3Philipp Sarasin
1977
Eine kurze Geschichte der Gegenwart
Suhrkamp
Im April 1977 war ich ein paar Tage in London und brachte das Kunststück fertig, nichts von der Punk-Explosion mitzubekommen. Im Sommer reiste ich mit einem Freund sechs Wochen lang durch die Türkei, weitgehend abgeschnitten von allen Nachrichten und praktisch ohne Zugang zu Medien in einer Sprache, die ich verstanden hätte. Was dann im »Deutschen Herbst« geschah, verwirrte mich (wenn auch aus Schweizer Distanz). Gelesen habe ich in diesem Jahr Louis Althusser, Ernst Bloch, Michael Bakunin und die Bibel. Dass es in Paris noch andere interessante Philosophen gab, war mir nicht aufgefallen, und Computer interessierten mich nicht. Nur dass die allgemeine »Stimmung« gedrückt war, passte ganz gut zu meiner immer noch jugendlichen Orientierungslosigkeit.
Kurzum, obwohl dieses Buch von jenem kurzen Moment handelt, als ich zwanzig Jahre alt war, ist es kein Buch der »Erinnerung«. Ich habe es als Historiker geschrieben, nicht als Zeitzeuge. Das heißt nicht, dass ich nicht nachträglich von einigen der Veränderungen bewegt worden wäre, die in diesem Buch zur Sprache kommen: dem Zerfasern der revolutionären Hoffnungen, der feministischen Kritik, der spirituellen Suche, dem ersten Personal Computer, von Foucault und der intellektuellen Kritik an der Moderne, der postmodernen Architektur … Zu meiner anhaltenden Verwunderung beim Schreiben wurde all dies und noch einiges mehr nicht nur im Jahr 1977 fassbar – zum Teil als sich gerade intensivierende Entwicklung, zum Teil als einschneidendes Ereignis oder als überraschende Wendung –, sondern geschah vor allem in erstaunlicher Gleichzeitigkeit. Und zudem in irritierender Gegenwärtigkeit.
Die Frage, was es damit auf sich hat, ist Gegenstand dieses Buches. Auch wenn es von (fast) nur einem Jahr handelt, dauerte die Arbeit daran sehr viel länger. In dieser Zeit durfte ich neben mildem Spott über meine Obsession mit »1977« sehr viel Unterstützung und Hilfe erfahren. Patrick Gut, Jakob Odenwald, Maja Skrkic, Mats Inauen und Leila Girschweiler haben mich auf schmal bemessenen und zeitlich befristeten Hilfsassistenz- und Tutoratsstellen mit großem Engagement und Spürsinn bei der Recherche unterstützt. Lukas Held und Patrick Gut haben das ganze Manuskript gelesen, klug kommentiert und auf Fehler überprüft; Svenja 8Goltermann, Gesine Krüger, Ingrid Tomkowiak, Gleb Albert, Patrick Kilian, Melanie Wyrsch, Erich Keller, Manuel Kaiser, Nadine Zberg, Jakob Odenwald, Lukas Nyffenegger, Janosch Steuwer, Peter Fritz und Stefan Sandmeier haben einzelne Kapitel gelesen und mit wertvollen Hinweisen, aber auch mit notwendiger Kritik nicht hinter dem Berg gehalten. Alfred Messerli hat mich vor einem Irrtum bewahrt, und Daniel Mettler war als Künstler und Architekt der erste und sehr motivierende Leser außerhalb meines eigenen Fachs. Eva Gilmer hat als Leiterin des wissenschaftlichen Programms bei Suhrkamp dieses Buchprojekt von Anfang an mit Nachdruck unterstützt und begleitet; ihr umsichtiges Lektorat verbesserte den Text entscheidend. Für beides bin ich ihr sehr dankbar. Großen Dank schulde ich schließlich meiner Frau und Historikerkollegin Svenja Goltermann nicht nur für die Geduld, mit der sie meine vielen Geschichten zu »1977« anhörte, sondern vor allem für das Wissen, das sie mit mir teilte. Ich habe davon mehr profitiert, als ich in Anmerkungen ausweisen könnte – außer dort, wo ich sie und ihre Arbeiten zitiere.
Die Universität Zürich hat mir im Herbst 2020 ein außerplanmäßiges Forschungsfreisemester gewährt und mir damit eine Konzentration auf das Manuskript ermöglicht, an die im universitären Alltag nicht zu denken gewesen wäre. Auch für diese Großzügigkeit bin ich sehr dankbar.
Zürich, im März 2021