Paucos servitus, plures servitutem tenent.
Auf einen, der gefangen ist, kommen zehn, die nicht frei sein wollen.
Seneca
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie, detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2019 Michael Depner
Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH Norderstedt
ISBN: 9783749443291
Nachdem Band 1 von Seele und Gesundheit die wichtigsten Krankheitsbilder der Psychiatrie beschrieben hat, geht es in Band 2 um eine vertiefte Betrachtung psychologischer Zusammenhänge, die mit den Erkrankungen und Leidenszuständen in Verbindung stehen. Dabei ist eine Reihe von Themen hervorzuheben, denen beim Verständnis der Psychologie eine Schlüsselrolle zuzukommen scheint.
Da sind zunächst die Abwehrmechanismen. Unter einem Abwehrmechanismus versteht man ein psychisches Manöver, das dazu dient, die Position der Person und ihr Selbstbild gegen Infragestellungen des Umfelds abzusichern. Da Abwehrmechanismen die korrekte Wahrnehmung der Wirklichkeit oft einschränken, sind sie nicht nur Werkzeuge einer kontrollierten seelischen Entwicklung, sondern oft auch Ursachen pathologischer Entgleisungen. Abwehrmechanismen dienen der Abwehr unerwünschter Erkenntnisse. Erkenntnisse sind aber gerade dann oft nützlich, wenn man sie nicht wahrhaben will.
Nichts treibt die menschliche Seele mehr um als das Spektrum persönlicher Bedürfnisse und Begierden. Ein großer Teil der seelischen Aktivität besteht im Versuch, sie zu erfüllen und aus den Reaktionen, wenn es misslingt. Von erheblicher Bedeutung ist dabei das Bedürfnis nach Bestätigung, das gerade bei Persönlichkeiten, deren frühkindlicher biographischer Verlauf problematisch gewesen ist, einen großen Einfluss auf die Gestaltung späterer Beziehungen hat. Erwartungen, die aus narzisstischer Bedürftigkeit heraus an andere gerichtet werden, haben schon viele Beziehungen zerrüttet.
Grundlegend im Kontext des bisher Genannten ist der Psychologische Grundkonflikt. Der Mensch steht als grundsätzlich soziales, zugleich aber individuelles Wesen ständig im Spannungsfeld zweier existenzieller Möglichkeiten. Er kann der Gemeinschaft angepasst dazugehören und er kann über sich selbst bestimmen. Nicht immer ist beides in vollem Umfang zeitgleich möglich. Zwischen Zugehörigkeit und Selbstbestimmung gilt es oft zu wählen; und die Wahl, die dabei getroffen wird, ist nicht immer zum Besten dessen, der sie trifft.
Ebenso grundlegend zum Verständnis menschlichen Leids und menschlichen Glücks ist das Wesen seiner selbst. Das Strukturmodell des Ich, das Seele und Gesundheit vertritt, geht über die Betrachtung intrapersonaler Strukturen des Selbst hinaus. Es unterscheidet zwischen relativem und absolutem Selbst. Es beschreibt den Wesenskern des Menschen als transpersonale Wirklichkeit, die sämtliche Erscheinungen seines persönlichen Daseins beeinflusst. Dabei geht es um Fragen der Identifikation und der Identität, also zweier Phänomene, die vordergründig ineinander übergehen, tatsächlich jedoch eine Polarität begründen, deren Bedeutung kaum zu überschätzen ist.
Ein unentbehrliches Werkzeug menschlicher Daseinsvollzüge ist die Kommunikation. Gelingt Kommunikation, heilt sie, misslingt sie, bildet ihr Misslingen eine schier unerschöpfliche Quelle des Unglücks. Umso wichtiger ist es zu verstehen, was Kommunikation überhaupt ist, was sie von anderen Begegnungsformen unterscheidet und die Einhaltung welcher Regeln zu ihrem Gelingen beiträgt.
Gelungene Kommunikation bedarf zutreffender Wahrnehmung all dessen, dem man im Leben begegnet und der Wertschätzung des Lebens in all seinen Formen. Von dort aus kann es gelingen, die Rollen, die einem das Leben zuteilt, so zu spielen, dass es guttut. Zu einem Rollenspiel, das das eigene Wesen nicht missachtet, gelangt man nur durch Achtsamkeit.
Hattingen, Juni 2019
Für andere alles zu machen, macht andere schuldig. Ist das ein guter Dienst?
Man ist erwachsen, wenn man niemandem mehr gefallen will.
Das Überflüssige muss weg, damit man das Wesentliche sieht.
Sensationen sind reizvoll, wenn sie selten sind. Zwei am Tag sind eine schiere Plage.
Gut und Böse sind nicht immer blanke Gegensätze. Je nachdem aus welcher Perspektive man sie betrachtet, erscheinen sie zuweilen als dasselbe.
Die Neigung, sich selbst zu entwerten, ist oft ein Introjekt abwertender Botschaften aus dem Umfeld. Als Introjektion (lateinisch das Hineingeworfene) bezeichnet man die unüberlegte Übernahme fester Denk- und Bewertungsmuster von außen.
Grundprinzip
Durch die Verengung des Weltbilds auf einen kontrollierten Ausschnitt der Wirklichkeit wird die Angst vor der Ungewissheit des Daseins aus dem Bewusstsein beseitigt. Statt ohne Wenn und Aber in der Welt zu stehen, richtet sich das Ego in einem Ausschnitt persönlicher Sichtweisen ein. Dort kann es glauben, dass es nicht mehr an sich zweifeln muss und über seine Welt verfügen kann. Fühlbare Angst wird von einer Illusion der Sicherheit verdeckt.
Weder die Außenwelt noch die Dynamik seiner Seele ist dem Menschen geheuer. Beide Elemente der Wirklichkeit erschrecken ihn durch ein bedrohliches Netzwerk an Kräften. Deren Übermacht fühlt er sich ausgeliefert. Darauf reagiert er mit Angst.
Der Angst, abgeleitet von indoeuropäisch angh = eng, folgt der Impuls, in eine schützende Enge zu flüchten. Um die Angst zu mindern, versucht das Ego, ein beruhigendes Weltbild zu schaffen. Beruhigend wirkt ein Weltbild, wenn man es überblicken kann; und wenn es die Illusion vermittelt, man könne die Wirklichkeit so kontrollieren, dass es keinen Grund mehr zum Fürchten gibt. Dazu benutzt das Ego Werkzeuge: Abwehrmechanismen.
Coping-Strategie oder Abwehrmechanismus
Zwischen Coping-Strategien (englisch to cope = bewältigen) und Abwehrmechanismen gibt es Ähnlichkeiten und Unterschiede. Beide dienen der Bewältigung unerwünschter Erlebnisqualitäten.
Während der Abwehrmechanismus ein Grundmuster im Umgang mit alltäglichen Widrigkeiten darstellt, kommt die Coping-Strategie bei konkret belastenden Einzelerlebnissen zum Einsatz. Dabei greift sie oft gleichzeitig auf verschiedene Abwehrmechanismen zurück.
Abwehrmechanismen sind psychische Manöver, durch die man ein überschaubares Weltbild aufrechterhält. Was ein überschaubares Weltbild stören könnte, blenden Abwehrmechanismen aus. Dazu gehören Fakten, die man nicht wahrhaben will ebenso wie Gefühle und Handlungsimpulse, vor denen man sich fürchtet.
Die Palette der Abwehrmechanismen ist breit gefächert. Zum Teil gehen sie ineinander über. Oder sie überlappen sich. Obwohl jeder bestimmte Muster bevorzugt, gibt es niemanden, der sich nicht verschiedener bedient.
Abwehr oder Problemlösung
Die Grenzen zwischen Abwehr und Problemlösung sind fließend. Nehmen wir an, Sie langweilen sich. Sie entschließen sich, ins Netz zu gehen und herumzusurfen. Durch Zufall landen Sie auf dieser Seite. Ist das nun eine kreative Lösung des Problems oder wehren Sie durch Ablenkung gefürchtete Impulse ab, die hinter der Langeweile auf Sie warten?
Ob ein Verhalten Abwehr oder kreative Gestaltung ist, ist objektiv kaum zu beurteilen. Das gleiche Verhalten kann mal das eine, mal das andere sein. Entscheiden kann man nur, wenn man die Details der jeweiligen Situation beachtet und das Motiv, das hinter dem Verhalten steckt, erkennt.
Die Definition der Abwehrmechanismen gehört zu den Konzepten der Psychoanalyse. Den Grundstein legten Sigmund Freud (1915) und seine Tochter Anna (1936). Spätere Vertreter der analytischen und tiefenpsychologischen Schulen haben die ursprünglichen Konzepte ausgebaut (Vaillant 1992, König 1996). Neben der folgenden Liste kann alles als Abwehrmechanismus benannt werden, was der Stabilisierung des Welt- und Selbstbilds bei der Konfrontation mit der Wirklichkeit dient. Als Beispiel sei die Betäubung durch Suchtmittel genannt. Süchtiger Substanzkonsum kann aber auch als chemisch unterstützte Variante der Verdrängung aufgefasst werden.
Abwertung spielt als Abwehrmechanismus eine herausragende Rolle. Dabei werden Aspekte der Realität als bedeutungslos oder unwert betrachtet um das bestehende Welt- und Selbstbild gegen eine Infragestellung durch die abgewerteten Elemente abzuschirmen. In der Fabel vom Fuchs, der die Trauben, die zu hoch für ihn hängen, für sauer erklärt, ist der Mechanismus bildhaft dargestellt.
Abwertung kann sich gegen sämtliche Wirklichkeitsaspekte richten, durch die man sich verunsichert fühlt.
Besonders abträglich ist der Mechanismus, wenn er sich gegen Personen wendet.
Selbstabwertung
Ein verbreitetes Übel ist die Selbstabwertung. Abwertende Urteile über sich selbst können verschiedene Funktionen haben:
Abwertungen ganzer Menschengruppen bringen sich als sexistische, rassistische, konfessionelle oder nationalistische Sichtweisen zum Ausdruck. Wer nicht das gleiche glaubt, wie wir, ist des Teufels.
Die Abwertung von Bezugspersonen kann im Stillen vollzogen werden. Dann dient sie vorrangig dem eigenen Selbstwertgefühl. Sie ist ein pathologischer Heilungsversuch narzisstischer Zweifel.
Eine nützliche Übung
Wer andere abwertet, macht es unbewusst auch mit sich selbst. Achten Sie darauf, wann und warum Sie abwerten. Formulieren Sie stattdessen kreative Kritik; oder erkennen Sie, wodurch Sie sich selbst entwertet fühlen.
Wird Abwertung offensiv ausgetragen, entsteht, was man als Mobbing bezeichnet. Dann dient sie zusätzlich sozialer Konkurrenz.
Affektisolierung
Bei der Affektisolierung wird die emotionale Reaktion auf ein Ereignis ausgeblendet. Man könnte auch sagen: Das Gefühl wird in Quarantäne geschickt. Somit vermeidet man, sich die emotionale Komponente eigener Handlungsmotive einzugestehen. Man erlebt sich als ausführendes Organ einer nüchternen Notwendigkeit. Man handelt so, als habe man mit den eigenen Gefühlen nichts zu tun.
Von Gefühlen, die man nicht bewusst durchlebt, wird man besessen.
Die Affektisolierung geht oft mit einer Rationalisierung der eigenen Motive einher; zum Beispiel dem Argument, Prügel führten Kinder auf den rechten Weg. Sie führt jedoch nicht zu einer Befreiung des Verhaltens vom störenden Einfluss ungesteuerter Emotionen. Vielmehr wird man erst recht durch den ausgeblendeten Affekt bestimmt. So steckt hinter Svens Schweigen womöglich der Impuls, Petra durch scheinbare Gleichgültigkeit zu strafen und Richter Besenrein weiß nichts von seinem Neid auf jene, die es sich im Gegensatz zu ihm erlauben, Regeln bei Bedarf zu übertreten.
Dem Anderen nützt nicht nur, dass man ihn mit Kuchen füttert. Es nützt ihm auch, dass man eine Grenze hat. Einem selbst nützt das ebenfalls.
Hinter einer Abtretung steckt oft die Erwartung besonderer Dankbarkeit. Aus einem Ich tue das doch gerne für Dich wird ein Ich habe doch so viel für Dich getan. Altruismus und Egoismus bilden dann ein unübersichtliches Gemenge, das eine Beziehung regelrecht vergiften kann.
Der pathologische Altruist versucht, sein Ego aufzuwerten, indem er es abwertet.
Bei der altruistischen Abtretung werden eigene Interessen verleugnet. Stattdessen gilt aller Einsatz ähnlichen Interessen anderer, für die sich der Altruist dann um so hemmungsloser einsetzt. Der Anspruch auf die Erfüllung von Bedürfnissen wird abgetreten. Typische Vertreter abgetretener Interessen sind...
Die altruistische Abtretung bietet psychologische Vorteile.
Die altruistische Abtretung ist zum Teil ein sozial nützlicher Abwehrmechanismus. Er lindert Not und festigt Bindung. Sein übermäßiger Einsatz birgt aber Risiken: für Geber und Empfänger. Dem Geber drohen Helfer- und Burn-out-Syndrom. Die Bereitschaft des Empfängers, eigene Tatkraft zu entwickeln, kann untergraben werden. Für den, der sich für andere einsetzt, mag es daher sinnvoll sein, eigene Interessen besser zu beachten. Für den, der sich von Helfern versorgen lässt, gilt es zuweilen zu verzichten.
Widersprüchliche Facetten eines Themas
Altruismus | selbstlose Fürsorge für Schutzbefohlene |
altruistische Abtretung | Verleugnung egozentrischer Interessen, stellvertretender Egoismus |
pseudo-altruistischer Missbrauch | Erzeugung von Abhängigkeiten Beihilfe zur Unselbständigkeit |
Antizipation, also die planende Vorwegnahme kommender Probleme, gilt als reifer Abwehrmechanismus. Bei der Antizipation werden zukünftige Schwierigkeiten im Voraus bedacht und vorbeugende Maßnahmen ergriffen, um die Gefahr zu entschärfen, die der Person oder ihrem Selbstbild durch ein Scheitern an den Problemen droht.
Auch Antizipation kann schaden: wenn man sie übertreibt. Ist man zu sehr mit der Zukunft beschäftigt, verpasst man womöglich die besten Chancen in der Gegenwart.
Abwehrmuster oder zielführendes Handeln
Planende Vorwegnahme ist nicht immer Abwehrmuster. Streng genommen ist sie nur soweit ein psychologisches Manöver, wie sie dem Schutz des Selbstbilds dient. Dient sie - ungeachtet aller Sorge um das Selbstbild - der Gestaltung einer Zukunft, ist sie Komponente zielführenden Handelns.
Aggressive Impulse sind ein Risiko für den Bestand zwischenmenschlicher Beziehungen; und damit der Rolle, die man als Beziehungspartner innehat. Ihr Ausdruck wird oft gefürchtet. Bei der Autoaggression werden solche Impulse vom Gegenüber weg und auf sich selbst gelenkt. So verhindert man, sich unbeliebt zu machen. Gegebenenfalls erntet man sogar Zuwendung und Aufmerksamkeit.
Selbstschädigender Alkoholmissbrauch kann in Analogie zu einer Selbstverletzungstendenz auch als Autoaggression betrieben werden. Meist dient Alkohol jedoch der Verdrängung unangenehmer Gefühle und Erfahrungen.
Im autoaggressiven Akt schimmert die Aggression gegen Bezugspersonen durch. Durch die Folgen der Autoaggression werden sie vereinnahmt, angeklagt oder ins Unglück gestürzt; denn der Schutz einer Beziehung durch Wendung der Aggression gegen sich selbst kann tödlich enden.
Vorrangig wird wohlgemerkt nicht immer eine reale Beziehung geschützt, sondern die Rolle, die man spielt... und mit der Rolle das Bild, das man von sich selber hat. Das zeigt Pauls Entscheidung: Indem er sich tötet, beendet er alle realen Beziehungen und doch hält er sie virtuell aufrecht. Im Leben der anderen spielt er von da an eine Rolle, die sie niemals vergessen werden.
Zuweilen vermengen sich autoaggressives und passiv-aggressives Verhalten oder wechseln sich einander ab. Bei beiden Mustern wird der offene Konflikt vermieden.
Wie könnte ich Verursacher meines Erlebens sein, wenn ich kein Selbst habe, das Ursache sein könnte?
Es gibt Menschen, die das, was sie für sich selbst halten, so radikal ablehnen, dass sie die Erscheinungsformen ihrer selbst - also ihr relatives Selbst - nicht mehr als Ausdrucksweisen ihrer selbst erkennen. Sie des-identifizieren sich von sich selbst. Meist stecken schwere Selbstwertzweifel und entsprechende Schamgefühle dahinter, deren Erleben durch den Mechanismus abgewehrt wird.
Zwei Sichtweisen
Vor der Des-Identifikation vom Handlungspotenzial des Selbst
Ich bin es, der...
danach
Mir geschieht...
Die Des-Identifikation vom Selbst kann als Abwehrmechanismus postuliert werden, der eine zentrale Rolle bei der Auslösung schizophreniformer Psychosen spielt. Offensichtlich löst Selbstablehnung aber nicht bei jedem typisch psychotische Symptome (Ich-Störungen, Fremdbeeinflussungserlebnisse, paranoides Erleben, Halluzinationen) aus, sondern nur bei entsprechend disponierten Personen. Es ist ein biologischer Cofaktor anzunehmen, der die Bereitschaft des Gehirns bahnt, im Bewusstsein Elemente der Ich-Aktivität als passiv Erlebtes darzustellen.
Eine neurotische Variante der Des-Identifikation ist im stereotypen Gebrauch des unbestimmten Fürwortes man erkennbar.
Das Man ist eine Gruppe, in der das Individuum nicht mehr zu erkennen ist. Wer statt ich ständig man sagt, tritt dadurch in den Hintergrund. Insofern hat dieses Muster regressive Züge. Es ist ein kommunikatives Manöver durch das sich der Sprecher nur vermindert exponiert. Er ist es ja nicht, der ein Verhalten wählt. Er tut nur, was man eben tut.
Weder die psychotische Des-Identifikation vom relativen Selbst noch die neurotische Des-Identifikation von der persönlichen Verantwortlichkeit ist mit der spirituellen Des-Identifikation zu verwechseln. Bei der psychotischen Form bleibt das absolute Selbst ausgeblendet. Bei der neurotischen versteckt sich das Selbst hinter vermeintlich allgemeingültigen Regeln. Bei der spirituellen wird das absolute Selbst ausdrücklich gesucht.
Beim Dramatisieren werden Sachverhalte, eigenes Erleben und Empfinden oder die Taten anderer mit übermäßig emotionalem Aufwand dargestellt. Wer dramatisiert, gebraucht Superlative... und wiederholt sie gerne.
Häufiges Motiv beim Dramatisieren ist die Furcht, nicht beachtet zu werden. Durch lebhaftes Auftragen will man sich die Aufmerksamkeit des Gegenübers sichern. Auf Dauer passiert jedoch das Gegenteil. Je öfter man dramatisiert, desto schneller ziehen die Zuhörer das meiste vom Drama stillschweigend wieder ab; was man als mangelndes Interesse erlebt und womöglich zum Anlass nimmt, noch dicker aufzutragen.
Wer gebannt nach außen schaut, weiß nichts mehr vom Zusammenhang in seinem Inneren. Der Körper mag dann Dinge tun, ohne dass sein Verstand versteht, wer der Täter ist.
Im extremen Fall richtet der, der sich beim Bemühen um Aufmerksamkeit aufs Dramatisieren verlässt, den Blick so begierig auf den Effekt seiner Mühe, dass er das Gefühl für die eigene Integrität verliert. Zuweilen scheint es ihm dann so, als führten seine Impulse, oder gar seine Organe, ein Eigenleben: Ein Arm ist plötzlich "gelähmt", für Stunden war man "blind", rätselhafte Zuckungen schütteln den Körper... und wie sie schwanger werden konnte, ist der Jungfrau unerklärlich. Das nennt man Dissoziation.
Fixierung nennt man das Stehenbleiben auf einer bestimmten Entwicklungsstufe. Dadurch werden Progressionsängste vermieden, also die Angst, an den Herausforderungen einer heranrückenden Lebensphase zu scheitern.
Die Fixierung auf kindliche Grundmuster führt zur Beibehaltung abhängiger Verhaltensweisen. Der Abhängige spielt die Rolle des braven Kindes oder die des trotzigen. Oder beide Rollenmuster verweben sich zu einem widersprüchlichen Konglomerat. Das kommt z. B. bei der Borderline-Störung vor.
Wer idealisiert, sieht vom Anderen oder einem Sachverhalt nur noch die positive Seite. So ist die Idealisierung ein Teilaspekt der Spaltung. Sie bezweckt, Kritik und Konkurrenzimpulse, die zu Konflikten mit anderen führen könnten, abzuschwächen.
Wenn ich mache, was der Meister sagt...
Menschen neigen dazu, anderen besondere Autorität zuzuordnen. Sobald man glaubt, man habe jemanden gefunden, der zweifelsfrei weiß, was richtig ist, kann man auf das Risiko eigenen Denkens und Entscheidens verzichten. Mit dem glücklichen Gefühl, dass nun alles in Ordnung ist, folgt der Gläubige seinem Meister. Solche Mechanismen sind in Politik und Glaubensdingen weit verbreitet.
Unterwerfung
Der Idealisierung folgt logischerweise Unterwerfung. Dem Idealen muss man sich kritiklos unterordnen. Da Unterordnung keine Schande mehr ist, wenn der, dem man sich fügt, makellose Eigenschaften hat, verstärken sich beide Abwehrmuster wechselseitig.
Identifikation mit dem Aggressor
Mit Idealisierung und Unterwerfung ist oft die Identifikation mit dem Aggressor vergesellschaftet, denn der beste Schutz vor einer Schlägertruppe besteht darin, ihr beizutreten oder ihr zumindest zu signalisieren, dass man ihre Taten gutheißt. Die Identifikation mit dem Aggressor ist ein häufiger Abwehrmechanismus im Kleinen.
Im Großen spielt die Identifikation mit dem Aggressor bei der Ausbreitung von Weltanschauungen, die Andersdenkenden gegenüber ausgrenzende oder gar feindselige Verhaltensweisen fördern, eine ausschlaggebende Rolle.
Diktatoren zuzujubeln dämpft die Angst als Gegner verdächtigt zu werden.
Die Feindseligkeit solcher Weltanschauungen geht mit der Neigung ihrer Vertreter Hand in Hand, sie zu idealisieren. Die Aggression politisch Radikaler sowie die politisch-religiöser Gruppen wird durch den Gehorsam verstärkt, die solche Gruppen ihren Mitgliedern abverlangen. Je mehr sich jemand den Idealen der Gruppe unterwirft, desto mehr Idealisierung braucht er, um seine Unterwerfung zu rechtfertigen. Die Aggression, die die Unterwerfung in ihm hervorruft, richtet er nicht gegen den idealisierten Aggressor. Er verschiebt sie auf Gruppenfremde; was viele davon ihrerseits in Versuchung bringt, sich mit dem Aggressor zu identifizieren um sich vor dessen Aggression und der Aggression seiner Gefolgschaft zu schützen.
Herausbeweger I
Emotionen sind Herausbeweger. Wenn man sie bewusst durchlebt, machen sie beweglich. Wenn man sie in den Untergrund verbannt, bewegt sich der Boden, auf dem man steht; zuweilen so ruckartig, dass alles einstürzt.
Bei der Intellektualisierung wird der theoretische (griech.: theorein [θεωρειν] = betrachten) Aspekt eines Sachverhaltes stärker beachtet als der emotionale (lat.: emovere = herausbewegen). Intellektualisierung verhindert, dass man vom Erkannten berührt wird.
Wohlgemerkt
Betrachtung an sich ist kein Problem, sondern wesentliches Mittel der Erkenntnis. Problematisch ist die bewertende Einordnung des Erkannten in Denkschablonen, die anderenorts weitere Erkenntnis behindern.
Wie viele andere Abwehrmechanismen dient auch die Intellektualisierung der Vermeidung von Konflikten und der Sicherung der Autonomie. Im Grundsatz ist es nützlich, Ereignisse zunächst zu betrachten, sie nüchtern zu bewerten und dann erst zu reagieren. Nicht jede Emotion hat das Zeug, Verhaltensweisen heilsam zu befruchten. Betrachtung schafft jedoch Distanz. Wer sich herausbewegt, bewegt sich auf den anderen zu; oder von ihm weg. Der reine Betrachter steht abseits weltlicher Wogen. Übertreibt man das Intellektualisieren daher, begnügt man sich also damit, sich alles bloß zu erklären und einzuordnen statt gefühlvoll mitzuschwingen, wird der Kontakt zum Anderen unlebendig.
Das führt genau zum Gegenteil: Konfliktspannung wird aufgestaut. Die vermeintliche Autonomie wird theoretisch. In seinem privaten Weltbild hat der Intellektualisierer alles im Griff. Tatsächlich wird er ständig von verleugneten Emotionen und einer entfremdeten Umwelt bedroht.
Pathologisierung
Eine Spielart der Intellektualisierung ist das Pathologisieren. Es ist in der Psychiatrie weit verbreitet. Beim Pathologisieren werden problematische Stimmungen, Gefühle und Verhaltensweisen als Krankheitssymptome interpretiert und in theoretische Denkmodelle eingeordnet.
Wie bei allen Abwehrmechanismen hängen Nutzen und Schaden des Pathologisierens von der jeweiligen Situation ab. Bei schwerkranken Menschen ist es oft das Beste, zur übermächtigen Symptomatik Abstand zu schaffen; indem man sie als Krankheit auffasst und damit als behandelbares Objekt. Zur vollständigen Heilung von Ängsten, Depressionen und Zwangserscheinungen ist es in einem zweiten Schritt aber ebenso oft nötig, das Symptom wieder als Ausdruck der eigenen Person zu betrachten; und nicht nur als lästigen Störfaktor, der einfach nur wegsoll.
Bei der Introjektion werden Werte, Normen, Sichtweisen oder Meinungen aus dem Umfeld übernommen. Damit die Übernahme als Abwehrmechanismus gelten kann, sollten zwei Kriterien erfüllt sein:
Die ungefilterte Übernahme kognitiver Muster ist zunächst weder Problem noch Abwehrmechanismus. Sie ist ein entwicklungspsychologisches und gruppendynamisches Grundmuster. Das Rad muss nicht jedes Mal neu erfunden werden und vieles, was vertrauensvoll übernommen wird, ist kein unverdaulicher Fremdkörper, sondern fertiger Baustein. Erst wenn der Baustein nicht passt und es Angst ist, die zum Einbau verleitet, wird der Baustein zum pathogenen Introjekt.
Introjektion spielt eine große Rolle bei der Festigung von Gruppenzugehörigkeiten. Viele Kulturen fördern gezielt die Introjektion ihrer Wertvorstellungen durch andere, vor allem durch Kinder. Introjektionsfördernde Maßnahmen gelten als wesentliche Elemente gängiger Erziehung. Auch Subkulturen werden durch Introjektion stabilisiert.
Psychodynamisch ist die Introjektion mit der Identifikation mit dem Aggressor verwandt. Je freiwilliger übernommen wird, desto eher spräche man vom erstgenannten, je unmittelbarer Druck von außen ausgeübt wird, vom zweiten Mechanismus.
Konfluenz (lateinisch com = zusammen und fluere = fließen) mit dem Umfeld dient der Vermeidung gefürchteter Konflikte und zur Abwehr des Unbehagens, das erkennbares Anderssein nach sich ziehen kann. Menschen, die übereifrig Erscheinungsformen, Konventionen und Rituale des Umfelds übernehmen, sichern ihre Zugehörigkeit zum Preis eines abgeschwächten Ausdrucks ihrer Individualität ab.
Mystische Identifikation oder Konfluenz
Bei der mystischen Identifikation wird die Verflochtenheit mit dem Kontext anerkannt. Bei der Konfluenz wird ein Verfließen mit dem Umfeld angestrebt. Das Erste dient der Überschreitung des Egos, das Zweite seiner Festigung. Bei der Konfluenz schützt sich das Ego durch die Tarnkappe der Gleichheit. Bei der mystischen Identifikation verzichtet das Selbst auf den Anspruch, als besonderes Ego zu gelten.
Konfluenzphänomene finden sich....
Auch Konfluenz gehört zur normalen Dynamik sozialer Gruppen. Sie ist thematisch eng mit der Introjektion und der Identifikation mit dem Aggressor verwandt. Das Umfeld wird als schützender Rahmen gedeutet, in den man durch optimale Angleichung einzutauchen versucht. Während kognitive Muster bei der Introjektion verinnerlicht werden, mag es bei der Konfluenz bei einer oberflächlichen Anpassung an Erscheinungsformen bleiben. Auch die Identifikation mit dem Aggressor kann tief vollzogen werden oder bloße Taktik sein.
Erst wenn der Impuls zur Anpassung an das Umfeld überwertig wird, ist der Mechanismus pathologisch. Böse Zungen bezeichnen Menschen mit einer Vorliebe für konfluente Muster als Normopathen.
In Santa Maria del Renacimiento beten alle zur Heiligen Jungfrau. In Gilead ruft die Menge Hosianna. In Wahad al Sayed verbeugt man sich gemeinsam Richtung Mekka. Andernorts vergießen Massen heiße Tränen für den großen Führer in Pjöngjang. Die meisten frommen Leute zweifeln nicht daran, dass ihr Tun das einzig richtige ist. Es darf vermutet werden, dass die Mehrzahl dieser Menschen etwas anderes täte, hätte der jeweilige Zeit- und Ortsgeist ihnen gesagt, es zu tun.
Konversion und Dissoziation sind nicht dasselbe. Oft treten sie aber gemeinsam auf. Bei der Dissoziation werden einzelne Modi der Selbstwahrnehmung oder -steuerung aus dem Zusammenhang des Ich-Bewusstseins abgespalten.
Konversion bezeichnet den Ausdruck der abgespaltenen Inhalte durch symbolhafte Fehlfunktionen der motorischen, sensiblen oder sensorischen Systeme. Das Symptom drückt dann jenen Bewusstseinsinhalt aus, den der Patient bewusst nicht als Element seiner selbst akzeptiert. Zur klassischen Symptomatik der Konversionsstörung gehören:
Modi, die dissoziieren können
Beispiele:
Bei der dissoziativen Identitätsstörung durchziehen Dissoziationen das gesamte Selbsterleben. Statt sich als vielschichtige Person mit widersprüchlichen Impulsen zu erleben, spaltet der Kranke das Widersprüchliche auf und agiert nacheinander verschiedene Rollen aus, die scheinbar unabhängig voneinander im selben Körper hausen.
Von den Konversionsstörungen sind die Somatisierungsstörungen abzugrenzen. Dabei beeinflusst der psychische Inhalt nicht die Funktion der Willkürmotorik, der Sinnesorgane oder der Oberflächensensibilität, sondern die Funktionen des vegetativen Nervensystems und damit die Funktionen innerer Organe.
Alles Böse liegt bei den anderen.
Bei der Projektion werden eigene Impulse und Eigenschaften, die man nicht wahrhaben will, anderen zugeschrieben. Projektionen erkennt man oft an der Pauschalität ihrer Urteile.
Projektionen setzen Distanz voraus: Am leichtesten projiziert man auf das, was man am wenigsten kennt. Projektionen setzen fehlendes Selbstbewusstsein voraus: Am meisten empört man sich über die Laster derer, deren Laster man unerkannt in sich trägt.
Was Projektionen begünstigt:
Durch Projektion vermindert man Konflikte, die man mit sich selber hat. Das Bild von sich selbst bleibt übersichtlich und widerspruchsfrei. Die Wahrnehmung anderer wird jedoch verzerrt. Da man Impulse, die man nicht wahrhaben will, als schlecht bezeichnet, führt Projektion regelhaft zur Herabsetzung anderer... und begünstigt damit Feindseligkeit.
Milde Formen der Projektion sind weit verbreitet. Nur durch umfassende Selbsterkenntnis kann man projektive Muster vollends hinter sich lassen. Die Übergänge vom Normalverhalten zur paranoiden Persönlichkeit und zum Verfolgungswahn sind fließend.
Der Berg ruft.
Offensichtlicher kann Projektion nicht sein.
Zum Verständnis der Projektiven Identifikation macht es Sinn, sich die Situation eines Säuglings vor Augen zu halten. Ein Säugling ist auf sich gestellt nicht lebensfähig. Seine Existenz setzt die Übernahme wesentlicher Fürsorgefunktionen durch die Mutter voraus. Der Säugling vereinnahmt somit Funktionen, die der Entscheidungshoheit einer anderen Person zugeordnet sind. Man geht davon aus, dass sein Bewusstsein den Hunger und die nährende Brust der Mutter noch nicht zwei unterschiedlichen personalen Einheiten zuordnet. Der Säugling unterscheidet nicht zwischen Ich und Du.