Alle Rechte liegen bei der Autorin.

© Susanne Hottendorff

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Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Herstellung und Verlag:

Books on Demand GmbH, Norderstedt

Printed in Germany

ISBN: 978-3-749459-86-5

Die meisten Menschen lagen noch in ihren Kissen und Decken. Die Stille der Nacht wurde nur durch das Mautzen einer streunenden Katze unterbrochen. Sie war auf der Suche nach etwas Abwechslung und dabei war ihr jede Form recht. Auf dem freien Platz vor der Kirche standen einige Fahrzeuge. In der Luft lag eine ganz besondere Brise, die der Wind von den naheliegenden Wiesen in die Stadt trieb. So gegen sechs Uhr an diesem Mittwochmorgen rumpelte das Müllfahrzeug durch die Straßen und Gassen. Immer wieder hielt der Wagen an und zwei Gestalten, die aus dem Ungetüm kletterten, machten sich an den Mülleimern zu schaffen. Der große Schlund des Müllwagens nahm ihren Inhalt auf, so als hätte er schon seit Tagen hungern müssen. Auf der Bank, die direkt vor der Kirche stand, hatte irgendjemand seine Jacke vergessen. Sie lag dort und hoffte noch immer, gefunden zu werden.

Als erstes kam der Bäcker an diesem Morgen mit seinem Kastenwagen auf dem Marktplatz gefahren. Nur wenig später folgten dann auch der Gemüse- und der Fischmann. Sie begrüßten sich, wie an jedem Markttag mit einem kurzen Moin und bauten dann wortlos ihre Verkaufsstände auf. Jeden Mittwoch und Samstag war direkt vor der Kirche Markt. Nicht so groß wie in beispielsweise Heide, aber die Bürger der Stadt Wesselburen freuten sich über die wenigen Stände. Die Geräusche, die durch das Aufstellen der Tische und Waren entstanden, weckten nun auch die ersten Bürger der umliegenden Häuser auf. Dazu gehörte auch der Küster der Kirche, vor deren Pforten der Markt stattfand. An den meisten Tagen im Jahr war der Küster der erste, der die Kirche am Morgen betrat. Er schaute nach dem Rechten, damit die Gläubigen an jedem Tag des Jahres eine saubere und gepflegte Kirche zur Andacht vorfanden. Darauf legte auch die Pastorin der Gemeinde großen Wert. Der Küster entdeckte an diesem Morgen auf dem Weg in die Kirche die noch immer auf der Bank liegende, vergessene Jacke. Er dachte, während er seine Schritte ein wenig verlangsamte, dass sie vielleicht einem der Marktbeschicker gehörte. Darum beachtete er sie nicht weiter und öffnete die schwere Tür zur Kirche. Sein erster Blick ging geradeaus zum Altar. Er hielt einen Moment inne und bündelte seine Gedanken. Noch immer erfasste ihn so etwas wie Ehrfurcht, wenn er durch das Kirchenschiff zum Altar ging. Einen ersten Gang durch die Mitte, dann betrachtete er die Prospekte und Infoblätter, die in zwei Holzregalen auslagen. Sollte eines der Broschüren falsch liegen, er hätte es sofort behoben. Dann, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass wirklich alles in Ordnung war, betrat er den kleinen Nebenraum und die Sakristei. Auf die letzten beiden Bänke hatte der Küster nicht geschaut, da seine Aufmerksamkeit durch ein Poltern auf der Straße abgelenkt wurde.

Zur nächsten vollen Stunde schlug die Glocke der Kirche. Langsam füllte sich der Marktplatz mit Kunden. Sie schlenderten um die Marktstände herum, es wurde ein Schnack abgehalten und natürlich auch eingekauft. Heute am Mittwoch öffnet gegen zehn Uhr auch das kleine Wollgeschäft am Marktplatz. Im Inneren war mehr Angebot zu entdecken, als der Betrachter erahnen ließ. Vielleicht lag es auch daran, dass der Laden nur einmal wöchentlich geöffnet hatte. Das Gemurmel auf dem Marktplatz wurde genau um 10.59 Uhr von einem herzzerreißenden Schrei unterbrochen. Plötzlich war es still. Die Marktbesucher blieben stehen und schauten sich suchend um. Es war jedoch nichts zu erkennen, was ursächlich diesen Schrei hätte erklärt. Dann, nur einen Augenblick später, kam eine Frau aus der Kirche gelaufen. Sie riss so an der schweren Kirchentür, dass diese nach ihrem Verlassen lautstark ins den Rahmen und ins Schloss fiel. Jetzt schauten alle zur Kirche. Noch immer war es absolut still. Nicht einmal ein Hund bellte oder ein Auto wagte es um die Kirche zu fahren. Die Frau lief bis an die Begrenzung des Kirchvorplatzes und blieb dann abrupt stehen. Noch immer kümmerte sich niemand um die Frau und alle starten, teils mit weit aufgerissenen Augen, zu ihr. Ein Kunde der naheliegenden Sparkasse hatte gerade aus dem Geldautomaten das Nötige für den Einkauf geholt. Er steckte gerade seine Geldbörse in die Gesäßtasche seiner verblichenen Jeans, als er von der Stille überrascht wurde. Vorsichtig suchte er mit seinen Augen den Platz ab. Ging dann aber mit normalen Schritten weiter. Als er zu den Marktständen kam, waren plötzlich alle Augen auf ihn gerichtet. Das wiederum konnte er sich nicht erklären. Er ging zum Obststand, schaute sich um.

„Ich hätte gerne Birnen. 1 Kilo, von denen da oben“, erklärte er dem Verkäufer und zeigte dabei auf die entsprechende Kiste in der Auslage.

Der Verkäufer reagierte nicht. Er schaute auch gar nicht zu seinem Kunden. Vielleicht hatte er ihn nicht bemerkt? Der Kunde jedoch hakte nach. Mit etwas forscherer Stimme.

„Hallo! Ich möchte Sie ja nicht in Ihrem Traum stören. Aber ich hätte gerne Birnen gekauft. Ist das möglich?“

Nun wurde der Marktbeschicker aufmerksam. Er faselte irgendwelche unverständlichen Laute und griff hinter sich um eine Papier-Spitz-Tüte zu greifen. In diese legte er nun die gewünschten Birnen, bevor er sie dann abwog.

„Recht so? Dann macht es 2,85 €“, erklärte er seinem Kunden.

Der zog wortlos die Geldbörse aus der Jeans und suchte nach passendem Kleingeld. Zuerst steckte er sein Portemonnaie wieder ein, dann gab er mit der rechten Hand 3.-- € an den Verkäufer und mit der linken Hand nahm er sich eine dicke Pflaume.

„Die ist statt Wechselgeld!“, bemerkte er mit einem Augenzwinkern.

Er bedankte sich kurz und ging weiter zum nächsten Stand mit dem Räucherfisch. Der Verkäufer stand noch immer mit den 3 Euro in der Hand. Ihm hatte es wohl die Sprache verschlagen. Die Frau aus der Kirche hatte sich mittlerweile umgedreht und war zurück in Richtung Kirche gegangen. Vor dem Eingang stand ja diese bewusste Bank, auf die sie sich jetzt setzte. Die Jacke lag noch immer dort unbeachtet.

„Kann jemand mal die Polizei rufen?“, fragte sie in die Menge.

Sie sprach keine Person wirklich direkt an. Daher passierte nichts. So langsam schien sie sich von was auch immer erholt zu haben. Sie stand auf und ging direkt zu einem Passanten, der einen Korb mit Lauch trug.

„Haben Sie ein Handy? Können Sie mal die Polizei rufen?“, fragte sie, indem sie dem Passanten den Weg abschnitt.

„Was? Polizei? Warum?“, antwortete der Mann.

„Da stimmt was nicht. Da in der Kirche. Da liegt eine Frau. Sie ist glaube ich...“, dann verstummt sie.

„Noch mal zum Mitschreiben. Sie sagen, da ist eine Frau in der Kirche, bei der etwas nicht stimmt. Nun soll ich die Polizei rufen?“, hakte der Mann nach.

„Jo! Anrufen! Polizei!“, erwiderte die Frau.

Ganz langsam stellte der Mann seinen Einkaufskorb auf den Boden, griff noch langsamer in seine Jackentasche und zog ein in eine schwarze Hülle gestecktes Handy hervor. Sicherlich machte er dieses alles so langsam, in der Hoffnung, dass die Frau plötzlich laut anfing zu lachen und es sich als Scherz herausstellte. Das passierte allerdings nicht. Die Frau war blass und sie zitterte leicht. Der Mann klappte die Handyhülle auf und begann zu tippen: 110.

„Jo. Ich bin in Wesselburen auf dem Marktplatz. Direkt vor der Kirche. Hier steht eine Frau, die wollte, dass ich die Polizei anrufe. Sie sagt, da sei eine Frau in der Kirche, mit der stimmt was nicht. Besser Sie kommen mal her.“

Der Mann hielt das Handy direkt am Ohr, so konnte die verängstigte Frau nicht hören, was der Gesprächsteilnehmer am anderen Ende der Leitung sagte.

„Jo. In Wesselburen. Vor der St. Bartholomäus Kirche in der Marktstraße. Mitten in der Stadt. Kann man nicht verfehlen!“, erklärte der Mann nun am Telefon.

Dann drückte er das Gespräch weg, klappte die Hülle wieder zu und das Handy glitt zurück in seine Jackentasche.

„Kommen gleich!“, erklärte er der Frau, die wie Kleister an seinen Lippen hing.

Er nahm seinen Korb mit dem Lauch wieder auf und ging seines Weges. Die Frau setzte sich wieder auf die Bank und starrte vor sich her. Die anderen Passanten kümmerten sich nicht um das Geschehen. Alles war wieder normal.

Gegen sechs Uhr an diesem Morgen schritt Jan Hansen langsam durch die Straßen, die um diese Zeit noch sehr leer waren. Er war auf der Suche nach einem kleinen Lokal oder einer Bäckerei um sich dort den ersten Kaffee des Tages zu gönnen. Ein Tourist mit Shorts und Badeschlappen kam ihm entgegen. Der Urlauber hatte eine Tüte, die scheinbar Brötchen enthielt in seiner Hand.

„Wo haben Sie die her?“, fragte Jan den Touristen.

Der blieb etwas erstaunt stehen, hob langsam seinen rechten Arm und deutete auf ein Geschäft, das etwa 50 Meter entfernt lag. Er sagte nichts, schüttelte den Kopf und ging dann weiter.

„Die werden auch immer mundfauler!“, erwiderte Jan und ging in Richtung Bäckerei.

Er bestellte sich einen großen Pott Kaffee und dazu ein Croissant und Sanddorngelee. Vor dem Geschäft standen einige Bistrotische und dort platzierte jetzt Jan seinen Becher, den Teller und sich selbst. Den Rücken hatte er zum Geschäft gedreht und konnte so die Einkaufsstraße beobachten. In der letzten Nacht hatte er kaum Schlaf bekommen. Das Erlebte war aufregend und anstrengend gewesen. Dennoch hatte es Jan bis jetzt geschafft, nicht zuletzt lag es an den freigesetzten Endorphinen, die durch seinen Körper flossen. Glück kann beflügeln. Nachdem der Pott Kaffee geleert war nahm sich Jan das letzte Stück des Croissants und ging die Einkaufsstraße entlang. Er biss noch einmal ab, dann folgte das letzte Stückchen und er wischte sich mit der rechten Hand die Krümel aus dem Gesicht. Immer mehr Passanten waren aufgewacht und bevölkerten nun die Büsumer Innenstadt. Jan folgte keiner Spur, er hatte jetzt nur noch ein Ziel vor Augen: sein Bett! Jan Hansen bewohnte ein kleines Ein - Zimmer-Apartment am Rande der Stadt, wo sich nicht mehr so viele Fremde die Füße platt liefen. Jan brauchte etwa fünfzehn Minuten bis er endlich vor dem kleinen Mietshaus, in dem er wohnte, stand. Nun trennten ihn nur noch wenige Minuten von dem erholsamen Schlaf und hoffentlich schönen Träumen.

In Wesselburen war nun das Leben erwacht. Der Marktplatz wurde von zahlreichen Bürgern besucht, wollten doch viele die Angebote der Marktbeschicker sondieren. Einige kauften auch etwas, sehr zur Freude der Händler. Als das Polizeifahrzeug neben den Verkaufsständen hielt, dachte sich noch niemand etwas dabei. Die Uniformierten stiegen aus und gingen auf den Eingang der Kirche zu. Die Frau, sie saß noch immer mit gefalteten Händen auf der Bank, bemerkte die Polizisten zuerst. Sie stand auf und ging einige Schritte auf die schwere Eingangstür der Kirche zu. Sie nickte, es sollte sicherlich die Begrüßung ersetzen. Dann hob sie ihren rechten Arm und zeigte in Richtung Kirche.

„Sie ist das drinnen!“, hauchte sie den Polizisten entgegen.

„Moin! Wer ist da drinnen?“, fragte einer der beiden Beamten.

„Gehen Sie rein. Schauen Sie selbst. Sie sitzt in der letzten Reihe, ganz rechts. Bitte!“, erklärte sie und ging dann wieder zwei Schritte rückwärts um den Eingang zur Kirche freizugeben.

Die beiden Uniformierten waren schon lange ein Team. Das war Bente Jacobsen, der ursprünglich aus Husum kam. Und seine Kollegin, die ursprünglich aus einem kleinen Dorf in Angeln kam, Alea Schwarm. Beide schritten gemeinsam zur Tür der Kirche. Bente griff den Türöffner und zog daran. Die schwere Tür gab nach und sie betraten die Kirche. Die Tür fiel mit einem leichten „Bong“ zu.

Dann war es wieder ruhig. Keiner hatte mehr an den Beamten Interesse. Nur die Frau auf der Bank wartete noch ab. Sie hatte ihre Hände zum Gebet geschlossen und den Kopf leicht in den Himmel gehoben. Die Minuten vergingen. Nichts passierte. Es dauerte nur etwa gefühlte fünfzehn Minuten, dann hörte man die Sirenen der Autos, die jetzt alle auf dem Marktplatz eintrafen. Überwiegend Zivilfahrzeuge der Kripo aus Itzehoe. Allerdings auch einige Einsatzwagen, durch die die Aufmerksamkeit der Anwohner und Marktbesucher geweckt wurde. Die Frau auf der Bank atmete tief ein und aus. Jetzt, dachte sie, war alles getan und sie würde nun nach Hause gehen. Die Einsatzkräfte stürmten sozusagen die heilige Stätte in Wesselburen. Sicher war dabei nur, der Grund war kein Gottesdienst und auch keine Besichtigung der Kirche. Was auch immer sich in den Räumen verbarg, wusste nur die Frau von der Bank. Hätte sie jemand beobachtet, so wäre ihm aufgefallen, dass sie kurz nach dem Eintreffen der vielen Einsatzkräfte ganz langsam und unscheinbar den Marktplatz verlassen hatte. Ihr Ziel war unbekannt. Auch der Fremde, der den Anruf bei der Polizei getätigt hatte, war schon lange wieder zu Hause und berichtete seiner Ehefrau von den Erlebnissen. Keiner wusste, warum das alles passiert war. Als dann auch noch ein Leichenwagen auf den Marktplatz fuhr, kam der Handel mit Obst, Gemüse und Fisch zum Erliegen. Alle standen mit herunterhängenden Unterkiefern und staunten nur noch. Jeder fragte sich im Stillen: Was war hier in Wesselburen passiert?

Die beiden Ermittler in Itzehoe hatten ihre Köpfe teilweise in den Unterlagen und teilweise im Computer vertieft. Warum die noch unbekannte Frau tot in der Kirche von Wesselburen aufgefunden worden war, blieb bisher noch völlig unklar. Sichtbare Spuren hatten die Kollegen der Gerichtsmedizin und der Spurensicherung nicht gefunden. Der erste Eindruck ließ vermuten, dass sich die Frau zum Gebet hingesetzt hätte und dann einfach eingeschlafen und dann verstorben wäre. Die Kollegen schätzen das Alter der Frau auf Mitte Vierzig bis Anfang Fünfzig. Also ja nicht gerade das Alter um einfach so in einer Kirche zu sterben.

„Vermisste Frauen haben wir zurzeit nicht im System“, erklärte Alea Schwarm ihrem Kollegen.

„Jo!“, war seine Antwort.

Immerhin hatte er überhaupt geantwortet.

„Sie hatte nichts bei sich. Kein Handy. Keinen Ausweis. Keine Tasche. Nichts. Nur eine Packung angebrochener Papiertaschentücher. Markentaschentücher. Wo kam sie her? Wo wollte sie hin?“, fügte Alea hinzu während sie den Blick kurz vom Bildschirm ihres Computers hob.

„Viele Frage. Ich habe auch keine Antworten. Mich interessiert zunächst einmal wer sie ist? Und woher sie kommt? Urlauberin? Dithmarscherin? Oder kommt sie sogar aus Wesselburen?“, ergänzte Bente.

Dann kehrte zunächst einmal wieder Schweigen ein. Ab und an hörte man das Umblättern und somit das Rascheln einer Papierseite. Oder das Klacken, wenn Alea mit ihren unlackierten Fingernägeln auf die Tasten ihrer Computertastatur hämmerte. Dann öffnete sich die Tür des gemeinsamen Büros. Es erschien ein Kollege mit einer Mappe in der Hand.

„Moin!“, begann er, als er den Raum betrat.

„Moin!“, erwiderten Alea und Bente synchron.

„Hast was für uns?“, fragte Bente und schaute nicht einmal aus seinen Unterlagen hoch.

„Hier. Kannst selbst lesen“, konterte der Kollege und legte die Mappe auf den Schreibtisch.

Dann drehte er sich um und verließ mit einem kurzen „Moin“ den Raum wieder.

Bente schaute nun doch hoch und erklärte:

„Man ist der wieder sabbelig heute Mittag!“

Alea hatte sich die Mappe gegriffen und blätterte darin.

„Das sind die ersten Ergebnisse des Obduktionsberichtes. Nur vorläufig, da es weitere Untersuchungen geben muss. Äußerlich konnte keine Todesursache ermittelt werden. Die unbekannte Frau war circa Mitte Vierzig und hatte noch alle ihre Zähne. Auch weitere Ersatzteile konnten nicht festgestellt werden. Wir müssen abwarten“, stellte Kommissarin Schwarm fest.

Das war zunächst einmal das letzte Wort, was in dieser Stunde gesprochen wurde.

Es war bereits kurz vor 18 Uhr als Jan Hansen die Augen öffnete. Er hatte sehr gut und sehr tief geschlafen. Langsam stand er auf und ging zunächst ins Badezimmer um das zu erledigen, was ebenso nach dem Aufstehen zu erledigen war. Dann bereite er sich einen Pott Kaffee zu, in der neuen Kaffee – Kapsel – Maschine, die er sich bei seinem letzten Einkauf im Supermarkt erstanden hatte. Mit dem Becher in der Hand ging er in Richtung Wohnzimmer, dabei setzte er jeden Schritt sehr behutsam vor den anderen. Der Becher war voll und der Inhalt sehr heiß! Im Wohnzimmer stellte er den Kaffeebecher auf den Tisch, zog die Gardine zurück und öffnete das große Fenster, damit war der Blick auf die Straße frei. Jetzt drehte er sich langsam um, griff den Becher und schaute dann aus dem Fenster. Es hätte auch mal wieder eine Reinigung nötig, dachte Jan. Dann atmete er ganz tief ein und wieder aus, ließ seine Schulter hängen und nahm einen großen Schluck Kaffee. Jetzt ist alles in Ordnung, dachte Jan Hansen und ließ seinen Gedanken freien Lauf.

Die beiden Ermittler in Itzehoe versuchten immer noch die tote Frau aus Wesselburen zu identifizieren. Es war sehr schwierig. Es gab keine Vermisstenanzeige. Es gab keinerlei Hinweise, woher die Unbekannte kam oder wo sie gelebt hatte. Die getragene Kleidung ließ leider auch keine Vermutung zu, außer, es waren Kleider, die weder auffällig, noch hochwertig noch außergewöhnlich waren. Nach Rücksprache mit dem Oberstaatsanwalt wurde das Foto der Unbekannten in den Nachrichten und in den Tageszeitungen der Region veröffentlicht. Leider blieb den Kommissaren kein anderer Weg, um bei ihren Ermittlungen weiterzukommen.

In Wesselburen hatte sich die Aufregung auch schon gelegt. Da keiner der Anwohner direkt oder indirekt von dem Vorfall betroffen war, gingen alle zum Alltag zurück. Eine kurze Erinnerung, die sich nur einen Tag in aller Munde hielt, kam nach der Veröffentlichung des Fotos der Toten auf. Dann fielen alle Bürger wieder in die Lethargie des Alltags.

In Itzehoe liefen einige Meldungen ein, irgendwelche Leute hätten die Frau wohl schon mal gesehen. Wo und wann, daran konnte sich jedoch niemand erinnern. Entgegen von Berichten der Kollegen beispielsweise aus Hamburg oder Lübeck, wo nach solchen Bildveröffentlichungen extra Kollegen aus anderen Abteilungen bereitgestellt werden mussten, war in Itzehoe sozusagen Ebbe. Es kamen keine brauchbaren Hinweise aus der Bevölkerung. So vergingen die Tage und Wochen und auf dem Schreibtisch von Bente Jacobsen waren andere Fälle in ihren Akten nach oben gerückt. Die Akte der unbekannten Toten aus Wesselburen blieb ganz unten und würde bei der nächsten Aufräumaktion in das Regal der ungelösten Fälle wechseln.

Plötzlich, fast aus dem Hinterhalt, erreichte Bente ein Anruf der Kollegen aus einem Streifenwagen. Ein Radfahrer hatte über die 110 Hilfe geholt, da er eine Entdeckung gemacht habe. Die beiden Uniformieren waren losgefahren um den Anrufer zu suchen. Er stand am Deich auf der Straße nach Büsumer Deichhausen und wedelte mit einem Regenschirm, als er den Einsatzwagen der Polizei erkannte. Die Kollegen verlangsamten das Tempo und hielten direkt neben dem Mann am Straßenrand an.

„Moin!“, erklärte der Kollege, der heute auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.

„Was gibt’s?“, wollte er dann wissen.

„Danke, dass Sie so schnell gekommen sind. Da hinten liegt etwas am Rande dieses Hügels“, erklärte der Fremde.

Die beiden Uniformierten stiegen aus ihrem Fahrzeug aus, der Fahrer hatte zuerst den Motor ausgestellt. Harm Harmsen, der ranghöherer Polizist warf einen fragenden Blick zu seinem Kollegen.

„Was für ein Hügel?“, fragte er dann den Fremden, der sicherlich ein Urlauber war, so wie er gekleidet war.

„Na hinter diesem Hügel hier“, erklärte er ganz aufgeregt und zeigte auf den Boden.

„Jo!“, erwiderte Harm und dachte, es war ein Tourist, wie er vermutet hatte.

Gemeinsam schritten die drei Gestalten nun auf dem Deich entlang, bis an die Stelle, wo ein Mülleimer auf drei Metallfüßen am Rande der Deichkrone aufgestellt worden war. Direkt daneben lag etwas, was aus der Entfernung wie ein blauer Müllsack aussah. Die Stadtreinigung fuhr morgens immer mit einem kleinen, manuellen zu schiebenden Müllwagen, also eigentlich einem Müllkarren, zu den einzelnen Mülleimern und leerte sie aus. Dann wurde eine neue Mülltüte in die Eimer gelegt und die entnommen Tüten wurden neben den Eimer platziert. Eine andere Truppe holte diese später ab. Genau diese Mülltüte glaubte Harm Harmsen jetzt zu sehen. Ohne wirklich großen Eifer nährte sich die Männertruppe jetzt dem Mülleimer. Als sie direkt neben der blauen Mülltüte standen, wunderte sich Harm Harmsen jedoch, über die Größe dieser Tüte.

„Ich wollte mein Papier vom Brötchen, hatte ich mir aus Büsum mitgebracht, hier entsorgen. Dabei bin ich versehentlich, wirklich nicht mit Absicht, gegen diesen Müllsack gekommen. Das Gefühl am Fuß war sonderbar. Es war weich und schwer. Und dann sah ich, dass eine Flüssigkeit aus der Tüte lief. Nicht fiel, nur ein wenig. Sie können es nicht mehr sehen, sie ist im Boden versickert. Ich war so komisch berührt und fragte mich, was da wohl in diesem Sack lag. Und dann habe ich mich gebückt und ganz vorsichtig diesen einen Zipfel angehoben.“

Während der Fremde diese Erklärung abgab, zeigt er mit sicherem Abstand mit der rechten Hand auf eine Ecke der Mülltüte, die etwas hoch stand. Der Uniformierte, der Harm begleite, schüttelt seinen Kopf, bückte sich und nahm diese Ecke in die Hand. Er versuchte daran zu ziehen und so den Inhalt aus dem Sack zu befördern. Er schaffte es nicht, stattdessen riss die Ecke ab und das Etwas wabbelte auf den Boden zurück. Jetzt war sein Ehrgeiz geweckt und er packte fester zu. Endlich gelang es ihm einen Blick in den Sack zu werfen. Ruckartig ließ er die blaue Tüte fallen und erklärte seinem Kollegen:

„Ruf die Zentrale an. Leichenfund. Das volle Programm.“

Harm Harmsen war verunsichert und wollte sich, bevor er die Maschinerie in Gang setzte, selbst ein Bild vom Inhalt des Müllsacks machen. Er bückte sich und schaute seitlich in den Sack. Nur kurz. Dann stand er auf, griff mit der anderen Hand in seine Tasche und zog das Handy hervor.

Es lief alles routinemäßig ab. Die Kollegen der Spurensicherung, sowie der Gerichtsmediziner wurden angefordert. Der Fremde, der Uniformierte hatte ihn zum Einsatzfahrzeug