Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Inhaltsverzeichnis
»Island in Sicht!«
Von irgend einer unbekannten Stelle ausgegangen, machte das Wort plötzlich die Runde an Bord der »Hamburg«, und alle Krimstecher richteten sich eifrig in den schweren, grauen Nebelvorhang, der sich rings um das mächtige, rastlos vorwärtsstampfende Schiff gesenkt hatte. Den ganzen Morgen fuhr man schon so in dem langweiligen Nebel hin; es war also höchste Zeit, daß man endlich wieder etwas zu sehen bekam. Aber wo? Wo zeigte sich die sagenhafte Insel, der man nun schon fünf Tage mit Erwartung entgegenfuhr? Ein eiliges Hin- und Herlaufen entstand auf dem oberen Promenadendeck nach Backbord und Steuerbord hin; jeder wollte zuerst die Insel »Thule« entdecken.
»Hier, meine gnädige Frau – auf dieser Seite bitte!«
Der stattliche, wettergebräunte Herr mit graumeliertem Spitzbart, im Bordanzug des Kaiserlichen Jachtklubs, winkte der Dame dienstfertig zu, die eben, zwei jüngeren Herren folgend, nach der rechten Schiffsseite hinübergehen wollte.
»Sehen Sie schon was, Herr Kapitän?« Gespannt trat die Angerufene an seine Seite.
»Bitte hier!« Der Herr reichte ihr sein Triëder hin und gab ihm die rechte Stellung.
»Ah, wahrhaftig – ja, mit dem wundervollen Glase! Ganz deutlich – unter dem Nebelvorhang sieht man dunkle Felsen, die isländische Küste!«
»Die Küste doch noch nicht. Das dauert noch ein Weilchen,« erklärte Kapitän Neidhardt, der seebefahrene alte Marineoffizier, »was Sie da sehen, gnädige Frau, ist die erste der Westmännerinseln, einer Gruppe kleiner Inselchen, die dem eigentlichen Island ein paar Meilen vorgelagert sind.«
»Ah so!« Interessiert blickte Frau Professor Söllnitz wieder hinüber. »Wir kommen immer näher. Man sieht schon deutlich die Zeichnung der Felsen. Kolossale Klippen! Sie fallen ganz senkrecht ins Meer. Und wie düster diese schwarzen, gigantischen Wände! – Ein dekoratives Eingangstor zur alten Insel Thule.«
»Ja, meine gnädige Frau.« Der Kapitän nahm wieder das Glas aus ihrer Hand. »Düster, wie ihre Geschichte.«
»Wieso?«
»Bei der Besiedlung Islands haben diese einsamen Eilande eine blutige Rolle gespielt. Den ersten norwegischen Entdecker der Insel, der sich auf Island ansiedelte, erschlugen seine Sklaven und flüchteten sich dann hierher. Doch der Blutsbruder des Toten rächte ihn, fuhr mit seinem Drachen den Mördern nach und tat sie seinerseits ab. – Der Boden da drüben ist mit Blut getränkt.«
Frau Eva Söllnitz schickte den Blick abermals zu der Felseninsel hinüber, die sich jetzt ganz klar dem Blick zeigte.
»Welch starre, öde Einsamkeit! Ob dort jetzt wohl auch noch Menschen hausen mögen?«
Wie zur Antwort auf ihre Frage drehte das Schiff etwas nach links, und alsbald zeigte sich hinter dem Felsenvorsprung eine windgeschützte Talkehle, von deren sattgrünem Untergrund sich weiße Häuschen abzeichneten. Neidhardt wies mit dem Glas hinüber.
»Wahrhaftig, Häuser! Also wirklich bewohnt.« entfuhr es ihr. »Mein Gott, wie können es nur Menschen aushalten, auf diesem Felsen im Meer zu sitzen, immer und ewig – abgeschnitten von aller Welt durch die Meereswüste!«
Während ihrer Worte waren die beiden jüngeren Herren, die sich mit der Schar der übrigen Schiffsgäste nach der Ausblickseite begeben hatten, zu den beiden getreten.
»Eine gottverlassene Felsquetsche! Da möcht' ich ja nicht mal begraben sein,« bekräftigte Leutnant von Kreßmann die Worte der jungen Frau. »Schätzen Sie solche Solitüde, Görtz?«
»Um Himmels willen!« wehrte der junge, ein sehr elegantes Schiffsdreß tragende Regierungsrat Görtz-Schilling ab und ließ entsetzt sein Monokel fallen. Er kam sich mit seinem jugendlichen Referendargesicht bei dem stolzen Titel selber sehr interessant vor. »Ich habe doch kein Talent zum Meergreis!«
»Ja, das sagen Sie so, meine Herren,« lächelte Neidhardt. »Und doch geht das alles, wenn's sein muß. Kreuzen Sie mal zwei Jahre auf der Südsee, mit so 'nem kleinen Kippelkahn von ›Möve‹, und seien Sie Kommandant, also ganz auf Ihre Kajüte und sich allein angewiesen – ich sage Ihnen, meine Herren, dann sehnen Sie sich sogar nach so 'nem Meergreisidyll!«
Herzhaft lachte der alte Seemann vor sich hin. Die beiden jungen Leute antworteten aber nicht. Ihnen war der Kapitän mit seinem gelegentlichen Belehren und Korrigieren nicht gerade sehr sympathisch. Zu schade, daß sich die schickste und interessanteste Frau an Bord, Frau Professor Söllnitz, gerade an Neidhardt, ihren Tischherrn, besonders angeschlossen hatte! Und der »alte Knacker« – so titulierte ihr Neid den noch ganz jugendlichen, elastischen Mann – belegte sie ja mit Beschlag, wo er konnte.
Kapitän Neidhardt begann eine kleine Bordpromenade. In Gegenwart dritter schätzte er die Unterhaltung mit der scharmanten Frau nicht. Er verkehrte zwar auch gern mit Männern, aber nur im Herrenzimmer, bei der Zigarette und beim Burgunder; bei den Damen sah er sich lieber allein.
Jetzt versuchte der Regierungsrat, sich geltend zu machen. Er wandte sich an Frau Söllnitz:
»Gnädige Frau scheinen nicht gerade sehr entzückt von diesem Vorgeschmack Islands. Ich muß auch gestehen, wenn dies die ganze Herrlichkeit sein soll, hat sich der endlose Umweg über Island zum Nordkap, wo die Gegend erst wieder anständig wird, wahrhaftig nicht gelohnt.«
»Aber warten Sie doch erst mal ab, bis wir überhaupt in Island sein werden,« lehnte Frau Söllnitz ab. »Sie sind ja noch schlimmer als der Reisende im Plötz, der von einem rothaarigen Kellner im ersten Gasthof auf die ganze Bevölkerung Frankreichs schloß.«
»Jrammatik I-a!« lobte witzelnd Herr v. Kreßmann. »Gnädige haben Ihr Schulgeld mit Erfolg angelegt. Tadellos! – Ich habe keinen Schimmer mehr vom sel'gen Plötz.«
»Sollten Sie wirklich jemals einen gehabt haben?« spöttelte Frau Söllnitz. Sie hatte ihre schlanke Gestalt im marineblauen Kostüm mit verschränkten Armen über die Reling gebeugt und lehnte nun so bequem, in das Kielwasser hinuntersehend, das lichtgrün, mit weißen Schaumadern durchzogen, beständig an der Flanke des Schiffs entlang vom Bug nach hinten schoß.
»Pardon, Gnädigste!« entrüstete sich scherzhaft der Leutnant, während Herr Görtz-Schilling sein helles, geziertes Lachen ertönen ließ, »wie kommen Sie zu der Meinung?«
»Nun, seitdem ich gestern, beim Flirt mit Mademoiselle Dufour, Ihr wundervolles Französisch gehört habe.« Ein flüchtiger Blick der jungen Frau traf ihn, aber mit einem leichten, spöttischen Aufleuchten. Sie wollte ihm doch zu verstehen geben, daß ihr seine angelegentliche Kurmacherei bei der kleinen Französin nicht entgangen sei, wennschon seine ihr selbst sonst so ostentativen Aufmerksamkeiten ihr mehr lästig als angenehm waren.
Der junge Offizier aber glaubte in seinem Selbstgefühl, aus der kleinen Attacke das Motiv geheimer Eifersucht herauszuhören. Er lächelte geschmeichelt. Aha, es war ihr also doch nicht ganz egal, wenn er seine Huldigungen anderweit darbrachte!
»Ja, freilich – mein Französisch ist ein bißchen eingerostet; aber es genügt eventuell noch, um Herzen zu brechen.«
Übermütig lachte er sie an, die schon wieder ihren Blick vor sich hin in die Tiefe gesenkt hatte. Nun aber sah sie doch zu ihm hin.
»Sie sind doch unglaublich eingebildet!« Aus dem scherzhaften Ton klang doch etwas wahre Meinung. »Haben Ihnen die Frauen wirklich Veranlassung dazu gegeben?«
Der kleine Leutnant warf sich in die Brust; er war wirklich ein hübscher, elegant gewachsener Junge, und seine Unverfrorenheit sicherte ihm obenein Erfolge. Aber er sagte:
»Meine Bescheidenheit verbietet mir, Ihnen zu antworten, gnädigste Frau.«
»Bescheidenheit ist gut!« platzte der Regierungsrat heraus. »Wenn Sie sonst keine Beschwerde drückt, lieber Kreßmann – an der werden Sie sicher mal nicht sterben!«
Aber Frau Söllnitz erwiderte, und diesmal zeigten ihre Worte unverhüllt den Ernst, ja eine tiefe Geringschätzung:
»Ich wäre wirklich begierig, Ihre Eroberungen kennen zu lernen – oder nein, lieber doch nicht!«
»Bitte sehr, meine Gnädigste!« Und nunmehr war es auch dem Leutnant mit seinem Protest ernst. Als rechter Kavalier ließ er auf die Damen seiner intimeren Bekanntschaft nichts kommen. »Ich habe den Vorzug, nur mit Damen der besten Gesellschaft bekannt zu sein.« Und er nahm eine sehr imposante Haltung an.
»Wirklich?« spottete die junge Frau, langsam den Blick zu ihm wendend, ohne sich aber aus ihrer nachlässigen Stellung zu rühren. Dann aber zeigte sich um ihren feingeschnittenen, doch herben Mund jener so oft hervortretende stolz-verächtliche Zug, der das geheime Entzücken des Regierungsrats bildete. Unglaublich vornehm! – so fand er sie auch diesmal wieder. Gerade dies Unnahbare in ihrem Wesen reizte so kolossal. Sie aber fuhr mit kaltem, fortwerfenden Ton fort – man hatte das Gefühl, daß sie eben mit einer Miene des Abscheus, hochgerafften Saumes, über den Schmutz der Straße hinwegschritt –: »Nun, mag sein. Das Aushängeschild ›Gesellschaft‹ verdeckt ja heutzutage vieles.«
Nun aber geriet Kreßmann in Harnisch.
»Meine gnädigste Frau – bei allem schuldigen Respekt – Sie gebrauchen da eben Worte, die ich notgedrungen auf die Damen meiner Bekanntschaft beziehen muß –«
»Bitte!« scharf schnitt sie ihm das Wort ab. »Wir sprachen eben nur von einem gewissen Teil Ihrer Bekanntschaften – Sie wissen recht gut, wen ich meine.« Ihr verächtlicher Ton war deutlich genug. »Und Sie würden im Ernst doch wohl nicht wagen, mir eine dieser Damen zuzuführen – und wenn sie zehnmal äußerlich zur Gesellschaft gehören!«
Ihre Miene war so streng, daß der sonst so dreiste Leutnant doch jetzt verstummte. Ein Teufelsweib! Man mußte doch Respekt vor ihr haben. – Der Regierungsrat aber ergriff rasch die Gelegenheit, sich als einen Mann von altpreußisch-gediegenen Anschauungen über Moral und Gesellschaft zu empfehlen.
»Ausgezeichnet, meine gnädige Frau! Mir ganz aus dem Herzen gesprochen! Es wäre nur dringend zu wünschen, daß alle unsere Frauen solche Anschauungen hätten und betätigten. Dann würde der wirklich erschreckend um sich greifenden Zerfressenheit unserer Gesellschaftsmoral ein wirksamer Hemmschuh entgegengesetzt werden.«
Erwartungsvoll sah er nach diesen würdigen Worten zu ihr hin, eines Lobes gewärtig; statt dessen lachte sie ihm plötzlich hell ins Gesicht, in dies jugendlich-unreife Referendarsgesicht, dem die angenommene würde so herzlich wenig stand.
»Gut gebrüllt, Löwe!« Die schlanke Frau richtete sich von der Brüstung auf, und noch immer lachend, spottete sie: »Sie reden ja wie ein Regierungskommissar auf der Sittlichkeitskonferenz. – Gott nein, sind Sie komisch!«
Herrn Görtz-Schilling entfiel – diesmal unwillkürlich – das Augenglas. Nichts weniger als geistreich starrte er die Sprecherin an. Was sollte er nun bloß davon denken? Eben noch ernsteste Sittenwächterin und nun frivole Spötterin? – Aber ganz gleich! Komisch fand sie ihn, das genügte! Seine persönliche wie amtliche Würde erforderte eine scharfe Verwahrung.
Aber ehe er noch das erste Wort gefunden, hatte Frau Söllnitz sich schon zum Gehen gewandt, wieder ganz bestrickende Liebenswürdigkeit, nickte sie den beiden jungen Leuten völlig harmlos zu.
»Nun, vielleicht einigen sich die Herren über das Thema.«
Und schon war sie hinweg, mit energisch aufgesetztem Fuß schnell den Promenadenweg hinaufschreitend. Es lag etwas Herrscherinnenhaftes, wie in ihrem ganzen Wesen, so auch in ihrem Gang. Und wenn man auch eben erst schlecht von ihr behandelt war, es reizte einen schon wieder von neuem, um ihre Gunst zu werben. Sie war doch ein ganz einziges Weib.
»Ein tolles Frauenzimmer!« Bewundernd bemerkte es der kleine Leutnant.
»Der Deibel soll aus ihr klug werden!« grollte immer noch, trotz aller heimlichen Bewunderung auch auf seiner Seite, der Regierungsrat. »wie sie mit einem umspringt, das ist wirklich mehr als toll! Von Rechts wegen müßte man sie ja einfach keines Wortes mehr würdigen.«
»Tun Sie's doch, Görtz,« rief spöttelnd Kreßmann.
»Ja – wenn sie nur nicht so verdammt apart wäre! Kein anderes Weib hier an Bord kommt neben ihr auf.«
»Na also!« zog der Leutnant das Resumee und hockte sich auf die Reling, gemütlich mit den Beinen in weißen Seglerhosen und -schuhen baumelnd, während er das silberne Zigarettenetui zog. »Da – rauchen Sie?«
»Merci!« nahm Görtz an und bot seinerseits dem andern Feuer.
»Küss' die Hand!« dankte, die Zigarette anrauchend, Kreßmann; dann paffte er nachdenklich vor sich hin.
»Sagen Sie mal, Görtz, glauben Sie eigentlich, daß sie wirklich eine geschiedene Frau ist?«
»Frau Söllnitz?«
»Na natürlich! Wer denn sonst?! Sie haben doch gewiß auch schon von gehört. Es wird doch hier auf dem Schiff erzählt.«
»Das erste, was ich höre!« staunte der Regierungsrat und trat dichter zu dem guten Bekannten, »Wer sagt's denn?«
»Mein Gott, so allgemeines Gemunkel. Mir hat's, glaub' ich, Thümmler erzählt.« – Er meinte einen Reisegefährten. – »Ihr geschiedener Mann soll ein bekannter Künstler sein, Sänger, Geiger oder irgend sonst so'n Musikathlet.«
»Was? Etwa der berühmte Geiger? Professor Gregor Söllnitz?«
»Möglich, ja,« zuckte von Kreßmann die Achseln. »Kenne die Herrschaften nicht persönlich. Na, gleichviel, wer – können Sie sich eigentlich vorstellen, daß sie geschieden ist?«
»Hm – ja –« Auch Görtz rauchte nun nachdenklich weiter. »Eigentlich macht sie ja gar nicht den Eindruck, eher hätt' ich sie für 'ne Witwe gehalten. – Aber, hören Sie, das ist ja kolossal interessant! Geschieden also!«
Das Faktum – denn das war es für den Regierungsrat bereits – ließ ihm plötzlich die junge Frau in einem ganz anderen Lichte erscheinen. Die Bekanntschaft mit ihr bekam mit einemmal einen netten, kleinen prickelnden Beigeschmack. Es war, als ob plötzlich einige Schranken einstürzten, die ihre Person bisher abwehrend und schützend umgeben hatten; unwillkürlich tauchten leise Hoffnungen und Wünsche auf, die sich bisher nicht an sie gewagt hatten.
»Eigentlich begreife ich da nicht, wie sie sich so furchtbar haben kann,« bemerkte Görtz aus diesem Gedankengang heraus. »Auch vorhin erst – mit Ihnen.«
»Na, das ist doch ganz klar – gerade darum!« belehrte ihn der Jüngere, in diesem Punkte sich als besserer Menschenkenner fühlend, »wenn eine Frau selber 'ne bißchen wacklige Position in der Gesellschaft hat, ist sie um so krampfhafter bemüht, sich als unnahbar aufzuspielen. Doch sehr plausibel, – nicht?«
»Da haben Sie recht,« stimmte der Regierungsrat bei, gedankenverloren. Seine Blicke suchten Frau Söllnitz, die hinten an der Treppe zum unteren Promenadendeck mit einem Ehepaar stand, und musterten nun noch einmal ihre ganze Erscheinung, skeptisch, neugierig und taxierend zugleich. Donnerwetter, jetzt hatte die Sache doch ein ganz anderes Gesicht; nun sollte man doch wirklich mal sehen, ob denn die kalte Unnahbarkeit faktisch so stichhaltig war. Entschlossen richtete er sich auf und warf den Zigarettenrest über Bord.
»Ich will doch auch mal wieder nach der Küste ausschaun,« verabschiedete er sich von dem Bekannten und begann, sich der kleinen Gruppe da hinten zu nähern.
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Den ganzen Tag war das schnell segelnde Schiff angesichts der isländischen Küste gefahren. Endlos streckte sich nach rechts und links, den Horizont entlang, die riesige Kette der Randgebirge, die unmittelbar aus dem grauen Meer auftauchten. In ihrem oberen Teil, durch den weißgrauen schweren Wolkenvorhang in einer ebenmäßigen gewaltigen Linie abgeschnitten, glichen die schwarzen Berge in ihrer abgestumpften Gestalt gigantischen, düsteren Särgen, einer hinter dem anderen aufgebahrt, in unabsehbarer Reihe – wie bei einem Titanenbegräbnis. Keine Spur von Leben, von menschlichen Ansiedlungen zeigte sich von Bord aus dem Auge. So näherte man sich dem sagengrauen unwirtlichen Eilande der Edda, dem Tummelplatz ungefüger Reif- und Nebelriesen, allerhand finsterer Naturgewalten.
Erst als die »Hamburg« Kap Reykjanes umfahren, wurde das Bild ein wenig minder starr in seiner wuchtigen Größe. Die Berge fielen in gewaltigen, dunkeln Stufen zur Ebene ab, und hier und da nahm ein aufschimmernder grüner Uferstreifen der Landschaft das Grausige und Tote. Einmal zog ein Geysir aller Augen auf sich, dessen silberweiße Wasserdampffontaine, bald steigend, bald fallend, hinter einer Bodenfalte aufschoß; dann wieder ein Vogelberg. Vom Böllerschuß des Schiffes aufgeschreckt, erhob sich plötzlich eine dichte Wolke, Millionen von aufflatternden Möwen, vom grauschwarzen Felsen, und wie ein weißer Schleier zog es minutenlang vor der Bergwand auf und nieder.
Wieder eine lange Fahrt – der Lunch, der Tee war genommen, es ging schon der Dinerzeit entgegen – da endlich fuhr das Schiff in die Bucht von Reykjavik ein. Auf grünem Wiesenplan erschienen plötzlich über der See weiße, rote, gelbe, grüne Flecke, die Häuser der alten Hauptstadt der Insel. Um den bunten Teppich herum dehnte sich das öde Sandbraun der Lavafelder, und drüberhin, die Schneehäupter des graublauen Bergrings um die Stadt verhüllend, lagerte schwer eine weiße, wrasige Wolkenschicht, soweit das Auge reichte.
»Die alte Rauchbucht – das bedeutet Reykjavik auf deutsch – macht ihrem Namen wirklich Ehre,« bemerkte Kapitän Neidhardt, zu Frau Söllnitz und dem kleinen Kreis ihrer Bekannten tretend, die erwartungsvoll auf die nun schon so nahe Küste schauten.
Ein krachender Schuß machte plötzlich die Damen zusammenfahren.
»Waren wir das?« erschrocken fragte es die junge Frau.
»Gewiß, gnädige Frau,« lachte der alte Seemann. »wir müssen doch der dänischen Flagge die Honneurs machen.«
Und weiter hallte der donnernde Salut. Dann stieg langsam am Vormast der Danebrog, das weiße Kreuz im roten Felde, und die feierlichen Klänge der dänischen Nationalhymne ertönten vom unteren Promenadendeck, wo die Schiffskapelle der »Hamburg« sich aufgestellt hatte. So segelte langsam und majestätisch das stolze Schiff, die endlose weiße Schleppe kräuselnden Kielwassers hinter sich, in den Hafen von Reykjavik ein.
Eine kleine Pinaß schoß dann von der Küste her dem riesigen Gast entgegen; nun war sie heran – sie beherbergte den deutschen Konsul – und ließ zum Gruß die deutsche Nationalhymne ertönen.
Wie ein Ruck ging es durch die Reihen der Passagiere. Die Herren zogen die Mützen vom Kopf, und heller leuchteten die Augen auf: »Heil dir im Siegerkranz!« Man fühlte sich stolz als Angehöriger der machtvollen Nation, die hier ihre Flagge mit so herrlichem Schiff zeigen durfte. Gottlob, daß die Zeit armseliger Krähwinkelei vorüber war! Deutschland stand nun in erster Reihe des Weltverkehrs. Mit freudig gehobener Brust fühlte es jeder in diesem Augenblick.
Inzwischen war der Danebrog wieder niedergegangen, und das geliebte Schwarz-Weiß-Rot grüßte schlicht und doch stolz vom Mast. Zugleich setzte die Kapelle der »Hamburg« wieder ein, mit machtvoll anschwellenden Akkorden: »Es braust ein Ruf wie Donnerhall!« – Die Wacht am Rhein! Sturmgewaltig rollten die wuchtigen Tonwellen über das Meer hin bis zur Küste. Im fernen Norden, an der Grenze des Polarkreises, tönte so zu dem weltentlegenen Gestade das prachtvolle, schmetternde Lied, das jedem Deutschen das Herz höher schlagen macht.
Mit dem Kapitän, dessen Augen erinnerungsfroh aufleuchteten, standen die anderen Reisegefährten, ganz dem erhebenden Schauspiel hingegeben. Diese Situation benutzte der Regierungsrat Görtz, sich Frau Söllnitz zu nähern. Er wollte doch einmal bei ihr vorsichtig das Terrain sondieren; den ganzen Nachmittag hatte er schon auf eine solche Gelegenheit gewartet.
»Famoser Moment – so was! Nicht, meine Gnädigste?« wandte er sich an die junge Frau, die interessiert auf das belebte Hafenbild schaute. »Das Reisen bleibt doch entschieden der vornehmste aller Genüsse, besonders so an Bord eines Schiffes, wo man, sozusagen, das Welttheater aus der Ersten Rang-Loge betrachten kann.«
»Gewiß.« Frau Söllnitz sagte es, ohne ihn anzusehen.
Die einsilbige Antwort, die nicht gerade zur Konversation aufmunterte, entmutigte aber Görtz nicht.
»Und doch gibt es Leute, die dem Reisen sonderbarerweise keinen Geschmack abgewinnen können.«
»Ein wahrer Segen! Es liefen einem sonst nur noch mehr überflüssige Menschen über den Weg.«
Es war dem Regierungsrat fast, als ob das so eine kleine Anspielung sein sollte; aber er zog es vor, den ironischen Unterton zu überhören.
»Sie reisen immer allein, gnädige Frau?«
»Wieso?« Stutzig geworden, wandte sie ihm plötzlich das Gesicht zu, mit einem forschenden Blick.
»Ich meine, Ihr Herr Gemahl findet wohl weniger Geschmack am Reisen, oder hält ihn sein Beruf ab?«
Der Regierungsrat bemühte sich, eine recht gleichgültige Miene während dieser im leichten Konversationston geäußerten Worte zu zeigen.
Ein leises Fältchen erschien einen Augenblick zwischen den feinen Augenbrauen der jungen Frau, und ihr Blick drang scharf in den seinen. Dann kam nach kurzer Pause ihre Antwort:
»Allerdings – mein Mann ist nicht abkömmlich.«
Völlig gelassen sprach sie es und sah dann wieder auf den Hafen hin. Die »Hamburg« hatte inzwischen ihre Fahrt ganz verlangsamt und stand nun still, um vor Anker zu gehen.
Görtz merkte sehr wohl, wie sie seiner Unterhaltung ausweichen wollte; aber er blieb beim Thema.
»Ah – das ist ja sehr bedauerlich. Sie würden gewiß noch viel mehr Freude an der Reise haben, wenn Ihr Herr Gemahl sie mit Ihnen teilen könnte.«
»Ohne Zweifel – aber man muß sich eben in die Verhältnisse schicken.«
Mit ruhiger Miene erwiderte sie es; doch an der Art, wie ihre Finger etwas nervös die kostbare Blaufuchsboa über dem Kostüm zurechtzupften, merkte er ihre innere Erregung. Eine geheime, prickelnde Freude stieg in ihm auf, wie in dem Jäger, der merkt, daß er auf richtiger Fährte ist.
»Ihr Herr Gemahl konzertiert also auch im Sommer? Gönnt er sich denn gar keine Erholung? Da pausieren die Herrschaften von der Kunst ja doch sonst alle?«
Es zuckte leise in Frau Söllnitz' Gesicht auf. Der Abscheuliche, wie er sie quälte! Sie wußte natürlich längst, worauf das hinaus sollte: Der Klatsch über sie war also auch hier wieder im Gang, war ihr aufs Schiff gefolgt. Nun hatte die Meute Wind bekommen und hetzte wieder hinter ihr her. Ah! Sie hätte aufschreien können vor Zorn und Qual: Was hab' ich euch denn getan? Kann ich mich denn nirgends hinflüchten, wo ich Ruhe habe?
Ihr ganzer Körper flog vor geheimer Erregung; aber sie wahrte ihre Fassung.
»Mein Mann hat sich für eine Konzerttournee in amerikanischen Seebädern verpflichtet. Daher kann er sich dies Jahr einmal nicht ausruhen.«
Dann aber brach sie die Unterhaltung ab. Das Niederrasseln der Ankerkette bot ihr den willkommenen Anlaß dazu. Sie wies nach vorn.
»Aber sehen Sie – wir gehen vor Anker.« Und sie wandte sich nach dem Vorderschiff zu, mit etwas hastigen Schritten.
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»Nun, gnädigste Frau, gute Nachrichten?«
Leutnant von Kreßmann fragte es Frau Söllnitz, die aus dem Postamt in Reykjavik herauskam. Er hatte sie, nach vielem Herumfragen, mit dem Regierungsrat glücklich hierher geführt.
»Gar keine.«
Enttäuscht und ein wenig besorgt kam die Antwort von ihren Lippen.
»O!« bedauerten die Herren.
»Mein Junge war nicht ganz wohl, als ich fortfuhr,« erklärte Frau Söllnitz ihre Besorgnis. »Es hätte mich daher sehr beruhigt, wenn ich ein Telegramm bekommen hätte. Sein Lehrer hatte mir auch fest versprochen, hierher zu depeschieren.«
»Sein Lehrer?« staunte der Leutnant im Weitergehen, und starrte die jugendliche, schlanke Frau ganz ungläubig an. »Haben gnädigste Frau denn schon einen schulpflichtigen Sohn?«
Frau Söllnitz mußte über sein verdutztes Gesicht lachen.
»Sogar einen, der bald in die Sexta kommt.«
»Wa–as?!« Dem Regierungsrat entfiel vor Entsetzen das Augenglas. Ja, nicht denkbar! Er hätte sie höchstens auf drei- oder vierundzwanzig taxiert. »Dann müssen Sie ja aber unglaublich früh geheiratet haben, Gnädigste!«
»Wahrscheinlich,« erwiderte sie nur ironisch.
Gedankenversunken gingen beide Herren schweigend neben ihr her. Sie hatte schon ein Kind, und dazu einen ganz großen Jungen! An den Gedanken mußten sie sich erst gewöhnen. Sie aber war wieder mit ihrem Sinnen daheim.
»Ich meine immer, es müßte hier doch noch irgendwo eine Nachricht für mich sein,« entfuhr es ihr unwillkürlich.
»Auf dem Schiff, beim Briefsteward haben Sie schon nachgefragt?« erkundigte sich Herr von Kreßmann, auf ihren Gedankengang eingehend.
»Natürlich, gleich heute morgen – aber nichts!«
»Hm!«
Auch der Regierungsrat sann nun nach.
»Hören Sie – ein Gedanke!« durchfuhr es ihn. »Wenn wir mal beim deutschen Konsul nachfragten?« wandte er sich an seine Begleiterin.
»Ja, das ist wahr! Vielen Dank. – Wenn sich die Herren noch mit mir dahin bemühen wollten –?«
»Aber mit Vergnügen!« versicherten beide eifrig, und so machte man sich von neuem auf die Suche.
Endlich war es gelungen, deutsch, englisch, dänisch radebrechend – was Anlaß zu viel Heiterkeit bot, sich auf den Straßen und in Kaufläden zurecht zu fragen. Der »tyske Konsul« war aufgefunden in Gestalt eines Kohlen-, Eisenwaren- und Tranhändlers en gros, namens Thorsten Gudbrandson; aber auch hier keine Depesche! Statt dessen die überraschende Mitteilung, daß eine solche auch noch gar nicht hier sein konnte, da nach Island kein Kabel führt, und Telegramme vom letzten schottischen Hafen aus weiter mit dem Postschiff befördert werden. Dieses war aber erst in vierzehn Tagen in Reykjavik zu erwarten.
»Donnerwetter, ja tadellose Verkehrsverhältnisse hier!« lachte Kreßmann, als sie wieder draußen waren. »Und das im zwanzigsten Jahrhundert! Einfach unglaublich!«
Die Heiterkeit und die Zusprache der Herren half Frau Söllnitz schließlich über ihre Besorgnis hinweg. Ihre Begleiter hatten gewiß recht: Es würde zu Hause schon alles in bester Ordnung sein. Der Junge war doch auch kein Baby mehr, sogar von einer recht robusten Gesundheit im allgemeinen. Da würde die kleine Erkältung oder Magenverstimmung bei ihrer Abreise ja längst wieder behoben sein. Der Lehrer, bei dem er in Pension war, war ja auch ein sehr sorgsamer, zuverlässiger Mann, ein guter Arzt war auch zur Hand – sie konnte also wirklich wohl wieder ganz ruhig sein.
So scheuchte denn also Frau Söllnitz alle Besorgnisse hinweg, und eilig schritt man nun dem Pferdedepot zu, wo der Aufbruch zum Ritt nach den heißen Quellen erfolgen sollte. Allerdings hatten sie sich durch ihre Wege eben stark verspätet; aber hoffentlich war die übrige Gesellschaft auch nicht so pünktlich gewesen.
Diese Hoffnung trog indessen. Als die drei am Rendezvous ankamen, war die Reiterkavalkade längst davon; nur ein Dutzend der isländischen Ponys stand noch in dem Gehege, daneben eine Gruppe von Männern, die sie bewachten.
»Was nun?«
Fragend sah der Regierungsrat die Leidensgefährten an.
»Das ist mir aber furchtbar peinlich, daß ich die Herren nun noch um das Vergnügen gebracht habe,« bedauerte Frau Söllnitz.
»Aber bitte!« beruhigte sie Görtz. »Doch was fangen wir nun an in dem Stumpfsinnsnest Reykjavik?«
Gelangweilt sah er die in der Tat nicht sehr amüsante, schnurgerade, ungepflasterte Straße hinab, zu beiden Seiten die niedrigen, barackenförmigen Wellblechhäuschen mit ihren unansehnlichen Fassaden.
»Wir wollen doch erst mal sehen, ob wir nicht noch nachreiten können. Ich werde einfach hier mal nach dem Weg fragen,« meinte der Leutnant. Er wollte doch seine eleganten breeches und gelben, lackledernen Reitgamaschen nicht umsonst angezogen haben; auch hatte er sich bereits mit einem hübschen Isabellenpferdchen streichelnd vertraut gemacht.
»Holla!« wandte er sich an die Leute, die, ohne sich um die Fremden zu kümmern, bei den Tieren standen, »wär so god – wer ar den vej til warme Killen?« redete er sie mit seinem eigenartigen Dänisch an, das er an Bord aus einem kleinen Reiseführer gelernt hatte, und auf das er nun nicht wenig stolz war.
Aber die Leute verstanden ihn nicht. Nach einigen weiteren resultatlosen Versuchen gab er, ärgerlich werdend, die Sache auf.
Suchend blickte er um sich. Seine schnarrende Leutnantsstimme hatte mit ihren ungewohnten Lauten noch einige Personen aus dem Laden des Hauses gelockt, vor dem sich das Pferdegehege befand. Es waren drei Männer oder Herren, von denen namentlich der eine, ein hochgewachsener Mann, in seinem englischen Touristenanzug mit Kniehose und Reitgamaschen ganz »zivilisiert« aussah.
»Ob ich den fremden Etranger da mal frage?« wandte sich Kreßmann halblaut an Frau Söllnitz. »Aber es ist offenbar ein Englishman, und Englisch kann ich nicht, würden Sie nicht so liebenswürdig sein, gnädige Frau?« Er wußte, daß sie sehr gut englisch sprach.
Frau Söllnitz fühlte sich als Reisekameradin zur Aushilfe verpflichtet; um so mehr, als die Herren ihretwegen um den Ritt zu kommen drohten. So näherte sie sich denn den drei Herren auf der Schwelle des Geschäfts, die, offenbar von ihnen sprechend, herübersahen, und redete den mutmaßlichen Engländer in seiner Muttersprache an.
Dieser aber zog, unter höflicher Verbeugung, seine Reitmütze und erwiderte, die Stufen herunterkommend:
»Ich spreche nur mangelhaft englisch; aber ich sehe, Sie sind ja Deutsche; so verständigen wir uns wohl so am besten. – Sie wünschen den Weg zu wissen, den Ihre Reisegefährten geritten sind? Ich könnte ihn Ihnen wohl sagen, aber Sie würden sich kaum zurechtfinden. Doch wenn es Ihnen recht ist, geleite ich Sie bis an die ›Warmen Quellen‹ – ich wollte ohnehin selbst jetzt aufbrechen.«
Höchst angenehm überrascht, einen so gut deutsch sprechenden Helfer in der Not gefunden zu haben, der sich sogar gleich als Führer anbot, dankte Frau Söllnitz herzlich. »Aber, wenn wir Ihre Zeit nur nicht zu sehr in Anspruch nehmen,« fügte sie hinzu.
»Auf Island hat man mehr Zeit, als einem oft lieb ist,« erwiderte aber der Fremde mit ernstem Lächeln. »Übrigens ist der Umweg über die Quellen für mich nur klein. Dort werden Sie ja dann wohl Ihre Gesellschaft einholen, denk' ich.«
Mit stummem Gruß trat nun der Fremde an den beiden Herren vorüber zu den Pferden, wo er zu des Leutnants starkem Verdruß sich gerade den Isabellenhengst herausholte – offenbar sein eigenes Pferd. Auch im Sattel- und Zaumzeug sah es stattlicher als die übrigen ziemlich struppigen Gäule aus. Ärgerlich suchte Kreßmann nach einem anderen Leibroß. Zu dumm! grollte er bei sich. Auf dem Isabellen hätte er eine so gute Figur gemacht vor Frau Söllnitz' kritischen Augen, die ja eine perfekte Reiterin sein sollte.
Auch die junge Frau war zwischen die Pferde getreten, von denen mehrere einen Damensattel trugen. Prüfend sah sie sich um; da trat der Fremde zu ihr.
»Hier nehmen Sie den Fuchs. Es ist ein gutes Tier,« riet er.
Dankend nahm Frau Söllnitz das Pferd, mit Hilfe des schnell herbeigeeilten Leutnants sich in den Sattel schwingend.
Nun waren auch die beiden Herren aufgesessen, und der Leutnant wollte recht forsch abreiten; aber sein Schimmel rührte sich nicht vom Fleck, drängte vielmehr dichter an die anderen Tiere heran. Kreßmann stieg das Blut zum Kopf, daß hier seine Reitkunst so diskreditiert werden sollte, wütend stieß er dem hartnäckigen Gaul die Absätze in die Rippen und hieb mit der Gerte; aber der schüttelte nur phlegmatisch den dicken Kopf.
Frau Söllnitz lachte hell auf.
»Infamer Schinder! Merkt natürlich, daß man keine Eisen hat!« wetterte der Leutnant.
»Hierzulande reitet niemand mit Sporen, und es geht auch so,« belehrte der Fremde, und in der Tat ging auf einen leisen Zuruf sein Pferd alsbald anstandslos aus dem Haufen heraus.
Wütend sah ihm Kreßmann zu; der Kerl war ihm höchst unsympathisch! Inzwischen hatten zwei der Leute sein und des Regierungsrats Pferd ergriffen und führten sie aus dem Gehege heraus. Frau Söllnitz' Tier schloß sich darauf freiwillig den aufbrechenden Gefährten an.
Der Fremde ritt an ihrer Seite, alsbald mit ihr die Spitze des kleinen Zuges nehmend.