühte sich den Vater zu wecken, während die Mutter, ihm schweigend mit den Augen zuwinkend, die Hand auf sein umlocktes Haupt legte.
Die Szene war zu schön; ich wandte mich weg, um den Augenblick nicht zu schauen, in dem die Täuschung schwände.
Mit gedämpfter Stimme sang ich einen Sterbegesang unter dem Fenster, um in dem noch hörenden Ohre den Feuerruf des Mönchs durch leise Töne zu verdrängen. Den Sterbenden ist die Musik verschwistert, sie ist der erste süße Laut vom fernen Jenseits, und die Muse des Gesanges ist die mystische Schwester, die zum Himmel zeigt. So entschlummerte Jakob Böhme, indem er die ferne Musik vernahm, die niemand, außer dem Sterbenden hörte.
Zweite Nachtwache
Die Stunde rief mich wieder zu meiner nächtlichen Hantierung; da lagen die öden Straßen, wie zugedeckt vor mir, und nur dann und wann flog ein Wetterleuchten luftig und rasch durch sie hin, und weit, weit in der Ferne murmelte es drein wie unverständlicher Zauberspruch.
Mein Poet hatte das Licht ausgelöscht, weil der Himmel leuchtete und er dies letztere für wohlfeiler und poetischer zugleich hielt. Er schaute hoch droben in die Blitze hinein, im Fenster liegend, das weiße Nachthemd offen auf der Brust, und das schwarze Haar struppig und unordentlich um den Kopf. Ich erinnerte mich an ähnliche überpoetische Stunden, wo das Innere Sturm ist, der Mund im Donner reden, und die Hand statt der Feder den Blitz ergreifen möchte, um damit in feurigen Worten zu schreiben. Da fliegt der Geist von Pol zu Pol, glaubt das ganze Universum zu überflügeln, und wenn er zuletzt zur Sprache kommt – so ist es kindisch Wort, und die Hand zerreißt rasch das Papier.
Ich bannte diesen poetischen Teufel in mir, der am Ende immer nur schadenfroh über meine Schwäche aufzulachen pflegte, gewöhnlich durch das Beschwörungsmittel der Musik. Jetzt pflege ich nur ein paarmal gellend ins Horn zu stoßen, und da geht's auch vorüber.
Überall kann ich all denen, die sich vor ähnlichen poetischen Überraschungen wie vor einem Fieber scheuen, den Ton meines Nachtwächterhorns als ein echtes antipoeticum empfehlen. Das Mittel ist wohlfeil und von großer Wichtigkeit zugleich, da man in jetziger Zeit mit Plato die Poesie für eine Wut zu halten pflegt, mit dem einzigen Unterschied, dass jener diese Wut vom Himmel und nicht aus dem Narrenhaus herleitete.
Mag dem indes sein, wie ihm wolle, so bleibt es doch heutzutage mit der Dichterei überall bedenklich, weil es so wenig Verrückte mehr gibt, und ein solcher Überfluss an Vernünftigen vorhanden ist, dass sie aus ihren eigenen Mitteln alle Fächer und sogar die Poesie besetzen können. Ein rein Toller, wie ich, findet unter solchen Umständen kein Unterkommen. Ich gehe deshalb auch nur jetzt bloß noch um die Poesie herum, das heißt, ich bin ein Humorist worden, wozu ich als Nachtwächter die meiste Muße habe. –
Meinen Beruf zum Humoristen müsste ich hier freilich wohl zuvor erst dartun, allein ich lasse mich nicht darauf ein, weil man es überhaupt jetzt mit dem Beruf selbst so genau nicht nimmt, und sich dagegen mit dem Ruf allein begnügt. Gibt es doch auch Dichter ohne Beruf, durch den bloßen Ruf – und somit ziehe ich mich aus dem Handel.
Eben flammte ein Blitz durch die Luft, da schlichen drei an der Kirchhofsmauer hin wie Karnevalslarven. Ich rief sie an, doch war's schon wieder Nacht ringsum, und ich sah nichts, als einen glühenden Schweif und ein paar feurige Augen, und zu dem fernen Donner murmelte eine Stimme in der Nähe, wie zu einer Don Juans Begleitung: »Tu was deines Amtes ist, Nachtrabe; aber mische dich nicht ins Geisterwerk!«
Das war mir doch etwas zu arg, und ich warf meine Pike dahin, wo die Stimme her kam; eben blitzte es wieder – da waren die drei in Luft zerronnen, wie Macbeths Hexen.
»Erkennt ihr mich nicht für einen Geist an;« – rief ich noch zornig hinterdrein, in der Hoffnung dass sie's vernähmen – »und doch war ich Poet, Bänkelsänger, Marionettendirekteur und alles dergleichen Geistreiches nacheinander. Ich möchte doch eure Geister gekannt haben im Leben – wenn ihr anders wirklich bereits daraus seid! – ob sich der meinige mit ihnen nicht hätte messen können; oder habt ihr einen Zusatz von Geist erhalten nach eurem Tode, wie wir das Beispiel bei manchen großen Männern erfuhren, die erst nach ihrem Tode berühmt wurden, und deren Schriften durch das lange Liegen an Geist gewannen; gleich dem Weine der mit dem zunehmenden Alter geistreicher wird.« –
Jetzt war ich der Wohnung des exkommunizierten Freigeistes bis auf einige Schritte nahe gekommen. Aus der offenen Tür legte sich ein matter Schein in die Nacht hinein, und floss oft seltsam mit dem Wetterleuchten zusammen, auch murmelte es vernehmlicher von den fernen Bergen herüber, wie wenn das Geisterreich sich ernstlich ins Spiel zu mischen gedächte.
Auf der Hausflur war der Tote, der üblichen Sitte gemäß, offen ausgestellt, um ihn her brannten wenige ungeweihte Kerzen, weil der Pfaff, teuflischen Andenkens, die Weihe verweigert hatte. Der Verstorbene lächelte in seinem festen Schlafe darüber, oder über seinen eignen törichten Wahn, den das Jenseits widerlegt hatte, und sein Lächeln glänzte wie ein ferner Widerschein vom Leben über die starren vom Tode verfestigten Züge.
Durch eine lange, wenig erleuchtete Halle, schaute man in eine schwarz behängte Nische; dort knieten unbeweglich die drei Knaben und die blasse Mutter vor einem Altare – die Gruppe der Niobe mit ihren Kindern – in stummes angstvolles Gebet versunken, um Leib und Seele des Verstorbenen dem Teufel, dem der Pfaff sie zugesprochen, zu entreißen.
Der Bruder des Abgeschiedenen allein, ein Soldat, hielt im festen sichern Glauben an den Himmel und an seinen eigenen Mut, der es mit dem Teufel selbst aufzunehmen wagte, Wache an dem Sarg. Sein Blick war ruhig und erwartend, und er schaute abwechselnd in das starre Antlitz des Toten und in das Wetterleuchten, das oft feindlich durch den matten Schein der Kerzen zuckte; sein Säbel lag gezogen auf der Leiche, und glich mit seinem wie ein Kreuz gestalteten Griff einer geistlichen und weltlichen Waffe zugleich.
Übrigens herrschte Totenstille ringsum, und außer dem fernen Murren des Gewitters und dem Knistern der Kerzen vernahm man nichts.
So blieb's, bis in einzelnen ernsten Schlägen die Glocke Mitternacht ankündigte; – da führte plötzlich der Sturmwind hoch oben in den Lüften die Gewitterwolke wie ein nächtliches Schreckbild herüber, und bald hatte sie ihr Grabtuch am ganzen Himmel ausgebreitet. Die Kerzen um den Sarg verlöschten, der Donner brüllte zürnend, wie eine aufrührerische Macht herunter und rief die festen Schläfer auf, und die Wolke spie Flamme auf Flamme aus, wodurch das starre blasse Antlitz des Toten allein grell und periodisch beleuchtet wurde.
Ich sah jetzt, dass der Säbel des Soldaten durch die Nacht blitzte, und dieser sich mutig zum Kampfe rüstete.
Es währte auch nicht lange – die Luft warf Blasen auf, und die drei Macbeths Geister waren plötzlich wieder sichtbar, wie wenn der Sturmwind sie beim Scheitel herangewirbelt hätte. Der Blitz beleuchtete verzogene Teufelslarven und Schlangenhaar, und den ganzen höllischen Apparat.
Mich fasste in dem Augenblick der Teufel bei einem Haar, und als sie die Gasse herauffuhren, mischte ich mich rasch unter sie. Sie stutzten, als ob sie auf bösen Wegen gingen, über den vierten ungebetenen der zu ihnen stieß. »Nun zum Teufel! Kann der Teufel auch auf guten Wegen gehen!« rief ich wildlachend aus. »Drum lasst euch nicht irren, dass ich euch auf bösen antreffe. Ich bin euresgleichen, Brüder, ich mache mit euch Gemeinschaft!« – Das brachte sie wahrhaftig in Verlegenheit. Der eine stieß ein »Gott sei bei uns!« aus, und bekreuzte sich, was mich Wunder nahm, weshalb ich ausrief: »Bruder Teufel fall nicht so hart aus dem Charakter, ich möchte sonst beinahe an dir selbst verzweifeln und dich für einen Heiligen halten, zum Mindesten für einen Geweihten. – Überlege ich's indes reiflicher, so muss ich dir wohl eher Glück wünschen, dass du endlich auch das Kreuz verdaut hast, und von Haus aus ein eingefleischter Teufel, dich dem Scheine nach zu einem Heiligen ausbildetest!«
An der Sprache mochten sie es endlich weghaben, dass ich nicht einer ihresgleichen wäre, und sie fuhren alle drei auf mich ein, und sprachen nun gar in einem echt klerischen Tone von Exkommunizieren, u. dgl., wenn ich sie in ihrer Hantierung stören würde.
»Sorgt nicht«, erwiderte ich, »ich habe bisher wahrlich an den Teufel nicht geglaubt, doch seit ich euch gesehen, ist er mir klar worden, und ich bin gewiss, dass ihr zunftfähig seid. Macht eure Sachen ab, denn mit der Hölle und der Kirche kann's kein armer Nachtwächter aufnehmen.«
Dahin fuhren sie, ins Haus hinein. Ich folgte bedenklich nach.
Es war ein furchtbares Schauspiel, Blitz und Nacht wechselten Schlag auf Schlag. Jetzt war es hell und man sah das Handgemenge der drei um den Sarg und das Blitzen des Säbels in der Hand des eisenfesten Kriegsmannes, dazwischen schaute der Tote mit seinem blassen starren Gesicht unbeweglich wie eine Larve. Dann war es wieder tiefe Nacht, und nur fern, im Hintergrunde der Nische ein matter Schimmer und die kniende Mutter mit den drei Kindern rang im verzweifelnden Gebet.
Es ging alles still und ohne Worte zu; aber jetzt krachte es auf einmal zusammen, wie wenn der Teufel die Oberhand erhielte. Die Blitze wurden sparsamer und es blieb längere Zeit Nacht. Nach einem Weilchen indes fuhren zwei rasch zur Tür heraus, und ich sah es durch die Finsternis bei dem Leuchten ihrer Augen – sie trugen wirklich einen Toten mit sich fort.
Da stand ich, in mich hineinfluchend vor der Tür; auf der Flur war es ganz finster, keine Seele regte sich, und ich glaubte auch dem wackeren Kriegsmarine, zum Mindesten, den Hals gebrochen.
In diesem Augenblick flammte ein heftiger Blitz, mit dem sich die Gewitterwolke völlig entlud, und blieb, gleichsam wie eine aufgepflanzte Fackel, eine Zeitlang in der Luft, ohne zu verlöschen. Da sah ich den Soldaten wieder ruhig und kalt am Sarge stehen, und die Leiche lächelte wie zuvor – aber, o Wunder! Dicht neben dem lächelnden Totenantlitz grinste eine Teufelslarve, und der Rumpf fehlte zum Ganzen, und ein purpurroter Blutstrom färbte das weiße Sterbegewand des schlafenden Freigeistes. –
Schaudernd wickelte ich mich in meinen Mantel, vergaß es, zu blasen und die Stunde abzusingen und floh meiner Hütte zu.
Dritte Nachtwache
Wir Nachtwächter und Poeten kümmern uns um das Treiben der Menschen am Tage, in der Tat wenig; denn es gehört zur Zeit zu den ausgemachten Wahrheiten: Die Menschen sind wenn sie handeln höchst alltäglich und man mag ihnen höchstens wenn sie träumen einiges Interesse abgewinnen.
Aus diesem Grunde erfuhr ich denn auch von dem Ausgang jener Begebenheit nur Unzusammenhängendes, das ich eben so unzusammenhängend mitteilen will.