Mykonos Crime 1 Die Bestie von Mykonos
Mykonos Crime 2 Rache
Mykonos Crime 3 Tattoo
Mykonos Crime 4 Der Drei-Sterne-Mord
Mykonos Crime 5 Inzest
Mykonos Crime 6 Skalpell
Mykonos Crime 7 Hass
Mykonos Crime 8 Sturm über Mykonos
Andere Mykonos-Bücher siehe Buchende
Impressum
Titelbild: istockphoto
Copyright Paul Katsitis 2019
ISBN 9783749415366
Druck Books on Demand GmbH
Jeder Band behandelt einen abgeschlossenen
Fall, sodass die Bände nicht in der Reihenfolge
gelesen werden müssen.
Alle Bücher der Serie wurden in Griechenland
gesetzt. Da griechische Setzer keine deutschen
Fehler erkennen können, finden sich in dem Buch
sicher mehr Fehler als in einem normalen Buch.
Aber so bleiben wenigstens ein paar Euro in
Griechenland.
Aus dem Griechischen übersetzt von Norbert
Schneider
Alexandros Nikakis (früher Galis), 35, war leitender Kommissar auf Mykonos und ist verheiratet mit
Angelos Nikakis, 29, war Hauptkommissar in Thessaloniki.
Nach ihrem Kennenlernen beschlossen beide, den Dienst zu quittieren und auf Mykonos eine Bar zu eröffnen. Zugleich sind sie als Privatdetektive tätig. Seit wenigen Monaten ist Angelos auch Bürgermeister.
Rakka
Abu Bakar saß zusammengekauert in einem Keller in Rakka. Oder besser gesagt: den Resten eines Kellers, denn die eine Seite war eingestürzt. Von dem Gebäude selber war ohnehin nichts mehr übrig. Eines der gefürchteten Sprengfässer der Assad-Luftwaffe hatte es dem Erdboden gleichgemacht.
Abu Bakar hatte Durst.
Wann habe ich das letzte Mal etwas gegessen? fragte er sich. Und welcher Tag war heute? Seit seiner Entdeckung war er in jeder Hinsicht orientierungslos. Nicht nur in Bezug auf alltägliche Dinge. Sein ganzes Leben schien sinnlos geworden.
Oh ja, er war mit Feuereifer in den Kampf gezogen. Für die gerechte Sache Allahs. Es war alternativlos. Er MUSSTE nach Rakka und seinen Brüdern im Kampf gegen den verderbten Westen und den gottlosen Assad helfen. Abu Bakar hatte zwar noch nie ein Gewehr in der Hand gehabt – er war Biochemiker – aber schnell lernte er sein Geschäft. Ja, die ersten Leichen waren gewöhnungsbedürftig. Zerfetzte Leiber, Kinder ohne Gliedmaßen.
Aber wo gehobelt wird … Lange Zeit sah es aus, als würden sie siegen und den Gottesstaat als Modell exportieren können.
Dann kam die doppelte Ernüchterung, letzte Woche.
Plötzlich hörte man von außen Schüsse. Die Amerikaner oder Franzosen näherten sich seinem Gebäude. Hoffentlich halten sie das Haus für vollständig zerstört und sehen die Öffnung mit Gitterstäben nicht.
Seine Gedanken kehrten zurück zu letzter Woche.
Eines Abends wollte er seinen Kommandeur darum bitten, das Satellitentelefon benutzen zu dürfen, um seine Mutter anrufen zu können.
Die Türe war nur angelehnt und er hörte seltsame, fast animalische Geräusche. Als er in den Raum trat, sah er seinen Vorgesetzten, wie er einen kleinen Jungen vergewaltigte.
Und es war dem Mann auch vollkommen egal, dass ein Anderer ihn gesehen hat. Sein Kommandeur zeigte keinerlei Reaktion: weder peinlich berührt, noch aggressiv.
Als wäre es nichts Besonderes.
Abu Bakar hingegen war wie betäubt. Die Rechtsprechung des IS war eindeutig:
Scharia, hieß: Steinigung. Aber er fürchtete sich vor seinem Kommandeur und verdrängte das Erlebte. Ein einziger Sünder.
Zwei Tage später sollten er und sein Trupp einige LKWs begleiten und sichern. Als die Kolonne in Rakka eintraf und entladen wurde, platzte einer der Säcke.
Kokain. Er kannte es aus Kandahar.
Und es war eine ganze Kolonne, also eine Riesenmenge. Sie betrieben Drogenhandel in großem Stil. Da begriff Abu Bakar, dass es hier nicht um Allah oder den Islam ging. Eine Welt stürzte zusammen. Es zog ihm regelrecht die Beine weg.
Abu Bakar wollte weg. Aber wie soll man aus einer umzingelten Stadt fliehen?
So saß er nun in diesem Rattenloch und lauschte. Die Schritte kamen näher. Dann hörte er ein Rufen, als hätte man etwas entdeckt. Das Kellerfenster. Sie hatten es also nicht übersehen. Verflucht.
Abu Bakar drückte sich an die Wand. Die Stimmen waren nun ganz nah. Sie würden ihn entdecken.
In die Ecke. Ich muss in die Ecke. Wenn ich mich dort an die Wand presse, ist der Winkel für eine Schusswaffe zu steil.
Ich könnte überleben.
Abu Bakar zitterte.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie etwas durch die Gitterstäbe geschoben wurde.
Er hielt es für ein Gewehr.
Aber es war ein Flammenwerfer.
Das Feuer raste auf ihn zu und traf ihn wie ein Keulenschlag. Abu Bakar schrie wie am Spieß.
Die Hälfte des Gesichts und das linke Auge waren schlicht verdampft.
15 Monate später, 10 Seemeilen vor Mykonos
Der Kutter „Maria“ verlangsamte seine Fahrt, dann wurden die Motoren abgestellt. Selbst aus nächster Nähe hätte man ihn für ein Fischerboot gehalten. Und zwar für ein älteres, denn die Farbe blätterte an manchen Stellen ab. Doch der etwas abgetakelte Look war künstlichen Ursprungs. Die Farbschicht wurde an vielen Stellen entfernt und mit Klarlack versehen. Die Aufbauten entsprachen denen eines Fischerkutters, hatten aber andere Funktionen. Die „Brücke“ hatte hinten einen zusätzlichen Raum, der mit modernster Technik ausgestattet war. Das Sonar war nicht weiter auffällig, denn es gehört mittlerweile zur Grundausstattung der meisten Fischerboote.
Die Zeiten, in denen Männer mit gegerbtem Gesicht – gezeichnet von Sonne und Meer – in ihren Schalluppen in See stachen, waren schon längst vorbei.
Unter Deck war alles vom Feinsten. Teakholz.
Kajüte gab es keine, stattdessen eine Profiküche, in der ein hochbezahlter Koch Speisen zubereitete. Halal natürlich.
Eines jedoch suchte man vergeblich: Spiegel.
Es gab lediglich entspiegeltes Glas.
Noch immer konnte Abu Bakar seinen eigenen Anblick nicht ertragen. Und so ging es auch allen Menschen, die er traf. In den Gesichtern konnte er den Ekel und das Entsetzen sehen. Dabei trug er eine Maske, die das halbe Gesicht bedeckte. Darunter war nichts mehr, was an ein menschliches Antlitz erinnerte.
Rakka.
Der Wendepunkt im Leben Abu Bakars. Er hatte sich im Keller eines ausgebombten Kellers versteckt. Doch die Amerikaner setzten bei Kellern Flammenwerfer ein. Und die flüssige Hölle traf ihn im Gesicht und ließ die rechte Hälfte regelrecht schmelzen.
Kurz darauf setzten die Schmerzen ein. Abu Bakar schrie stundenlang. Nicht, um auf sich aufmerksam zu machen. Es wäre ihm lieber gewesen, er wäre komplett verbrannt und verstorben. Stattdessen überlebte er. Und wurde von anderen IS-Kämpfern gefunden.
Man brachte ihn in ein örtliches Krankenhaus.
Ein Trümmerhaufen, in dem Hunderte von Menschen auf den Gängen lagen. Der Boden war durchgehend rot. Blut. Zwei Mal am Tag wurde es mit einem Schlauch hinausgespritzt.
Man hatte Abu Bakar in eine Ecke gelegt, nein, geworfen. Zum Sterben. Schmerzmittel gab es keine.
Es war ein Wunder, dass man ihn nicht bestohlen hatte. So besaß er noch seinen Beutel mit 500 Dollar, von denen er nie jemandem erzählt hatte. Er war ein gutbezahlter Biochemiker gewesen und dachte vor seinem Einsatz, es könne nicht schaden, etwas Kleingeld mitzunehmen.
Und es waren die Dollar, die ihm das Leben retteten. Ein „Pfleger“ versorgte ihn gegen 100 Dollar mit Kokain und Antibiotika. Damit behandelte er sich selbst und bekam auch – gegen 100 weitere Dollar – ein sauberes Bett.
In diesen Tagen begriff Abu Bakar, dass er in Zukunft nicht mehr an Allah, sondern an den Dollar glauben würde. Der hatte ihm geholfen. Und er wusste auch, wie er sich das Startkapital für sein weiteres Leben besorgen würde. Er gehörte zum Wachpersonal eines Schuppens, indem große Mengen Kokain lagerten. Niemandem würde es verdächtig erscheinen, wenn er auftauchen würde.
Schließlich gehörte er zum Personal.
Und so gelangte er in den Besitz von so viel Kokain, dass er es noch tragen konnte und schlug sich in den Libanon durch. Über die grüne Grenze in den Bergen. In Beirut war es ein Leichtes, die Drogen an den Mann zu bringen. Damit war sei zukünftiges Berufsbild bestimmt.
Er war mehr als erfolgreich. Aber da war noch eine Sache: sein Gesicht.
Zwar gab man sich in Dubai größte Mühe, etwas Menschliches in die Kraterlandschaft zu bringen, aber es würde niemals mehr wieder nach einem Gesicht aussehen. So fertigte man eine Maske aus Silikon, die er wie eine Pappnase am Hinterkopf befestigen musste.
Die Kante verlief mitten durchs Gesicht.
Doch eines hatte er schnell verstanden. Sein Aussehen erzeugte bei anderen nicht nur Ekel, sondern auch Angst.
In diesem Gewerbe nicht das Schlechteste.
Unter Deck befand sich auch eine Art Zelle.
Ein Raum, schalldicht und mehrfach gesichert.
Eine gute Entscheidung, ihn einbauen zu lassen, dachte Abu Bakar. Auf hoher See konnte man mit einem Gefangenen tun und lassen, was man wollte. An Land gab es immer Zuschauer, Nachbarn und besonders der Transport war immer heikel. Aber im Hafen jemand an Bord zu bringen, war kein Problem.
Danach war das Opfer verloren.
Und das heutige Opfer war definitiv nicht mehr zu retten.
Abu Bakars Männer zogen den Mann an Deck. Er war nach zwei Tagen in der engen Kajüte, ohne Essen und Trinken, vollkommen kraftlos.
Der Mann war Dimitrios Fortunas. Einer von Abu Bakars Verteilern. Und der hatte noch ein zusätzliches Geschäft eröffnet, sein eigenes.
Damit hatte er sein Todesurteil unterschrieben.
Abu Bakar musste ein deutliches Zeichen setzen. Die folgenden Ereignisse wurden aufgenommen und per CD allen seinen „Außendienst-Mitarbeitern“ kundgetan.
„Dimitrios, Dimitrios, wie dumm von dir“, sagte Abu Bakar.
„Bitte, es war ein Fehler. Ich zahle dir alles zurück. Versprochen“, flehte Fortunas.
„Sicher. Bezahlen wirst du. Jetzt.“
Bakars Leute wussten, was folgt. Man hielt Dimitrios fest und einer zog den rechten Arm vom Körper weg. Bakar griff zur Machete und hackte den Arm ab. Es genügte ein Hieb.
Dimitrios schrie nicht einmal. Er bevorzugte verständlicherweise die Ohnmacht. Aber das war Bakar als Signal an alle anderen zu schwach.
„Spritzt ihm Adrenalin und bindet den Arm ab!“ Dimitrios sollte alles mitbekommen.
Tatsächlich kam er wieder zu sich.
„An die Winde mit ihm!“
Dimitrios´ Gesicht schaffte es, noch mehr Entsetzen zu zeigen. Er ahnte, was kommt.
Das Tuch, das den Arm abband, wurde entfernt. Das Blut schoss hinaus. Er wurde hochgezogen und ins Wasser hinabgelassen.
Das Meer färbte sich rot.
Es dauerte keine Minute, bis die ersten Flossen zu sehen waren. Jungtiere, die in der Ägäis zu Tausenden leben.*
Während sich seine Leute abwandten, mit Ausnahme des Kameramannes, schaute Abu Bakar ungerührt zu.
Ich habe schon Schlimmeres erlebt, dachte er.
Dann ging er unter Deck und teilte dem Koch mit, was er zu speisen wünsche.
„Nein, Frau Sokrates, ich werde garantiert keinen Steg über das Bauloch legen lassen, nur damit Ihre verschissene Töle auf der anderen Seite ihr Geschäft verrichten kann.
Von mir aus kann Mopsi in das Loch fallen und ich betoniere ihn persönlich ein“, brüllte Bürgermeister Angelos Nikakis am Ende eines 20-Minuten-Gesprächs.
„Eines solchen Rüpel wie Sie wähle ich nicht mehr!“
„Das brauchen Sie auch nicht!“
Denn Angelos hatte schon vor Übernahme des Amtes klargestellt, dass er spätestens nach zwei Jahren den Posten für Richter Mantzaris räumen werde. Und dann wieder seiner eigentlichen Aufgabe nachgehen wird:
als freiberuflicher Ermittler – zusammen mit seinem Mann Alex – Schwerverbrecher zu jagen.
Das jedenfalls kann ich, dachte Angelos. Das hier ist nur etwas für Masochisten.
Er beschloss, seinen Arbeitstag zu beenden, es war 15.00 Uhr – Frau Sokrates hatte ihm den Rest gegeben.
Zuhause in Ornos hate sich Alex an das Ritual gewöhnt, Wenn Angelos nach Hause kam, machte Alex Espresso und stellte ihn zur Begrüßung auf die Haustreppe, Angelos blickte dann aufs Meer, auf die Kitesurfer, die vor dem Haus der Herren Nikakis an der Innenbucht ihr Revier hatten. Es war Angelos´ Beruhigungs- und Nachdenkritual. Dazu gehörte auch, dass Alex ihn in Ruhe ließ.
Schon gar nicht kam er mit Sätzen wie ‚Ich habe es dir gesagt‘ oder ‚Ich hatte recht‘.
Nicht ein einziges Mal. Es wäre auch unfair gewesen, denn Angelos´ Motive waren damals durchaus nachvollziehbar. Er wollte verhindern, dass ein Rechter Bürgermeister wurde und einige Dinge in Ordnung bringen, die von den Bürokraten über Jahre ignoriert wurden. Viele von ihnen hatten das Geld für Baumaßnahmen in die eigene Tasche umgeleitet.
„Angelos-mou. Bist du ansprechbar oder hat wieder die alte Schachtel wegen ihres Hundes angerufen?“, fragte Alex vorsichtig.
Angelos nickte und kam in die Küche.
„Du darfst mich immer ansprechen. Und ich bin dir dankbar, dass ich von dir noch nie ‚Ich habe es dir gesagt‘ gehört habe. Obwohl du allen Grund dazu hättest. Ich bin bestimmt manchmal unwirsch, weil genervt. Es tut mir leid!“
„Ich habe dir gesagt, dass ich dich unterstütze. Basta!“
Angelos umarmte Alex und küsste ihn aufs Ohr.
„Ah, Herr Bürgermeister erinnert sich an seine eigentliche Aufgabe“, sagte Alex und sollte es bereuen.
Angelos packte ihn an der Hüfte, warf ihn auf den Tisch und zog ihm die Hosen runter.
Vier Minuten später sagte Angelos:
„So. Dem Herrn Bürgermeister geht´s jetzt viel besser!“
„Da bin ich aber froh“, meinte ein derangierter Alex, der noch fünf Minuten regungslos auf dem Tisch liegenblieb.
Als er sich endlich aufrichtete, hörte man ein deutliches „Aua!“.
Nachts im Bett war Angelos gerade am Einschlafen, als Alex seinen ganzen Mut zusammennahm und sagte:
„Wir müssen reden. Das vorhin in der Küche geht gar nicht!“
Angelos schaute Alex erstaunt an.
„Was meinst du?“
„Ich meine diese Quasi-Vergewaltigung und das weißt du ganz genau. Ich habe nichts gegen härteren Sex. Aber nicht, ohne dass ich gefragt werde. Es war dir in dem Moment vollkommen egal, wer da unter dir liegt. Sicher, man kann es nicht mit deiner Vergewaltigung vergleichen. Das waren drei Männer und ging über Stunden. Aber im Prinzip war es nichts anderes. Ohne den anderen zu fragen und brutal. Ich bin dein Mann. Ich muss nicht bestraft werden, ich tue dir nichts!“
Auch wenn es fast nicht möglich war, Angelos schaute noch perplexer.
Zum ersten Mal erlebte Alex, wie Angelos stotterte.
„Aber … aber, warum hast du nicht ‚Stopp‘ gesagt?“
„Warum wohl? Wahrscheinlich, weil ich dich liebe und das anscheinend dazugehört.