Inhaltsverzeichnis
Eine kleine Burg.
Geistertanz.
Die hastigen Zyklopen.
Der Gierige.
Die Prinzessin Rona.
Die alten Priester und die Knaben.
Das Windspiel.
Die Nacht war groß.
Qualm und Rauch.
Loscha.
Menschenblut.
Die kleine Fliege.
Nacht und Purpur.
Hei! Tanz mit mir!
Der Neugierige.
Die Welt ist ein Kuhstall.
Der astropsychologische Dithyrambus.
Hinter den Bergen der Gewöhnlichkeit.
Der Faun.

O Polizeistaat, Deinem Genie
Verdankt die Welt die Graphologie
Und die köstliche Physiognomik.

Lichtenberg

Meinem verhaßten Richard Dehmel

Eine kleine Burg.

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Kopf-Vignette.

Eine kleine Burg lacht hoch oben auf dem Berge. Sinnend steh ich unten und – will was.

«Glaubst du an mich?»

Also hör' ich's fragen vor mir in einer Höhle.

«Nein!» sag' ich.

«Denn», so fahr' ich in Gedanken fort, «Ich will nicht an das glauben, was in Höhlen wohnt.»

Und leise säuselt der Wind durch's Gebüsch, fächelt behutsam wie eine Sklavin Nebukadnezars meine heiße Backe, schwirrt an der Höhle vorüber, und ich höre wieder aus der Höhle hervortönen:

«Du bist doch aber noch nicht auf dem Berge, warum verachtest du mich denn?»

«Du Schaf!» versetz' ich, «weil du niemals auf einen Berg hinauf willst.»

Zischen antwortet. Ich blick' hinauf zur kleinen Burg und – und – will was... doch allmählich wird's mir klar – ich will in der Burg oben wohnen – – – wohnen.

«Mußt erst raufkommen!» tönt's höhnisch aus der Höhle hervor.

– – und da fällt mir ein, daß ich überhaupt noch nicht wohne – nirgendwo.

Über diese Dichtung denken die Geister der achtkantigen Flasche ungemein eifrig nach; sie nehmen ihre gesamte Gehirnkraft zusammen.

Es ist keine Kleinigkeit, eine zehntausend Jahre alte Dichtung einigermaßen vernünftig zu erklären.

Aber die Drei sind in jeder Beziehung «erstklassige» Gelehrte – bekannt auf dem ganzen Erdenland, das jetzt allerdings längst entzwei ist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Und Brüllmeyer ergreift das Wort:

«In dieser kleinen Burg», sagt er, «Scheint mir die Wurzel allen Dichterelends zu stecken. Die Dichter waren eben zu allen Zeiten zur Heimatlosigkeit verdammt. An das einfache Volk, das unten in Höhlen wohnt, glauben sie nicht; die Stimme aus der Höhle ist allen Dichtern Nichts als Schafsgeblök. Doch an die kleine Burg hoch oben auf dem Berge können die armen Dichter wieder nicht ran; da will man sie nicht. Und so bleiben sie ewig obdachlos unter freiem Himmel, wo's natürlich nicht bequem ist. Die Dichter sollen wohl immer dem freien Himmel möglichst nahe bleiben. Als Leitspruch hätte davor stehen können: Wen der Herr lieb hat, den züchtigt er.»

Passko sagt dazu nach einer Weile.

«Mir scheint hier bloß die peinliche Stimmung jener stets starrsinnigen Menschen dargestellt, die plötzlich genötigt werden, Partei zu ergreifen, und dann zunächst mal zwischen Aristokratie und Demokratie – zwischen Ritter und Spießbürger – wählen müssen. Sie wollen natürlich ‹eigentlich› von der ganzen Sippschaft Nichts wissen, ob sie nun in Höhlen oder in Burgen wohnt. Und da bemerken sie denn, daß sie überhaupt noch keine Heimstätte haben. Eine peinliche Entdeckung! Der Fluch der Sucht nach Freiheit scheint mir hier in ein treffliches Sinnbild gebracht zu sein.»

Der alte Kusander spricht kurz folgendermaßen:

«Es kommt mir hier die wichtigste Wehmutsstimmung eines sogenannten Zigeuners zum Ausdruck. Es wird uns, wie Passko schon ganz richtig bemerkte, die Schattenseite der Freiheit gezeigt. Die Geschichte dürfte auch ‹die Vogelfreiheit› genannt werden. Übrigens bin ich nicht der Meinung, daß die Burg das Rittertum darstellen soll; das gabs zu Kants und Schopenhauers Zeiten bloß noch dem Namen nach. Wahrscheinlich hat der Verfasser mit der kleinen Burg nur ein kleines Haus gemeint, in dem er ‹ungestört› allein leben kann.»

Brüllmeyer meint dann freudig:

«Unsre Meinungen klingen gut zusammen. Im wesentlichen widersprechen wir uns nicht. In der Sklavin Nebukadnezars sehe ich übrigens ‹die Üppigkeit der weiten Ferne› angedeutet.»

Der kluge Passko flüstert nun träumerisch:

«Die Üppigkeit der weiten Ferne! Hm! Man kann in dieser Dichtung auch die Tragödie des ewig heimatlosen Menschentums erblicken. Wer fühlte sich denn auf der Erde jemals daheim?»

Kusander antwortet fest:

«Keiner! Nur in der ganzen Welt am Herzen Gottes sind wir zu Hause. Wir wären also in der achtkantigen Flasche auf dem besten Wege, mal nach Hause zu kommen.»

Die Drei sitzen grübelnd da, und Brüllmeyer macht nach langer Pause die Schlußbemerkung:

«Jedenfalls ist die Geschichte gut, wenn ich auch glaube, daß das Herz Gottes überall ist. Laßt uns nun nicht weiter nachdenken – laßt uns auf das Wohl des unbekannten Dichters zehn große Gläser Narrenwein trinken!»

Die Gelehrten tun's!

Der Himmel ist prächtig und mit keinem Dinge, das einst auf Erden zu sehen war, zu vergleichen.

Die goldenen Streifen glitzern.

Die purpurnen Streifen glühen.

Die blauen Streifen leuchten.

Die grünen Streifen blenden.

Und die anders gefärbten Streifen sehen zuweilen gleißend bunt aus wie klebrige Schlangen – und oft brennen sie wie Diamanten.

Alle Streifen laufen parallel zueinander – alle werden von Zeit zu Zeit dicker und danach wieder dünner.

Das bißchen Himmel zwischen den Streifen ist schwarz und kommt auch nur als Streifen zur Geltung.

Der gestreifte Himmel macht den drei Zechern in der achtkantigen Flasche riesigen Spaß.

Und einige Zeit darauf, als mal wieder die Emailuhren aufgezogen werden (die drei Geister sind grade durch allzu reichlichen Krebsscherengenuß in eine unbehagliche Stimmung geraten) holt Brüllmeyer ein zweites, zehntausend Jahre altes Blättchen hervor – und zwar:

Geistertanz.

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Bewegungsstudie.

Von Norden kommen sie – durch die Luft. Schrill pfeift der Wind.

Die dünnen Gewänder flattern.

Übers Meer kommen sie – am Strande schweben sie hinab.

Am Strande wird getanzt. –

Sie rennen durch den Sand wie die Tollen – die Dünen hinauf und hinunter. Die Muscheln zerbrechen unter ihren Füßen. Wild springen sie hoch in die Luft, klatschen in die Hände, schleudern die dünnen Gewänder rechts und links, als wären's Peitschen...

Dann umarmen sie sich – dann drücken sie sich, als wollten sie sich zerpressen – – – sie lassen sich danach wieder los und drehen sich um sich selbst – – – blitzschnell wie Kreisel – die Gewänder flattern.

Dann bilden sie einen Kreis.

Zwei Dutzend Geister sind's.

Sie stehen ganz still im Kreise.

Langsam reichen sie sich die Hände, drücken sie ganz fest ineinander und lassen dann ihren Körper zurückfallen.

Sie kreischen dabei auf und werfen den Kopf ins Genick.

Wie ein Trichter sieht der Geisterkreis aus.

Jetzt braust der Wind – die Wogen donnern – das Meer schäumt über die Ufer – die Wogen bespritzen den Geisterring... Der springt empor und tanzt nun – die Beine fliegen, die Haare fliegen – – in die Wellen springen die Geister hinein. Wie ein Wirbelwind dreht sich – pfeifend – der Ring der Geister. Das Wasser sprüht nach allen Seiten.

Die Geister tanzen – tanzen – und wie ein Wirbelwind steigen sie empor in die Luft...

Und pfeilschnell drehen sich die Geister wieder nach Norden – hoch überm Meere schweben sie.

Die Winde brausen – die Gewänder flattern.

«Daß die Gewänder flattern, wenn der Wind weht», donnert nun Brüllmeyer los, «daran zweifelt zweifelsohne kein Kuhhirt. Was mit diesem Geistertanz aber gesagt werden sollte, das weiß jeder betrunkne Lämmergeier ebensowenig wie ich. Ich versteh's nicht!»

Passko aber spricht schmunzelnd:

«Schreihals, alter! Hier ist auch Garnichts zu verstehen, ereifre dich nicht! Das Ganze ist eine Bewegungsstudie und will Nichts weiter sein. Müssen denn die armen Dichter ebenfalls immerfort was sagen? Die Gelehrten sagen doch schon genug!»

Man trinkt ein bißchen heißen Magentee, wobei Brüllmeyer nicht umhin kann, seinem Ärger mit den folgenden Worten Luft zu machen:

«Lieber Passko, wenn ich nicht klüger wäre wie du – so würde ich ebenfalls diesem Untertitel ‹Bewegungsstudie› trauen. Ich bin aber klüger! Die allerfeinsten Satiren sehen äußerlich ganz harmlos aus. Der Trichter, den die Geister bilden, scheint mir sehr wichtig zu sein. Wollte der Dichter mit dem Trichter eine Anspielung auf den bekannten Nürnberger Trichter ausspielen?»

Alle müssen lachen, Kusander aber erklärt den bewegten Geistertanz auf diese Art:

«Kinder!» sagt er, «ihr seid doch immer noch nicht scharfsinnig genug. Die flatternden Gewänder können doch nur – flatternde Fahnen sein. Eine Flottenschar fuhr mit flatternden Fahnen vom hohen Norden in den tiefen Süden. Die ganze Geschichte ist die lustigste Verhöhnung eines Paradegeschwaders, das im Süden die Töchter des feindlichen Landes zu einem lustigen Ball einladet, furchtbar wild mit ihnen tanzt und danach mit gehobener Brust kühn wieder nach Hause gondelt. Die Geister sind durchschaut.»

«Schon möglich!» versetzt Brüllmeyer, obgleich es ihm schwer fällt, den Nürnberger Trichter fallenzulassen.

«Was bedeuten aber», fragt nun der kluge Passko,» die vielen Gedankenstriche? Die machen mich allerdings stutzig!»

«Die bedeuten sicherlich was Ausgelassenes!» erwidert der Brüllmeyer.

Und Kusander fügt feierlich hinzu: «Na natürlich! Die Gedankenstriche sind die Kindheitsschmarren der Furchtsamkeit!»

«Na prost!» klingt's ihm da entgegen.

Und bald klingt das «Na prost!» wieder so oft und hell durcheinander wie das Gekrächz großer Krähenvölker im Abendrot.

Der verehrte Leser, dem diese Zeilen zufällig irgendwo im Raum zuflattern, darf sich nicht wundern, daß die Geister der achtkantigen Flasche ohne Unterlaß die vollkommen vergessene deutsche Sprache vollkommen beherrschen und nur deutsch reden. Das ist nur eine Folge der großen Begeisterung für alles Deutsche, die man verstehen wird, wenn man nicht vergißt, daß alle Drei echte Germanisten sind und zu einer Zeit geboren wurden, in welcher der Sinn für die Vergangenheit ungemein kräftig entwickelt war. Es ist ja zudem nur natürlich, daß man sich für das deutsche Volk begeisterte, das ja schon so viele tausend Jahre der Vergangenheit angehörte. Ein ehrwürdiges Alter wird im ganzen Raume zu allen Zeiten selbst den lächerlichsten Ländern, Völkern und Geschichten den Glanz der Heiligkeit und Vollkommenheit verleihen.

Doch dies nur nebenbei!

Der kluge Passko bedauert eines Tages, daß er so wenig von den alten Griechen, Assyrern und Kretern weiß – was den Brüllmeyer veranlaßt, eine Kratergeschichte seinem Schatze zu entnehmen:

Die hastigen Zyklopen.

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Kratergeschichte.

Donnerwetter!! – dieser Lärm!

Die Kohlenklötze fliegen von Hand zu Hand – die Zyklopen im Ätna wollen wieder heizen – sie wollen heizen, damit's ringsherum auf der ganzen Erde –