Gefesselt – Der Aufstand
ist der zweite Teil der Gefesselt Reihe.
Die Gesichte spielt teilweise zur selben Zeit,
wie der Roman Infiziert – Geheime Sehnsucht.
Leser dieses Titels werden sich über
ein Wiedersehen mit alten Bekannten freuen.
Dieses Buch enthält Darstellungen von
sexueller Gewalt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über www.dnb.dnb.de abrufbar.
© 2019 Elenor Avelle
www.elenoravelle.de
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
Illustrationen: Elenor Avelle
Cover: Christin Thomas
www.giessel-design.de
Lektorat: Nina Hasse
www.texteule-lektorat.com
Korrektorat: Nora Bendzko
www.norabendzko.com
ISBN: 9783749461387
Für Annika
Rebecca saß an ihrem Schreibtisch vor dem Mikroskop. Ein Objektträger war eingelegt. Ihre Hand lag auf dem Grobtriebknopf, doch Rebecca sah nicht durch das Okular. Ihr Blick war nach innen gerichtet.
In diesem Augenblick war Lisette unterwegs, um Sprengstoff zu besorgen. Da Malcom unvorhergesehen bei ihr im Labor arbeitete, konnte sie die Aktion nicht wie geplant über ihren Laptop unterstützen. Die Unwissenheit machte sie unruhig. Vor allem, da sie zur Umsetzung ihres Plans weniger Zeit hatten, als ihnen lieb war. Irgendetwas ging draußen vor sich. Sie wussten nicht genau was, denn Genetics hatte eine Nachrichtensperre verhängt und die strengen neuen Sicherheitsvorschriften würden sich laut Icarus in den nächsten Tagen noch verschärfen.
Malcom räusperte sich verärgert. Überrascht sah Rebecca auf. Sie hatte nicht bemerkt, dass er etwas gesagt hatte. Bis vor ein paar Minuten war er noch beschäftigt gewesen.
„Was treibst du da eigentlich schon wieder?“ Er nickte mit dem Kopf in Richtung Mikroskop.
Seit wann interessierte er sich für Smalltalk? Sie schob ihren Stuhl vom Schreibtisch weg und wies auf das Gerät. Malcom trat tatsächlich näher und warf einen Blick durch das Okular.
„Sehr schön, sehr schön.“ Er wirkte abgelenkt und fragte nicht einmal, was für Nanobots auf dem Objektträger herumdümpelten.
„Es ist die Serie, die du letzte Woche angefordert hast“, erklärte Rebecca. „Ich bin fertig. Du kannst sie gleich mitnehmen.“
Sie zog den Träger vom Objekttisch und legte ihn in eine Schale mit Vernichter. Malcom nahm das versiegelte Päckchen mit den übrigen Bots kommentarlos entgegen. Eine Weile betrachtete er die durchsichtige Schachtel mit den Röhrchen. Dann legte er sie zurück auf den Tisch.
„Leider müssen unsere Projekte warten. Die Firma wird in den nächsten Tagen einige Besucher in den Komplex bringen. Es gibt noch viel vorzubereiten.“
„Besucher?“
Es war nicht ungewöhnlich, dass ab und an Vertreter der Regierung oder des Militärs Zutritt zum Komplex bekamen. Immerhin floss ein beträchtlicher Teil von Steuergeldern in die Forschung von Genetics. Aber seit wann wurde so viel Aufhebens deswegen gemacht?
Malcom überging die Frage und warf einen Blick zu Rebeccas Schrank. „Hast du dich noch weiter mit deinem HAB beschäftigt?“ Angespannt knetete er seine Finger.
Was wollte er von ihr hören? Sollte sie lügen, um sein Ego zu besänftigen?
„Ja.“ Sollte er sich doch wieder darüber aufregen. Sie konnte das Projekt nicht einfach vergessen, damit er sich nicht übertrumpft fühlte.
„Fein, fein“, murmelte er und starrte weiter auf den Schrank. „Schon einen Test am lebenden Subjekt gemacht?“
Rebecca zog die Augenbrauen hoch. Versuchte er sie auszutricksen? Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Das hast du mir nicht genehmigt.“
„Aber das hält uns Visionäre doch nicht auf, nicht wahr?“ Es klang fast wie eine Bitte.
„Ich habe einen Selbstversuch gemacht“, gab Rebecca zögernd zu. Vielleicht war Malcom endlich bereit, ihren Antivirus produzieren zu lassen. Das VAX befand sich immer noch unter Verschluss.
Herausfordernd sah er sie an. „Zeig mir doch die Dokumentation.“
Mit flauem Gefühl im Magen rief Rebecca die Protokolle über ihren Selbstversuch auf. Auf den Bildschirmen im Labor öffneten sich die Bilder vom Mikroskop. Die Botaufkommen waren deutlich zu erkennen.
„Ist das X?“, fragte Malcom, als er die aggressiven Simulationsbots sah, die Blutplättchen und Zellen infiltrierten.
Rebecca schüttelte den Kopf. Sie würde nicht im Traum daran denken, seine unkontrollierbaren X-Nanobots zu nutzen. „Ich habe Bots programmiert, die X simulieren. Allerdings ist das Ganze etwas anders verlaufen als geplant. Ich will mir nicht vorstellen, wie es mit echten Xantippenanos ablaufen würde.“
„Nein, willst du nicht.“ Ein Schweißtropfen rann seine Schläfe hinunter. Wurde Malcom krank? Er betrachtete die weiteren Aufnahmen und nickte zufrieden. „Dein HAB macht sich ausgezeichnet. Aber es wird recht spät aktiv. Ob es wirklich gegen X bestehen kann?“
Rebecca lächelte selbstgefällig. „HAB ist lernfähig. Nach diesem ersten Versuch habe ich noch zwei weitere durchgeführt und mittlerweile kommen die Simulationen nicht einmal mehr dazu, sich zu aktivieren.“
Überrascht sah er sie an. Dann krempelte er seinen Ärmel hoch und tippte sich auf die Armbeuge. „Wollen wir doch mal sehen, wie das Ganze in einem anderen Organismus aussieht.“
„Ähm.“ Rebecca rollte auf ihrem Stuhl ein Stück zurück.
„Du wolltest doch, dass ich die Produktion deines HAB genehmige?“ Er klopfte sich wieder auf den Arm. „Hier ist deine Gelegenheit, mich zu überzeugen.“
Was hatte er vor? War das ein Test? Aber wahrscheinlich würde er keine Ruhe geben, bis sie nachgab. Also ging sie zu ihrem Schrank und holte die nötigen Utensilien. Mit ganz neuem Interesse betrachtete er den Vernichter und den Versiegler. Auch das Lichtspray, das die Bots für das bloße Auge sichtbar machte, sah er mit einem solchen Verlangen an, dass Rebecca alles am liebsten gleich wieder weggeschlossen hätte. Wollte er sich ihre Entwicklungen unter den Nagel reißen, um sie als seine eigenen auszugeben?
„Wir sollten noch mal über die Produktion deiner netten kleinen Spielzeuge reden.“ Malcom leckte sich über die Lippen, während Rebecca ihm den Gummischlauch um den Oberarm band. Sie klopfte ihm in die Armbeuge und suchte nach einer guten Vene. Dann nahm sie eine Spritze und Ampulle zur Hand und zog sie auf.
„Der X-Simulator, nehme ich an?“
Rebecca nickte und injizierte die Substanz. Sie warf die Spritze in die Schale, in der bereits der Objektträger lag, und zog eine zweite Spitze mit dem HAB auf. Nachdem sie auch diese in Malcoms Blutbahn gespritzt hatte, reinigte sie die Werkzeuge.
„Sehr gekonnt“, kommentierte Malcom. „Ich hätte dir besser zuhören sollen.“
Seine Einsichtigkeit verursachte ihr Unbehagen. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich dahinter gute Absichten verbargen. Aber die Neugier, wie sich ihre Nanobots in Malcoms System verhalten würden, verdrängte diese Sorgen.
Nachdem sie das Kontrollspray in der Luft verteilt und keine Kontamination festgestellt hatte, nahm sie Malcom Blut ab. Auf den Bildschirmen konnte sie bequem betrachten, was sein Blutbild ergab. Keine deformierten Zellen und die HAB-Bots hatten sich bereits an die Simulatoren geheftet.
„Erstaunlich“, sagte Malcom. „Was machen sie mit ihnen?“
„Umprogrammieren. Aus jedem X wird so ein HAB.“
„Eine hervorragende Idee“, gab er zu.
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihnen lediglich beigebracht, X zu neutralisieren. Das Umprogrammieren haben sie selbst erlernt. Wie ich bereits sagte, entwickeln sie sich.“
„Aber ist das nicht ein bisschen riskant?“
Rebecca wiegte den Kopf hin und her. „Sie operieren nur im Rahmen der Vernichtung des Virus. Wenn es keine Erreger mehr gibt, werden sie inaktiv.“
„Und wenn neue X-Nanos in den Organismus gelangen?“
„Die Bots heften sich an Gewebe und warten. Wer einmal HAB bekommen hat, ist immun.“
Hatte er gerade erleichtert geseufzt? Das musste sie sich eingebildet haben.
„Was ist mit rückwirkender Regeneration?“
Sie schüttelte den Kopf. „Irgendwann werde ich vielleicht dazu in der Lage sein, die Schäden zu reparieren, aber ich bezweifle, dass dabei der gleiche Mensch herauskommen würde wie vor dem Kontakt mit X. Der Eingriff von X in die DNA und ins Hirngewebe ist zu weitreichend.“
„Nun gut. Bleibt abzuwarten, ob HAB gegen das echte X wirklich funktioniert.“ Malcom rieb sich über die Einstichstellen und entfernte den Gummischlauch. Dann blickte er auf den Tisch mit Rebeccas Mittelchen. „Ich möchte, dass du mehr HAB herstellst. So viel wie möglich. Du kannst so viele Versuchssubjekte beantragen, wie du willst. Hol dir ins Boot, wen auch immer du brauchst, um das zu bewerkstelligen.“
Rebecca sah sich skeptisch im Labor um. Noch nie hatte Malcom geduldet, dass andere seine heiligen Hallen betraten.
„Auch davon solltest du mehr herstellen.“ Er deutete auf den Vernichter und die anderen Mittel.
„Gibt es Probleme?“, fragte sie.
„Der Komplex ist sauber und arbeitet einwandfrei. Mach einfach, was ich sage.“
„Okay.“ Sie erhob sich und räumte ihren Arbeitstisch auf. Doch die vertrauten Handgriffe konnten das beklemmende Gefühl nicht vertreiben, das sich in ihrer Brust zusammenballte.
Mit Malcoms Blick im Rücken schloss sie ihre Projekte in ihren Schrank. Sie klappte den Laptop zu und nahm ihn und ihre Unterlagen vom Tisch. An der Labortür drehte sie sich noch einmal zu Malcom um, aber er hatte sich einem Terminal zugewandt und sah sich die Bilder von Rebeccas Selbstversuch an. Es hinterließ ein unangenehmes Gefühl, so als würde ein Fremder ihre Schubladen durchwühlen. Sie zog ihren Kittel am Kragen zusammen und ging hinaus. Beinahe wäre sie in Reynell gerannt.
„Nicht so stürmisch, Süße.“ Er packte sie an den Oberarmen, als wollte er sie vor einem Sturz bewahren.
„Nichts passiert“, murmelte sie, in Gedanken noch bei Malcoms komischem Verhalten. Aber Reynell ließ sie nicht los. Ärgerlich sah sie zu ihm auf.
„Dieses Temperament“, raunte er und wollte sie küssen.
Sie wandte den Kopf ab und trat ihm mit dem Absatz auf den Fuß. Leider waren seine Stiefel zu dick, als dass sie ihm ernsthaft wehtun konnte.
„Lass mich los.“
Reynell lachte. „Das klang das letzte Mal aber ganz anders.“
Sie musste sich davon abhalten, ihn nicht anzuspucken. „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass wir das Geschäftliche geschäftlich belassen.“
„Aber ja.“ Er grinste. „Ich dachte auch eher daran, das Private noch privater zu machen.“
Er zog sie näher an sich heran. Sie wand sich in seinem Griff wie ein Aal und bekam einen Arm frei. Ihr Laptop und die Unterlagen fielen zu Boden. Gerade als Reynell im Begriff war, Rebecca ebenfalls hinunterzudrücken, fiel ein Schatten auf sie. Unter Reynells Arm und zwischen ihren zerzausten Haaren hindurch sah Rebecca zu Tauro auf. Seine mächtigen Hörner überragten alles und unter dem ledernen Harnisch konnte sie seine muskulöse Brust erahnen. Die Maske verbarg jede Regung seines Gesichts, die Augen lagen hinter schwarzen Höhlen.
„Schluss damit“, dröhnte seine tiefe Stimme.
Reynell ließ Rebecca sofort los und richtete seine Jacke. Er bemühte sich sichtlich darum, nicht eingeschüchtert zu wirken. „Mach dich vom Acker, Retortenrindvieh“, sagte er ein bisschen zu eifrig und wedelte mit der Hand herum, bevor er schleunigst im Labor verschwand. Zischend glitt die Tür hinter ihm zu.
Rebecca stieß den Atem aus. Ihre Hände zitterten, als sie sich hinkniete, um ihre Sachen aufzuheben. Da schob sich Tauros Hand in ihr Blickfeld und hielt sie auf. Sie zog sich zurück, während er ihre Sachen für sie zusammensammelte.
„Danke“, sagte sie, als er ihr den Laptop und die Papiere übergab. Kommentarlos wandte er sich ab und folgte Reynell ins Labor.
Rebecca lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand und schloss die Augen. Ihr Herz raste noch immer und sie musste konzentriert ein- und ausatmen, um sich nicht zu übergeben. Vielleicht konnten sie umdisponieren und den Drecksack irgendwie in das Lagerhaus lotsen, wenn die Bombe hochging.
Verdammt! Sie musste sich etwas überlegen, um sich Reynell zukünftig selbst vom Hals halten zu können.
Immer noch wacklig auf den Beinen ging sie in ihr Büro. Sie legte ihre Sachen auf den Schreibtisch und suchte ihre Handtasche, die sie schließlich neben ihrem Mantel an der Garderobe fand. Auf dem Kragen waren die Schneeflocken zu feuchten Wasserflecken geschmolzen. Sie griff in die Tasche und holte das Pfefferspray heraus. Dann ließ sie es in ihrer Kitteltasche verschwinden. Erleichtert sah sie sich in ihrem Büro um.
„An die Arbeit.“
*
Gill kauerte hinter einer Hausecke. Dicke Betonbrocken waren daraus gesprengt worden, in der Mitte der Straße befand sich ein riesiger Krater. Wie ein Maul aus Stein hatte er Fahrzeuge und Asphalt verschluckt.
Neben Gill hockte Bell, der verstört auf den Boden starrte. In den letzten Stunden hatte der Hüne nicht viel gesprochen. Keiner von ihnen. Die Bilder, die sich in ihre Erinnerungen gefressen hatten, quälten sie. Ganz normale Leute waren übereinander hergefallen, Kinder ebenso wie Erwachsene. Sie hatten Zivilisten getötet, Soldaten, sogar einen Hund, der sich auf drei Beinen durch die Straßen geschleppt hatte. Aus dem Stumpf hatten die Muskeln und Sehnen herausgehangen, aber das hatte das Tier nicht aufhalten können. Ebenso wenig den Mann, dem der halbe Oberkörper gefehlt hatte. Sie hatten auf ihn geschossen, bis er zu dicht war, und ihn dann mit ihren Gewehrkolben zu Matsch zerstampft. Doch das Schlimmste war, dass sich kaum eine Minute später zwei der Soldaten, die kurz zuvor gemeinsam mit ihnen um ihr Überleben gekämpft hatten, zu ihnen umwandten, um zähnefletschend über sie herzufallen.
Gill entdeckte Fletcher, der in einem weiten Bogen um den Krater herum zu ihnen zurückkam. Er duckte sich hinter Steinbrocken und Autos.
„Der Weg ist frei.“
Ohne ein weiteres Wort verließen sie ihre Stellung und eilten gebückt hinter Fletcher her. Sie waren auf der Suche nach Nahrung.
Fletcher führte sie zu einem Supermarkt. Einkaufswagen türmten sich wie eine künstlerische Installation auf dem Parkplatz. Doch sie kamen nicht dazu, hineinzugehen. Eine Straße weiter hörten sie das Röhren eines Motors.
„Klingt nach einem Panzer“, sagte Bell, zu neuem Leben erwacht.
Eilig hechteten sie zurück und schlichen sich in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Es verstummte, doch sie waren schon nahe genug, um zu hören, dass jemand Befehle bellte.
„Briten“, jubelte Bell. Er wollte schon drauflos stürmen, als Gill ihn zurückhielt. Besser, sie näherten sich umsichtig. Selbst wenn es dort vorne keine Verrückten gab und es sich um Landsleute handelte: Sie sahen dreckig und zerlumpt aus. Es konnte gut sein, dass die Soldaten nach den Erlebnissen der letzten Tage zuerst schossen und dann fragten.
Gill ging voran, die anderen folgten ihm ungeduldig. Sie entdeckten eine Barrikade aus Trümmern, Autos und Sandsäcken, die in der Seitenstraße neben einem Krankenhaus errichtet worden war. Ein zusammengewürfelter Haufen Menschen mit unterschiedlichsten Waffen kauerte hinter der Konstruktion. Das Krankenhaus nebenan war von Stacheldraht umgeben, mehrere Panzer standen bemannt vor dem Haupteingang. Krankenwagen und andere schwere Fahrzeuge erschwerten den Zugang zusätzlich und auf dem Dach konnte Gill mehrere Schützen ausmachen.
Hoffnungsvoll spähte Bell über Gills Schulter. Die letzten Barrikaden, die sie gefunden hatten, waren mit Leichenteilen übersät gewesen. Sie hatten nur noch ein paar der Verrückten erschießen und fliehen können.
Die Schützen auf dem Dach sahen ihre Bewegungen und Gill stieß eine Warnung aus. Sie gingen hinter einer Ecke in Deckung und schon sprengten Projektile Löcher in den Asphalt.
„Halt“, brüllten Gill und eine Frau hinter der Barrikade gleichzeitig.
„Feindkontakt!“, rief ein Mann vom Dach. Ein vereinzelter Schuss durchschnitt die Luft.
„Halt, habe ich gesagt“, wetterte die Frau bei der Barrikade. Stille trat ein.
„Ich bin Second Lieutenant Haige“, rief Gill. „Wir sind zu dritt. Stellen Sie das Feuer ein.“
„Kommen Sie raus, damit wir Sie sehen können.“
Gill sah Bell und Fletcher an. Sich einem schießwütigen Haufen mit nervösen Zeigefingern auszuliefern, war nicht in ihrem Sinn. Trotzdem kamen sie langsam hinter der Ecke hervor und hoben ihre Arme.
Die Menschen auf dem Dach und hinter der Barrikade verfolgten jede ihrer Bewegungen. Wie in Zeitlupe gingen sie auf den Haufen aus Säcken und Wracks zu.
Eine Frau in der britischen Uniform eines Sergeants trat vor, hielt sich aber noch im Schutz ihrer Leute. Sie war recht klein und schmal. Unter ihrer Mütze lugten dünne blonde Haare hervor. Ihr Gesicht war schmutzig, doch zwischen all dem Dreck leuchteten blaue Augen, die eine Härte und Entschlossenheit ausstrahlten, wie Gill sie selten gesehen hatte.
„Gebissen oder gekratzt worden?“
Gill schüttelte den Kopf. Vor ein paar Tagen wäre ihm so eine Frage noch seltsam vorgekommen. Aber nach allem, was passiert war, war sie wichtiger als alles andere.
„Angespuckt, mit Blut bespritzt, was geschluckt davon?“
„Was soll der Scheiß?“, knurrte Fletcher. Er war müde und hatte eine Mordslaune. „Habt ihre eine Ahnung, was da draußen los ist? Gerade sitze ich noch im Kino und dann fliegt mir eine Granate um die Ohren. Seit Tagen irren wir durch dieses Höllenloch. Wir spielen im selben Team, Mann!“
Ohne jedes Mitgefühl sah der Sergeant ihn an.
„Nehmen Sie Haltung an, Soldat“, bellte Fletcher. „Ich bin Lieutenant dieser beschissenen Army und somit Ihr Vorgesetzter.“
Die Frau war nicht beeindruckt, gab ihnen aber ein Zeichen, ihr zu folgen. Als sie die Barrikade durchschritten, kam sich Gill nicht so vor, als würden sie in ein Lager der Armee einziehen. Er musterte die Menschen auf dem Hindernis. Kaum einer trug Uniform. Und wenn doch, waren es deutsche Gefreite.
Der Sergeant führte sie durch einen Seiteneingang ins Krankenhaus. Die Korridore sahen verlassen aus. Das Licht funktionierte nicht mehr. Im Halbdunkel gingen sie zu einem Büro im Erdgeschoss. Dort hatte man Strahler an tragbare Batterien angeschlossen und eine provisorische Kommandozentrale eingerichtet. Vor einem Bord, auf dem eine Karte der Stadt und des umliegenden Geländes angebracht war, hockte ein Mann in Uniform und bediente träge ein Funkgerät. Er war Mitte vierzig und seine runden Gesichtszüge wirkten aschfahl. Seinen Abzeichen nach war er Colonel, doch statt sich um seine Leute zu kümmern, kauerte er auf einer Kiste und strahlte Resignation aus.
Gill blickte auf die Karte hinter dem Mann. Schwarzer Marker kennzeichnete Stellungen, grün schraffierte Flächen sichere Zonen. Fast alle waren rot durchgestrichen, die Zeichnungen immer fahriger geworden. Irgendwann hatte jemand unkontrolliert und voller Frust drübergekrakelt. Aber wenn er es richtig entzifferte, gab es in der Stadt keine einzige andere gesicherte Stellung mehr.
Wie in Trance blickte der Colonel von seinem CB auf. Um den Hals trug er einen dicken Verband, durch den Blut schimmerte.
„Sir“, sprach Gill ihn an. „Wie können wir helfen?“
Der Colonel reagierte nicht gleich und Gill kam nicht umhin, sich zu fragen, ob der Mann gebissen worden war.
„Sir“, sagte der Sergeant leise.
„Leider nichts“, antwortete der Colonel und legte das Sprechteil des CB beiseite. An Gill gerichtet sagte er: „Suchen Sie sich jemanden, der Ihnen das sagen kann. Ich hatte kein Glück. Schon seit Stunden höre ich nichts mehr.“ Er ging zu einem Tisch und mit mulmigem Gefühl betrachtete Gill den Haufen von Erkennungsmarken, der darauf lag.
„Lassen Sie antreten“, sagte der Colonel zum Sergeant. Diese zögerte, doch dann ging sie.
„Wie sehen Ihre Befehle aus?“, wollte Gill wissen.
Eine Weile herrschte Schweigen. Dann wandte sich der Colonel ihnen zu. Seine Stimme klang farblos. „Der letzte Befehl lautete, zur dritten Stellung vorzurücken.“ Er zeigte auf die Karte.
„Aber das liegt mitten in der Stadt“, keuchte Bell.
Fletcher fluchte. „Da ist nichts mehr.“
Der Colonel nickte geistesabwesend.
„Wir verlassen die Stadt“, sagte Gill. „Wir schlagen uns zum deutschen Ausbildungslager durch. Dort hoffe ich, auf meine Einheit zu treffen.“
„Es ist egal, wohin Sie sich wenden“, sagte der Colonel. „Es sieht überall gleich aus.“
„Wie meinen Sie das?“, fragte Bell.
Der Colonel sah Gill an und richtete sich unter seinem Blick ein wenig auf. „Sie haben nicht viel mitbekommen von dem, was vor sich ging, nicht wahr?“
Gill schüttelte den Kopf, aber Fletcher ballte die Fäuste. „Wir waren mittendrin!“
Der Colonel wandte seinen Blick nicht von Gill. „Überall ist mittendrin. Das hat sich schneller verbreitet als jedes Buschfeuer. Wir hörten als Letztes, dass die Dänen versucht haben, die Grenzen dichtzumachen. Und die Polen und Tschechen und …“
„Schon gut“, zischte Fletcher.
„Was ist passiert?“, fragte Gill.
Der Colonel zuckte mit den Schultern. „Eine Seuche, Armageddon. Suchen Sie sich etwas aus. Den Rest haben Sie sicher mit eigenen Augen gesehen.“
„Dann sollten wir erst recht raus aus der Stadt. Ballungszentren bergen ein höheres Risiko als ländliche Gebiete.“
Der Colonel drehte sich zu seiner Karte um, als ginge ihn das alles nichts mehr an, und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Er erinnerte Gill an den Kapitän der Titanic.
„Führen Sie uns und Ihre Leute raus aus der Stadt“, bat Gill.
Der Colonel stieß ein freudloses Lachen aus. „Meine Leute. Wir kamen, um zu helfen. Militärhubschrauber aus allen umliegenden Ländern. Ein denkwürdiger Augenblick. Der ist vorbei.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich folge meinen Befehlen.“
„Aber Sie sagen doch selbst, dass da niemand mehr ist“, fluchte Bell. „Wollen Sie diese Menschen in den Tod führen?“
Der Colonel wandte sich ihnen wieder zu und begann, seine Sachen zusammenzupacken. Er nahm Patronen vom Tisch und steckte sie in seine Weste, dann griff er nach einer vollautomatischen Waffe.
„Alles, was wir Briten übrighatten, wurde bei der dritten Stellung zusammengezogen. Vielleicht kämpfen sie dort noch immer. Sie warten auf Unterstützung, und soweit die Aufklärer berichtet haben, ist der Weg jetzt wieder frei.“
„Aber Sie haben schon länger keinen Funkkontakt mehr“, warf Gill ein. Der Colonel warf ihm einen strengen Blick zu. Er war immer noch sein Vorgesetzter.
„Sind Sie der ranghöchste Offizier hier?“, fragte Fletcher. Er bekam keine Antwort.
„Wir können uns Ihnen nicht anschließen“, sagte Gill entschlossen. Er würde sich an keinem Himmelfahrtskommando beteiligen. Zu seiner Überraschung nickte der Colonel.
„Nehmen Sie jeden mit, der mit Ihnen gehen will“, sagte er stattdessen. Er wusste, dass es Irrsinn war, in die Stadt vorzurücken. Aber ohne ein Ziel wäre er orientierungslos, ohne gültige Befehle würde seine Welt vollends kollabieren.
„Ich bin nur ein Second Lieutenant“, versuchte Gill noch einmal, ihn dazu zu bringen, mit ihnen zu kommen. „Ich kann diese Truppe nicht anführen.“
Der ältere Offizier sah ihn an, betrachtete auch Fletcher und Bell. „Das tun Sie doch schon die ganze Zeit.“ Er ging wieder zu seinem Tisch und las etwas auf. Dann kam er zu Gill herüber. „Aber wenn Ihnen das hilft.“ Er klebte Gill das blutbeschmierte Abzeichen eines Captains auf die Weste.
„Herzlichen Glückwunsch zur Beförderung.“
*
„Irgendetwas Seltsames geht da vor sich“, sagte Lisette und rotierte auf einem Drehstuhl um ihre eigene Achse. Ihr Gewehr lehnte an der Wand neben der Tür. Sie war vor einer halben Stunde ins Labor gekommen, um Bescheid zu geben, dass der Diebstahl geglückt und der Sprengstoff versteckt war.
„Hmhm“, brummte Rebecca am Nachbartisch und hackte auf die Tastatur ein.
Lisette hielt inne. „Kommt dir das nicht alles merkwürdig vor? Plötzlich ist Dr. Addison Feuer und Flamme für deinen Kram. Das Verwaltungspersonal rennt wie ein Haufen aufgeschreckter Hühner herum, weil wir um die hundertfünfzig Besucher bekommen. Hundertfünfzig! Lass dir das mal auf der Zunge zergehen.“
Rebecca ließ von der Tastatur ab und seufzte. Müde rieb sie sich die Stirn. „Und ob da etwas vor sich geht.“
„Konntest du gar nichts herausfinden?“
„Wer arbeitet denn beim Sicherheitspersonal?“ Rebecca zeigte mit dem Finger auf die Geseco.
„Der Einzige, der bei uns etwas wissen könnte, ist Reynell und der hält sich bedeckt.“
Rebecca nickte.
„Meinst du, wir sind aufgeflogen?“, fragte Lisette.
„Na klar, und um unseren Untergang zu feiern, laden sie hundertfünfzig Partygäste ein.“
„Aber irgendetwas ist da im Busch und wenn wir nicht bald herausbekommen, was, dann bringt das unseren ganzen Plan in Gefahr. Sobald das Päckchen das Firmengelände verlassen hat, haben wir es nicht mehr in der Hand.“
„Damit müssen wir leben. Es gibt kein Zurück. Wir haben schon alles zusammengeklaut. Jetzt müssen wir es so schnell wie möglich loswerden, bevor jemand unser Versteck findet. Außerdem hatten wir wirklich Glück. Stell dir nur vor, was passiert wäre, wenn der Besuch schon früher hergekommen wäre. Alle Spionagearbeit und Dienstpläne für den A–.“
„Sag ruhig Arsch. Fäkalsprache ist in unserer Situation genau das Richtige.“ Lisette runzelte nachdenklich die Stirn. „Sollen wir die Aktion abblasen und den Krempel verschwinden lassen? Das würde ich hinbekommen.“
„Nein. Die Gelegenheit ist günstig. Es wird ein Leichtes sein, den Anschlag den Firmengegnern anzuhängen. Du sagtest, die Stimmung bei den Demonstranten sei kurz vor dem Überkochen. Oder möchtest du gerne ein Bekennerschreiben verfassen, nachdem wir Distrikt 1 hochgejagt haben? Reynell wäre sicher hocherfreut, uns beide zu verhaften.“
Lisette verzog angewidert den Mund. „Du hast ja recht. Eine bessere Gelegenheit es den Invitrogegnern anzuhängen gibt es nicht. Die Gesecos sind nervös. Sie befürchten einen Anschlag. Zu unserem Glück jedoch nicht von innen. Wenn wir morgen für den Einsatz rausgehen, weiß ich mehr.“
„Lieferst du das Päckchen dann aus?“
Lisette zuckte mit den Schultern. „Wie du schon sagtest, wir müssen das Ding loswerden und ich weiß nicht, wie viele Gelegenheiten noch kommen. Ich denke, ich entscheide es spontan.“
„Was, meinst du, wird passieren, wenn sich das Chaos gelegt hat?“ Der Gedanke ließ Rebecca seit Tagen nicht los.
„Ich denke, es wird Verhaftungen geben. Sie werden es als terroristischen Akt hinstellen und versuchen, es für die Kampagne zu nutzen. Wenn alle Welt auf die Opfer und die brennenden Rauchsäulen schaut, ist es sicher leichter, ein Gesetz durchzuboxen, das eigentlich keiner haben will.“
„Opfer“, wiederholte Rebecca mit Gewissensbissen. Würde sie jemals wieder ruhig schlafen können?
„Hey“, rief Lisette und kam zu ihr herüber, um ihr die Hand zu drücken. „Ich bin die mit den kalten Füßen, du die mit der Zuversicht. Es wird schon gutgehen.“
Rebecca starrte ins Leere und erlaubte ihren Ängsten für einen Augenblick sich ihrer zu bemächtigen. „Wahrscheinlich pusten wir die halbe Stadt weg, tragen aktiv dazu bei, dass dieses ganze abscheuliche Treiben hier legalisiert wird und am Ende stehe ich vor einem Haufen Tanks, in denen neben meiner Schwester die Kerle liegen, denen wir unsere Schandtat angehängt haben.“
„Okay“, sagte Lisette und setzte sich mit verschränkten Armen auf die Tischkante. „Und jetzt bitte noch mal die Version, die wir geplant haben.“
Rebecca lehnte sich auf ihrem knarrenden Stuhl zurück. „Der Sprengsatz geht in einem leeren Lagerhaus hoch und mit Hilfe der Gasleitung, die darunter verläuft, wird Distrikt 1 zum Einsturz gebracht. Alle armen Schweine, die man dort foltert, werden erlöst und die Mitarbeiter, die dabei draufgehen, haben es nicht anders verdient.“
„Ganz genau“, sagte Lisette und stieß sich vom Tisch ab. „Also blasen wir die Sache ab?“
Rebecca dachte an Elli und spürte, wie heiße Wut jedes andere Gefühl verdrängte. Verbissen presste sie die Lippen aufeinander.
„Niemals.“
Gill spähte hinter einer offen stehenden Glastür hervor. Die Straße vor dem Supermarkt lag verlassen da. Er bedeutete seinen Freunden, ihm zu folgen, und mit schweren Rucksäcken auf dem Buckel pirschten sie aus den dunklen Verkaufsräumen ins Tageslicht. Ein frostiger Wind drang Gill durch den Kragen unter die dicke Winterjacke. Er zog den Reißverschluss höher und stülpte den Schal über das Kinn. Doch die innere Kälte ließ sich nicht durch warme Kleider bezwingen. Stunde für Stunde krochen sie durch die leeren Ruinen der einstmals belebten Stadt, immer auf der Hut vor den wild gewordenen Kreaturen, die kaum mehr etwas mit Menschen gemein hatten.
Fresser.
Fletcher zischte und augenblicklich kauerte sich Gill hinter eine der Säulen bei den Einkaufswagen. Sie standen aneinandergekettet in ihrer Parkbucht und warteten auf Kunden.
Trostlos.
Fletcher kniete ein Stück vor ihm hinter einem auf die Seite gekippten Kombi. Koffer lagen um den aufgesprengten Kofferraum verstreut. Er bedeutete Gill, zu den Wohnhäusern auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu schauen. Gill betrachtete die Fassade. Leere, dunkle Fenster starrten zurück, doch dann bemerkte er die Bewegung auf dem Dach. Das Wohnhaus hatte eine Dachterrasse, die im Sommer von schönen Pflanzen eingerahmt sein musste. Jetzt standen nur dürre Zweige aus den in Jute gewickelten Kübeln heraus.
Da war es wieder. Etwas rührte sich und Gill erkannte, dass er den Kopf von jemandem sah, der weiter hinten stand. Dann trat die Person näher ans Geländer. Neben ihr liefen noch drei weitere Gestalten. Eine von ihnen war klein. Scheinbar trugen die drei anderen Waffen mit sich. Der Farbton der Kleider sah verdächtig nach Uniform aus. In Anbetracht der Leere der vergangenen Stunden war der Anblick anderer Überlebender wie ein Sonnenaufgang. Euphorie ließ Gills Herz unter der Weste und der dicken Jacke höherschlagen. Es war, als spürte er es seit Ewigkeiten wieder zum ersten Mal.
Er holte sein Fernglas aus der Jackentasche und spähte hinüber. „Tatsächlich, Uniformen.“
Das waren nicht irgendwelche Überlebenden. Das Mädchen kannte er zwar nicht, dafür aber die anderen drei. Es waren Lieutenant Cook, Rehauge Durant und Mawhiney.
„Das sind unsere Leute“, rief er.
Kaum waren seine Worte zwischen den Straßenschluchten verhallt, hörten sie auch schon Zischen und Kreischen in der Nähe.
„Verdammt.“ Gill packte seine Waffe fester.
Die zerlumpten Fleischfresser drängten aus einer Seitenstraße, eine weitere Gruppe kam hinter dem Supermarkt hervor. Gill fragte nicht lange und eröffnete das Feuer. Die Schüsse würden meilenweit zu hören sein und noch mehr der Kreaturen anlocken. Aber es half nichts. Sie mussten sich eine Bresche schlagen und versuchen, in ein Gebäude zu gelangen. Dort hatten sie die besten Chancen die Bestien loszuwerden. Die meisten Häuser verfügten über Hinterhöfe und Kellertüren, über die sie wieder ins Freie fliehen konnten.
Plötzlich hörte Gill, der sich langsam rückwärts bewegte, um näher mit Fletcher und Bell zusammenzurücken, ein Heulen hinter sich. Als er sich umdrehte, sah er nur noch die dunkle Gestalt, die sich auf ihn werfen wollte. Doch ein Schuss riss den Körper beiseite. Gill wandte sich zur Dachterrasse und sah Durant und Cook mit angelegten Gewehren auf die Fresser schießen. Mawhiney schwang sich sein Gewehr auf den Rücken und ließ eine Drahtschlinge, die an einer mechanischen Winde befestigt war, herunter. Gill kannte das Gerät. Sie hatten es bei ihren Übungseinsätzen benutzt. Es war faustgroß und konnte per Knopfdruck sogar in Beton beschlagen werden. Mawhiney bedeutete Gill und seinen Freunden, zu ihnen zu kommen. Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Sie erschossen, was ihnen in die Quere kam, und flüchteten zum Gebäude. Bell war der Erste, der sich hochziehen ließ. Die mechanische Winde surrte laut. Gill und Fletcher leerten mehrere Magazine. Abwechselnd luden sie nach und versuchten, dabei so flach wie möglich zu atmen. Der Fluchtinstinkt und die Panik, gegen die Gill ankämpfte, rissen ihm schier die Brust entzwei. Aber egal, wie viele Körper zu Boden gingen, der Strom der Bestien riss nicht ab. Es wurden immer mehr.
Die Schlinge wurde wieder heruntergelassen. Träge breitete sich eine rote Lache unter den Leichenbergen in Richtung ihrer Stiefel aus. Ein See des Todes, der jeden, der ihn berührte, in den Wahnsinn reißen würde. Gill biss die Zähne zusammen und nickte in Richtung Seil.
„Jetzt du.“
Fletcher zögerte, doch jetzt war nicht der Augenblick für Diskussionen. Er stellte den Fuß in die Schlinge und schnurrte senkrecht die Fassade hinauf. Dabei schoss er so lange wie möglich weiter. Gill konzentrierte sich auf die Fresser. Das erste Mal seit der Katastrophe stand er ganz alleine da. Er dachte an all die Menschen, die dort draußen auf sich gestellt waren. Er konnte sich die Verzweiflung und Angst in dieser apokalyptischen Einsamkeit nicht einmal vorstellen.
Dann war er an der Reihe. Während er hochgezogen wurde, meinte er, die Klauen der Fresser auf seinen Stiefeln zu spüren, bevor er ihrem Zugriff entschwand. Keuchend hievte er sich über das Geländer. Damit der Rucksack ihn nicht nach hinten riss, packten Bell und Mawhiney den Stoff und entlasteten Gill vom Gewicht der Vorräte. Schnaufend blieb er auf den Fliesen der Terrasse liegen. Der Frost drang durch seine Jacke und lähmte ihn. Doch für den Moment war ihm das egal. Das Gefühl, dem Grauen entkommen zu sein, fühlte sich einfach zu herrlich an. Er atmete tief aus und drückte sich die Knöchel gegen die Stirn, um zur Besinnung zu kommen.
Dieses Leben ist die Hölle.
Mawhineys Gesicht schob sich in sein Blickfeld, und da fiel es Gill wieder ein. Er war gerade nicht einfach nur entkommen, er hatte seinen Freund wiedergefunden. Träge von der Kälte, die ihm bis in die Knochen gedrungen war, stemmte er sich hoch. Dabei schlüpfte er aus den Rucksackträgern.
„Das glaube ich jetzt nicht!“ Er lachte zum ersten Mal seit Ewigkeiten und ließ sich von Mawhiney in eine Umarmung ziehen.
Durand lächelte. Es sah ungewohnt in ihrem ansonsten ernsten Gesicht aus. Blonde Strähnen, die sich aus ihrem festen Dutt gelöst hatten, ringelten sich über ihre Schulter.
„Sag bloß, ihr kennt euch“, schnaufte Fletcher. Er stützte sich auf seine Knie und kämpfte noch mit den Nachwirkungen der nackten Panik, bei lebendigem Leib gefressen zu werden.
„Das sind Lieutenant Cook, Second Lieutenant Durand und Sergeant Mawhiney“, stellte Gill die drei vor. „Sie gehören zu meinem Team.“ Er grinste und hatte das Gefühl diesen Zustand für die nächsten Stunden nicht mehr ändern zu können.
Das Mädchen, das bei den Schützen war, hielt sich schüchtern im Hintergrund. Sie trug eine rosa Jacke und eine weiße Strickmütze mit einem fluffigen Bommel, unter der wellige braune Haare hervorlugten. Sie musste ungefähr zehn sein. Ihre dunklen, fast schwarzen Augen strahlten warm, wenn auch unsicher ob der fremden Männer.
„Das ist Sophia“, sagte Durand und legte dem Mädchen einen Arm um die Schulter.
„Ken“, stellte sich Fletcher forsch vor. Er streckte seine Hand aus. Das Mädchen versteckte sich hinter Durand.
Bell lachte. Ein Geräusch, das Gill wirklich vermisst hatte. „Das ist Ken und ich bin Barbie.“
„Sie spricht kein Englisch“, sagte Cook.
„Ich glaube, Ken und Barbie sind eine Universalsprache“, sagte Gill und zwinkerte dem Mädchen zu. Sie lächelte verhalten. Dann fasste sie sich ein Herz und streckte, immer noch halb verborgen hinter Durand, ihre Hand vor. Unter dem Ärmel ihrer Jacke konnte Gill neonfarbene Armbänder herausspitzen sehen.
„Sophia“, flüsterte sie.
Gill beugte sich vor und schüttelte ihre Hand. „Gill“, flüsterte er genauso leise zurück.
„Heißt er wirklich Barbie?“, fragte sie auf Deutsch.
Gill hielt sich die Hand an den Mund, als wollte er nicht, dass Bell ihn hörte. „Er heißt Francis.“
Das Mädchen kicherte. Gill richtete sich wieder auf und sah Durand und Cook an. „Lieutenant Ken Fletcher und W. O. Francis Bell“, stellte er seine Freunde vor.
Er bemerkte, wie Cook einen Blick auf seine Captainabzeichen warf, die er noch immer auf der Weste trug. Anfangs hatte er es nicht über sich gebracht, sie abzunehmen. Sergeant Stahlhart, wie Bell die Anführerin der Überlebenden genannt hatte, die sich ihnen nach der Begegnung mit dem Colonel angeschlossen hatten, meinte, sie hätten dem Bruder des Colonels gehört und es sei eine Ehre, dass er sie Gill gegeben habe. Außerdem schienen sich die Zivilisten und Soldaten der unteren Ränge sicherer damit zu fühlen, einen Offizier von höherem Rang bei sich zu haben. Als die Moral dann keine Rolle mehr spielte, weil der Sergeant und ihre Leute sich von ihnen getrennt hatten, um einer Nachricht nachzugehen, die einen sicheren Stützpunkt in der nächsten Kleinstadt ankündigte, hatte Gill die Abzeichen schlicht vergessen. Er und seine beiden Freunde waren auf ihrem Weg zum Ausbildungslager geblieben. Weit waren sie allerdings nicht gekommen, denn es wimmelte in den Straßen von Fressern. Manchmal mussten sie stundenlang lang an einem Ort ausharren, bis die Bestien weitergezogen waren, und dann war es für sie wichtiger geworden, sich Nahrung zu besorgen, als ihren Weg fortzusetzen.
„Wie sieht es in der Basis aus?“, wandte er sich bei dem Gedanken an Cook.
„Sie kommen vom Ausbildungslager?“, fragte Fletcher.
„Der Stützpunkt ist überrannt worden“, sagte Durand mit steinerner Miene auf Deutsch.
Gill übersetzte für seine Freunde. Bell fluchte.
Das war´s dann mit unserem Ziel. Wohin wenden wir uns jetzt? Die Vorstellung, nicht zu wissen, was sie als Nächstes tun sollten, war grauenerregend. Gill musste an den Colonel denken.
„Vielleicht sollten wir Sergeant Stahlhart nach. Wie hieß das Kaff noch gleich?“, schlug Bell vor.
Mawhiney schüttelte den Kopf. „Wenn ihr von Potsdam sprecht, da waren wir. Die Befestigung ist zerbombt und verlassen. Es gibt keinen Ort mehr, an den man sich zurückziehen könnte.“
„Irgendwas vom Rest unserer Truppe?“, fragte Gill.
Mawhineys Gesichtsausdruck war ihm Antwort genug. Die Welt war zu einem Vakuum geworden. Ihnen war nichts als Leere geblieben.
Gill hob den Blick und betrachtete die umliegende Stadt. Sie bot ein Bild der Verwüstung. Überall standen Autos, Fenster waren geborsten, Möbel und Trümmer lagen weit verstreut. Es gab keine Menschen mehr, nicht einmal Leichen. Die Fresser zerrissen die Körper und schleppten sie fort.
„Wohin wart ihr unterwegs?“, fragte Fletcher. „Es muss doch irgendwas von der Regierung oder der Führungsspitze übrig sein.“
„Es ging alles unheimlich schnell“, sagte Cook. Sonst sorgsam verborgene Emotionen färbten seine Stimme in Erinnerung an die Gräuel der vergangenen zwei Tage.
Waren es wirklich nur zwei Tage? Kommt mir wie ein halbes Leben vor.
„Es kam ein Einsatzbefehl, dann das Chaos in den Nachrichten und das Letzte, was ich im Fernsehen sah, war ein Mann, der sich auf den Reporter warf und ihm in die Wange biss. Dann schwankte die Kamera und Ende.“
„Der Strom war als Nächstes weg“, sagte Mawhiney. „Es kam die Mitteilung auszurücken und der Befehl auf jeden zu schießen, auch auf Zivilisten.“
„Sie wollten nukleare Sprengköpfe abwerfen“, ergänzte Durant.
„Aber es ist nichts passiert“, sagte Gill und war erleichtert, dass es keinen Fallout gegeben hatte.
„Es hat sich so schnell verbreitet, dass kaum Befehle oder Informationen durchgekommen sind. Alle, die handeln sollten, waren tot, bevor sie die Befehle erhielten.“
„Du hast mich angerufen, kurz nachdem wir von den Unruhen hörten“, sagte Cook zu Haige. „Es wurde alles mobilisiert, was ging, aber dann brach die Kommunikation zusammen. Als nur noch wir übrig waren, sind wir alleine weiter nach Berlin. Zu unserem Glück hatten wir bis kurz vor Potsdam einen Wagen. Zu Fuß wären wir jetzt noch unterwegs. In Potsdam mussten wir das Fahrzeug allerdings aufgeben.“
„Und warum seid ihr dann hier in die Stadt? Ihr hättet euch landeinwärts wenden sollen oder Richtung Küste.“
Die drei sahen Gill schweigend an, und da wurde es ihm klar. Sie waren seinetwegen hierhergekommen.
Was für ein Irrsinn.
„Egal wohin wir uns wenden, wir würden einer Flutwelle der Zerstörung nachlaufen.“ Mawhiney fummelte eine Zigarette aus einem Päckchen und zündete sie mit zitternden Fingern an.
Fletcher zischte und trat gegen einen Blumentopf. Die Keramik platzte klirrend ab, doch die Erde blieb als gefrorener Klumpen im Topf. „Soll das heißen, es gibt da draußen niemanden mehr?“
Sophia war zusammengezuckt und versteckte sich wieder. Sie begann zu schluchzen. Mawhiney strich ihr tröstend über den Arm. Gill sah sie einen Moment an. Dann presste er die Lippen aufeinander und wandte sich der Stadt zu. Nirgendwo ein Lebenszeichen, selbst die Vögel schienen geflohen zu sein. Nur das Fauchen der Kreaturen unter ihnen war zu hören.
John, Oakley …
Er blickte auf seine schmutzige Uniform und das rostrot befleckte Captainabzeichen. Es gab nichts mehr von Bedeutung. Ihre Welt war untergegangen. Doch als er sich umdrehte und die Menschen hinter sich ansah, vergaß er diese Gedanken. Sie waren immer noch hier.
*
Rebecca stand im Flur ihres Apartmenthauses im dritten Stock und blickte durch ein Fenster hinunter auf die Straße. Eine feine Schneeschicht bedeckte die Gehwege und Treppen. In der Nacht hatte es zu schneien begonnen. Eine schwarze Limousine parkte vor dem Eingang des Nachbargebäudes und der Chauffeur lud eine stattliche Anzahl teurer Markenkoffer aus. Der Pförtner stand in der Tür des Gebäudes und hielt sie dem Ehepaar und ihrem MP3-Player hörenden Teenager auf. Die Frau war in einen Pelz gehüllt und schüttelte angewidert den Schneematsch von ihren teuren Schuhen, sobald sie die oberste Stufe erreicht hatte.
Der Mann trug einen Hut wie in einem alten Gangsterfilm und einen dicken schwarzen Mantel. Der Sohn, der sich mit seiner High-School-Musical-Frisur zu cool schien für eine Mütze, drängte sich vor und ging am Pförtner vorbei, ohne ihn auch nur anzusehen.
Es war nicht das erste Mal, dass Rebecca heute so eine Szene beobachtete. Zahllose Wagen fuhren überall im Wohnkomplex vor und brachten Besucher. Sie alle hatten haufenweise Gepäck dabei, als hätten sie ihren gesamten Hausstand eingepackt. Manche erkannte Rebecca wieder. Sie hatte sie im Fernsehen gesehen oder in der Zeitung.
„Becci!“
Als sie sich umdrehte, sah sie Lisette außer Atem in der Tür zum Treppenhaus stehen. „Was machst du denn da? Deine Wohnungstür stand offen! Ich dachte schon, man hätte dich entführt.“
„Von hier aus hatte ich eine bessere Sicht.“ Rebecca nahm ihre Freundin in den Arm. Es war eine Erleichterung, sie zu sehen. Die letzten Stunden hatte Rebecca in unwissender Angst verbracht.
„Ist es weg?“
Lisette nickte.
Jetzt heißt es warten. Nun gab es nichts mehr, was sie noch tun konnten. Rebecca sah wieder aus dem Fenster, Lisette trat hinter sie. Schweigend beobachteten sie, wie das Besucherpaar im Haus verschwand und der Chauffeur davonfuhr.
„Wie ist es gelaufen?“, erkundigte sich Rebecca.
„Viel zu glatt, wenn du mich fragst. Reynell hat mich im Auge behalten, als wüsste er, dass ich etwas im Schilde führe, und ich dachte schon, ich fliege auf. Aber dann gab es einen Tumult vor der Bank, als wir dort hielten, und ich hatte keine Schwierigkeiten das Päckchen unter dem Wagen hervorzuholen und in den Postkasten zu werfen.“
„Einen Tumult?“
„Es waren eine Menge Leute auf der Straße. Wenn die Ausschreitungen wegen der neuen Gesetze weiter so verlaufen, dann wird es keinem schwerfallen, zu glauben, dass unsere Bombe von denen ist.“
Rebecca runzelte die Stirn. „War das eine Demo vor der Bank?“
Lisette überlegte. „Wenn, dann eher so was wie ein Flashmob.“
„Merkwürdig. Was wollen die vor einer Bank?“
„Vielleicht gab es einen Zahlungsengpass. Eventuell wieder ein Finanzcrash? Irgendwer sagte was von einer Nachrichtensperre. Anscheinend greift die Regierung in die Berichterstattung der Nachrichten ein. Ich wollte gerne mehr erfahren, aber Internetrecherche war nicht drin. Das Päckchen war wichtiger und Reynell ganz in der Nähe.“
„Das wächst sich ja zum Bürgerkrieg aus. Was kommt als Nächstes? Rufen sie den Notstand aus? Warum geben sie nicht nach und machen den Laden hier dicht?“
Lisette verzog spöttisch den Mund. „Wie viele Milliarden gingen dann über den Jordan?“
„Aber wenn die Lage da draußen schon so brenzlig wird, dass sie die Regierungsspitze hierher evakuieren.“
„Ja“, stimmte Lisette zu. „Das wirkt tatsächlich nicht wie Besuch, eher wie eine Evakuierung. Sogar das Königshaus ist hier.“
„Ernsthaft?“ Rebecca kaute an ihren Fingernägeln.
„Es ist zu spät für einen Rückzieher“, sagte Lisette. „Das Päckchen ist ausgeliefert und wenn wir versuchen es zurückzuholen, dann war’s das für uns.“
„Ich weiß.“
Plötzlich rauschte Lisettes Funkgerät, das sie an einem Gurt an ihrer Weste trug. „Sämtliche Einsatzkräfte zu Sammelpunkt Delta. Code Albatros. Das ist keine Übung.“
„Was hat das zu bedeuten?“
Lisette wirkte beunruhigt. „Wir bewaffnen uns.“
Rebecca sah auf das automatische Gewehr.
Lisette schüttelte den Kopf. „Das hier ist Spielzeugkram im Vergleich zu dem, was nun kommt.“
„Werden wir angegriffen?“
Lisette drückte Rebecca beruhigend den Arm. Dann packte sie ihr Gewehr und eilte zum Treppenhaus. Im Hinausgehen rief sie noch: „Sieh zu, was du von Malcom erfahren kannst. Wir treffen uns gegen sieben beim Brunnen. Da ist Schichtende.“
Rebecca starrte ihr nach. Wenn sie alle spärlichen Informationen zusammennahm, dann schien es fast so, als gäbe es Krieg. Aber gegen wen? Vielleicht konnte sie ja tatsächlich etwas von Malcom erfahren. Also lief sie zurück zu ihrer Wohnung und holte ihren Mantel.
Die Straßen waren ungewöhnlich leer. Durch den Schnee wirkte die Welt friedlich und ruhig. Doch unter dieser Stille lauerte etwas, das Rebecca erschauern ließ. Sie beeilte sich, zum Verwaltungsgebäude zu kommen, in dem sich Malcom in letzter Zeit ungewöhnlich häufig aufhielt. Die automatische Tür der Lobby schloss sich hinter ihr und sie schüttelte die Schneeflocken von ihrem Kragen. Dann ging sie zum Empfangstresen und beugte sich zu der jungen Frau mit dem Headset hinüber. „Ist Dr. Addison hier?“
Die Frau drückte ein paar Tasten, während sie weitertelefonierte und nickte. Rebecca warf einen Blick auf den Bildschirm hinter dem Tresen und sah, dass er im vierten Stock lokalisiert worden war. Also hielt sie sich nicht mit einer Anmeldung auf, ignorierte den Protest der Rezeptionistin und strebte zu den Fahrstühlen. Als sich die Tür im vierten Stock öffnete, lief sie in eine Gruppe von Leuten hinein, die in teure Kleidung und hochdekorierte Uniformen gehüllt waren. Unter ihnen befanden sich auch Malcom und Reynell.
Wieso ist dieser Typ immer überall?
„Und da ist sie“, begrüßte Malcom sie, als hätte er sie erwartet. „Darf ich Ihnen Rebecca Meo vorstellen.“
Ein paar der Fremden schüttelten ihr die Hand und blickten sie erwartungsvoll an. Unangenehm berührt schob sie sich zu Malcom durch. „Kann ich dich kurz sprechen?“
„Reynell, seien Sie doch so gut und bringen Sie die Herrschaften schon mal in den Konferenzraum.“ Malcom sah Rebecca streng an. „Was ist denn?“
Rebecca verfolgte, wie die Besucher zum Fahrstuhl gingen. Sie wirkten nicht wie Leute, die eine Besichtigungstour machten, eher wie ein Krisenstab. „Was zur Hölle ist hier los?“
Malcom verschränkte die Arme vor der Brust. Er konnte es gar nicht leiden, in so einem Ton angesprochen zu werden, das wusste sie. Im Moment war ihr das jedoch herzlich egal.
„Wie steht es mit der Produktion von HAB“, wechselte er einfach das Thema. Rebecca knirschte mit den Zähnen, tat ihm aber vorerst den Gefallen zu antworten. Vielleicht würde er mitteilsamer sein, wenn sie seine Neugier befriedigt hatte.
„Ich habe den Antrag für Invitroprobanden eingereicht und einige erfolgreiche Simulationen am Computer abgeschlossen. Sobald ich eine Bewilligung bekomme, werde ich mir die passenden Subjekte aussuchen.“
Malcom lief rot an. „Du hast einen Antrag eingereicht? Habe ich gesagt, du sollst einen Antrag einreichen?“