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Die Villa der Zaubertiere. Einhörner suchen ein Zuhause

aus dem Amerikanischen
von Nadine Mannchen

Mit Illustrationen
von Franziska Harvey

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Für meine Nono, die wusste, dass aus mir eine Schriftstellerin werden würde, lange vor mir.

K. G.

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Für Vanessa und Andrea,voller Liebe, immer.

A. B.

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Felicitas

 

Glück ist wie Magie. Es ist geheimnisvoll und auf­regend, und man kann es einfach nicht erklären. Man kann es nicht durch Formeln beschreiben, auch nicht durch Logik, ja noch nicht einmal durch Bücher. Man muss eben daran glauben.

Felicitas glaubte daran. Sie glaubte, dass es Glück gab – und dass sie immer nur Pech hatte. Seitdem sie unter einer Mondsichel, so schmal wie das Schnurr­haar einer Katze, geboren worden war – ein böses Omen, wie sie entschieden hatte –, war sie ihr Leben lang vom Pech verfolgt worden.

Angefangen bei geplatzten Fahr­radreifen bis zu verbranntem Toast. Von ihren Schwierigkeiten mit Haustieren mal ganz zu schweigen.

Sie versuchte alles Mögliche, um etwas daran zu ändern. Sie strich ihr Zimmer in der Farbe von hellgrünem Glücksklee und klebte Sternschnuppen an die Decke, sodass sie sich jede Nacht etwas wünschen konnte.

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Über ihrem Bett hängte sie ein Hufeisen auf und in einem Glas auf dem Fensterbrett sammelte sie glänzende Glückspfennige. Sie trug sogar immer einen Glücksbringer mit sich herum. An diesem Morgen hatte sie einen Wunschknochen in die Tasche gesteckt. Aber nichts davon schien zu funktionieren.

Der Wunschknochen war jedenfalls zu nichts nutze, das war jetzt klar. Heute war der erste Tag der Ferien, und schon war ihr kompletter Sommer im Eimer. Ihre beste Freundin, Emma, hatte eben angerufen und ihr gesagt, dass sie nun doch auf den Ponyhof fahren würde. Emma und Feli hatten eigentlich gemeinsam fahren wollen, aber es war kein Platz mehr frei gewesen. Heute Morgen dann hatte jemand abgesagt, und Emmas Name stand als erster auf der Nachrückliste.

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»Kopf hoch«, meinte Emma, als sie Feli die Neuig­keit überbrachte. »Vielleicht sagt ja noch jemand ab und du kannst auch mit.«

Doch Feli wusste, das würde nicht passieren.

Die Reiterferien dauerten, bis die Schule wieder los­ging. Das war’s dann also mit Pyja­ma­partys und Eis essen gehen. Vorbei mit Abenteuern und tollen Erlebnissen. Den Sommer mit ihrer besten Freundin zu verbringen konnte Feli vergessen.

»Wenigstens habe ich dich«, sagte sie zu Penny, ihrem neuen Kanarienvogel. »Ich kann dir das Singen beibringen und, na ja, alles Mögliche. Das wird lustig.«

Feli stellte sicher, dass Zimmerfenster und Tür fest verschlossen waren, dann holte sie Penny aus ihrem Käfig. Sie streichelte über die gelben Federn des Vogels, als plötzlich … Klirr! Ein Baseball krachte durch die Fens­terscheibe, zischte haarscharf an dem Pfennigglas und einem Briefbeschwerer aus Jade vorbei, der aussah wie eine Schildkröte, und landete auf Felis Bett.

»Oh nein!«, rief sie.

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Schnell wie der Blitz flatterte Penny mit einem erschrockenen Piepsen von Felis Finger auf und flog durch das Loch, das der Baseball hinterlassen hatte, ins Freie.

»OH NEIN!«, rief Feli noch lauter.

Sie rannte aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und zur Haustür hinaus. »Penny!«, schrie sie und saus­te hinter dem Vogel her, sodass ihre Schuhe laut über den Gehsteig klapperten. »Penny, komm zurück!«

Die Straße war verlassen. Wer den Ball auch geworfen hatte, war verschwunden. Penny segelte über den Rasen und die Straße hinunter. Feli jagte hinterher.

Am Ende des Häuserblocks setzte Penny sich auf einen Gartenzaun. Feli wollte sich hinter ihr anschleichen, aber sobald sie in Reichweite war, hob Penny wieder ab und flatterte eine Straße weiter.

Ein paar Mal landete Penny noch, doch Feli wollte es einfach nicht gelingen, sie einzufangen. Es dauerte nicht lange, da hatten sie den Rand des Dorfs erreicht. Penny flog immer weiter. Obwohl Feli schon Seiten­stechen hatte, gab sie nicht auf.

Sie rannte über Felder, über sanft ansteigende Hügel und schließlich einen gewundenen Pfad entlang, der immer steiniger wurde. Außerdem ragten immer mehr wuchernde Büsche und Sträucher in den Weg. Noch nie hatte Feli sich so weit vom Dorf entfernt. Das Stechen in ihrer Seite wurde zu einem harten Knoten.

Als der Weg abknickte, verlor Feli Penny kurz aus den Augen, dann lief sie um die Biegung – und erstarrte. Direkt vor ihr ragte eine Reihe aus Bäumen und Büschen auf, die wie eine große grüne Mauer den Durch­gang versperrte.

Der Verbotene Wald.

Ihr Kanarienvogel hockte wie ein Weihnachtsstern auf der Spitze eines kleinen schiefen Bäumchens.

»Komm zu mir, Penny! Lieber kleiner Vogel!«, rief Feli und streckte einen Finger aus. Doch als sie sich langsam näherte, gab Penny ein freches Zwitschern von sich, flog auf und verschwand im Wald.

Bleib fort, bleib fort, der Verbotene Wald ist ein gefährlicher Ort. Bestien spielen dort. Der Reim, den sie in der Schule oft sangen, hallte durch Felis Kopf. Die Leute aus dem Dorf hielten sich fern vom Wald. Es war ein seltsamer Ort, hinter dem es sogar noch seltsamer wurde – zumindest erzählte man sich das.

Die Bäume vor Feli ächzten und knarrten, überall huschten Schatten. Ein unheimlicher Hauch pfiff durch die Äste, wie um den Singsang in Felis Kopf zu begleiten.

Sie schluckte und griff nach dem Wunschknochen in ihrer Tasche. Bisher hatte er ihr zwar kein Glück gebracht, aber sie würde ihm noch eine zweite Chance geben.

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Feli atmete tief ein und hielt nach einem Weg Ausschau. Ihr Blick fiel auf einen winzigen Trampelpfad. Er war so zugewachsen, dass man ihn kaum sehen konnte, doch nachdem Feli die ersten paar Sträucher beiseite gedrückt hatte, wurde er breiter.

Die Bäume warfen dunkle Schatten, waren aber auch grün und prächtig. Überall auf dem Waldboden lagen verrottende Stämme, doch dazwischen wuchs daunenweiches Moos, das von weißen Blüten übersät war. Die Luft roch sauber und frisch.

Der Wald war wunderschön und nur ein klein wenig gruselig. Und seltsam war es hier auch kein bisschen. Nur von Penny fehlte noch immer jede Spur. Sie war fort. Diesmal wirklich.

»Blödes Pech!«, schimpfte Feli und blinzelte einige Tränen fort. Wieder griff sie in die Tasche und holte den Wunschknochen heraus. »Du bist ja wohl der schlimmste Glücksbringer überhaupt!« So fest sie konnte, warf sie ihn weg.

Der Wunschknochen prallte an einem Baumstumpf ab, kam wie ein Bumerang zurück und hätte Feli bei­nahe im Gesicht getroffen.

Aber sie bemerkte es gar nicht. Wie gebannt starrte Feli auf einen großen dicken gelben Zettel, den jemand an einen Baumstamm in der Nähe genagelt hatte. Das Papier war gewellt und verblichen, die Handschrift darauf vom Regen verwaschen.

Feli trat näher, um sie zu lesen.

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Darunter hingen kleine Zettel mit einer Weg­be­schreibung darauf.

Kein einziger war bisher abgerissen worden.

Feli las sich den Text noch einmal durch. Dann ein drittes Mal.

Wie gern hätte sie ein eigenes Haustier! Doch bei ihrem Pech war das einfach unmöglich!

Wenn ich in einem Tierheim arbeiten würde, dachte sie, könnte ich Zeit mit Tieren verbringen, ohne ein eigenes haben zu müssen. Ich könnte ihnen helfen. Ich könnte dafür sorgen, dass es ihnen gut geht.

Behutsam riss sie den ersten Zettel ab und las.

»Die V.Z. – Drachenschwanzgasse 1. Den Pfad hinunter. Gleich hinter der Biegung. Einfach den Wegweisern folgen.«

Kurz zögerte sie. In den Verbotenen Wald zu gehen, um ihren Vogel zu suchen, war eine Sache. Sich als Freiwillige zu bewerben, eine ganz andere. Wer leitete schon ein Tierheim mitten im Wald?

Feli sah sich noch einmal um. Die Baumwipfel schaukelten im Wind. Zwei Eichhörnchen plapperten fröhlich. Das waren schon mal keine Bestien.

Gleich hinter der Biegung, dachte Feli. Das ist nicht weit. Ich kann es mir wenigstens mal ansehen.

Sie faltete den Zettel zusammen, schob ihn tief in ihre Tasche und ging den Pfad entlang, um nach dem ersten Wegweiser zu suchen. Trotz ihrer Dauerpechsträhne hatte Feli nie die Hoffnung aufgegeben, dass am Ende doch noch alles gut werden würde.

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